BA - Halbwesen

Mantis

Heilende Hände
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Dieser Thread ist Teil des Projekts Bardenakadamie.
Jeder ist willkommen, seine eigene(n) Geschichte(n) zum Thema "Halbwesen" hier zu posten und dazu eingeladen, die Geschichten der anderen Schreiberlinge zu kommentieren.

Viel Spaß beim Schreiben und Lesen. :)

Bisherige Beiträge:
Der Halb-Elf - Zelon
Schutzengel - Kraven
Zwischen den Zeilen - Lisra
Sniper - Kraven
 
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Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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Der Halb-Elf​

Tira war elf Jahre alt, aufgeweckt, fröhlich und der Augenstern ihrer hart arbeitenden Eltern.
Und seit gestern war sie verschwunden. In der Nachbarschaft war man alle Möglichkeiten durchgegangen, eine düsterer als die andere, doch am Ende deuteten alle Spuren auf die verbotene Gasse, in der Nähe des großen Baums des Viertels hin. Genau dorthin, wo ein Rudel von Stadtelfen sich niedergelassen hatte.
In solchen Fällen wandte man sich immer an eine Person, die einzige, die man als Spezialist im Umgang mit diesen Kreaturen, die als Nebeneffekt auf die magischen Strömung über und unter der Stadt entstanden waren, bezeichnen konnte.
Man wandte sich an den vierteleigenen Halb-Elfen.
Ein Wesen entstanden aus einer Verbindung zwischen Mensch und Stadtelf, von den einen als abscheuliches Wechselbalg verachtet, von den anderen als unheimliches Feenwesen gefürchtet.
Doch am Ende mussten auch Halb-Elfen, von denen es einige in der Stadt gab, essen wie jeder normale Mensch auch. Jener spezielle Halb-Elf, an den sich die besorgten Eltern des Mädchens wendeten, war da keine Ausnahme.
Also legte er sich seinen Mantel über und ohne viele Worte zu verschwenden, brach er auf, das Mädchen zu befreien.
Allerdings fragte er sich kurz darauf, wie er das anstellen sollte, während er mit den Händen in den Manteltaschen die schmutzigen Pflasterstraßen entlangging.
Der schwarze Rauch, der aus den gewaltigen Schornsteinen der unzähligen Fabriken der Stadt entwich, spiegelte ungefähr seine eigene Stimmung wieder. Er konnte sich denken, warum die Elfen das Kind entführt hatten und von daher wusste er auch, dass sie es nicht so leicht wieder freigeben würden, trotz der Wertgegenstände, die ihm die besorgte Familie zum Tausch mitgegeben hatten.
Wenn er Recht behielt, konnten alle Golduhren der Welt Tira nicht mehr freikaufen.
Er kam an einem Schaufenster vorbei, an dem er stehen blieb und einen uninteressierten Blick auf die Auslage warf. Unter anderem stand ein Spiegel zum Verkauf und so sah er, dass er mal wieder eine Rasur nötig hatte. Er fuhr sich über die sprießenden Barthaare, die sich wie Streichhölzer anfühlten und teilweise so aussahen und auch seine Haut fühlte sich so spröde an, wie die Backsteine, denen sie so ähnlich sah. Seine irislosen, kohlschwarzen Augen verengten sich etwas und er knirschte kurz mit den Zähnen, weil ihm erneut einfiel, was wirklich auf den Spiel stand. Nicht nur das Leben eines kleinen Mädchens und seine eigene Unterkunft, nebst einer regelmäßigen Bewirtung durch die Bewohner des Viertels, nein, auch der brüchige Frieden zwischen Stadtelfen und Menschen. Wenn er sich dumm anstellte, würde Blut fließen, hauptsächlich menschliches, bis die Jäger der Königin mit ihren Flammenwerfern aufräumen würden und das wollte auch niemand. Es war schon frustrierend, wenn ausgerechnet er, der als Wechselbalg verschrieene Außenseiter, plötzlich für alle die Kohlen aus den Feuer holen musste.
Der Halb-Elf seufzte, wandte sich vom Schaufenster ab und ging weiter, um es endlich hinter sich zu bringen. Seine Hände glitt an seine rechte Seite und dass er den Griff seines Revolvers durch den Stoff seines Mantels spürte, beruhigte ihn ein wenig. Sechs Kugeln, mehr hatte er nicht, da er auch keine Zeit bekommen würde nachzuladen. Das musste einfach reichen. Er knirschte noch einmal nervös mit den Zähnen und bog nun in die dunkle Gasse ab, als sie endlich in Sicht kam.
Es war eine Sackgasse.
Der Boden war mit Ranken durchsetzt und auch die Wände waren mit zahlreichen Kletterpflanzen behangen, an denen wiederum mehrere geschlossene Blüten hingen.
Der Halb-Elf runzelte kurz die Stirn, schlug die rechte Seite seines Mantels zurück, um seinen Waffengurt freizusetzen und legte die Hand an seine Pistole.
Als er es von allen Seiten rascheln und knacken hörte, wusste er, dass sie kamen.
Die Knospen an den Ranken öffneten sich und kleine, bepelzte Frauen mit Fledermausschwingen flogen durch die Luft und machten dabei einen Höllenlärm, während sich die Schatten zu bewegen begannen und leise, unverständlich vor sich hin murmelten. Die Ranken selbst wurden zu länglichen, dürren Körpern, die den Halb-Elfen aus leeren angedeuteten Augenhöhlen beobachteten, während sich das Geflecht immer mehr in Körper mit Füßen, Händen und sogar zu Mündern mit kleinen, hölzernen Zähnen verwandelte.
Der Halb-Elf selbst verzog keine Miene, obwohl sich sein Magen nervös zusammenkrampfte, wogegen er nur ein weiteres Zähneknirschen als Gegenmittel aufzubringen hatte.
Ganz gleich wie oft er Zeuge dieses Schauspiels wurde, so richtig daran gewöhnen konnte er sich nicht. Es machte ihn schlichtweg nervös und das war schlecht. Denn wenn die Stadtelfen vor etwas absolut keinen Respekt hatten, dann Leute die auch nur das kleinste bisschen Furcht zeigten. Sobald sie bei jemanden auch nur die kleinste Spur davon feststellten, würden sie mit ihm machen was sie wollten und das wiederum wäre schlecht für die Verhandlungen und insbesondere für sein Gesicht.
Also riss er sich zusammen und strengte sich sehr an, eine ruhige Miene zu wahren, auch wenn sein Magen ihm eine andere Geschichte erzählen wollte.
Derweil begann nun auch der Boden leicht zu beben und das Pflaster bewegte sich langsam aber sicher nach oben. Eine Kreatur aus purem Gestein, mit einem Gesicht wie ein Eber und zwei Meter groß, erhob sich mit lautem Getöse, brüllte kurz auf und stellte sich dann mühsam auf ihre gewaltigen Pranken, um ihren Kopf leicht vorzubeugen. Der Halb-Elf hatte so einen guten Blick auf den Kopf des Ungeheuers, dessen gesamte rechte Gesichtshälfte – und wohl auch darüber hinaus – mit einem violett leuchtenden Kristall überzogen war.
Der Kristall selbst sah dem Gesicht eines jungen Mannes mit spitzen Ohren sehr ähnlich und kurz darauf begann er zu sprechen.
,,Hallo Drevin'', erklang es im Kopf des Halb-Elfen, einem leichten Windhauch nicht unähnlich.
Dieser nickte nur kurz, während sein Magen nun wirklich zu schmerzen begann und er eine Gänsehaut bekam.
,,Hallo Taél.“
,,Wie können wir dir helfen, Cousin?“, säuselte die Stimme wieder durch seine Gedankengänge und ließ seine Stirn unangenehm jucken. Außerdem weckte das Wort „Cousin“ in ihm auch den Drang, dem Sprecher der Stadtelfen seine Faust in die spitzohrige Visage zu schlagen. Er hasste diese Bezeichnung, mit der die Stadtelfen zu erkennen gaben, dass er einer der ihren war, die einer der Gründe war, warum seine Kindheit nicht ganz einfach verlaufen war. Es war eine dieser vielen Erinnerungen, die ihn in seinen dunkelsten Stunden immer am meisten niederdrückten, wenngleich er Taél keine böse Absicht mit dieser Bezeichnung unterstellen wollte. Das war einfach ihre Art, es entsprach schlichtweg ihrem Wesen, genau wie die Entführung darauf zurückzuführen war, dass sie vieles nicht verstanden und nur ihre eigene, beschränkte und unberechenbare Perspektive hatten. Damit musste man einfach leben.
