[Limbo - Runde II] anonym / anonym

Welche Geschichte ist die bessere?

  • die erste

    Stimmen: 6 50,0%
  • die zweite

    Stimmen: 6 50,0%

  • Umfrageteilnehmer
    12
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Enigma

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Ihr wisst natürlich, welche beiden Schreiber noch übrig sind, aber nicht, wessen Text welcher ist. ;) Viel Vergnügen!

 
 

Enigma

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Urteile

Manchmal konzentriert sich der Geist gerne auf ganz andere Dinge, während sich die Zunge allein um die Welt kümmert. Vortin schaute knapp am Kopf des Mannes vorbei, der direkt vor ihm stand, und bewunderte das Gefieder eines plumpen Singvogels in einem nahen Baum. War der blaue Schimmer, um Weibchen zu beeindrucken? Freilich kaum zur Tarnung zu gebrauchen…

„Nichts als Wild und der übliche Handelsverkehr auf den Pfaden, Herr.“

Der Mann nickte verständnisvoll. Vortin gab nach und schaute ihn doch direkt an. Nichts in dem feinen Gesicht deutete auf Zweifel oder einen Verdacht hin. Warum auch, Vortin war dem Mann als ehrlich und pflichtbewusst bekannt. Vortin wusste allerdings, dass der Mann kleinlich, hartnäckig und geizig ist. Für einen Vogt sicherlich keine völlig unpassenden Eigenschaften, doch Vortin hegte eine Instinktive Abneigung gegen das Amt und durchaus auch gegen die Person, die es bekleidete. Stand er doch tatsächlich in purpur- und lavendelfarbenem Gewand im Wald, ganz auf die beiden großen Burschen, in gekochten Leder und Kettenhauben für Schutz und Wegweisung, angewiesen.

„Trotzdem besteht die Chance, dass er durch euren Wald kommt. Seid gewarnt.“

Vortins Blick verfinsterte sich ein Stück mehr als eigentlich notwendig war.

„Noch ein Strauchdieb? Das wäre nicht das erste Mal.“

Der Vogt schüttelte den Kopf.

„Dieser ist anders, Meister Calo. Es ist ein Drow.“

Einen Moment lang blieb der Waldläufer regungslos, dann legte sich seine rechte Hand auf den Knauf seines Schwerts.

„Ein Drow?“

Auch diese Reaktion überraschte den Vogt kein Stück. Drow an der Oberfläche waren immer schlechte Nachrichten, waren sie doch immer ein Vorbote von rascher Zerstörung und Leid.

„Ein Einzelner, soweit wir wissen. Vermutlich ein Späher oder ein Verlorener Teil einer Räuberbande.“

Vortin nickte. Es gab nur ein denkbares Ende.

„Wenn er durch diesen Wald kommt, ist es das Letzte was er auf dieser Welt tut, verlasst euch darauf.“

Ein Lächeln huschte über das Gesicht des Vogts.

„Wir wissen, dass auf euch Verlass ist, Meister Calo. Vielleicht ist er auch in eine andere Richtung geflohen. Hoffentlich sehen wir seinesgleichen nicht wieder.“

Vortin hob seinen Rucksack und seinen Bogen von der Erde auf.

„Das hoffe ich auch. Ich werde Ausschau halten.“

Die beiden Leibwächter hoben eine Hand zum Gruß an die Brust.

„Möge die Waldfürstin auf euch achten.“

Mit schnellen Schritten ließ Vortin die drei Männer hinter sich. Ein Drow im Wald bedeutete Ärger. Die Sorge auf seinem Gesicht war nicht gespielt gewesen, allerdings nicht aus Sorge vor einem Raubzug der Dunkelelfen, sondern weil er dem halbadligen Flamingo von einem Vogt ins Gesicht gelogen hatte und den Drow nur einen halben Tag zuvor hatte passieren lassen.
Man war also schon auf der Suche nach ihm. War zu erwarten gewesen, aber schön war es nicht.

