BA - Endzeit

Mantis

Heilende Hände
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Dieser Thread ist Teil des Projekts Bardenakadamie.
Jeder ist willkommen, seine eigene(n) Geschichte(n) zum Thema "Endzeit" hier zu posten und dazu eingeladen, die Geschichten der anderen Schreiberlinge zu kommentieren.

Viel Spaß beim Schreiben und Lesen. :)

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Ohne Titel - Zelon
 
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Lisra

Schmusekater
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(He made a mash.. the monster mash!)

Small deeds

Kein Putz fiel von der Decke, als die Wände zum vielleicht vierzigsten Mal in dieser Nacht erzitterten. Nicht dass „Nacht“ hier noch irgendeine Bedeutung hätte, oder dass jemand mehr reagiert hätte, wenn tatsächlich Putz gefallen wäre. Stattdessen lief Kondenswasser an den Wänden aus Metall herab. Müde Augen musterten im Halbdunkel den Inhalt von Gläsern, um wieder apathisch nach vorne zu blicken, wenn klargestellt war, dass sich noch genug Flüssigkeit darin befand. Solange die Getränke flossen, wog der Gedanke dass die Bar zu einem stählernen Sarg geworden war nicht ganz so schwer. In der engen Küche hinter der Bar ging man mechanisch der Arbeit nach.

„Irgendwas zu Bruch gegangen?“

Der massige Korse, der der Küche vorstand, hatte nachdem die Ventilation auf ein Minimum gesunken war, den größten Teil seiner Uniform ausgezogen. Im trüben Licht glänzten die Brandnarben auf seiner Brust.

„Die letzte Glasflasche, aber wir haben noch genug Metall und Plastik.“

Unter einem Barett und einem Film aus Schweiß blinzelte der einsame Herr über das Chaos der Küche.

„Gut. Noch eine Runde.“

Sein Küchenchef drückte ihm die Schulter.

„Sofort.“

Flaschen, Plastikbecher und ein Eimer wurden gefüllt und verteilt. Manchmal klamme, manchmal zittrige und auch seltsam ruhige Hände griffen stets dankbar danach.

Hauptmann Cajen blickte auf seinen Taschen Computer, wie alle paar Minuten in dieser Nacht. Der Empfang des kleinen Geräts kam und ging. Im Moment sah er abwechselnd Statik und die Schwärze vom Raum außerhalb der kleinen Stahlkapsel. Für ein paar Sekunden wurde das Bild klarer. Auf dem schwarzen Schirm waren dann vage Konturen zu erkennen, und plötzliche Lichtblitze, als heißes Plasmafeuer vor den Linsen der Kameras vorbei zischte, oder eine Rakete explodierte. Cajen schaltete zwischen den verschiedenen Kameras hin und her, aber überall war kaum etwas zu erkennen. Welche Schiffe noch an der Schlacht teilnahmen, in welche Richtung sich das Glück in den letzten Stunden gewandt hatte, war unmöglich zu sagen. Ein Schluck der klaren Flüssigkeit, die der Korse ihm gereicht hatte, setzte seine Lippen in Brand. Das Gefühl war ihm willkommen.

Plötzlich schrie jemand auf. Dann noch jemand. Aus dem kleinen Vorraum, der nur Mäntel, Waschräume und die versiegelte Tür nach draußen hielt, stolperten zwei Gestalten. Eine hielt die andere am Schlafittchen und schlug einmal, zweimal auf die andere ein, bevor die Masse des Korsen sich dazwischen warf.

„Was glaubt ihr was ihr da macht?“
Es klang wie das Fauchen eines zornigen Bären.
Mit einer Hand hielt er den größeren der beiden wie im Schraubstock, mit der anderen riss dem anderen die Kapuze vom Kopf.
Am Hals klaffte eine riesige Wunde. Drähte, Kabel und Metallteile waren sichtbar und teilweise gerissen.

„Er hat mich angefallen!“ die Stimme war menschlich, aber unnatürlich präzise und glatt. Cajen musterte die Gestalt neugierig. Vielleicht der Überlebende eines Unfalls, oder einer schweren Krankheit, die Atmungsapparat und Stimme durch kybernetische Augenwischerei erfordert hatten. Beeindruckend und beunruhigend zugleich. Die Cyborgs, Hybriden aus Menschen und Technik, waren das Symbol der neuen Zeit gewesen, noch mehr als Sternentore und Raumschiffe. Wie alles andere, kamen auch sie ihrem Ende immer näher.

Ein Dutzend Augenpaare huschten von der Wunde am Hals des Cyborgs zur anderen Gestalt. Eine Frau, wie sich jetzt zeigte. Großgewachsen, mit Millimeter langen Haaren und Armen wie ein Lagerarbeiter. Mit dem Gesicht rot vor Zorn und Furcht konnte sie nicht verstecken was sie war. Die Reißzähne waren deutlich sichtbar. Die halbe Bar stand auf.

Die Vampirin wandte sich im eisernen Griff des Korsen.

„Nur ein Schluck!“ schrie sie, doch der fleischige Arm blieb unbewegt. „was kann ich dafür, wenn wir alle hier drin gefangen sind?“ Der Mob, es hatte nur Sekunden gedauert bis die Zuschauer zu einem wurden, kam näher. „Nur ein Schluck damit ich nicht hungrig sterben muss! Ich konnte doch nicht wissen, dass sie Stahl in den Venen hat!“

Die Meute war unbeeindruckt, doch der Korse hatte offenbar realisiert, was bevorstand.

„Ihr setzt euch alle wieder hin, hört ihr? Alle!“

Cajen seufzte. So viel war in der letzten Zeit widerfahren. Musste nun auch ihr aller Ende so hässlich sein? Mussten sie einander in klammer Angst noch in Stücke reißen, bevor ein quergeschlagener Ball aus Plasma die Arbeit erledigte?
Er stand auf und ob sein Abzeichen in die Höhe, während er sich neben den Wirt stellte.

„Hauptmann Cajen, Planetare Sicherheitstruppen“ rief er, mit der verhassten Stimme, die er sich für die Kaserne antrainiert hatte. „Ihm Namen der Republik, verspielt ihre und unser aller letzten Stunden nicht mit Blutjustiz!“

Jemand stand auf und stieß ihm vor die Brust. Er fing sich und blickte seinen Gegenüber an. Die eingefallenen Züge eines Mannes, einige Jahre Älter als er, so bleich wie alle anderen, die zu lange Zeit in Bunkern verbracht hatten.

„Und was bringt schön reden jetzt noch? Der Feind ist durchs Tor, es regnet Bomben und Laser. Die Republik ist Geschichte und wir sind bereits alle tot.“ Das Weiße schien die Augen immer mehr auszufüllen. „Wir müssen uns nicht auch noch diese Schmarotzer gefallen lassen!“

Als er die Faust hob, griff Cajen bereits nach dem Arm. In einer Bewegung hatte er über das Handgelenk den ganzen Oberkörper des Mannes im Griff. Dieser schrie auf, verharrte dann jedoch regungslos, vornübergebeugt.

„Mit der Erlaubnis des Wirts“ sagte Cajen laut, aber freundlicher, „dulde ich keine Anarchie.“

In diesem Moment erschütterte eine weitere Explosion die kleine Kapsel. Behältnisse fielen um, ein Kind schrie auf.

„Der Krieg ist verloren.“ Fuhr Cajen fort, „dies ist die letzte Nacht.“

Die Schultern des Mobs sanken herab. Jeder wusste es natürlich, aber die Erinnerung an die blanke Tatsache nahm ihnen den Wind aus den Segeln.

„Aber ich will in dem Gewissen gehen, meine Letzte Nacht gut verbracht zu haben. Wofür gelebt haben stirbt mit uns und der Republik. In der letzten Nacht fallen wir nicht auch Willkür und Hass zum Opfer. Zumindest untereinander sollten wir bis zuletzt den Frieden waren. Trost, statt Triumpf und blindem Zorn.“

Niemand antwortete ihm. Nicht einmal ein „was machst du eigentlich hier?“ oder „warum bist du nicht dort draußen?“. Es würde sich ja auch kaum jemand für seine Lebensgeschichte interessieren. Aufgewachsen, ziellos, eingezogen als die Wehrpflicht kam, aus Furcht und Abneigung gegen Gewalt zum Offizier geworden. Wachdienst am Sternentor, einer der ersten der die Flotte sah, als sie über Amn und die gesamte Republik hereinbrach.

Cajen wandte sich zu der großen Frau.

„Miss, warum?“

Die Vampirin starrte aus blutunterlaufenen Augen zurück.

„Nur ein Schluck. Für den Hunger. Für den Frieden, in dieser Nacht. Zwischen dem Lärm und der Angst zehrt er an mir. Ruft.“

Die Menge blieb unsicher. Niemand wollte einen durstigen Blutsauger. Der Tod war überall dort draußen. Er musste ihnen nicht auch noch hier drinnen begegnen.

„Ich musste nicht.. ich wollte nicht..“ sie drehte sich zum Cyborg, der in Richtung der versiegelten Tür zurückgewichen war.

„Ist okay.“ Sagte er ruhig. Seine Hand strich über die Stelle wo die organische Haut aufgerissen worden war. „Daran werde ich nicht sterben.“

Vorsichtig lockerte der Korse seinen Griff. Für einen Moment verlor sein Gesicht die Maske, die er die ganze Nacht hindurch schon trug. Er schaute zwischen den Eingeschlossenen umher. Dann begann er, zögerlich, zu sprechen: „Ist hier jemand, der vielleicht… freiwillig…“

Absolute Stille schlug ihm entgegen. Die Gesichter, die im Halblicht erkennbar waren, starrten entsetzt. Selbst Cajen machte große Augen.

„Ich.“ Kam ein Flüstern aus einer Ecke. „Ich werde es tun.“ Eine Frau hatte sich erhoben. Ihr graues Haar fiel ihr bis auf die Taille. Alle Augen folgten ihr, als sie auf die Vampirin zuging. Schließlich fand der Wirt seine Sprache wieder.

„Einen Stuhl! Und Wein!“

Cajen ließ den Mann abrupt los und bot der Frau seinen Arm an.

„Im Namen der Republik, trinkt gefälligst weiter!“

Als der Wein kam, taten alle zumindest wieder so, als seien sie mit ihren eigenen Getränken beschäftigt. Die Vampirin zitterte leicht. „Bist du sicher?“ fragte sie. „Ich bin sicher!“ Die alte Stimme war voller Bestimmtheit.

„Nur ein Schluck..“

„Nur ein Schluck.“

Dann ging alles sehr schnell. Wie eine perverse Verdrehung einer Kindesfütterung. Sie biss sacht in den Hals und man konnte sehen, wie sie einmal kräftig Blut aus der Vene sog. Sie ließ davon ab, als wäre es das schwerste in der Welt. Noch mehr Farbe war aus dem alten Gesicht gewichen. Der Korse schob ihr den Wein zu, einen Arm stützend an ihrer Schulter.
Die Vampirin nickte ihren Dank und schlich wieder in den kargen Vorraum, unfähig die heimlichen Blicke zu ertragen.

Cajen blickte wieder auf seinen Taschencomputer. Auf einem Feed konnte er Schiffe erkennen, aber zu welcher Seite sie gehörten konnte er nicht sagen. Dies musste die letzte Nacht sein, dachte er, und nahm wieder einen Schluck.
Musste sie das?
Ein Schuss konnte sie direkt Treffen, aber er konnte sie auch knapp verfehlen und die versiegelten Schleusen öffnen. Die Republik könnte das Sternentor zusammenbrechen lassen und die Angreifenden Kräfte gestrandet zurücklassen. Verstärkung könnte eintreffen. Oder die Republik war bereits geschlagen und Bodentruppen versuchten in diesem Moment diese und tausende andere von Stahlsärgen aufzubrechen auf der Suche nach Widerstand.

