Mad Max: Fury Road ist eine Dokumentation über die feministische Bewegung, und ich kann es beweisen!

Kraven

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In der Hoffnung, eure Aufmerksamkeit zu haben! :D

Ich hab irgendwann mal gegenüber Falk den Halbsatz fallen lassen, dass Fury Road in Wahrheit eine feministische Dokumentation ist, beginnend um das späte neunzehnte Jahrhundert herum, bis hin zum modernen Third Wave Feminism (Ich weiß, dass die Einteilung in Wellen umstritten ist, aber Film bedient sich dieses Bildes, also tu ich das auch).

Falk bekam einen Lachflash.

Etwas später hab ich Shao von dieser Theorie erzählt. Shao bekam, ebenfalls, einen Lachflash. Und wo auch immer ich auftauche und diesen Gedanken teile, sehe ich im freundlichsten Fall ein irritiertes Stirnrunzeln. Was alleine schon deshalb irritierend ist, weil Fury Road nicht unbedingt ein subtiler Film ist. (Ich habe den Trailer schonmal verlinkt, und ich werde es wieder tun. Schaut ihn euch an. Jeder Tag, an dem man sich diesen Trailer nicht mindestens einmal anschaut, ist ein verlorener Tag).

Aber von vorne.
Mad Max: Fury Road ist ein Actionfilm aus dem Jahre 2015. Es ist der vierte Teil der Mad Max Serie, der vierzehnte Kinofilm von Regisseur George Miller (folgend solch namhaften Werken wie Happy Feet und der Fortsetzung von Ein Schweinchen namens Babe), und, Hand auf's Herz, der beste Film, der jemals gedreht wurde und vermutlich jemals gedreht werden wird. Wir sollten George Miller all unser Geld geben, auf dass er alle Filme mache. Die Welt, sie wäre ein besserer Ort.

Mad Max ist außerdem eine Dokumentation über die feministische Bewegung von den 1880ern bis heute. Was folgt, ist der Versuch, diese These zu erörtern, sowie einen Abriss zur Historie feministischer Theorie zu liefern, betrachtet unter dem moralischen Selbstbild des Films sowie seiner seiner drei Hauptfiguren Max, Nux, und Furiosa, deren Charakterentwicklung in allen drei Fällen eine Überwindung der patriarchalischen Verhältnisse darstellt.

Ich werde dabei absolut und gnadenlos spoilern, und eventuell ist es sinnvoll, sich den Film vorher ganz generell nochmal anzuschauen. Was man sowieso eigentlich jedes Wochenende mindestens einmal tun sollte.


Witness.


(Und für‘s Protokoll: Mir ist vollkommen bewusst, dass das hier vermutlich nur sehr wenige Leute vollständig lesen werden, aber herrje. Solange Shao und Falk was zum Lachen haben, war‘s das schon wieder wert :D )





Die erste Welle des Feminismus im Widerstreit mit dem Patriarchat – We are not things



Die Grundbotschaft des Films hören wir in den ersten fünf Minuten. „Du kannst Menschen nicht einfach besitzen!“ lauten die Worte aus dem Mund einer alten Frau, die der Verkörperung des Patriarchats eine geladene Schrotflinte ins Gesicht hält. Wer den Film nicht gesehen hat: Nein, das ist keine Metapher.

Besagtes Gesicht gehört Immortan Joe, dem Anführer eines religiösen Kults inmitten des Ödlands. Joe hat sich die Kontrolle über die einzige Wasserquelle im Umkreis von mehreren hundert Meilen gesichert, kontrolliert diese nun und hat einen Handelskreislauf mit zwei weiteren Siedlungen hergestellt, wodurch er seinen Kult mit Munition und Benzin versorgen kann. Er verfügt über eine Armee aus jungen Männern, die einer Form von Kriegerkult anhängen, ihn als Gott verehren und die im Kampf sterben wollen, um ihren Einzug nach Valhalla zu erlangen.

Wir sehen eine hierarchisch organisierte Welt, die ihre Legitimation aus physischer Überlegenheit, einer alleinigen Verfügung über die Ressourcen sowie einer religiösen Ordnung erhält. Besagte Ordnung klärt dabei eindeutig die Rolle, die jedes Individuum in ihr zu spielen hat.

Die Rolle der Frau ist hier eine von, in der Tat, Eigentum. Frauen werden genutzt zum Gebären von Kindern und Produzieren von Muttermilch als Nahrungsmittel. Sie sind, sprichwörtlich, auf einer Ebene mit Vieh, und der Film zeigt dies sehr deutlich, wenn wir am Anfang Frauen sehen, die an Melkmaschinen angeschlossen wurden.

Bis auf die relativ kleine Führungselite stehen die Männer dabei nur bedingt besser da. Sie werden als Soldaten verheizt; ihre gesamte Existenz besteht aus der Jagd und dem Krieg. Ungefragt werden sie in diese Rolle gezwängt.

Das ist keine alleinige Erfindung des Patriarchats; jede strikte Hierarchie arbeitet mit einer Einteilung ihrer Mitglieder in eine Funktion. Hier aber findet die Einteilung alleine über die Eigenschaft des Geschlechts statt, unabhängig von persönlichen Neigungen oder Talent (ein Punkt, der später mit Nux als Beispiel noch genauer untersucht wird).



Was Joe hier betreibt, ist eine Fortführung der alten Welt. „Who killed the world?“ ist eine Frage, die im Film wieder und wieder auftaucht, und der Film beantwortet sie in seinen Anfangssekunden, über einen simplen Audiotrack.

„Why are you hurting these people? - It's the oil, stupid!“

Der Audiotrack beschreibt Kriege um Ressourcen, beginnend mit Öl, weitergehend mit Wasser... der Mensch ist getrieben von dem Wunsch, die Kontrolle über Ressourcen zu erhalten und zu bewahren, er will dominieren, und er treibt sich durch die gewählten Mittel, denen von Kontrolle, Unterdrückung und Dominanz anstelle von Kooperation, in seinen eigenen Untergang. Der Weg des Patriarchats kann langfristig nur in seinem eigenen Untergang enden.

Womit der Film sein eigenes Ende auch schon vorweg nimmt: Zum Finale tötet Furiosa Joe mit dem Haken und der Kette, die er vorher nach ihr geschossen hat, um sie aufzuhalten (siehe auch den ebenfalls folgenden Abschnitt: Die Ketten des Patriarchats).

Wie künstlich dieses System ist, wird dabei von Immortan Joe selbst symbolisiert: In einer Welt, in der Menschen Namen tragen wie Splendid Angara, Valkyrie, Imperator Furiosa, heißt die mächtige, gottgleiche Gestalt auf dem Thron… Joe. Er ist ein alter, von Krankheit gezeichneter Mann, der nach außen hin den Anschein von Stärke versucht aufrecht zu erhalten. Er nutzt dafür eine aus durchsichtigem Plastik geformte Rüstung, einem durch und durch unnatürlichen, anorganischen Werkstoff, die seinem weichen Fleisch eine harte Form verleiht.

