Politik, 11. Staffel

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Olome Keratin

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@Astaldo: Ärzte ohne Grenzen bezieht sich Angaben syrischer Krankenhäuser. Ich halte es nicht für plausibel, Assad für diese Attacke, was auch immer das nun war, verantwortlich zu machen. Assad hat seit Jahren auf den Einsatz von Chemiewaffen verzichtet und zwischendurch massiv Boden verloren. Jetzt sind seine Truppen seit einigen Monaten erfolgreich in der Offensive, wohl auch dank Hisbollah-Unterstützung. Im Moment sieht es vom militärischen Standpunkt so aus, als würde sich Assad in den nächsten 1-2 Jahren durchsetzen. Warum sollte er das durch einen unnötigen Chemiewaffen-Einsatz gefährden?
Umgekehrt wäre das für die Aufständischen natürlich ein Himmelsgeschenk, wenn sie wegen einem Chemiewaffeneinsatz plötzlich direkte westliche Hilfe erhielten. Schaut man sich den Kosovo-Krieg an, dann gibt es bereits wenigstens einen Präzedenzfall für dieses Vorgehen, warum also nicht in Syrien das gleiche versuchen?
 

Lisra

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Wird interessant sein zu sehen, wie "der Westen" reagiert, sollte Olome hier mal Recht behalten.
 

Chinasky

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Ich vermute, daß Olome hier ziemlich richtig liegt. Das Argument, daß es gar nicht in Assads Interesse sein kann, ausgerechnet jetzt, wo seine Seite die Oberhand hat, mit Chemiewaffeneinsatz nach Einmischung von aussen zu schreien, ist einfach zu zwingend.
Übrigens verstehe ich nicht, warum vor einem Chemiewaffeneinsatz die Situation zu kompliziert und undurchschaubar sein soll, man danach aber unbedingt sich einzumischen habe? Seit dem Irakkrieg glaube ich persönlich eh nicht mehr an "neue Erkenntnisse", nach welchen XYZ Massenvernichtungswaffen besitzt/bald besitzen wird/einsetzt/bald einsetzen wird. Sobald von WMD die Rede ist, argwöhne ich, daß man keinen Bock mehr auf rationale Analysen hat und die Bevölkerung emotional auf einen Kriegseinsatz einstimmen möchte. Wurden eigentlich schon Gerüchte laut, daß Assad-Soldaten Säuglinge aus ihren Brutkästen reissen? Ist doch sonst immer Teil der Kriegstreiber-Folklore...
Daß man ähnlich wie im Kosovo/Serbien-Krieg seitens der USA mal schön die Europäer mit einbinden will, ist übrigens so ein großes Geheimnis, daß es gestern gar in den Tagesthemen ausführlich angesprochen wurde. ;)
 

Eowil

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Assad könnte auch über bestimmte Generäle, Milizen und Chemie-Areale die Kontrolle verloren haben, so dass eins zum anderen führt.

Das die Rebellen auf ihre ethnischen Genossen ein planmäßiges Massaker mit 1000 Toten (edit) vollbringen ist mMn eine grenzwertig verschwörungstheoretische Überlegung...

Ich habe aber garkeine Infos darüber, ob es Alawiten oder Sunniten waren. Weiß da jemand mehr?
 

Astaldo

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Naja so einleuchtend stellt sich mir das nicht da. Syrien ist nicht mal halb so groß wie Deutschland. Wenn man davon ausgeht, dass Assad 1-2 Jahre benötigt um das wieder unter Kontrolle zu bekommen, dann hat er imo ein gewaltiges Problem und von Oberhand haben, kann da keine Rede sein.

Mal davon abgesehen glaub ich nicht, dass der Zugang zu richtigen Chemiewaffen nicht so ohne weiteres möglich ist. Sollten die Rebellen ein Depot erobert haben, dann hätte es imo von westlicher Seite schon längst eine Reaktion gegeben, weil noch mehr als einen Einsatz in Syrien fürchtet man Giftgas in den falschen Händen. Das ist ähnlich wie bei Pakistan wo man auch immer Angst haben muss, dass die A-Waffen an die falschen geraten, sollte die Staatsmacht die Kontrolle verlieren.

Ich bin auch noch nicht vollständig überzeugt, was da unten geschehen ist, aber in dem Fall das tatsächlich Assad oder einer seiner Generäle da die Grenze überschritten haben, dann ist Zuschauen für mich eben keine Option mehr.
 

