Buchkritiken - Das Topic für Leseratten, Teil 2

Karn Westcliff

"Die Geschichte"
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:) Danke Random!

Demnach dürfte ja danach der dritte Band im Bücherherbst 2007 rauskommen:D.
Wo wir gerade dabei sind......:D
Hat irgendjemand schon was über Pläne zu einer deutschen Ausgabe von Neal Stephensons 'Cryptonomicon' gehört? Beim Lesen von Quicksilver, wird man darauf richtig neugierig.
 
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Random

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Cryptonomicon? Steht seit zwei Jahren bei mir im Regal, auf deutsch :D

Quicksilver ist aber besser, ich fand's arg langatmig, teilweise ziemlich konstruiert und die Charaktere viel "flacher".
 

Karn Westcliff

"Die Geschichte"
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Noch mal danke!:D
Hab mich da etwas ins Boxhorn jagen lassen. Vor 2-3 Wochen hab ich eine ausführliche Rezension der englischsprachigen Ausgabe gelesen. Bei Amazon steht leider nicht dabei in welcher Sprache die Ausgabe ist, wenn man über den Google-Link direkt darauf klickt :rolleyes:
 

Mumme

Verhüllter Enthüller
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Juli Zeh: Spieltrieb

Grossartiges Buch, das gut Anfängt und zum Ende hin immer besser wird! :)

Zwei Jugendliche, ungewöhnlich intelligent und mit dem Hang alles zu hinterfragen, hineingeworfen in eine Welt ohne Orientierung, in eine Welt, deren Werte und Normen beim näheren Hinsehen zerbröseln, zerfallen und nichts bleibt, was wirklich wichtig ist, nichts hat Bedeutung, nichts hält einer genauen Betrachtung stand - nur eine Erkenntnis bleibt: die grosse Leere. Und dies alles ist nur ein Spiel. "Doch wenn dies alles nur ein Spiel ist, sind wir verdammt. Und wenn nicht - erst recht."
Zwei Jugendliche entfesseln ein Spiel um Macht und Verführung, um sich selbst und die Welt zu begreifen. Doch am Ende bleiben nur Fragen.

Das Buch rührt an sehr grundsätzlichen Fragen über uns, die Gesellschaft und unsere Stellung in dieser Welt und erzählt nebenbei noch eine sehr gute Geschichte. Eines der besten Bücher, das ich in letzter Zeit gelesen hab. Also: lesen, lesen lesen! ;)


"Der ideale Mensch unserer demokratischen Grundordnung ist ein geistig-sittliches Wesen und gestaltet seine Freiheiten nicht als diejenigen eines isolierten und selbstbezogenen, sondern als die eines gemeinschaaftsbezogenen und gemeinschaftsgebundenen Individuums - sagt wer? Ein Verrückter? Ein rettungsloser Idealist? Das sagt das Bundesverfassungsgericht. [...]
Der ideale Mensch ein geistlich-sittliches Wesen? Nicht isoliert und selbstherrlich? Gebunden an und bezogen auf die Gemeinschaft? Welche Gemeinschaft, werden wir fragen, und unser Gelächter wird zum donnergrollenden Soundtrack unserer Verständnislosigkeit. Wir sind nicht mal in der Lage eine Familie zu gründen, geschweige denn, uns mit einer Partei zu identifizieren! Wissen Sie was wir wollen? Wir wollen keine Gemeinschaft. Wir wollen unsere Ruhe. [...] Wir sind der banalen und kleinkrämerischen Reglementierungen müde, die uns bei Strafe zwingen, ein Licht an unser Fahrrad zu schrauben und unsere Autos für zwei Euro die Stunde in ein Kästchen zu stellen, das irgendjemand fein säuberlich auf den Boden gemalt hat, während wenige Flugstunden entfernt ganze Welten verbrennen, vertrocknen, ersaufen, explodieren, verbluten. Wir passen nicht mehr zu diesem Staat, wir sind dem System vorausgeeilt, von den Gedanken und Wünschen vergangener Generationen über die Linie hinausgedrängt worden und stehen außerhalb, kopfschüttelnd, wie es alle paar Jahrzehnte einer Generation passiert."
 