Joes Überlegenheit, genau wie die Überlegenheit des Mannes an sich in einer patriarchalischen Welt, ist das Ergebnis künstlicher Konstrukte, deren äußerlicher Anschein nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Und die sich, dargestellt durch Joes schwärende Haut, im Verfall befindet.

Denn in dieser männlich dominierten Welt ist das Bewusstsein um eine Alternative erwacht. Wir sehen in dem Film nur wenig von der ersten Welle des Feminismus, aber was wir sehen, deckt sich mit den Entwicklungen in unserer Welt: Ein aufgeklärter und gleichzeitig aufklärerisch wirkender Geist, der den Weg in die Freiheit sucht.

Die Hauptwaffe der Frauen ist an dieser Stelle ihre Bildung. Miss Giddy, die Lehrerin der Wives, ist von Kopf bis Fuß mit historischen Fakten tätowiert, in dem Versuch, das Wissen der alten Welt zu erhalten und zu bewahren (ähnlich wie die Philosophen der Aufklärung die Weisheit der Antike glorifizierten und neu entdeckten). Dieses Wissen ist eine mächtige Waffe, denn es ermöglicht das Infragestellen der geltenden Strukturen: Der Tresorraum, in dem die Wives gehalten werden, ist bedeckt von Grafittis. „Our sons will not be war fodder!“, „You can‘t own people!“ und, natürlich, „We are not things!“. Grundliegende, humanistisch geprägte Aussagen.

Gleichzeitig erschöpft sich diese Bildung nicht alleine auf Philosophie; in einer späteren Szene ist es Toast, eine der Frauen, die einen Baum anhand von Abbildungen in einem Buch wieder erkennt (Nux, der weit öfter außerhalb der Zitadelle war, erkennt ihn nicht, ein Zeichen seines begrenzten Horizonts trotz einer wahrgenommen größeren persönlichen Freiheit). Toast weiß von einem Leben, das sie persönlich noch nicht erfahren hat.


Diese Verwurzelung in den Idealen der Aufklärung und des Humanismus findet sich ebenfalls im strikten Pazifismus der Wives: Sie wissen nicht, wie man Waffen nachlädt, sie hindern Max daran, Nux zu töten („No unnecessary killing! He's just a kid!“), und sie sprechen mit einem generellen Abscheu über Waffen und Gewalt. „I thought you were beyond such things“, erklärt The Dag mit enttäuschter Stimme einer der Vuvalini, als diese ihr stolz von ihren Erfolgen als Scharfschützin erzählt. Angharad bezeichnet Kugeln als „Anti-Seeds. Plant them and watch something die.“ (Ein gleichermaßen treffendes wie vernichtendes Fazit über das Schicksal der Vuvalini, obwohl Angharad dieses zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennt).

Wie auch in der erste Welle des Feminismus finden sich hier grundliegende Wünsche nach, nicht zwangsläufig Gleichberechtigung, sondern nach Freiheit wieder: Das Recht auf Bildung, das Recht auf Selbstbestimmung, das Recht auf eine Wahl.



Fortsetzung folgt, weil Zeichenbegrenzung
 

Kraven

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Exkurs: Die Ketten des Patriarchats.


Obwohl die soziale Bewegung sich mit dem Namen „Feminismus“ auf die Rolle der Frau bezieht, herrscht unter Feministen in der Regel Einigkeit darüber, dass Männer von einem patriarchaischen System ebenfalls unterdrückt werden: Ihnen wird die Rolle des Kriegers und des Jägers zugeschrieben, und wer diese Rolle nicht erfüllt, gilt als schwach, weich, unmännlich, und wird sozial ausgegrenzt. Gleichwohl unterschiedliche Auffassungen darüber existieren, wie stark der Feminismus dieses Problem in den Fokus setzen sollte, herrscht der Konsens, dass Männer wie Frauen von der Idee des Patriarchats in Ketten gelegt werden.

Entsprechend ist eines der am meisten genutzten Artefakte aus der alten Welt in diesem Film: der Bolzenschneider. Die Frauen nutzen ihn, um sich aus ihren Keuschheitsgürteln zu befreien (und bieten dabei ein deutliches Bild für die sexuelle Revolution zu Ende der sechziger Jahre), Furiosa verwendet ihn als Waffe gegen Max, als sie glaubt, er wolle sie zurück zu Joe bringen. Und schließlich nutzt das Team aus Furioasa, Max, Nux und den Wives ihn während der finalen Verfolgungsjagd, um die (wortwörtlichen) Ketten loszuwerden, die Joes Armee auf den War Rig abfeuert, um ihn auszubremsen und, auf einer metaphorischeren Ebene, die Entwicklung und Selbstentfaltung dieser Menschen zurückzuhalten („They are holding us back!“ ist die Aussage von The Dag, und diese funktioniert auf beiden Ebenen).

Aber nicht nur die Frauen sind Nutznießer dieser Befreiung. Wir sehen Max (und mehr zu ihm folgt noch) den ersten Teil des Films in Gefangenschaft, und es ist dieser Teil des Films, in dem wir ihn wirklich und aufrichtig wütend (mad) sehen. Max ist frustriert über seine Unfreiheit und möchte, mehr als alles andere: Frei sein. Er schlägt um sich, wehrt sich, versucht zu entkommen. Doch alleine und nur auf sich gestellt ist er nicht stark genug. Er kriegt einen Maulkorb verpasst, er wird, buchstäblich, in Ketten gelegt. Später im Film erleben wir ihn als ruhig, überlegt, regelrecht kühl in Gefahrensituationen; am Anfang ist davon nichts zu sehen.

Denn das Patriarchat sperrt sich gegen diese Freiheit: Nach seiner Gefangennahme wird Max kategorisiert und, gemäß des patriarchalischen Systems, in seine Nützlichkeit eingeteilt, die Ergebnisse dieses Befundes werden ihm auf den Rücken tätowiert (Funddatum, Universalspender, zwei gesunde Augen, gesunde Hände, gesunde Hoden...), die langen Haare und der Bart, ihrerseits Symbole des freiheitlich predigenden Hippietums, werden ihm geschoren, und ihm wird ein militärischer, maskulin praktischer Kurzhaarschnitt verpasst. Er wird gegen seinen Willen eingegliedert und gleichgemacht.

Sein Status als Universalspender wird umgehend genutzt: In einer weiteren bildlich wunderschönen Kamerafahrt des Films sehen wir Max, an die Stoßstange eines Autos gekettet, und eine rostige Kette, die einen Injektionsschlauch von Max zu Nux führt: Die Ketten des Patriarchats saugen sprichwörtlich das Leben aus ihm heraus.