Eowil

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Eine Relativierung zu meiner falschen Zahl "1000": Es scheint bei dem Angriff um Damaskus 355 Tote und 3500 insgesamt Betroffene gegeben zu haben, und die Rebellen beschuldigen das Regime insgesamt über 1000 Menschen getötet zu haben.

Infos zu den Ethnien konnte ich weder auf SPON, noch NYT noch NZZ finden. Dazu eine interessante Anmerkung aus der NZZ:

Die Region östlich von Damaskus stand in jüngster Zeit unter der Kontrolle der extremistischen Nusra-Front. Diese habe eine Chlorgas-Fabrik eingenommen, sagte der Militärexperte Eliot Higgins auf Anfrage. Es gebe jedoch keine Beweise dafür, dass die Rebellen diese Chemikalien waffenfähig gemacht hätten. Falls die Nusra-Front diesen Schritt geschafft habe, wäre dies nach Einschätzung des Giftgasexperten Steve Johnson extrem besorgniserregend. Johnson geht von 100 bis 700 Toten aus; dazu brauche es enorme Mengen an Giftgas, und man müsse auch in der Lage sein, es einzusetzen. Johnson bezweifelt, dass die Aufständischen dazu fähig sind.
 

Olome Keratin

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@Eowil: Es ist zwar nicht ganz ausgeschlossen, dass Assad die Kontrolle verloren hat und einzelne von seinen Chemiewaffen-Einheiten jetzt Amok laufen. Aber: Wenn es tatsächlich wie meist vermutet eine Giftgasattacke entweder per Raketen oder per Fliegerbombe war, dann müssten mehrere Einheiten zusammengearbeitet haben, das ist logistisch ziemlich komplex. Man bräuchte die Einheiten, die über Giftgas verfügen, dann Transportmöglichkeiten, eventuell noch Befüllungsmöglichkeiten für das Gas, je nachdem, wie es bisher gelagert wurde, und natürlich die Abschusseinheiten, also Luftwaffe oder Raketenartillerie. Und das die alle außer Kontrolle geraten und dann auch noch erfolgreich zu einem solchen Abschuss kommen, ohne dass jemand dazwischen funkt - ist das wirklich plausibler als die Inkaufnahme von etwas friendly fire auf andere Rebellen, um damit den Krieg zu gewinnen?
Nächster Punkt: Assads Seite ist relativ gut organisiert, da sie sich auf die bisherigen Armee- und Herrschaftsstrukturen stützen kann. Auch die Zielsetzungen der Akteure in diesem Lager dürften nicht so stark voneinander abweichen. Auf Rebellenseite sieht das ganz anders aus. Wenn sich die Rebellen durchsetzten, gingen die Kämpfe dann wahrscheinlich zwischen ihren einzelnen Fraktionen weiter - Säkulare gegen Religiöse, Salafisten gegen moderat Religiöse usw. Dass da die eine Fraktion der anderen ein paar Giftgas-Granaten um die Ohren haut, um damit ein westliches Eingreifen auf der eigenen Seite zu provozieren, ja, warum denn nicht?
Und Eowil, da du bisher doch immer präzise Begriffe eingefordert hast: Du sprichst einmal von ethnischen Gruppen und fragst dann, wer wisse, ob es sich um Sunnis oder Alawiten handele - das sind Religionsgruppen, keine Ethnien.:)
 

Eowil

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Ein kaum kontrollierter General oder anderer kapitaler Offizier, so meine Mutmaßungen, verfügt ja über seine Kommandostruktur. Es gibt doch das Bonmot aus der Forschung über Kalten Krieg der letzten Jahre, dass der Atomkrieg schon allein deshalb jederzeit hätte ausbrechen können, weil russische Generäle im Ernstfall keine Rücksprache mehr mit dem Kreml für Atomwaffeneinsatz hätten halten müssen! Wenn ein hoher syrischer Offizier mit den Ressourcen und der Autorität jetzt eben anordnet, dass Assad eine Vergeltung auf eine Kleinstadt mit C-Waffen durchführen will, wer wird das in so einer Eskalationsstufe denn aufhalten, zumal das Gebiet durch die Nusra besetzt ist...?

Die Rebellen an-sich, wie im Artikel der NZZ kurz erwähnt, hätten da ja sehr viel größerer Schwierigkeiten, synchron einen so großen Angriff zu fahren. Die Ladungen aus dem Bunker holen, richtig scharf machen und einsetzen und dann synchron mit Intakten Waffensystemen abliefern... klingt schon sehr nach dem Werk des Militärs mit seinen Artillerie und Luftwaffeneinheiten, über die die Rebellen kaum verfügen. Ich finde es spricht letztlich eindeutig für die syrischen Truppen, ob jetzt von Assad angeordnet oder eben nicht.