Vortin folgte seinen eigenen Wegen, kaum sichtbar zwischen den Bäumen und dem Unterholz. Innerhalb eines halben Tages konnte er ein ganzes Stück des Waldes der Länge nach durchqueren.

Der Morgen floss dahin und wurde Mittag. Der Himmel zog sich immer mehr zu, sodass, trotz der frühen Stunde, alles wie im Zwielicht erschien. Nichts hatte Vortins Aufmerksamkeit erregt, außer einer Bärin mit ihren Jungen, um die er einen respektvollen Bogen geschlagen hatte.

Zur zweiten Stunde des Mittags kam er auf eine Lichtung. Um diese Jahreszeit war sie meistens ungestört, während zur Handelszeit fast jede Nacht Reisende dort rasteten. Auf dem niedrigen Gras konnte man die Reste wochenalter Feuer sehen. Weiße Blumen wuchsen am Rand. Jemand war hier vor nicht allzu langer Zeit ermordet worden.

Vortin stand einige Sekunden regungslos und beobachtete die Umgebung, doch nichts, außer die Geräusche des Waldes, war zu hören.
Der Mann lag in seinem Blut, Arme und Beine von sich gestreckt und das Gesicht zur Erde hin gerichtet. Vortin drehte den Körper um. Das Gesicht kam ihm nicht bekannt vor. Graue Augen blickten ins Leere. Kein Waldläufer, aber auch kein argloser Stadtbewohner. Die Stiefel waren gut, die Kleidung robust und die beiden Klingen, harmlos in ihren Scheiden, waren sehr gepflegt. Ein Beutel mit Münzen hing unangetastet am Gürtel. Mehrere Messerstiche, in und um das Herz herum, hatten sein Leben beendet. Nachdenklich streute Vortin eine Hand voll Erde über den Leichnam, als provisorischer Segen der Waldgöttin. Nichts schien gestohlen worden zu sein, außer dem Umhang. Die Schnalle lag neben der Leiche, aber das Tuch selbst war nicht zu sehen.
Während er ein flaches Grab aushob, brütete Vortin weiter. Der Mann war von hinten angegriffen worden, mit Stahl, so wie es aussah. Geld und Waffen waren noch da, das schloss Räuber kategorisch aus, außer er hatte irgendwas noch wertvolleres bei sich. Ein Bote? Ein Kurier? Und der Umhang, wer würde den Umhang stehlen, aber den Rest liegen lassen?
Andere Humanoide, Orks, Goblins, Tasloi, hätten andere Spuren hinterlassen. Überhaupt, Spuren.. Es gab welche, nicht gerade frisch, aber erkennbar. Barfuß, humanoid.

Ein Bild formte sich in seinem Kopf, vom Vogt, wie er ihn daran erinnerte, dass er gewarnt worden war. Konnte das sein? Der Drow hatte, unter all seinem Stolz, verloren und verängstigt gewirkt. Jeder wusste wie grausam die Dunkelelfen sind. Jeder wusste was sie taten. Aber jeder wusste auch, dass Bären heimtückische Bestien sind, obwohl Vortin selbst wusste, dass die großen Wesen niemals von sich aus Angriffen. Nicht alles, was jeder wusste, war auch wahr.
Trotzdem musste er es herausfinden. Wenn er falsch lag, dann hatte er es verschuldet. Mit seinem Bogen in der Hand folgte er den Spuren.



Shynzar hob die Hände und bewegte sich nicht. Einmal mehr dachte er daran, dass ein Krieger ohne Waffen und Rüstung nicht viel wert war. Kein Wunder, dass seine Brüder, Magier bis auf den Letzten, eine ganz eigene Arroganz vorführten, wenn keine Frauen in der Nähe waren.

„Waldmensch“ sagte er langsam, darauf bedacht die Sprache der Oberwelt deutlich zu halten „so schnell wieder bei mir und so ohne Freundlichkeit?“

Vortin blickte ihn über den Rand seines Pfeils an.