Zuletzt bearbeitet:

Imoen

Schwesterchen
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Ich kann keine guten Zusammenfassungen oder Rezensionen schreiben, aber ich empfehle dieses Buch:


Lamb. Gospel according to Biff, Christ's childhood pal


Hier wird die Geschichte über Joshua (Jesus) erzählt, und zwar von seinem Kumpel Biff. Ich empfehle das Buch im Original (englisch) zu lesen, es ist einfach so witzig, ich finde gar kein Wort dafür.
Es geht natürlich um die Zeit bevor Joshua der Messias wurde, die Zeit, die in der Bibel kaum Erwähnung findet - nach diesem Buch wisst ihr auch warum :D

Hier Details und eine Leseprobe: http://www.chrismoore.com/lamb.html
 

Ceallach

Nekromant
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Da möchte ich dann doch anmerken das auch die deutsche Version ("Die Bibel nach Biff") wirklich urkomisch ist.
Sicher gehen naturgemäß einige Gags und insbesondere Wortspiele bei der Übersetzung flöten, bei der schieren Masse davon tut das dem Buch aber meiner Meinung nach keinen Abbruch.
 

Lisra

Schmusekater
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Buchkritiken

Da wir sowas ja grad nicht haben mach ichs mal auf.. hier können alle die wollen Bücher in den Boden kritisieren (gut), oder wärmstens empfehlen (besser).

Und ich fang jetzt mal an :D

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Twilight, New Moon and Eclipse by Stephanie Meyer

Seit einigen Monaten haben auch deutsche Leser einen Narren an Fr. Meyer gefressen, die aus dem religiös zweifelhaftem Utah Teenager mit bisher drei Bestsellern beglückt. Die Romane Twilight, New Moon und Eclipse erzählen die Geschichte von Bella und Edward.

Zur nebensächlichen Story:
(Isa)bella Swan zieht Nach Forks, einem total verregneten Kaff irgendwo im Nirgendwo der USA, zurück zu ihrem Vater. Statt der langsamen Sieche, die sie dort erwartet hat, beginnt schon nach den ersten paar Seiten das Drama. Bella sieht beim Mittagessen den so mysteriös wie schönen Edward Cullen abseits mit seinen (Adoptiv)Geschwistern sitzen. Die seien die elitären Weirdos der Schule, alle brillant, aber sehr eigenartig. Und ausnahmslos alle die schönsten Geschöpfe, die Bella je gesehen hat.
Der Leser hat spätestens ein paar Seiten später kapiert, dass es sich um Vampire handelt (außer er las den Klappentext, dann wusste er es eh). Bella braucht dafür allerdings noch knapp 200 Seiten. Never mind. Sie kommt also, bereits hoffnungslos verliebt, hinter das Geheimnis, sie kommen zusammen und eine Vampirwelt nach Fr. Meyers Vorstellung entfaltet sich. Sie beinhaltet unter anderem die hinreißend alberne Idee, dass die Cullens sich "Vegetarier" nennen, da sie statt Menschblut nur tierisches zu sich nehmen.

Die sich schnell einstellende Idylle verschwindet jedoch, als eine weitere Gruppe von Vampiren durch Forks kommt, und natürlich sofort ein Auge auf die schwer beschützte Bella wirft..

Dadurch entwickelt sich der erste große Handlungsstrang, in dessen Verlauf Bella einmal am Ende von Twilight fast stirbt, jedoch gerettet wird. Dabei wird der Verantwortliche getötet und seine Partnerin (ein Vampir namens Victoria) schwört Rache.

Der zweite Handlungsstrang birgt wesentlich mehr Drama, denn der in Band 1 noch als hilfreicher Freund auftretende Jacob Black (ein Indianer) entdeckt im zweiten Band das er ein Werwolf ist. natürlich mögen die keine Vampire, und außerdem verliebt er sich auch in Bella. Drama beginne!

Storymäßig hat die Reihe also nicht viel zu bieten (man verzeihe mir, dass ich auf einige Elemente nicht eigegangen bin, Spoiler und so..), wie sieht es denn sonst so aus?

Zu den Figuren..
Bella ist naiv, schwer von Begriff und dumm. Nicht im Sinne von IQ 75, sondern dumm im Sinne von Weisheit 9 gewürfelt (AD&D-Spieler wissen da was ich meine). Sie legt einen Verblüffenden mangel an gesundem Menschenverstand und Weitsicht an den Tag, das man in jedem der Bände sie mehrmals an den Schultern nehmen, sie durchschütteln und ihr die Fakten ins Gesicht brüllen will. 200 Seiten zu warten bis die Figur weiß was man schon weiß ist einfach anstrengend.
Darüberhinaus kann sie nie auf ihre Gefühle klarkommen, obwohl immer eigentlich völlig kalr ist, dass es NUR Edwartd geben kann. Haha.