Was die Akteure innerhalb der Rebllen angeht: Al Qaida z.B. hat sicher kaum Probleme mit den moralischen wie know-how Hindernissen, so viel ist sicher, aber da müssen eben doch ganz schön viele Hände von moderaten Rebellen skrupellos mitmachen und dichthalten.
Die Fragmentierung der Rebellen macht einen Giftgas Angriff motivational und moralisch sicherlich wahrscheinlicher für irgendeine Untergruppierung, aber was die Logistik und die Durchführung angeht eher unmöglich... keine Geräte, keine Abstimmung usf.


"Offiziell"-Wissenschaftlich gesehen: Point taken!! Aber die Kategorien verschwimmen hier, in den Worten Wikipedias:

"Die einzelnen Bevölkerungsgruppen definieren ihre ethnische Zugehörigkeit über ihre Muttersprache und Religionszugehörigkeit, wobei innerhalb der gemeinsamen Sprache religiöse Unterschiede eine quasi-ethnische Abgrenzung bewirken können."
 

Lich

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aber was die Logistik und die Durchführung angeht eher unmöglich... keine Geräte, keine Abstimmung usf.

:confused:
Wenn mans schafft erfolgreich eine Rebellion ins Leben zu rufen und diese auch am Laufen zu halten, dürfte Logistik und damit auch Durchführung das kleinste Problem sein.

Lich
 

Eowil

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Klar, die Rebellion läuft. Aber sie ist zersplittert. Die Experten in Fernsehen und Zeitungen zweifeln an deren Fähigkeit zu sowas. Ich glaube hier wird einfach unterschätzt, welchen Aufwand, Technik und welches Wissen neben den Giftgasladungen notwendig ist, um einen scheinbar so "erfolgreichen" Angriff zu machen.

Ich bin kein Experte, kann einerseits nur auf meine eigenen paar Bundeswehrmanöver zurückgreifen und die Erfahrungen mit dösbaddeligen Mannschaften und streikender, superkomplizierter Technik von Waffenbatterien --- andererseits auf die eben Zeitungen und Experten-- und ich werde es nicht ausschließen!! Al Qaida ist zu vielem fähig, dass haben wir alle gesehen. Aber die monate- bis jahrelang eingeübte Bedienmannschaften samt speziellen Abschussgerät und Treibladungen und dem scharfen Kampfstoff und dem speziellen Wissen für den Kampfstoff... wer hat das... Assad... oder die Rebellen? Ich glaube Ersterer! ( -- oder ein wildgewordener General).
 

Rote Zora

Pfefferklinge
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Ich beschäftige mich auch intensiv mit dem Thema, vor allem eben auch, weil wir eine Familie aus Aleppo im Dorf haben, denen das natürlich auch ganz andere Weise nahe geht. :(

Meine erste Reaktion war auch die von Olome, und wenn die WELT auf ihrer Online Ausgabe titelt: Kosovo Krieg soll Blaupause fuer Syrien Schlag sein, dann rollen sich einem schon die Fußnägel auf.

Andererseits ist bei näherem Hinsehen Eowil im Recht: Giftgas ist gerade unter Bürgerkriegsbedingungen nicht leicht herzustellen, auf entsprechende Trägersysteme (Rakteten, Granaten) zu bringen, zu lagern und einzusetzen. Die große Fläche über verschiedene Orte verteilt, die verheerende Wirkung, die zeitliche Abstimmung - das ist der zerstrittenen und in der Defensive befindlichen Rebellentruppe derzeit kaum ernsthaft zuzutrauen.

Hinzu muss man einkalkulieren, dass der syrische Bürgerkrieg zu einem Vernichtungskrieg geworden ist. Jörg Armbruster und Martin Durm haben als die wenigen, die wirklich vor Ort recherchiert haben, das ganze auf dem Punkt gebracht: Sunniten und Schiiten wissen, dass sie es nicht überleben werden, wenn der andere gewinnt.

Dass also auch beim militärischen Vorwärtsgang Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden, ist längst nicht so unlogisch wie es scheint. Saddam war von den Kurden ja auch nicht existentiell bedroht, als er ihre Dörfer vergaste. Es war vielmehr eine Rache für mangelnde Solidarität, als der Krieg mit Iran schon vorbei war.

Ähnlich gelagert könnten die Motive Assads sein, aufständische Viertel einfach zu vernichten, und den Großraum Damaskus nur noch mit Getreuen Ethnien/Konfessionen etc zu besiedeln.