„Hat sich etwas verändert?“ fragte der Elfenkrieger. Seine Augen bewegten sich von der Pfeilspitze weg und suchten die Augen des Waldläufers.

„Der Umhang“, sagte Vortin.

Die Hände noch immer oben, nickte Shynzar.

„Von einem Menschen. Ein paar eurer Meilen zurück. Schon kalt als ich kam.“

Vortins zeigte keine Reaktion. Shynzar fuhr fort:

„Mir ist auch kalt gewesen, ihm bedeutet die Kälte nichts mehr. Das ist alles was ich genommen habe.“

„Man sucht bereits nach dir. Man verlässt sich darauf, dass ich dich finde, auch wenn ich heute Morgen glaubwürdig versicherte keinen Drow in meinem Wald gesehen zu haben.“

Shynzar schluckte. Er war sich sicher gewesen, dass man nicht mehr als seinen Umriss hatte sehen können… und jetzt, Panik, Angst vor einem Raubzug, einer Invasion. Er wusste genau, was sein Volk den Oberweltlern antat.

„Und trotzdem bist du mir gefolgt?“

„Ich wäre dir nicht gefolgt, bis ich den Toten fand.“
„Mich trifft keine Schuld, Waldläufer.“

Gebt dem Drow die Schuld. Einfach!

„Gibt es mehr als nur dein Wort?“

Langsam senkte Shynzar eine Hand und brachte die kümmerlichen Reste seiner Klinge zu Tage. Er warf sie Vortin vor die Füße.

„Mehr ist vom Schwert nicht übrig. Das Metall des Unterreichs mag eure Sonne nicht.“

Viel mehr als der Griff war nicht mehr erkennbar. Man konnte es höchstens noch jemanden an den Kopf werfen.

Der Drow ließ den Umhang von seinen Schultern gleiten und hob wieder die Arme.

„Keine Waffen. Kein Verdacht.“

Vortin blinzelte, als er angestrengt nachdachte. Die Waffen des Toten waren unangetastet geblieben. Konnte der Elf tatsächlich zufällig über die Leiche gestolpert sein, nur um dann umsichtig das am wenigsten Wichtige mitzunehmen? Aber hätte er die Waffen oder das Gold genommen, hätte er es jetzt bei sich, würde ich nicht zögern.

„Jemand anders, Waldläufer!“

Vortin atmete tief durch. Er senkte den Bogen, doch der Drow entspannte sich nicht. Erst als Vortin einen Dolch aus seinem Gürtel zog und zu ihm warf, regte er sich.

„Dann ist ein Mörder in meinem Wald“, sagte Vortin. „Du wirst mir helfen.“

Als Shynzar die Klinge aufhob, leuchteten seine Augen im Dämmerlicht.
 

Enigma

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Ein ungleicher Kampf

Hoch auf den Klippen oberhalb der Schwertküste stand Vortin Calo, Beschützer der Küstenstraße und Waldgebiete südlich von Baldur’s Tor, und sah auf das Meer hinaus. Die Morgensonne glitzerte auf den Wellen, eine leichte Brise ließ die Baumwipfel rauschen, und Vortin stand einfach nur da, die Augen geschlossen.
Er liebte diese Augenblicke der Stille, die er sich am Morgen und Abend eines jeden Tages gönnte. Das Leben war hart und erschöpfend genug, und er hatte vor einigen Jahren bemerkt, dass er diese Momente der Besinnung brauchte. Tagsüber dachte er nicht über das nach, was er tat und erlebt hatte, schob alle Erinnerungen beiseite und lebte für seine Pflicht, für all jene, die sich auf seinen Schutz verließen.
Nur diese Momente gestand er sich zu. Diese tägliche Routine schaffte eine Illusion der Ruhe, die in seinem Leben nicht vertreten war, eine Illusion des Friedens inmitten all des Leids, das er nicht immer auszugleichen in der Lage war.