Wie ignorant dieses System an dieser Stelle ist, wird durch Nux verdeutlicht. Nux ist ein WarBoy, geboren in eine Welt, die ihn in die Rolle des Kriegers zwingt. Nux hat die Werte dieses Systems quasi mit der Muttermilch (heh) aufgesogen, und wir sehen ihn am Anfang, wie er nach diesen Werten handelt: Seine Kommunikation mit seinem Lanzenträger Slit besteht primär aus Grunzlauten und Kopfnüssen. Er träumt von einem historischen Tod in der Schlacht, von seinem Einzug nach Valhalla. Er verehrt den WarBoy Morsow, der sich in der Verfolgungsjagd vor dem Sandsturm schwer verletzt noch zu einem Selbstmordangriff aufrappeln kann. Nux versucht mit allen Mitteln, das von ihm erlebte Ideal des Kriegers zu leben.

Es gibt nur ein Problem dabei: Nux ist kein Krieger. Nux ist im Vergleich zu den anderen WarBoys schmächtig und klein, und nebenbei todkrank. Neben Fieberattacken und Symptomen, die an Leukämie erinnern, hat er zwei Tumore, die an seiner Luftröhre nagen, und die er liebevoll „Larry und Barry“ nennt. Im Sinne dieser Analyse wird es nicht als Zufall betrachtet, dass das Krebsgeschwür, das ihm die Luft zum Atmen nimmt, männliche Namen trägt.

Wir sehen später im Film, dass Nux ein hochkompetenter Mensch ist. Er ist ein fantastischer Fahrer, ein fähiger Mechaniker, sein Denken ist flexibel, und, vor allem: er ist ein instinktiver Teamspieler. Im Kampf von Max gegen Furiosa hilft er Max durch den geschickten Einsatz der Kette, die sie beide immer noch aneinander fesselt, und er hält das Magazin für die Pistole, die Max erbeutet hat. Diese Szene beschreibt Nux' Wesen sehr effizient: Er ist ein Supporter. Er ist nicht derjenige, der schießt, sondern derjenige, der die Waffen lädt. Später im Film repariert er den War Rig, spuckt Benzin in den Kompressor, um das Gefährt zu beschleunigen, und tut alles menschenmögliche, um das Team voran zu bringen.

Aber er geht nie den Weg direkter Gewalt. Er probiert diesen Weg exakt einmal aus: Als er gegen Anfang des zweiten Akts versucht, das War Rig zu entern. Er bekommt von Immortan Joe persönlich eine Waffe ausgehändigt, er schwingt sich auf den Tanker, heroische Musik schwillt im Hintergrund an – und die Kette (des Patriarchats), die ihm immer noch an die Hand gebunden ist, verfängt sich im Gestänge des (feministisch geführten) War Rigs und lässt ihn stolpern. Die von Nux angenommenen patriarchalischen Werte sind sein größter Feind und verhindern seine persönliche Entwicklung sowie, sprich- wie wortwörtlich, sein Vorankommen. Nux verzweifelt an den Idealen, die er nicht einhalten kann. Erst, als er es sich mit Hilfe von Capable erlaubt, Schwäche zeigen zu dürfen, menschliche Wärme erlebt und dadurch seinen eigenen Weg findet, schöpft er sein Potential voll aus.

In der nächtlichen Flucht vor Immortan Joes Schergen nimmt er die Kette, die ihn vorher zurückhielt und straucheln ließ, und lässt sie Teil werden von der Zugkonstruktion, die das War Rig aus dem Schlamm hieven soll.

In seiner finalen Szene sieht er sich mit Rictus Errectus konfrontiert (großartiger Name), dem Idealbild des Kriegers, des Mannes, stark, unbesiegbar, literally with his pants on fire. Und Nux entscheidet sich, diesen Weg nicht mehr zu gehen. Er dreht das Lenkrad, und begräbt dieses frühere Ideal unter dem Sinnbild der feministischen Bewegung: in diesem Fall, weil das hier ein echt subtiler Film ist, unter zwanzig Tonnen Stahl einer dreitausend PS starken Kriegsmaschine.

(An dieser Stelle sei gesagt, dass Bambies Mutter mich bis heute kalt lässt, aber bei dieser Szene krieg ich die Tränen einfach nicht zurück gehalten. Nux… may the gates of Valhalla stand wide open in front of you. May you ride eternal, shiny and chrome. *schnüff* I witnessed you).
 
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Die zweite Welle des Feminismus und ihre radikale Form


Das Ziel von Furiosa und den Wives, die Verkörperung ihrer Hoffnung auf ein Leben in Freiheit, ist das Grüne Land, „The land of many mothers“. Es ist ein Land, das nominell frei ist von der Herrschaft der Männer, in dem die Frauen nun regieren und die weibliche Weisheit den Ton angibt, ein Utopia des Friedens und des Lebens.

So weit die Theorie.

Doch das Land der vielen Mütter ist unfruchtbar und gebiert keine Kinder. Die Jüngste vom Stamm der Vuvalini (an dieser Stelle ein Lob an die Zurückhaltung von George Miller, das L nicht zwei Stellen weiter links eingesetzt zu haben) ist Mitte dreißig, die Mehrheit von ihnen sind über siebzig. Es packt diese Art des Denkens in die späten Sechziger unserer Zeit, der Zeit der zweiten Welle des Feminismus. Es wäre unangemessen, ungerecht und faktisch falsch, die zweite Welle komplett mit radikalem Feminismus und Misandrie gleichzusetzen, aber diese Konstrukte fanden mit der zweiten Welle erstmals eine verbreitete Form wie auch eine Stimme (und färben bis heute die Vorstellung, die viele von Feminismus haben). Es war auch die zweite Welle, die Homosexualität zu einem öffentlich diskutierten Thema machte und sie mitunter als Alternative gegenüber einer männlich dominierten Sexualität anbot, und viele feministische Autorinnen der damaligen Zeit waren bekennend homo- oder bisexuell (um mit Mary Daly und der großartigen Simonne de Beauvoir nur zwei zu nennen).

Der Film deutet hier nur Dinge an, statt sie offen zu zeigen, aber als Furiosa ihren Stammeslinie angibt, erwähnt sie zwei Mütter, und keinen Vater. In der Tat scheint es im Land der vielen Mütter für Väter schlicht keinen Platz zu geben.

