Limbo-Schreiben: Charaktere (und Anmeldung)

Enigma

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Ankündigungsthread

Anmeldungen (Vorstellung eurer Hauptfigur) bitte per PN an mich, provisorischer Anmeldeschluss für die erste Runde <s>ist</s> war 30.09.2011 23:59. Anmeldeschluss für die zweite Runde ist 22.10.2011 23:59.

Wählt bitte eine Figur, die in ein Fantasy-Umfeld passt. In euren Geschichten dürft ihr gerne vom Fantasy-Setting abdriften, aber aus Fairness gegenüber euren Mitschreibern sollte es nicht unnötig schwer sein, eure Hauptfigur zu "handhaben".

Die Vorstellung dient nicht bloss zur Einstimmung, sondern vor allem dazu, dass eure Kontrahenten ein gewisses Bild vor Augen haben.

Hier veröffentliche ich nach und nach die von euch erhaltenen Vorstellungstexte.

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Enigma

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Zelon Engelherz

Drazil de Drazilius

Einleitung:

Er schlägt mir ins Gesicht.

Ich schmecke mein eigenes Blut und schaue meinem Folterknecht grimmig ins Gesicht.
Dieser, ein zwei Meter großer Hüne der zu neun Zehntel aus Muskeln und das letzte Zehntel mit einer spitzen Kapuzenmaske, hält kurz vor seinem nächsten Schlag inne und ich kann sehen, dass ihn die ganze Sache auch einiges an Kraft gekostet hat, so wie er schnauft und schwitzt.

,,Also was ist Drow? Willst Du nun anfangen zu reden?''

,,Nein'', antworte ich mit vorgetäuschter Selbstsicherheit in der Stimme.

Vor allem wüsste ich auch nicht was ich ihm erzählen sollte, denn sie haben den Falschen erwischt. Ihnen das zu sagen, wird mich allerdings auch nur umbringen und solange sie mich für IHN halten, wollen sie mich zumindest solange am Leben erhalten, bis sie seine Informationen haben.

Trotzdem tut es höllisch weh und ich möchte mich am liebsten irgendwo verkriechen und weinen.

Aber ich will nicht sterben, nicht jetzt, nicht hier.

Vielleicht kann ich mich ja irgendwie nützlich machen oder ihnen einen Bären aufbinden, der mich am Leben erhält bis ich hier raus bin. Vielleicht hilft es auch, wenn ich an ihre inneren Sadisten appelliere, also um mein Leben flehe und sie lassen mich solange am Leben, bis weiß, wie ich entkommen kann.

Vielleicht...

Plötzlich wird die Tür aufgetreten und innerhalb von zwei Herzschlägen stecken meinem Peiniger zwei Pfeile in der Brust und einen im rechten Auge und mit einem undefinierbaren Laut (klingt wie ,,Gualp“) geht er zu Boden.

Doch bevor er mit Mutter Erde (oder Vater Stein) vereint ist, springt auch schon eine weitere Gestalt in den Raum.

Ihr Aufzug ist klassisch: Luftig, Minirock, Ausschnitt, Dolch an einer Beinschiene, Bogenköcher auf den Rücken und zwei der hellsten blauen Augen die ich jemals gesehen habe...und ihre spitzen Ohren sind auch sehr attraktiv.

Während ich sie durch mein gesundes rechtes Auge betrachte, mein linkes hat der Folterknecht zuvor sanft mit seinen Fäusten gestreichelt, macht sich die Elfe daran die Schlösser meiner Ketten zu lösen und auf mich einzureden.

,,Gut dass ich Euch gefunden habe! Wir dachten schon, dass ihr getötet worden seid...''

Sie hält mich auch für IHN. Großartig. Sie hat wirklich schöne Augen.

,,...und nur die Götter wissen, was dann aus dem Widerstand geworden wäre...''

Soll ich sofort klarstellen, dass sie den Falschen hat? Aber vielleicht lässt sie mich dann zurück und ich muss alleine versuchen aus diesem Loch zu entkommen. Auf der anderen Seite scheint sie eine von den Guten zu sein und die sind an ihren Moralkodex und den ganzen Blödsinn gebunden und von daher wird sie wohl niemanden zurücklassen. Nachher muss ich noch gegen die gleichen Gestalten kämpfen, die mich zuvor ohne Mühe zu Brei geschlagen haben und darauf lasse ich mich keineswegs ein!

Sowas Ähnliches möchte ich meiner Retterin auch sagen, als diese mich endgültig von meinen Ketten befreit hat, doch dann fällt sie mir um den Hals, ich fühle ihre Lippen auf den meinen und die Welt steht für einen kurzen Moment still.

Als sie sich wieder von mir löst sind ihre Augen zwar nicht feucht, aber ihr Blick sagt alles was wichtig ist und ihre anschließenden Worte unterstreichen dies noch.

,,..und ich selbst hätte ohne Euch nicht mehr weiterleben können.''

Die schönsten Augen die ich jemals in meinem Leben sah.



Vielleicht ist es für eine Weile gar keine so schlechte Idee, mich weiterhin für IHN auszugeben.

Zumindest solange, bis sie anfangen misstrauisch zu werden...


*​

Hintergrund und Fähigkeiten:

Drazil de Drazilius, „Draz“ für seine Freunde, heißt eigentlich Aylfred Unterfluss, wurde als Halb-Drow geboren und ist nebenberuflicher Schauspieler und von Hauptberuf Betrüger.

Seiner Ansicht beißt sich weder das eine mit dem anderen und so beinhaltet es seine Tätigkeit sich als berühmter Drow-Abenteurer (meistens einer von denen mit den Krummsäbeln und den Kapuzenmänteln, die immer darauf beharren einzigartig in ihrer Individualität und ihrer Geschichte als Ausgestoßenen zu sein) auszugeben und für Kost und Logis von seinen Abenteuern zu erzählen und sie über die Nacht vor allen Unbillen zu ,,beschützen'' (meistens schnarchend mit einer leeren Flasche Rotwein im Arm).

Sollte sich einmal eine romantische junge Maid zu ihm hingezogen zu fühlen und ihm ein Zeichen ihrer Gunst zu schenken oder sogar noch mehr, sieht er auch nichts unmoralisches darin, denn das Leben ist schon grau und öde genug und da ist jeder Funken Romantik, sei er auch noch so falsch und verlogen (und nach Draz' ist Romantik genau das), ein Segen.

Zumindest meistens sieht er das so, denn auch wenn er es abstreitet und gegenüber sich selbst das Bild eines abgeklärten Zynikers aufrechtzuerhalten versucht, so hat auch er eine Schwäche für den Gedanken übrig, dass es in der großen weiten Welt genau die eine Person gibt, die eines Tages seine Seele vervollständigen und ihn zu einen ganzen Wesen machen wird und dies bis zu ihren gemeinsamen Lebensende halten wird.

Genau dieser Gedankengang bringt ihn, obwohl er peinlich darauf bedacht schnell zu verziehen wenn der Ärger mit dicken Keulen bewaffnet auf ihn zukommt, meistens in Schwierigkeiten, genau wie eines jener kruden Konstrukte, welches in den meisten neutralen und gutgesinnten Gesellschaften als ,,Gewissen'' bezeichnet wird.

Dabei ist der Halb-Drow keineswegs ein Held. Er kann nicht kämpfen, er kann auch nicht zaubern und Prügeleien verliert er in neunundneunzig von hundert Fällen, wenn nicht gerade einer seiner Tritte zwischen die Beine wirklich sitzt.

Auch von seinen angeborenen Fähigkeiten als Drow weiß er so gut wie gar nichts, sieht man davon ab dass er festgestellt hat, dass er in der Dunkelheit vergleichsweise gut sehen kann.

Doch hat er ein Talent dafür seine Zunge in fast allen Lebenslagen richtig einzusetzen, sei es um jemanden davon zu überzeugen NICHT jener berühmte heldenhafte Drow zu sein der stets die Ketten der Unterdrückung zerschlägt oder sei es genau das, um eine gelangweilte und nicht unbeträchtlich abgeklärte Adelige vom Reiz für das Exotische begeistern zu können. Dass er zudem auch ein Talent für akrobatische Leistungen besitzt, hat auch so manches Mal geholfen den Wahrheitsgehalt seiner Worte zu unterstreichen oder auch seinen Magen zumindest eine warme Mahlzeit zu verschaffen.

Und auch seine Beine leisten ihn, zumeist rennend, immer wieder gute Dienste um dem Horizont entgegenzulaufen und den Abstand zwischen ihm und jener Person die ihn eines Tages endlich vervollständigen wird zu verkürzen.

*​

Ausrüstung und Äußeres:

Je nachdem welche Art missverstandenen Heroen Drazil darstellen möchte, trägt er entweder eine Lederrüstung nebst kleinen Rundschild, Kurzschwert (da billig) oder ganz klassisch die beiden Krummsäbel nebst Kapuzenmantel (und dazu die schon erwähnte Lederrüstung).

Möchte er sich so geben, als würden ihnen die arkanen Künste interessieren, trägt er eine Robe die so schwarz wie möglich auszusehen hat und ebenfalls eine Kapuze beinhaltet, einen Kampfstab und einen Haufen Chemikalien, mit denen er einige beeindruckende, aber ansonsten nutzlose Effekte erzeugen kann.

Eine Konstante stellt sein Rucksack dar, in dem er auch ,,Trophäen'' vergangener Heldentaten mit sich verstaut sind (zum Beispiel die vollkommen authentische Krone des nördlichen Lichkönigs, die man für nur einhundert Goldstücke erwerben kann – der ideelle Wert ist natürlich viel höher!).

Er selbst ist nur 1,70m groß, zierlich gebaut, was seinen Auftritten zur Untermalung seiner Echtheit sehr zugute kommt und mit seinen weißen Haaren und seinen violetten Augen vom durchschnittlichen Beobachter kaum von anderen Drow zu unterscheiden, sieht man von kleineren Details,wie zum Beispiel sein vergleichsweise volleres Gesicht, mal ab.

Ansonsten sieht er IHN besonders ähnlich, einer Person dessen Pfad sich noch nie mit ihm direkt gekreuzt hat, aus dessen Wirken er jedoch genauso oft Kapital schlägt, wie es ihn auch schon oftmals in Konflikt mit anderen Personen brachte.

Ob sie eines Tages aufeinandertreffen werden und wie dies enden wird, wissen wohl nur die Götter zu sagen.
 

Enigma

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Mantis

Man kann sich an alles gewöhnen, dachte er, und kniff verbissen die Augen noch ein Stück mehr zusammen. Es war schwierig, eine Balance zu finden zwischen dem Bedürfnis etwas zu erkennen, und dem Bestreben so wenig Licht wie möglich auf seine Netzhaut fallen zu lassen. Doch er war fest entschlossen nicht aufzugeben – und irgendwann würden seine Augen sich anpassen, würde die Sonne ihn nicht mehr peinigen.
Zumindest hoffte er das.


Shynzar saß schon seit dem späten Nachmittag auf diesem Baum, vor Blicken und direktem Sonnenlicht durch das dichte Blattwerk geschützt. Von seinem Aussichtsposten hatte er sowohl das Stadttor als auch ein Stück des Weges zur Stadt im Blick, und beobachtete so seit einigen Stunden das stete Kommen und Gehen, vor allem aber das Verhalten der zwei Torwächter.
Tatsächlich konnte er kaum mehr als Umrisse erkennen, doch die Formen und Farben setzten sich in seinem Kopf zu Muster zusammen, und jedes Muster entsprach einer Gestalt. Seit er seinen Posten erklommen hatte, waren zahlreiche Gestalten in die Menschenstadt gelassen worden, Menschen, Elfen, Halbblüter, und kein einziger war von den Wächtern abgewiesen worden. Das ließ ihn hoffen – wenn die Menschen, die doch bekanntlich mit dem Orks in verbitterter Feindschaft standen, Halborks in ihrer Mitte akzeptierten, würde auch er vielleicht nicht sofort angegriffen werden wenn er sich zeigte. Vorausgesetzt, dass er sich klug verhielt, vorsichtig war.


Mit dem Einbruch der Dunkelheit begann Shynzar sich zu entspannen, die verkrampften Muskeln zu lockern die ihn den Großteil des Tages in derselben Position auf diesem Ast gehalten hatten. Er war das Warten und Beobachten gewöhnt, doch es dauerte wie immer eine Weile, bis er den Schmerz aus seinen Gelenken vertrieben hatte und den Abstieg wagen konnte.
Auf dem Weg nach unten wurde ihm wieder einmal schmerzlich bewusst, dass er sich hier nicht mehr auf seine stets als gegeben hingenommene Behändigkeit verlassen konnte. Mehrere Male rutschte er ab, griff ins Leere und konnte sich erst in letzter Sekunde vor einem sicherlich schmerzhaften und möglicherweise fatalen Absturz bewahren.