Bevor er gedanklich und tatsächlich in seinen Alltag zurückkehrte, nahm er sich die Zeit, um jenen zu gedenken, die er auf seinem Pfad hinter sich gelassen hatte.
Seine Gedanken wanderten zurück zu seinen Eltern, die gestorben waren ohne dass er sich von ihnen verabschieden konnte. Er schloss die Augen und sprach, wie jedes Mal, ein Gebet für ihre Seelen und die seine. Doch dieses Mal schloss er zum ersten Mal auch eine andere Person in sein persönliches Gebet ein. Und zum ersten Mal seit langer Zeit spürte er, wie sein Herzschlag sich beschleunigte, und ein sonderbares Gefühl sich seiner Eingeweide bemächtigte. Vorfreude.
Nach einem letzten Blick auf die bewegte See drehte Vortin Calo sich um und machte sich auf den Weg, nordwärts.


Er war kaum eine Stunde auf der Handelsstraße am Waldrand unterwegs, als Kampfeslärm zu ihm herüberdrang.
Nicht schon wieder, nicht jetzt, nicht heute.
Egoistische Gedanken – ein brennendes Schuldgefühl überkam ihn. Noch nie hatte er das Bedürfnis gehabt, seine eigenen Bedürfnisse über die von jemand anderem zu stellen, und es wäre ein schlechtes Omen für seine Zukunft, wenn er das gerade an diesem Tag ändern würde.
Vortin legte einen Pfeil auf die Bogensehne und rannte los.


Bald kam er auf einen Pfad, für das ungeübte Auge kaum erkennbar. Ideal, um nichtsahnende Reisende von der Straße zu locken und auszurauben.
Der Pfad führte ihn auf eine kleine Lichtung, und Vortin brauchte kaum mehr als einen flüchtigen Blick, um die Situation einzuschätzen.
Eine Gestalt lag in ihrem eigenen Blut auf dem Waldboden, ihr Kurzschwert noch in der Hand. Die andere Gestalt stand mit dem Rücken zu Vortin über die Leiche gebeugt. Ihre beiden Waffen leuchteten hellrot in der Morgensonne – mehr Anzeichen für das, was hier vorgefallen war, brauchte er nicht. Er spürte Bedauern, dass er nicht rechtzeitig gekommen war um den anderen vor einem sinnlosen Tod zu bewahren, doch er war nicht zu spät, um den Mörder zu richten. Und bei allen Göttern, das würde er tun!

Noch bevor er sich entscheiden konnte, ob er den Fremden anrufen oder ihn ohne jede Warnung erschießen wollte, drehte dieser sich um. Sein Gesicht lag im Schatten einer Kapuze, und auch wenn er sie nicht sehen konnte, fühlte er sich unbehaglich, als würden die unsichtbaren Augen des Fremden ihn durchbohren.
Zorn flammte in Vortin auf. Die meisten Raubmörder ergriffen entweder die Flucht, oder gingen unmittelbar zum Angriff über. Dieser hier blieb einfach stehen, als habe er sich selbst nichts vorzuwerfen, ja, als sei Vortin derjenige, der sich schämen müsste, weil er ihn bei einer wichtigen und erfreulichen Tätigkeit unterbrochen hatte.