Denn die Vuvalini sind selbstbestimmte, erfahrene Kämpferinnen und, well... töten Männer. Wir sehen eine von ihnen, Valkyrie, nackt auf einem Strommast sitzen, wo sie um Hilfe ruft, um, so ist anzunehmen, Männer anzulocken. Wer auf diesen Hilferuf hört, ist in den Augen der Vuvalini entweder ein weißer Ritter oder (zugegebenermaßen in dieser Welt kein abwegiger Gedanke) ein Vergewaltiger, und wird in beiden Fällen ohne viel Federlesens erschossen. Die erste Reaktion der Vuvalini beim Anblick von Max und Nux ist es auch prompt, ihre Gewehre in Anschlag zu bringen, obwohl die beiden Männer zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich als Teil der Gruppe um Furiosa zu erkennen sind. Die Vuvalini Keeper of the Seeds erzählt voller Stolz „I've killed every men I ever met out here!“, und es ist an dieser Stelle eine schöne Ironie, dass die Bewahrerin der Samen in erster Linie eine Meisterin der von Angharad so getauften Anti-Samen ist.

Plant them and watch something die.

Das Grüne Land wurde zu einem Sumpf, in dem nichts wächst. „The water was sour. It was poison. We couldn't grow anything out there.“ erklärt Keeper of the Seeds. Das vergiftete Wasser der Vuvalini steht hier im Gegensatz zu der Wüstenlandschaft des Patriarchats: Scheinbar ein Gegenteil, aber genauso tödlich für alle, die in ihm leben. Ein isolierter Sumpf inmitten der Wüste, ohne Platz für Väter, Söhne, oder eine wie auch immer geartete Zukunft. Die Samen (der individuellen Entfaltung), die Keeper of the Seeds mit sich trägt, können hier nicht aufgehen.

Die Überwindung des Patriarchats ist nicht alleine durch eine Umkehrung der Vorzeichen möglich, im Gegenteil sorgt diese sogar, paradoxerweise, für das gleiche Ergebnis. Dies ist nicht das Land der Freiheit, das sich die Gruppe erhofft hat. Es ist nur eine andere Form der Gefangenschaft, denn auch hier gibt es sehr klare Vorstellungen davon, wie eine Frau sich zu benehmen hat: In diesem Fall muss sie die Rolle der Kriegerin übernehmen. Ungeachtet ihrer persönlichen Neigungen und Talente.

Eine Erkenntnis, die sich in den verwendeten Namen und deren mythologischem Ursprung wider findet: Während Joes WarBoys von ihrem Eintritt nach Valhalla träumen, heißt eine der Vuvalini: Valkyrie. Die zerstörerische Mentalität der Vuvalini ist nicht anders als die der War Boys. Die Stimmen unterscheiden sich, aber nicht die Sprache.

Reden wir kurz über Furiosa. Furiosa ist eine Frau, die es in der männlich dominierten Welt von Immortan Joes Stamm zum Rang des Imperators geschafft hat. Was für eine Leistung das ist, erkennt man an mehreren Dingen: Unter anderem daran, dass es außer ihr in Joes gesamter Armee keine einzige weitere Soldatin gibt, weder über ihr noch unter ihr. Auch daran, dass ihr Titel ungeachtet ihres Geschlechts nach wie vor Imperator ist, nicht „Feldherrin“ (die englischen Begriffe „Emperor“ und „Empress“ sind noch dichter aneinander). In Joes System ist für eine Frau wie sie schlicht und ergreifend kein Platz.

Dennoch hat sie diesen Rang, und nichts von dem, was wir sie in dem Film tun sehen, lässt irgendeinen Zweifel daran, dass sie ihn mehr als verdient hat. Getreu dem alten Klischee, dass eine Frau doppelt so hart arbeiten muss wie ein Mann, um die gleiche Position (und die gleiche Anerkennung) zu erhalten, ist Furiosa in ihrer Rolle als Kriegerin geradezu hyperkompetent. Sie ist eine ausgezeichnete Schützin und Fahrerin, und nimmt es im Nahkampf ohne zu Zögern mit Gegnern auf, die größer, schwerer und stärker sind als sie (ein Fakt, der je nach Sichtweise mehr oder weniger beeindruckend dadurch wird, dass diese Aussage für jeden Kampf gilt, den sie jemals geführt hat). Wir sehen Max im Film ein- oder zweimal erschöpft einschlafen, Furiosa hingegen scheint immer wach zu sein.

Furiosa besitzt diese „Stärke“ (über die Anführungszeichen reden wir noch) aufgrund ihres Aufwachsens bei den Vuvalini. Sie besitzt die Fähigkeit, sich in Joes Patriarchat zu bewegen, weil sie die gleiche Sprache spricht. Sie versteht die Werte, die diese Gesellschaft Konzepten wie Kampf, Mut, Aggression entgegen bringt. Es sind die gleichen Werte, mit denen sie aufgewachsen ist.


Dies wird an der Stelle interessant, an der sie mit anderen Konzepten konfrontiert wird: In ihren ersten Interaktionen mit den Wives wird deutlich, dass Furiosa mit deren aufklärerisch / pazifistischen Werten nichts anfangen kann. Man bekommt das deutliche Gefühl, dass sie die Wives nicht einmal sonderlich mag. Furiosas Assistenz bei der Flucht scheint sich mehr aus dem Wunsch zu speisen, Joe weh zu tun (das hasserfüllte „Remember me?!“, als sie ihn tötet, erzählt eine sehr lange und schmerzhafte Geschichte), als aus einem Gefühl der Solidarität. Furiosa reagiert frustriert, als sie lernt, dass die Wives den Umgang mit Waffen nicht beherrschen. Als eine der Wives über Schmerzen klagt, bekommt sie von Furiosa nur ein verächtliches „Out here, everything hurts“ zu hören. Furiosa verachtet die Schwäche, die sie bei den Frauen wahrnimmt.

Sie tritt dabei in eine Falle, die auch in der heutigen Gesellschaft regelmäßig zu beobachten ist: Die Wahrnehmung, was stark und was schwach ist, ist eine patriarchalisch geprägte. Wir nehmen weibliche Charaktere in Filmen dann als stark an, wenn sie diese Stärke durch das Ausleben physischer Gewalt ausdrücken: Ellen Ripley, Beatrix Kiddo, Sarah Connor, Buffy Summers, Black Widow… das sind die Figuren, die zum Vorschein kommen, wenn wir an starke Frauenfiguren in Film und Fernsehen denken. Keine von ihnen erhält diesen Status, weil sie tiefsitzende Überzeugungen über gewaltfreie Konfliktlösungen in sich trägt.

Diese Abneigung gegenüber wahrgenommener Schwäche, und die Künstlichkeit dieser Einteilung, findet natürlich auch im Film sein Symbol. Das Artifizielle von Joes Weltsicht wird durch seine Plastikrüstung ausgedrückt; doch auch Furiosa trägt ein künstliches Konstrukt aus Joes Welt mit sich herum: Ihren mechanischen Arm. Sie hat ihre Behinderung ausgelöscht durch eine fremde Mechanik. Sie hat ihre Schwäche durch menschlich geschaffenen Stahl ersetzt.

