Anora
Wanderer
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- 22.08.2001
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~ Anora ~
„Nun…“ Unbehaglich setzte sich Anora in ihrem Sattel zurecht. Ohne es zu wissen hatte Alyndur einen Punkt angesprochen, der ihr schon lange schwer im Magen lag. Bisher war der Weg ihrer Reise immer klar ersichtlich gewesen: Nordwärts, das war das Einzige, das gezählt hatte. Doch nun, da das Gebirge sich vor ihnen auftat, war Anora nicht weniger ratlos als ihr Begleiter. Sie hatte gehofft, irgendwo auf dem Weg hierher, wie etwa in Kahlar’tha, einen Hinweis zu erhalten, wo sie mit der Suche beginnen sollten, doch nichts Dergleichen war geschehen. Der Gelehrte, den sie suchten, konnte überall sein – Falls er überhaupt existierte! – und ohne festen Ausgangspunkt könnte sich die Suche über Monate hinwegziehen. Die Adlerberge waren ein sehr weitläufiges Gebiet…
„Fangen wir also mit der Winterkrone an!“ Die Elfe lächelte matt. „Das hat immerhin noch den Vorteil, dass wir den schwersten Aufstieg gleich am Anfang bewältigen müssen.“
Bei allem, was sie bisher durchgemacht hatten – Der weitaus schwierigere Teil der Reise lag noch vor ihnen! Doch immerhin war das Ziel nun in Sichtweite gerückt. Die Berge, die sich schemenhaft am Horizont vor ihnen abzeichneten, waren mehr als nur ein willkommener Anblick. Sie symbolisierten für Anora hauptsächlich den Wendepunkt ihres Weges – Auch wenn dieser noch lange nicht erreicht war. Daraus schöpfte sie neue Kraft und Entschlossenheit, und seit die Kontur des Gebirges am Horizont aufgetaucht war mochte sie den Blick kaum noch von ihr abwenden. Das musste sie jedoch nun, hatte Alyndur doch noch einen weiteren Punkt angesprochen, der ihr kaum weniger unangenehm war als ihre Ratlosigkeit bezüglich des weiteren Verlaufs ihrer Reise.
„Das Weite Reich… Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“
Sie sträubte sich innerlich gegen den Gedanken, Ulbruns Heimat zu durchqueren. So sehr sie den Seher auch zu schätzen gelernt hatte, was den Rest seines Volkes anbelangte hatte sie bisher nur wenig positive Erfahrungen gemacht. Und obwohl sie sich immer wieder selbst sagte, wie irrsinnig es sei anzunehmen, ihr Gesicht sei im gesamten Nordreich bekannt und am Ende noch wegen der Taten, derer man sie beschuldigte, ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt, blieb dennoch ein bitterer Geschmack auf ihrer Zunge, wenn sie auch nur daran dachte, das Volk des Weiten Reiches aufzusuchen.
„Aber wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass wir vom Nordvolk Informationen und Ausrüstung bekommen, die uns weiterhelfen, dann müssen wir diese auch nutzen.“, brachte sie es auf den Punkt. Sie hatten die Wahl zwischen einer anhaltslosen Suche in den Weiten der Adlerberge oder dem zugegebenermaßen sehr geringen Risiko, noch einmal den Mitgliedern der Karawane über den Weg zu laufen. Diese Entscheidung zu fällen war eine Sache der Vernunft, nicht jedoch des Herzens. Sie hoffte nur, sie würde dies nicht bereuen.
Tatsächlich erreichten sie das Gewässer, das Alyndur bereits aus der Entfernung ausgemacht hatte, noch einige Zeit vor der Abenddämmerung. Mit ihrem Ziel vor Augen waren sie deutlich schneller vorangekommen als in den Tagen zuvor, in denen Anoras Verletzungen sie immer wieder zu niedrigerem Tempo und längeren Pausen gezwungen hatten. Die Elfe hatte sich stets bemüht, sich nichts anmerken zu lassen und sich niemals beklagt, doch Alyndur schien ein gutes Auge dafür zu haben, wann sie mit ihren Kräften am Ende war, und so hatte er immer im richtigen Moment seinen Hengst gezügelt oder eine Rast vorgeschlagen. Anora dankte es ihm stillschweigend.