„Erklärt Euch und Euer Handeln, Fremder!“

„Nein.“ Kaum mehr als ein raues Flüstern, eine Stimme, als ziehe jemand trockenes Leder über einen Felsen.
Der Mann breitete die Arme aus, drehte seine Waffen nach außen, die Spitzen gen Boden gerichtet. Als wolle der andere ihn damit verspotten, dass er ihm die ungeschützte Brust entgegenstreckte. Oder ihn provozieren.
Wenn dem so war, hatte er sein Ziel erreicht. Vortin zögerte keine Sekunde – er hatte es hier mit einem Mörder zu tun, und er wusste, wie er mit Mördern umzugehen hatte.
Er spannte den Bogen, zielte, schoss.
Warf den Bogen zur Seite und zog sein Schwert.
Der Fremde war dem Pfeil mit einem Satz zur Seite ausgewichen, sodass der Pfeil nur seine Schulter streifte anstatt sein Herz zu durchbohren. Noch immer hatte er seine Schwerter nicht zur Verteidigung erhoben, sondern betrachtete nur die oberflächliche Wunde, sich offensichtlich nicht bewusst, dass der nächste Angriff unmittelbar bevor stand.
Vortin nutzte das aus – im Kampf gegen den Abschaum der Gesellschaft war alles erlaubt, und jeder ungenutzte Vorteil konnte seine Niederlage bedeuten. Dies hier war kein ritterlich-ehrenhaftes Duell um die Ehre, sondern ein Kampf bis auf den Tod – den Tod des anderen, wenn es nach ihm ging.
Er schlug zu, legte sein gesamtes Gewicht in einen Schlag, der den anderen enthauptet hätte – wäre dieser nicht im letzten Moment in die Knie gegangen. Vortin fluchte und setzte nach, nutzte den Schwung für einen weiteren diagonalen Hieb.
Dieses Mal fingen beide Klingen des Fremden Vortins Langschwert ab. Er wappnete sich für einen Gegenangriff, doch nichts passierte.
Vielleicht war der andere nur dann in der Lage zu morden, wenn er nicht in die Augen seiner Opfer blickte? Wie dem auch sei, Vortin würde sein Glück sicher nicht in Frage stellen.
Mit stetig aufeinander folgenden Schwerthieben trieb er den anderen zurück, und als dieser einen hohen Schlag von ihm über seinem Kopf blockte, nutzte er die Gelegenheit und trat ihm mit voller Wucht in den ungeschützten Bauch.
Wie erwartet fiel der Fremde, doch kaum hatte er den Boden berührt rollte er sich rückwärts ab und kam – mit mehr Eleganz als der Situation angemessen war – wieder auf die Füße.

Seine Kapuze war ihm bei diesem Manöver jedoch vom Kopf geglitten und gab nun den Blick auf sein Gesicht frei.
„Drow!“, zischte Vortin. Noch nie zuvor hatte er eine dieser abgrundtief bösen Kreaturen getroffen, doch was er gehört hatte, reichte aus um sich ein Bild zu formen. Ein Bild, das nur zu gut zu der Szene passte, die er auf dieser Lichtung vorgefunden hatte.
Sein Zorn flammte erneut auf. Dieser Drow würde schon bald am eigenen Leibe erfahren, dass diese Region unter seinem Schutz stand – und würde in seinen letzten Atemzügen bereuen, dass er sich jemals aus seinem dunklen Loch hervorgewagt hatte!

Die Augen des Dunkelelfen weiteten sich – aus Furcht? – als Vortin mit neuer Energie auf ihn los ging, und inzwischen schien es ihm deutliche Schwierigkeiten zu bereiten, jeden der Angriffe zu parieren. Vortin grinste. Das war noch nicht alles, was er zu bieten hatte. Geschickt bewegte er sich so um seinen Kontrahenten herum, dass er selbst die Sonne im Rücken hatte und die langsam an Kraft gewinnende Morgensonne dem Drow direkt ins Gesicht schien.
Als der Dunkelelf die Augen mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammenkniff, ergriff Vortin seine Chance und sprang nach vorne, schlug mit dem Langschwert in der Rechten die brüchige Abwehr beiseite und stieß mit der Linken eins seiner langen Jagdmesser in die Seite des Drow.
Der Drow schrie auf und taumelte zurück, das Messer noch immer in seinem Körper.

Das Grinsen auf Vortins Gesicht wurde breiter. Er wusste nicht, ob er ein lebenswichtiges Organ getroffen hatte – wer wusste schon, ob die Anatomie der schwarzen Teufel mit der der Menschen übereinstimmte? – doch das war nicht wichtig. Der Drow verlor Blut, viel Blut, und er würde nicht viel mehr tun müssen als zu warten.
Wobei es sicher gnädiger wäre, wenn er seinem Leiden ein schnelles Ende bereiten würde...