Drevin räusperte sich kurz, überlegte ob er ausspucken wollte, unterließ es dann aber doch, um ihnen keinen eingebildeten Grund zu geben, sich provoziert zu fühlen.
,,Nur eine Kleinigkeit, wirklich. Seit gestern vermissen die Leute aus dem Viertel eines ihrer Mädchen und wie es scheint, wurde sie hier zuletzt gesehen. Ihr wisst nicht zufällig, wo sie zu finden ist?“
,,Doch, wissen wir. Sie ist bei uns.“
,,Ah, sehr schön. Dann danke, dass ihr auf sie aufgepasst habt und...“
,,Und sie wird auch bei uns bleiben!“
Da, der Elf hatte es gesagt und nun musste Drevin sich was einfallen lassen.
Solche Nächte waren ihm immer am meisten verhasst.
Er seufzte, fuhr sich kurz über das Gesicht und begann dann langsam weiter zu sprechen.
,,Taél, das ist keine gute Idee und das wissen wir beide.“
,,Sie wird unsere Königin werden. Ich kann nichts schlimmes daran erkennen, Drevin. Wir brauchen eine Königin, wenn wir als Hofstaat auftreten wollen und das weißt du.“
,,Ja, weiß ich. Aber du erinnerst dich doch sicherlich auch an die Abmachung, oder?“
Von überall her hörte er es nun gefährlich zischen und manches Flüstern wurde nun auch lauter und zorniger. Natürlich erinnerten sich die Elfen an die Abmachung und selbstverständlich ehrten sie das Abkommen, sie hassten es nur, daran erinnert zu werden.
Drevin setzte nach.
,,Regelmässig Alkohol und ein gutes Stück jeder Mahlzeit für euch und dafür haltet ihr den Abschaum und die anderen „Cousins“ vom Rest des Viertels fern. Das war die Abmachung, Taél, und bisher sind wir damit doch ganz gut gefahren. Warum also das gefährden, hmm? Warum den Frieden stören, wenn es dafür doch wirklich keinen Grund gibt? Sag es mir.“
Das mehrfache Geflüster und Gezische wurde nun noch lauter und vehementer.
Trotzdem fühlte er sich auf der sicheren Seite, denn wenn sie sich aufregten, bedeutete das, dass sie nicht nachdachten und noch nicht wussten, ob sie Tira behalten und den Ärger mit den Viertelbewohnern riskieren wollten. Er musste sie weiter bearbeiteten, ihre Ängste schüren.
,,Ihr wollt doch nicht die Aufmerksamkeit der Jäger auf euch ziehen, oder? Ihr erinnert euch an die Männer mit den schwarzen Uniformen und den bösen Flammenwerfern auf ihren Rücken. Vor allem wisst ihr doch sicher noch, was aus euren Cousins vom Dreibaumplatz geworden ist.“
Zur allgemeinen Geräuschekulisse gesellte sich nun auch verängstigtes Geschrei dazu, welches sich in seinen Ohren wie eine Mischung aus Hundegebell und den Schmerzgeschrei von Katzen anhörte.
Natürlich erinnerten sie sich an das Massaker vom Dreibaumplatz, an die niedergebrannten Häuserruinen, den Rauch der Scheiterhaufen, auf denen drei Tage lang ununterbrochen gefangene Stadtelfen verbrannt wurden, an den Geruch von verbranntem Fleisch und die aufgespießten Überreste jener wenigen, die zur Abschreckung in den übrigen Vierteln aufgestellt worden waren.
Sie erinnerten sich nur zu gut daran, wie ihre wüsten Diskussionen bewiesen und das brachte Drevins Magen dazu, sich wieder zu entspannen. Nun hatte er sie fast, jetzt bedurfte es nur noch weniger Worte, dann konnten er und das Mädchen diesen Ort verlassen, ohne groß noch behelligt zu werden. Vielleicht würde es doch noch ein guter Abend werden.
Er ließ die Elfen noch eine Weile diskutieren und schaute zwischen Taél und seinem Wirt, den umherschwirrenden Fledermausfrauen, den Rankenwesen und den sich bewegenden Schatten hin und her, nur um sich dann wieder mit einem Räuspern zu Wort zu melden.
Kurz darauf wandten sich alle Blicke wieder ihn zu, was ihn wieder etwas nervöser machte, aber trotzdem nicht das Gefühl von Sicherheit aus seinem Innern vertreiben konnte.
,,Ganz ruhig, Leute, es ist doch jetzt noch gar nichts passiert. Die Sache mit Tira war ein kleines Missverständnis, kann ja mal vorkommen. Mein Vorschlag ist ganz einfach: ihr gebt mir das Mädchen und wir vergessen die ganze Sache einfach, in Ordnung? Und wenn ihr eine Königin wollt, lässt sich da doch auch etwas arrangieren. Ich werde den Leuten im Viertel sagen, dass sie sich nach der richtigen Person umsehen sollen und wenn sie sie finden, bringen wir sie hierher und stellen sie euch vor. Und wenn sie euren Ansprüchen gerecht wird und sie einverstanden ist, sind wir am Ende doch alle zufrieden und niemand kommt unnötig zu Schaden.
Na, was sagt ihr?“
Sie fingen wieder an zu diskutieren und überließen ihn wieder sich selbst. Mit beiden Händen nun in den Manteltaschen, wartete er geduldig auf das Ende der Diskussion. Seine Gedanken glitten dabei ab und er begann über den Bedarf des Rudels nach einer Königin nachzudenken. Natürlich wusste er, wozu die Stadtelfen eine brauchten, beziehungsweise warum sie überhaupt eine wollten. Es war einfach Tradition, ein Rudel strebte immer danach, ein Hofstaat zu werden und dazu brauchten sie eine Herrscherin, eine spirituelle Lichtgestalt, um die sich alles drehte, selbst wenn sie im Falle der Stadtelfen keine Entscheidungen traf und den ganzen Tag über von deren Magie berauscht war und in einer Traumwelt jenseits der echten Welt verlebte. Was aber viel wichtiger war, war der Fakt, dass die Königin die Mutter neuer Halb-Elfen sein würde, die für den Rest des Hofstaats Dinge tun konnten, zu denen die richtigen Elfen nicht in der Lage waren. Zum Beispiel mehr als zehn Sekunden über etwas nachzudenken, ohne gleich vom nächstbesten Impuls zu sonst etwas verführt zu werden. Des weiteren konnten Halb-Elfen die Menschen besser verstehen als jeder Stadtelf dazu in der Lage wäre, zumindest in der Theorie, wenn sie den Hofstaat auch mal verließen und eine andere Welt kennenlernten. Und was am wichtigsten war: sie konnten kaltes Eisen berühren, ohne sich die Hände dabei zu verbrennen oder vor Agonie schreiend sofort zu vergehen. Zumindest wenn die Klinge oder die Kugel aus diesem Material nicht zu tief in ihren Körpern steckte. Es brachte also nur Vorteile eine Königin zu haben. Man brauchte dafür nur die passende Kandidatin und meistens waren die Stadtelfen diesbezüglich sehr wählerisch. Leider tendierten sie auch dazu, die glücklichen Auserwählten einfach von ihrer Familie zu rauben, so wie es mit Tira geschehen war, keinen Gedanken an die Folgen verschwendend. Ironischerweise gab es jedoch auch einige Frauen, die sich nur zu gerne für die Krönung bereit erklärten. Sie rekrutierten sich aus den Rängen von hungrigen Bettlerinnen, ausgebrannten Drogensüchtigen und Magierinnen und allgemein Frauen, die der Meinung waren, in dieser Welt ihr Glück nicht mehr finden zu können. Genug Freiwillige gab es also zu Genüge, die Elfen gaben sich meistens nur nicht mit dem, was vorhanden war, zufrieden.
Inzwischen schienen sie zu einem Ergebnis gekommen zu sein und wandten sich wieder an ihn. Drevin konnte anhand von Taéls Gesichtsausdruck entnehmen, dass er und wahrscheinlich alle nicht sonderlich mit dem Ergebnis zufrieden war.
