Alyndur
Zwielichtiger
- Registriert
- 12.07.2005
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Er fand Ulbrun, mehr hängend als sitzend, auf einem Heuballen, der eigentlich als Mammutfutter dienen sollte. Maron und sein Knappe hatten ihn dort positioniert, doch dem Blut, das aus seiner Nase strömte, schien er am wenigsten Beachtung zu schenken. Nichtsdestoweniger trat Alyndur entschlossen an den gebrochenen Seher heran. „Hier. Diese Wurzeln müsst Ihr zwischen den Händen zerreiben und durch die Nase einziehen.“ Etwas sanfter fügte er hinzu: „Dort werden sie die Blutung stillen, nicht aber in Eurem Herzen.“ Dem jungen Bisu, der noch immer fassungslos und erschüttert bei ihnen stand, winkte er freundlich.
„Hab Dank, guter Knappe. Ich löse dich ab.“ Ohne auf eine Einladung zu warten, zog auch er sich einen Strohballen zurecht und setzte sich Ulbrun gegenüber, die Arme auf den Oberschenkeln ruhend. Worte des Trostes und des Scheintrostes hatte er sicher schon zur Genüge vernommen, darum schwieg Alyndur und bot dem Alten seinen Blick an. „Ich werde Anora finden“, hörte er sich schließlich sagen und wagte es kaum, seinen eigenen Worten zu trauen. „Die Tücke, die hier haust... ich werde nicht warten, bis sie zu einem neuen Schlag ausholt. Ich werde die Elfe aufspüren. Sei es, um einen Freund zu retten oder um einen neuen Feind rechtzeitig zur Strecke zu bringen, ehe er Gelegenheit bekommt, es mit uns zu tun.“ Mochte Ulbrun selbst entscheiden, was ihm von beidem aus dem Mund des Waldläufers glaubwürdiger erschien, in seiner derzeitigen Verfassung schien nicht zu befürchten, dass er sich ihm entgegenstellte. „Zum Einen oder zum anderen“ Alyndur griff unter seinen Mantel brachte eine Klinge zum Vorschein, die im matten Licht eines entfernten Feuers wie pures Eis glitzerte. „Ihr werdet mir schwerlich widersprechen, dass diese Waffe schon zu viel Zeit in den falschen Händen verbracht hat.“ Rasch und, wie er inständig hoffte, unbemerkt hatte er das verhängnisvolle Schwert aufgelesen, ehe es ein anderer tun würde. „Um mit der Wahrheit zu sprechen, es gab vieles, was ich Anora zugetraut hätte, als ich ihr Verschwinden bemerkt hatte.“ Er unternahm den Versuch, die nackte Klinge des Eisschwertes in der hohlen Hand zu wiegen, brach ihn aber bald wieder ab, als Wärmeströme wie das Leben selbst seinem Fleisch entflohen. „Nicht alles davon war edel und weit weniger noch war vernünftig, aber glaubt Ihr, sie hätte sich von ihrer magischen Klinge getrennt, um sich schutzlos in die Ebenen zu flüchten, wenn sie eine Wahl gehabt hätte, hier zu bleiben?“ Alyndur wickelte den kalten Gegenstand wieder in ein dickes Leinentuch ein, bis es samt dem Griff darin verschwunden war. Er erhob sich leichtfüßig, doch sein Blick blieb an Ulbruns Gesicht haften, das dieser mehr noch als sonst bemüht schien, hinter einer bärtigen Mauer zu verbergen. „Ulbrun. Was soll aus Euch werden? Ist in den Reihen von Menschen, die den Weg des Zornes und der Verzweiflung über den seiner Geister stellen, noch Platz für einen Seher des Nordvolkes? Findet dort noch eine Frau Geleit, die man der Mordhilfe bezichtigen wird, und wäre dort noch Platz für ihre Gefährten? Zumindest für ein paar von ihnen, um ihr bei ihrer Flucht den Rücken zu decken?“ Obwohl sie selbst vor dem Tod Freyas nicht mit allzu großer Wärme in der Reisegesellschaft empfangen worden waren, hatten sich die übrigen Mitglieder von Anoras Gruppe aus der Sicht der meisten Nordleute sicher nichts zu schulden kommen lassen. Wenngleich sich die Begeisterung darüber auch in Grenzen halten mochte, war es möglich, dass sie sich, im Gegensatz zu ihrer ungünstig verschwundenen Anführerin, weiterhin auf das gegebene Wort der Nordmenschen berufen konnten, um mit ihnen die Reise zum östlichen Fuß der Adlerberge fortzusetzen. Auf diese Art wäre es denkbar, dass man Anoras Verschwinden unter dem Nordvolk schließlich doch als eine Art Unfall außer Acht lassen würde, zumal sie dem Anschein nach selbst ihre eigenen Gefährten aufgegeben hätten. Somit ließen sich mit etwas Glück auch die Rachsüchtigsten von möglichen Vergeltungsplänen gegen sie abbringen und, falls nicht, wären die bei der Karawane verbleibenden Gefährten vielleicht in der Lage, Anora zu warnen. Wenn hingegen die gesamte Gruppe der Elfe nachströmen sollte, gäbe es vermutlich viele, die darin den Abschluss einer vorbereiteten Mordverschwörung gegen die Karawanenführerin Freya wittern wollten.