Als in einem Moment die Schwärze der Bewusstlosigkeit über ihn kam, konnte nur die Zeit sagen, ob es für ihn und für alle noch eine Zukunft gab.
Auf dem Planeten brannten Feuer von der Größe von Ländern. Raumschifftrümmer drifteten wie Asteroiden umher. Vielleicht leuchtete die Sonne des neuen Tages auf Überlebende. Vielleicht war dies die letzte Nacht, einsam, ängstlich und blind vor dem Tod, doch ungebrochen.
 

Armanz

Zeitloser Dichter
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"Und jetzt schön die Pfoten hoch. Das Spiel ist aus, John."

...​

Ich öffnete die Augen. Die Grelle zwang mich, sie sofort wieder zu schließen. Ich verharrte einen Augenblick und versuchte es ein zweites Mal. Das Licht brannte sich durch meine Pupillen in meinen verdammten Schädel. Ich sah die Hitze. Ich sah meine Jägerin. Ich sah meinen Tod und ich sah mein bisheriges Leben. Es lachte mich aus.
"Steh auf, du verfluchtes Weichei!", schrie meine Jägerin mich förmlich an, doch ich rührte keinen Finger. Nicht aus Trotz, wie ich es gewollt hätte, sondern aus Kraftlosigkeit. Meine Jägerin spürte dies und doch bestrafte sie mich mit einem derben Tritt in den Magen.
"Steh auf, sagte ich.", bestimmte sie. Diesmal lag eine unangenehme Ruhe in ihrer Stimme. Der Sturm lag vor mir und doch konnte ich nicht umhin, zu denken, dass ich den Sturm auch hinter mir hatte. Meine Jägerin erkannte scheinbar einen kleinen Hoffnungsschimmer in den Augen meines beinahe toten Körpers und machte sich unverzüglich daran, diesen Widerstand gegen die absolute Resignation zu zertreten.
Ich musste brechen, hütete mich aber die Stiefel meiner Jägerin zu beschmutzen. Der wüste Boden schien sich über meinen Mageninhalt zu freuen, welcher nahezu restlos aus Wasser und Galle bestand.
"Die Vegetation wirds dir danken, mein Freund." Meine Jägerin lächelte höhnisch, packte mich am linken Arm und hievte mich hoch. Ich schloss meine müden Augen.
"Mach deine scheiß Augen auf, sonst setzt es was.", knurrte meine Jägerin mich an.
"Ich will das nicht sehen.", antwortete ich so trotzig ich konnte.
"Du siehst das hier seit nunmehr dreißig Jahren. Und jetzt willst du es nicht mehr sehen?"
"Ihr verfluchten Bastarde! Das ist alles nur eure Schuld. Ihr könntet das alles hier ändern, aber..."
Ein lauter Knall.
Schwärze.
Schmerz durchzog mich.
Mir wurde auf eine seltsame Art warm.
Mühsam fasste ich an meine Brust und merkte wie eine Flüssigkeit durch meine Finger rann.
Mein Leben rauschte nicht an mir vorbei, es war keines gewesen.
Ich versuchte, die Augen zu öffnen, ich musste es noch einmal sehen.
Fels und Sand und...

**​

"Das ist doch alles Unsinn!", rief John aus und nahm mithilfe zweier Lappen seinen Topf aus der überdimensionalen Solarkochvorrichtung.
"Ich will meinen guten alten Herd wieder. Und nicht dieses Gedöns."
"Jetzt halt mal den Ball flach, bevor du noch die Wachen auf dich hetzt.", raunte ihm Samantha zu.
Zwei bullige Sicherheitsmänner bauten sich vor John auf.
"Was ist das hier für ein Tumult?", fragte der Rechte der beiden.
John musterte ihn. Er war Mitte Dreißig und schien mit der Gesamtsituation zufrieden. Genauso wie all die anderen Wachmänner.
"Ich will meinen Herd wiederhaben. Ich bin es leid, den ganzen Tag hier herumzustehen, um mir mein Mitagessen zubereiten zu können. Und da bin ich nicht der einzige, stimmt's Leute?"
John wendete sich seinen Leidensgenossen zu, welche aus heiterem Himmel plötzlich unheimlich von der Mahlzeit fasziniert schienen, die sie gerade zubereiteten.
"Ihr habt also nicht die Schnauze voll von diesem Nazischeiß?", schrie John wütend.
Niemand sagte ein Wort. Einer der Wachmänner stellte sich vor, wie ein Strohballen vom Wind durch die Stadt geweht wurde. Falls man diese Ansammlung an Lehm Stadt nennen konnte.
Einen Moment lang schaute John zweifelnd um sich, anschließend resigniert zu Boden.
Die Wachmänner nahmen ihn in ihre Mitte, als wäre er ein zu Tode verurteilter Schwerverbrecher und gingen schweigend fort.
Bevor sie außer Hörweite gelangten, drehten sie sich kurz um und sagten:
"Dieser Aufruhr ist beendet."
Dann gingen sie weiter, bis Samantha nichts mehr außer Staub erkennen konnte.

**​

Meine Schritte wurden langsamer. Alles um mich herum verschwommen. Ich blieb stehen. Schaute um mich. Dasselbe Nichts wie seit dreißig verdammten Jahren. Es machte mich krank. Ich nahm meine umweltschonende, wiederverwendbare Trinkflasche aus recyclebarem Portnoy-Plastik aus meinem Rucksack und ergötzte mich an den letzten Wassertropfen, die ich noch hatte. Dann warf ich sie verächtlich zu Boden und rannte weiter. Einige Sekunden später besann ich mich jedoch und ging zurück zur Flasche. Ich schaute sie kurz an und dann trat ich solange auf ihr herum, bis meine immense Wut verflogen war. Dann spuckte ich verächtlich aus und rannte weiter, bis ich erschöpft zusammenbrach.

**​

"Muss ich jetzt in die Zelle, weil mir das System nicht passt? Wird jeder einfach abgeschleppt, der ein Problem mit der Situation hat?", fragte John vergeblich. Die Wachmänner widmeten ihm nur soviel Aufmerksamkeit, wie nötig war.
"Ich verlange eine Antwort. Ihr könnt mich nicht einfach einsperren, weil ich ein paar leere Worte von mir gegeben habe!", schrie John wütend. Der linke Wachmann verstärkte seinen Griff und sagte mechanisch:
"Sie haben gegen Code 3 verstoßen. Wir bringen sie jetzt zum Deliganten."
"Das ist doch lächerlich. Man wird nur wegen schwerer Delikte zum Deliganten gebracht und..."
Johns Stimme versagte.
"...und dann wird der Täter meist zu Tode verurteilt.", ergänzte der linke Wachmann.
Johns Gesicht wurde bleich.
"Aber ich habe doch kein schweres Delikt begangen. Das war nur ein kleiner Aufruhr."
Der linke Wachmann musterte ihn.
"Drei Wochen zuvor haben sie sich über das System ausgelassen und die Entscheidungen des Deliganten in Frage gestellt."
"Aber...aber..." Der linke Wachmann schnitt ihm das Wort ab.
"Wir sind da."
John kannte das Gebäude nur von außen. Es war häßlich und kalt. Ein Betonklotz inmitten von Sand und Geröll, nichts weiter.
"Rein da.", kommandierte der linke Wachmann und John gehorchte. Er ging durch die Tür und konnte seinen Augen nicht trauen. Die Inneneinrichtung glich der eines Palastes. An den Wänden hingen antike Kunstwerke längst vergessener Maler, der Boden war mit einem purpurnen Teppich bedeckt und ein gigantischer Kronleuchter, der nicht sonderlich stromsparend aussah, zierte die Decke und lenkte alle Aufmerksamkeit auf sich. Er blieb kurz stehen und betrachtete das unwirkliche Szenario.
"Ich verstehe nicht...", murmelte er.
"Geh weiter.", kommandierte der linke Wachmann. "Durch die Tür rechts von dir."
John öffnete die Tür und trat ein, während die Wachen davor stehen blieben.
"Hallo John.", grüßte der Deligant.
John ignorierte den Gruß und staunte über den Plasmafernseher, den riesigen Ventilator und den Computer mit vier Bildschirmen im hell erleuchteten Büro des Deliganten.

**​

Ich rannte so schnell ich konnte aus diesem Thronsaal der Tyrannei. Mir blieb nicht viel Zeit, wenn ich hier lebend davonkommen wollte. Einer der Wachmänner wollte mich aufhalten, doch ich rammte ihm meine Faust ins Gesicht.
"Elender Sklaventreiber!", schrie ich ihm zu, während ich versuchte, ein Fahrrad ausfindig zu machen. Das Glück war auf meiner Seite, ich machte eines in der Pulvis-Street aus. Verfolgt von zwei Wachen, welche aber deutlich langsamer als ich waren, machte ich mich daran, das Gefährt zu stehlen. Ich stieg auf und fuhr so schnell ich konnte geradeaus, um die beiden abzuschütteln.
Als sie außer Sichtweite waren, verschnaufte ich und fuhr nach Hause.
Samantha stand vor der Türe.
"Du lernst es auch nie, oder?" Sie lächelte mich an. Ich versuchte ebenfalls, zu lächeln aber es gelang nicht.
"Keine Zeit. Ich muss hier weg undzwar schleunigst.", erklärte ich ihr.
"Was ist denn los, John?", fragte sie verwundert.
"Das ist alles eine Farce. Unser ganzes System ist ein Witz. Ein Komplott gegen uns.", schrie ich sie an. Ich hatte die Fassung verloren. Innerhalb einer Viertelstunde war mein Weltbild zerstört. Es war alles eine große Lüge. Und zu welchem Zweck?
"Zu welchem Zweck?" Ich brüllte sie an, als wäre sie die Schuldige.
"John, wovon redest du? Du machst mich nervös."
Ich öffnete meine Haustür und rannte in die Küche, wo ich meinen solarstrombetriebenen Energiesparkühlschrank öffnete und soviele Lebensmittel herausnahm und in meinen Rucksack packte, wie ich konnte.
"Wir könnten ein normales Leben führen. Wir alle könnten ein normales Leben führen. Diese Bastarde haben uns belogen und betrogen." Ich lies meinen Rucksack fallen, drehte mich zu Samantha, packte sie am Kragen ihres Wollhemdes und schüttelte sie.
"Sie werden mich umbringen.", schrie ich und schüttelte sie am Kragen ihres Wollhemdes.
Sie schaute besorgt und fragte dann:
"Wer? Wer wird dich umbringen, John?"
"Der Deligant." Ich schüttelte sie erneut am Kragen ihres Wollhemdes, während sie bleich anlief und sich losriss. Ich drehte mich um, suchte meine umweltschonenden, wiederverwendbaren Trinkflaschen aus recyclebarem Portnoy-Plastik zusammen und füllte sie alle mit Wasser aus den Kanistern.
"Du konntest es einfach nicht lassen, nicht wahr?" Ich hörte ein Klicken und drehte mich um. Die Mündung einer 52-70er in der Hand von Samantha lächelte mich an.
"Samantha, sag mir dass es nicht wahr ist. Nicht du!" Sie lächelte höhnisch.
"Was tut man nicht alles für Geld.", erklärte sie.
"Aber Geld ist wertlos, wir handeln mit Gütern.", sagte ich verwundert.
"Halt den Mund!", schnauzte sie mich an, "Und jetzt schön die Pfoten hoch. Das Spiel ist aus, John."
"Darf ich wenigstens noch einen letzten Schluck von diesem kühlen Nass haben, bevor ich sterbe? Es ist das einzige, was nicht trostlos ist an dieser Welt.", flehte ich sie an.
"Nagut, John. Aber nur der alten Zeiten wegen." Ihr höhnisches Lächeln wurde melanchonisch.
Ich nahm eine der Flaschen aus meinem Rucksack und machte dann den Reißverschluss zu.
"Na wirds bald.", mahnte Samantha, doch bevor sie noch etwas anderes sagen konnte, warf ich ihr die Flasche ins Gesicht. Sie taumelte nach hinten und ließ ihre 52-70er fallen, welche ich sofort mit meinem Fuß wegtrat. Den Moment ihrer Benommenheit ausnutzend, packte ich sie am Kragen ihres Wollhemdes und schüttelte sie.
"Du elendes Miststück. Ich habe dich geliebt!" Ich schleuderte sie zu Boden, wo sie sich an meiner Flasche den Kopf aufschlug. Dann packte ich meinen Rucksack, rannte raus, stieg aufs Fahrrad, schaute gen Himmel, hustete kurz, legte meinen Rucksack an und fuhr los.