,,In Ordnung, Drevin, du kannst das Mädchen wieder mitnehmen. Aber wir wollen jemanden, der sie ersetzt und zwar bald! Verstanden?“
Drevin nickte.
,,Verstanden. Keine Sorge, wir werden uns Mühe geben.“
Taél ließ den Kopf des Steinwesens nicken, dann drehte sich die gewaltige Kreatur langsam Richtung Gassenmauer und schlug einmal mit der Faust auf den Boden.
Die Mauer schob sich langsam auseinander, bis ein Spalt entstand, der für eine Person groß genug war und kurz darauf trat eine kleine Gestalt aus der Dunkelheit hinter der Mauer, in die etwas weniger finstere Gasse. Sichtlich verängstigt schaute sich das kleine Mädchen um und als es der Elfen gewahr wurde, wich es augenblicklich wieder zurück, aber der Spalt hatte sich bereits wieder geräuschvoll geschlossen, sodass ihr Rücken auf nackten Stein stieß.
Drevin bewegte sich langsam auf sie zu, die Hände erhoben und aus den Augenwinkeln auf die restlichen Elfen achtend. Die Aufregung wurde wieder größer.
Jetzt galt es, jetzt war der Moment gekommen, der alles über alles entschied.
Als er bei ihr angekommen war, ging er leicht in die Hocke und senkte leicht seine Stimme, um beruhigend zu klingen.
,,Hallo Tira. Ich bin's, Drevin. Deine Eltern haben mich geschickt, um dich zu ihnen zurück zu bringen. Keine Sorge, es ist alles in Ordnung. Die Elfen haben nur einen kleinen Fehler gemacht und es tut ihnen sehr leid. Na komm, lass uns nach Hause gehen.“
Er streckte ihr die linke Hand hin, während sich seine Rechte wieder an den Griff seines Revolvers legte. Das Mädchen zögerte kurz, griff dann aber doch nach der Hand des Halb-Elfen und drückte sie fest. Drevin drückte aufmunternd zurück und nickte ihr zu. Dann richtete er sich wieder auf, fasste die Elfen ins Auge und ging langsam mit seiner Begleiterin los.
Die Blicke der Stadtelfen folgten ihnen die ganze Zeit, ihre Haltungen zeigten, dass ihre Laune von Augenblick zu Augenblick immer schlechter wurde und sie wer weiß was tun würden, wenn ihnen danach war. Drevins Griff um seinen Revolver wurde noch viel fester und er steigerte leicht das Tempo, um aus der Gasse zu entweichen, die gefühlt immer länger und breiter wurde.
Im Hintergrund hörte er es wieder zischen und flüstern, was sein Herz nun laut gegen seine Brust pochen ließ. Es waren nur noch wenige Meter, bis sie das Ende der Gasse erreicht hatten.
Auf einmal stellten sich ihm die Nackenhaare auf und das ungute Gefühl in seiner Magengegend kehrte wieder zurück. Etwas stimmte hier nicht.
Plötzlich fühlte er einen Windhauch über seinem Kopf und der Geruch von Abfällen stieg ihm in die Nase. Von da an übernahmen seine Reflexe die Oberhand. Er zog seinen Revolver aus dem Holster, drehte sich um und feuerte zweimal schnell hintereinander in die Luft.
Er hatte Glück und traf seinen Angreifer beide Male, erwischte dabei sogar zwei wichtige Stellen, die Brust und den Kopf. Laut brüllend glitt die Kreatur, deren Körper einer Mischung aus dürren Mann und Ratte ähnelte, zu Boden und zuckte nur noch ein-, zweimal ehe sie dann still liegen blieb. Ein gutes Zeichen dafür, dass die Kugeln aus kalten Eisen sehr gut und sehr tief eingedrungen waren. Tira schrie während des Angriffs aus vollem Halse, nur um kurz darauf herzzerreißend zu schluchzen und ihr Gesicht in ihren Händen zu bergen. Drevin richtete seinen Revolver instinktiv auf Taél, der entsetzt dreinschaute.
,,WAS SOLL DER SCHEISS, TAÉL?“, brüllte Drevin aus vollem Hals, während er die unaufhörlich weinende Tira instinktiv mit der freien Hand an sich drückte.
,,DAS GEHÖRTE NICHT ZUR ABMACHUNG, VERDAMMT NOCHMAL! HABT IHR ÜBERHAUPT EINE AHNUNG, WAS HIER AUF DEM SPIEL STEHT? WENN ICH UND DAS MÄDCHEN NICHT ZURÜCKKEHREN, TAUCHEN HIER BALD DIE WÄCHTER AUF UND RÄUMEN MIT DEM GANZEN VIERTEL AUF, GEHT DAS NICHT IN EURE SCHÄDEL? WIE OFT MUSS ICH DAS NOCH WIEDERHOLEN?“
Drevin musste auf irgendeine Art und Weise sehr einschüchternd wirken, denn der Steinriese wie auch die anderen Stadtelfen wichen alle einen Schritt zurück. Die Haltungen der meisten von ihnen zeugten von Furcht, ob jedoch vor seinen Worten oder vor Drevin selbst wusste der Halb-Elf nicht zu sagen. Er schnaubte lediglich noch einmal und verließ rückwärts gehend nun endlich die Gasse, weder den Revolver dabei in keiner Weise senkend, noch das an ihn gedrückte Mädchen weniger fest umklammernd. Er ließ die Stadtelfen in ihrer heimatlichen Düsternis zurück und erst als sie sich unter einer Laterne, die wie die ewige Königin im grünen Palast geformt war, standen, gestattete er sich ein wenig zu entspannen. Seine Beine fühlten sich von einem Moment auf den anderen recht zittrig an, auch sein Revolverarm wurde sehr schwer und plötzlich war ihm sehr schlecht, als ihm aufging, wie knapp er einer Abschlachtung durch die Stadtelfen entronnen war. Wenn sie gewollt hätten, hätten sie dem Beispiel ihres Artgenossen Folge leisten und ihn mit Leichtigkeit überrumpeln können, aber zum Glück hatte er dieses Vorhaben mit seinen beiden Glückstreffern gleich im Keim erstickt.
Trotzdem war dieser versuchte Bruch der Abmachung beunruhigend. Es zeigte, dass die Stadtelfen immer weniger Respekt vor den normalen Sterblichen zu haben begannen und dass die Leute des Viertels sich vielleicht bald vor mehr als vergleichsweise harmlosen Streichen, Diebstähle und Entführungen fürchten mussten. Das war schlecht, sehr schlecht sogar.
Drevin ging auf, dass er wohl bald eine Versammlung mit den anderen Halb-Elfen, die ihrerseits als Wächter ihrer Viertel arbeiteten, einberufen musste, um mit ihnen eine Lösung auszuarbeiten, die nicht auf die Ankunft der königlichen Wächter hinauslief. Zwar würde er sich dann wohl anhören müssen, sein Viertel nicht unter Kontrolle zu haben, aber was das betraf, konnten ihn die anderen mal gerne haben. Schließlich konnte das jedem passieren und es war reine Glückssache, wenn sich die vierteleigenen Stadtelfen den Großteil der Zeit ruhig verhielten.
Tira riss ihn aus seinen Gedanken, denn nachdem sie sich für eine Weile ruhig verhalten hatte, begann sie wieder zu weinen.
Drevins Gesichtsausdruck wurde augenblicklich weicher. Er beugte sich hinab, um sie in die Arme zu nehmen, was das Mädchen dankend annahm und sich an ihn pressen ließ. Er drückte so fest zurück, wie er meinte tun zu können, ohne sie zu zerquetschen, sprach beruhigend auf sie ein, hielt sie einfach fest.
Ihm kam der Gedanke, dass am Ende trotz aller zukünftigen Probleme der Abend doch erfolgreich verlaufen war. Vielleicht stand wirklich bald ein Kleinkrieg mit den Stadtelfen bevor und vielleicht hätte man das alles vermeiden können, wenn man den magischen Wesen ihren Willen gelassen hätte. Doch der Halb-Elf schenkte keinem dieser Gedanken auch nur eine Sekunde lang Glauben.
Tiras Rettung war das Wichtigste an diesem Abend gewesen und er hatte seinen Auftrag zu völliger Zufriedenstellung erfüllt. Das machte ihn von Herzen froh und hoffentlich konnte sich auch bald das Mädchen wieder am Leben erfreuen, ohne ständig Angst haben zu müssen.
Zumindest in dieser Nacht, in diesem Augenblick konnte man wohl sagen, dass alles gut war.
Und mehr konnte der Halb-Elf wohl auch nicht verlangen.
 