Wenn er dabei seine militärischen Erfolge und seine Fähigkeit, nun durchzumarschieren erheblich überschätzt, wäre er auch nicht der erste Diktator, der das täte.

Aber natürlich können wir von hier aus nur wenig definitiv analysieren und beweisen. Aber WENN es Assad war, darf er damit nicht durchkommen, dann muss es Konsequenzen haben, die ihn seinen Kopf und/oder sein Amt kosten.

Wie das am sinnvollsten zu bewerkstelligen ist, steht dann noch mal auf einem anderen Blatt.

ZORA
 

Maus

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Mal ganz ehrlich: was steht denn auf dem anderen Blatt (@Zora) oder ist denn eine Option (@Astaldo)? Eine Resolution vom UNO-Sicherheitsrat wird es nicht geben, das hat Russland doch eindeutig klar gemacht. Ohne UNO-Resolution Krieg zu führen, na, das wird doch die ganze Zeit den US-Amerikanern bzw. der NATO vorgeworfen (und meist von den Leuten, die jetzt rumheulen).
Was soll wer denn jetzt machen? Länder wie Deutschland tun gut daran, hier keine große Reden zu schwingen, weil sie militärisch gar nix können (wenn man sowas können wollte, müsste man entsprechend die Mittel im Bundeshaushalt umverteilen... höhö). Also bleiben sowieso nur noch die USA, Großbritannien und Frankreich (mit Abstrichen) übrig; eventuell noch Israel (aber das will hoffentlich niemand, dass die dort eingreifen). Und was sollen die tun? Klar, dafür aufhören, dass C-Waffen in Syrien eingesetzt werden. Nur wie? Einmarschieren und das Land besetzen ist wirklich nicht so prickelnd und dafür haben die USA nicht das nötige Geld, sowas kostet nämlich Billionen pro Jahr. Einen Einsatz starten, um die C-Waffen unter eigene Kontrolle zu bringen und aus dem Land zu schaffen, dazu noch die Fabriken zur Herstellung zerstören und die sonstige Infrastruktur zerstören? Ja klar und am besten auch noch ohne zivile Opfer... viel Spass bei wünsch dir was. Bin ich doch mal gespannt auf Vorschläge ;)

Irgendwer hat es weiter oben glaub ich schon mal geschrieben: warum soll jetzt auf einmal ein Einsatz möglich sein, von dem vorher alle meinten, dass er nicht möglich ist, ohne im Nahen/Mittleren Osten einen Flächenbrand auszulösen?

So schlimm es ist, aber wer das mit dem C-Waffeneinsatz jetzt war, ist eine rein akademische Frage, weil es keine Konsequenzen haben wird (ok, wenn es die Assad-Opposition war, könnte man denen noch die Unterstützung streichen, aber das das kein monolithischer Block ist, wurde hier ja schon oft genug erwähnt). Und genau das könnte auch der Grund sein, warum Assad es sich leisten kann, C-Waffen einzusetzen. Vor ein paar Wochen (oder schon Monaten) gabs einen ersten Testballon, der hat schon keine nennenswerten Konsequenzen gehabt, also weiß er, dass er freie Hand hat.

Und noch ein kleiner Hinweis: es ist immer sehr einfach zu fordern, dass andere Leute für solche Interessen ihre Haut riskieren sollen. Wer was gegen Assad tun will, kann ja gerne nach Syrien reisen (via Türkei) und sich den Rebellen anschließen und gegen Assad kämpfen. Wer dafür nicht sein Leben riskieren will, sollte sich überlegen, warum er sowas von anderen fordert...
 

David

Moderner Nomade
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Bisher sollen doch schon 100.000 Menschen in diesem Krieg umgekommen sein ?
Ist das weniger als schlimm als mehrere hundert, nur weil sie durch normale Schusswaffen und Bomben umgekommen sind ?

Ausgerechnet das Giftgas zum Maßstab zu machen sollte wahrscheinlich zuerst dazu dienen Assad vom Einsatz abzuhalten, aber jetzt wo (wie auch immer) wahrscheinlich Giftgas Menschen getötet hat, steht man natürlich unter Zugzwang. Die Frage welche Seite man unterstützen soll und wie stark man eingreifen soll stellt sich aber nicht auch nicht anders als vorher.

Ich fürchte, das Eingreifen oder Zuschauen unterm Strich keinen großen Unterschied machen werden.
Man könnte vielleicht Assads Luftwaffe lahmlegen wenn man den Rebellen helfen will, aber die Häuserkämpfe beendet man damit nicht und ob ein Sieg der Rebellen wirklich die bessere Option wäre, weiß ich auch nicht.

