Scot d'Arnd
„Die Mannschaft hat nichts gefunden, was eine Bergung lohnen würde, Käpt’n“, erstattete ihr erster Maat Bericht. „Stadt ist völlig ausgebrannt, nicht einmal die Kirche steht noch.“ Er deutete in der Luft herum. „Die Jungs haben eine kleine Hütte oben aufm Berg gefunden, aber die war leer.“ Er spuckte auf den Boden. „Umsonst, das alles.“
„Ay, hat einer ganze Arbeit geleistet“, stimmte Dufte ihm zu, während sie mit ihrer Axt in der Asche des ausgebrannten Gasthauses herumstocherte, in dem sie standen. „War nicht das Werk von Amateuren. Fischervolk ist stark und zäh und Angriffe gewöhnt. Sind bei Nacht gekommen, ein großes Schiff. Hundertfünfzig, vielleicht zweihundert Mann.“ Sie rieb die Asche von ihrer Klinge und schob sich die Axt wieder in den Gürtel. „Trommel die Männer zusammen, wir hau’n ab.“
Sie wandte sich zum Gehen, als sie durch das ausgebrannte Gerüst des Gasthauses sah, wie jemand die Segel ihres Schiffes setzte. „Ey!“ Sie lief raus und runter zum Strand. „Was machen die da? Wer hat das befohlen?“
Das Schiff setzte sich in Bewegung. „Was zur Hölle?“, brüllte Dufte, die Männer um sie herum sprangen auf. Ihr Schiff verließ die Bucht und hinter ihm kam ein anderes in Sicht. Oder weniger ein Schiff, mehr ein Fischerboot. „Verdammt nochm… Die klauen mein Schiff!“
…-…-…-…
„Kapern, Sir?“, versuchte es Fry.
„Wie bitte?“
„Sehr wohl, Sir.“
Die Männer hatten bereits ihre Positionen eingenommen und Neptun machte es sich am Steuer des neuen Schiffes gemütlich. Dessen alte Besatzung saß festgeschnürt auf dem Fischerboot, das der Ol‘ Ohm wohl nicht so rasch wiederbekommen sollte.
„Darf ich anmerken, dass es ein erstaunlicher Geniestreich war, euch dieses Schiff anzueignen, Sir?“, sagte Fry und nahm seinen Platz an des Käpt’ns Seite ein. „Erstaunlich, in der Tat.“
„Du darfst“, erlaube Neptun gönnerhaft und streichelte sanft über das Steuer. „Ein erstaunlicher Geniestreich.“
„Obgleich ich meine Anerkennung keinesfalls geschmälert sehen möchte, sehe ich es doch als meine Pflicht an, Euch daran zu erinnern, dass es unser eigentliches Ziel war, Port Turner auf Indizien zu untersuchen, und nicht, uns einen neuen Kontrahenten zu machen.“ Fry deutete auf die Insel, die hinter ihnen immer kleiner wurde. „Ihr wisst schon, wegen…“
„Mach dir keine Sorgen, alter Knabe, dein guter Käpt’n hat alles im Griff“, sagte Neptun und legte Fry wie ein großzügiger Onkel seinem Lieblingsneffen eine Hand auf die Schulter. „Das wahrlich genitale an meinem Plan war nämlich nicht, wie wir das Schiff geklaut haben. Dass ich unserm neuen Kontanten unser altes Boot zurückgelassen habe, darin zeigt sich mein wahres Geni…“
„Eure Größe, Sir, Eure Größe“, unterbrach Fry. De’Silva nickte und nahm die Treppe von der Brücke runter. Fry befahl Bob, dem Steuermann, seiner Profession nach zu kommen und folgte dem Kapitän. „Sir, nur damit ich mich nicht selbst im fein geknüpften Netz Eures Planes gefangen setze, würdet Ihr mir vielleicht ausführen, wie ihr Euch das weitere taktische Vorgehen eurer Männer vorgestellt habt?“
„Fry, wenn ich dir meinen Plan verrate, dann ist er doch nicht mehr geheim“, erklärte de’Silva dieses Selbstverständlichkeit.
„Sir, Ihr müsst mir euren Plan schon verraten, sonst passiert überhaupt nichts“, gab Fry zu Bedenken. Neptun sah ihn eine Spur verwirrt hat. „Sir“, fügte Fry daher hinzu.
„Nun, dir kann ich meinen Plan wohl verraten“, sagt de’Silva, während er interessiert die Reling musterte, welche von Frys Warte aus wenig spektakulär wirkte. Offensichtlich hatte er es sich doch wieder anders überlegt, denn Neptun schwieg. Als er ihm eine Weile dabei zugesehen hatte, wie er die Reling anstarrte, räusperte sich Fry. „Holz“, sagte Neptun.