Bevor Vortin jedoch zum Gnadenstoß ansetzen konnte, begann der Drow in einer Sprache zu sprechen – nein, zu singen – die Vortin noch nie gehört hatte, und deren Klang einen Schauer über seinen Rücken jagte.
War der andere ein Magier? Verfluchte er ihn mit seinem letzten Atemzug? Was er auch tat, Vortin hatte keine Zeit zu verlieren – er musste es beenden, bevor er selbst einen grausamen Tod erlitt.
Er machte einen Schritt nach vorne, das Schwert zum letzten Schlag erhoben... und hielt inne, als ihm schwarz vor Augen wurde.
Instinktiv sprang er zurück, doch die Dunkelheit blieb. Mit der freien Hand fuhr er sich über die Augen, ohne Effekt.
Von plötzlicher Furcht gepackt schwang er sein Schwert um sich, in der Hoffnung, dass die wirbelnde Klinge den Dunkelelfen in seinem heimtückischen Angriff aufspießen oder zumindest so lang zurückhalten würde bis die Dunkelheit verschwunden war.

Doch als die Dunkelheit nach einer Weile nebelgleich verflog, war der Drow nicht mehr zu sehen.
Nur eine Blutsspur zeigte Vortin, wohin er geflohen war – durch das Dickicht tiefer in den Wald hinein. Er zögerte nicht, sondern nahm sogleich die Verfolgung auf, hoffend, dass der Vorsprung nicht zu groß war.


Vortin folgte der Spur weit in den Wald hinein. Der Drow war Wildpfaden gefolgt und hatte keinerlei Fußspuren hinterlassen, doch das Blut verriet ihn. Vortin musste sich zur Sorgfältigkeit zwingen – auch wenn dieser Drow keinerlei kämpferisches Geschick bewiesen hatte, so bestand doch noch die Möglichkeit, dass er nur auf den geeigneten Moment wartete, um ihn aus dem Hinterhalt anzugreifen. Er musste wachsam bleiben, auch wenn das bedeutete, dass er langsamer voran kam.

Mit einem Mal hörte die Blutspur auf. Verwundert starrte Vortin auf den letzten Tropfen, dann auf den makellosen Pfad, das unberührte Gebüsch zu beiden Seiten des Pfades...
Dann erst sah er sein Jagdmesser, das tief in den Stamm einer jungen Birke getrieben war. Von den Drow keine Spur.


Er stand eine Weile da, betrachtete das Messer und lauschte in die Stille des Waldes hinein, während das Blut auf der Klinge sich langsam dunkel färbte, trocknete.
Nichts. Nur das Rauschen der Blätter.
Er ließ noch ein Dutzend Atemzüge verstreichen, dann drehte er sich um und folgte dem Pfad zurück zur Lichtung.


Nachdem er ein flaches Grab für den unbekannten Toten ausgehoben und ein kurzes Gebet gesprochen hatte, machte er sich erneut auf den Weg, weiter Richtung Norden.
Schließlich wurde er erwartet, und wenn es nach ihm ging, würde er diese Nacht mit weitaus erfreulicheren und vermutlich ungefährlicheren Dingen verbringen als dem Nachstellen von Mördern in der Düsternis.
Als die Sonne erneut durch die Wolken brach und den Wald in ihr Licht tauchte, lächelte Vortin, zum ersten Mal seit Jahrzehnten ohne Bitterkeit.
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
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Das man nicht gesagt bekommt, wer welche Geschichte geschrieben hat, finde ich gut ! :up: Auch wenn ich es ziemlich eindeutig finde, von wem was stammt, aber vielleicht liege ich ja falsch.

Das man "anonymous vs anonymous" drüberschreibt, wenn beide Geschichten doch genau dieselben zwei Charaktere aus dem Wettbewerb enthalten und man nun wirklich genau weiß, welche beiden Schreiber hier aufeinandertreffen, selbst wenn man bei ALLEN Abstimmungen "anon vs anon" drüberschreiben würde, finde ich nicht so gut.