PS.:
Wir haben ja nichtmal in Ägypten eine Idee wie wir zu einer Lösung beitragen könnten, wo es noch keinen offenen Bürgerkrieg gibt. Wenn wir nichtmal dazu die Mittel haben, wie sollen wir dann Syrien lösen ?
 

Gala

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Wer schwingt hier denn große Reden ?!? :confused:

Hier fordert doch gar niemand, das jemand in den Krieg eingreift.

Ich selbst z.B., der mit so einem Statement durchaus gemeint sein könnte:
Ohne UNO-Resolution Krieg zu führen, na, das wird doch die ganze Zeit den US-Amerikanern bzw. der NATO vorgeworfen (und meist von den Leuten, die jetzt rumheulen).
habe zum Syrienkrieg bisher gar nichts gesagt.
 

Olome Keratin

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@Eowil: Giftgas kann auch anders eingesetzt werden als über Geschosse. Der erste Giftgasangriff bei Ypern im 1. Wk. erfolgte durch Öffnen der Behälter, der Wind trieb das Zeug dann zu den Linien der Entente. Neben dieser Methode wäre auch Aufstapeln und konventioneller Sprengstoff oder etwas ähnliches möglich. Das sind alles Optionen, die sehr wohl auch von einzelnen Rebellengruppen bewerkstelligt worden sein könnten. Ein weiterer Faktor ist, dass eine unübersehbare Anzahl von ausländischen Geheimdiensten mitmischt. Grade im Falle des französischen Geheimdienstes halte ich es nicht für völlig ausgeschlossen, dass bei so etwas auch Hilfestellung geleistet wird. Frankreich ist das Land, das am nachdrücklichsten eine Intervention fordert (bemerkenswerterweise besteht ein parteiübergreifender Konsens bei so etwas, siehe Mali, Libyen, Elfenbeinküste!), es versteht sich seit Jahrhunderten als die traditionelle Hegemonialmacht Syriens und nicht zuletzt könnte Hollande hoffen, mit einem Krieg von seiner Innenpolitik ablenken zu können.
Und noch ein kleiner Hinweis: es ist immer sehr einfach zu fordern, dass andere Leute für solche Interessen ihre Haut riskieren sollen. Wer was gegen Assad tun will, kann ja gerne nach Syrien reisen (via Türkei) und sich den Rebellen anschließen und gegen Assad kämpfen. Wer dafür nicht sein Leben riskieren will, sollte sich überlegen, warum er sowas von anderen fordert...
Danke @Maus.
 

Eowil

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Das musste ich mal im Chemieunterricht auf Video gucken, aber die Methode ging ja bei Wetterwechsel wortwörtlich nach Hinten los und so viele Labors und so haben die Rebellen auch nicht um das mal zu testen etc.
Ich verlass mich in dem Fall auf die Experten, die behaupten, der Angriff mit 3000 Verletzten und mindestens 355 Toten sehe sehr "gekonnt" aus und nicht nach 4 Laien mit aufklappten Fässern. Aber das mit der Technik soll die UNO klären, sofern nicht alle Spuren beseitigt wurden.

Und: Westliche Geheimdienste haben damit nichts zu tun. Vielleicht bin ich zu fantasielos! Erkläre mir bitte wie das Ablaufen soll:
1. Ein Spezialteam seelenloser französischer Eliteagenten mit C-Waffen Know-how und arabisch 2. Niemand von diesen Schätzungsweise 100 Involvierten wird jemals Whistleblowen 3. Wofür... damit Hollande wiedergewählt wird.

Mir klingt das irgendwie verschwörerisch... im Kalten Krieg, Irak vs. Iran, mag das passiert sein, aber die Zeiten sind tatsächlich vorbei. Leute verschwinden und werden gefoltert, NSA "hört" das Internet ab, aber ich zweifle an einem Giftgaskomplott von dem französischen Geheimdienst mit irgendwelchen Terror-Rebellen, die dann übermorgen Israel oder die Türkei damit beschießen... oder es sonstwie dort verbreiten...
 