Mantis

Heilende Hände
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Schön :)

Ich muss sagen, als ich den Titel gelesen habe, dachte ich erst: och nö, schon wieder High-Fantasy... :D
Ich war positiv überrascht, als ich dann weitergelesen habe. Interessante Welt hast du dir da ausgedacht, endlich mal keine fröhlich-freundlich-friedlichen, zierlichen Elfen, besonders der Rudel-Gedanke daran hat mir echt gut gefallen :up:

Kritikpunkte: Manchmal fand ichs schwer, dem Faden zu folgen, hauptsächlich liegt das meiner Meinung nach aber daran, dass deinem Text Gliederung / Übersichtlichkeit fehlt, was sich mit ein paar mehr Absätzen und mehr Punkten statt Kommata leicht ändern ließe.
Manchmal hab ich mich auch ein bisschen an der Sprache gestoßen, vor allem bei der wörtlichen Rede. Ich weiß nicht, in wie weit der Effekt von dir beabsichtigt war, aber ich fand die Wortwahl manchmal nicht passend zur Situation ("Aber wir wollen jemanden, der sie ersetzt, und zwar schnell").

Aber alles in allem ein schönes Gedankenkonstrukt. :)
 

Kraven

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Ah. Also das passiert, wenn ich versuche, eine schnuffige Liebesgeschichte zu schreiben. Interessant :D


Schutzengel

Der Tag, an dem ich starb, begann als einer der schönsten meines Lebens.

Ich erinnere mich an den Wind, der durch die Straßen wehte, und an den Geruch einer Stadt im Sommer, an den Duft von warmem Asphalt und Abgasen, der unangenehm sein sollte, es aber nicht ist. Ich erinnere mich das Rauschen der Bäume in den Alleen, die Flecken aus Schatten, die sie auf den Boden malten.

Und an dein Lächeln. An das mehr als an alles andere.

Damals kannten wir uns seit über einem Jahr. Das ist länger, als diese erste, rauschartige Phase normalerweise andauert, in der man den anderen in strahlendem Licht wahrnimmt und die Welt voller Musik ist, doch nicht für uns. Ein Jahr, und meine Welt bestand noch immer nur aus dir. Aus deinem Gang und deinen Augen.
Aus deinem Lächeln.
Wenn ich mit dir gehe, ist die Welt ohne Bedeutung, ist ein Rahmen, den du ausfüllst. Nichts ist wichtig, außer deiner Hand in meiner, und deine Augen, die sich in meinen widerspiegeln.

Und vermutlich hätte ich dem Auto auch dann nicht rechtzeitig ausweichen können, wenn ich stattdessen auf die Straße geguckt hätte.

Ich höre einen erschrockenen Ruf und das Quietschen von Reifen, und dann packt mich die Faust eines Riesen und schleudert mich in die Luft, hebt mich, ein winziges Stückchen nur, dem Himmel entgegen und lässt mich schwerelos dahin gleiten.
Ich komme auf, und der Asphalt reißt meine Haut auf und bricht meine Knochen.

Ich spüre keine Schmerzen.

Um mich herum schreien Menschen.
Irgend etwas schreckt sie auf, und ich glaube, es hat mit mir zu tun.
Über mir sehe ich das Blau des Himmels, dem ich gerade eben noch so nahe war, und ein paar vereinzelte Wolken, die an ihm entlangziehen, und das helle Licht der Sonne
Der Sonne? Aber
das langsam stärker wird, mich aber nicht blendet.

Es ist beinahe friedlich in mir. Ich glaube, es würde mir gefallen, noch ein Weilchen so liegen zu bleiben.

Und dann sehe ich dein Gesicht, als du dich über mich beugst, mit Tränen in den Augen und meinen Namen rufend, mit den Händen über mein Gesicht streifend, und dann, mit einem Ausdruck nackter Hilflosigkeit, das Blut betrachtend, das nun an ihnen klebt.

Und ich merke, was passiert.
Ich merke, dass ich sterbe.

Das Licht wird heller, und ich sehe nicht mehr dein Gesicht.
Ich sehe dich, wie du dich über einen schrecklich verdrehten, blutigen Körper beugst. Und ich merke, dass das Licht nicht von der Sonne kommt, sondern von einer anderen Quelle, hinter mir.

Als ich mich umdrehe, werde ich in Weiß gebadet. Ich weiß nicht, was hinter dem Licht ist, doch ich kann die Stimmen hören, die mich rufen. Ich spüre den Sog, der an mir zieht und mich dazu bringt, langsam, ganz langsam, einen Schritt nach vorne zu tun, zu auf das Licht. Einen Schritt, und dann noch einen.
Ich sei gestorben, sagen die Stimmen. Sie sagen, ich hätte meine Hülle verloren.
Sie sprechen von der Linderung aller Schmerzen, vom Ende meines Abenteuers, meiner kurzen Reise, und ihr Klang hüllt mich ein und tröstet mich und zieht mich vorwärts.

Es wird Zeit, heimzukehren.

Doch kurz vor dem letzten Schritt blicke ich mich noch einmal um und sehe dich, wie du über meinem Körper weinst und dich an mir festkrallst und, wieder und wieder, meinen Namen rufst.