Als sie näher kamen, entpuppte sich das Gewässer zu einem stattlichen See, umgeben von einem lichten Wäldchen von Nadelbäumen. Sie errichteten ihr Lager in Ufernähe und ließen die Pferde frei grasen. Der Boden war karg, doch verglichen mit den Ebenen bot er den Tieren ein üppiges Festmahl.
Alyndur beschloss, die Gegend zu erkunden und vielleicht hoffte er auch darauf, dass ein unvorsichtiges Wild seinen Weg kreuzte. Anora indes wollte am See bleiben und versuchen, ein paar Fische zu fangen.
Als der Waldläufer fort war, zog sie ihre Schuhe aus und watete ein paar Schritte in den See hinein, bis sie etwa hüfttief im Wasser stand, dann verharrte sie in einer gebückten Position. Das Wasser war ungewöhnlich klar – Sie konnte bis zu ihren Zehen hinunter sehen, und wenn sie mit diesen wackelte, konnte sie die aufsteigenden Wirbel von Schlick und kleinen Steinchen beobachten, die von der Bewegung verursacht wurden. Sie musste nicht lange so warten, bis sich ihr die ersten, neugierigen Fische näherten. Sie waren nicht besonders groß, doch das Licht der Abendsonne wurde von ihren silbernen Schuppen reflektiert, so dass sie kaum zu übersehen waren. Anora wartete noch einen Moment, dann packte sie zu – Doch ihre Finger umschlossen nichts als das klare Wasser. Leise fluchend nahm sie wieder ihre Ausgangsposition ein und wartete erneut. Dieses Spiel wiederholte sich noch einige Male, und immer griff die Elfe ins Leere. Sie machte die Verletzung an ihrer rechten Schulter dafür verantwortlich, dass ihre Bewegung zu langsam war, und mit ihrer Linken war sie nicht geschickt genug die wendigen Fische zu fassen. Ein paar Mal streifte sie deren glatte Schuppenhaut, doch das war dann auch schon Alles. Mit der Zeit wurden die Abstände, in denen sie warten musste, größer. Die Fische waren vorsichtiger geworden. Auch die Kälte des Wassers wurde langsam zu einem Problem, denn Anora begann zu frieren, und zitternde Hände erleichterten ihr ihr Vorhaben nicht gerade. Frustriert gab sie schließlich auf und watete zum Ufer zurück.
Doch der Sinn stand ihr noch nicht danach, das Wasser zu verlassen. Prüfend sah sie sich um und vergewisserte sich, dass Alyndur noch nicht zum Lager zurückgekehrt war. Dann entfernte sie sich ein Stück weit von der Uferstelle, von der aus es nur noch wenige Schritte bis zu ihrem Rastplatz waren. An einer durch Schilf geschützten Stelle machte sie schließlich Halt und sah sich noch einmal über die Schulter um. Dann streifte sie sich ihre Kleider vom Körper. Der durchnässte Stoff hatte sie schon vorher kaum noch vor der Kälte geschützt, doch nun erst spürte sie, wie kalt es tatsächlich war. Langsam aber sicher hielt der Winter Einzug in das Land. Dennoch empfand sie es als angenehm, den leichten Wind direkt auf ihrer Haut zu spüren. Anora schloss für einen Moment die Augen und genoss dieses Gefühl, ein Gefühl der Freiheit. Dann öffnete sie die Augen wieder – Sie hatte noch einiges vor.