Olome Keratin

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@Eowil: Wieso soll das vorbei sein? Wenn du schon selbst sagst, dass du dir das vor zweieinhalb Jahrzehnten (solange ist etwa der Kalte Krieg vorbei) vorstellen konntest, warum dann nicht jetzt? Und es gab ja solche Fälle auch nach Ende des Kalten Krieges (2. Golfkrieg, Balkankriege, Irak-Krieg). Viele Akteure aus diesen Zeiten sind vermutlich heute noch aktiv im Dienst und haben vermutlich auch nachgerücktes Personal beeinflusst.
Whistleblowing ... Tja, da der Effekt, wenn die Regierungen selbst zugeben, sowas gemacht zu haben oder es anderweitig bekannt wird, nahe null ist, warum sollte man dann Angst vor whistleblowing haben?
Und zur Motivation: Die dürfte sich zwischen ausführenden und befehlenden Organen vermutlich unterscheiden. Die Ausführer sind wahrscheinlich extrem patriotisch bis national eingestellt und verfolgen ihre eigene Agenda, der Präsident könnte sich Ablenkung versprechen.
 

Astaldo

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@Maus: Ich fordere es nicht von anderen. Wenn da was gemacht werden soll, dann sollen wir uns nur nicht immer raushalten. Du sprichst aber einen Punkt an, dass wir dazu gar nicht in der Lage sind. Zu was sind wir eigentlich in der Lage? Zu was taugt die BW überhaupt?

Natürlich stimmt auch, dass die "paar" mehr Toten jetzt den Kuchen auch nicht mehr fett machen. Aber die Frage bleibt doch bestehen, will man unendlich weiter zusehen, wie sich die abschlachten, wie Unschuldige auf der Flucht sind. Die landen doch dann in Flüchtlingscamps oder kommen zu uns, wo sie auch nicht mit offenen Armen empfangen werden. Wenn man sie hier nicht haben will, dann muss man dafür sorgen, dass die Leute dort leben können, wo ihre Heimat ist und wenn das bedeutet, dass man die da unten zu Frieden zwingt, dann sei es so. Letztendlich geht es ja auch ums Geld, also muss halt errechnet werden, was billiger ist. Das wir die Flüchtlinge aufnehmen und integrieren oder das die nächsten Jahrzehnte da unten Blauhelmsoldaten für einigermaßen Frieden sorgen. Zur Zeit wird doch aber nur verdrängt. Um eine richtige Lösung bemüht sich keiner.

Letztendlich ist es halt auch eine Grundsatzentscheidung. Warum Syrien helfen, wenn es so viele Gebiete auf dieser Erde gibt, wo sich die Leute gegenseitig abschlachten und Tausende von Unschuldigen mit hineingezogen werden. Da kann man dann auch berechtigt fragen, warum soll man hier helfen , wenn man dort auch nicht geholfen hat. Wäre wohl die einfachste Methode, dass sich der Westen aus allem raushält und zuschaut.

Was hatten wir 1989, dass die nicht haben? Letztendlich war doch der ganze arabische Frühling von Gewalt geprägt. Warum dreht dort die Staatsmacht dort immer durch? Bei uns gab es auch Geheimdienst mit Stasi, die Leute wurden verschleppt, bedroht und eingesperrt, wenn man verdächtig war. Aber die Armee wurde letztendlich nicht eingesetzt. Die DDR war praktisch bankrott und die Versorgungslage nicht prickelnd, eigentlich ähnlich wie es bei den ganzen arabischen Staaten der Fall sein müsste. Oder muss man es eher so sehen, dass die Länder sich derzeit in einer Zeit befinden, die vergleichbar mit unserem Mittelalter ist? Es wird ja häufig angesprochen, dass selbst ein Sturz der Despoten nicht das Ende sein wird, weil sich dann die ganzen unterschiedlichen Islamrichtungen an die Gurgel gehen. Was muss passieren, dass die ums mal primitiv zu sagen, normal im Kopf werden und das Motto "Leben und leben lassen" verinnerlichen?
 
Zuletzt bearbeitet:

Olome Keratin

Gleichgewichtiger
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@Astaldo: Tja, was kann die Bundeswehr? Ohne Unterstützung von Alliierten Fluthilfe, sonst vermutlich nichts. Wenn man jetzt einfach mal die Meldungen der letzten Monate zusammen fasst, hat die Bundeswehr:

- keine funktionierende Befehlsstruktur; die Bürokratie kreist um sich selbst und verschiebt Probleme von einer Abteilung zur nächsten

- keine funktionierende Beschaffung => auf Technik angewiesene Einheiten haben entweder untaugliches oder völlig veraltetes Gerät

- keine funktionierende Personalgewinnung; es kommen zu wenig Leute, von denen die kommen, nimmt ein Drittel nahezu sofort wieder Reißaus

Also kurz: keine Leute, keine Ausrüstung und keine Organisation. Damit führt man keinen Krieg. Das soll nicht heißen, dass ausnahmslos alle Bundeswehreinheiten völlig untauglich sind, aber ohne Verbündete würde die Bundeswehr ihre Kampfeinheiten nicht mal nach Syrien bekommen.
 