Edward ist noch schlimmer. Er ist perfekt. Vom äußeren her sowieso, und auch sein inneres hat er eigentlich immer perfekt unter Kontrolle (und er kann Gedanken lesen - außer die von Bella - cool, nich?). Das führt dazu, dass er vor allen eins ist: langweilig. Gähnend langweilig. Und er leidet an dem, was ich und meine Freundin gerne den Drizzt-Komplex nennen, der ein bisschen aussieht wie der Jesus-Komplex, und sich mit es ist alles meine schuld zusammenfassen lässt. Seine konstanten Schuldzuweisungen an sich selbst, etwas das auch Bella gut kann, sind einfach penetrant. Das sich in diesem Punkt B&E etwas meiner Freundin und mir ähneln sorgt für extra Frust. Wir sind nämlich cooler :rolleyes:

Wie hält sich das Buch sonst stilistisch?
Mittelmäßig. Von Zeit zu Zeit, vor allem im zweiten und dritten Band, verbricht Fr. Meyer wirklich gute Prosa, surreale, gefühlsbetone, stream-of-consciousness ähnliche Prosa. Dazwischen sit es einfach bloß durchschnitt, stellenweise sehr kitschig.
Wann immer ein ich schaute in seine Augen kommt, darf man eigentlich getrost wzei Seiten weiterblättern, denn das Gefasel was dann folgt ist nur das erste Dutzend Mal schön und süß. Dann nervt es nur noch.

Was gibt es sonst zu sagen..

Man merkt den Romanen an, dass sie amerikanisch sind. Nicht bloß an Details wie, dass das erste was Bella von ihrem Vater geschenkt bekommt ein altes Auto ist, sondern vor allem an der Moral, die immer wieder durchscheint. Vor allem die Sexualmoral.
Es ist nicht bloß die Tatsache, dass Bella und Edward nach fast 2000 Seiten noch immer nicht über sehr harmloses Kuscheln hinaus sind, sondern auch, wie mit dem Thema im allgemeinen umgegangen wird.
Ich bin eine romantische Person, und es tut weh, wie stark menschliche Nähe stellenweise dort tabuisiert wird. Auch wenn nur Bella ein Mensch ist.
Ist es Zufall, dass die Autorin Mormonin ist? Natürlich nicht, man liest es raus, wenn man es weiß.

Abschließend..
Diese drei Bücher sind schlecht, wirklich schlecht. Nicht so schlecht, dass man sie nicht lesen sollte, aber definitiv keinen Hype wert. Es gibt dutzende Schriftsteller, die mehr Gefühl, mehr Romantik, mehr Gewalt, mehr Spannung und schlichtweg bessere Prosa verfassen.

Und noch etwas. Mein Klappentext sagt:

Her story, recounted in hypnotic, dreamy prose, encapsulates perfectly the teenage feeling of sexual tension and alienation.

Völliger Unsinn. Geschichten mit diesen Themen sauge ich auf, und schriebe sie sogar selbst und nichts davon ist drin. Lasst euch nicht täuschen. Lest im Zweifelsfall was anderes.

Und die deutsche Übersetzung ist eine Schande. Lest, wenn überhaupt, die Originalfassung. Auf Englisch kann man manchen Kitsch besser ertragen.
 

Heliotropia

Kleine Sonne
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Ohja da kann ich dir nur zustimmen!
Ich find es einfach unaushaltbar kitschig.
Der erste Roman, naja, sehr sehr grenzwertig aber man kann es noch ertragen.
Der Zweite Roman ist einfach nicht zum aushalten.
Ich frage mich allen ernstens was die Schriftstellerin bewegt hat, und noch schlimmer, ob sie vllt je selbst so empfunden hat- wenn ja, dann tut mir das unheimlich leid.
Ich habe den Dritten gar nicht angerührt weil ich nicht im Kitsch ertrinken will.
Nicht empfehlenswert, viel zu erdrückend.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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Gene Wolfe- Das Buch der neuen Sonne- Band 1-Der Schatten des Folterers

Von vielen gepriesen und gelobt, mir jedoch in schlechter Erinnerung geblieben, habe ich mich nochmal daran gemacht Gene Wolfes angeblich größten Werk nochmal neutraler zu begegnen. Bei genaueren Lesen, fiel mein Ersteindruck noch etwas nüchterner aus als beim ersten Mal.

