Karl und Bastian

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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20.09.2004
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Ich fühl mich heute sehr aktiv und von daher poste ich auch meinen ersten in sich geschlossenen Text seit Jahren hier rein.

Ein ganz liebes Dankeschön an Mantis, für's drüberschauen und korrigieren:).

Allen anderen wünsche ich viel Spaß;).

Gruß

Zelon:)

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Karl und Bastian

Vor gar nicht allzu langer Zeit lebten einmal im beschaulichen Frankfurt zwei Männer, die ihr Leben lang aneinander gebunden waren.


Karl Kardinal und Bastian Bischof erblickten am selben Tag (dem 6ten Dezember), zur gleichen Uhrzeit (um 11:45:56) das Licht der Welt auf Gottes schöner Erde, (und) stießen ihren ersten Schrei in gleicher Lautstärke um 11:48:32 Uhr aus, (und) lagen kurz darauf im gleichen Raum, in verschiedenen Wiegen, nebeneinander und atmeten perfekt aufeinander eingestimmt ein und aus.
Im Laufe der Jahre kreuzten sich ihre Wege bei jeder Gelegenheit.
Sie gingen in den selben Kindergarten, spielten in der selben Gruppe und saßen immer nebeneinander.
Die Erwachsenen , in ihrer wohlmeinenden Naivität, fanden dies wirklich herzallerliebst und glaubten, dass die beiden Jungen Freundschaft geschlossen hatten und nun nicht mehr zu trennen waren.
Größer hätte ihr Irrtum nicht sein können, denn beide hatten schon untereinander klargestellt, dass der eine den anderen nicht mochte, zu ähnlich war man sich in nahezu allen Bereichen (selbst bezüglich der Haar- und Augenfarbe) um wirklich Freundschaft schließen zu können.
Doch äußerte dies keiner von beiden laut, denn dafür waren sie zu höflich und glaubten viel zu sehr daran, dass der eine den anderen eines Tages hoch oben im Himmel bei Gott, nicht mehr sehen müsste.


Bis dahin musste jedoch der eine die Gesellschaft des anderen ertragen und das fast jeden Tag in derselben Schule, in derselben Klasse , nebeneinander am selben Tisch, beim Sport in einer Mannschaft, einer Arbeitsgruppe (auch wenn normalerweise dafür gesorgt wurde, dass sich jeder mindestens einmal in einer anderen Gruppe aufhielt), im selben Freundeskreis auf denselben Partys, und ganz zum Schluss sogar in derselben Studenten - WG, in den gleichen Studienfächern.
Die Menschen waren einfach nur erstaunt, sprachlos, zutiefst berührt und auch etwas neidisch über ein solches Glück, eine so enge schicksalhafte Freundschaft, die sich die ganze Schulzeit über gehalten hatte, dass sie sogar daran zu glauben begannen, dass manches die Zeit einfach überdauert und viel stärker ist als der grausame kosmische Mechanismus, der alles am Leben erhält.
Und tief in ihren Innern ertrugen die langsam zu Männern heranwachsenden Knaben es stoisch vom eigenen Spiegelbild verfolgt zu warden, und glaubten umso inbrünstiger an das gerechte Urteil des allwissenden Gottes, der den Irrtum erkennen und sie endlich voneinander befreien würde, ohne sich die Blöße geben zu müssen einen Menschen nicht so zu lieben, wie er es vielleicht verdient hätte.


Nach dem Studium folgte der Einstieg ins Berufsleben, in derselben Firma, auf die beiden einzigen freien Stellen, und es begann für beide ein unvergleichlicher Aufstieg in der Firmenhierarchie, der sie beide zu Präsidenten (zu gleichen Teilen sogar!) und sogar zu Millionären machte.
Auch im Privatleben war ihnen mehr Glück beschienen als es den meisten Menschen jemals vergönnt war.
Jeder heiratete eine schöne und von Herzen gute Frau, und ihre Kinder (jeweils zwei an der Zahl) waren ihr ganzer Stolz, und zumindest im Privaten war es ihnen vergönnt, endlich voneinander getrennt zu sein.
So dachten sie zumindest, bis sich herausstellte dass die Frau des jeweils einen, die Zwillingsschwester der Frau des anderen war und deren Verbindung ungebrochen eng war.
Man sah sich mindestens jedes Wochenende, oder zumindest die Kinder des anderen, da sich auch die lieben Kleinen annäherten und Freundschaften für den Rest des Lebens schlossen.
Und wenn der eine dem anderen (und umgekehrt) nun in die Augen schaute, sah er dort dieselbe Müdigkeit die ihn selbst plagte, und von da an hatte der Wunsch, dass Gott sie endlich trennen möge nun sogar schon einen verzweifelten Unterton, während sie nun auch um des lieben Friedens Willen schwiegen.


