skull
„…und so habe ich das Schwert Neidstachel erworben“, schloss Eperich. Septimus ließ erleichtert seinen Stilus und das Wachstäfelchen sinken, auf dem er sich frenetisch Notizen gemacht hatte. Doch Eperich fuhr fort: „Mit diesem Schwert war es mir möglich, mein erstes richtiges Abenteuer zu bestehen, als ich—“
„Was?!“ brach es aus Septimus heraus. „Das Abenteuer folgt erst noch?“
„Natürlich.“ Eperichs Miene verfinsterte sich. „Die Erschlagung der dreizehn Riesen. Du hast doch sicherlich von dieser Großtat gehört?“
„Ah… gewiss, gewiss“, stammelte Septimus, „aber…“ er deutete auf den Haufen angekohlter Pergamentblätter vor sich. Die meisten waren nach der Löschung der vorherigen Schrift nun wieder mit Lettern gefüllt, und nur wenige der verbleibenden Blätter waren noch leer.
„Mir geht der Platz aus, mein König. Könnten wir nicht vielleicht… vielleicht nur ein oder zwei sehr große Riesen…“ Er verstummte furchtsam, überzeugt, dass der König im Zorn auffahren würde.
Doch dieser lachte stattdessen und gab Septimus einen Klaps auf die Schulter, sodass er nach vorne über kippte und den hohen Stapel Wachstafeln auf seinem Pult mit sich niederriss.
„Keine Sorge, Freund Septimus“, sprach der König. „Ich habe zwei meiner besten Männer mit mehreren Mark Silber nach Süden geschickt, Pergament zu erwerben. Auf Met-Malte und Schnapps-Sighvat ist Verlass, du hast also sicher bald mehr als genug Schreibmaterial.“
„Hm.“ brummte Septimus zweifelnd.
„Überhaupt hat mein Riesenkampf noch eine Vorgeschichte.“ Des Königs Blick schweifte in die Ferne. „Ein …Wissensstreit mit einer… einem Fährmann. Ein Zwerg.“
„Oh.“ Die Erwähnung solch teuflischer Geschöpfe erweckte Septimus Interesse. „Habt ihr ihn überlistet, sodass er zu Stein wurde? Oder seinen Goldschatz an euch gebracht?“ Er griff zu seinem Stilus.
„…Ja“, brummte Eperich, „ja, genau so war es. Ich hatte also das Schwert Neidstachel erworben und schritt forsch voran, auf der Suche nach den Riesen…“
Septimus begann eifrig, mitzuschreiben. Im Hintergrund hörte er Dísa kichern, war aber schnell zu sehr von seiner Arbeit eingenommen, um sich um den Grund der ungewöhnlichen Gefühlsregung zu kümmern.
*** *** ***
Viele Jahre zuvor…
Mit der anbrechenden Dunkelheit war eisige Kälte gekommen, und Eperich schleppte sich mehr schlecht als recht durch das karge Land. Der Wind drang durch sein fadenscheiniges Wams, als wäre es nicht vorhanden, und durch das zerschlissene Ziegenleder seiner Schuhe fühlte er schmerzhaft jeden der scharfkantigen Steine auf seinem Weg.
Das Schwert, das er aus dem Grabhügel entwendet hatte, hielt nicht in der dünnen Kordel, die ihm als Gürtel diente, und so musste er es mit einer Hand festhalten, die nun schon jegliches Gefühl verloren hatte. Nur selten hob Eperich noch den Blick, um durch die Wolken seines Atems nach seinem Ziel zu spähen. Er roch und hörte den Fluss, bevor er ihn sah, und als sein Blick am Ufer entlangstreifte, sah er auch endlich das schwache Leuchten des Feuers, nach dem er gesucht hatte. Mit neuem Mut nahm er seine Kraft zusammen und schritt zu dem kleinen Fährhäuschen.
Der Fährmann saß gerade soweit in der geöffneten Tür seiner Stube, dass er von der Wärme des Feuers profitierte, aber dabei noch einen guten Blick über seinen Anlegeplatz hatte. Er trug einen breitkrempigen Schlapphut, unter dem eine glimmende Pfeife hervorlugte. Als Eperich sich näherte, erhob der Fährmann sich, und trat in den Türrahmen. Eperich sah, dass die Gestalt eher klein war, dabei aber doch stämmig. Ein Zwerg.