Wenn dies der Preis wäre, den es bräuchte, um Anora zu schützen, so würden ihn die Treuesten unter ihren Gefährten einstweilen bezahlen müssen. Ein Teil der Gruppe würde der Karawane ins Weite Reich folgen müssen, von wo aus sie sich dann, die Absicht vorgebend, den Auftrag ihrer verlorenen Gruppenführerin zu Ende zu bringen, in Wahrheit zunächst auf die Suche nach ihr begeben würden. Die magischen Fähigkeiten, die einige von ihnen zu besitzen schienen, könnten sie zu einer solchen Aufgabe befähigen. Vielleicht würden auch ihnen die Tränen der Grünen Drachen, von denen Alyndur eine aus Anoras Inventar geborgen hatte, und deren Gegenstück sich in Marons Besitz befinden musste, bei der Wiederfindung der Gruppe in den Adlerbergen von Nutzen sein.
Zunächst aber, galt es zu hören, wie Ulbrun die Lage in der Karawane einschätzte. Sie mochte womöglich gar nicht so bedrohlich sein, wie sie der Waldläufer in seiner Vorsicht befürchtete. So oder so gab es jedoch noch in eine Begebenheit zu vertrauen, die alles andere als sicher war: dass Anora noch lebte.
„Hab Dank, guter Knappe. Ich löse dich ab.“ Ohne auf eine Einladung zu warten, zog auch er sich einen Strohballen zurecht und setzte sich Ulbrun gegenüber, die Arme auf den Oberschenkeln ruhend. Worte des Trostes und des Scheintrostes hatte er sicher schon zur Genüge vernommen, darum schwieg Alyndur und bot dem Alten seinen Blick an. „Ich werde Anora finden“, hörte er sich schließlich sagen und wagte es kaum, seinen eigenen Worten zu trauen. „Die Tücke, die hier haust... ich werde nicht warten, bis sie zu einem neuen Schlag ausholt. Ich werde die Elfe aufspüren. Sei es, um einen Freund zu retten oder um einen neuen Feind rechtzeitig zur Strecke zu bringen, ehe er Gelegenheit bekommt, es mit uns zu tun.“ Mochte Ulbrun selbst entscheiden, was ihm von beidem aus dem Mund des Waldläufers glaubwürdiger erschien, in seiner derzeitigen Verfassung schien nicht zu befürchten, dass er sich ihm entgegenstellte. „Zum Einen oder zum anderen“ Alyndur griff unter seinen Mantel brachte eine Klinge zum Vorschein, die im matten Licht eines entfernten Feuers wie pures Eis glitzerte. „Ihr werdet mir schwerlich widersprechen, dass diese Waffe schon zu viel Zeit in den falschen Händen verbracht hat.“ Rasch und, wie er inständig hoffte, unbemerkt hatte er das verhängnisvolle Schwert aufgelesen, ehe es ein anderer tun würde. „Um mit der Wahrheit zu sprechen, es gab vieles, was ich Anora zugetraut hätte, als ich ihr Verschwinden bemerkt hatte.“ Er unternahm den Versuch, die nackte Klinge des Eisschwertes in der hohlen Hand zu wiegen, brach ihn aber bald wieder ab, als Wärmeströme wie das Leben selbst seinem Fleisch entflohen. „Nicht alles davon war edel und weit weniger noch war vernünftig, aber glaubt Ihr, sie hätte sich von ihrer magischen Klinge getrennt, um sich schutzlos in die Ebenen zu flüchten, wenn sie eine Wahl gehabt hätte, hier zu bleiben?