Sie kniete sich in das seichte Wasser und begann, ihre Kleidung zu reinigen. Es war nicht einfach, das getrocknete Blut, das zu einem nicht unerheblichen Teil auch ihr eigenes war, aus dem Stoff und dem Leder herauszuwaschen, und als es ihr schließlich gelungen war, legte sie die einzelnen Kleidungsstücke am Ufer ordentlich über großen Steinen aus, damit sie dort von den Strahlen der Abendsonne getrocknet wurden. Als sie fertig war, machte sie sich daran, den Verband um ihre Schulter, den Alyndur ihr angelegt hatte, abzunehmen und ihre Wunden zu begutachten. Sie heilten nur langsam, da sie aufgrund der fehlenden Schonung in den vergangenen Tagen immer und immer wieder von neuem aufgerissen waren, doch zumindest hatten sie sich nicht entzündet. Die Verstauchung in ihrem rechten Bein war schon lange abgeklungen, die Platzwunde an ihrer Stirn kaum noch sichtbar und auch die Verbrennung in ihrer linken Handfläche hinterließ keine Schmerzen mehr, sondern nur noch Narben. Anora lächelte leicht. Ihr Körper begann langsam, sich zu erholen. Vorsichtig reinigte sie ihre Wunden und wusch sich das verklebte Blut von der Haut. Lange hatte sie sich danach gesehnt, dies tun zu können, und tatsächlich war es ein gutes Gefühl, endlich wieder von all diesem Schmutz befreit zu sein. Es war wie eine Last, die von ihr abfiel.
Anschließend ging Anora ein wenig weiter in den See hinein, und als sie nicht mehr stehen konnte, schwamm sie in langen, ruhigen Zügen. Um sie herum war eine herrliche Stille, die nur von vereinzelten Rufen der Vögel des Waldes und dem Wind, der durch die Baumspitzen zog, durchbrochen wurde. Mit der Bewegung kehrte langsam auch eine angenehme, prickelnde Wärme in ihren Körper zurück. Sie hatte sich mittlerweile ein gutes Stück vom Ufer entfernt. Die Elfe fragte sich, wie tief der See wohl sein würde, und beschloss, es herauszufinden. Sie holte tief Luft, dann tauchte sie unter die Wasseroberfläche hinab. Das Wasser war auch hier noch erstaunlich klar, doch je tiefer sie kam, desto dunkler wurde es um sie herum, da das Sonnenlicht nicht so weit zu ihr hinunter vordringen konnte. Den Grund des Sees konnte sie jedoch nicht sehen. Als sie noch tiefer tauchte, versperrte Seegras ihr die Sicht. Große Schwärme an silbernen Fischen, die weitaus größer waren als jene, die sie am Ufer gesehen hatte, stoben vor ihr zurück, formierten sich neu und schwammen dann weiter ihres Weges. Sie entdeckte mehrere Arten von Fischen und auch einige andere Wasserlebewesen, doch dann musste sie auftauchen um Luft zu holen. Anora ging noch einige weitere Male unter die Wasseroberfläche, um die Unterwasserwelt zu bewundern, bis ihr schließlich der Atem ausging. Außerdem wurde es langsam Zeit, zurück zum Ufer zu schwimmen. Ein wenig hatte sie ein schlechtes Gewissen, da es ihr nicht gelungen war, einen Fisch zu fangen und sie somit mit leeren Händen ins Lager zurückkehrte, doch vielleicht würden sie am nächsten Tag mehr Glück haben.
Als sie wieder festen Boden unter ihren Füßen spürte, wandte sie sich noch einmal zur Mitte des Sees hin um. Das letzte Licht der untergehenden Sonne wurde von der Wasseroberfläche reflektiert, so dass der See von einen roten Glanz überzogen wurde. Blutrot… In diesem Moment umgab diesen Ort eine verwunschene, fast magische Atmosphäre. Für einen Augenblick schien der See nicht mehr nur ein einfacher Vorgebirgssee zu sein, sondern ein von den Göttern berührter Ort.
Leicht schaudernd wandte Anora sich von diesem Schauspiel der Natur ab und ging zurück zum Ufer.