**​

"Was soll das alles hier? Ich dachte wir müssen akut Strom sparen und..." Der Deligant unterbrach John.
"Ihr müsst auch Strom sparen. Ihr, das Volk. Und du, John, hälst dich nicht an die Regeln. Du könntest eine aufsteigende Welle von Chaos, Gewalt und Tumult erzeugen. Jammerschade, findest du nicht? Jammerschade."
"Ich bin diesen Solarscheiß satt. Ich will meinen Herd wieder, das ging tausend mal schneller damals.", sagte John entrüstet. Der Deligant legte sein Lächeln ab. Sein Gesicht war jetzt todernst.
"Dann erklär doch bitte meiner verstrahlten Großmutter, weshalb du keinen Solarkocher verwenden willst. Sie hat elf Finger, John. Elf Finger." Der Deligant schaute sein Gegenüber anschuldigend an.
"Wieso haben sie dann all diese Stromschlucker? Und auf ihrem Dach habe ich keine Solarzellen gesehen." John schaute sein Gegenüber anschuldigend an.
"Der Atomkrieg belastet uns alle, John. Er belastet uns alle. Es hat uns viel Mühe gekostet diesen kleinen Ort aufzubauen. Den Überlebenden eine Unterkunft zu geben. Wir haben uns geschworen, eine neue Welt aufzubauen. Eine saubere Welt. Mit sauberem Strom. Solarkraft, Windkraft, Wasserkraft. Alles ist möglich. The sky is the future, John. Ich weiß, das Leben ist hart. Aber es ist ein Leben und das ist alles was zählt, John. John." Sein Blick bohrte sich wütend in Johns Augen, dann setzte er seine Rede fort:
"Dilettanten wie du hetzen das Volk auf, welches eigentlich glücklich sein sollte mit dem was es hat."
"Aber wieso haben sie vier Bildschirme in ihrem Büro?"
"Zu meiner persönlichen Belustigung, John. Als Deligant habe ich viel zu tun. Meine Arbeit ist hart, ich brauche auch mal eine Pause. Haben sie schon einmal Fallout auf vier Bildschirmen gespielt, John?"
John war fassungslos.
"Sie und ihre Doppelmoral kotzen mich an. Wenn die anderen erstmal davon erfahren, dann..."
Der Deligant unterbrach John abermals.
"Oh, aber niemand wird irgendetwas erfahren, John. Sie werden jetzt nach Hause rennen und den letzten Tag ihres Lebens genießen." Er lächelte höhnisch und drehte sich um, während John kreidebleich im Gesicht wurde. Einen Moment lang stand er da wie angewurzelt, dann besann er sich seiner Lage und wollte losrennen, als der Deligant sich plötzlich zurückdrehte und mit feierlicher Stimme sagte:
"Dieses Gespräch hat nie stattgefunden, John."
Angsterfüllt sprintete John aus dem Büro des Deliganten, während sich dieser an seinen Computer mit vier Bildschirmen setzte, um Fallout zu spielen.
 

Timestop

Running out of Time
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Bei Lis mag ich das Szenario (Gewaltiger Krieg im Cyberpunk der Zukunft der ...Schwertküste? Irgendwie kommt mir dieses Amn jedenfalls bekannt vor.:D), obwohl mir alle vier Themen in einer Geschichte etwas gequetscht erscheint, werde aber vor allem mit dem Verhalten der bunten Gruppe an Figuren nicht ganz warm. Vielleicht fehlt mir das richtige Drama. Nicht eins das zusammensackt in Endzeitdepression.

Bei Armanz will ich das Szenario verstehen, schaffe es aber nicht. Bei dieser Kombination aus Pulp Fiction Zeitsprüngen, Sci-Fi-Anleihen und Spritzer Nerdhumor kann ich mich nicht ganz zwischen ausgelutscht und cool entscheiden, aber der Handlungsverlauf ist mir einerseits unklar und andererseits zu trashig (ein letzter Wunsch bevor ich sie erschiesse, Mr. Bond), genauso wie ich die Figuren nicht besonders leiden kann.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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Ich mag Lissys Geschichte und wie er es tatsächlich geschafft hat alle vier Themen in eine Geschichte zu quetschen. Die depressive und resignierte Stimmung, von der der Text ja auch lebt, kommt gut rüber und man kann gut in diesem düsteren Jammertal versinken, in dem sich die Figuren derzeitig am Ende aller Tage befinden. Oder gibt es am Ende doch noch Hoffnung?

Man weiß es nicht, man weiß es nicht.


Bei Armanz Text geht es mir wie Time. Ich weiß nicht so richtig, was ich von der Geschichte halten soll. "Trashig" ist sie angesichts des überdrehten Verhaltens ihrer Figuren auf jeden Fall, nur weiß ich jetzt nicht, ob das gut oder schlecht.

Allerdings musste ich zum Schluss hin durchaus schmunzeln, da die Erklärung am Ende irgendwie was hat:D.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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Mir war nach all den "ernsten" Kram, den ich in letzter Zeit verfasst habe einfach mal danach so richtig schön rumzublödeln.
Das habe ich getan und in zehn Jahren kann ich mir das Teil bestimmt nicht mehr anschauen:D.

Leider bin ich dreizehn Worte über das Limit hinausgeschossen. Ich hoffe, dass ihr mir verzeihen könnt;).

Ansonsten viel Spaß beim lesen:).


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Grottenstadt

Die Welt war am Abgrund.
Die alten Götter überzogen sie mit ihrer chaotischen Präsenz, die niederen Götter hatten sie zu ihrem Schlachtfeld und/oder Spielplatz erkoren und die Menschen hatten alle angemessenen moralischen Werte fallen gelassen, da sie meinten, dass ihnen dies das Überleben in dieser grausamen Welt sichern würde.
Natürlich hatten sie sich geirrt, doch war dies eine der vielen schlechten Charaktereigenschaften, die alle niederen Menschen beseelte, aber zum Glück waren nicht alle Menschen so.
In der Tat nicht, nein, glücklicherweise hatten es einige wenige ausgewählte Exemplare geschafft, ihr niederes Dasein hinter sich zu lassen und zu einer größeren, edleren Rasse aufzusteigen, die allgemein als die Hohen Menschen bekannt war.
Sie bildeten die Herrscherklasse der Welt, brachten hunderttausend Jahre Frieden und Einklang, waren stark und kultiviert, ohne jemals in Dekadenz zu verfallen.
Und all dies wäre vielleicht auch so geblieben, wenn nicht einer von ihnen sie alle verraten hätte.
Derselbe, den auch der Held unserer Geschichte durch die endlos öden Weiten des Landes um ihn herum verfolgte, rechtschaffenen Zorn in seinem Herzen und die tragische Last der Letzte seines edlen Hauses zu sein, schwer auf seinen mächtigen Schultern tragend.
Wer er dieser große Held war?
Nun, jemand der besser war, als alle Untertanen seines Reiches zusammen, der größte Krieger aus einer langen Reihe von großen Kriegern, edel, selbstlos, von geradezu ätherisch schöner Gestalt und so moralisch standfest, dass es den Leuten um ihn herum Tränen der Bewunderung und des Schams angesichts ihrer eigenen Unvollkommenheit in die Augen trieb.
Sein Name: Blutfeuer Dunkelschwert, zweiter Sohn von König Dunkelkammer Dunkelschwert und Schwarzrose Dunkelschwert, mächtigster Krieger des Reiches, von allen geliebt und respektiert.
Und der Jäger seines verräterischen Bruders, Eisklinge Dunkelschwert.
Wie viele Jahre er dies schon tat, das wusste der großgewachsene, ewig junge Mann mit den feinen Gesichtszügen und den langen roten Haaren, deren größte Strähne ihn ins Gesicht fiel, nicht zu sagen.
Er wusste nur, dass seine Qualen in all den Jahren nicht geringer worden waren, in denen er nun durch die Lande zog, das gewaltige Schwert Seelenschmetterer mit hundert Ketten an ihn gebunden, hinter sich herziehend, die Stimme der Seelen aller ehemaliger Träger des Schwertes in seinen Kopf widerhallend, immer zürnend, immer trauernd.
Er wusste nur, dass er niemals aufgeben, niemals verzeihen und auf gar keinen Fall seine holde Lichtschatten vergessen würde, die sein bösartiger Bruder zwischen ihn und die Klinge gebracht hatte.
Nie und nimmer.
Doch da es sich bei ihm um einen wahren Helden handelte, konnte er natürlich nicht daneben stehen, wenn Unheil geschah, denn das war das Schicksal wahrer Helden, welches sie von den niederen Menschen unterschied.
Deswegen erregte der wirklich herzzerreißend schluchzende Mann mit dem Ferrari und der gut gefüllten Kühltasche auch seine Aufmerksamkeit.
Das herrschaftliche Kinn vorgestreckt, nahm unser zu hundert Prozent heldenhafter Held eine angemessene Position ein und ließ sich dazu herab mit dem niederen Volk zu reden.
„Seid gegrüßt, Gemeiner. Was ist es, was Euch bedrückt?“
„Ach und weh, weh und ach, oh großer Herr, denn das sehe ich, dass Ihr ein solcher seid, Eure herrschaftliche Pose verrät das, ich bin der gar unglücklichste Mann in unserer finsteren, desolaten Welt. Schlimme Schurken haben mir das einzige geraubt, was ich noch hatte, neben dem Ferrari, dem Champagner, Kaviar, Hummer und Shrimps, den Deluxe-Editionen handsignierter religiöser Schriften und irgendwo noch ein Six-Pack billigen Biers und noch ein paar Goldmünzen ...äh, wo war ich? Ah ja! Das einzige von wirklichen Wert, meine geliebte Frau, wurde mir geraubt und so bin ich Unglücklicher vollkommen alleine und unfähig irgendwas gegen sie einzutauschen.
So werde ich auf ewig alleine sein, nie wieder ihren warmen Körper neben mir fühlen, niemals mehr werde ich anständig essen können, von den unstopfbaren Löchern in meinen Socken mal abgesehen. Oh weh und ach, wehweh, oh ach...“
Diese Zuschaustellung wahrer Liebe rührte auch unseren männlichsten aller männlichen Helden fast zu Tränen. Kein Mann sollte in durchlöcherten Socken umherwandern müssen.
Sein Entschluss stand fest, er würde diesen armen Mann helfen!
„Nur Mut, guter Mann, mein Name ist Blutfeuer Dunkelschwert, Erbe des Throns der höchsten Menschen, Träger von Seelenschmetterer, dem Schwert, das alle Konflikte beendet und am Ende der Welt geschwungen wird, und Eure Geschichte rührt mich so sehr, dass ich Euch helfen werde!“
„Das ist wirklich gnädig von Euch, oh Herr, wo ich Euch doch auch nichts anbieten kann, um Eure wagemutige Tat zu vergütigen...“
„Grämt Euch nicht, guter Mann, eine gute Tat ist mir Belohnung genug und außerdem wäre es wohl kaum angemessen, wenn ein Angehöriger der Hohen Menschen Bezahlung von einem einfachen Gemeinen annehmen würde.“
„Oh ja, natürlich, wie dumm von mir! Wie konnte ich auch nur einen Moment daran denken, etwas so Schändliches zu tun? Verzeiht!“
„Es sei Euch verziehen, denn leider hat auch der Rest der Welt die guten Sitten vergessen, so tragisch dies auch ist. Nun gut, wo haben sie Eure Frau hingebracht?“
„Grottenstadt, die Stadt der Sünde!“