„Wie bitte, Sir?“
„Holz. Die Reling. Sie ist aus Holz. Das ganze Schiff ist aus Holz“, stellte Neptun fest. „Ausgezeichnet! Das sollte meinen Plan noch einfacher machen.“ Die Vorstellung eines lichterloh brennenden Schiffs brachte Fry auf den Gedanken, alle Brandbeschleuniger in einer günstigen Minute vor dem Zugriff des Kapitäns sicher zu verwahren.
Dieser wirbelte herum, sah Fry einen Augenblick unter seinem Albatrosfederhut sehr genau an und überlegte. Er hob den Finger, legte ihn ans Kinn, tippte zweimal dagegen und: „Ich geh zu Bett.“ Dann stolzierte er in Richtung Kajüte. „Hoffentlich schlafe ich ohne Emmas schöne Singstimme auch ein.“
„Aber, Sir, Euer Plan“, rief Fry hinterher, als Neptun die Tür hinter sich zuschlug.
„Gute Nacht“, tönte es dumpf durch die Tür. Und dann: „Halt! Wer hat mein Bett geschrumpft?“
…-…-…-…
Der Mond stand hoch am Himmel und die See war ruhig. Dufte schleuderte ihren Enterhaken über die Reling und zog sich mit wenigen, kräftigen Zügen aus dem widerlich stinkenden, engen Fischkutter, auf dem ihre Mannschaft wartete. Sie schwang sich über die Reling, landete auf beiden Füßen, rutschte aus und landete auf ihrem Hinterteil.
„Verdammt“, murmelte sie und rieb über den Boden, der vollgeschmiert war mit etwas, was sie angewidert als Tran ausmachte. Ehe sie sich einen Reim darauf machen konnte, sah sie jedoch einen Mann auf der anderen Seite des Schiffes, ein einsamer Wachmann, der sie nicht gehört hatte. Sie griff nach Messer und Axt, pirschte sich an ihn heran, sprang und rammte ihm die Axt in den Rücken.
Der Mann fiel nach vorne aufs Deck und sie hörte es laut scheppern. Ein Eimer rollte über den Boden und ein zerbrochener Besenstiel lag da, wo eigentlich die Leiche eines dreckigen Schiffsdiebs liegen sollte. Nur eine Attrappe. Dufte knurrte. Etwas Merkwürdiges ging hier vor. Sie sah sich um, keiner schien ihr kommen bemerkt zu haben. Das Schiff war ruhig wie ein Fisch nach zwei Tagen Landgang. Und dank des Trans, roch es auch so.
Dufte pfiff und ihre Crew folgte ihr auf Deck. Dreißig Mann, ungewaschen, bis auf die Zähne bewaffnet und wütend. So mochte sie ihre Jungs. Sie gab ihnen Zeichen und die Piraten verteilten sich. Dufte wusste, dass irgendwo der Feind lauerte.
Drei Männer machten sich auf zur Tür, die Unterdeck führte. „Ähm, Käpt’n?“
„Ssssh!“, zischte Dufte grimmig. Dann aber sah sie, dass jemand die Türen verkeilt hatte. Von außen. Sodass niemand heraus kommen konnte. „Beim Klabautermann..?“
„Seid gegrüßt, meine Kontanten!“, rief jemand über ihr. Sie sah hinauf und konnte sich gerade noch wegducken, als ein Mann sich mit einem Seil aus der Takelage hinuntergeschwungen kam und direkt neben ihr auf dem Deck landete. Er trug einen Hut mit einer Albatrosfeder, einen langen Säbel und… Bürsten unter den Stiefeln.
Rasch sah sich der Mann umgeben von dreißig Mann, alle die Waffen auf ihn gerichtet. Das schien ihn jedoch nicht weiter zu stören. Er sah sich um, nahm einen der Piraten, einem Mann mit Augenklappe und Holzbein, ins Visier, ging auf ihn zu und verneigte sich. „Sehr erfreut, Herr Kapitän. Ich bin Sir Neptun Odysseus de’Silva, Freibeuter seiner Majestät und Pirat ohne Herr, stets zu Diensten.“ Der Einäugige ließ seinen Säbel verwirrt sinken und sah zu Dufte. Die zuckte mit den Schultern. Den Verrückten schien das wenig zu stören, denn er sah seinen Gegenüber an und erkundigte sich höflich: „Und wer seid ihr, Kapitän?“
„Oi“, rief Dufte. De’Silva drehte sich einmal schwungvoll im Kreis, sah dabei über Dufte hinweg und kam mit einer eleganten Bewegung wieder in der Ausgangsstellung an. „Bin hier, Schwachkopf!“
Diesmal sah de’Silva sie. Seine Augen weiteten sich und er klatschte aufgeregt in die Hände. „Ein Kleinwüchsiger“, jauchzte er. „Ist das nicht lieblich?“
„Nichts ist hier lieblich“, raunzte Dufte. „Es heißt Zwergin!“
„Kleinwüchsiger Zwergin?“ De’Silva schüttelte den Kopf „Nein, das kommt mir falsch vor.“
Dufte trat vor und drohte mit der Axt in Richtung des Verrückten. „Bin nicht hier, um mich beleidigen zu lassen, Schwachkopf! Du wirst dafür bezahlen, dass du mein Schiff geklaut hast.“
„Gekapert“, verbesserte de’Silva und grinste glücklich. „Ach, und wenn ich bezahlt habe, darf ich es dann auch behalten?“
„Hältst dich wohl für ganz schlau, was, Schwachkopf?“ Sie nickte zwei ihrer Männer zu, die den Verrückten attackierten. Beide rannten auf ihn zu, einer rutschte ab, fiel hin und schlitterte mit dem Kopf gegen den Mast. Der andere erreichte Neptun, der ob der Attacke erschrak und beim Zurückweichen dem Angreifer versehentlich ein Bein stellte. Auch der stürzte, rutschte einige Meter weiter und kegelte zwei weitere Piraten um.