„Nun…“ Unbehaglich setzte sich Anora in ihrem Sattel zurecht. Ohne es zu wissen hatte Alyndur einen Punkt angesprochen, der ihr schon lange schwer im Magen lag. Bisher war der Weg ihrer Reise immer klar ersichtlich gewesen: Nordwärts, das war das Einzige, das gezählt hatte. Doch nun, da das Gebirge sich vor ihnen auftat, war Anora nicht weniger ratlos als ihr Begleiter. Sie hatte gehofft, irgendwo auf dem Weg hierher, wie etwa in Kahlar’tha, einen Hinweis zu erhalten, wo sie mit der Suche beginnen sollten, doch nichts Dergleichen war geschehen. Der Gelehrte, den sie suchten, konnte überall sein – Falls er überhaupt existierte! – und ohne festen Ausgangspunkt könnte sich die Suche über Monate hinwegziehen. Die Adlerberge waren ein sehr weitläufiges Gebiet…
„Fangen wir also mit der Winterkrone an!“ Die Elfe lächelte matt. „Das hat immerhin noch den Vorteil, dass wir den schwersten Aufstieg gleich am Anfang bewältigen müssen.“
Bei allem, was sie bisher durchgemacht hatten – Der weitaus schwierigere Teil der Reise lag noch vor ihnen! Doch immerhin war das Ziel nun in Sichtweite gerückt. Die Berge, die sich schemenhaft am Horizont vor ihnen abzeichneten, waren mehr als nur ein willkommener Anblick. Sie symbolisierten für Anora hauptsächlich den Wendepunkt ihres Weges – Auch wenn dieser noch lange nicht erreicht war. Daraus schöpfte sie neue Kraft und Entschlossenheit, und seit die Kontur des Gebirges am Horizont aufgetaucht war mochte sie den Blick kaum noch von ihr abwenden. Das musste sie jedoch nun, hatte Alyndur doch noch einen weiteren Punkt angesprochen, der ihr kaum weniger unangenehm war als ihre Ratlosigkeit bezüglich des weiteren Verlaufs ihrer Reise.
„Das Weite Reich… Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.“
Sie sträubte sich innerlich gegen den Gedanken, Ulbruns Heimat zu durchqueren. So sehr sie den Seher auch zu schätzen gelernt hatte, was den Rest seines Volkes anbelangte hatte sie bisher nur wenig positive Erfahrungen gemacht. Und obwohl sie sich immer wieder selbst sagte, wie irrsinnig es sei anzunehmen, ihr Gesicht sei im gesamten Nordreich bekannt und am Ende noch wegen der Taten, derer man sie beschuldigte, ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt, blieb dennoch ein bitterer Geschmack auf ihrer Zunge, wenn sie auch nur daran dachte, das Volk des Weiten Reiches aufzusuchen.
„Aber wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass wir vom Nordvolk Informationen und Ausrüstung bekommen, die uns weiterhelfen, dann müssen wir diese auch nutzen.“, brachte sie es auf den Punkt. Sie hatten die Wahl zwischen einer anhaltslosen Suche in den Weiten der Adlerberge oder dem zugegebenermaßen sehr geringen Risiko, noch einmal den Mitgliedern der Karawane über den Weg zu laufen. Diese Entscheidung zu fällen war eine Sache der Vernunft, nicht jedoch des Herzens. Sie hoffte nur, sie würde dies nicht bereuen.
Tatsächlich erreichten sie das Gewässer, das Alyndur bereits aus der Entfernung ausgemacht hatte, noch einige Zeit vor der Abenddämmerung. Mit ihrem Ziel vor Augen waren sie deutlich schneller vorangekommen als in den Tagen zuvor, in denen Anoras Verletzungen sie immer wieder zu niedrigerem Tempo und längeren Pausen gezwungen hatten. Die Elfe hatte sich stets bemüht, sich nichts anmerken zu lassen und sich niemals beklagt, doch Alyndur schien ein gutes Auge dafür zu haben, wann sie mit ihren Kräften am Ende war, und so hatte er immer im richtigen Moment seinen Hengst gezügelt oder eine Rast vorgeschlagen. Anora dankte es ihm stillschweigend.