Doch wie schon an Nux zu sehen war, ist die Verkörperung des harten, gefühllosen Kriegers ohne jede Emotion eine Negierung des eigenen Menschseins. Furiosas Weg besteht darin, ihre eigenen Emotionen und Schwächen anzunehmen, anstatt die Werte des Patriarchats ungefragt zu übernehmen (auch daran zu erkennen, dass sie ab der Mitte des Films ihr WarBoy-MakeUp ablegt). Als sie vom Schicksal der Grünen Länder erfährt, bricht sie verzweifelt zusammen. Doch bevor sie das tut, nimmt sie ihren Arm ab, das Symbol ihrer patriarchalisch formulierten Stärke. Starke Charaktere (echte Männer) weinen nicht.

Das nächste Mal, dass sie dieses Symbol ablegt, geschieht das im finalen Kampf gegen Joe. Als sie der Verkörperung des Patriarchats die Maske vom Gesicht reißt, opfert sie dabei ihren Arm. Die Zeit der künstlich konstruierten Stärke ist vorbei. Es wird Zeit, das eigene Ich ohne äußere Konstrukte zu erstellen.
 
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Die dritte Welle: Identitätsfindung in einer Welt ohne Rollenbilder


Ziel des Feminismus ist es nicht, alle Mitglieder in unserer heutigen Gesellschaft gleich zu machen; Männern, die sich für Autos interessieren oder Frauen, die gerne backen, etwas wegzunehmen. Der Gedanke ist, dass jedes Individuum nach seinen eigenen Stärken und Interessen heraus handeln soll, ohne dass diesen Interessen männliche oder weibliche Charakteristika zugeordnet werden.

Und so sehen wir an Bord des War Rigs eine beinharte Soldatin, einen zähen Überlebenskünstler, eine Gruppe Gelehrter und eine Gruppe Kriegerinnen, und einen jungen Mann, der aufwuchs mit den Werten von toxischer Maskulinität, in seiner ganzen Art jedoch mehr ein Manic Pixie Girl ist als sonst etwas. Jedes Mitglied dieser Gruppe hat unterschiedliche Stärken und Schwächen, und auch unterschiedliche Ideale. Wie The Dag es schon sagt, als die Samen betrachtet, die Keeper of the Seeds ihr zeigt: „Look how many of them there are.“

Diese Unterschiedlichkeit hindert sie alle nicht an der Erkenntnis, dass sie für das gleiche Team spielen. Sie alle erkennen, dass es mitunter eine Gruppe braucht, um die individuelle Selbstentfaltung gewährleisten zu können.


Kommen wir an der Stelle endlich im Detail auf Max zu sprechen. Max macht mitunter einen nahezu postfeministischen Eindruck. Er betrachtet die Wives zu keinem Zeitpunkt als Objekte sexueller Begierde (ganz im Gegenteil, als er sie zum ersten Mal sieht, wie sich gegenseitig mit Wasser aus einem Schlauch abspritzen, liegt sein Fokus auf der lebenswichtigen Ressource Wasser), und fühlt sich nicht im geringsten in seiner Männlichkeit, in seinem Selbstbild als Mann und Krieger, verletzt, als er von einer sechzig Kilo schweren, einarmigen Frau durch den Wüstensand geprügelt wird. Max denkt nicht in geschlechtlichen Kategorien.

Eine der schönsten Szenen des Films findet sich in der nächtlichen Verfolgungsjagd, als Max sich das Scharfschützengewehr schnappt und auf das Auto des Bullet Farmers schießt. Er gibt zwei Schüsse ab. Beide verfehlen. Es ist nur noch eine Kugel übrig.

Und ohne ein Wort tritt Furiosa hinter ihn, und nach einer Sekunde des Überlegens reicht er ihr das Gewehr und bietet ihr seine Schulter als Stütze an. Furiosa schießt. Ihr Schuss trifft.

Diese Szene ist aus einer Reihe von Gründen fantastisch. Zum einen ist da natürlich die offensichtliche Botschaft von Teamwork, von dem Anerkennen der Stärken anderer Menschen, unabhängig von gesellschaftlich vorgegebenen Vorurteilen, ob diese Menschen diese Stärken haben dürften oder nicht. Max hat Furiosa im Umgang mit dem Gewehr bereits gesehen, er weiß, dass sie schießen kann, und er lässt lächerliche Rollenbilder nicht in den Weg eines gemeinsamen Vorankommens treten.



Zum zweiten ist diese Szene ein sehr schöner Kommentar zum Vorwurf, Feminismus wolle alle biologisch bedingten Unterschiede zwischen Männern und Frauen wegdiskutieren. Das Gegenteil ist der Fall. Frauen haben eine bessere Nachtsicht als Männer, bedingt durch eine höhere Stäbchendichte in der Iris. Die biologische Überlegenheit in diesem sehr speziellen Fall wird absolut zur Kenntnis genommen und auch gezeigt, im Gegenteil zu patriarchalischen Gesellschaften wird allerdings darauf verzichtet, eine komplette Weltordnung aus diesem Fakt zu stampfen.


Der dritte Punkt nun ist ein zentrales Element in Max' Charakterentwicklung im Laufe des Films. Max zeigt sich an keiner Stelle davon berührt, dass eine Frau der bessere Krieger sein kann. Max ist frei von Ego.

Nicht nur das: den größten Teil des Films über ist Max frei von jeglicher Identität.

Max identifiziert sich nicht als Krieger. In seinem Buch „What it is like to go to war“ definiert Karl Marlantes einen Krieger als einen Menschen, der sich in einem Konflikt für eine Seite entscheidet und willens ist, diese Seite durch Gewalt zu vertreten. Furiosa entspricht dieser Definition; zu Beginn des Films tut Max dies definitiv nicht: Er ist einzig und alleine auf das eigene Überleben und die eigene Freiheit aus, Dinge wie ein Ego oder eine ausgeprägte Identität sind für so etwas nur hinderlich.

Max identifiziert sich definitiv nicht als Mann (im Sinne von „Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss“, „Ertrag‘s wie ein Mann“), dies hat zu diesem Zeitpunkt aber keinen feministisch geprägten Grund. Max wird in den Wahnsinn getrieben von Visionen der Frauen, die er nicht retten konnte: Seiner Ehefrau und seiner Tochter (die in den vorangegangenen Filmen ein Sohn war, der gender swap ist hier bewusst gewählt worden, um die Botschaft zu verstärken). Um die Serie Vikings zu zitieren:
„What does a man do?“
„He fights.“
„And what else?“
„He provides for his family.“

Dies ist eine Definition, die dem Männerbild der meisten patriarchaisch geprägten Gesellschaften entspricht. Und nach diesem Bild hat Max versagt. Er konnte die Menschen, die er liebte, nicht beschützen. Max identifziert nicht als Krieger und nicht als Mann, nicht, weil er die Konzepte ablehnt, sondern, weil er ihnen nicht gerecht wurde. Er beschreibt an dieser Stelle das Ringen vieler junger Männer, die das Rollenbild vergangener Zeiten nicht mehr erfüllen können oder wollen, und die nun ohne Stabilität, ohne eine neue Rolle dastehen.