Es fiel ihm nicht schwer, den Weg zurück zu seiner Höhle zu finden. In den ersten Nächten hatte er sich oft verlaufen, hatte schon aufgeben und sich für den Tag im dürftigen Schutz eines Busches verkriechen wollen, doch letztendlich hatte er doch immer wieder seine Zuflucht finden können, und inzwischen konnte er sich in dem kleinen Waldgebiet beinahe blind zurechtfinden.
Er lächelte schwach. Wenigstens das war ihm gelungen. Das konstante Ziehen in der Magengegend war ihm jedoch eine ständige Erinnerung daran, dass Orientierung allein zum Überleben nicht genug war.

Wie überrascht er gewesen war, als er feststellen musste, dass dieser Wald, mit seinem nachgiebigen Boden, seinen vertrockneten Blättern und knackenden Ästen und den plötzlich verstummenden Vogelgesängen die sein Kommen schon von weither ankündigten, so anders war als das Unterreich aus dem er stammte, und in dem er das Verstecken, Schleichen und Jagen gelernt hatte. Was daheim kein Problem und sicher keinen Grund zur Sorge dargestellt war, offenbarte sich an der Oberfläche als Geduldsprobe, wenn nicht als schiere Unmöglichkeit.
In den zehn Tagen, in denen er sich nun schon in diesem Wald befand, hatte er sich hauptsächlich von Pilzen ernährt, die er mit den spärlichen Resten seiner ohnehin schon kargen Rationen vermischte. Der Raubzug war auf zwei, vielleicht drei Nächte ausgelegt, es war nie die Absicht gewesen, länger als nötig an der Oberfläche zu verweilen.
Zumindest für die anderen.

Noch immer war Shynzar nicht sicher, was tatsächlich in jener Nacht passiert war, und er versuchte, nicht allzu oft daran zu denken.
Nach der langen Reise durch unerforschte, unterirdische Gänge hatten sie das Unterreich verlassen und waren durch eine geräumige Höhle ins Freie gelangt. Er und drei weitere Dunkelelfen waren ausgesandt worden die nähere Umgebung zu erkunden, doch schon nach wenigen Stunden zurückgerufen worden.
Shynzar hatte sich weiter vorgewagt als die anderen, er wusste, er würde sich beeilen müssen um noch rechtzeitig am Treffpunkt zu erscheinen. Er verzog das Gesicht, als erneut die Gedanken aus jenem Moment seinen Kopf erfüllten. Die Strafe für Ungehorsam wird vernichtend sein.
In seiner Hast achtete er kaum darauf, wo er seine Füße platzierte – das Ziel war das Ziel, der Weg musste schnellstmöglich überwunden werden. Er hatte gehört, die Peitsche des Anführers sei mit Dornen besetzt, die sich wie lebende Kreaturen ins Fleisch ihres Opfers gruben und schreckliche Wunden hinterließen die den Bestraften auf ewig entstellten.
Schneller!
So geschah es, dass er in seiner Eile mit einem Fuß an einer Wurzel hängen blieb, stürzte, und mit dem Kopf gegen einen Stein schlug. Hast und Angst vor Bestrafung verließen ihn zugleich mit seinem Bewusstsein.

Er erwachte. Es war später, es musste später sein, denn die Himmelskuppel färbte sich allmählich heller. Was hatte ihn geweckt? Da war es wieder – eine dumpfe Explosion, ein fernes Grollen. Ein Angriff? Und er hatte geschlafen, ein unverzeihliches Versäumnis seiner Pflicht! Er richtete sich auf, schwankend, doch sicher genug auf seinen Beinen. Der Gedanke an unmittelbare Gefahr ließ jahrzehntelang eintrainierte Routine Besitz von ihm ergreifen, und er rannte los, eine Hand auf den Griff seines Schwertes, die andere schützend über die Augen gelegt, die schon zu dieser frühen Stunde von den schwachen Sonnenstrahlen schmerzten.

Er kam zu spät.
Von der Höhle war nur noch ein rauchender Trümmerhaufen übrig. Große Gesteinsbrocken hatten sich ineinander verkeilt, aus den wenigen Zwischenräumen stieg dunkler Rauch empor, vereinzelt konnte Shynzar zerquetschte oder abgetrennte Gliedmaßen erkennen. Die anderen.
Routine ließ ihn noch immer nicht los. Obwohl er in gewisser Weise wusste, dass jede Hilfe zu spät kam, versuchte er, die massiven Felsen zu bewegen. Wäre es ihm gelungen einen seiner Mitstreiter aus den Trümmern zu bergen, wäre noch einer am Leben gewesen – er hätte nichts anderes tun können als mit ihm zu beten. Doch so weit dachte er nicht, und jede Tätigkeit – selbst wenn sie sinnlos war – war immer noch besser als das Nichtstun.

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als er sich in den Schatten des Trümmerhaufens schleppte und zusammenbrach. Hier blieb er bis zum Anbruch der Dunkelheit liegen, nicht fähig auszuruhen, und zu erschöpft um auch nur einen weiteren Schritt zu tun.
Erst viel später wurde ihm klar, dass dieser Tag in der Sonne desaströse Konsequenzen für seine gesamte Ausrüstung gehabt hatte.


Shynzar seufzte, und strich vorsichtig mit den Fingern über das, was von der edel verarbeiteten Adamantitrüstung übrig war. An vielen Stellen war das Material schon durchsichtig, und er machte sich keine Illusionen über den Schutz, den er von dieser Rüstung noch erwarten konnte. Und doch konnte er sich noch nicht von ihr trennen, fühlte er sich ohne die vertraute Form auf seinem Körper nackt und schutzlos in dieser fremden Welt.
Er wusste nicht, wie lange die Rüstungsreste noch halten würden, oder wann seine Waffen denselben langsamen Auflösungsprozess erleiden mussten – doch wenn sein Plan aufging, würde er schon am nächsten Abend in der Menschenstadt sein, neue Ausrüstung und Nahrung erwerben, Arbeit suchen. Würde tun, was immer für das Überleben in dieser fremden Welt nötig war.

Und nachdem er in dieser Nacht, wie es seine Gewohnheit war, seine Gottheit um Schutz und Führung gebeten hatte, erkannte er die Chance, die in einem Leben fernab der hierarchischen Drowgesellschaft lag. Man hielt ihn für tot, würde ihn nicht suchen, wollte ihn vielleicht auch nicht suchen – und er verspürte kein Bedürfnis, jemals wieder zurückzukehren in seine Heimatstadt, in der eine inkorrekte Verbeugung tagelange Folter und ein missachteter Befehl den Tod bedeuten konnte, wenn man wie er ein einfacher Soldat war.

Er streckte sich auf dem steinigen Boden seiner Höhle aus, den Blick auf den sternengesprenkelten Nachthimmel gerichtet.
Außer dem eigenen Leben hatte er nichts mehr zu verlieren, und vor ihm lag eine neue Welt, mit all ihren Möglichkeiten. Vielleicht war dies ja das, was man Freiheit nannte.

-------*-------

Shynzar ist ein Drowkrieger aus dem Hause Veldriss, ein unbedeutendes Haus aus einer noch unbedeutenderen Drowstadt.
Seine weißen Haare, nach Art der niederen Drowsoldaten kurz geschnitten, seine dunkle Haut und die violett leuchtenden Augen weisen ihn selbst für unaufmerksame Beobachter sofort als Dunkelelfen aus.
Von dem meisterlich gefertigten Kettenhemd aus Adamantit ist nach seinem kurzen Aufenthalt an der Oberfläche nicht mehr viel übrig, und selbst seine Kleidung – in die nur Fasern des dunklen Metalls gewebt sind – löst sich langsam auf.
Er trägt ein Lang- und ein Kurzschwert umgegürtet, mit denen er auch umzugehen versteht, doch abgesehen von seiner Bewaffnung hat er keinerlei Ausrüstung.
Er ist noch jung, weiß allerdings nicht genau, wie jung. Seine Einstellungen haben ihn schon früh in seinem Leben mit den Anführern und Machthabern seiner Gesellschaft in Konflikt gebracht, sodass er in seiner Jugend selten einen freien oder freudvollen Moment hatte.
 

Enigma

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König Eperich

Der Widerschein der zahllosen Feuer erleuchtete den Nachthimmel und warf im Zusammenspiel mit dem geisterhaft blassen Mond bedrohlich flackernde Schatten die Nacht vor Septimus. Gelegentlich hallten noch das Klirren von Metall auf Metall und Todesschreie durch die Nacht, aber diese wurden zunehmend durch das Gelächter und die schrecklichen Gesänge der Barbaren abgelöst.

Septimus hatte in den Flammen und Schreien der untergehenden Siedlung die Orientierung lange verloren, bevor ihn die beiden Krieger gepackt hatten, die ihn nun mit stahlhartem Griff durch die Dunkelheit schleiften. Er stolperte mehr, als das er lief; er hatte eine Sandale verloren und Schotter und Kies schnitten ihm in den Fuß. Kies… Septimus Sinne klärten sich wieder. Die Feuer und der Lärm in seinem Rücken, der Kies und die kühle, kalte Luft… die Barbaren zerrten ihn offensichtlich hinunter zum Fluss.

Aus der Dunkelheit schälten sich nun unheilvolle, schlanke Gebilde. Dazwischen und darauf mehr Krieger, gelegentliche Feuer. Segellose Langschiffe, mit denen ein Teil der Streitmacht die Verteidigungslinien umgangen haben musste. Unweit der Schiffe war ein gewaltiges Zelt aufgeschlagen, die Seitenwände hochgezogen, sodass sich der Eindruck einer riesigen, offenen Halle ergab. Die Zelthalle wurde von der Glut zahlreicher, rötlich pulsierender Kohlebecken sinister erleuchtet. Septimus konnte gerade noch mehrere Gestalten auf Bänken und eine Art Hochsitz erkennen, bevor seine Entführer ihn unsanft in den Kies stießen, unmittelbar bevor sie den Bereich des Zeltdaches erreicht hatten.

Ein weiterer Krieger trat vor Septimus; er spuckte Blut und Sand und sah an der Gestalt hinauf, deren Brünne vor der Glut golden schimmerte. Der Kopf des Kriegers wurde von einem goldverzierten Spangenhelm verdeckt, darauf ein bedrohliches Tiersigil. Severin nahm zwei eiskalte Augen, einen harten Mund und ein bartloses Gesicht war, bevor seine Aufmerksamkeit von dem Sax in der Hand des Kriegers gefangen genommen wurde.

Dies ist also das Ende. Septimus begann zitternd zu sprechen:

„O Domine, in manus tuas commendo spiritum meum…“

„Halt den Mund!“

Eine Frauenstimme! Septimus verschlug es die Sprache. Nun erkannte er trotz des Panzers auch die weiblicheren Formen und Gesichtszüge seiner vorherbestimmten Mörderin. Diesen Heiden war tatsächlich alles zuzutrauen. Nun, davon würde er sich nicht aus dem Konzept bringen lassen! Er räusperte sich:

„Redemisti nos... eh, meum… eh… hum.“

Die Frau seufzte. Sie griff prüfend, den Stoff seiner Kutte, tippte dann mit einem Finger auf die kahle Haut seiner Tonsur.

„Hm, scheint zu sein, was wir suchen. Auch wenn ihr sicherlich ein besseres Exemplar hättet auftreiben können.“

Die beiden Entführer brummelten etwas unverständliches, apologetisches. Die Frau wandte sich wieder an Septimus.

„Du sprichst die Volkssprache…?“ Das Sax schien sich etwas zu heben.

„Sicher, sicher!“ stammelte Septimus, „aber dafür ist nun wirklich keine Zeit! Nunc dimittis…“

„Gah!“ Die Kriegerin packte Septimus und zog ihn unter das Zeltdach, wo sie ihn vor den Hochsitz stieß.

In Septimus keimte der Verdacht auf, er könne vielleicht schon in einer besonders bösartig repetitiven Form des Purgatorium gefangen sein. Um den Hochsitz befanden sich mehrere Gestalten, er erwartete von keiner Gutes.

„Danke, Disa.“ Eine dunkle, volle Stimme. Der Mann im Hochsitz war der Anführer der Streitmacht, daran bestand kein Zweifel. Ein Hühne mit hellem Haar, gekrönt mit einem schlichten Goldreif. Außer den grauen Strähnen, die sich durch Haar und Bart des Mannes zogen, ließ nichts auf ein hohes Alter schließen; die ebenfalls goldbewehrten Arme waren mit stählernen Muskeln überzogen, die bronzen im Widerschein der Glut glänzten, die Augen schienen hell und klar.

