@Malik: Interessante Frage bzgl. der Analogie zum "fat-shaming". Ich frage mich allerdings, wie man sowas in Studien vernünftig quantifizieren will?
@Chiburi: Du hast sicherlich Recht, dass die Wahrheit da in der Mitte liegt, bzw. dass Unwissenheit/Bequemlichkeit eben auch mit der (deprimierenden) Armut korrespondieren. Was die Ernährung angeht, so meine ich lediglich, dass man aufpassen muß, Leuten zu viele Argumente dafür zu liefern, dass sie es sich in ihrer Opferrolle auch noch häuslich einrichten. Wenn man beispielsweise sagt: "Ich bin so fett, weil die Nahrungsmittel, die ich mir leisten kann, viel zu wenig Vitamine haben und ich deswegen mehr Pizzen futtern muß, um genügend Vitamine zu bekommen..." - dann ist das halt Quatsch. Aber: wenn einem solche Ausreden immer wieder - beispielsweise durch "Ernährungsexperten" oder auch Sozialpolitiker in irgendwelchen Talkrunden - angeboten werden, übernimmt man sie irgendwann. "Ich kann nicht anders, ich muß!" - das ist so die Standardreaktion von Leuten, die sich in einer mißlichen Lage befinden und dennoch konstruktive Vorschläge, wie sie daraus herauskommen könnten, ablehnen.
Wenn man da eh schon leicht depressiv ist, verstärkt sich das ganz gewaltig, da gebe ich Dir recht. Und wer kein Geld hat, ist für so eine Haltung sicherlich anfälliger.
Wenn man da als Gesellschaft was machen will, dann könnte man es. Hab das hier im Forum meiner Erinnerung nach schon vor rund zehn Jahren oder so vorgeschlagen: Steuerung per Steuer. Bei den Zigaretten half das allein noch nicht, weil ab einem bestimmten Tabaksteuersatz die Anreize für Schwarzmarktgeschäfte (erinnert sich noch jemand an die vietnamesischen Zigarettenhändler von damals? Gibt's die heute noch?) zu hoch wurde und man damit eigentlich nur noch, ähnlich wie bei den komplett verbotenen Drogen, die organisierte Kriminalität forcierte. Aber bei der Ernährung stelle ich mir vor, dass man sehr wohl gezielt ungesunde Nahrung steuerlich belasten und gesunde Nahrung steuerlich besser stellen kann. Wozu haben wir z.B. ein Gesundheitsministerium, das jedes für den Großhandel zugelassene Nahrungsmittel in eine bestimmte "Steuerklasse" einordnen könnte? Da würde dann halt die berühmt-berüchtigte Tiefkühlpizza statt 1.99€ auf einmal 5.99€ kosten, während die Tiefkühlbrokoli nebenan im Eisfach von 2.99€ auf 0.99€ fällt... Die Einwände dagegen könnte ich selbst aufzählen, aber die Einwände wären da analog den Ausreden, die ich oben ansprach: Wenn die Leute ihr Verhalten nicht ändern wollen, fallen ihnen immer Ausreden ein. Und wenn eine Gesellschaft erkannte Probleme nicht angehen möchte, fallen ihr auch immer Ausreden ein.
So eine Ausrede bezg. des Rauchverbots hatte ich ja vor zehn Jahren hier im Thread vertreten und mußte mich eines Besseren belehren lassen: Das Rauchverbot in Kneipen funktioniert und hat nicht zum Aussterben von Kneipen und Restaurants geführt. Und es braucht auch nicht Riesenmengen von Kontrolleuren, die das Einhalten des Rauchverbots durchsetzen.
Wenn man Nahrungsmittel nun entsprechend ihrer (statistischen) Gesundheitsgefährdung, bzw. Gesundheitsförderung steuerlich einordnen wollte, so würde das auch funktionieren. Zuerst würde die Nahrungsmittelindustrie lauthals protestieren. Dass die Kategorisierung gar nicht objektiv möglich sei, dass da dann viel zu viele neue Prüfverfahren gebraucht würden, dass ja die Menge das Gift mache und es in der Verantwortung der Verbraucher und nicht der Hersteller liege, wieviele Marzipanbrote jemand in sich reinstopft... Und so weiter und so fort, man kennt da sämtliche Ausreden aus den einschlägigen Talkshows, als vor einer Weile diese Gesundheitsampel auf Lebensmitteln diskutiert wurde.
Die wurde dann ja offenbar nicht umgesetzt. Aber nicht, weil sie prinzipiell nicht umsetzbar war, sondern weil nicht der gesellschaftliche Wille da ist, sich gegen die Lobby-Interessen durchzusetzen.
Aber das Bewußtsein der Gesellschaft ändert sich ja peu a peu. Daß ein Kilo Hähnchenfleisch weniger kostet als ein Kilo Tomaten, bräuchte nicht unbedingt per Steuer geändert zu werden. Es würde ja eventuell schon ausreichen, höhere Tierrechts-Standards in der Fleischproduktion durchzusetzen... Ein Huhn, das seiner Art gerecht aufgezogen werden muß, läßt sich einfach nicht mehr für 2 Euro pro Kilo "produzieren". Und für die heutige Schweinemast gilt Gleiches. Einfach mal den Einsatz von Antibiotika in der Schweinezucht drastisch einschränken - schon sind die Fleischproduzenten gezwungen, die Tiere ganz anders zu halten und zu pflegen und sofort steigen die Fleischpreise auf ein Niveau, das dann zwar manchen Grill-Proll zum Schimpfen bewegen dürfte, weil man sich nicht mal eben, weil das Wetter so schön ist, zwei-Pfund-Steaks auf den Gartengrill knallen kann, das aber in der Breite dafür sorgt, dass die Leute deutlich weniger Fleisch futtern.
Was übrigens - um nochmal on topic zu kommen...
- das Rauchen angeht, so bemerke ich an mir selbst eine wirklich seltsame Nostalgie. Obwohl ich seit über 30 Jahren Nichtraucher bin (ich hab ja mit 12 oder 13 Jahre aufgehört...
), verbinden sich für mich mit dem Geruch von Zigarettenqualm doch erstaunlich viele positive Erinnerungen. Na, erstaunlich nicht - immerhin wurde in meienr Jugendzeit überall da, wo was Erinnerungswürdiges passierte - geraucht. Letztens stieg ich mal durch ein fremdes Treppenhaus um irgendjemandem irgendwas zu bringen, als ich auf einmal mich so happy fühlte, dass es dafür einen anderen Grund als das Wetter brauchte. Mit etwas proust'schem dem-Gefühl-hinterher-Spüren kam ich drauf: In diesem (Altbau-) Treppenhaus war erst kürzlich geraucht worden und der Geruch war derselbe wie in jenem Treppenhaus, durch welches ich immer zu meiner allerersten Freundin hochstapfte. Dieser Geruch hatte sich also für mich untrennbar mit der ersten "ernsten" Verliebtheit verbunden.
Wenn schon für mich Nichtraucher eine bestimmte Form des Zigarettengeruchs (in neueren Treppenhäusern stinken Zigaretten ganz anders und erinnern mich eher an Zahn-Chirurg-Besuche...) so emotional beeinflußt - wie wird das erst bei Rauchern sein?