Der junge Severian wächst als Waise innerhalb der Zunft der Folterer(Scharfrichtern) auf und wird von diesen ausgeschlossen, als er aus Mitleid(und Liebe?) einer Klientin ihren Selbstmord gewährt. Er wird nach Thax, eine andere Stadt, entsandt um dort fortan seinem Beruf nachzugehen, kommt aber bis zum Ende des ersten Bandes gerade Mal knapp über die Stadtmauer der Hauptstadt Nessus hinaus, da ihn über hundertfünfzig Seiten eine Menge daran hindert, seiner Aufgabe in Thax nachzukommen.

Hier kann man auch an eines der größten Probleme Wolfes andocken, welches ihn schon über sein gesamtes Werk bis heute verfolgt: Das Buch besitzt keinen richtigen roten Faden. Zwar passiert viel, Severian hat sogar einmal zu kämpfen und er spricht auch mit vielen, aber es kommt nicht richtig in Fahrt und der Schluss ist dann auch etwas abrupt. Zwar darf das durchaus als Spannungsmittel zählen,mir als Leser hat dies jedoch nicht wirklich zugesagt. Zu den Gesprächen sei ebenfalls auch gesagt, dass Wolfes Stil einen manchmal an alte Groschenhefte aus vergangenen Jahrzehnten erinnert, in denen besonders willige Damen sich ihren edlen Streiter(hier Severian) um den Hals werfen und nichts weiter lieben würden, als seinen starken Arm um sich zu spüren und ihn toll zu finden, um hier ein Beispiel zu geben wie Severian seine Kommunikation mit seinem Umfeld(er ist sozusagen der Verfasser und Mister Wolfe nur ein Übersetzer), wiedergibt.

Er selbst ist dabei auch kein sonderlich großer Symphatieträger. Zwar blickt er auf die Leute herab, die sich am Anblick einer hingerichteten Leiche ergötzen, erweist sich jedoch zumindest im ersten Band als ein recht gewalttätiger, eitler und gefühlloser Mann, mit einer regen sadistischen Ader, die er sehr gut zu beschreiben weiß. Diese Tatsache mag nicht unbedingt dazu beitragen, den recht anstrengenden Stil von Severians Niederschrift mit Spannung weiter zu verfolgen. Allerdings ist dieser auch eine der großen Stärken des Buches, in denen es von philosophischen Betrachtungen zu Realität und Wahrheit wimmelt, jedoch auch viele christliche Motive zu finden sind(als kleine Warnung für alle, die damit nichts anfangen können).

Die größte Stärke dieses Buch ist jedoch die Beschreibung Nessus und die Umstände unter denen seine Einwohner zu leben haben. Wolfe entwirft hier das Porträt einer romähnlichen, zerfallenden Republik mit einer strengen Trennung von arm und reich und einem gottgleichen "Autarchen"(wohl das Äquivalent zum römischen Kaiser, jedoch weitgehend gefürchtet) an der Spitze. Es scheint eine düstere, dem Mittelalter nicht ungleiche, Zeit zu sein, in der die Sonne bereits erloschen ist und sich alles seinem Ende zuneigt. Eine Welt voller fremdartiger Begriffe, die für Severian normal zu sein scheinen, dem Leser für's Erste aber nur ein verwirrtes Kopfkratzen entlocken, die man wohl im Laufe der nächsten Bände kennenlernen wird sollte man sich für ein fortgesetztes Lesen der Reihe entscheiden.

Man wird sehen.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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Gene Wolfe- Das Buch der neuen Sonne- Band 2-Die Klaue des Schlichters

Severian reist weiter gen Thax...

...und wird auch in diesen Band nicht dort ankommen, sondern sich in einer endlosen Odysee, allen möglichen erwehren müssen. Ist das schlimm? Nun in diesem Band eher weniger, da Wolfe das Kunststück vollbrachte die Qualität der Geschichte noch um einiges zu steigern.