Mein Punkt geht jedenfalls an die erste Geschichte, und die Wahl war ziemlich leicht. Auch die zweite Geschichte ist gut geschrieben, aber das Bessere ist der Feind des Guten. Und die zweite Geschichte ergibt für mich einfach keinen Sinn, die erste aber schon.
 

Kraven

Lernender
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Hm... ich bilde mir auch ein, die Stile zuordnen zu können, aber Anonym vs. Anonym ist trotzdem eine ziemlich coole Idee.

Mein Punkt geht recht knapp an die erste Geschichte, weil... naja. Sehr gut geschrieben einfach. Ein ruhiges, aber nicht langweiliges Erzähltempo, und die Charaktere, die da aufeinander treffen... geil. Einfach sehr sehr gut dargestellt, wie Vortin und Shynzar aufeinander treffen, die Spannung, die zwischen den beiden besteht, und im Falle von Shynzar auch eben diese gruselige Ungewissheit auch auf Seiten des Lesers, wie um alles in der Welt man den Drow denn nun einordnen soll.
Ich kann Shynzar ob dieser Ungewissheit nicht leiden. Und ich will unbedingt mehr von ihm lesen :D

Dabei ist die zweite Geschichte ebenfalls ziemlich gut. Lässt sich ebenfalls wunderbar flüssig lesen, und die Kampfszene ist ja mal sowas von geil... man sieht die Bewegungen. Was mich hier letzten Endes stört, ist die Charakterisierung. Vortin kam mir in der Charakterbeschreibung wie ein ziemlich netter Kerl vor, der auch schlicht und ergreifend ein bisschen zu viel Hirn hat, um im Kampf in einen wenig kontrollierten Maim Burn Kill Rausch zu verfallen, gerade, wenn sich der Gegner nicht wehrt.
Was so der zweite Punkt wäre: Shynzar hat in meinen Augen in diesem Kampf mehr Geduld, als irgendjemand haben sollte, der gerade von einem schreienden Waldläufer auseinander genommen wird. Das muss ja nicht zwangsläufig heißen, dass er ihn töten muss, aber irgendwann zwischen dem Pfeil in der Schulter und dem ersten Enthauptungsversuch hätte ich zumindest versucht, mal mit dem Kerl zu reden.
Ist natürlich Auslegungssache, aber die Charaktersierung hat mir in der ersten Geschichte einfach besser gefallen.
 

Armanz

Zeitloser Dichter
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Knapper Punkt an Geschichte Numero 2, auch wenn mich dieser Kampfrausch ebenfalls ein wenig stört.
Fand die Kampfszene erfrischend und interessant & das Ende, welches mich unzufrieden dalässt ebenfalls.

Über die erste Geschichte wurde eigentlich alles gesagt.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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Punkt für Geschichte 2.

Nicht weil ich sie besser finde, sondern des Ausgleichs wegen. Ich konnte mich nämlich nicht entscheiden, da beide gut selbst nach mehrmaligen durchlesen mir die Entscheidung nicht leichter fällt.

Auch wenn ich nach Kritikpunkten gehe (Geschichte Nummer 1 ist ja eigentlich ein Prolog für eine viel größere, viel coolere Geschichte und Geschichte Nummer 2 wird auf Vortins Leben keinen großen Einfluss haben) ändert das nichts.

Spricht für die Schreiber, finde ich:D;).

Deswegen entscheide ich mich für den Punkt zum unentschieden, da sie aus meiner Sicht gleichauf sind, trotz unterschiedlicher Perspektiven und Erzählstile:).


Gruß

Zelon:)
 

Enigma

Suchender
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Wem hättet ihr denn nun welche Geschichte zugeordnet? Könnt mir auch eine PN schreiben, damit ihr euch nicht gegenseitig beeinflusst. ;)

 
 

Taimon

Infinity Engineer
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1. Lisra
2. Mantis

Nummer 1 ist etwas dialoglastiger und Nummer 2 nutzt Gedankenstriche, die mir schon früher bei einer von Mantis' Geschichten aufgefallen sind.
Aber eigentlich hab' ich keine Ahnung. :)
 
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