„Nun mein Freund, weißt du, wieso du hier bist?“ tönte der König.
Septimus kratzte seine Tonsur. „Um euren Göttern geopfert zu werden, vermute ich?“ Er schielte zu einem speerbewehrten alten Mann direkt neben dem König, in dunkle Roben gekleidet, ein Auge verbunden, das andere finster unter einem Schlapphut hervorstarrend.

„Dich? Den Göttern?“ der König lachte schallend. „keine Sorge, Mann, du wirst dein Leben behalten.“
„Deo gratia!“ Ein Stoßseufzer.
„Zumindest vorläufig!“
„Oh.” Dominus dedit, Dominus abstulit.

Der König erhob sich.
„Jedenfalls brauche ich Dich, Mann, damit du meine Sage in lateinische Lettern kleidest. Ich würde sagen, wir fangen gleich damit an, wie Wodan das Geschlecht meines Vaters aus…“

Septimus stand der Mund offen, während der König begann, genealogische Sippschaftsverbindungen aufzuzählen, begleitet vom zustimmenden Gemurmel seiner sichtlich beeindruckten Krieger.

„Halt! Halt!“ rief Septimus und unterbrach den König. Auf einmal war es gespenstisch still in der Halle; dem Mönch brach der kalte Schweiß aus, während er sich schon an einen Baum gespießt sah.

„Ja?“ fragte der König langsam, mit einem bedrohlichen Unterton.
„Ist… ist dies nicht sehr ungewöhnlich?“ fragte Septimus. „ich meine… habt ihr nicht weise Männer oder Dichter, die Eure Sage weiterverbreiten? Wofür braucht ihr mich?“

Der König seufzte. Er stieß den einäugigen neben sich an. Dieser fuhr daraufhin aus seiner Starre, blickte wild hin und her, rief:

„Ins Moor! Ins Moor! Ist schon wieder Tyrstag? Die besten Äpfel gibt es Tyrstags!“

bevor er seinen Speer wieder fest griff und begann, bemüht bedrohlich in die Halle zu starren.

„Mein Oheim war der einzige Mann meines Gefolges mit dichterischer Begabung, aber seit dieser Hunnengeschichte…“

Der König seufzte erneut.

„Letzten Monat hat er sich sogar beim Essen den Löffel aus Versehen ins Auge gestoßen, kann man sich das vorstellen? Und mein Sohn…“ der König deutete ans andere Ende des Zeltes, wo Septimus einen jungen Mann im regen Gespräch mit zwei leichtbekleideten Damen sah… „taugt nicht unbedingt für, ah, Kopfarbeit.“

Der Ton war beinahe stolz.

„Jedenfalls wirst du meine Geschichte schreiben, Mann! Ich habe diese Stadt schließlich nicht umsonst bezwungen!“

Septimus schien jeden Halt zu verlieren.

„Ihr habt uns überfallen um einen Schreiber zu finden? Aber ihr hättet doch überall einen gegen Bezahlung anheuern können!“

„Hm.“ brummte der König nur abwesend; „du bist hier, oder? Also, als dann im mystischen Reich der Schwertküste die Armee der Riesen die Ziehtochter der zweiten Frau meines Urgroßonkels…“

„Ich brauche etwas zum Schreiben!“ stieß Septimus hervor. Diese neuerliche Unterbrechung des Königs führte nicht mehr zu geisterhafter Stille, sondern zu deutlichen Unmutsbekundungen der Krieger.

„Mhhhhh ja…“ brummte der König und begann abwesend mit einem langen Dolch zu spielen, „… ich habe gehört, dass ihr Südlinge nicht zu viel auf einmal merken könnt, aber das es so schlimm ist… Meine Männer werden dir bringen, was du brauchst.“

***

Septimus starrte auf die paar halbverbrannten Pergamentfetzen auf seiner Bank.
Die Krieger hatten nur schnell etwas von „hätte man ja vorher wissen müssen“ und „Niederbrennen heißt Niederbrennen“ gebrummelt, und waren so schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen waren.

„Nun“, fragte Disa eisig, „kannst du die Geschichte meines Herrn Eperich niederschreiben?“
Septimus schluckte und griff zur angesengten Feder.

SKULLYPEDIA:

Eperich (Mhd., verm. von Got.: °Heporeik; Lat.: Eponius Atrox, Asächs.: Eprîc, Anord.: Æppríkr.) ist ein Held der Sagaliteratur sowie ein historisch nur schwer fassbarer germanischer Heerkönig der Völkerwanderungszeit.

Für die historische Existenz eines Eperichs sprechen mehrere römische Quellen, während erhaltene Fragmente aus dem deutschen und skandinavischen Raum als mythologisch überhöhte Phantasieprodukte aus dem Bereich der Saga- und Märchendichtung gelten.

Historische Persönlichkeit
Ein germanischer Heerführer namens Eponius wird von mehreren römischen Quellen erwähnt, allerdings erhält er nur bei Livius Tertius den Beinamen Atrox, weswegen nicht ausgeschlossen werden kann, dass es sich tatsächlich um verschiedene Gestalten handelt.

Dafür spricht auch, dass Eponius in verschiedenen Quellen sowohl als für Rom kämpfender Auxiliar, als auch als Barbar und Feind Roms beschrieben wird.

Dies muss jedoch nicht unbedingt ein Widerspruch sein, da es mehrere Beispiele für verzerrte Überlieferungen durch zeitliche Distanz und politische Interessenlage im spätrömischen Reich gibt. [flüster][citation needed!][/flüster] Auch ist ein einfacher Seitenwechsel eines germanischen Heerführers nicht auszuschließen.

Allgemein gilt der Bericht des Livius Tertius als am zeitnahsten. Danach besiegte Eponius mehrere andere germanische Stämme, bevor er sich in Raubzügen gegen römische Truppen wandte.

Besondere Aufmerksamkeit unter Historikern gewann der Bericht des Livius dadurch, dass er im Heer des Eponius kämpfende Frauen erwähnt. Während dies lange als Hinweis auf die Existenz von sog. Schildmaiden gedeutet wurde (s.a. Walküre), gilt die Textstelle der neueren Forschung lediglich als ironischer Kommentar des Livius über die mangelnde Schlagkraft des römischen Heeres, „das sich sogar von Frauen besiegen lassen würde.“

Altnordische Überlieferung
Neben wenigen Erwähnungen eines Eprîc im Stammbaum des Beowulf im gleichnamigen angelsächsischen Gedicht fand sich eine Überlieferung um den hier Æppríkr genannten König lange nur im erhaltenen Fragment der sog. Vorzeitsaga Æppríks saga fafnirsbana.

Während man früher noch „viel Wahres“ wenn auch „stellenweise überformt“ in der Saga lesen wollte, und sie daher mit einer sehr frühen Entstehungszeit ansetzte, gilt sie der neueren Forschung eher als „spätmittelalterlicher Schwank“. Dies stützt sich vor allem auf die intertextuellen, komödienhaften und ironischen Einschübe in der Schilderung von Æppríks Jugend, in denen beispielsweise behauptet wird, Æppríkr, nicht Sigurðr (hier sein Vetter) habe den Drachen Fafnir erschlagen.

In der Æppríks saga fafnirsbana tritt eine Schildmaid namens þórdís an Æppríks Seite auf; dies wurde jedoch nicht als Nachweis über die Existenz einer solchen Person gesehen, sondern galt als ein über Umwege in den Norden gekommener Einfluss der römischen Historiographie. (s.o.)

In ihrer ständigen (auch sexuellen) Beleidigung des Sagapersonals und in ihrem selbstbewussten Ausfüllen einer klassischen Männerrolle wurde sie häufig als Element des „Schwanks“ gelesen, auch wenn die Figur in der Genderforschung zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Zu Æppríks fester Gefolgschaft gehört auch der weise, einäugige Ratgeber Frændi, der eindeutig der isländischen Überlieferung um Oðinn entlehnt schien und damit als ebenfalls lange als unhistorisch galt.

Neue Funde legen jedoch nahe, dass þórdís und Frændi als Disa und Oheim bereits in zeitnahen Quellen der VWZ auftreten. (s.u. Dimpfelbacher Handschrift.)

Die Saga ist nur in rekonstruierten Fragmenten aus dem 17. Jahrhundert erhalten, da eine dänische Fischhändlerin das Originalmanuskript zur Verpackung isländischen Kabeljaus verwendete. Eine genaue Datierung bleibt damit unmöglich.[flüster][citation needed]![/flüster]

Mittelhochdeutsche Überlieferung
[flüster]Dieser Abschnitt ist zu kurz und nicht hinreichend mit Belegen gedeckt.[/flüster]
Die mittelhochdeutsche Dichtung um Eperich hat die Schreibweise seines Namens im deutschen Raum etabliert, ansonsten aber wenig zu der Figur beizutragen. Die erhaltenen Episoden entsprechen der Æppríks saga fafnirsbana, was für einen inhaltlichen Austausch über Handelsverbindungen spricht. Dies wird teilweise auch als Argument herangezogen, die Saga doch vor dem späten Mittelalter anzusetzen.

Zusatz: Dimpfelbacher Handschrift
[flüster]Der folgende Abschnitt ist nicht hinreichend mit Belegen gedeckt.[/flüster]

Erst vor kurzem wurde bei Ausgrabungen unter dem alten Kloster Dimpfelbach eine schwer beschädigte Handschrift (KKB 3475to) in gotischer und lateinischer Sprache entdeckt, welche über ausradierten Bibelstellen mythisch überformte Taten eines jungen König Eponius schildert.

Dabei werden auch eine Kriegerin namens Disa und ein einäugiger Berater erwähnt. Zunächst wurde das Pergament in die Völkerwanderungszeit datiert, was die etablierten Ansichten über die Stoffgeschichte der Æppríks saga fafnirsbana und der mhd. Überlieferung in Frage zu stellen schien.

Schnell wurde jedoch darauf hingewiesen, dass die übermäßig phantastische Natur der in der Handschrift geschilderten Episoden eine zeitgenössische Deutung ausschließe und dass das Material keinerlei historischen Quellenwert besitze.

Die Handschrift besteht aus einzelnen Pergamentbögen, die offensichtlich aus verschiedenen Bibelabschriften stammen. Der Bibeltext ist krude hinuntergekratzt und durch den Text um Eponius ersetzt worden. Dazu weißt die Handschrift noch mehrere mechanische Schäden auf, sowie Schäden, die anscheinend durch große Hitze entstanden sein müssen. Eine verbindliche Altersuntersuchung steht derzeit noch aus.

In jedem Fall ist der erhaltene Text „in Komposition und Stil amateurhaft.“ Dem Schreiber ist offenbar keinerlei Platzmanagement auf dem erhaltenen Pergament gelungen, was dazu führt, dass ein „anfänglich episch intendierter Stil“ schnell zu einem „stichpunkteartigen aufzählen lächerlicher Märchenabenteuer“ degradiert. Ein früher Forschungsbericht kommt zu dem Schluss:

„Selbst wenn die Dimpfelbacher Handschrift tatsächlich aus vormittelalterlicher Zeit stammen sollte, hat sie als Quelle zur Figur des Eperich keine ernstzunehmende Bedeutung. Der, man muss es leider sagen, unbegabte Verfasser leistet nicht mehr als einen bekannten Namen und mehrere bekannte Versatzstücke einer leider verlorenen Eperichtradition mit willkürlichem Märchen- und Sagenstoff zu vermengen. Der entstandene Text überzeugt weder narrativ noch kompositorisch und ist zweifellos eine der großen Enttäuschungen der Wissenschaftsgeschichte.“

Darstellung
Eperich wird in allen Darstellungen als quasi prototypischer Held geschildert. Er stammt aus einem Heldengeschlicht mit Verbindungen in die göttliche/mythische Sphäre (so wird er als Cousin Siegfrieds bezeichnet(s.o.)) und zieht in den literarischen Schilderungen seiner Jugendjahre durch einen phantastischen, zeitlosen Raum, in dem er Monster besiegt und Heldentaten vollbringt.

In vielen Episoden treten auch die Schildmaid Disa und Eperichs einäugiger Oheim auf. Die Figur ist dabei nicht sehr tiefgründig und wirkt zuweilen „naiv und unreflektiert.“ Nicht untypisch für eine germanische Heldentradition scheint Eperich stets mehr Schaden als Nutzen anzurichten. [flüster]citation needed![/flüster]

Quellen, die den älteren Eperich schildern, bezeichnen ihn als Heerkönig, oft räuberischer Natur, der Verwüstung über seine Feinde bringt und heidnischen Göttern opfert. Die gesteigerte intellektuelle Kompetenz des ‚älteren‘ (historisch verbürgten) Eperich scheint dabei literarisch über die Figur des weisen Ratgebers erklärt zu sein.
 