Maus

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@Gala: ich hab dich auch nicht gemeint ;)

Und ich hab mich bei diesen Aussagen nicht ausschließlich auf die Diskussion hier im Forum bezogen ;)

Und es nicht schön, bei sowas zusehen zu müssen, nur muss man meiner Meinung nach sich halt immer im Klaren sein, dass man Prioritäten setzen muss. Die Friedensdividende nach dem Ende des kalten Krieges war meiner Ansicht nach eine gefährliche Illusion, die nur hinsichtlich der direkten Bedrohnung der Länger in Europa zutrifft, aber nicht so für die allgemein Sicherheitslage. Ich geb mal einfach ein paar Gedanken zum Besten (ohne große Belege und Anspruch darauf, dass es DIE Erklärung ist):

Warum ist die Lage in Syrien aus militärischer Sicht so schwierig? Weil Syrien stark von Russland unterstützt wird. Syrien bekommt einerseits diplomatische Rückendeckung aus Russland bei der UNO, andererseits auch direkte Waffenhilfe, vor allem Luftabwehr (aber auch einfach nur Munition). Damit steigt der wahrscheinliche Blutzoll und die materiellen Verluste (in modernes Kampfflugzeug kostet alles in allem schnell mal mehr als 100 Mio egal ob $ oder €), den ein Angriffer zu entrichten hätte.
Warum machen die Russen das? Weil sie es können und es gegen die NATO und speziell die USA geht. Und hier hole ich mal etwas weiter aus. Mit dem Ende der Sowjetuninion hat Russland aufgrund der Emanzipation seiner Satellitenstaaten und der Offenbarung des wirtschaftlichen Niedergangs (der vorher noch verschleiert wurde) seine Geltungs- und Machtposition in der Welt verloren. Man könnte auch sagen, dass das nach dem Rückzug in Afghanistan geschehen ist, aber das hängt denke ich doch so eng zusammen, dass man da nicht differenzieren muss.
Nach ein paar Jahren diverser Regierungen ist Russland seit mehr als 10 Jahren wieder eine lupenreine Diktatur, die wie jede funktionierende Diktatur ein Feindbild braucht. Da bietet sich die NATO samt den assozierten Staaten (die bösen abtrünnigen Osteueropäer-Verräter, die (noch) nicht in der NATO sind) doch an. An dem Spruch, dass Demokratien keine Kriege anfangen ist im Kern immer noch was Wahres dran, das sieht man den innenpolitischen Problemen der NATO-Auslandseinsätze: sobald es nennenswerte eigene Verluste gibt, müssen sich Demokratien zurückziehen und ohne starke Motivation (Genozid, Terroranschläge, Massenvernichtungswaffen) kommt sowieso nix in Gang. Somit kann Russland ein Feindbild gegen die NATO aufbauen, ohne ernsthafte Konsequenzen fürchten zu müssen. Würden sie das bspw. mit den Chinesen machen, wäre das wesentlich riskanter.
Aber natürlich nicht wieder einen neuen Kalten Krieg, auch Russland ist lernfähig. Das geht auch wesentlich weniger direkt (s. NATO-Raketenschild, der eigentlich keine Bedrohung für Russland aber weidlich ausgeschlachtet wird oder eben aktueller der Angriff auf die westlichen NGOs in Russland und deren Diskriminierung) und muss ja auch nur nach Innen wirken. Vor allem da man die Europäer und im Speziellen die Osteueropäer als Abnehmer (und Bezahler) für das russische Erdgas benötigt (man braucht ja auch in einer Diktatur finanzielle Mittel um eine Elite/Oberschicht ruhig zu stellen). Zudem ist das Erdgas eine tolle Methode, um unbotmäßige Staaten ein wenig zu schikanieren. Wessen Bevölkerung im Winter friert, hat ein Problem und überlegt es sich dreimal, eine Konfrontation weiter zu führen. Natürlich würden unsere russischen Freunde sowas nie machen (außer vielleicht mit der Ukraine, ups).
Und es funktioniert: Russland hat einen Vertreter im NATO-Oberkommando sitzen, ist bei den G8 dabei und wird von allen umschmeichelt für welche eigene Gegenleistung? Genau: keine. Offiziell nach NATO Lesart sind die Russen unsere Freunde und unterstützen uns. Zum Beispiel
- im Balkankrieg gegen Serbien; hier ist Russland direkt nach der serbischen Kapitulation in Serbien eingerückt und hat einige interessante Militäreinrichtungen gesäubert (offiziell besetzt und unter Kontrolle gebracht). Gut, war vielleicht tolle Aufklärung, dass die wussten, wann Serbien die Waffen streckt und rechtzeitig alles parat hatten, so dass sie schneller vor Ort waren als die Amerikaner. Oder sie wussten es, weil sie mit den Serben kooperiert hatten.
- in Afghanistan; wobei unterstützen Russland die NATO nochmals? Ach ja, weil sie die Taliban nicht(!) unterstützen... Aber man kann sich glaube ich vorstellen, wie man in der russischen Generalität und bei den Geheimdiensten sich freut, dass nach der eigenen Niederlage sich nun auch die NATO sich dort blutige Köpfe holt; aktive Hilfe bekommt die NATO da nicht. Und den islamischen Extremisten hilft Russland lieber mal nicht, mit denen haben sie selber genug Probleme. Vor allem haben die Amerikaner in Afghanistan ja vorgemacht, dass sich die Waffenhilfe für die Gotteskrieger leicht gegen einen wenden kann. Wie schon gesagt: Russland ist schon lernfähig (und hier mal ein Disclaimer: mit Russland meine ich immer die russische Regierung/Führung, nicht das russische Volk selbst).
- in Libyen; naja, da hatte Russland keine eigenen Interessen und man konnte sich hinterher wunderbar über die Interpretation des UNO-Mandats durch die NATO empören und sich Bonuspunkte sichern für die Angelegenheiten, bei denen es wirklich wichtig wird (und so kam es dann ja auch; wer hätte auch gedacht, dass der arabische Frühling in anderen Ländern die Herrscher nur mit Bürgerkrieg beseitigen kann... )
- in Syrien; hier werden offen Waffen geliefert und jede diplomatische Lösung verhindert. Warum braucht Russland denn den Hafen/Militärstützpunkt am Mittelmeer? Eigentlich nur als Operationsbasis gegen die NATO. Aber die NATO ist doch der gute Freund Russlands... ups.