Und ich bleibe stehen.
Nein.
Ich kann noch nicht gehen.
Ich kann dich nicht so zurücklassen, so voller Trauer und Angst. Jeden Morgen, den ich neben dir aufwachte, habe ich mir geschworen, dass du glücklich sein sollst, und dass ich alles tun werde, um dieses Lächeln noch einmal zu sehen, und noch einmal, und noch einmal.
Du sollst nicht leiden, nicht meinetwegen.
Niemals.

Also stemme ich mich gegen den Sog und gehe auf dich zu, und nehme dich sacht, ganz sacht, in den Arm.
Hab keine Angst, sage ich.
Für eine Sekunde erzitterst du. Und dann, langsam, wirst du ruhiger.

Hinter mir wird das Rufen lauter, fordernder. Die Stimmen sagen, hier sei nicht mehr meine Heimat. Sie sagen, ich habe kein Recht mehr, mich in die Belange der Lebenden einzumischen. Sie sagen, ich müsse mein Schicksal akzeptieren.
Und ich weiß, dass ich, wären die Umstände anders, auf sie hören würde.
Aber ich habe dir einst geschworen, dass ich bei dir bleibe, was immer geschieht. Dass ich dir Trost spende, wann immer du traurig bist.

Was sollte ich mit einem Paradies, in dem du nicht bist?

Und so bleibe ich bei dir. Als dich die Sanitäter, die viel zu spät kommen, langsam von meinem Körper wegführen, gehe ich neben dir. Ich spreche zu dir, als sie dich mit ins Krankenhaus nehmen. Die Ärzte wollen dir eine Tablette geben, um dich zu beruhigen. Ich streiche dir sanft durch dein Haar, drücke deine Hand, und hauche dir, unendlich sanft, einen Kuss auf die Stirn, und du blickst auf und sagst ihnen, du bräuchtest keine.
Am Tag meiner Beerdigung kannst du bereits wieder lächeln, und dieses Lächeln ist ansteckend, selbst und vor allem für mich.

Ich bleibe bei dir und tröste dich, und spende dir all das Glück, dass du mir gibst. Ich kann die Natur das Bandes, das wir teilen, nicht benennen, aber ich sehe, wie wir uns gegenseitig verstärken. Es macht mich glücklich, dich zu sehen und bei dir zu sein, und auch, wenn ich dich nicht körperlich berühren kann, bin ich doch immer bei dir. Und du spürst mich bei allem, was du tust, fühlst meine Glückseligkeit und lässt dich von ihr anstecken.
Es dauert nicht lange, bis du wieder zeichnest. Die ersten Bilder sind noch düster, sind Versuche, den Unfall zu verarbeiten, auch wenn du nie den Unfall selbst zeichnest. Ich liebe es, dir dabei zuzusehen, wie du dich konzentrierst und in den Bildern verlierst, die du erschaffst, und auch, wie die Bilder langsam wieder fröhlicher werden, wie sie immer mehr die Schönheit deiner Seele widerspiegeln.

Ein Tages zeichnest du ein Bild von mir, und als du damit fertig bist, strahlst du einen Frieden aus, den ich seit den Tagen vor meinem Tod nicht mehr an dir gespürt habe.
Ich gehe zu dir und küsse deine Nacken, und wir teilen dieses Gefühl des Friedens. Deine Wunden sind geheilt, und mir geht das Herz über, auch jetzt noch bei dir sein zu können.

Wenn du auf die Straße hinausgehst, tust du es mit eben jenem Lächeln auf dem Gesicht, in das ich mich verliebt habe, und ich sehe wieder den alten Glanz in deinen Augen, und ich bin froh und stolz, dass ich dich glücklich machen kann. Ich habe nichts auf dieser Welt als dein Glück, und es ist der größte Schatz, den ich mir vorstellen könnte.

Ich liebe dich.

Und dann wird deine Schönheit, dein Glanz und deine neu erwachte Lebenslust, von jemand anderem bemerkt.
Und er spricht dich an, und er lächelt.
Und du erwiderst es.
Du schenkst ihm das Lächeln, das so lange Zeit nur mir gehörte, und meine Welt wird grau.

Er.

Er mit seiner charmanten Art und seiner energetischen Lebensfreude. Er mit seiner Begeisterung für all die kleinen Dinge, er mit seinen Träumen und diesem verdammten, widerlichen Lächeln. Er hat dich gefangen genommen mit seinen süßen Worten und seinen haselnussbraunen Augen, in denen du so unglaublich gerne zu versinken begonnen hast.

Ich weiß, dass ich kein Recht auf Eifersucht habe. Du weißt nicht, dass es mich noch gibt. Du spürst meine Nähe, aber du spürst nicht... mich. Du spürst eine Präsenz, die du nicht zuordnen kannst. Alles, was geschehen wird, wird dir nicht wie Untreue vorkommen.
Ich weiß das.
Und ich bin dabei, als ihr euch verabredet. Ich bin dabei, als eure Blicke tiefer werden und die Berührungen zärtlicher.

Ich kann nicht weg von dir. Ich versuche es, ich will dich alleine lassen, dich alleine mit ihm, ich weiß, ich weiß, dass ich kein Anrecht mehr auf dich habe
aber wusste ich es damals
doch ich komme nicht von dir weg.
Du bindest mich an dich.
Schlimmer. Ich habe mich damals an dich gebunden, und ich weiß nicht, wie ich die Bindung lösen kann.

Und ich muss zuschauen. Ich muss zusehen, wie eure Hände wie selbstverständlich zueinander finden, wie ihr euch küsst, an einem warmen Spätfrühlingsabend, umgeben vom Duft der Kirschblüten, und ich spüre die Liebe, die anfängt, sich in dir zu formen. Das Band zwischen uns ist intakt, obwohl ich daran zerre und reiße, und ich spüre jede Minute diese verdammte Zuneigung zwischen euch.

Ich habe kein Recht, zwischen euch zu stehen, ich weiß das, und so schirme ich meine Gedanken ab, forme meine Gefühle zu einem Knäuel, dass ich dicht an meine Brust presse und nicht an dich heranlasse.

Ein bisschen spürst du trotzdem. Nur ein wenig, hin und wieder ein kurzer Schwall von Trauer, von
Hass
Abneigung, von meinem Hadern.

Und ihr küsst euch wieder und wieder, und als seine Hände ein bisschen zu deutlich auf Wanderschaft gehen, schreie ich auf. Kurz, ganz kurz nur, bevor ich mich wieder unter Kontrolle habe, aber zum ersten Mal seit langer Zeit hast teilst du wieder ein Gefühl mit mir.
Du zuckst zusammen und schlägst die Hände vor den Kopf, und sofort ist er da, besorgt und so verdammt aufrichtig liebevoll.
Was los ist, fragt er.
Nichts, sagst du. Kopfschmerzen.

Nichts.
Das also ist meine neue Position in deinem Leben.
Kopfschmerzen.
Ein Ärgernis.
Für einen Augenblick, für einen winzigen Moment nur, möchte ich dich anschreien und dir vorhalten, was ich deinetwegen durchmache, wie weh mir jede eurer Berührungen tut, wie er dich anfasst und berührt, als wärst du sein und nicht mein, als wärst du...

Für eine einzige Sekunde.

Doch ich bemühe mich. Ich behalte es bei mir.

Ich habe geschworen, dass du glücklich wirst. Ich bin es dir schuldig, nicht zwischen dir und deinem Glück zu stehen.
Im Gegenteil, ich weiß, dass ich mich für dich freuen sollte.
Das ist doch das Zeichen wahrer Liebe, nicht wahr?
Ich bemühe mich. Trotz der Schreie in meinem Kopf.

Dann schlaft ihr miteinander.