Unter anderem liegt es daran, dass man als Leser Stück für Stück mehr über die Welt und ihre Bewohner erfährt und es Wolfe tatsächlich gelingt, den Leser zum nachdenken anzuregen. Denn Severian lügt. Nicht nur seine Umwelt hat darunter zu leiden, sondern auch der Leser, dem sich eindeutig eröffnet, dass dem immer noch nicht sonderlich symphatischen Hauptprotagonisten nicht zu trauen ist, was auch auf sein angeblich fehlerfreies und makelloses Gedächtnis zutrifft.

Die tatsächlichen Highlights des Buches sind aber zum einem eine Fabel aus dem braunen Buch, die massiv an die Sage von Theseus und diverse Erschlagungsszenarien großer Monster erinnert und ein Theaterstück, indem die Apokalypse der Urth thematisiert wird. Diese beiden wirklich wundervoll geschriebenen Stücke, reißen einen aus dem sonstigen Lesefluss heraus und mögen zunächst recht wahllos eingefügt wirken, doch wer Wolfe kennt, der wird das vehement abstreiten. Allerdings darf man wohl erst in den späteren Bänden mit einer, wenn auch recht subtillen Auflösung rechnen. Allgemein hat man auch das Gefühl, das jetzt die eigentliche Handlung der Reihe nach dem Ausleben von Wolfes Fantasien im ersten Band wirklich begonnen hat.

Die Klaue des Schlichters überflügelt auf jeden Fall den eher mittelmäßigen ersten Teil und auch wenn Severian trotz seiner eher herzlosen Art ein unsymphatischer Protagonist bleibt, darf man sich wohl auf den nächsten Band freuen.

Negativ anzurechnen ist dieses mal lediglich, das Wolfe es mal wieder nicht auslässt dass seine "männlichen" Protagonisten Frauen Gewalt antun. Zwar wird dies nicht explizit beschrieben, aber wer Wolfes Werk kennt weiß auch, dass sich diese Angewohnheit genau wie seine oftmals stereotypen und negativ besetzten Frauenfiguren-eigentlich sollte man größtenteils schreiben- durch sein ganzen Werk zieht und zum nachdenken über das Verhältnis des Autors zum anderen Geschlecht anregt.

Nichtsdestotrotz ist die Klaue des Schlichters ein gutes Buch, vor dessen Kauf man sich nicht zu scheuen braucht.
 

Chinasky

Dirty old man
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Robert Harris: Imperium

*Topic mal wieder an die Oberfläche zerr*

Okay, es geht um dieses Buch.