„Heda, Kind Brimirs!“ Eperich hob seine Hand zum Gruße. „Setz mich über, Fährmann!“
Der Zwerg trat aus der Tür, schob den Hut in den Nacken, und betrachtete Eperich spöttisch. Eine Zwergin, wenn es soetwas gab.
„Und womit willst du die Überfahrt bezahlen, werter Herr? Du siehst aus, als suchtest du wohl Abenteuer, hattest bis jetzt aber kein Glück, auch welche zu finden.“
Eperich löste den kleinen Leinenbeutel, der an seiner Kordel befestigt war, und warf ihn der Zwergenfrau zu.
„Spar dir deinen Spott, Steinweib, und setz mich über. Jenseits des Flusses warten Reichtümer, von denen du nur träumen kannst.“
„Mhm, jaja.“ sagte die Zwergin, während sie Eperichs klägliche Reichtümer zählte. „Ich habe schon viele übergesetzt, aber nur wenige davon wiedergesehen. Doch komm nun, ich bringe dich ans andere Ufer.“
Eperich folgte der Fährfrau auf ihren Kahn, und sie begann langsam, diesen auf den Fluss hinaus zu staken.
Der Abenteurer schritt ungeduldig auf dem Kahn hin und her und wärmte von Zeit zu Zeit seine Hände am Kohlenbecken des Kahns, während die Zwergin aus dem Nähkästchen plauderte.
„…und dann hat er dumm dreingeblickt, als ich den Fährlohn forderte. Er hätte eben nicht sein ganzes Gold versenken sollen. Aber schließlich habe ich ein Auge zugedrückt, er hatte ja auch nur noch eines, ein finsterer Gesell, wirklich…“
Schließlich brachte die Zwergin den Kahn vor dem anderen Ufer zum Stillstand. „Hier sind wir, mein Herr. Ich wünsche viel Erfolg oder wenigstens einen schnellen Tod.“ Sie zwinkerte ihrem Fahrgast zu.
„Fahr zur Hel.“ brummte Eperich. An diesem Ufer schien es keinen Steg zu geben, so musste er seine Zähne zusammenbeißen und ins knöcheltiefe Wasser springen. Schaudernd legte er die paar Schritte zum festen Boden zurück. Es gab hier auch kein Fährhäuschen in dem er seine nassen Schuhe hätte trocknen können, lediglich eine einfache Lampe hing schwach flackernd in einem halb im Wasser stehenden Baum.
Eperich beschloss daher, seinen Weg umgehend fortzusetzen, ehe er der Kälte zum Opfer fiel. Er schritt forsch voran, mitten durch das kleine Wäldchen vor sich— nur um unmittelbar wieder den Fluss vor sich zu haben. Verwirrt wandte der Abenteurer sich nun zur Seite. Hier konnte er ein längeres Stück gehen, doch bald hatte er wieder den eisigen Strom vor sich. „Was für Trollzauber ist das?“ knurrte Eperich und schritt den Weg zurück, den er gekommen war, und weiter. Auch hier, Wasser. Nun dämmerte ihm die Wahrheit. Die Zwergin und die Dunkelheit hatten ihn getäuscht, er war auf einer Flussinsel ausgesetzt.
Eperich fasste sein Schwert fester und kehrte wutschäumend zu der kleinen Laterne zurück, neben der er an Land gegangen war.
In einiger Entfernung vom Ufer konnte er im Licht des Kohlenbeckens den Kahn und dessen Herrin ausmachen, welche ihm fröhlich zuwinkte.
„Was für ein Spiel ist das, Troll?“, donnerte Eperich über das Wasser.
„Nun reg dich nicht so auf.“, rief die Zwergin. „Dir musste auch klar sein, dass dein Geld nicht für den ganzen Weg reichen würde. Für die paar lausigen Münzen habe ich dich weit genug gebracht.“
„Und nun setzt du mich hier aus zu sterben? Du bist doch irr!“ Eperich reckte im Ärger sein Schwert zum Himmel und ballte die freie Hand zur Faust.