Warum aber funktioniert das? Die einfache Antwort: Wunschdenken. Auch die NATO hat für das Wettrüsten im Kalten Krieg einiges bezahlt, das wünscht sich keiner zurück. Und vordergründig ist ja alles gut: es gibt Wahlen in Russland, die wirtschaftlichen Beziehungen stimmen, Energiewende ohne russisches Erdgas ist auch nicht gut und wer will seiner Bevölkerung schon erklären müssen, dass die sozialen Wohltaten zugunsten von Militärausgaben reduziert werden müssen (ein sicherer Weg um Wahlen zu verlieren)? Und die NATO ist von Russland nicht direkt bedroht, ein russischer Einmarsch/Angriff ist nicht zu erwarten. Und letzten Endes: wer wünscht sich nicht eine friedlicherere Welt mit weniger Waffen und Krieg (steht weit oben auf meiner Wunschliste).

Somit erkaufen wir uns einen größeren Wohlstand und Wohlgefühl damit, dass wir im Rest der Welt bei Problemen und menschlichem Leid weniger Einfluss und Handlungsmöglichkeiten haben. Nuja, realistisch betrachtet, machen wir das auf vielen Feldern, nicht nur auf dem militärisch-politischem (Entwicklungspolitik, Handelspolitik, Umwelt- und Energiepolitik, Abfallwirtschaft, etc. ; wird hier ja auch öfters diskutiert).
Ein schlechtes Gewissen hat man zwar dabei, aber irgendwie ist einem das eigene Wohlergehen bzw. das der eigenen Sippe/Umfeld dann doch näher (mea culpa).

Wenn man also an den Verhältnissen in der Welt (und somit auch in Syrien) etwas ändern will, muss man bereit sein, den Preis dafür zu zahlen. Und der könnte höher sein, als einem lieb ist (bzw. ist man bei genauerer Betrachtung für die persönlichen Konsequenzen dann doch nicht bereit, den Preis zu entrichten).

Und um diese etwas längere Auführung zusammenzufassen: das syrische Problem ist meiner Meinung nach Teil eines größeren und kann nicht separat gelöst werden. Russland hat noch einige Optionen in der Hinterhand (speziell was die Lieferung von Waffentechnik angeht) und kann die Eskalationsstufe noch erhöhen, wenn die NATO meint, dass sie jetzt etwas unternehmen müsste... da muss man sich im Klaren sein, was da auf uns zukommt, wenn wir tatsächlich was Wirksames unternehmen wollen. Kein angenehmer Gedanke...
 
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