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Lisra

Als der Mann aus dem Dickicht heraus auf die Lichtung brach, wurde er für einen Moment ins Mondlicht getaucht. Er schaffte drei, vier Schritte bevor ihn der Pfeil ins Kreuz traf. Er schrie auf, laut und gurgelnd, stürzte er zu Boden und schrie weiter. Nur Augenblicke später hatte ihn sein Verfolger eingeholt und schnell, gnädig, trennte er ihm den Kopf vom Hals. Schwer atmend hielt dieser kurz inne. Dann wischte er das Blut von der Klinge und schob sein Schwert in die Scheide zurück. Im Licht von mehreren schnell entzündeten Fackeln sprach er ein kurzes Gebet für den Toten. Er war ein Dieb, Mörder, Schlimmeres gewesen und seine Hinrichtung hatte ihn jetzt hier im Wald, statt zwei Tage zuvor in einem Verlies eingeholt. Vielleicht zeigte trotzdem einer der Götter seinem Schatten Gnade. Schweren Herzens wurde ein flaches Grab ausgehoben. Nur der Kopf blieb unbegraben. Jeder sollte wissen, dass der Mann keine Bedrohung mehr war.

Vortin Calo trat zwischen dichten Bäumen hervor und blickte wachsam auf die Landschaft vor ihm. Nur eine handvoll Meter weiter brach die Erde abrupt nach unten und führte in einer steilen, tödlichen Klippe etwa dreißig Meter nach unten zu einigen Metern steinigen Strandes. Von dort aus erstreckte sich das Schwertmeer, weiter als jedes Auge sehen konnte. Keine Schiffe waren zu sehen, keine Spur von Piraten oder Sklavenjägern. Vortin verharrte eine Weile, dann setzte er seinen Weg am Waldrand fort, gerade weit genug im Schatten um das Schlimmste der Sonne zu vermeiden. 7

--

Vortin Calo ist ein guter Mann. Seit fast zwanzig Jahren durchstreift er einen Wald nahe der Schwertküste, wacht über den Küstenstreifen und die Handelsstraße. Er vertreibt Sklavenjäger und Banditen, hilft bei der Jagd nach Kriminellen und versucht die finsteren Sorten von Kreaturen in Schach zu halten. Keine Magie und keine übernatürliche Kraft hilft ihm dabei, nur fast zwei Jahrzehnte an Erfahrung und das, was ein Mensch zu leisten vermag wenn er sich konzentriert und trainiert.

Er steht stolze 185cm hoch und sein dunkelblondes Haar wird langsam grau, doch er es gibt noch keine Anzeichen dafür, dass das Alter beginnt an ihm zu nagen, obwohl er schon die vierzig begonnen hat. Sein Torso ist von einem Harnisch aus weichem Leder und Metallbändern geschützt und hartes, gekochtes Leder umgibt seine Unterarme. Ein waldbrauner Umhang macht ihn manchmal schwer zu sehen, aber auch leicht zu erkennen. Ein langes Schwert und zwei längere Messer hängen an seinem Harnisch und Gürtel. Oft ist ein Bogen über seine Schulter geschlungen.

Vortins Einstellung im Leben ist fröhlich, aber entschlossen. Er weiß, dass er den Dörfern in der Umgebung gut dient und freut sich daran. Er ist ehrlich und meistens freundlich. Es bereitet ihm wenig Genugtuung Abschaum zur Strecke zu bringen, aber er tut es trotzdem, als wäre es ein Unausweichlicher Teil seiner Arbeit.

Er verlor seine Eltern im Erwachsenenalter durch eine Seuche, die mehrere Dörfer in der Umgebung traf, als er selbst Meilenweit entfernt eine Karawane begleitete. Danach versuchte er einige Male sich niederzulassen, doch er verspürte immer wieder den Drang zu wandern, den Wald und die Küste zu bewachen, eine Rastlosigkeit, und so konnte er sich nie richtig an einen Ort oder an einen Menschen binden.
 

Enigma

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Armanz

Einleitung:

„Habe ich euch eigentlich schonmal die Geschichte erzählt, wie ich Elena rettete, werter Herr?“, stellte Ja'far seinem betrunkenen Gegenüber die rhetorische Frage. Der Rülpser reichte ihm als Antwort.
„Nun, es war eine äußerst gefährliche Reise, aber ich musste es tun, da ich die Tat von Garrak Steinschädel nicht ungesühnt lassen konnte!“ Ja'far hob die Faust empor und sprach den Namen mit einem Zorn aus, den man ihm gar nicht zugetraut hätte.
„Ist das so?“, fragte der biertrinkende Zwerg zu seiner Linken.

„Wahrlich, wenn ich es euch doch sage. Jedenfalls war ich gerade einer Horde blutrünstiger Orks entkommen. Als einziger...“ Ja'far seufzte betroffen. „Und ich befand mich fernab von jeder Art der Zivilisation, so schien es mir. Wo ich auch hinsah, Bäume über Bäume. In ihrem schillernden Grün, so farbenprächtig und lebhaft. Die Äste wurden von einer leichten Brise umkräuselt und die Blätter raschelten leise im Wind und...“ Er wurde von einem Schlag zwischen die Rippen und den barschen Worten „Komm zur Sache, Elf!“ unterbrochen.

„Jedenfalls gab es nichts außer diesen verfluchten Bäumen. Dachte ich zumindest! Mein Amulett leuchtete nämlich auf und ich wusste, dass Elena irgendwo in der Nähe sein musste. Bevor ich jedoch über ihren genaueren Aufenthaltsort sinnieren konnte, spürte ich einen übelriechenden Windzug in meinem Gesicht und blickte empor. Sie werden es nicht glauben, aber es war ein riesiger FEUERDRACHE!!!“ Ja'far sprang von seinem Hocker und fuchtelte wild mit den Händen.
„Mit Mundgeruch.“, fügte er leise, sich an der Nase fassend, hinzu.
„Was du nicht sagst.“, kommentierte der Zwerg und schaute sich kurz um, als würde er den Drachen hinter sich vermuten.
„Und er öffnete sein monströses Maul, um mich mit seinem Atem zu versengen, doch dann...“
Plötzlich spürte Ja'far einen dumpfen Schlag am Hinterkopf, stürzte betäubt zu Boden und konnte seinen Satz nicht mehr vollenden.



Ein stechender Schmerz pochte in seinem Kopf und fraß an seinen Handgelenken. Ja'far versuchte sich zu bewegen, doch ein schwerer Gegenstand an seinem Rücken hinderte ihn daran. Er blickte verzweifelt in die Dunkelheit des Raumes. Sie schmerzte seinen Augen.

„Was zur Hölle ist passiert?“, murmelte er schwach. Unerwarteterweise bekam er eine Antwort zu hören: „Hallo, Ja'far. Schön dich zu sehen. Wie geht es dir?“
„Mein Kopf...“
„Die Kopfschmerzen sind nur vorübergehend. Ich würde mir lieber Sorgen machen, was jetzt mit dir geschehen wird.“
„Wer bist du? Was habe ich dir getan?“, stammelte Ja'far. Sein Körper zitterte genauso sehr wie seine Stimme.
„Kennst du eine gewisse Elfin namens Elena?“
Als der Name fiel, ging es Ja'far eiskalt den Rücken hinunter. Der Schmerz in seinem Kopf stach erbarmungslos auf ihn ein und Angst bemächtigte sich seiner. Unwillkürlich versuchte der Gefangene mit aller Gewalt von seinen Fesseln loszukommen, als sich plötzlich der Gegenstand an seinem Rücken bewegte. Es war eine Person.
„Verflucht, Erivius! Was soll das? Wir hatten doch eine Abmachung! Ich sollte dieses schäbige Großmaul ablenken, damit ihr...“ „SCHWEIGT!“, unterbrach ihn Ja'fars Entführer, konnte aber nicht mehr verhindern dass sein Name fiel.
„Erivius! Ich hätte es wissen müssen.“, schrie der Elf entrüstet.
„Das hättest du in der Tat, aber mach dir nichts vor. Man bezahlt dich nicht, um nachzudenken.“
Ja'far versuchte den Spott in seines Peinigers Stimme zu überhören und fragte:
„Und wer ist dieser Kerl?“
Seine Stimme kam ihm bekannt vor, doch Erivius lachte nur.
„Ich bin der Kerl, der dafür gesorgt hat, dass du abgelenkt warst, du Idiot. Und jetzt nehmt mir die Fesseln runter. Wir hatten eine Abmachung, Erivius!“, schnauzte der Zwerg ihn an.
„Ich werde dir jetzt zeigen, was ich von unserer Abmachung halte, Narr!“
Ja'far konnte eine schnelle Bewegung und ein kurzes Blitzen einer Klinge ausmachen, die mit einem Schrei endete. Es klang, als hätte man ein Schwein geschlachtet. Und dann Stille. Nach ein paar markerschütternden Sekunden spürte Ja'far wie sein Ohr nass wurde. Und seine Wange.
Angeekelt versuchte er mit aller Kraft, in die Höhe zu schnellen, wurde jedoch von seinen Fesseln davon abgehalten.
Erivius holte aus und schlug zu, erwischte jedoch nur den leblosen Körper des Zwergs und befreite Ja'far von seinen Fesseln. Dieser fasste sich hastig an die Handgelenke und versuchte davonzulaufen, kam aber nicht weit. Eine Plane stoppte ihn und Ja'far begriff, dass er sich in einem Wagen befand.

Ein weiterer Hieb von Erivius erwischte die Plane und schnitt ein Loch hinein. Sonnenlicht drang in den Wagen und blendete Ja'far, welcher sich sofort die Hand vor die Augen hielt. Erivius schien das Licht nicht zu stören. Ein drittes Mal holte er aus und Ja'far sprang zur Seite, wurde aber von der Klinge am linken Arm getroffen und schrie laut auf.
Sofort floh der Verletzte aus dem Wagen hinaus. Im Bruchteil einer Sekunde schaute Ja'far sich um und bemerkte drei Dinge:
Er befand sich in einem Wald.
Seine Ausrüstung lag ein paar Meter weit entfernt.
Vor den Wagen waren zwei Pferde gespannt.

Verzweifelt rannte Ja'far zu seinen Sachen und hob hastig seinen Köcher auf, als er schon Erivius hinter sich wähnte. Er holte soviel Schwung, wie ihm die Situation bot und schlug seinen Peiniger mit dem Köcher. Dieser blieb einen Augenblick lang wie gelähmt stehen, nicht weil der Hieb so geschmerzt hätte, sondern weil er irritiert war, mit einem Köcher geschlagen worden zu sein.
Dieser Moment reichte Ja'far, um seinen Bogen und sein Schwert zu greifen und ungewohnt geistesgegenwärtig zu den Pferden zu rennen.

Als er bei den zwei Schimmeln angelangt war, befand sich Erivius hart hinter ihm und holte bereits zum Schwerthieb aus, den Ja'far leidlich parieren konnte. Bevor ihm jedoch ein weiterer Schlag drohen konnte, sprang er blitzschnell auf das Pferd und gab ihm die Sporen.
Mitten im Galopp drehte er sich zu seinem Verfolger und spannte seinen Bogen an. Ja'far zitterte nicht, als der Pfeil von der Sehne schnellte und statt Erivius, das andere Pferd traf.


Charakter:

Ja'far ist ein dürrer, schlaksiger Kerl mit schulterlangem, blonden Haar. Er trägt stets ein blutrotes Lederwams mit passender Hose. Außerdem hat er immer einen pechschwarzen Umhang dabei, sollte er sich irgendwann einmal gezwungen sehen, Schutz in der Dunkelheit zu suchen.
Bewaffnet ist Ja'far mit einem einfachen Bogen, nebst einigen Pfeilen in einem Pseudo-Köcher, welchen man durchaus auch als Knüppel oder immervollen Beutel benutzen könnte. Verwendung findet sein Bogen allerdings nur selten. Ja'fars Geschick ist dementsprechend begrenzt.
Seine eigentliche Waffe (und sein ganzer Stolz) ist sein Kurzschwert, welches ihm vor vielen Jahren von einem Zwerg geschmiedet wurde, der aufgrund seiner panischen Angst vor Vampiren knoblauchförmige Runen in das Schwert eingearbeitet hat.
Ja'far ist entgegen seiner dichterischen Begabung und seinem Gesangstalent ein Krieger. Er hält sich mit dem Bekämpfen von übergroßem Ungeziefer und dem Retten von Haustieren über Wasser.
Man kann ihn immer dort antreffen, wo gerade eine Kreischlingepidemie oder ein gutes Bier zu finden ist.
Er schätzt Abenteurergeschichten und hat einen maßlosen Hang zur Übertreibung, welcher ihn genauso oft in Schwierigkeiten bringt, wie ihn aus welchen herausholt.
 