„Nicht doch!“ rief die Zwergin. „Dir steht frei, ans andere Ufer zu schwimmen. Ein Held wie du könnte es sogar schaffen… aber danach würdest du natürlich erfrieren. Sinnvoller wäre es sicherlich, wenn du den Preis für die ganze Überfahrt bezahlst; dann setze ich dich gerne über.“
„Das ist Raub!“, grollte der Ausgesetzte. „Außerdem kann ich dir nicht mehr geben, du hast alles, was ich hatte.“ Kraftlos und verzweifelt sank Eperich auf die Knie und vergrub seine Hände im Schlick des Ufers.
„Nicht ganz“, rief die Zwergin fröhlich, „das ist ein schönes Schwert, das du da hast. Und Raubgut ist es ohnehin, wenn ich mich nicht täusche. Wirf es mir zu, und ich verspreche, ich setze dich über.“
„Neidstachel willst du? Ha! Fang dies!“ Mit einem Mal sprang Eperich auf und schleuderte den Stein, den er gegriffen hatte. Sein Arm war stark und seine Augen scharf, das Geschoss traf sein Ziel mit einem lauten Knall.
Die Zwergin taumelte, dann fing sie sich. „Guter Wurf !“, rief sie, noch immer fröhlich, und zog den Schlapphut vom Kopf. Eperich sah, wie sich die Glut der Kohlen in der Eisenkappe widerspiegelte, welche die Zwergin unter dem Hut getragen hatte. Er seufzte, nun von allem Kampfgeist verlassen.
„Ich kann dir die Waffe nicht geben. Damit wären all meine Bemühungen vergebens. Zieh ab und lass mich zurück; das Schwert bekommst du nie. Eher versenke ich es mit letzter Kraft.“ Er rammte Neidstachel neben sich in den Boden und legte zitternd die Arme um seinen Körper, dem die Kälte nun ernsthaft zusetzte.
„Na, na.“, hörte er die Zwergin in einem auf einmal viel gutmütigeren Tonfall. „Das wäre nun wahrlich Verschwendung. Wie viel wertvolles soll hier denn noch sinnlos versenkt werden. Vielleicht finden wir doch eine andere Lösung…“
Eperich sah zu seiner Verwunderung, wie sie den Kahn langsam auf die Insel zusteuerte.
„Bist du wahnsinnig geworden?“ presste er zwischen seinen blauen Lippen hervor. „Du weißt, ich erschlage dich, sobald ich Gelegenheit habe.“ Er tastete mit starren Fingern nach dem Heft seines Schwertes.
„Jaja“, flötete die Zwergin, „aber dafür ist auch Zeit, wenn du dich erstmal in meiner Hütte aufgewärmt hast. Dann können wir das mit der Bezahlung auch nochmal bereden. He, wusstest du eigentlich, dass es schon ganz schön lange her ist, dass der letzte Held hier vorbeigekommen ist…?“
Der Kahn legte an; Eperich blickte noch einmal zur Insel, seufzte, brummte etwas in seinen Bart und ließ sich dann neben das Kohlenbecken sinken.
*** *** ***
„Und dann“, sprach der König, „haben wir einen Wissenswettstreit gehalten—“
„Die ganze Nacht!“ rief Dísa fröhlich dazwischen.
„Die ganze Nacht?“ fragte Septimus.
„—die ganze Nacht.“ brummte der König und warf Dísa einen Seitenblick zu, den Septimus zum Glück nicht wahrnahm. „Bis ich, ehm, obsiegte. Ja, das war also die Geschichte mit dem Zwergenfährmann—“
„Mit dem laaaangen Wissenstreit!“
Eperich atmete hörbar aus und ballte seine Hände zu Fäusten, während er starr auf einen Punkt hinter Dísa blickte. „—mit dem langen Wissenstreit.“
Septimus beendete tief beeindruckt seine Notizen und nahm nur am Rande wahr, wie die Kriegerin kichernd aus der Halle flüchtete; ein Verhalten, dass er ohnehin nicht hätte deuten können.
„Kommen wir nun zu den Riesen.“, sagte der König, dessen Gesicht den gefährlichen Rotton, den es gewonnen hatte, nun langsam wieder verlor.
„Gewiss, mein König, gewiss“, antwortete Septimus. Aber er blickte zweifelnd auf den spärlichen Haufen Pergament, der noch verblieben war.