Als sie näher kamen, entpuppte sich das Gewässer zu einem stattlichen See, umgeben von einem lichten Wäldchen von Nadelbäumen. Sie errichteten ihr Lager in Ufernähe und ließen die Pferde frei grasen. Der Boden war karg, doch verglichen mit den Ebenen bot er den Tieren ein üppiges Festmahl.
Alyndur beschloss, die Gegend zu erkunden und vielleicht hoffte er auch darauf, dass ein unvorsichtiges Wild seinen Weg kreuzte. Anora indes wollte am See bleiben und versuchen, ein paar Fische zu fangen.
Als der Waldläufer fort war, zog sie ihre Schuhe aus und watete ein paar Schritte in den See hinein, bis sie etwa hüfttief im Wasser stand, dann verharrte sie in einer gebückten Position. Das Wasser war ungewöhnlich klar – Sie konnte bis zu ihren Zehen hinunter sehen, und wenn sie mit diesen wackelte, konnte sie die aufsteigenden Wirbel von Schlick und kleinen Steinchen beobachten, die von der Bewegung verursacht wurden. Sie musste nicht lange so warten, bis sich ihr die ersten, neugierigen Fische näherten. Sie waren nicht besonders groß, doch das Licht der Abendsonne wurde von ihren silbernen Schuppen reflektiert, so dass sie kaum zu übersehen waren. Anora wartete noch einen Moment, dann packte sie zu – Doch ihre Finger umschlossen nichts als das klare Wasser. Leise fluchend nahm sie wieder ihre Ausgangsposition ein und wartete erneut. Dieses Spiel wiederholte sich noch einige Male, und immer griff die Elfe ins Leere. Sie machte die Verletzung an ihrer rechten Schulter dafür verantwortlich, dass ihre Bewegung zu langsam war, und mit ihrer Linken war sie nicht geschickt genug die wendigen Fische zu fassen. Ein paar Mal streifte sie deren glatte Schuppenhaut, doch das war dann auch schon Alles. Mit der Zeit wurden die Abstände, in denen sie warten musste, größer. Die Fische waren vorsichtiger geworden. Auch die Kälte des Wassers wurde langsam zu einem Problem, denn Anora begann zu frieren, und zitternde Hände erleichterten ihr ihr Vorhaben nicht gerade. Frustriert gab sie schließlich auf und watete zum Ufer zurück.
Doch der Sinn stand ihr noch nicht danach, das Wasser zu verlassen. Prüfend sah sie sich um und vergewisserte sich, dass Alyndur noch nicht zum Lager zurückgekehrt war. Dann entfernte sie sich ein Stück weit von der Uferstelle, von der aus es nur noch wenige Schritte bis zu ihrem Rastplatz waren. An einer durch Schilf geschützten Stelle machte sie schließlich Halt und sah sich noch einmal über die Schulter um. Dann streifte sie sich ihre Kleider vom Körper. Der durchnässte Stoff hatte sie schon vorher kaum noch vor der Kälte geschützt, doch nun erst spürte sie, wie kalt es tatsächlich war. Langsam aber sicher hielt der Winter Einzug in das Land. Dennoch empfand sie es als angenehm, den leichten Wind direkt auf ihrer Haut zu spüren. Anora schloss für einen Moment die Augen und genoss dieses Gefühl, ein Gefühl der Freiheit. Dann öffnete sie die Augen wieder – Sie hatte noch einiges vor.