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Gala

Lynes Dwin'mitore

„Dies ist alles, was ich euch geben kann“, sagte der Bauer auf Altelfisch, der einzigen Sprache, die sie alle beide fließend sprachen. Mit diesen Worten gab er Lynes noch ein wenig Geld in die Hand. „Mehr kann ich euch nicht helfen. Seid auf der Hut, und möge Corellon Larethian über euch wachen.“

Lynes verbeugte sich höflich vor dem Mondelfen. Ihr Gegenüber mochte für andere Rassen so alterslos jugendlich wirken wie alle Elfen, aber Lynes konnte an seinen Augen sein hohes Alter erkennen. Sie sagte: „Vielen Dank für eure Hilfe. Möge Corellon Larethian auch über euch wachen.“

Damit war alles gesagt. Lynes wandte sich um und folgte dem Weg, der ihr vorher beschrieben worden war. Sie fühlte sich unwohl in den zivilisierten Kleidern, die der Bauer für sie hatte anfertigen lassen, damit sie nicht gar so sehr auffallen möge. Diese Kleider waren so fein und wirkten so zerbrechlich, als ob ein Windstoß sie hinwegfegen könnte, und sie schützte nur sehr unvollkommen vor der Kälte des frühen Frühlings. Immerhin waren sie genauso braun, wie Lynes Haut, Haare und Augen es auch waren. Darauf hatte Lynes bestanden, denn als Wildelfe war ihr Tarnung wichtig.

Lynes wußte, das sie noch viele Tage würde wandern müssen, und schritt deshalb kräftig voran. In Gedanken übte sie die Fetzen dieser seltsam form- und stillose Sprache, die sie Allgemeinsprache nennen, und von der sie in den letzten Tagen ein wenig gelernt hatte. Es war offensichtlich, das sie es schwer haben würde, sich in diese seltsame Welt der Zivilisation einzufinden, aber sie war noch jung – nach Elfenbegriffen noch ein Kind – und lernte noch leicht und schnell.

Außerdem hatte sie keine Wahl.
 

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Tigerle

Sendja Thorfinnadottir

In einem Dorf an der Küste lebt nun schon seit zwei Jahren Sendja Thorfinnadottir. Als waschechte Wikingerin gehört sie eigentlich nicht in diese zivilisierte Gegend, allerdings hatte das Schicksal ein gar seltsames Spiel mit ihr gespielt.
Obwohl sie die Tochter von Thorfinna Mirjasdotter und Eirik Falkasson war, durfte sie nie ihren Vater auf Raubzüge begleiten. "Zu gefährlich" sei es. "Der wahre Platz eines Mädchens ist am Herdfeuer" hiess es. Als ob sie nicht das Kriegsbeil schwingen könnte und auch ihren Mann -Verzeihung- Ihre Frau stehen könnte.

So ging es Jahr ein Jahr aus bis zu jenem Tage, als das Schiff fast leer zurückgekehrt sei. Die meisten Männer wären vom König Ferdinand Donnersturm aufgeküpft worden, hiess es. Sie seien in eine Falle geraten und nur wenige konnten fliehen, hiess es. Nun galt es, soviele der Wikinger zu befreien, wie es möglich war. In einem Monat sollten alle Gefangenen hingerichtet werden, was ein nicht freudiges Ereignis gewesen wäre. Also blieb nichts anderes übrig, auch kampfwillige Frauen mit auf diesen besonderen Raubzug zu nehmen. Natürlich war Sendja dabei. Die stämmige Rothaarige war ausser sich vor Freude, endlich einmal an einem Raubzug teilnehmen zu können.

Schon nach 2 Wochen sehnte sich Sendja dem Ziel entgegen. Wie öde doch so eine Überfahrt sein konnte. Endlich aber war die Stadt des Königs Ferdinand in Sichtweite. Und die Wikingerfrauen und Wikinger kannten keine Gnade und kein Zögern! Sie griffen an! Und wieder gerieten sie in eine Falle. Nachdem sie das Schiff verlassen hatten, waren sie von Feinden umstellt. Hoffnung schien es keine mehr zu geben und selbst das tapfere Schlachten von Sendja --- Sie kämpfte überragend --- schien aussichtslos. Immerhin schafften es die Wikinger, sich in einigen Verwaltungsgebäuden des Hfenbezirks zu verschanzen.

In einem der Zimmer traf dann Sendja auf einen bewaffneten Mann. Zwar konnte sie ihn zu Boden werfen und entwaffnen, schlug dann aber ihre Axt mit voller Absicht neben ihn in den Holzboden. Seine Augen hatten etwas magisches. Etwas, dass sie nicht in der Lage war, auf ewig zu schliessen. Sie konnte ihn nicht töten. Stattdessen küsste sie ihn, Prinz Frisko, Thronerbe des Throns von König Ferdinand.

Frisko, der von seinem Überleben mehr als überrascht war, verliebte sich nun auch in Sendja. Gemeinsam bewirkten sie die Freilassung aller gefangenen Wikinger, die greilich ohne Beute abziehen mussten. Sendja blieb aber da. Nur war der König nicht bereit, eine Wikingerin als Stieftochter zu nehmen. Er war ihr zwar dankbar, dass sie seinen Sohn verschonte, aber dennoch musste auch sie die Stadt verlassen, bevor sie Prinz Frisko ehelichen konnte. Nun lebt sie schon 2 Jahre an der Küste, 20 Meilen von ihrem Geliebten und Hunderte Meilen von der Heimat entfernt. Eine innere Unruhe treibt sie immer mehr an. Sie wird bald etwas unternehmen, aber was , und zu welchem Zweck, dass weiss sie selber nicht so genau.
Aber eines weiss sie genau: Es ist nicht ihr Schicksal, in diesem Küstendorf zu verrotten! Denn sie, Sendja Thorfinnadottir, ist die Tochter des Wikingers Eirik Falkasson und die Geliebte des Kronprinzen Frisko aus dem Hause Donnersturm!
 

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Timestop

Dufte, ein Zwergenpirat

Dufte stand auf ihrem Stuhl, schaute sich die neue Seekarte von oben herab an und deutete auf einen Hafen.
„Also, wir können Rum, Bier, Tiere, Pökelfleisch, Früchte und Zwieback hier aufnehmen und dann gleich weiter durch die Meerenge hier, bevor...“
„Das würde ich nicht empfehlen, Käptn. Die Stürme sind dort um diese Jahreszeit ziemlich heftig. Wir sollten diese Route mit der Strömung nach Süden nehmen.“
Der Steuermann nahm geübt Stift, Lineal und Zirkel zur Hand und zeichnete flink ein paar Linien ein.
„Damit sollten wir in weniger als vier Tagen Fahrt auf einer der wichtigsten Handelsrouten sein, zumindest bei günstigem Wind.“
Dufte schaute in die Gesichter der anderen Offiziere, welche versuchten möglichst unbeteiligt zu wirken und wischte sich dann über ihre Augenklappe.
„Guter Vorschlag, machen wir es so.“
Sie sprang von ihrem Stuhl und griff sich dann mit ausgestrecktem Arm einen Humpen mit Bier vom Tischrand, um einen kräftigen Zug zu nehmen.
„Wir machen ein paar Tage Pause in der Stadt, lassen die Mannschaft ausspannen, versuchen noch ein paar Jungs anzuheuern, kümmern uns um die ... Einkäufe und ein paar Informationen. Ah, Doktor.“
Die Tür zur Kajüte war aufgegangen und ein ergrauter Mann kam hereingewatschelt. Dufte winkte den Rest hinaus.
„Und, wie steht es um die Mannschaft?“, fragte sie den Schiffsarzt, während sie sich setzte.
„Gesundheitlich größtenteils gut, sofern sie noch stehen können. Von denen die übrig sind, sind die meisten erschöpft. Das ist auch weniger ein Problem. Aber der ein oder andere wünschte sich etwas in den Taschen um es ausgeben zu können, sonst setzen sie sich im Hafen ab.“
„Falls einer auf diese Idee kommt darf er sich gerne absetzen. Ohne Kopf und direkt über dem Wasser.“
Sie nahm noch einen Schluck aus dem Becher.
„Das wird schon noch, wir machen wieder fette Beute. Hier kennt man uns kaum und die Handelsschiffe sind schwimmende Selbstbedienungsläden.“
Sie tippte gegen ihre Augenklappe. Der Doktor nahm ihr diese vorsichtig ab und hielt ihr einen Finger vor die Nase. Verschwommen tauchte dieser in ihrem rechten Gesichtsfeld auf.
„Dem Finger folgen, Kapitän. Ja, sieht jetzt sehr gut aus. Das sollte in ein paar Tagen wieder völlig in Ordnung sein. Die braucht ihr nicht mehr.“ Er nahm die Augenklappe an sich.
Dufte seufzte auf. So eine Augenklappe störte im Kampf wie ein Holzbein beim weglaufen.
„Endlich. Gute Arbeit. Dafür habt ihr eine Belohnung verdient. Lasst mich jetzt allein.“
Sie schnipste dem Doktor eine Silbermünze zu, griff sich eine Axt und nahm die Zielscheibe ins Visier.
„Einen Rat bekommt ihr Gratis.“, begann der Arzt auf dem Weg nach draußen. „Wenn ihr das nächste Mal einer Bedienung in den Hintern kneift, dann duckt euch gleich, damit sie beim Versuch euch ins Gemächt zu treten nicht die Stiefelspitze ins Auge rammt.“
Dufte starrte ihn böse an und hob die Axt. „Raus, sonst überlege ich mir das mit der Art der Belohnung nochmal.“
Während die Tür zufiel, warf sie auf die Zielscheibe. Perfekt in die Mitte.
„Das ging ins Auge!“, schrie das bunte Federvieh auf seiner Stange.
Das entlockte ihr ein schiefes Grinsen und sie nahm einen Schluck.

Die Nacht war wieder voller Albträume. Sie wälzte sich in ihrer Hängematte. Erneut sah sie sich als kleines Kind entführt, weggerissen von der Familie. Nur Schemen blieben von Mutter und Vater. Selbst von den Entführern. Versklavung, Verkauf, Demütigung.
Dann eine erneuter Überfall auf das Schiff des Nobelmannes, auf dem sie als Attraktion gehalten wurde wie ein Tier. Gemetzel, Kampf, Blut, Schreie. Kein erbarmen für die Mannschaft und hohen Herren und Damen. Tot oder Sklaverei.
Rudern. Ewigkeiten des ruderns unter Peitschenschlägen. Und dann ein kurzer Moment des Triumphs. Wie eine Oase der Ruhe in dem hektischen, üblen Traum. Wie sie, scheinbar ewig, in der Meuterei auf den riesigen Einpeitscher einschlug. Immer und immer wieder auf den verhassten Mann einprügelte, als er schon am Boden lag. Ihr erster Mord, ein gutes Gefühl. Wie sie sich selbst zum Kapitän ernannte, mit den Sklaven als neue, freie Crew. Tot für die Unterdrücker. Freiheit.
Und die erste Lektion, dass mancher von den erfahrenen Seefahrern eine gute Ergänzung gewesen wäre und besser kluge Gnade vor Rache gestanden hätte. Das berechenbare Feigheit oder Gier Loyalität ergänzen konnte.
Eine Odyssee um zu lernen wie man auf See überlebt, wie man ein Kommando hält. Die erste und größte Liebe, zur See, die sie umherschubste und dann doch wieder belohnte, umschmiegte und immer da war.

Gesichter und Stimmen sprangen um sie herum, ohne dass sie sie fokussieren oder festhalten konnte. Sie lachten über ihre Unfähigkeit, ihre Fehler, ihre Entscheidungen, ihre Größe, ihr Aussehen. Mokierten sich, ekelten sich an der Knubbelnase, den Narben. Sie versuchte sie zu erwürgen und erschlagen wie zuvor, doch die Ohrfeigen trafen sie immer wieder und sie konnte nichts dagegen tun.
Hilflos um sich schlagend warf sie der letzte Schlag, wie fast jede Nacht, aus der Matte.
Auf dem sanft schwankenden, hölzernen Boden der Realität angekommen, kroch sie umher, versuchte ihren Trinkschlauch zu finden. Guter, nasser Rum rann über ihre trockenen Lippen in ihren Mund.