Diese Identitätslosigkeit sieht man auch daran, dass Max bis zum Schluss des Filmes keinen Namen hat. Furiosa nennt ihn „Narr“. Und Max ist ein Narr, denn er kennt sich selbst nicht.

-- Fortsetzung folgt :rolleyes:
 
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Kraven

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Identität ist nichts, was uns zugewiesen wird oder womit wir geboren werden. Identität ist etwas, das wir selbst wählen. Max spuckt Gift und Galle, als ihm das Patriarchat erneut Ketten anlegt, und verlangt von Furiosa und den Wives unter vorgehaltener Schrotflinte, ihn von den Ketten zu befreien.

Doch er beantwortet damit nur die Frage, was er nicht ist. Was er ist, das ist zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Max hat keine Richtung, keine Stimme. Nicht umsonst trägt er immer noch den Maulkorb.

Und nicht umsonst reicht ihm Furiosa eine Feile, um diesen Maulkorb loszuwerden. Der Feminismus hat keine klaren Rollenbilder, er bietet keinen Stabilität in dieser Hinsicht. Furiosa gibt Max keine neue Stimme. Aber sie reicht ihm das Werkzeug zu seiner eigenen Befreiung. Was er mit dieser Freiheit macht, ist seine eigene Entscheidung.

Und das macht diese Szene so wunderbar, denn direkt, nachdem Max das Gewehr abgibt und Furiosa schießen lässt, trifft er zum ersten Mal im Film eine bewusste Entscheidung, und begibt sich für die Gruppe des War Rigs in direkte Gefahr. Mit einem Messer und einem Benzinkanister läuft er in die Nacht, um gegen einen Panzer zu kämpfen. Und er gewinnt.

Max wird in diesem Moment wieder zu einem Krieger, zu dem Krieger: Dem Road Warrior. Und er tut dies nicht aufgrund von durch die Gruppe ausgeübten Zwängen, er tut es nicht, weil es seine Rolle ist, weil das eben ist, was ein Mann tun muss, wofür er geboren wurde.

Nichts davon.

Er tut es, weil er sich von sich aus für diesen Weg entscheidet, und aus dieser Entscheidung speist sich in bester existentialistischer Tradition seine neu formende Identität.

Wem da zu abgehoben klingt, der sei an das Ende des Filmes erinnert: Max gibt im Laufe des Filmes zweimal Blut. Beim ersten mal geschieht dies unter Zwang, sein Blut läuft die Ketten des Patriarchats entlang, um einen Teil von Immortan Joes gewaltiger Kriegsmaschinerie am Leben zu halten.

Beim zweiten Mal gibt er sein Blut freiwillig, und er nutzt es, um seine Weggefährtin zu retten, die Frau, die ihm das Werkzeug zu seiner Befreiung in die Hand drückte.

Und es ist diese Wahl, bei der Max seine Identität endlich wieder findet.

„Max. My name is Max. That is my name.“

Wir sind die Entscheidungen, die wir treffen.


Man mag es dem Film vorhalten, dass Max' Weg der Identitätsfindung ihn letzten Endes nur dorthin führt, wo das Patriarchat ihn sowieso gerne gehabt hätte: In der Rolle des Kriegers.

Aber es ist die Tatsache, dass es seine eigene Wahl ist, die ihn dorthin führt, die diese Rolle legitimiert. Vor allem, wenn man den Unterschied zwischen jemandem wie Max und Furiosa im Gegensatz zu den Warboys betrachtet: Letztere sind Karikaturen, ohne Wärme, ohne Schwäche. Gehirngewaschen, kamikrazee, wie der Film es ausdrückt, nur darauf bedacht, in der ihnen zugewiesenen Rolle aufzugehen, und sie haben nichts anderes.

Doch, um ein bisschen deutlich zu machen, warum das alles hier immer noch unter der Überschrift der dritten Welle steht: Die Rollen, in denen wir uns bewegen, erlauben es, jederzeit neu definiert zu werden. Es gibt mehr als nur zwei Geschlechter. Es gibt mehr als nur zwei (oder gar nur eine) sexuelle Orientierung. Der Gedanke, unser ganzes Sein in ein paar von unserer Umwelt definierten Labels pressen zu wollen, ist lächerlich. Und so besteht das Happy End des Films dann auch darin, dass die Gruppe um Furiosa herum die Gruppe vernichtet und ersetzt, die diese Labels kreiert hat.


Und so sagt Max am Ende auch nicht „Ich bin ein Cop“, „Ich bin der Road Warrior“, oder auch nur „Ich bin ein Mann.“ Er sagt „Ich bin Max.“ Max ist nicht nur eine einzelne Rolle. Max ist die Gesamtheit all seiner Entscheidungen, und diese Entscheidungen werden jeden Tag neu getroffen. Anstatt zu versuchen, den undefinierten Rolle des Mannes und des Kriegers gerecht zu werden, hat er nun erkannt, dass diese Aspekte ein Teil von ihm sind. Aber sie sind nicht alles von ihm.

Sowohl Furiosa als auch Nux haben im Laufe des Films ihre Entwicklung durchgemacht, weg von dem Stereotyp des harten Kriegers hin zu einem vollwertigen, dreidimensionalen Menschen. Für Max ist diese Reise komplexer: Auch er hat seine Momente, in denen er ein Gleichgewicht herstellt, aber bei ihm sind sie jedes Mal mehr symbolisch: nachdem er nur mit einem Messer und einem Benzinkanister gegen einen Panzer gekämpft hat, kehrt er zum War Rig zurück und wäscht sich das Blut aus dem Gesicht.

Mit Muttermilch.

Großartige Szene :D

Und später, als er Furiosa Blut spendet, öffnet er ihr, wörtlich wie sinngemäß, sein Herz.


Aber seine Reise ist damit noch nicht um: Während Furiosa für sich angenommen hat, dass ihre Freiheit nicht irgendwo da draußen liegt, sondern nur durch eine Zerschlagung der bestehenden Strukturen erfolgen konnte, und entsprechend nun mit dem Neuaufbau beschäftigt ist, zieht Max jetzt weiter. Der Film beginnt mit den Worten „Once I was a Road Warrior, looking for a worthy cause.“ Nun, endlich, ist Max wieder auf diesem Weg. Er zieht durch das Ödland, suchend nach einer gerechten Sache, für die es sich zu kämpfen lohnt.