*​
Wie es schon erwähnt worden war, war die Welt vor dem Untergang eine bessere. Die Menschen kannten ihren Platz in der Welt, man wusste sich zu benehmen, niemand frönte verwerflichen sexuellen Praktiken, stahl vom jeweils anderen oder nahm einem dem Parkplatz vor der Kirche weg, die Kinder und die Frauen waren bescheiden, man dachte nicht darüber nach wie die Welt funktionierte und akzeptierte schlicht den Fakt von gütigen, von Geburt an besseren Menschen regiert zu werden.
In der Tat, eine bessere, eine perfekte Welt war das gewesen.
Und doch lauerte an jeder Ecke die Verführung für den niederen Menschen, so auch in der Gründung von Grottenstadt. Einst flohen die Ausgestoßenen, alle, die nicht in die perfekte Ordnung passten, an jenen Ort, den man die Grotte nannte, wo sie sich vor der rechtschaffenen Wut ihrer Häscher versteckten. Doch irgendwann wurde ihnen das Leben in der dunklen, feuchten, von bösartigen Kreaturen verseuchten Grotte zu gefährlich und so verließen sie sie und bauten aus gestohlenen und erbettelten Materialien die ersten Hütten, welche den Grundstein für die spätere Metropole legen sollten.
Alles was verwerflich war, Prostitution, Glücksspiel, Vermischung der Klassen, Nacktbaden, Rollenspiele, Nasenbohrerei, Falschparken, Diebstahl, lautes Pfeifen, ungebührlich fröhlich und niedergeschlagen sein, Betrug, betrügen von Betrügern, Mord, Totschlag, zurücklassen der erschlagenen Leichen auf offener Straße und anderer Meinung sein als es die eingebürgerte Norm gebot wurden, hier praktiziert und teilweise von den vielen kleineren Bandenchefs der Stadt sogar ermutigt!
Ach ja, und irgendwas war da noch mit Sklaverei. Sklaverei war auch schlecht, zumindest wenn die betreffenden Personen davor frei und ein hoher Mensch gewesen war. Dass es sie gab hatte unter anderem einen bestimmten Grund, der im weiteren Verlauf der Geschichte geklärt wird.
Mit grimmiger Verachtung auf den streng zusammengepressten Lippen wanderte unser heroischer Haudrauf durch diesen Sündenpfuhl, der als Vorbilder für Sodom und Gomora gedient hatte, betrachtete voller Verachtung das um ihn herum sprießende Elend, bestehend aus den an den Mauerecken sitzenden Armen und die viel zu kreativen Frisuren und Kleidungsstile der anderen Bewohner Grottenstadts. Erstere hätte er in der guten alten Zeit Arbeit in den Salzminen gegeben, denn nur ein hart arbeitender Geist war ein guter Geist und Zweiteres war für ihn deutliches Zeichen für den Verfall dieser Stadt, denn nachdem die Menschen keine Arbeit mehr hatten, besaßen sie viel mehr Zeit, sich über ihr Äußeres Gedanken zu machen, um dann ihre sogenannte Individualität zum Ausdruck zu bringen. Die Haare waren zu gezwirbelten Türmen, einfachen Stacheln, kleinen Bonsaigärten mit eigener Fauna und Springbrunnen (die Träger starben nach einiger Zeit an Blutverlust) oder nahezu kahlen Platten mit aus Haaren bestehenden obszönen Wortspielen modelliert wurden, während sich Männer in Kleider, Lederjacken mit Gepardenshorts oder fast nichts bis auf zahlreiche Tätowierungen hüllten, während die Frauen das Gleiche taten, sich aber hier und da noch in eine mehr oder minder zerrissene Jeans zwängten. Und natürlich trugen die meisten noch einiges an Metall im Gesicht, meistens schlecht reingestoßene Angelhaken, an denen sich das eine oder andere Insekt verfangen hatte.
Hier und da betrieb man noch rudimentären Tauschhandel, manche versuchten sogar wieder eine Währung einzuführen, mit Menschen als Basis, da es von ihnen trotz alledem immer noch am meisten gab.
Allerdings stellte sich nach zunehmenden Geburtsraten eine Inflation ein, sodass man bald wieder zum Tauschhandel überging.
Dies war fürwahr die Endzeit.
Blutfeuer Dunkelschwert war derweil nach einigem Nachfragen und zwei Irrtümern an seinem Ziel angekommen, ein finsteres Gebilde aus Wellblech, Plastik und hier und da etwas Stahl.
Die stählerne Festung des finstern Zauberers Grant More, dem derzeitigen unrechtmäßigen Besitzer der Frau des unglücklichen Bittstellers.
Andere hätten sich vielleicht mit den Künsten der Diplomatie oder dem Einsatz von List Zugang verschafft. Da das aber etwas für Weicheier war und diese Geschichte nur ein Wörterlimit von dreitausendfünfhundert Worten besitzt, nahm unser tapferer Totschläger der Trivialität den Vordereingang, indem er das massive Tor im wahrsten Sinne des Wortes mit einem Tritt auftrat.
Die einseitig bösen Schergen des Zauberers stürzten sich kurz darauf auf ihn.
Sie versuchten ihn mit den Stacheln oder Hörnern ihrer Haare aufzuspießen, schwangen die langen Ketten mit den Fischerhaken an ihren Piercings oder leerten die Magazine ihrer MPs, wenn sie sich als absolute Langweiler erwiesen.
Sie waren fünfhundert gegen einen.
Sie hatten keine Chance.
Obwohl Seelenschmetterer ihn anflehte gezogen zu werden und seine gesamte Kraft in einem einzigen Schwung zu entladen, hielt Blutfeuer sich zurück, war er sich doch weiterhin seiner Verantwortung gegenüber der Welt bewusst.
Stattdessen verließ er sich auf eine nicht minder gefährliche Waffe, seinen eigenen Körper. Mit geballten Fäusten durchbrach er Brüste, mit Handkantenschläge trennte er Gliedmaßen ab und kreierte mit gut gezielten Roundhousekicks kleine Wirbelstürme, die die Körper seiner Feinde ebenfalls in alle Winde zerstreuten.
So richtig hässlich wurde es jedoch erst, als er einen stumpfen Löffel in die Finger bekam.
War es sein epischster Kampf? Bei weitem nicht, im Vergleich zu anderen Konfrontationen wohl nicht einmal einer Fußnote in den Geschichtsbüchern wert, aber für Grottenstadt stellte dies eine der verlustreichsten Schlachten in seiner Geschichte dar, denn als seine verderbten Bewohner spürten, dass jemand wahrhaft Rechtschaffenes sich unter ihnen befand, was sie vor lauter Scham so erzürnte, dass schon bald auch das gemeine Volk sich dem Kampf gegen Blutfeuer Dunkelschwert anschloss. Auch sie hatten natürlich keine Chance, aber am Ende erzeugte dieser Kampf einen solch gewaltigen Leichenhaufen, dass dieser sich wie ein Turm aus Gammelfleisch gen Himmel streckte und man vielleicht das Gefühl haben mochte, dass dieses Gebilde aus verderbten Fleisch versuchte, den Himmel zu berühren und damit einen fast so großen Akt der Häresie begangen hätte, wie es dereinst Eisklinge Dunkelschwert getan hatte.
Nur Blutfeuer Dunkelschwert selbst stand noch. Er widmete den Toten trotz ihrer Verderbtheit eine einzige männliche Träne, waren sie doch schon dumm auf die Welt gekommen und konnten am Ende doch nichts dafür.
Ein spöttischer Applaus riss ihn aus seinen tiefen Gedanken.
Von der Spitze des Leichenhaufens, blickte er auf eine einsame Gestalt hinab, bei der es sich nur um den machiavellischen Magier More handeln konnte.
Der spitze Hand und die lange Robe mit der Aufschrift „No#1 Bitchzard!“ hätten ebenfalls gute Hinweise auf seinen Status abgegeben. Der Zauberer lachte spöttisch, stemmte dann die Fäuste in die Hüften und grinste Blutfeuer süffisant an.
„Wer auch immer du bist, Fremder, du vermagst es wirklich einen Auftritt hinzulegen, hohoho!“
„Spotte nicht spitzbübischer Sprüchesprecher! Ich bin hier um eine deiner Gefangenen aus deinen schmierigen Klauen zu erretten!“
„Und was ist mit dem Rest meines Harems?“
„Jetzt wo du es sagst ...ja, die auch!“
„Niemals! Sie bleiben hier, wo ich sie sexuellen Praktiken aussetzen werde, von denen wir auf Grund der strengen Richtlinien nicht eine einzige erwähnen können, um nicht in schmuddelige Pornographie abzurutschen!“
„Du Monster! Gib diese unschuldigen“, der Zauberer prustete, nur um sich dann zu entschuldigen und Blutfeuer zu sagen, dass er weitermachen solle. Dieser schaute zunächst etwas pikiert drein, um dann wieder fortzufahren.
„Gib diese armen, unbedarften Geschöpfe - besser? - frei, ansonsten wirst du den Zorn von Blutfeuer Dunkelschwert zu spüren bekommen! Und mir scheint, dass du nicht in der Lage bist mich aufzuhalten.“
„Hohoho, sei dir da mal nicht so sicher, du garstiger Gutmensch! Ich würde sogar behaupten, dass ich besser denn je gegen dich gewappnet bin.“
„Wie das?“
„Nun, um die Geister der alten Götter zu beschwören und sie effektiv auf Erden wandeln zu lassen, bedarf es einer Menge frisches Fleisch. Und ich würde sagen, das hast du mir gerade geliefert, hohoHOho!“
Blutfeuer runzelte zunächst verwirrt die Stirn, aber kurz darauf begann er zu verstehen, als sich plötzlich der Haufen aus Leichen zu bewegen begann. Geistesgegenwärtig sprang unser herrlicher Heroe, um die ganzen sechs Meter zu fallen und sich dann abzurollen, doch die widerwärtige Wabbelkreatur, die sich zu einem großen Ganzen verbunden hatte, beugte sich nach hinten, nur um dann vorzuschellen und Blutfeuer zu schlagen, sodass dieser vom Anwesen flog und sich zum ersten Mal seit langer Zeit ein paar einfing.
Er brach durch sieben Gebäude, riss die Fundamente mit sich, sodass die Einwohner der Häuser unter den Trümmern begraben wurden, sein Fall jedoch wurde von einer Reihe weicher Betten und einer Gruppe anonymer Atheisten gebremst. Knurrend, mit einigen Schrammen und einer kleinen Platzwunde erhob sich Blutfeuer aus den Trümmern und stapfte zurück zur Festung des Zauberers zurück. Dieser bewies, dass er die Kreatur nicht in Griff hatte, da diese immer weiter wuchs und die Bewohner schreiend vor ihr davonliefen, während sie jeden verschlang, den sie mit ihren Tentakeln (die aus dem naheliegendsten Körperteil rauswuchsen) erwischte.
Seelenschmetterer bettelte wieder darum endlich gezogen zu werden und Blutfeuer stimmte der Waffe dieses Mal zu. Dies war nun wirklich der geeignete Moment das Schwert zu entlassen.
Mit beiden Händen packte er das Heft der Waffe und zog grunzend die drei Meter lange und einen Meter breite Klinge aus ihrer Scheide, während ihm Adern an der Stirn hervortraten.
Langsam, quälend langsam kam die Waffe immer weiter frei und die Seelen ihrer ehemaligen Besitzer sangen von Tod und Zerstörung, bis sie am Ende, als die Klinge endlich frei war, an einem letzten schrillen Ton festhielten, der immer gleich blieb und jeden anderen in den Wahnsinn getrieben hätte.
Blutfeuer hob das Schwert über seinen Kopf, fasste die Bestie ins Auge, machte angesichts des Gewichts der Waffe zwei Schritte nach hinten, nur um dann mit voller Wucht auf den Boden zu schlagen.
Die Erde begann zu beben, der Boden öffnete sich, Kreatur und Himmel teilten sich in zwei Hälften.
Für kurze Zeit war das kosmische Gefüge des Universums aus dem Gleichgewicht gebracht worden.