Ich schließe die Augen, die ich nicht mehr habe, und presse die Hände auf die Ohren, als ob es irgendetwas nützte.
Ich kriege alles mit.
Euren Schweiß, der sich vermischt, euren Geruch, das Streicheln und das sanfte Flüstern, und die Hingabe füreinander. Ich fühle, was du fühlst, was du für ihn fühlst, für diesen Fremden, und du zwingst mich, teilzuhaben, an dem Seufzen und leisen Stöhnen, dem Vermischen, dem Aneinanderklammern, dem zarten Streicheln und den suchenden Küssen, an dem Stoßen von Fleisch gegen Fleisch.

Ich kann nicht mehr.

Die Gefühle, die ich abgeschirmt habe, brechen sich Bahn mit einem Schrei, der meinen Kopf und meine Welt ausfüllt.

Du bist die einzige, die ihn hören kann.
Ich spüre, wie mein Schrei dich erreicht und eins mit dir wird.
Du wirst starr.
Du spürst Angst, Trauer, Hass und Ekel, vor dir und vor ihm, aus dem Nichts.
Du stimmst ein in den Klang. Du schreist. Du stößt ihn weg, kriechst fort von ihm, schreist ihn an und schlägst nach ihm, als er versucht, näher zu kommen und dich zu beruhigen.
All die Worte, die sich in mir angestaut hatten, brechen sich nun Bahn durch deine Stimme. Du schreist ihm all das entgegen, was ich über euch dachte.
Alles.

Als dann, endlich, die Tür hinter ihm zufällt, schreist du nicht mehr. Die Tränen haben jeden anderen Laut ersterben lassen.

Seitdem ist die Stille zwischen uns.
Jedes Mal, wenn ich versuche, dich zu trösten, dich zu berühren, schreckst du zurück, als hätte dich ein Schlag getroffen. Du spürst mich. Du spürst meine Trauer und meine Wut und meine Hilflosigkeit, so wie ich die deine fühle. Und, genau wie zuvor, verstärken wir uns gegenseitig.
Alles, was sich will, ist dich wieder in die Arme nehmen zu können. Ich will wieder dein Lächeln sehen. Doch jedes Mal, wenn ich dich sehe, flammt in mir erneut die Wut auf über den Verrat, den du begangen hast, ohne es zu wissen, und wann immer das geschieht, zuckst du ängstlich zusammen.
Er versucht immer noch manchmal, anzurufen. Du gehst nicht ran.

Du schläfst nicht mehr gut.
Einst war ich ein Wächter über deinen Schlaf, und habe deine bösen Träume vertrieben. Jetzt sehe ich hilflos zu, wie du dich ruhelos im Schlaf umherwälzt, und die Trauer fällt auf dich herab und nährt deine Träume.
Und ich sehe und erlebe deine Alpträume mit dir.

Der Schreibtisch, an dem du einst so gerne gezeichnet hast, bleibt leer. Du saßt dort, und ich neben dir, Stunde um Stunde und nichts passierte, bis du irgendwann frustriert ein Tintenfässchen auf der Tischplatte zerschlagen hast.

Die Tinte ist schon lange getrocknet.

Morgens stehst du auf und hast Angst, und den ganzen Tag über spürst du meine Nähe, die du nicht begreifen kannst und die dich erdrückt.

Liebste, es tut mir so leid.
Ich will weg von dir, weit, weit weg, und dich in Frieden leben lassen, doch ich kann es nicht. Ich habe mich dir versprochen, damals, und ich habe keine Möglichkeit, dieses Versprechen zu lösen. Ich muss dir folgen. Muss bei dir sein. Muss jeden Tag zusehen, wie unglücklicher wirst und wie ich dein Unglück noch verstärke.

Unsere Tage sind grau.

Ich bin nicht einmal überrascht, als ich dich mit den Rasierklingen nach Hause gehen sehe.
Du bist blass, fast durchscheinend geworden, und deine Augen haben all ihren Glanz verloren. Sechs Monate lang war ich nicht stark genug, dir Ruhe zu schenken.
Sechs Monate lang hast du nicht geschlafen.
Ich gehe neben dir und will es dir ausreden. Ich gehe neben dir und flüstere beständig auf dich ein; zum Schreien habe ich keine Kraft mehr.
Lebe, flüstere ich. Bitte lebe.
Und für eine Sekunde stockt dein Schritt, als hättest du mich verstanden. Du bleibst stehen und betrachtest die unter grauen Wolken begrabene Stadt, die toten Bäume, die ihre kahlen Äste dem Himmel entgegen strecken.
Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit spüre ich wieder eine Spur von Leben in dir, ein fester Kern, der sich der Großen Trauer entgegenstellt.
Auf die falsche Art.
Du flüsterst nur ein Wort.
Wozu?
Und dann gehst weiter, und die ganze Zeit über suche ich nach einer Antwort.

Zuhause angekommen, lässt du warmes Wasser ein und ziehst dich langsam aus, entblößt einen blassen, mager gewordenen Körper und legst dich langsam in die Wanne, und noch immer kann ich nichts tun, als dir hilflos zuzusehen.

Ich bin zu müde, um dich aufzuhalten. Ich kann nicht mehr.

Das glaube ich so lange, bis ich die Klinge zwischen deinen Fingern sehe und sich die winzige Entschlossenheit in deiner Seele auch auf mich ausbreitet.
Nein, flüstere ich.
Du hörst mich, ich weiß, dass du das tust, aber du ignorierst mich und führst die Klinge zu deinem Arm. Für einen kurzen Moment stiehlt sich ein trauriges Lächeln auf deine Züge, die Hoffnung auf Frieden.

Ich stürze mich auf dich.
Du spürst wieder meine Berührung und spürst mein Entsetzen, und ich spüre deine Schmerzen und deine Angst, die ich in dir auslöse, und wenn ich dir weh tun muss, um dich abzuhalten, dann sei es so.
Du wirst das nicht tun. Du wirst leben.
Du schreist, das Wasser spritzt aus der Wanne, du weinst, aber du lässt die verfluchte Klinge nicht los, deine Finger graben sich hinein, zerschneiden sich selbst, um den Tod nicht los zu lassen. Ich schreie, flehe, kralle mich in dich, will dich zwingen.
Mit einer Willenskraft, von der keiner von uns beiden wusste, dass du sie noch hast, stößt du mich weg, packst die vom Blut bereits glitschige Rasierklinge und ziehst sie dir über den Hals.

Du stirbst voller Entsetzen.

Stille. Stille, die in den Ohren rauscht.

Das Badewasser hat sich rot gefärbt, und dein bleiches Gesicht bildet einen krassen Kontrast.
Es heißt, tote Menschen würde eine friedliche Aura umgeben.
Dich nicht.
Dein Gesicht ist noch immer angstverzerrt.

Ich kann weder schreien noch weinen; alles, was ich kann, ist neben dir auf die Knie zu gehen und deine Hand zu halten, die nun zum ersten mal seit Monaten nicht mehr vor mir zurückweicht.
Ich durchstreiche dein Haar, berühre mit den Fingerspitzen deine blutleeren Lippen. Bleibe an deinem Blick hängen, der leer sein sollte, wenigstens das, doch der statt dessen immer noch Angst und Panik in sich trägt.

Ich wollte das nicht.

Ich wollte, dass du glücklich bist.
Dass wir glücklich sind.

Ich brauche eine Weile, in der ich einfach nur dasitze und deine Hand halte, bis ich das Licht bemerke, das den Raum erfüllt und immer stärker wird.
Um die Stimmen zu hören, und ihr Rufen.

Etwas ist anders als das letzte Mal.

Doch was immer es ist, ich kann nicht darauf achten, weil ich jetzt dich sehe.