Er ist jetzt nicht mehr der Road Warrior.

Er ist jetzt *zieht eine Sonnenbrille auf* der Social Justice Warrior. :cool:


……………….



Bonus Content: In der finalen Verfolgungsjagd gibt es diesen Typen, der einen Puppenkopf als Maske trägt. Während jeder andere Mook in diesem Film nach fünf Sekunden näherer Bekanntschaft mit Furiosa oder Max stirbt, ist der Kerl einfach nicht totzukriegen. Er bringt Max beinahe mit einem Armbrustbolzen um, kriegt von Furiosa einen Dolch in die Schulter gerammt, wird vom War Rig geschmissen, hält sich fest, klettert wieder hoch und rammt Furiosa den Dolch in die Seite, mit dem sie ihn selbst noch attackiert hat. Der Typ? Definitiv eine Metapher für die Abtreibungsdebatte :D
 
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Maus

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Hm ja, aber irgendwie glaube ich nicht, dass es die Intention des Filmemachers war...

Und der Bonus Content ist Murks.
 

Kraven

Lernender
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Was kratzen mich die Intentionen des Filmemachers :p Die Aussagen eines Werkes stehen für sich.
Death to the author ^^
 

Schuck

Fürst des Chaos
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Sehr schöner Text, Kraven, lohnt sich zu lesen.

Dass Fury Road ein durch und durch feministischer Film ist, ist ja auch nicht zu Unrecht weithin akzeptiert. Der eigentliche 'Held' auch bzgl. Agency ist ja auch Furiosa und nicht Max, aber die Studiobosse haben halt Angst, dass wenn sie den Film "Furiosa - Fury Road" nennen, niemand ins Kino geht. Deine eigene These, dass sich im Film auch die drei Phasen des Feminismus wiederfinden lassen, ist interessant, wenngleich auch etwas steil. Wobei Du schon gut dafür argumentierst, da müsste ich mir den Film nochmal ansehen für.

Lediglich der Absatz zu Identität/Rolle ließ mich etwas stolpern, weil ich da spontan entgegnen würde, dass Identität eben nicht selbst gewählt ist, bzw. dass auch Rollenbilder in unserer postmodernen Gesellschaft (durch den Feminismus) noch nicht aufgelöst wurden. Diese gibt es durchaus noch, aber es reicht nicht mehr, das Leben lang nur eine Rolle gleich einer Persona anzunehmen (Die Mutter, der Familienvater, der Junggeselle, die Emanze), sondern es gilt kontextabhängig zwischen Rollen zu wechseln. D.h. wenngleich unser Rollenverständnis flexibler bzw. perfomativer geworden ist, so gibt es diese durchaus noch.

Die These im Bonus Content ist super, für die würde es sich auch lohnen zu argumentieren. Geburt und Mutterschaft sind auf jeden Fall wichtige Topoi im Film, da ließe sich sicher was draus basteln.

Aber wie gesagt, schöner Text, da hab ich an der Uni schon wesentlich konstruiertere gelesen. :rolleyes: Wie wäre es mit noch einem Studium? Wärst in den Literaturwissenschaften sicher gut aufgehoben. :p
 
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Darghand

Einer von vielen
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Sehr schön, spaßige Lektüre.

Besonders überzeugend die Interpretation der Vuvalini als lebende Metaphern für das Polit-Lesbentum der Second Wave mit den dazugehörigen Vorstellungen von Geschlechtersegregation und teils unverhohlenen Gewaltphantasien. Dass die Wives ihre pazifistische Art zumindest teilweise aufgeben und - wenn ich mich recht erinnere - z.B. die leergeschossenen Waffen mit Munition auffüllen, hättest du noch mit einbeziehen können. Das sind zwar nur Nebenrollen, deren Entwicklungs- und Lernprozess wird aber durchaus sichtbar gemacht.
 
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Falk

ChickenWizzardwing
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Genial Kraven! :up: Ich hatte wieder was zu lachen! Und dies ist, wie auch die Male davor, überhaupt nicht respektlos gemeint. Ich hatte, ohne Witz, selten so viel Spass im Kino wie an dem Tag als wir Mad Max Fury Road in Köln gesehen haben! :cool:
Als literarischer und kultureller Vollhorst, der ich nun mal bin, habe ich mich noch nie tiefgründig mit der Geschichte des Feminismus beschäftigt, tiefergreifende Kritik überlasse ich daher den Leuten, die sich damit auskennen (siehe oben). Immerhin habe ich mich in den Charakterentwicklungen von Nux, Max und Furiosa voll und ganz wiedergefunden. Ein weiterer Applaus für deine großartige Herausarbeitung von Nux fantastischer finalen Szene (und das du dir gemerkt hast, dass der Typ tatsächlich Rictus Errectus heißt). Sowieso die ganzen kleinen Details, die mir noch nicht aufgefallen sind. Ich wollte sowieso einen Teil des Pfingstwochenendes für einen guten Film nutzen. Nachdem die Bambi-DVD bisher hoch im Kurs stand, muss ich nun wohl dringend Fury Road schauen, dabei ist das letzte Mal noch gar nicht so lange her. Daher, lieber Kraven, Ziel erreicht! :D
 
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Chinasky

Dirty old man
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Geile Analyse, Kraven! Der Film wird's zwar dennoch nicht in meine top Hundert schaffen, aber zumindest hab ich ihn nach der Lektüre eben schon mal aus dem Abfallcontainer wieder rausgefischt.
Hut ab dafür, wie genau Du hingeguckt und hingehört hast! Du argumentierst überzeugend und sehr gründlich für Deine Ausgangsthese - auch wenn mich alten schmutzigen Mann die Historie der Feminismus-Wellen freilich nicht weiter juckt am Sack... - und so bleibt nichts weiter übrig als zu sagen: Wo Du recht hast, hast Du recht! :)
 

Val

Amazing lolcat
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Hat mich sehr begeistert das zu lesen.

Wenn man so einen Film macht, ist er ja ein völlig eigenständiges Werk, im Kontext der Kultur und Gesellschaft. Was auch immer die Autorenschaft damit gemeint hat versickert im Grund. Beständig ist das Werk und das was es nun eben bedeuten könnte. Geschnitten hat es übrigens Millers Frau und er wollte nicht einfach einen Standard-Action Film Editor.

Ich fand die Analyse sehr cool. So Details würde ich als gewagtes Vorreiten in ungewisse Regionen bezeichnen, allerdings sind da ja schon konkrete Verhaltens-Modelle und Gesellschaftsstrukturen gegenübergestellt. Wenn ich also sagen könnte top oder flop: Top.

Was ich noch dazu sagen kann ist: In der Ikonographie ist es gut, jedes Bildelement so detailliert wie möglich aufzuzählen, damit man dann die Bezüge reininterpretieren kann.