*​
Das Schöpferwesen war sichtlich mit seinem Werk zufrieden, betrachtete mit Wonne die den Plan jedes einzelnen Planeten, genoss den Gedanken das perfekte Universum geschaffen zu haben.
Dann begann die Erde zu beben, das Wesen zappelte, fiel dann hin, riss ein ganzes Regal mit sich, aus dem die darin gestellten Gläser fielen und zerbrachen.
Das Beben endete genauso schnell, wie es begonnen hatte und brummend richtete sich die Schöpferkreatur wieder auf.
Als sie den Schaden sah, begann sie vor Wut zu schreien.
Nicht nur, dass mit den Gläsern auch ihre Sammlung seltener, kosmischer Krankheiten zunichte gemacht worden war, nein, deren Inhalte hatten sich nun über das ganze Universum ausgebreitet.
Eine davon nannte man biologisches Leben.

*​
Erschöpft schob Blutfeuer Seelenschmetterer wieder in seine Scheide, sehr ärgerlich, dass er keine Zigarette danach besaß, ging wieder zurück zur Feste des Zauberers, um dort kurzen, wirklich kurzen Prozess mit dem Zauberer zu machen. Ein Handkantenschlag reichte aus, um ihn zu enthaupten. Danach begann er nach den gefangenen Frauen zu suchen und fand sie auch im großen Thronsaal, der sich durch mangelnden Geschmack in der Einrichtung auszeichnete. Der Harem gefangener Frauen war auch schnell entdeckt. Sie saßen in einer Ecke und spielten Karten, mit nichts weiter bekleidet als einigen taktisch ausgewählten Zensurbalken.
Blutfeuer stand natürlich über solchen Dingen und war sowieso zu müde für alles andere. Er betrachtete jede der Frau einzeln, nickte, obwohl er nicht wusste warum und sprach sie dann an.
„Seid gegrüßt, edle Jungfrauen ...“
Es dauerte eine Weile, bis das Gelächter erstarb.
„Seid also gegrüßt ...werte Damen. Ich suche nach einer bestimmten Frau, die ihrem liebenden Ehemann entrissen ...“
„Du meinst verkauft?“, warf eine der Frauen ein.
„... worden ist und der nun auf ihre Rückkehr wartet ...er fährt einen Ferrari.“
„Ah, das klingt nach meinem“, sagte eine der Frauen, nur eine weitere erschreckend schöne Frau, die in der Gruppe nicht hervorstach, stand auf und ging an Blutfeuer vorbei.
„Lass uns gehen, Heldi. Macht's gut, Mädels.“
„Mach's gut, Erika. Schau mal vorbei, wenn du wieder in der Gegend bist.“
„Klar.“
Blutfeuer schaute verwirrt drein, kurz hinter dem Profil der Geretteten hinterher, dann zu den anderen, fing sich dann aber wieder.
„Und ihr, werte Frauen, seid auch frei! Euer Peiniger ist tot, ihr könnt euch wieder einem göttergerechten Leben widmen, der Sünde entsagen und wieder zu euren Herrn und Meister zurückkehren! Lebt wohl!“
Mit einer großen Geste drehte er sich um und stampfte ebenfalls nach draußen. Die Frauen blickten ihm noch eine Weile hinterher, um dann unisoni mit dem Kopf zu schütteln.
„Muss ein Hoher Mensch gewesen sein, so steif wie der war.“
„Haha!“
„Das war jetzt doch zu offensichtlich, Kate. Egal. Was machen wir jetzt nun mit unserer Zeit?“
„Tja, gute Frage. Grant war ja recht einfach, schwang ja nur große Reden und benutzte eine Menge Dirty Talk, aber jetzt müssen wir uns wohl wirklich was einfallen lassen ...wie wäre es, wenn wir den Sklavenhandel wieder in Gang bringen?“
„Meinst du, dass das Zukunft hat, Jasmine?“
„Na ja, ich habe so ein Gefühl, dass der Wert bald wieder steigen wird. Außerdem, unsere Männer befinden sich unter den Gefangenen, sehen wir es als kleinen Bonus, wenn wir diese Nichtsnutze endlich loswerden.“
„Guter Punkt. Wer ist für Jasmines Vorschlag?“
Der Vorschlag wurde einstimmig angenommen und die Frauen gehörten schon bald zu den reichsten Personen der noch nicht untergegangenen Welt, denn Jasmines Voraussage sollte sich als wahr erweisen.

*​
Erika brachte derweil die Freude über ihr Wiedersehen mit ihren geliebten Mann zum Ausdruck.
„Fünf Mal! Das war das fünfte Mal in diesem Monat, dass du mich an irgendwelche Lustgreise verkauft hast! Und dann hast du nicht einmal den Mut selber aufzutauchen, sondern schickst mir irgendwelche Idioten mit großen Schwertern zum kompensieren hinterher, weil du zu feige bist es selbst zu tun!“
Blutfeuer schaute kurz auf Seelenschmetterer.
So groß war es nun auch wieder nicht.
Der Mann der Dankbaren hob derweil zur Abwehr die Hände.
„Aber Schatz, bedenke doch, ich tue all das doch nur für dich.“
„Red keinen Schwachsinn, du ...“
„Ohne den Verkauf hätte ich mir zum Beispiel nicht diese Smaragdohrringe leisten können, die doch so schön zu deinen Augen passen.“
„Uuuuh, glänzend ...lenk nicht ab, du mieses Schwein!“
„Sie sind übrigens nur eine Ergänzung zu dieser goldenen Smaragdkette, die mir sofort ins Auge fiel, weil sie doch so sehr deinen wunderbaren Charakter widerspiegelt.“
Diesmal war das entzückte „Uuuuh“ viel länger und als er ihr die Kette umlegte, konnte man die Liebe zwischen den beiden wieder spüren. Blutfeuer wandte sich lächelnd ab, zutiefst berührt von diesem kleinen Beweis echter Zuneigung in dieser finsteren und desolaten Welt.
Auf den Gedanken folgte ein kleines Magenbrummeln, was ihn innehielten ließ.
Er schaute sich vorsichtig um, erblickte eine Kühltasche, in der sich nach einer kleinen Durchsuchung der Hummer und der Kaviar befanden, stellte sicher, dass niemand hinschaute, griff sie sich und rannte dem Sonnenuntergang entgegen.
Es war eine verdiente Belohnung, wo doch alles nun seinen Preis hatte und sich niemand in dieser Welt mehr an die Regeln hielt.
Sogar die von Natur aus Besseren mussten das eine oder andere Opfer bringen.

ENDE

*​
„Und was sagen Sie zu Mister Powers neusten Skript, Mister Schreck, Sir? Brillant, ist es nicht?“
„Schleimer ...das ist das Schlimmste, was dieser zugekokste Schmierfink jemals in seinem Leben zusammengeschustert hat!“
„Wirklich schrecklich, Sie haben ja so recht, Sir!“
„Das können wir doch nie im Leben drucken! Vor allem da es nur eine lausige Kurzgeschichte ist und nicht der Roman, den uns dieser an sich rumspielende Tintenspritzer versprochen hat. Verdammt noch mal, das wird mich lehren, Autoren und Untergebene wie Menschen zu behandeln. Bis sie ihm das letzte bisschen Crystal Meth rausgewürgt haben, brauchen wir einen Ersatz. Ich hoffe, Sie haben da was in der Hinterhand, Schleimer?“
„In der Tat, Sir. Der Titel lautet: Parry Hotter und das gute Buch!
„Das kommt mir doch sehr bekannt vor.“
„Nun, nicht von ungefähr, Sir. Es ist eine über tausend Seiten lange Fanfiction zu Harry Potter, nur das Harry in diesem Fall ein mormonischer Hexenjäger aus Utah ist, der die geheime Welt der Zauberer infiltriert, die Guten bekehrt und die Bösen tötet. Natürlich wurden die Namen geändert.“
„Hmm. Weiß?“
„Ja.“
„Gut. Haben wir was für die Jungs. Was kriegen die Mädchen?“
„Nun, er jammert viel und sie kriegen den Eindruck, dass er nur jemanden braucht, der ihn wieder auf den richtigen Weg bringt.“
„Perfekt! Sichern Sie sich die Rechte und drucken Sie das Teil. Wir machen ne Serie draus! Gute Arbeit, Schleimer!“
„Alles für die Kunst, Sir. Alles für die Kunst.“
 

Kraven

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Blödelei und Spaß in diesem Topic? Nicht während meiner Schicht! :D (Macht übrigens Spaß, die Geschichte :) ).