Wir befinden uns ungefähr im Jahr 80 vor Christus, in der "guten alten" Republikszeit des römischen Imperiums. Dieses steht kurz vor der maximalen Ausbreitung seines Herrschaftsgebietes und in sozusagen bürokratischer Blüte: das hochkomplexe juristische und politische System hat sicherlich seinen Anteil an der Überlegenheit Roms gegenüber seinen Konkurrenten. Aber es hat auch seine Schattenseiten. Schon seit längerem macht sich das Klüngel-Wesen breit, nur eben in einer antiken Drastik: von Rom eingesetzte Statthalter pressen die Provinzen in einem Maße aus, das zum Himmel stinkt. Die größten politischen Probleme sind also inzwischen innenpolitischer Natur: Korruption auf der einen Seite, Sklavenaufstände (Spartacus...) auf der anderen. In dieser Zeit reüssiert ein physisch eher anfälliger, darüber hinaus noch zum Stottern neigender junger Mann namens Marcus Tullius aus vergleichsweise einfachen Verhältnissen (seine Familie gehört nicht zur ersten Gesellschaftsschicht, sondern nur zum einfachen Adel, genießt aber das römische Bürgerrecht) als junger Anwalt. Als Verteidiger schafft er es, einen des Vatermordes Angeklagten zum Freispruch zu verhelfen und dessen Ankläger der Tat zu überführen. Kurz nach diesem Erfolg tritt der Sklave Tiro in seine Dienste, der eine Art Kurzschrift, die Stenografie, erfunden hat. Aus Sicht dieses Sklaven wird der Roman erzählt.
Marcus Tullius - besser bekannt unter seinem von der Kichererbse abgeleiteten Beinamen Cicero - ist ein äußerst ehrgeiziger Anwalt. Da die Juristerei zu jener Zeit vor allem etwas mit Redenhalten zu tun hat, begibt er sich nach Griechenland, um dort bei den berühmtesten Rhethoren zu lernen. Mit großem Erfolg. Als Quästor (eine Art Verwalter, der dem Statthalter untergeordnet war) für Sizilien beauftragt, gewinnt er erste Einblicke ins Politik-Metier und kann durch eine Heirat mit der reichen Terentia die finanziellen Voraussetzungen erfüllen, um in den Senat aufgenommen zu werden. Dort allerdings gilt er als "homo novus", als unwichtiger Emporkömmling ohne respektablen Familienhintergrund. Sein Karrieretraum, einmal zum Konsul gewählt zu werden, liegt in scheinbar unerreichbarer Ferne: die höchsten und ehrenhaftesten Ämter schanzen sich die Patrizier, der alte Adel, untereinander zu. Und so rhethorisch brillant Cicero auch als Anwalt seine Klienten vertreten mag - als König des Gerichtsaals fungiert sein Konkurrent Hortensius, zu dessen unbestreitbaren Fähigkeiten noch Geld und Patriziertum hinzukommen...
So hat Cicero, in dem der Karrierewille glüht, in der zweiten Reihe zu sitzen und kommt im Senat kaum zu Wort: ein Hinterbänkler wider Willen.
Doch eines Tage kommt ein Bekannter aus alten sizilianischen Tagen in sein Haus und bittet ihn um anwaltliche Hilfe: einstmals ein wohlhabender Kunstsammler wurde der Klient vom sizilischen Statthalter Gaius Verres zuerst seiner Kunstwerke beraubt und dann, als er sich dagegen zu wehren versuchte, der Spionage und des Aufruhrs angeklagt. Wobei Gaius Verres gleichzeitig Ankläger und Richter war und den nach Rom Geflohenen in Abwesenheit zum Tode verurteilte. Die Chancen stehen schlecht für den Klienten, denn er ist kein römischer Bürger und hat somit kaum rechtliche Möglichkeiten.
Cicero allerdings wittert in dem Fall eine einmalige Chance, auf sich aufmerksam zu machen, indem er etwas Unerhörtes wagt: Er verklagt Gaius Verre seinerseits wegen Erpressung und Korruption.
Wenn er sich da mal nicht etwas zuviel zugemutet hat! Denn immerhin sind die Befugnisse eines römischen Statthalters nahezu unbegrenzt, die Statthalterposten werden eigentlich als legitime Möglichkeit der Inhaber betrachtet, ihre Finanzen zu sanieren, wo doch Politik ein teures Geschäft ist und das Senatorenamt ebenso wie viele andere Ämter nicht bezahlt werden, sondern die Politiker nur hohe Summen kosten. Darüber hinaus hat Gaius Verres allerbeste Verbindungen: mit dem, was er in seiner Provinz so zusammenraubt, lassen sich wichtige Entscheidungsträger in Rom kaufen.
Unter anderem läßt er sich von einem engen Freund vertreten: Hortensius...

Es beginnt ein Justiz-Thriller a la Grisham - nur diesmal eben nicht in den USA, sondern im fast 2100 Jahre zurück liegenden Rom. Das wahre römische Leben ist allerdings längst nicht so eindimensional gestrickt, wie es einem Thriller genehm wäre, und so muß sich Cicero nicht nur um diesen einen wichtigen Fall kümmern, sondern gleichzeitig damit umgehen, daß sich neue Gefahren für das republikanische System an sich auftun: der unendlich reiche Feldherr Crassus, der eben gerade zig Tausende Sklaven entlang der Straßen nach Rom kreuzigen ließ, nachdem er den Spartacus-Aufstand niederschlug, ist ein guter Freund von Verres und nimmt es Cicero persönlich übel, nicht in einen Deal eingewilligt zu haben. Zwar gäbe es einen mächtigen Gegenspieler des Crassus, nämlich den in Spanien siegreichen Pompejus. Dieser allerdings hat nur ein Ziel: die absolute Macht auf Dauer...
Kann Cicero seinen Fall gewinnen, ohne zwischen den Machtblöcken innerhalb der Republik zerrieben zu werden? Und was ist zu tun, als eine neuartige Form der Gefahr, nämlich die Piraten, das römische Reich von außen bedrohen und das Volk nach einem "starken Mann" in der Terror-Krise ruft?