Ich hab den Film viel primitiver gesehen, aber gefühlt habe ich es auf jeden Fall auch so in die Ecke.

Ich wette solch eine Investigation ist weiteres Recherchieren wert. Sprich, man könnte sich den Streifen also durchaus noch ein paar mal reinziehen. Es gibt ja auch mehrere Editionen davon... :D

@Hank: Was sind denn so Deine top 10?

Mad Max schafft es nicht in die Top... 100! :D
 

Val

Amazing lolcat
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Kleine spontante Gedanken, Postscriptum zur Lobeshymne:

(Mad Max, guter Film, die Analyse, gute Interpretation. Scurr.)

Wenn Männer feministische Manuskripte verfassen, sei es Mad Max oder eine Analyse zu Mad Max, ist das nicht ein kleines Eingeständnis, dass ihnen doch (resp. von Eltern oder Lehreren oder Filmen oder Freund*innen) Blödsinn vermittelt wurde und Mann an den eigenen Verhaltens-Gewohnheiten dies oder jenes überarbeiten könnte, was dann zufällig das Dasein verschönert?

Männliche Feminismusschrift als indirektes Zugeständnis zum persönlichen menschlichen Wachstum und der Reflektion der Werte die mit dem Sein als Mann verbunden sind.

&: Die Abtreibungsdebatte ist wohl deshalb besonders heikel, weil im Bauch ein Mensch ist, dem einfach nur ein paar Monate fehlen, bevor er Würde und Identität zugeschrieben bekommt und der Bauch auch einem Menschen gehört, welchem Würde und Identität zugesprochen wird. Hier herrscht ein klarer Willenskonflikt vor, der meines Erachtens von der Gruppe ausgeglichen werden kann, indem man den Kollateralschaden der Schwangerschaft möglichst durch die Gruppe abwendet.

P.P.S.: Ich sehe gerade, dass C. mit einem Jahr weniger Zeit nahezu 25% mehr Beiträg als ich verfasst hat.
 
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Maus

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Dass C ein Spammer ist, ist jetzt nicht wirklich neu :D

Quantität ist nicht gleich Qualität... *kurzer Blick nach links*
 

Jastey

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Hier herrscht ein klarer Willenskonflikt vor, der meines Erachtens von der Gruppe ausgeglichen werden kann, indem man den Kollateralschaden der Schwangerschaft möglichst durch die Gruppe abwendet.
Kannst Du das mal ausführen, was Du damit meinst? Ich lese das so: Die Frau soll gezwungen sein, das Kind auszutragen, aber die Gesellschaft als ganzes kümmert sich erstens um das Kind, wenn sie es nicht will/kann, kümmert sich vollständig um ihre körperlichen und seelischen Schäden und zahlt auch eine entsprechende Rente, wenn sie bleibende Schäden davonträgt, die damit einhergehen können, und bezahlt im schlimmsten Fall die Beerdingungskosten und den Unterhalt für ihre bereits geborenen Kinder, wenn sie dabei zu Tode kommt?

Irgendwie ist mir das trotzdem nicht genug, denn die Würde der Frau wird in diesem Szenario auf alle Fälle beschnitten* - was nicht zu meinem Grundverständnis des Themas Unantastbarkeit der Würde eines Menschen passt. Daher kommt auch der Verdacht, dass es bei diesem Thema um die Macht der Männer über den Körper der Frau als Nachwuchsproduktionsstätte geht.

Wisst Ihr, was mich bei der Schwangerschaftsabbruch-Debatte ziemlich aufregt? Dass offensichtlich dabei versteckt angenommen wird, dass Frauen leicht-fröhlich salopp mal eben "das Kind" aus ihrem Bauch entfernen lassen, wenn es gerade nicht passt. Dass es rein statistisch auch solche Frauen geben mag - geschenkt. Die sitzen zusammen mit den notorischen Vergewaltigern, die es "wirklich nicht wissen konnten, dass die Frau das nicht auch toll findet", auf einer Empathielevel-Bank. Woher kommt hier aber sonst dieses Bild über die Durchschnittsfrau? Ich denke, wir können davon ausgehen, dass sich "die Frauen" diese Entscheidung alles andere als leicht machen, weil die nämlich sehr genau wissen, dass das ein Mensch ist, der da in ihrem Bauch heranwächst.

Mich entsetzt daher eher, wieviele Frauen sich nicht in der Lage sehen, trotz dieses Wissens und dem lebenslangen Leiden, was-wäre-wenn-Gedanken und Schuldgefühlen, ein Kind auszutragen und jedes Jahr Schwangerschaften beenden lassen, und was das über unsere Gesellschaft aussagt.

Denn solange die Gesellschaft, vertreten durch Leute, Gesetze und Politik sich nicht um das wirkliche Wohl der Mütter kümmert, nachdem die Kinder erstmal da sind, sondern Mütter / Eltern gerade auch mit behinderten Kindern ziemlich alleine gelassen werden, hätte die da eigentlich mal gar nichts vorzuschreiben.

*Die Veränderungen während der Schwangerschaft, physisch als auch psychisch, die geforderten Verhaltens- und Ernährungsänderungen, die bleibenden Veränderungen, selbst wenn alles "gut geht", die mitunter traumatischen Erlebnisse während der Geburt, die Risiken trotz unserer medizinischen Versorgung. Wer sich darüber nicht im Klaren ist sondern eine verklärte Vorstellung davon hat, dass die Frau dann halt mal ein paar Monate einen dicken Bauch hat und das war's, der sollte nochmal in sich gehen bei dem Thema.
 

Val

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Ich will niemanden zu nichts zwingen. Auf meinem Arm steht in Tinte, selbst wenn es pathetisch ist:

die große freiheit für alle.
 

Jastey

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Ich hatte den Satz wirklich nicht vestanden.
 

Val

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Den Kollateralschaden der Schwangerschaft kann man ja auch durch z.B. die Pille danach abwenden oder andere Verhütung oder durch Aufklärung über Sex und dessen Folgen.

Die meisten erwachsenen Menschen haben die ein oder andere ungewollte Schwangerschaft verhindert, durch Wissen, das ihnen die Gruppe überlieferte.

Nur mal als billiges Beispiel.

Wenn man ganz viel menschlichen Willen in Aufklärung setzt, dann wird die Zahl der ungewollten Schwangerschaften sicher sinken können und dann ist das ethische Problem (Baby entsorgen vs. ungewollte Schwangerschaft inkl. Risiken und Nebenwirkungen) zumindest in Zukunft quantitativ kleiner.

Eine ungewollte Schwangerschaft ist in jedem Szenario ein Problem.

(Utilitaristisch gesehen kann man weiter kommen, Deontologisch nur, wenn man freiheitlich alle ungewollten Schwangerschaften präventiert und das ist sicher unrealistisch.)
 
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