@RZ: Ich bin hier ganz gewiß nicht jemand, der sich Assads Position zu eigen macht. Und der "gesunde Menschenverstand" wird zugegebenermaßen von beiden Seiten bemüht.
Aber: Wenn ein Angriffskrieg ohne UN-Mandat von "unserer" Seite aus gestartet wird, dann haben wir zuallererst mal
unsere Argumente zu hinterfragen. Als deutscher Wähler bin ich sozusagen für deutsche Politiker und - im noch weiteren Rahmen - für "westliche" Politiker verantwortlich. Wenn die uns nun mit "Beweisen" kommen, die alles andere als hieb- und stichfest sind, dann liegt da mein Hauptaugenmerk. Und die letzten "Beweise", von denen ich gehört habe, waren (angebliche... - ich bin im Folgenden zu faul, diese Einschränkung jedes Mal mit dazuzuschreiben) vom BND abgefangene Funksprüche, nach welchen Gefolgsleute von Assad ihn drängten, Giftgas einzusetzen - und er dies
ablehnte.
Also könnte man - unter der gewagten Annahme, daß der BND hier mal die Wahrheit verbreitet - davon ausgehen, daß Assad
unschuldig an dem Giftgaseinsatz war. Mögliche Szenarien:
1) die Gefolgsleute von Assad haben sich über seine Anweisungen hinweggesetzt - dann kann man zwar sagen, daß er als "Vorgesetzter " versagt habe, muß dann aber einen Militärschlag so begründen: "Weil Assad seine Leute nicht unter Kontrolle hat, bombardieren wir seine militärische Infrastruktur". Logik?
2) die "Rebellen" tragen die Verantwortung
3) es gab keinen Giftgaseinsatz, die "Beweise" dafür sind gefaked ("Wag the dog"-Szenario) und Assad sagt die Wahrheit.
4) Die abgefangenen Funksprüche waren ihrerseits nur Ablenkung und Inszenierung von Assads Seite. Das zeigt, daß die "Beweise" der westlichen Kriegsbefürworter getürkt sein können, ob von ihnen oder von anderen.
5) Zuerst lehnte Assad den Giftgaseinsatz ab, später hat er ihn dann doch angeordnet: Beweise dafür fehlen aber.
Es ist ein Verfahren, das eben einem Indizienprozess gleichkommt
Nun, ein Vertreter der us-amerikanischen Kriegstreiber, nämlich Stabschef McDonough, hat kürzlich erst betont, daß es hier eben nicht wie vor Gericht vorginge: "Die Geheimdienste funktionieren so nicht."
da gilt es tatsächlich nicht immer zu fragen: Sind die "Beweise" wirklich "unwiderleglich" sondern ist es nach menschlichem Ermessen erwiesen, wer der Täter war, und sind alle anderen Möglichkeiten nur theoretische Konstrukte ohne jede Plausibilität. Oder bestehen ernsthafte, begründete Zweifel. Deshalb ist der Appell an den gesunden Menschenverstand ganz richtig.
Ja, aber was ist denn "menschliches Ermessen"?! Was sind denn "theoretische Konstrukte ohne jede Plausibilität"? Wer bestimmt, was plausibel ist und was nicht? Ich denke, wir sind da gar nicht so weit auseinander, denn weiter unten weist Du ja darauf hin, daß die "relativ fruchtlose Beweisklitterei" eventuell von Wichtigerem ablenke.
Genau dazu ist sie meiner Ansicht nach auch gedacht! Indem man immer wieder schreit: "Er war's, er war's!" und sich dann mit Schwung in eine Diskussion mit jenen wirft, die daran zweifeln, lenkt man von dem viel gravierenderen Problem ab: Selbst wenn Assad es war, ist eine Militärintervention nur mit UN-Mandat völkerrechtlich legitim. Und solange es ein solches nicht gibt, plant man einen rechtswidrigen Angriff und torpediert damit die Grundlage des globalen Miteinanders: das Legalitätsprinzip.
Man tut so, als stelle man sich auf die Seite der Schwachen (der Giftgaseinsatz-Opfer), statuiert aber ein Exempel des "Rechts des Stärkeren" und damit der Willkürherrschaft. Und legt damit schon mal den Tonfall fest für die kommenden Auseinandersetzungen mit den zukünftig Starken (China, Rußland, gegebenenfalls Indien...? ).
Daß man sich darüber hinaus über den Wählerwillen hinwegsetzt und damit zeigt, wie wenig man vom Kerngedanken der Demokratie hält, setzt dem Ganzen die Krone auf.
@Ribalt: Grund genug ja. Nur bräuchte man von einem Grund abgesehen auch irgendeine Art von Strategie, und die kann ich weit und breit nirgendwo erkennen. Im Gegenteil: die einzige, freilich vom Westen abgelehnte, effektive Strategie, die mir einfiele, wäre, Assad zu unterstützen, damit er schnell und effektiv die oppositionellen Kräfte zerschlägt und weiterhin Syrien als Diktator regiert. Die Russen wären einverstanden, der Iran würde wohl mitziehen, und diejenigen, die was dagegen hätten, wären "nur" die islamistischen und die "gemäßigten" Rebellen. Das könnte funktionieren, würde hierzulande freilich heftiges moralisches Magengrimmen hervorrufen. Eine andere realpolitische Option sehe ich nicht. Denn die Alternative, sich auf die andere Kriegspartei-Seite zu schlagen (also die gemäßigten und die islamistischen Rebellen zu unterstützen), würde die Krise nur eskalieren und potentiell unendlich machen, solange die Russen, Chinesen und Iraner nicht mit im Boot sind.
Und selbst, wenn man es darauf ankommen ließe: Mit reinen Luftschlägen würde man da nichts ausrichten können, sondern man müßte Bodentruppen schicken und das Land praktisch annnektieren. Hat im Irak nicht geklappt, hat in Afghanistan nicht geklappt, wird im Syrien nicht klappen und ist auch ausdrücklich selbst von den Interventionsbeführwortern längst ausgeschlossen.