Ewig an dem Ding gesessen und in erster Linie von dem Wunsch beseelt, es loszuwerden:


Wasteland

Leise klagend lässt das von Rost zerfressene Metallschild sein Quietschen durch die von Staub und Trümmern bedeckte Straße hallen, die sich im Nichts verliert; in der menschenleeren Wüste, in der nur noch Ruinen stehen.
Hin und wieder wird das Schild vom Donner übertönt, der von fern her zu kommen scheint, und erleuchtet von den Blitzen, welche die Nacht zerreißen. Unmöglich ist es zu sagen, ob es nur ein Gewitter ist, oder ob der Krieg sich wieder in diese Ecke der Welt vertagt hat, und letzten Endes ist es auch unerheblich. Das Wissen darum würde niemandem nutzen, so wenig wie das Wissen um die Strahlung im Wasser irgendjemandem etwas nützte. Denn wer Durst hat, trinkt. Und wen der Krieg ereilt, der stirbt.
Langsam nur, und undeutlich, schält sich aus der Dunkelheit eine schmale Gestalt. Nur widerwillig scheint das Dunkel sie freizugeben, fasst immer wieder nach ihr und scheint sie verschlucken zu wollen, doch noch ist es dafür nicht stark genug. Langsam wird sie deutlicher, die seltsame Gestalt, die Ansammlung aus Lumpen und alter Haut, die sich in den Trümmern vorwärts bewegt, mühsam nur und humpelnd. Hin und wieder geht sie auf die Knie, langsam, mit steifen Gelenken, und begutachtet etwas, das auf der Straße liegt, eine rostige Konserve, eine paar Stofffetzen. Meistens steht sie mit leeren Händen wieder auf und geht weiter, doch einmal bleibt sie stehen, greift nach etwas und hält es gegen das Licht. Es ist ein Becher, aus Metall gefertigt, fast ohne Beulen und ohne jeden Rost. Die Gestalt betrachtet ihn eine Weile freudig, dann verstaut sie ihn vorsichtig inmitten ihrer Gewänder und geht weiter.
Für einen Außenstehenden wäre es unmöglich zu sagen, ob es sich bei ihr um einen Mann oder um eine Frau handelt. Die Lumpen verdecken jede Körperform, und überhaupt sind die Zeiten, in denen die Unterscheidung wichtig gewesen wäre, lange vorbei.
Was immer jenen Unterschied machte, es wurde von der Zeit und der Strahlung vernichtet.
Manchmal hält die Gestalt an, um in einer Pfütze ihren Durst zu stillen, und manchmal erblickt sie dabei im Wasser ein zahnloses Gesicht, mit eingefallenen Augen und verbrannter Haut. Die Gestalt mag dieses Gesicht nicht, und sie beeilt sich, wegzuschauen.
Sie geht weiter, vorbei an den zerbombten Ruinen, vorbei an den riesigen Schutthalden, deren Staub und Dreck der Wind immer weiter trägt, die er über die ganze Welt verteilt und hinaufbläst in den Himmel, wo sie die Sonne verdecken.

In einer der Ruinen verschwindet die Gestalt. Vorsichtig, mit einer Hand zusätzlich Halt suchend, stolpert sie über Müll und Gestein. Etwas löst sich unter ihrem Tritt und bringt sie ins Rutschen, und nur mit Mühe kann sie sich fangen. Doch sie geht weiter, jetzt noch vorsichtiger.
Als sie die Drahtschlinge erreicht, die sie selbst ausgelegt hat, bleibt sie kurz stehen und betrachtet das noch schwach zitternde Kaninchen, das sich in ihr verfangen hat. Sie tritt näher, besieht sich die milchigen Augen, die Narben auf dem fast pelzfreien Körper, die Auswüchse am Bauch. Schließlich nickt sie, und aus dem Gewirr aus Lumpen um ihren Körper fördert sie eine Glasscherbe hervor, deren hinteres Ende mit Draht umwickelt ist, so dass sie sie halten kann. Sie packt das Tier sanft am Nacken, drückt es beruhigend, und schneidet ihm mit ruhiger, geübter Hand die Kehle durch.
Das Quietschen des Metallschilds wird wieder lauter, als sie die Ruine verlässt, den abgezogenen Körper des Tieres am Gürtel baumelnd.
Als sie langsam weiter die Straße hinab geht, wird das Quietschen leiser.
Irgendwann hört es ganz auf.
Wir wollen die Gestalt Nadja nennen, nach dem Namen, den die anderen ihr damals gaben, voll von Hoffnung, dass seine Bedeutung sich erfüllen würde. Später sollte sie immer noch mit diesem Namen gerufen werden, doch zu diesem Zeitpunkt bereits voller Vorwurf, voll von Enttäuschung.
Schleppenden Schrittes wandert Nadja weiter, wandert, bis sie die große Plakatwand erreicht hat, die ihr als Orientierung dient.
Plakatwand. Ein so seltsam unpoetisch klingender Name.
Mit grellroter Farbe sind damals Worte auf das Plakat gemalt worden, seltsame Zeichen, die Nadja nicht lesen kann. Nur die Bedeutung ist ihr einst erklärt worden, vor viel zu langer Zeit, um sich noch Gedanken darum zu machen. Wie so vieles, das einst Bedeutung gehabt hat. Wie ihr Name zum Beispiel.
Die Gestalt, die einst Nadja genannt wurde, betrachtet das Schild, betrachtete die Farbe, dreht sich um und verschwindet in einem zerbombten Hauseingang.
Was sie betritt, das ist ein kleiner und zugestellter Raum, kaum mehr als fünf auf fünf Schritte. Das tote Kaninchen legt Nadja auf eine schmale, hölzerne Anrichte, geht zwei Schritte und setzt sich auf eine auf dem Boden liegende Matratze.
Sie verschnauft.
Atmet ein.
Und wieder aus.
Und dann, als sie sich wieder aufrichtet und zur Anrichte schreitet, wieder das Messer aus Glas in der Hand haltend, hört sie es, das Heulen. Das Ächzen und Wimmern das Windes, die Vorboten des Sturms. Sie weiß, bald wird sie auch das Schleifen und Hämmern das Mülls und des Sandes hören, die durch den Sturm umgeformt wurden in eine Wand aus Rasierklingen, die jedem, der nicht in Deckung geht, die Haut von den Knochen schält.
Nadja erinnert sich deutlich, dass sie früher einmal Angst vor diesen Stürmen hatte. Vor den Dingen, die mit ihr geschehen würden, sobald sie hinausträte. Sie erinnert sich nicht mehr, wann diese Angst aufgehört hatte, nur, dass es seit langer Zeit so gewesen sein muss. Es muss ihn gegeben haben, diesen eindeutigen Punkt, in dem sie in dem Rufen des Sturms keine Warnung mehr sah, sondern einen Lockruf, ein Versprechen. Welch Gedanke, hinauszugehen und sich vom Sturm fressen und auslöschen zu lassen, und all den anderen zu folgen, die vor ihr gegangen waren.
Welchen Unterschied würde es machen?
Und wie oft hat sie sich diese Frage schon gestellt?
Doch natürlich tut sie es nicht. Statt dessen geht sie zu den Fenstern, um sie zu verschließen - und sieht etwas. Gerade, als sie die Läden vor die Fenster schieben und mit einem Stock befestigen möchte, sieht Nadja etwas im Sturm, etwas, das sich mühsam fortbewegt, taumelnd nur, eng in die Lumpen gehüllt, um sich vor dem Sturm zu schützen. Ein sinnloses Unterfangen, und Nadja weiß, dass sie etwas tun sollte, als sie diese fremdartige Erscheinung betrachtet. Doch die Scheu ist groß, und sie weiß nicht, wie sie es am besten anfangen soll.
Ein Stein, vom Sturmwind mitgerissen, trifft die Erscheinung am Kopf, und sie stürzt zu Boden. Ihre Arme bewegen sich noch, mühsam, ziellos, und es kostet sie sichtbare Mühe, sich wieder aufzurichten. Doch das Heulen das Windes wird aggressiver, drohender, das Wesen blickt ziellos umher, sucht nach einem Ort, sich zu verstecken.
Es ist zuerst nur ein Krächzen, das Nadjas Kehle verlässt, heiser und und misstönend, wie das Quietschen des Metallschildes, und doch scheint der Fremde sie zu hören, dreht den Kopf in ihre Richtung. Nadja öffnet die Tür, sicher gehend, sich dem Sturm nicht zu stark auszusetzen, und winkt. Und ruft.
"Komm hierher", das sind die ersten Worte, die sie spricht, zum ersten mal nach sehr langer Zeit.

„Du hattest Glück“, sagt Nadja, während sie die Wunde auswäscht. Ein Stück tiefer, und der Stein hätte dem Mädchen das Augenlicht geraubt, und doch bezieht sich der Satz nicht alleine auf die Wunde. Sie blickt in das Gesicht vor ihr, dieses junge, unversehrte Gesicht, dem weder Strahlung noch Krankheit bisher ihren Stempel aufdrücken konnten, und alleine dies ist mehr Glück, als eine einzelne Person auf dieser Welt verdient hat.
Und dann noch...
Dann noch hat das Mädchen Glück gehabt, nicht von etwas Schwererem als dem kleinen Stein getroffen worden zu sein. Sie hat Glück gehabt, nicht überfallen worden zu sein, von Räubern oder Soldaten, was macht es für einen Unterschied. Sie hätte von wilden Tieren angefallen oder von einem fehlgeleiteten Artilleriegeschoss zerfetzt worden sein können, oder aber, sie wäre in einer der Strahlungswüsten gelandet, die trotz ihres Namens oft blühen und gedeihen, und locken in fröhlichem Grün. Dichte, stolze Wälder wie in jener sagenhaften Zeit vor dem Krieg.
Sie brauchen nur Minuten, um jeden Menschen und jedes Tier, die sich in sie verirren, umzubringen. Die Bäume sind ein Warnzeichen. Die Strahlung hier ist derart tödlich, dass sich keine der vielen Armeen auch nur die Mühe gemacht hat, den Boden zu vergiften.
Man reist nicht mehr in dieser Zeit.
Und doch ist dieses Mädchen nun hier, hat so viel, so unglaublich viel Glück gehabt, und ist nun hier, in diesem toten, leeren und vergessenen Dorf.
Nadja streicht dem Mädchen über das Haar und unterdrückt ein Schluchzen. Und fragt:
„Warum bist du hier?“
Und für einen kurzen Moment füllt die Frage den Raum aus und gebietet Schweigen, bis sie vertrieben wird, von einem Laut, der vieles auf einmal ist, ein Schluchzen und ein Lachen, ein resigniertes Seufzen vielleicht.
Das Mädchen blickt auf und sie aus großen, dunklen Augen an.
„Weil ich es kann, vermute ich.“

Als sie sich gegenüber sitzen, die Greisin und das Mädchen, steht zwischen ihnen eine Kerze, derer schwacher Schein die einzige Beleuchtung im Raum ist, mehr Schatten als Licht spendend. Nadja war versucht gewesen, ein größeres Feuer zu machen, vielleicht auch das Kaninchen zuzubereiten – denn Gäste gehören bewirtet, das weiß sie - doch mit dem tobenden Sturm draußen ist sie immer noch gezwungen, die Fenster geschlossen zu halten. Ihre Höhle, die einst eine Wohnung gewesen war, hat keinen Kamin, und der Rauch würde das Atmen schwer machen.
Diese Kerze dort ist eine der wenigen Schätze, die Nadja ihr eigen nennt, keine von denen aus Tierfett, die sie selbst herstellt, sondern eine der alten aus Paraffin, die gleichmäßig und ohne Flackern brennt. Sie hat sie in einem kleinen Schränkchen verwahrt, zusammen mit einigen anderen Kostbarkeiten, die ihr zu wertvoll erschienen, um jemals wirklich genutzt zu werden.
Aber Nadja weiß genug von der Welt, wusste genug, damals, um die Wichtigkeit der Kerze, dieses kleinen Feuers zu kennen. Es gehört sich so, jetzt, wo sie einen Gast beherbergt. Genau wie das Gebräu, das sie beide nun wärmt, hergestellt aus dem Inhalt des kleinen Päckchens, das neben der Kerze lag. Zu schade für sich alleine, hatte sie irgendwann einmal beschlossen, und es seitdem nicht wieder verwendet, außer manchmal, in traurigen Momenten, um daran zu riechen und in dem Duft ein wenig Trost zu finden.
Obwohl der Tee über die Jahre hinweg viel von seinem Aroma verloren hat, durchzieht der zarte Duft nach Jasmin die Luft.