Dich. Du stehst vor mir, du, neben deiner Hülle. Ich sehe dein wahres Selbst, die Essenz deiner Seele, und es bricht mir das Herz, die Furcht und die Trauer zu sehen, die ich in dieses einst so schöne Gebilde geschlagen habe.
Du blickst in das Licht, und ich bin mir sicher, dass du seinen Sog spürst, denn du gehst vorwärts, langsam, mit wackligem Schritt, auf das Licht zu, das so anders wirkt als das, welches mich damals einhüllte.

Ich strecke den Arm aus.
Warte, sage ich.
Dein Schritt verlangsamt sich nicht. Du folgst weiter dem Rufen, gehst an mir vorbei und auf das Licht zu, bis du dann, doch, für einen winzigen Moment zögerst. Für einen kurzen Augenblick sehe ich wieder Angst in dir.

Als ich hinter dich trete, um dich festzuhalten, sehe ich, was an diesem Licht so anders ist.
Ich sehe den Ort, an den die Selbstmörder kommen.

Und meine Hand krallt sich in deine Schulter.
Nein.
Du hast diesen Ort nicht verdient. Dich trifft keine Schuld.
Mich. Mich trifft die Schuld.

Und in diesem Moment drehst du dich um.

Ich weiß nicht, was du siehst, als du mich anblickst, aber noch einmal, ein letztes Mal, verzerrt sich dein Gesicht vor Angst.
Du schreist, und du stößt mich von dir und weichst zurück, durch die Pforte aus dunklem Licht. Und als ich vorspringe, dich festhalten will, stoße ich gegen eine unsichtbare Wand, die mich nicht durchlässt, die mich zurückhält, obwohl ich gegen sie schlage und gegen sie hämmere und deinen Namen rufe und schreie und wieder und wieder versuche, sie zu durchbrechen.
Es gelingt mir nicht.

Das Tor verblasst vor meinen Augen und lässt mich zurück in einer grauen Welt, mit der Schuld, dem Blut und der Leere allein.
 

Kraven

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Gegenfrage: Hat dir die Geschichte zumindest gefallen? :p

1. Ich bin nicht katholisch. Ich wurde vor inzwischen wirklich schon langer Zeit konfirmiert, weil ich jung war und das Geld brauchte, und bin inzwischen aus der Kirche ausgetreten. Ich habe aber auch nichts gegen Religion als Institution oder individuelles Weltbild.
Warum?

2. Meine Liebste hält die Geschichte für gut geschrieben und weiß um den Unterschied zwischen Autor und literaischem Ich. Und glaubt mir auch, dass das keine passiv-aggressive Beziehungskritik ist, die ich mal eben online stelle :D
Sie poked mich allerdings, doch irgendwann mal wieder was fröhliches zu schreiben :shine:

3. Ich habe keine Ahnung. Lasst es uns herausfinden! :fies:
 

Rhonwen

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Antwort auf die Gegenfrage: Ja, wenn auch deutlich besser beim zweiten als beim ersten Lesen. Nach dem ersten Lesen war ich leicht verstört.

1. Weil die "Selbstmörder kommen in die Hölle"-These sehr an meinen katholischen Religionsunterricht in der Schule erinnerte. Nicht, dass wir einen evangelischen gehabt hätten ;) Wir waren alle, ob katholisch, evangelisch, russisch-orthodox oder muslimisch in einer Gruppe.

2. :D

3. Ich bin gespannt. *sich gemütlich im Schaukelstuhl zurücklehnt und wartet*
 

Lisra

Schmusekater
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Zwischen den Zeilen

Kommen sie, meine Damen und Herren. Keine Angst, ich bin unbewaffnet und werde keinen Widerstand leisten. Haben sie einen Vitroller dabei? Wundervoll. Ich erzähle ihnen die Geschichte hier, im Herzen des Feindes. Ich wollte ja immer Geschichten erzählen. Verbotene Geschichten. Das habe ich jetzt davon. Es ist mein täglich Brot, mein Lebensinhalt, und es nagt an der Substanz meines Wesens. Ich weiß fast alles und kann über beinahe jeden etwas berichten. Es ist alles hier, in den Regalen und Schubladen hinter mir, geordnet mit der Sorgfalt eines Prokuristen. Es begann als Steckenpferd und wuchs mit jedem Geheimnis und jeder Geschichte immer weiter.
Sie kommen zu mir, allesamt. Herren im Frack und in Overalls, Damen im Nerz, Damen in Schürze und Damen fast wie die Dunkelheit sie schuf. Erzählen sie mir etwas über den Boss, sagt einer. Verraten sie mir das Geheimnis dahinter, sagt ein anderer. Öffnen sie für mich das Tor zu Reichtum, sagt eine. Verraten sie mir ein dunkles Geheimnis, sagt eine andere.

Dieses Zimmer ist nicht wo ich sie empfange. Sie können sich vorstellen wo ich sie empfange. Vor dreizehn Jahren habe ich den Raum zusammen mit dem Gesellen hergerichtet. Über den Burschen kann ich auch einiges erzählen. Haben sie all die kleinen Aufmerksamkeiten bemerkt? Wunderschöne Verzierungen, all die Sterne, Monde, und Hexagramme. Jedes birgt auch ein Geheimnis. Augenwischerei, oder verbotenes Wissen? Irgendwann verschwimmt die Grenze. Warum, fragen sie sich vielleicht. Ich kenne die Geheimnisse der Schamanen. Die Präsentation, meine Herrschaften, ist alles. Nur deshalb trage ich diese Robe und all das Silber. Glaubt ihr, der Kaiser denke gut von seinem Land, würde er nicht vom höchsten Turm das Korn und all die Segel sehen? Alles eine Frage der Präsentation. Des gewissen Etwas. Kommen sie, ich zeige es ihnen. Kein Grund zur Aufregung,ich wünsche nicht zu entkommen.
Sehen sie her... wenn ich das Licht dämpfe, dann erstrahlt es, sozusagen, um so mehr. Mein Geselle Raphael hat drei Wochen lang die Bronze bearbeitet um diesen Effekt zu erzielen. Beeindruckend, nicht wahr? Man könnte fast meinen, der Leibhaftige stehe mit uns im Raum. Und hier, unter dem Marmorblock findet sich die Krönung. Selbstverständlich sind es nur dünne Marmorplättchen, die mit einer Holzkonstruktion verleimt sind. Jedenfalls, hier. Wie der gute Pater sein Buch voller bereits verfasster Predigten stets bereit hält, so habe ich dies hier. Ist es nicht wundervoll? Jahre, jawohl, Jahre meines Lebens sind in dieses Buch geflossen. Jedes bisschen Kunsthandwerk dass ich und mein Geselle erlernen konnten floss dort hinein. Selbst unser Herzblut. Naja. Sein Herzblut. Es ist so falsch wie die Gerüchte, die sie über mich gehört haben, und so echt wie alles, was ich niedergeschrieben habe. Es ist die künstliche, okkulte Essenz allem verbotenen Wissens. Ein Professor der Linguistik half mir damals bei den besonders langen Worten, nachdem ich ihm verraten hatte, wo der Liebhaber seiner Frau sein Brot verdient. Hören sie ...

Non shalom midgard pax mortis elohim meth ageis agora athenae raa!

Authetisch klingender Unsinn,ohne Zweifel … aber alle haben es geglaubt, sie alle haben es geglaubt, und jetzt sind sie hier, aufgewühlt und vorgeführt. Ich kenne alle eure Geheimnisse und all das verbotene Wissen dieser Welt. Und wenn ich ihre Aufmerksamkeit zum Boden lenken dürfte ... jawohl, sie können ihren Augen trauen. Es steckt mehr hinter diesem Schauspiel und ihr seid Narren gewesen mich reden zu lassen!Traubensaft kannblutig sein mit Eisenduft und Menschenfleisch! Aus der Asche in der Eschenkiste erhebt er sich! Seht ihr ihn, den Leibhaftigen, wie er näherkommt? Hört ihr diese Musik,wie sie nicht von dieser Welt aufsteigt und jeden von ihnen durchdringt? Oh diese süßen Töne … sie übertrumpfen jeden Schmerz … Schmerz ... ja ...
 