Als sie am nächsten Tag aus der Kabine schwankte, überkam sie fast ein wohliges Gefühl, voller Anspannung und Vorfreude. Etwas Neues erwartete sie, Veränderung, Gefahr, Herausforderungen. Andere Geschichten. Sie nahm einen Schluck, während sie sich breitbeinig auf das vom leichten Wellengang tanzende Deck stellte. In ihren hohen Stiefeln, den leichten Lederhosen, der Weste über dem eng geknöpften Leinenhemd, dem Arbeitsbesteck wie Messer und Axt am Gürtel und mit dem breiten Hut auf dem Kopf, der die kleine Stahlkappe auf den kurzen Haaren verdeckte, wirkte sie fast beeindruckenden. Es ging ihr nur etwas an Größe verloren. Rum floss in ihren strubbeligen, kurzen Bart.
Der neue Tag schleppte sich langsam heran und sie schritt das Schiff herab, an ihrer Crew vorbei, die sie mit einem Nicken grüßten oder ignorierten.

Sie waren jetzt so lange auf der Flucht aus ihren Gewässern, in eine neue Welt. Daheim waren sie fast zu Tode gehetzt worden. Nicht weil sie ein so erfolgreicher, berühmter Pirat gewesen wäre, sondern eher berüchtigt, störend. Das Regime und die mächtigen Handelsgilden hatten es den Seeräubern immer schwerer gemacht, mit massiv bewaffneten Eskorten, Kopfgeldern und Hetzjagden. Bald war jede Fahrt mehr Mühe als sie je Beute machen konnten, war der Wille sich als Pirat seinen Lebensunterhalt zu verdienen geringer als der normale Überlebensinstinkt. Die Angst erwischt zu werden, öffentlich zur Schau gestellt und gefoltert, zerrte an den Nerven jedes aktiven Seeräubers.

Ihr Schiff war nicht darauf ausgelegt die hohe See zu befahren und so waren Plünderungszüge auf den breiten Flüssen lange Zeit ihr Revier gewesen. Doch mit der steigenden Zahl der Festungen an Flüssen und der radikalen Verfolgung kriminellen Gesindels, wurden diese Ströme bald zu einer Todesfalle und Sackgasse. Als sie schlussendlich in einer halsbrecherischen Flucht vor den Autoritäten und Kopfgeldjägern unter hohen Kosten durchgebrochen und zur offenen See entkommen waren, wurde schnell klar, dass auch die eigenen Küsten nichts besseres mehr boten außer einem schnellen Tod.
Dass ein kleiner Einmaster mit Rudern für die hohe See ein Spielball war, der eigentlich nur ein schnelles Seegrab versprach, spielte dann keine Rolle mehr. Die Weite der Welt bot den Überlebenden derer, die sich nicht mehr in die Gesellschaft einordnen konnten oder wollten, mehr Hoffnung als die mit schwerbewaffneten Kriegsschiffen verseuchten Heimatgewässer.

Dufte zog den salzigen Geruch der See ein, ein anderer Geruch als daheim, würziger, fruchtiger, frischer? Anders zumindest. Sie genoss den aufkommenden Wind und beobachtete die sich langsam nähernde winzige Silhouette des Hafens am Horizont.
„Verstärkt das Segel! Wir brauchen mehr Fahrt und wollen morgen in der Stadt sein!“, rief sie und nahm einen Schluck.
Der Steuermann schüttelte den Kopf und einige Männer kletterten die Wanten hoch, zupften zufällig an ein paar Seilen herum, kauten gemütlich etwas Tabak und kamen wieder hinunter.
Tatsache war, dass der Kapitän von Navigation und Segelei soviel Ahnung hatte wie die meisten ihrer Rasse, aber solange alle das möglichste taten um es nicht auffallen zu lassen und die Arbeit trotzdem zufriedenstellend verrichtet wurde, gab es keine Probleme.
Schon in weniger als zwei Stunden würden sie in der Stadt ankern.

„Schiff Backbord!“, meldete der Ausguck.

Tatsächlich kam etwas längs auf sie zu. Dufte ließ sich ein Fernrohr reichen und sah hindurch. Nach einigen Sekunden gab sie es an einen Maat weiter.
„Was siehst du?“, fragte sie beiläufig.
„Sieht aus wie eines dieser Handelsschiffe hier. Liegt tief. Langsam. Ganz allein. Ich glaub das ist was für uns.“
„Sehr gut. Genau was ich dachte. Bereit machen zum abfangen!“
Dufte ließ ihren Finger kreisen und alle machten das was sie am besten konnten. Das könnte ein interessanter Start werden. Sie nahm noch einen tiefen Schluck aus ihrem Trinkschlauch, bevor sie ihn mit der Axt tauschte.
 

Enigma

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Scot d'Arnd

Neptun de'Silva
Port Turner war ein kleines Fischerdorf, das fern jeder Handelsroute auf einer steinigen Insel lag. Nur alle paar Monate wurde es von anderen Schiffen angefahren. So war es kein Wunder, dass Regen und Zeit bereits alle Spuren zerstört hatten, als jemand etwas vom Angriff erfuhr.

Einst war Bournos ein großer Segler, aber dann fing er an zu viel zu trinken und kein Kapitän wollte ihn noch auf seinem Schiff haben. Weil es hieß, dass er nichts mehr liebte als das Meer, war man nicht überrascht, als man ihn im Hafenbecken von Carcass treiben fand. Den Rumkrug fest umklammert.

Joff führte ein Handelsgewerbe in Rynn. Er schien erfolgreich, weil die Piraten nur die Schiffe der anderen Reeder überfielen. Zunächst wunderte man sich, als man ihn erhängt am Dachbalken seines Schlafzimmers fand. Aber als man herausfand, wie hoch die Rechnungen der Piraten waren, klärte sich die Lage auf.

Die Hinterhalt war nicht das gefürchtetste Piratenschiff auf den Meeren, bekannt war sie trotzdem. Als ihr Wrack am Strand von Houndo angeschwemmt wurde, wurde ein großes Feuer veranstaltet. Ein leichtes Mädchen schneiderte sich aus der Fahne einen Rock.

~~~~~~~~
Kapitän Neptun de’Silva saß unter seinem großen Hut mit der Albatrosfeder am Tisch einer Taverne, dessen Name irgendwie abenteuerlich klang, und sezierte den Fisch auf seinem Teller. Zwar nahm er keinen Bissen, aber sein Gesicht verriet durchaus Interesse an seinem Mahl. Ein wenig erinnerte er an einen Forscher, der eine exotische Pilzart untersuchte.

Er war so konzentriert, dass er nicht bemerkte, wie am Nebentisch ein Pirat den anderen auf die Unzulänglichkeiten seiner Männlichkeit hinwies, woraufhin dieser die Mutter des anderen mit farbenfrohen Metaphern bedachte.

Auch bemerkte er nichts, als sich jemand zu ihm an den Tisch setzte. Der Mann war breit und hatte kräftige, von der Sonne gebräunte Arme. Er trug ein Seemannshemd, das schon einmal bessere Zeiten gesehen hatte. Mit einem Krug Rum in der Hand sah er dem Kapitän geduldig zu, während dieser vor sich hin murmelte. „Interessant… Exorbitant“ und „Verbüffelndes Exempel.“

Der Mann räusperte sich. „Verblüffendes Exemplar, Sir?“

De’Silva sah auf. „Ah, Fry“, grüßte er und wandte sich wieder seinem Fisch zu.

„Es ist auch sehr schön, Euch zu sehen, Sir“, seufzte Fry. Sie hatten sich seit fast einem Jahr nicht mehr gesehen. „Da Ihr hier seid, vertraue ich darauf, dass Ihr meine Nachricht erhalten habt, Sir?“

„Ich habe frittierten Fisch bestellt“, erklärte der Käpt’n, während er eine Gräte zwischen Messer und Gabel geklemmt an den Rand des Tellers balancierte. „Fisch in einer braunen Kruste. Hast du das schon einmal gegessen?“

„Ja, Sir“, sagte Fry.

Am Nebentisch war man mittlerweile dazu übergegangen, die Standfestigkeit des anderen mit geschwungenen Stühlen und Rumkrügen auf die Probe zu stellen.

De’Silva legte Messer und Gabel beiseite und gab dem Fisch einen letzten, fachmännischen Blick. „Fantasierend.“

„Faszinierend, Sir?“

„Wie bitte?“ De’Silva stand auf, rückte Hut und Säbel gerade und ging.

„Sehr wohl, Sir.“ Fry seufzte, nahm noch einen großen Schluck Rum, legte eine Münze auf den Tisch und folgte. „Wenn ich Eure Aufmerksamkeit dann auf die meinen Besuch begründende Problematik richten dürfte.“

„Problematik, welche Problematik?“, fragte de’Silva, als der Wirt mit einem schmutzigen Wisch in der einen, einer grobschlächtigen Bartaxt in der anderen Hand an ihm vorbei wuselte.

„Ich hatte sie doch in meinem Brief ausgelegt, Sir?“, sagte Fry, als er dem Kapitän die Tür aufhielt. „Ich dachte, ihr hättet ihn bekommen.“

„Ja, aber er begann mit den Worten ,Kapitän, wenn Ihr diese Worte lest, bin ich schon auf dem Weg zu ihnen‘“, sagte Neptun. Der Mond und Sterne waren vom Himmel verhangen, nur die Öllampen erhellten die Docks von Port Swann. Zu hören war das Rauschen des Meeres und das gelegentliche Schnarchen eines Seemannes, der seinen Landgang tief schlafend an ein Fass gekuschelt verbrachte.

„Ihr habt den Brief nicht weitergelesen, Sir?“, fragte Fry. Der Kapitän sah ihn an, als ob er die Frage ernsthaft nicht verstanden hatte. Fry seufzte wieder. Er hatte zwar einen langen Brief geschrieben, aber damit hätte er ja eigentlich rechnen können. „Nun, in aller Kürze: Die Hinterhalt wurde zerstört, Joff und Bournos sind auch tot und Port Turner wurde niedergebrannt.“

De’Silva blieb stehen. „Um das klarzustellen“, begann er. Er hob seinen Finger, legte ihn an sein Kinn. Dann tippte er zweimal dagegen und „Du hast vier Seiten gebraucht, um mir das mitzuteilen? Eine kurze Nachricht hätte doch auch genügt.“

„Ich hielt es für angemessen, Euch den wahrscheinlich unnatürlichen Tod Eurer Kameraden und den überraschenden Untergang Eures Schiffes schonender beizubringen, Sir“, sagte Fry und trat bedächtig über eine Schnapsleiche, die vor ihnen in ihrem eigenen Erbrochenen ruhte. „Sollte ich wieder in die Verlegenheit kommen, dann übermittle ich einen Einzeiler.“

„Fry, wir de’Silvas sind sensible Gestalten“, sagte der Kapitän, während er sich bückte und dem Säufer den fast leeren Geldbeutel vom Gürtel zog. „Etwas schonender darf es schon sein.“

„Selbstverständlich, Sir“, stimmte Fry zu. „Nachdem ich Euch nun die Neuigkeiten mitgeteilt habe, darf ich fragen, wie ihr gedenkt, weiter vorzugehen?“

„Nun, vermutlich sollten wir herausfinden, was mit unseren alten Freunden geschehen ist, oder nicht?“, antwortete Neptun und war gleichzeitig überrascht, dass Fry noch nicht selbst darauf gekommen war.

„Eine hervorragende Idee“, sagte Fry. „Dürfte ich vorschlagen, dass wir uns zunächst auf nach Port Turner machen. Über das, was dort geschehen ist, ist mir am wenigsten bekannt. Dafür brauchen wir nur ein Schiff und eine Crew.“

„Ja, eine Crew. Allesamt formidable Charaktere. Wir brauchen einen großen Krieger, der hinter seiner harten Schale einen weichen Kern verbirgt. Ein Mädchen aus dem Wald mit einer mythologische Vergangenheit und großen, liebsamen Augen. Einen fraglichen Magier, der weise Ratschläge gibt. Einen Assassinen, der so undurchsichtig wie tödlich ist. Und einen ersten Maat!“

„Ich dachte eher an einen Steuermann, einen Navigator, einigen Jungs, die in der Takelage rumklettern können und…“ Fry knirschte mit den Zähnen. „Einen ersten Maat.“

„Vortrefflich“, stimmte Neptun ihm zu. „Dann kümmere dich um eine Crew und ich suche uns ein Schiff.“ Er straffte sich, rückte seinen Hut gerade und hob den Finger. „Auf zur Villa des Barons!“ Er stürmte von dannen, seinen Hut mit der rechten Hand auf dem Kopf gedrückt.

Fry seufzte und folgte ihm.