Nadja fragt: „Von wo kommst du?“
Das Sprechen fällt ihr langsam leichter, tut nicht mehr weh, obwohl sie weiß, bei Gott, dass sie aus der Übung ist. Doch auch das Sprechen ist wichtig, es ist ein Teil der alten Rituale - obwohl sie doch im Grunde ihres Herzens sicher ist, die meisten Antworten schon zu kennen.
Das Mädchen nimmt einen kleinen Schluck von ihrem Tee, bevor sie antwortet.
„Aus dem Westen. Aus einer kleinen Siedlung dort.“
„Siedlung.“ Ein großes Wort. „Wie viele Familien seid ihr?“
„Fünf.“ Ihr Blick wandert nach unten. „Wir waren zu sechst, aber Cane trank vergiftetes Wasser. Er... irgend etwas darin hat ihn verändert. Eines nachts hat er seine Familie getötet, während sie schliefen.“
„Ja.“
Das ist nicht die passende Antwort, und Nadja spürt das, aber es gibt nicht viel, was sie dazu sagen kann. Sie erinnert sich, dass einst, vor einer Ewigkeit, etwas ähnliches passiert ist, damals, als die anderen noch gelebt hatten. Sie erinnert sich nicht mehr an den Namen des Mannes, noch, ob er vergiftetes Wasser getrunken hatte. Sie erinnert sich an die Ruhe, die er ausgestrahlt hatte, als er ihnen erklärte, er habe sie alle nur erlösen wollen, und an sein gefasstes Lächeln, als sie ihn erschlugen, mit Knüppeln und Eisenrohren. Jeder musste mindestens einmal zuschlagen, und nie so fest, dass ein einzelne Schlag ausgereicht hätte, zu töten. Es musste eine gemeinsame Tat sein, um des Rechtes willen...
Sie merkt, dass ihre Gedanken im Wandern inbegriffen sind, und fasst sich wieder. Um irgend etwas zu sagen, fragt sie nach dem vergifteten Wasser.
„Ihr wart sechs Familien. Ihr müsst euch irgendwo aufgehalten haben, wo es sauberes Wasser gibt.“
Das Mädchen nickt. „Wir hatten eine saubere Quelle. Aber Cane war... neugierig. Er wollte die Welt sehen, sagte er, sie erforschen. Neues entdecken. Vielleicht etwas Nützliches, das unser Leben einfacher machen würde.“
Nadja nickt. Sie kennt diese Geschichte. „Und er fand den Tod.“
„Ja.“
„Und du? Du willst es ihm gleich tun?“
„Nein, ich-“
Das Mädchen verstummt.
„Ja.“
Eine weitere Pause.
„Vielleicht.“
Nadja lässt ihr Zeit, ihre Gedanken zu ordnen, während sie an ihrem Tee riecht und in die Flamme starrt, und dem Wind lauscht, der dort draußen ist und tobt und den sauren Regen vor sich herpeitscht.
Nadja wartet lange, bis sie fragt: „Warum bist du fortgegangen?“
Und das Mädchen wartet lange, bis es antwortet.

„Als ich dreizehn Jahre alt wurde, haben meine Eltern meinen alten Namen auf ein Stück Papier gezeichnet und ihn begraben. Ich mochte meinen alten Namen, viel mehr als den neuen, obwohl er doch eigentlich eine schöne Bedeutung hat. Sie haben mich Zoe genannt. Leben.
Und sie haben mich so genannt, weil ich als einzige in der Siedlung noch keine Narben hatte. Ich war nie krank, nie, selbst als kleines Kind nicht. Ich habe immer noch mein Haar.
Und dann... bekam ich meine erste Blutung. Ich war fruchtbar. Ich war die Hoffnung auf neues Leben in der Welt, in der ein Mensch seine Familie umbringt, weil er die falsche Quelle gefunden hat. In der die Menschen, mit denen ich aufgewachsen bin, mich anschauen wie... wie eine Heilsbringerin und wie ein Stück Fleisch, zur gleichen Zeit.“
„Du bist weggelaufen.“
„Ja.“
Nadja nickt müde.
Früher, das weiß sie, hätte sie mit Entrüstung auf diese Vorstellung reagiert, mit nackter Wut und Unglauben darauf, dass jemand, dem die Götter ein derartiges Geschenk gaben, diese Gabe wegwerfen und seine Verantwortung den anderen gegenüber ignorieren würde.
Den Weg gehen würde, den sie damals nicht gegangen war.
Sie hatten sie Nadja genannt, die Hoffnung, und sie war jung und schön gewesen, nicht von Krankheit und Strahlung entstellt, und fruchtbar. Und sie hatte ihre Pflicht gegenüber der Welt getan.
Es war in jenen Tagen, dass sie ihren Namen als Fluch begriffen hatte.
Strahlung und Krankheit hatten sie nicht für immer verschont, aber - immerhin - für eine kleine Weile, lange genug, um eine sinnlose, grausame kleine Hoffnung aufkeimen zu lassen. Eine Hoffnung, die zusammen mit dem kleinen Leben starb, das sie für zu kurze Zeit in sich getragen hatte.
Als ihre Haare danach anfingen, auszufallen so wie die der anderen, gab es keine Trauer mehr in den Herzen ihrer Familie, sondern eine stumme Befriedigung, die Strafe für ihr Versagen.
Nadja sieht ein Mädchen vor sich, dass diesen Weg nicht gehen will, und bringt es nicht über das Herz, sie zu hassen.

„Wohin möchtest du gehen?“
„Das weiß ich nicht.“ Zoe blickt sie an. „An einen Ort, der anders ist als die Welt, die ich schon kenne.“
Nadja verbirgt ihr Schmunzeln, indem sie an ihrem Tee nippt. Sie spürt den rauen Lehm des Bechers auf ihren Lippen, und schmeckt ihn auch, bei jedem Schluck, den sie nimmt. Den Becher aus Metall, den sie heute morgen gefunden hat, hat sie ihrem Gast überlassen.
„Du glaubst, dass es einen solchen Ort gibt?“
„Natürlich.“ Das Mädchen zögert nicht einmal einen Lidschlag lang mit der Antwort. „Es muss doch aber etwas auf dieser Welt geben, oder? Einen Ort, an dem es... an dem es nicht gut ist. Aber an dem es besser ist als hier, oder?“
Nadja unterdrückt ein Lachen. Es ist lange her, dass sie gelacht hat, und dieses wäre kein schönes Lachen.
„Glaubst du das?“
Zoe nickt. „Irgendetwas muss da sein. Ich höre vom Krieg, und manchmal sehe ich in der Ferne die Explosionen. Sie kämpfen um etwas. Das heißt, dass es da draußen irgendetwas geben muss, um das zu kämpfen es sich lohnt.“
Und für eine Sekunde nur, für einen winzigen Augenblick, stiehlt sich ein trauriges Lächeln auf Nadja Lippen.
„Etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt...“
Und für einen Moment möchte sie dem Kind vor sich erklären, was sie in ihren langen Jahren des Lebens gelernt hat. Sie, die diese kleine Siedlung nie verlassen hat, hat dennoch so viel gehört, von einigen wenigen Reisenden, von Truppen Soldaten, die durch die Ruinen zogen und vor denen sie sich verstecken musste, die sie jedoch, manchmal, belauschen konnte.
Und alle, ausnahmslos alle, reden sie vom Krieg. Von geschlagenen Schlachten, gefallenen Kameraden, verbrannten Dörfern.
Von der Heimat reden sie nie.
Nadja weiß, dass es dort draußen nichts mehr gibt, wofür es sich zu kämpfen lohnt; alles ist verstrahlt, verbrannt, vergiftet. Die Soldaten kämpfen, um den Krieg zu gewinnen, weil es das ist, was sie ihr Leben lang getan haben.
Nichts, rein gar nichts, ist dort draußen.

Doch als sie dem Mädchen vor sich in die Augen sieht, diese großen, dunklen Augen, sieht sie darin den alten Fluch, der ihr Name ist, und bringt es nicht fertig, diese Hoffnung zu zerstören.
So hört sie sich schließlich selbst sagen: „Sie kämpfen um Eden.“
Und das Mädchen schluckt den Köder ohne einen einzigen Moment des Misstrauens.
„Was ist Eden?“

Also erzählt Nadja. Sie erzählt von Eden, der letzten Kolonie der alten Zivilisation, irgendwo im Norden, eine Festung, die dem Krieg unerbittlich trotzt.
Von einer Zuflucht.
Von der Aussicht auf Frieden.
Sie erzählt von den Gefahren der Reise, davon, wie sehr man auf der Hut sein muss, möchte man diesen Weg gehen, und von den Freuden, die einen jedoch erwarten, wenn man es schließlich schafft, dorthin zu kommen. Denn obwohl die Armeen an diesem Paradies scheitern, gibt es für, die reinen Herzens sind, doch die Möglichkeit, hineinzugelangen.
Die Stadt erkennt die Ihren.
Und ist man erst hineingelangt, so findet man einen Ort, in der es keine Krankheit gibt, in der das alte Wissen noch stark ist, und an dem kein Platz ist für den Wahnsinn des langsamen Sterbens, der den Rest der Welt befallen hat.
Nadja erzählt von Wundern und Mysterien, hier, in ihrer kleinen, verfallenen Höhle. Über dem Schein der Kerze erzählt sie, Stunde um Stunde.
Und mit jedem Wort, das sie in ihre Geschichte webt, sieht sie, dass das grausame Geschenk, das sie Zoe macht, im Herzen des Mädchens Wurzeln schlägt.
Als sie sich schließlich schlafen legen, Nadja auf ihrem einfachen Lager, Zoe auf einer Decke neben der Kerze, träumt das Mädchen von einer magischen Stadt, für deren Entdeckung es sich zu leben lohnt.

Als Zoe am nächsten Morgen erwacht, spürt sie, dass die alte Frau gestorben ist. Sie sieht zu dem Lager, wo ein verdorrter Körper liegt und sich nicht rührt, und sie steht auf und nähert sich, langsam und Schritt für Schritt. Nadjas Augen sind geschlossen, und vielleicht ist dort sogar ein Lächeln auf ihren Lippen.
Zoe streckt die Hand aus, um sie zu berühren, doch etwas lässt sie innehalten. Sie bleibt für einen Moment so stehen, die Hand ausgestreckt, und lässt sie wieder sinken.
„Du alte Lügnerin“, murmelt sie traurig.
Und sie geht.
Doch nach ein paar Schritten kehrt sie um und nimmt das kleine Päckchen mit Jasmintee an sich. Und diesmal schafft sie es, die Wange der alten Frau zum Abschied zu streicheln.
Als sie schließlich auf die Straße tritt, betrachtet Zoe die alte Plakatwand vor sich, das verblichene Motiv, dass keinen Sinn ergibt, und die Worte, deren Bedeutung sie nicht kennt.
Sie blickt sich um.
Lächelt traurig.
Und geht nach Norden, auf der Suche nach einer Hoffnung, von der sie weiß, dass sie eine Lüge ist.
An die sie aber dennoch glauben kann.

Langsam verschwindet die schmale Gestalt in der Dunkelheit, die nach ihr greift, begleitet vom leisen Klagen eines rostigen Metallschilds.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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@Kraven

Stimmt. Solche Geschichten bringt man nur schwer zu Papier. Vor allem muss man darauf achten weder zu melodramatisch zu sein, noch dass einem der Ton abhanden kommt.
In deinem Fall trifft weder das eine noch das andere zu.