Robert Harris hat hier einen für Geschichtsinteressierte sauspannenden Roman über Cicero, den berühmtesten römischen Rhethoren überhaupt, vorgelegt, dessen Fortsetzung ich kaum erwarten kann. "Imperium" ist nur der erste Teil einer geplanten Trilogie, deren zweiter Teil irgendwann dieses Jahr unter dem vielsagenden Titel "Conspiracy" (Kenner wissen, daß hier auf die catilinische Verschwörung angespielt sein dürfte) rauskommen soll. Deswegen endet das Buch auch in einem klassischen Cliffhanger, als nämlich Cicero scheinbar am Ziel all seiner Wünsche angelangt - nur um zu merken, daß damit noch kaum was erreicht ist. Außer, daß er als frischgebackener Konsul (ja, er schafft es, soviel sei mal verraten ;) ) bis zu den Achseln in dem Dreck steckt, mit dem man sich als idealistischer Jungpolitiker eigentlich nicht mal die Hände schmutzig machen möchte.

Was in diesem Roman passiert, das war mal "klassisches" Bildungsgut. Cicero steht für die lateinische Sprache auf höchstem Niveau, seine Rolle in der unter Julius Cäsar zuende gehenden Republik ist allen Historikern des Altertums genauestens bekannt. Seine Schriften sind Pflichtlektüre in vielen historischen und literarischen Seminaren...
Aber wer wie ich den Lateinunterricht in der Schule gehaßt hat, der wird mit diesem Namen eben nur negative Assoziationen von unregelmäßigen Verben, dem ablativus absolutus und sonstigen Abgründen der Grammatik verbinden.
Wie extrem spannend das war, was damals ablief - das habe ich trotz Lateinkurs, trotz einem sehr guten Geschichtslehrer nie so richtig mitgekriegt. Harris erweckt die Zeit zu einer aktuellen Lebendigkeit, die jeden Grisham-Thriller in den Schatten stellt. Dies wird ihm von manchen Rezensenten bei Amazon sogar zum Vorwurf gemacht, da manche in der Romanfigur Cicero eine Art Tony Blair zu erkennen vermeinen und im Pompejus den amerikanischen Präsidenten G.W.Bush... Aber wenn hier historische Detailfehler bemäkelt werden müssen, dann auf einem derartig engstirnigen Fach-Niveau, daß es uns Normal-Leser nicht zu interessieren braucht. Mir scheint der Roman hervorragend recherchiert zu sein, ohne daß Harris den Fehler macht, die häufig allzulangen Originalreden Ciceros über Gebühr zu zitieren.
Statt dessen erlaubt es der Ich-Erzähler in Sklavenform, ein bißchen römischen Alltags-Flair in den Politik-Stoff zu bringen, sodaß die "große Geschichte" angenehm geerdet wirkt.

Wie kam ich auf dieses Buch? Indem ich in der Bahnhofsbuchhandlung auf dem Paperback-Tisch einen anderen Roman von Harris, nämlich "Ghost" entdeckte, den kaufte und verschlang. "Ghost" spielt in der Gegenwart und ist ein Abrechnungsroman, in welchem Harris seine Enttäuschung durch Tony Blair literarisch verarbeitet. Diese Enttäuschung war wohl so groß, daß er für Ghost seine römische Trilogie unterbrach...
Ihr merkt schon: inzwischen bin ich Robert Harris-Fan und habe neben "Vaterland" (ein fiktiver Roman über ein im 2. WK siegreiches deutsches Reich) gleich auch noch "Pompeji" (über den Ausbruch des Vesuv und die Zerstörung der titelgebenden Stadt) und "Aurora" (fiktiver Roman über die Entdeckung eines verschollen geglaubten Stalin-Tagebuches in der Boris-Jelzin-Zeit) verschlungen.
Alle genannten Bücher kann ich durchaus empfehlen, "Imperium" schlägt sie aber alle in meinen Augen, weil der eigentlich erzählte Stoff eben nicht fiktiv ist, auch wenn viele Details natürlich der dichterischen Freiheit entspringen.
 

Lisra

Schmusekater
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Da gabs schon ein Topic zu? *schnief* Jetzt wird meins untergehen :(

:D
 

Chinasky

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Sorry, hab ich nicht mitgekriegt. Verlinke Deins doch hier! :)
 

skull

Thronfolger
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Hey Hank *wink*. Was macht die Kunst, haha?