~~~~~~~~
Der Gouverneur von Port Swann war ein betagter Baron aus der alten Heimat, der viel Wert auf einen guten Schlaf legte. Als ihn ein peinlich berührter Butler weckte, weil ein höchst ehrenwerter Gesandter der Krone Audienz erwartete, verpasste der Baron ihm eine Backpfeife. Dann stand er auf, warf sich einen Morgenmantel über, verlangte einen Tee und trampelte ins Empfangszimmer.

Kapitän de’Silva saß im Sessel des Barons und ließ sich ebenfalls Tee servieren. Die Keksschale war geöffnet und der antike Holztisch war voll Krümel. Er nippte gerade an seiner Tasse, als die Tür aufdonnerte und der Baron hereinpolterte. De’Silva zuckte zusammen und „Autsch, autsch, autsch!“ verbrühte sich die Hand.

Der Baron erkannte den Piratenkapitän und sein bereits erstaunlich roter Kopf lief noch mehr an. „De’Silva. Warum ist dieser Mann nicht in einer Zelle?“, keifte er den nächstbesten Bediensteten an, zufällig der Diener, der Neptun den Tee gebracht hatte. Der ließ seinen Blick verwirrt vom Kapitän zum Baron schwenken und zuckte mit den Schultern. Ein Fehler, denn er trug ein Tablett in den Händen.

„Das wäre doch wohl kaum angemessen“, sagte de’Silva und wischte seine Hand an der Lehne des Sessels ab. „Tee muss heiß serviert werden, mein Freund. Allerdings hat der gute Mann vergessen, den Kamin zu heizen und es ist mit Verlaub recht frisch hier. Lasst Fünf mal gerade sein und gebt ihm zehn Schläge mit dem harten Riemen.“ Er zwinkerte dem Diener gönnerhaft zu.

„WACHE!“

„Mmmh, mir scheint, als haben wir keine Zeit für eine freundliche Plauderei“, erkannte Neptun und seufzte. „Nun, dann lasst mich gleich zum Punkt kommen. Seht Ihr, ich brauche ein Schiff. Ein schnelles, wenn es geht, aber ich gebe mich auch mit jedem anderen zufrieden. Eine Crew ist nicht nötig, mein Adjutant Fry kümmert sich bereits darum.“ Er breitete die Arme aus und grinste, als ob er dem Baron ein einmaliges Angebot gemacht hätte. Was ja auch stimmte. „Seht ihr, wir arbeiten zusammen?“

Zwei Männer in roter Uniform kamen durch die Tür. „Bringt diesen Mann weg“, fauchte der Baron.

„Ja, das wäre fabuliert“, sagte Neptun und sprang auf. „Der Baron ist ja auch nicht mehr der Jüngste, wenn Ihr mich dann bitte zu meinem Schiff bringen würdet.“ Er deutete zur Tür, um den beiden Soldaten den Vortritt zu lassen.

Wahrscheinlich waren die Wachen mit der Situation ein kleines bisschen überfordert, denn einer von ihnen verließ den Raum tatsächlich. Der andere guckte nur seinen Baron mit fragendem Blick an. Der Baron atmete schwer. Er öffnete den Mund, um eine zweifellos lange und ausfällige Tirade loszulassen, als…

„Eins noch, mein Lieber“, unterbrach ihn Neptun. „Es wäre wirklich exzellent, wenn ihr Fry und meiner Crew sagen könnet wo ich bin. Sonst suchen die noch vergeblich nach mir. Und wir müssen wirklich zeitig in See stechen. Ja? Das wäre dann alles.“

Der Baron sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an, sein Schnäuzer zitterte ein wenig und die Schweißperlen auf seiner Stirn schienen irgendwie aufwärts zu laufen. „Keine Sorge, Sir de’Silva“, presste er zwischen den Lippen hervor. Sein Kopf hatte eine beunruhigende Warnfarbe angenommen. „Eure Männer werden euch bald fol…“