“ Alyndur wickelte den kalten Gegenstand wieder in ein dickes Leinentuch ein, bis es samt dem Griff darin verschwunden war. Er erhob sich leichtfüßig, doch sein Blick blieb an Ulbruns Gesicht haften, das dieser mehr noch als sonst bemüht schien, hinter einer bärtigen Mauer zu verbergen. „Ulbrun. Was soll aus Euch werden? Ist in den Reihen von Menschen, die den Weg des Zornes und der Verzweiflung über den seiner Geister stellen, noch Platz für einen Seher des Nordvolkes? Findet dort noch eine Frau Geleit, die man der Mordhilfe bezichtigen wird, und wäre dort noch Platz für ihre Gefährten? Zumindest für ein paar von ihnen, um ihr bei ihrer Flucht den Rücken zu decken?“ Obwohl sie selbst vor dem Tod Freyas nicht mit allzu großer Wärme in der Reisegesellschaft empfangen worden waren, hatten sich die übrigen Mitglieder von Anoras Gruppe aus der Sicht der meisten Nordleute sicher nichts zu schulden kommen lassen. Wenngleich sich die Begeisterung darüber auch in Grenzen halten mochte, war es möglich, dass sie sich, im Gegensatz zu ihrer ungünstig verschwundenen Anführerin, weiterhin auf das gegebene Wort der Nordmenschen berufen konnten, um mit ihnen die Reise zum östlichen Fuß der Adlerberge fortzusetzen. Auf diese Art wäre es denkbar, dass man Anoras Verschwinden unter dem Nordvolk schließlich doch als eine Art Unfall außer Acht lassen würde, zumal sie dem Anschein nach selbst ihre eigenen Gefährten aufgegeben hätten. Somit ließen sich mit etwas Glück auch die Rachsüchtigsten von möglichen Vergeltungsplänen gegen sie abbringen und, falls nicht, wären die bei der Karawane verbleibenden Gefährten vielleicht in der Lage, Anora zu warnen. Wenn hingegen die gesamte Gruppe der Elfe nachströmen sollte, gäbe es vermutlich viele, die darin den Abschluss einer vorbereiteten Mordverschwörung gegen die Karawanenführerin Freya wittern wollten.
Wenn dies der Preis wäre, den es bräuchte, um Anora zu schützen, so würden ihn die Treuesten unter ihren Gefährten einstweilen bezahlen müssen. Ein Teil der Gruppe würde der Karawane ins Weite Reich folgen müssen, von wo aus sie sich dann, die Absicht vorgebend, den Auftrag ihrer verlorenen Gruppenführerin zu Ende zu bringen, in Wahrheit zunächst auf die Suche nach ihr begeben würden. Die magischen Fähigkeiten, die einige von ihnen zu besitzen schienen, könnten sie zu einer solchen Aufgabe befähigen. Vielleicht würden auch ihnen die Tränen der Grünen Drachen, von denen Alyndur eine aus Anoras Inventar geborgen hatte, und deren Gegenstück sich in Marons Besitz befinden musste, bei der Wiederfindung der Gruppe in den Adlerbergen von Nutzen sein.
Zunächst aber, galt es zu hören, wie Ulbrun die Lage in der Karawane einschätzte. Sie mochte womöglich gar nicht so bedrohlich sein, wie sie der Waldläufer in seiner Vorsicht befürchtete. So oder so gab es jedoch noch in eine Begebenheit zu vertrauen, die alles andere als sicher war: dass Anora noch lebte.