Harris kann ich auch nur empfehlen. Aber vorsicht: Der oben genannte Robert Harris ist nicht zu verwechseln mit dem ebenfalls populären Thomas Harris. (Silence of the Lambs etc.)

Fatherland hat mir so gut gefallen, dass ich eine Hauptseminarsarbeit über das Buch geschrieben habe, und dabei sogar einigermaßen Spaß hatte. Soviel Spaß, wie man beim Arbeiten schreiben eben haben kann. Im Zuge dieser Arbeit jedenfalls wurde klar, dass Harris wirklich sehr gründlich und ausführlich für seine Romane recherchiert.

Jedenfalls danke für diese ausführliche Leseempfehlung; ich hatte Imperium schon mal auf dem Plan, habe es dann aber wieder vergessen. Wenn ich jetzt noch die Serie Rome in meine Finger bekomme, gibt es bald römische Wochen bei McSkullys.;) Ave Fortuna!
 

skull

Thronfolger
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:eek: 2006 hast Du Quicksilver empfohlen? Ich bin immer noch nicht durch.:D
 

Lisra

Schmusekater
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Drei weitere Kritiken gibt es hier!
 

Sir Darian

Ritter des Helm
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Hmmm... *grübel*

Lisra, bist Du einverstanden, wenn ich die Topics zusammenlege? :)
 

Lisra

Schmusekater
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Klar. :)
 

Sir Darian

Ritter des Helm
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Hmmm... *grübel*

Done. :)
 

Chinasky

Dirty old man
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@skull: Hehe, ja Quicksilver ist ein dicker Brocken... Ein guter Freund von mir war richtiggehend sauer auf mich, weil ich ihm dieses Buch so empfohlen hatte, er den Preis für die Hardcover-Ausgabe bezahlte und dann doch schon nach knapp 200 Seiten steckenblieb. O-Ton: "So ein langweiliger Scheiss!" :D

Ich hatte mir den dritten Teil der Barock-Trilogie zuerst auf Englisch gekauft, weil ich einfach nicht warten wollte, bis endlich die deutsche Übersetzung da wäre. Großer Fehler, bzw. rausgeschmissenes Geld. Harry Potter-Romane kann ich gut auf Englisch lesen. Aber bei Stephenson muß ich alle drei Wörter im Dictionnary nachschlagen - und jeden zweiten Begriff suche ich dann dort umsonst. So bin ich mit dem dritten Band noch immer nicht durch, obwohl ich seit Weihnachten die deutsche Ausgabe besitze. Aber der fängt halt auch wieder recht zähflüssig an und bleibt erzähltechnisch sehr, sehr lange an Daniel Waterhouse kleben, der mir von allen Hauptfiguren der Reihe am uninteressantesten ist... Naja, jetzt hab ich ja erstmal genug Harris-Seiten gefressen, da kann ich mich wieder mal am Stephenson versuchen.

"Vaterland" hatte mir vor zwei, drei Jahren mal ein Freund ausgeliehen. Irgendwie hatte ich da fälschlicherweise angenommen, es handele sich um einen Roman, der in den Siebzigern geschrieben wurde; und obwohl ich das Buch auch wirklich spannend fand, kam ich gar nicht auf die Idee, nachzuschauen, ob es noch andere Romane aus dieser Feder gäbe. Erst als ich las, daß der Autor von "Ghost" auch schon "Vaterland" geschrieben habe, dachte ich mir: Hey, der Typ scheint gut zu sein, schau mal nach, was der sonst noch so fabriziert hat!
Im Recherchieren schein Harris sehr gut zu sein. Von Rußlandkennern unter den Amazon-Rezensenten wird z.B. auch "Aurora" bescheinigt, daß es bis in die Details kenntnisreich und glaubwürdig sei (obwohl der Plot völlig fiktiv ist).

Was mir an Harris gefällt, ist, daß er, obwohl ja z.B. "Vaterland" schon verfilmt wurde, doch offensichtlich nicht auf eine Verfilmung seiner Stoffe spekuliert: es ist so gut wie nie echte cinematisch verwertbare Action in den Büchern enthalten. Das unterscheidet ihn von anderen Thriller-Autoren a la Dan Brown, Schätzing, Crichton, Forsythe und so weiter.
 
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