Du ziehst die düstere Stimmung bis zum Ende durch, lastest sie deinen Figuren wie schwere Gewichte auf und vor allem lässt du uns auch Zoes innere Zerrissenheit wirklich fühlen. Und das ist gut so, denn wenn unser Herz nicht mit ihr wäre, würde all das was du da schreibst nicht funktionieren.
Tut es aber.
Es ist ein schönes Stück subjektiver Verzweiflung die du da zu Papier gebracht hast, bei der man sich jetzt streiten könnte, ob der kleine Hoffnungsschimmer am Ende nicht hätte wegbleiben sollen, aber ich persönlich denke, dass er durchaus passend ist.
Ob begründet oder nicht wissen wir nicht, aber was ich weiß ist, dass das hier ein schönes Stück Fiktion geworden ist, auf das du wirklich stolz sein kannst, obwohl oder gerade weil es eben von den Gefühlen lebt die die Geschichte verströmt.

Schönes Ding, wirklich:).
 

Mantis

Heilende Hände
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Es war wieder einmal einer dieser Tage...

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T minus 137 D

Die ersten Anzeichen sind sichtbar. Wir haben noch nicht damit gerechnet, dass es so früh anfangen wird, doch der Verfall und der langsame, aber sichere Beginn des Wahnsinns zeigt sich.
Sicher, es sind noch wenige, aber wir, die wir beobachten, spüren die kleinen Veränderungen im Fluss der Menschenmassen auf den Straßen. Wir fühlen die Schwankungen in größeren und kleineren Versammlungen, bei Reden, Konzerten, in Bars und Diskotheken. Im Fernsehen und im Radio, sogar in einigen der überregionalen Zeitungen.
Es scheint schlimmer als die Jahre zuvor.
Es bleibt uns nichts zu tun als abzuwarten und zu hoffen.
Hoffen, dass die Prophezeiungen sich auch dieses Jahr irren.
Dass wir ein weiteres Jahr geschenkt bekommen.


T minus 108 D

Der erste Ansturm ist vorüber.
Es war schlimmer als wir erwartet hatten, als wir erwarten konnten.
Noch haben wir keine offiziellen Zahlen über die Verletzten und Toten, noch nicht einmal inoffizielle Schätzungen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Zahlen kennen will, aber ich bin mir im Klaren darüber, dass auch dies zu meinen Aufgaben gehört. Irgend jemand muss den Überblick darüber behalten, muss die Warnung über diese schrecklichen Zeiten weiter tragen, auf dass andere Nationen und die zukünftigen Generationen von unserem Schicksal lernen mögen.
Doch im Moment bleibt uns nichts anderes übrig außer zu warten, bis sich der Rauch gelegt hat und keine Geschosse mehr über die Straßen fliegen. Wir sind in der Unterzahl, und an Tagen wie diesem zeigt sich wieder einmal, dass man es denen, die der Epidemie zum Opfer gefallen sind, in der Regel nicht ansehen kann.
Bis es zu spät ist.


T minus 106 D

Es waren so viele.
So viele Verlorene.
Die Stadt war verwüstet, doch wir haben ganze Arbeit geleistet. Wieder einmal. Die Spuren der gestrigen Zerstörung sind kaum noch sichtbar, die zerschmetterten Schaufenster abgeklebt und man kann durch die Straßen laufen ohne mit jedem Schritt Glasscherben unter seinen Schuhen zu zermalmen.
Wir haben jene geborgen, die von der Masse ausgespuckt und liegen gelassen wurden, und auch wenn wir nicht sicher sein können, ob sie den Virus nicht doch in sich tragen, so müssen wir ihnen doch helfen. Wir können nicht sicher sein, und gerade dieses Jahr können wir es uns nicht leisten, Unschuldige zu verstoßen.
Gerade dieses Jahr könnte es darauf ankommen.


T minus 50 D
Alles hat sich beruhigt – fast ist es, als wäre nichts, als gäbe es da keine unheilige Bedrohung, die in unserer Mitte schläft und darauf wartet, sich erneut zu erheben wenn ihre Zeit gekommen ist.
Wir wissen, dass sie da ist, und in ihrem bestialischen Bewusstsein weiß sie auch um uns.
Es wird sie nicht bekümmern – nichts kann sie bekümmern.
Das ist vielleicht einer der Gründe dafür, dass sie so gefährlich ist.
Uns bleibt nichts, als zu warten – und die Zeit zu genießen, die uns noch bleibt.


T minus 12h
Wir werden heute Nacht nicht schlafen.
Wir werden Wache halten.
Die Älteren unter uns sind der Meinung, dass das nicht nötig ist. Sie denken, dass alles so ist wie in vergangenen Tagen.
Doch die Zeiten haben sich gewandelt. Die Horden würden uns überrennen ehe wir ihrer auch nur gewahr wären.
Also bleiben wir wach.

Wir haben von solchen gehört, die es im Schlaf überrascht hat.
Die abends als normale Bürger ins Bett gingen, und am nächsten Morgen verändert waren. Es geschieht in Nächten wie dieser, und auch wenn keiner von uns so genau weiß, wie es passiert, so hat sich in unsere Herzen doch die Furcht geschlichen.
An manchen Nächten ist es sicherer, Wache zu halten und bis zum Sonnenaufgang auszuharren.


Donnerstag, 1500

Wir haben den ersten Ansturm überstanden.
Und wir haben nur drei Dutzend Agenten verloren – vier von ihnen wurden erschlagen, drei totgetrampelt, der Rest gilt offiziell noch als vermisst.
Aber wir alle wissen, was mit jenen passiert, die dieser Tage in der Stadt verschwinden.
Zwei Stunden in der Masse reichen aus, um selbst den tapfersten Menschen zu korrumpieren. Man passt sich der Masse an oder man wird von ihr vernichtet.
Ich weiß nicht einmal, ob ich es ihnen verübeln könnte – wer weiß, wie ich in derselben Situation reagieren würde.
Gott bewahre.


Samstag, 0600

Es ist wieder ruhig geworden. Zum ersten Mal seit Tagen traue ich mich, einen Moment die Augen zu schließen.
Meine Kameraden werden über mich wachen.
Sie wissen, was zu tun ist, wenn ich nicht als ich selbst erwache.
Sie kennen die Zeichen.

Ich würde für jeden von ihnen das gleiche tun.


Sonntag, 1944

Ich traue mich kaum, diese Worte nieder zu schreiben, aber... es kam alles nicht so schlimm wie wir es befürchtet haben.
Es bleibt mir kaum Zeit, diese Zeilen zu schreiben. Die Stadt ist zum Notstandsgebiet erklärt worden. Niemand kommt hier mehr raus – niemand kommt hier mehr rein.
Wir sind auf uns gestellt.
Wir sind es nicht anders gewöhnt.
Es sind Zeiten wie diese, in denen wir erfahren, woraus wir gemacht sind. Was uns im Innersten zusammenhält.


Montag, 0712

Der Tag beginnt ruhig, die ersten Sonnenstrahlen färben den Horizont in Pastelltönen.
Noch ist kaum jemand auf den Straßen, und ich kann nicht umhin zu denken, dass es so friedlich aussieht dort draußen.
Ruhe vor dem Sturm.


Montag, 1130

Ich glaube nicht mehr daran, dass wir überleben werden.
Ich würde sogar noch weiter gehen – ich weiß nicht, ob sich ein Überleben unter diesen Umständen überhaupt noch lohnt.
Ich sitze in unserem Hauptquartier, der letzten Bastion der Vernunft, der Menschlichkeit, vor dem Ansturm der wahnsinnigen Massen, und ich höre sie kommen.
Ich höre ihre Trommeln – noch leise, in der Ferne, doch sie kommen näher. Es ist, als hätten sie mich von Anfang an umkreist, als würden sie mich anpeilen.
Und ich weiß, dass es ihnen nicht reicht, solche wie mich zu vernichten. Die gefräßige, heranwalzende Masse wird sich mich einverleiben, und sie werden dabei ihren Spaß haben.
Natürlich werden sie den haben.
Das ist es doch, was sie ausmacht.

Vielleicht habe ich schon zu viel gesehen, um jetzt noch Angst zu haben. Schließlich ist die Welt dort draußen verloren. Wenn die Vernunft schon untergegangen ist, und jeder, den ich einst kannte und als Freund schätzte, verdreht und verdammt ist – wozu sollte ich dann noch hier verweilen?

Sie kommen näher.
Ich höre ihre Gesänge.


Montag, 1215

Eigentlich haben sie sogar einen gewissen Rhythmus in ihrem Marsch der Verdammten.
Eigentlich klingt das ja gar nicht so...

Nein
Ich kann das nicht zulassen

Ich sollte... ich sollte rausgehen und mir den Schrecken mit eigenen Augen ansehen. Bevor ich noch abstumpfe.
Genau.
Mir ein eigenes Bild machen.

Nur kurz.


Montag, 1240

Was mache ich eigentlich, so janz allein hier drin?
Ich sollte da rus jonn un fiere

oh Gott was passiert mit mir was

soll ich denn wo aaanders, das hääätt doch kene Sinn
 

Lisra

Schmusekater
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Aber das is priiiimaa! :c:
 

Zelon Engelherz

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Traurig*Clownsnase aufsetz und in Tröte blas*
 

Chinasky

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ROFL! Ich hab's bis Montag nicht kapiert und hatte immer irgendeine Zombie-Epidemie vor Augen. Sehr geil!
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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Inspiriert von einem Buch, das Kraven mir letztes Jahr gab.

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Nach drei Tagen gingen ihnen die Antidepressiva aus.
Das war nicht gut.

"Wie geht es dir?"
"Scheiße. Mir tut der Kopf weh und ich will einfach nicht mehr."
"In der nächsten Siedlung finden wir bestimmt etwas."
"Und wo soll die sein?"
"Bald sind wir da. Bestimmt."
"Hrmpf. Was schert es dich eigentlich?"
"Ohne dich bin ich verwundbarer. Und ich brauche jemanden zum reden."
"Jaja. Früher hast du mich nicht einmal mit den Arsch angeschaut."

Das stimmte.
Früher waren sie nicht einmal Freunde gewesen.

"Wie geht es dir heute?"
"Ich musste gestern an meinen Großvater denken. Am Ende wusste er nicht einmal mehr, wer wir waren, aber wir haben ihn trotzdem jeden Tag den Arsch abgewischt."
"Wie war er davor?"
"Mürrisch. Hasserfüllt. Ihm gefiel diese Welt einfach nicht mehr. Konnte ich nachvollziehen."
"Warum?"
"Mir hat sie auch nie gefallen."
"Du übertreibst bestimmt."
"Was weißt du schon?"

Es wurde immer wärmer.
Sie hatten die Wahl zwischen Hitzeschlag und hochgradigen Verbrennungen.

"Weißt du, niemand mochte mich."
"Das stimmt doch nicht."
"Doch, tut es. Niemand wollte mich und irgendwann hatte ich meinen Frieden damit gemacht und nur auf das Ende gewartet. Ich fühl mich ja ein wenig verarscht."
"Weil du noch lebst?"
"Ja."
"Life is a bitch."
"Das stimmt. Wir kriegen nie was wir uns wünschen.
"Geh schlafen. Ich weck dich dann."

Am nächsten Morgen war einer von ihnen tot.
Die Sonne brannte sich durch die Kapuze des anderen, als er weiterging und sich still über das Dahinscheiden seines Begleiters ärgerte.
 
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