Kraven

Lernender
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Sniper

Die Sonne fällt langsam hinter den Horizont und lässt den Himmel dabei in Flammen aufgehen, raubt ihm das Licht des Tages und färbt ihn blutrot, nur um dann, und nicht mehr lange bis dahin, der Schwärze und dem Nichts Platz zu machen.
Und ich sitze irgendwo in Downtown auf einem Wolkenkratzer und friere mir den Arsch ab.

Es soll Menschen geben, die mit meinem Beruf eine gewisse Romantik verbinden.
Ich gehöre nicht zu ihnen.
In zweihundert Metern Höhe zwischen den Häuserschluchten pfeift der Wind so kalt, dass es egal ist, wie viele Lagen man trägt. Der Kaffee ist kalt. Die Zigaretten sind nass. Der Abgrund vor mir flüstert mir zu, zu springen und dem ganzen Elend ein Ende zu bereiten.

Dieser letzte Punkt sollte mir Sorgen machen.

Ich hocke auf einem Vordach des Morrison Building, und von unten, selbst von einem der gegenüberliegenden Wolkenkratzer, bin ich vermutlich nicht zu unterscheiden von den Cherubim, die die Reihen neben mir säumen. Von den geflügelten Wächtern der Menschheit.
Ich kann über die Ironie nicht lachen.

Ich muss nicht auf die Uhr schauen, um zu wissen, das mein Ziel in fünf Minuten aus einem Hauseingang Ecke Eastwick treten und sich in die Menschenmasse einfädeln wird, die sich zur abendlichen Rush Hour zusammen findet. Er wird sich auf den Weg zur U-Bahn begeben, so wie jeden Abend, die ihn ohne Zwischenstopp nach Hause bringen soll. So wie jeden Abend. In ein kleines Ein-Zimmer Apartment, kleine Küchenzeile, kleines Schlafzimmer, kleines Leben. Und eine Katze.

Der einzige Unterschied zu den anderen Tagen ist, dass heute sein Name auf meiner Liste aufgetaucht ist.
Das ist alles, was es braucht.
Er hat mir kein Unrecht getan.
Kein Recht, was das angeht.
Manchmal bist du einfach ein Name auf einer Liste.

Noch vier Minuten.

Ich nutze die verbleibende Zeit, um den Aktenkoffer neben mir aufzuklappen und die Teile für das Gewehr heraus zu holen. Auch so eine Sache, die sich manche Leute falsch vorstellen.

Zugegeben, ich habe Kollegen, die in die ganze Angelegenheit weit mehr Emotionen investieren, als sie sollten. Die sich Gewehrschäfte aus Rosenholz anfertigen lassen, oder auf versilberte Läufe mit ziselierten Einlegearbeiten bestehen. Die vermutlich auch nach jedem Schuss eine einzelne Träne ob der Schönheit ihres Tuns vergießen.

Arschlöcher, allesamt.

Und diese Narzisten sind nicht einmal das größte Problem. Man hält es nicht für möglich, aber dieser Beruf zieht ein paar ziemliche Freaks an. Performancekünstler, wenn man so will. Gibt da diesen Spinner aus Europa, der mit einem verdammten Kompositbogen durch die Gegen rennt, und ich schwöre, sollte ich irgendwann mal die Gelegenheit haben, diesen Wichser über den Haufen zu schießen, werde ich es tun.
Gibt der ganzen Branche einen schlechten Ruf, sowas.
Mein Gewehr ist ein nur leicht modifiziertes M24, keine Verzierungen, kein unnötiger Schnickschnack, keine Batterien. Ein schlichtes, simples Gewehr für die arbeitende Bevölkerung.

Ich habe mir diesen Job nicht ausgesucht, aber es gibt Aspekte, die in ihrer Routine beruhigend sind. Ich setze das Gewehr zusammen, verschraube den Lauf. Überprüfe das Zielfernrohr. Atme den Geruch von Waffenöl ein, den selbst der beißende Wind nicht sofort verwehen kann. Folge den Handbewegungen, die ich schon tausend Mal gemacht habe, lausche jedem Klicken und fühle das Wechselspiel von Holz und Metall in meinen Händen.

Und dann kommt der Teil, der langsam ermüdend wird.

Ich drücke den Kolben des Gewehrs fest gegen meine Schulter und spähe durch das Zielfernrohr hinunter, Ecke Eastwick und Sechzehnte, und da, pünktlich wie jeden Abend, erscheint er. Ein bisschen gebeugt, als versuche er, seine ohnehin schon unscheinbare Gestalt noch unscheinbarer zu machen, bloß nicht aufzufallen unter den Menschen. Ein winzig kleiner Fisch in einem Meer der Haie.

Ich frage mich nicht zum ersten Mal, ob der Boss nicht einen Fehler gemacht hat. Ob wirklich diese traurige Figur da unten gemeint sein kann.
Und wenn ich besser darin wäre, diese Gedanken abzuschalten, wäre ich vermutlich gar nicht erst in dieser Position.

Langsam und sicher folgt mein Fadenkreuz dem schmalen, jungen Mann, umspielt sanft die dunklen Locken, und wandert tiefer, zum Herzen. Dann ein Stück vor.
Du schießt niemals dahin, wo dein Ziel ist.
Du schießt dahin, wo es sein wird.
Das ist wichtig.

Für einen kurzen Moment unterbricht jemand das Zielfeld und füllt das Fernrohr. Eine Frau, blondes Haar und ein roter Mantel, und ich ertappe mich kurz, ganz kurz, bei einem müden Lächeln.
Natürlich.

Das Ziel ist wieder frei, und ich drücke ab.

Die Kugel trifft direkt ins Herz.

Als sie trifft, macht der Mann ein Geräusch, denn die Frau bleibt stehen und dreht sich um.
Gut so.

Ich schieße ein zweites Mal.

Dieser Moment, dieser eine Moment wie tausend andere zuvor, wenn die Zeit plötzlich stillsteht und sich langsam, oh so langsam, das Begreifen niedersenkt. Zwei Blicke, die sich überrascht, und beinahe ängstlich, treffen.
Und ein Lächeln.
„Hallo“, sagt er.
Sie lächelt zurück. „Hi.“

Damit ist dann auch ungefähr der Höhepunkt an rhetorischer Brillanz erreicht. Das erste Date, zarte Küsse, Heirat und viele kleine Kinder, die dann ein paar Jahre später das gleiche traurige Spiel fortführen. Kennt man eine Geschichte, kennt man sie alle.

Ich packe das Gewehr ein, entfalte meine Schwingen und fliege dem Sonnenuntergang entgegen, in Richtung des Freiluftkonzerts, das in einer halben Stunden am Ufer des Hudson Rivers stattfindet, mit Freibier und Musik für die Massen, und ich bräuchte ein Maschinengewehr, um diesen Job wirklich effektiv zu gestalten.

Liebesengel. Wie beschissen tief kann man eigentlich sinken.
 

Darghand

Einer von vielen
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Mit Vergnügen gelesen. Die Kreativabteilung von Supernatural hätte dich mal besser kontaktiert bevor sie Amors' Kollegen entworfen haben.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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20.09.2004
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Ich habe ihn Donny getauft:D.

Wirklich schön:).
 
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