„Huch“, sagte Neptun und hob entschuldigend die Hände. „Das tut mir wirklich außerordentlich Leid.“ Er beugte sich herunter zu dem Mann am Mast, merkte dann aber, dass dort nichts zu wecken war, und wandte sich wieder Dufte zu. „Wie dem auch sei, Ihr wart gerade dabei, mir zu erzählen, was in Port Turner geschehen ist.“
„War ich nicht.“
Neptun kniff die Augen zusammen, überlegte und sagte dann ganz langsam: „Doch… ich glaube, dass wart ihr… schon.“ Er nickte noch einmal versichernd. „Ihr habt mir erzählt, wie ihr in das kleine Fischerdorf eingefallen seid, es niederbranntet, und Männer, Frauen und Kinder allesamt getötet habt.“
„Wa ham niemanden jetötet“, rief einer von Duftes Jungs, der Einäugige mit dem Holzbein. „Warn alle wech, bevor wir jekommen sind. Und abjebrannt war auch.“
Ein Donnern hinter der verkeilten Tür ließ sie herumfahren. Dufte umgriff ihren Axtstiehl fester. „Männer, zur Tür!“ Alle Piraten drängten rüber, die Waffen erhoben. Sie selbst blieb zurück, um auf den Schwachsinnigen aufzupassen, der ob des raschen Gedrängels milde verwundert wirkte.
„Nun, wie dem auch sei“, sagte er schließlich. „Da ihr die braven Bürger von Port Turner nicht getötet, nehme ich an, dass ihr euch ihrer gewaltsam bemächtigt habt?“
„Nein, haben sie nicht ent…“ Es donnerte wieder. „Hast du deine Crew eingesperrt?“ Dufte wusste, dass sie überrascht sein sollte, aber als dieser Verrückte eifrig nickte, passte es dafür doch zu sehr ins Bild. „Warum?“
„Meine guten Bukanieren hätten uns doch bei unserer munteren Konversion gestört, oder nicht?“, erklärte de’Silva. Es donnerte wieder und er zuckte zusammen. „Hat mich das vielleicht erschreckt!“ Ein weiteres Donnern und ein Splittern ließen auf das nahe Ende der Tür schließen. „Nun, da ihr mir alle Informierungen gegeben habt, die ich brauche, ist es wohl Zeit, die Klingen zu kreuzen.“ Und Neptun zog seinen Säbel.
„Endlich“, grummelte Dufte und griff an. Als die Klingen zum ersten Mal aufeinander trafen, splitterte die Tür entzwei und der Kampf begann.
…-…-…-…
Als die Sonne aufging, saßen Neptun, Fry und die ganze Crew in Fässern und trieben auf dem ruhigen Meer auf und ab. Kapitän Dufte war so gnädig gewesen, sie nicht sofort hinzurichten, sondern in Fässer gesteckt aufs Meer hinaus zu schicken, wo sie bald elendig verdursten sollten.
Neptun war wie immer bester Laune. Er hockte aufrecht in seinem Fass, seine Albatrosfeder wehte in einer leichten Brise. „Ich konsterniere…“
„Konstatiere, Sir“, verbesserte Fry, der sich am Rand seines Apfelfasses festklammerte.
„Nein, diesmal bin ich mir ziemlich sicher“, sagte Neptun mit überlegener Miene. „Ich konsterniere, dass mein Plan aufgegangen ist.“
„Und wie kommt Ihr zu diesem Ergebnis“, fragte Fry.
„Ich habe erfahren, was in Port Turner vorgefallen ist und die gesamte Crew hat es überlebt“, konsternierte Neptun zufrieden.
„Und wie bewertet ihr, dass wir zwei Schiffe verloren haben, unsere Waffen an eine andere Piratentruppe abgeben mussten und uns auf hoher See wiederfinden, mit nichts anderem als jeweils einem Fass, um uns vor dem Ertrinken zu bewahren, sodass wir mit viel Glück nur langsam verdursten?“
„Gut“, bewertete Neptun.
„Gut, Sir?“
„Gut.“
„Gut, Sir…“