Sie kniete sich in das seichte Wasser und begann, ihre Kleidung zu reinigen. Es war nicht einfach, das getrocknete Blut, das zu einem nicht unerheblichen Teil auch ihr eigenes war, aus dem Stoff und dem Leder herauszuwaschen, und als es ihr schließlich gelungen war, legte sie die einzelnen Kleidungsstücke am Ufer ordentlich über großen Steinen aus, damit sie dort von den Strahlen der Abendsonne getrocknet wurden. Als sie fertig war, machte sie sich daran, den Verband um ihre Schulter, den Alyndur ihr angelegt hatte, abzunehmen und ihre Wunden zu begutachten. Sie heilten nur langsam, da sie aufgrund der fehlenden Schonung in den vergangenen Tagen immer und immer wieder von neuem aufgerissen waren, doch zumindest hatten sie sich nicht entzündet. Die Verstauchung in ihrem rechten Bein war schon lange abgeklungen, die Platzwunde an ihrer Stirn kaum noch sichtbar und auch die Verbrennung in ihrer linken Handfläche hinterließ keine Schmerzen mehr, sondern nur noch Narben. Anora lächelte leicht. Ihr Körper begann langsam, sich zu erholen. Vorsichtig reinigte sie ihre Wunden und wusch sich das verklebte Blut von der Haut. Lange hatte sie sich danach gesehnt, dies tun zu können, und tatsächlich war es ein gutes Gefühl, endlich wieder von all diesem Schmutz befreit zu sein. Es war wie eine Last, die von ihr abfiel.
Anschließend ging Anora ein wenig weiter in den See hinein, und als sie nicht mehr stehen konnte, schwamm sie in langen, ruhigen Zügen. Um sie herum war eine herrliche Stille, die nur von vereinzelten Rufen der Vögel des Waldes und dem Wind, der durch die Baumspitzen zog, durchbrochen wurde. Mit der Bewegung kehrte langsam auch eine angenehme, prickelnde Wärme in ihren Körper zurück. Sie hatte sich mittlerweile ein gutes Stück vom Ufer entfernt. Die Elfe fragte sich, wie tief der See wohl sein würde, und beschloss, es herauszufinden. Sie holte tief Luft, dann tauchte sie unter die Wasseroberfläche hinab. Das Wasser war auch hier noch erstaunlich klar, doch je tiefer sie kam, desto dunkler wurde es um sie herum, da das Sonnenlicht nicht so weit zu ihr hinunter vordringen konnte. Den Grund des Sees konnte sie jedoch nicht sehen. Als sie noch tiefer tauchte, versperrte Seegras ihr die Sicht. Große Schwärme an silbernen Fischen, die weitaus größer waren als jene, die sie am Ufer gesehen hatte, stoben vor ihr zurück, formierten sich neu und schwammen dann weiter ihres Weges. Sie entdeckte mehrere Arten von Fischen und auch einige andere Wasserlebewesen, doch dann musste sie auftauchen um Luft zu holen. Anora ging noch einige weitere Male unter die Wasseroberfläche, um die Unterwasserwelt zu bewundern, bis ihr schließlich der Atem ausging. Außerdem wurde es langsam Zeit, zurück zum Ufer zu schwimmen. Ein wenig hatte sie ein schlechtes Gewissen, da es ihr nicht gelungen war, einen Fisch zu fangen und sie somit mit leeren Händen ins Lager zurückkehrte, doch vielleicht würden sie am nächsten Tag mehr Glück haben.
Als sie wieder festen Boden unter ihren Füßen spürte, wandte sie sich noch einmal zur Mitte des Sees hin um. Das letzte Licht der untergehenden Sonne wurde von der Wasseroberfläche reflektiert, so dass der See von einen roten Glanz überzogen wurde. Blutrot… In diesem Moment umgab diesen Ort eine verwunschene, fast magische Atmosphäre. Für einen Augenblick schien der See nicht mehr nur ein einfacher Vorgebirgssee zu sein, sondern ein von den Göttern berührter Ort.
Leicht schaudernd wandte Anora sich von diesem Schauspiel der Natur ab und ging zurück zum Ufer.