„Ihr habt ein wenig Speichel im Mundwinkel.“

„RAUS! BRINGT DEN MANN WEG! WEG! WEG!“

~~~~~~~~
Am nächsten Morgen hatte Neptun die Zelle wieder hinter sich gelassen und schlenderte das Dock von Port Swann entlang. Seinen Hut hatte er wiedergefunden, aber seinen Säbel hatte er sich aus der Waffenkammer des Barons ausleihen müssen. Er fand Fry ganz am Ende des Docks, wo er hitzig mit ein paar Halunken diskutierte.

„Ah, Sir!“, begrüßte ihn Fry, als er ihn näher kommen sah. „Ich nehme an, ihr konntet ein Schiff besorgen.“

„Selbstverständlich“, erwiderte Neptun. Die Männer hinter Fry rissen die Arme in die Luft und jubelten. „Der Baron war so nett, mir ein Bett für die Nacht zu gewähren. Dann gab es aber einen Wachwechsel und unglücklicherweise war keiner der Jungs bereit, mich zu meinem neuen Schiff zu führen. Aber es liegt hier sicherlich irgendwo an.“

„Ja, die Vorzüge des Ritterstandes“, stimmte Fry ihm zu. „Glücklicherweise waren die Männer des Barons vorher hier und haben mir das Schiff gezeigt.“ Die Halunken schauten überrascht und grunzten ihr Unverständnis. Es waren einfache Gemüter…

„Ausgezeichnet“, befand Neptun und sah sich um. Keines der Schiffe machte den Anschein, als wäre es für ein größeres Seegefecht geeignet. Jedenfalls solange wie der Gegner etwas größer als ein Thunfisch war. „Wo ist es?“

„Hier, Sir.“ Fry deutete hinter sich.

Neptun musterte das Schiff sehr genau, kam dann aber zu einer erstaunlichen Erkenntnis. „Das ist ein Fischerboot.“

„In der Tat, Sir.“

„Ausgezeichnet!“ Fry schaute ein wenig verdutzt. „Es ist immer besser, wenn uns der Feind unterschätzt, oder nicht?“

„J… Ja, Sir.“

„Dann wollen wir mal.“ Neptun klatschte in die Hände und sprang auf sein Fischerboot.

Als er außer Hörreichweite war, kam einer der Halunken auf Fry zu. „Aber, das ist nicht das Schiff vom Baron. Das ist das Schiff vom Ol‘ Ohm. Ich dachte, wir segeln auf dem Schiff des Barons.“

Fry pssss-te ihn an und flüsterte: „Es gibt kein Schiff des Baron. Willst du nun mit Käpt’n de’Silva segeln oder nicht?“

„Arrrr!“

Währenddessen stand Neptun am Bug und hielt aus irgendeinem Grund seinen Säbel in Fahrtrichtung. „Auf, Kameraden! Es ist Zeit, Emma zu finden!“

Beschreibung
Kapitän Neptun de’Silva hat ein recht freundschaftliches Verhältnis zur Realität, aber kann auch mal eine ganze Weile lang ohne sie auskommen. Er sagt häufig einfach nur, was ihm durch den Kopf geht, ohne der Sache eine Sekunde der Überlegung zu widmen. Oft redet er wirres Zeug und widerspricht sich selbst häufig, würde aber niemals zugeben, geschweige denn, dass es ihm auffallen würde, dass er sich schon einmal geirrt hat. Alles was er sagt oder ihm widerfährt, wird schon seine Richtigkeit haben…
Er ist ein pathologischer Optimist. Daher sind seine Pläne meistens abwegig, verrückt oder schlichtweg gefährlich. Er blendet alles, was möglicherweise schief gehen könnte, aus und geht einfach drauf los. Dass er dennoch meistens Erfolg hat, liegt vor allen Dingen an Fry, seinem Adjutanten, der die wüstesten Auswüchse seiner Pläne mit unterschiedlichen Ergebnissen einzudämmen versucht. Neptuns Ideen hätten sie beide schon häufig beinah umgebracht. Allerdings kommt es vor, dass eines seiner Manöver so brillant ist, dass man sich an den Hafenstädten noch jahrelang davon erzählen wird. Es sind diese Manöver, die andere Männer dazu bringen, ihm zu folgen.
Er ist kein Egoist, aber tut trotzdem nur, wozu er gerade lustig ist. Er ist durchaus bereit, anderen ohne Gegenleistung zu helfen und hat im inneren ein gutes Herz. Ab und an geht aber sein Pirat Sein mit ihm durch.
Er ist ein sehr tauglicher Seemann und Schwertkämpfer, was viele seiner Gegner über seine schillernde Persönlichkeit gerne vergessen. Er versucht auch manchmal, als gebildeter Redner zu erscheinen, woran er aber meist nur scheitert.
Er trägt immer seinen Hut mit der Albatrosfeder – sogar, wenn er schläft. Sein Bart ist auch auf hoher See immer fein gestutzt und sein braunes Haar sauber gekämmt. Seine Kleidung ist allerdings zusammengewürfelt aus der Uniform eines ehemaligen Offiziers und dem gewohnten Gewand eines Piraten.
Langfristig aus sich allein gestellt würde sein Leben wahrscheinlich recht schnell ein extravagantes Ende nehmen, aber zusammen mit Schiff, Crew und Fry… wer weiß, was ihm da alles widerfahren kann?
 

Enigma

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Anmeldeschluss für die zweite Runde ist übrigens 22.10.2011 23:59. :)

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Kraven

Calar

Das Problem war simpel. Da war also dieser kleine Jungen, nicht älter als acht Jahre und mit zuviel freier Zeit gesegnet, in welcher er unglaublich gerne durch die Stadt schlich. Dieser Junge war ein guter Kletterer und somit geschickt, wenn es darum ging, Zugang zu Orten zu erlangen, die für Normalsterbliche nur nach einer genauen Überprüfung durch das Wachpersonal möglich gewesen wären, hatte seine Augen überall, auch, wenn er das meiste von dem, was er da sah, noch nicht einordnen konnte. Ein spielendes Kind mit viel Unsinn im Kopf. Doch auf einer dieser Touren sah der Junge etwas, das er definitiv nicht hätte sehen sollen, etwas, von dem die Beobachteten wollten, dass es auf alle Fälle geheim blieb.
Frage: wie verfuhr man nun am besten mit diesem Kind?

Es hatte Zeiten gegeben, in denen Calar Probleme gehabt hätte, überhaupt die Frage zu verstehen. Selbstverständlich brachte man das Balg um, was denn sonst.
Klar, man tat das nicht sofort, das wäre der typische Anfängerfehler gewesen. Zuallererst einmal verprügelte man es und fand heraus, ob es Eltern und Geschwister hatte. Das mochte auf den ersten Blick wie unnötige Arbeit erscheinen, aber manche Eltern veranstalteten einfach einen unglaublichen Terz, wenn ihr Zögling eines Tages ausgeweidet im Hafenbecken gefunden wurde. Ganz zu schweigen von den Geschwistern. Klar, wie wirkten harmlos, wenn man sie zum ersten mal sah. Klein und schwächlich, irgendwie niedlich, vorausgesetzt, sie hielten die Klappe. Aber dann wartete man ein paar Jahre, und diese kleinen Pisser, höllisch traumatisiert vom Tod ihres Brüderchens, hatten sich ein Schwert geschnappt und gelernt, damit umzugehen. Und dann saß man da auf seine alten Tage und musste sich allen Ernstes mit diesem Jungspund herumschlagen, von dem man vermutlich schon längst vergessen hatte, warum er eigentlich sauer auf einen war.

Nein, die Erfahrung hatte einfach gezeigt, dass es sich lohnte, diese eine Extrameile zu gehen, und die gesammelte Verwandschaft gleich mit auszurotten.
Der ewige Klassiker dafür war Feuer. War die sauberste Lösung. Man wartete, bis es Nacht war, brach ein Fenster auf, schüttete etwas Öl in die Wohnung und schmiss eine Fackel hinterher. Wenn das Haus mehr als ein Stockwerk aufwies, schmiss man etwas feuchtes Holz dazu, damit der Rauch die Leute erstickte, die sonst die Flammen bemerkt und die man dann an der Tür hätte abfangen müssen. Sauber, einfach, und eine halbe Stunde später saß man wieder in der Kneipe und konnte sein Bier zu Ende trinken.

Leider ging das nicht immer.
Das Haus von besagtem achtjährigen Jungen zum Beispiel stand mitten in den Slums, dicht umstellt mit zig anderen Hütten und Häusern, die aus billigen Holzresten gefertigt waren, mit Stroh auf den Dächern, um den Regen abzuhalten. Die Dinger brannten wie Zunder, und ehe man es sich versah, stand das ganze Viertel in Flammen. Das machte man ein, höchstens zwei mal, und die Leute wurden echt sauer auf einen.
War letzten Endes einfach schlecht für's Geschäft.
In solchen Fällen bedurfte es persönlicher Handarbeit. Klar, es gab immer irgendwo einen Klugscheißer, der versuchte, diesen Aspekt zu umgehen. Man konnte zum Beispiel auch versuchen, sich einen tollwütigen Hund zu schnappen, ihn ein paar mal zu treten, damit er auch wirklich sauer wurde, und ihn dann in das Haus mit der schlafenden Familie zu sperren, die man tot sehen wollte.
Das klang an sich gar nicht so schlecht, aber in der Umsetzung erwies es sich als eine ziemliche Sauerei. Es war ohne weiteres möglich, dass da drin jemand in der Lage war, das Vieh mit einer Mistgabel oder einer Axt umzubringen, und danach war die ganze Familie auf den Beinen und alarmiert. Und selbst wenn das nicht der Fall war, konnte man sich nie sicher sein, ob sich der blöde Köter nicht erstmal am dritten Toten satt fraß und danach einfach keine Lust mehr auf das ganze Blutvergießen hatte. Man musste also auf alle Fälle nochmal rein und sich nachschauen, was dann auch im besten Fall dazu führte, dass man die Töhle selbst am Hals hatte, von irgendwelchen Überlebenden ganz zu schweigen.

Nein, nach Calars Erfahrung war es in so einem Fall das einzig vernünftige, reinzugehen und die Sache von Hand zu erledigen. Sich also nachts reinzuschleichen, ein scharfes Messer dabei zu haben, und dann jedem einzelnen Familienmitglied die Kehle durchzuschneiden. Und das war eine höllische Schweinerei. Früher oder später wachte irgendjemand auf, und obwohl ein schlaftrunkener Mensch gleich welchen Alters kein ernsthafter Gegner war, zehrten die Schreie und das Flehen um Gnade höllisch an den Nerven.
Außerdem brauchte es ewig, bis man den Blutgeruch aus den Haaren hatte.

Während er in seinem Sessel vor dem Kamin saß und seiner Kleidung beim Trocknen zusah, überlegte sich Calar, ob er Minio die Geschichte wohl wirklich so erzählen konnte. Blutgeruch in den Haaren. Klar doch.
Er lachte freudlos und schob sich eine weitere Portion Priem in den Mund. Den ganzen Weg von der Hütte des Jungen zu seinem Zimmer über der Krone hatte er immer wieder kurz davor gestanden, umzukehren und die Sache doch noch zu Ende zu bringen. Was ihn letzten Endes davon abgehalten hatte, war der Regen gewesen. Der Regen, der auch jetzt noch gegen die Fenster prasselte und sie alle zurück in ihre Löcher getrieben hatte, die Gerechten wie die Ungerechten.
Der Regen. Was denn auch sonst?
Er spuckte aus. Der braune Tabaksaft beschrieb einen perfekten Bogen und traf den Spucknapf zu seiner Rechten, ohne dass auch nur ein Spritzer danebenging. Alles eine Frage der Übung. Wie so vieles.

Er hatte dem Vater des Jungen drei Finger gebrochen, um ihm deutlich zu machen, dass ihm nicht zum Diskutieren zumute war, und ihm dann erklärt, dass er seine Kinder, seine Frau und die drei Habseligkeiten, die er besaß, gefälligst bis zum nächsten Morgen aus der Stadt zu schaffen hatte, wenn er den Sonnenaufgang noch erleben wollte.
Er war sogar noch freundlich geblieben, als der Idiot allen Ernstes Widerworte geben und ihm wer weiß was von einer einmaligen Chance erzählen wollte, die er einfach wahrnehmen musste.
Nachdem Calar ihm zwei Zähne ausgeschlagen hatte, hatte der Alte endlich die Klappe gehalten und ihm versprochen, zu tun, was er verlangte. Als ob er ihm damit einen verdammten Gefallen getan hätte.

Er seufzte.
Scheiße.
Wie um alles in der Welt erklärte man dem Oberhaupt der Diebesgilde, dass man langsam zu weich für seinen Job wurde?
Etwas traf die Tür zu seinem Zimmer mit der Wucht eines heranrasenden Stieres und riss sie beinahe aus den Angeln, und ein Schatten huschten hinein. Calar sprang aus dem Sessel und griff nach seiner Axt, im selben Moment, in dem sich zwei kleine Armbrüste auf ihn richteten. Der Elf, der mit ihnen auf ihn anlegte, sah ihn abschätzend an.
„Calar.“
„Sinh.“
„Leg die Axt hin.“
Calar legte die Axt hin.
„Setz dich.“
Calar setzte sich.
Die Augen des Elfen blieben auf ihn geheftet, während er sprach.
„Das Zimmer ist sicher.“
Ein leises Lachen ertönte vor der Tür.
„Natürlich ist es das. Calar ist schließlich ein alter Freund nicht wahr? Darf ich hereinkommen?“
„Klar“, antwortete Calar und schloss die Augen.
Scheiße.

Der Mann, der das Zimmer betrat und einen kunstvoll bemalten Schirm aus grasgrünem Reispapier an die Wand lehnte, war von eher kurzem Wuchs für einen Menschen, und die blonden Locken, die sein freundliches Gesicht einrahmten, erweckten den Eindruck eines jungen Adligen, der die Sorgen dieser Welt wenn überhaupt nur aus Büchern kannte, und der keiner Fliege etwas hätte zuleide tun können.
Nichts war weiter von der Wahrheit entfernt.

„Bitte entschuldige die späte Störung.“
„Kein Problem, Minio. Für dich doch immer.“
„Das ist sehr großzügig von dir.“ Das Lächeln des Mannes blieb unverändert, während er Calar betrachtete.
„Es lag mir wirklich nichts daran, dich wie ein Dieb in der Nacht zu überraschen. Bitte, zieh dir ruhig etwas an.“
Calar blickte erst zu Sinh, der immer noch auf ihn zielte, und dann auf seine Klamotten über dem Kamin.
„Bin in den Regen geraten. Die Kleider sind noch nicht trocken.“
„Wie du wünschst.“
Minio sah sich in dem kleinen Raum nach einer zweiten Sitzgelegenheit um, fand jedoch keine.
„Sinh, würdest du mir bitte einen Stuhl holen?“
Der Elf zögerte. „Er ist...“
„Sinh.“ Minios Stimme war immer noch weich und freundlich, aber das Lächeln um seine Züge war verschwunden.
„Bitte.“
Sinh verschwand und kehrte kurz darauf mit einem hölzernen Stuhl zurück, den er vermutlich aus einem der anderen Zimmer geklaut hatte.
„Danke sehr.“
Mino setzte sich und sah Calar aufmerksam an.

„Ich nehme an, du fragst dich, warum wir dich zu so später Stunde behelligen?“
Calar spuckte Tabaksaft aus.
„Ich dachte, es hätte etwas mit meinem angenehmen Wesen zu tun.“
„Oh, so könnte man es in der Tat ausdrücken, ja. Dein angenehmes Wesen.“
Minio seufzte.
„Weißt du, ich gebe mir große Mühe, einen verständnisvollen Umgang mit meinen Untergebenen beizubehalten, und, wie du sicher weißt, ist mir sinnlose Gewalt verhasst.“
„Während sinnvolle Gewalt ein kleines Steckenpferd ist, nicht wahr?“
Minio Lächeln wurde einen Hauch spröder.
„In manchen Fällen ist ein wohldosiertes Maß an Gewalt unumgänglich, da stimme ich dir zu. Und bis jetzt hielt ich dich für ein ausgewogenes Werkzeug für exakt solche Fälle.“
Calar saugte an dem Tabakklumpen in seinem Mund und sagte nichts. Minio ließ sich davon nicht irritieren.
„Der Vater des Jungen, um den du dich kümmern solltest, kam vor einer Stunde zu mir.“
Saugen. Kauen.
„Er bot mir das Lebens seines Sohnes an, wenn ich dafür das seine verschonen würde.“
Irgendwie schmeckte der Tabak plötzlich nicht mehr.
„Ich muss sagen, hätte ich gewusst, dass er derart entgegenkommend wäre, hätte ich dich gar nicht darum gebeten, dich dieser Sache anzunehmen. Manchmal, und ich möchte jetzt nicht verklärt erscheinen, aber manchmal spielt uns das Leben schon seltsame Streiche, nicht wahr?“
Langsam, wie zufällig, kroch Calars Hand zu seiner Axt. Ein Blick von Sinh, und sie verharrte. Der Elf war schnell, und gut genug mit der Armbrust, dass er sich keine Illusionen machen musste, er könne ihn verfehlen. Aber vielleicht konnte er ja zumindest Minio erledigen, bevor die Bolzen ihn erreichten.
Mit einem Blick auf Calars Hand sprach Minio weiter.
„Bevor du etwas tust, was sich nicht mehr rückgängig machen ließe, weise ich darauf hin, dass ich nicht hier bin, um dich tot zu sehen. Wie würde das denn aussehen? So geht man nicht mit einem alten Freund um, der all die Jahre so zuverlässig war wie du.“
Sein Lächeln verlor nicht einen Hauch an Wärme, als er ein schmales Stilett in seine Handfläche schnellen ließ.
„Weißt du, wenn es nach mir ginge, würde ich die Sache auf sich beruhen lassen. Aber du weißt ja... als Herr ist man manchmal eingeschränkter denn als Knecht. Diese elende Diziplin, die ich aufrechterhalten muss, ist eine schwere Bürde.“
Er hielt Calar das Stilett hin, Griff voran.
„Ich würde sagen, zwei Finger und ein Auge werden reichen, um das Konto auszugleichen.“


Zum Charakter

Jeder Mensch hat irgendetwas, dass er besonders gut kann. Umso schlimmer, wenn so ein Mensch dann mit Anfang vierzig sein Gewissen entdeckt und auf einmal ohne Job dasteht. Wie es dazu kam, behält Calar für sich, und sollte irgendjemand zu nachdrücklich nachfragen, wird er ihm ähnlich nachdrücklich das Maul stopfen, danke der Nachfrage.

Seit sich Calars Wege und die der Diebesgilde in gegenseitigem Einvernehmen trennten, schlägt er sich mit Gelegenheitsjobs durch. Verprügelt Leute, die anderen Geld schulden, hilft ab und zu als Türsteher aus, arbeitet auch alle Schaltjahre mal als Begleitschutz. Was man halt so tut, wenn man nie was anderes gelernt hat.

Calar ist großgewachsen und mit einer nicht unbeachtlichen Muskelmasse gesegnet, wobei diese nicht so strukturiert ist wie diejenige, die man von gezieltem Training bekommt, sondern eher wie die, die man durch das regelmäßige Tragen von Weinfässern und ähnlichen schweren Lasten erwirbt.
Zu seinem relativen Glück war sein Gesicht schon von Anfang nicht durch auffallende Schönheit gesegnet, so dass das mangelnde Auge nicht groß ins Gewicht fällt. Auch der kleine und der Ringfinger seiner linken Hand, die nun fehlen, schmälern seinen Erfolg bei der Damenwelt nicht merklich, er hatte vorher schon so gut wie keinen.

Obwohl man als Exekutive der Diebesgilde nicht unbedingt clever sein muss, betrachtet sich Calar keineswegs als völligen Idioten. Er kann lesen und schreiben, und hat genug Zeit in den Hafenkneipen Athkatlas verbracht, um jemandem in den meisten Sprachen des Kontinents zumindest zu erklären, dass er gefälligst die Füße stillhalten soll, falls er seine Schneidezähne behalten will. Für viel mehr reicht es in der Regel nicht, aber viel mehr brauchte er bisher schließlich auch nicht.
Durch seinen vorherigen Beruf kennt Calar eine ganze Menge Leute in Athkatla. Zwar mögen ihn davon nicht unbedingt alle, aber in der Regel weiß er, wen er zu fragen hat, wenn er etwas wissen möchte.

Bewaffnet ist er die meiste Zeit nur mit einem Messer und einer kleinen Franziska, einer Wurfaxt, die er jedoch auch im Nahkampf gut einsetzen kann. Sollte er mal in einen groß angelegten Streit geraten, auf den er sich vorbereiten kann, hat er irgendwo auch noch eine mit Metall verstärkte Lederrüstung und einen Streitkolben rumliegen. Aber wozu um alles in der Welt sollte er sich einen derartigen Streit suchen?
Denn eines hat er durch den Verlust seines Auges gelernt: Wenn sich dein Gewissen mal meldet, ignorier es. Solltest du plötzlich das Gefühl haben, dich irgendwelchen Idealen hingeben zu müssen, setz dich an die nächste Theke und trink solange, bis das Bedürfnis nachlässt. Denn letzten Endes ist es den ganzen Ärger einfach nicht wert.

Zumindest sagt er sich das jeden Morgen, bevor er das Haus verlässt.
 
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