Das Rad der Zeit drehte sich unerbittlich, und schon bald forderte auch bei ihnen das Alter seinen Tribut.
Ihre Frauen starben im selben Augenblick, und nur unter speziellen Bedingungen war es noch für sie möglich Gevatter Tod zumindest noch ein bisschen zu trotzen. Also wurden beide im selben Krankenhaus, auf dieselbe Krankenstation und - wie sollte auch anders sein? - auf dasselbe Zimmer verlegt und warteten dort auf das Ende, während sie dem monotonen Singsang der Maschinen lauschten.

Vielleicht hätten sie etwas dagegen tun können, wenn nur einer von ihnen die Kraft aufgebracht hätte, endlich die Verhältnisse vor aller Welt zu klären, doch waren sie schon viel zu müde dafür, und beide beruhigte der Glaube an die Erlösung durch den Allmächtigen genug, um sich mit dieser einen letzten Ungerechtigkeit abzufinden, während der Rest im Dunkeln gelassen wurde und gerührte Tränen darüber vergoss, wie diese beiden tapferen Männer sich schweigend Trost spendeten.


Der Engel des Todes kam und trug sie mit rauschenden Schwingen gen Himmel, wo ER (oder vielleicht doch ES), der Schöpfer aller Dinge, seine Söhne in Empfang nahm und mit Tränen in den Augen in die Arme schloss. Auch Karl und Bastian vergossen zum ersten Mal seit dem Tod ihrer geliebten Frauen Tränen der Rührung und der Erleichterung, denn sie wähnten sich endlich am Ende ihres langen Leidenswegs, und vermeinten sogar sich ihren Platz ewigen Friedens vorstellen zu können.


Und dann sprach Gott der Herr, die allmächtig, allwissende, ewig liebende überirdische Wesenheit, der wir in ihrer Güte unser aller Existenz zu verdanken haben.
Gott sprach und sie lauschten den weisen Worten, des Allgegenwärtigen.
Ein so enges Band der Zuneigung und Freundschaft zu trennen wäre grausam, so sagte das Alpha und das Omega, der erste und wahre Gedanke der Schöpfung und von daher hätte er für beide schon eine Wolke gefunden, auf der sie die Zeit bis zum jüngsten Gericht überbrücken könnten, bis die Wiedervereinigung mit ihren Liebsten vollzogen war.


Karl und Bastian hörten schweigend zu und in ihrem Innersten brodelte es, und sie wollten angesichts dieser Ungerechtigkeit Gott am Prophetenbarte packen und ihm ins Gesicht brüllen, was sie von seiner Entscheidung hielten.
Doch sie schwiegen wie immer, denn wer waren sie schon, dass sie Gott in seinem weisen Entschluss widersprechen wollten, auch wenn dieser auf völlig falschen Annahmen basierte?


So begab es sich also, dass sie sich auf ihrer gemeinsamen Wolke (inklusive Robe, Heiligenschein und schneeweißen Flügeln) wiederfanden und sich dort erst mal lange Zeit (schätzungsweise ein Sechstel der Ewigkeit) anstarrten, ehe sie sich voneinander abwandten und sich ans jeweils gegenüberliegende Ende der Wolke setzen und dort - mit dem Rücken zum jeweils anderen - stur in die Ewigkeit des Himmels blickten und warteten.


Und genau das tun sie auch heute, und vielleicht sogar bis in alle Ewigkeit, über den Tod hinaus, unzertrennlich vereint.
 
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