Politik, 11. Staffel

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Olome Keratin

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@Kraven: Ok, du argumentierst dann aber aus einer anderen Position heraus als die Vorredner. Vorher ging es ja darum, ob es legitim sei, die Bevölkerung eines anderen Staates wirtschaftlich unter Druck zu setzen, damit diese Bevölkerung ihre Regierung stürzt. Rink hatte ich so verstanden, dass er das selbst dann für gut befindet, wenn es kontraproduktiv ist und die Bevölkerung sich stattdessen hinter die Regierung stellt.
Um das vielleicht klar zu stellen: Mir geht es bei Politik nicht um eine moralische Bewertung, sondern um die Analyse, ob eine bestimmte Politik effektiv und zweckmäßig ist oder nicht.
Wirtschaftssanktionen mit Ziel des Regierungssturzes halte ich für völlig verfehlt. Ich kenne nicht nur keinen Fall, in dem das Ziel des Umsturzes oder auch nur einer stärkeren Schwächung einer Regierung erreicht worden wäre - die diplomatischen Kosten für so eine Politik sind enorm. Man kann diplomatische Druckmittel durchaus einsetzen, ich klatsche aber nicht Beifall, wenn man sie für unsinnige oder gar kontraproduktive Maßnahmen einsetzt.
Die Pakistan-Politik der USA war seit 2001 aus Sicht der USA massiv kontraproduktiv. Statt Afghanistan mit ~25 Mio. Einwohnern zu befrieden und für sich zu gewinnen, haben sie stattdessen die ~180 Mio. Pakistanis gegen sich aufgewiegelt und einen Atomwaffenstaat an den Rand des Kollaps gebracht. Es ist nur noch nicht soweit, dass sich antiamerikanische Kampfgruppen in Pakistan mit Nuklearmaterial ausrüsten und damit einen Anschlag in den USA verüben konnten. Aber das kommt vielleicht noch.
 

Kraven

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Ich bin grad auf dem Sprung, darum nur kurz, aber der erste Staat, der mir bezüglich Zusammenbruch dank mangelnder Wirtschaftsstabilität einfallen würde, wäre die Sowjetunion. Wie viel davon jetzt hausgemacht war und wie viel davon dank Embargos entstand, ist eine andere Frage, aber dass man einen Staat wirtschaftlich verhungern lassen und dadurch einen Umsturz herbeiführen kann, wurde dadurch meiner Meinung nach ganz gut gezeigt.
 

Olome Keratin

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Sowjetunion halte ich für multikausal:

1. Wirtschaft
2. militärische Niederlage in Afghanistan
3. Gorbatschow

Von der Gewichtung her aufsteigende Reihenfolge. Können wir aber gerne ausführlich diskutieren.
 

Matthew McKane

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Ich könnte mir bei so einem Verrückten wie Kim sogar vorstellen, dass die Armut seines Volkes und die aussichtslose wirtschaftliche Situation eher kriegsbeschleunigende Faktoren sind.

Als Kim die Macht gerbt hatte, hat er erst einmal grossartig kleinere Reformen angekündigt. Vermutlich hat er damit gerechnet, dass der Westen Luftsprünge macht und Hilfspakete anbietet um den Reformweg Nordkoreas zu unterstützen.

Da kam allerdings nichts. Im Gegenteil, im Westen gab man sich die grösste Mühe ihn möglichst gar nicht wahrzunehmen. Wenn Herr Kim vom Westen Geld will, muss er betteln und erstmal echte Zugeständnisse machen. Vorher wissen wir gar nicht, wo Nordkorea überhaupt liegt.

Dabei bestünde jedoch die reale Gefahr, dass sein Volk dann auf den Geschmack kommt und tatsächlich plötzlich echte Demokratie und son Zeug fordert.

Wenn er jedoch das Geld dringend braucht, damit sein Volk nicht verhungert und er jetzt gemerkt hat, dass er fürs freundlich Lächeln vom Westen keins kriegt könnte es auch sein, dass er geschnallt hat, dass er aus seiner Lage in keinem Fall als strahlender Held herauskommt.

Wenn man sein ganzes Leben auf "mächtiger Herrscher" getrimmt wurde, kommt vermutlich weder klein beigeben und den Westen um Hilfe zu bitten (und dafür im Gegenzug die Macht abzugeben oder zumindest zu teilen) infrage, noch von seinem eigenen Volk wegen Hunger gestürzt zu werden, als Option in Frage. Bleibt nur noch alles auf die letzte Karte zu setzen und zu versuchen mit militärischen Provokationen den Westen dazu zu bringen endlich Geld locker zu machen. (quasi Frieden zu erkaufen)

Wenn das auch nicht klappt, bleibt ihm fast nichts anderes übrig als ernst zu machen und mit wehenden Fahnen unterzugehen. Vieleicht rechnet er sich ja sogar kleine Chancen aus, sich zumindest eine bessere Verhandlungssituation herauszuschlagen.
 
Zuletzt bearbeitet:

Kraven

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Ich kenn mich jetzt in dem Bereich leider nicht genug aus, aber... warum braucht Nordkorea eigentlich unbedingt Hilfe aus dem Westen? Warum nicht höflich beim Nachbarn fragen?
China hat die ganze Zeit die Hand über Nordkorea gehalten, weil sie den Pufferstaat gegenüber den NATO-freundlichen Staaten als eine tolle Sache ansehen. Ließe sich da nicht was verhandeln? China nimmt NK unter seinen Raketenschirm und schickt ein paar Säcke Reis, und zum Ausgleich hört der kleine Kim auf, die komplette Gegend mit seinem Krakele zu destabilisieren.
Ich mein ja nur, das kommt mir wie ein Deal vor, bei dem wirklich beide Seiten einen Profit schlagen können.

@Olome: Witzig, dass du den Afghanistankrieg so hoch ansetzt, den hätte ich gar nicht groß damit in Verbindung gebracht. Ich hätte wirklich gesagt, dass der Staat aufgrund von Misswirtschaft zusammenbrach, und trotz, nicht wegen Gorbatschow.
Warum Afghanistan?
 

Maus

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Ich würde ja sagen, dass Nordkorea schon lange bei seinem chinesischen Nachbarn schnorrt (eigentlich schon seit dem Koreakrieg). Nur haben die Chinesen genug eigene Probleme, so dass es bei den eigenen Leuten nicht gut kommen würde, wenn die noch mehr für Korea tun (hier in D mögen ja auch viele die Unterstützung unserer europäischen Nachbarn nicht so dolle); auch wenn sie es sich rational gesehen leisten könnten...

Und der Afghanistan-Krieg war für die Sowjetunion ziemlich fatal. Wenn man als imperiale Macht etliche Völker unterdrückt und dann von ein paar "Bauern" dermaßen eine auf den Sack bekommt (so wie die NATO gerade auch, weil man ja zu doof ist, von den sowjetischen Erfahrungen zu lernen und soviel schlauer ist...) ist das für die Stimmung nicht gut. Da funktionieren Drohgebärden und Einschüchterung einfach nicht mehr so gut.
 

Olome Keratin

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@Kraven: Zum einen was Maus gesagt hat. Zum weiteren der große muslimische Block in der UdSSR. Da gehören ja nicht nur die heutigen 15 Mio. Muslime in Russland rein, sondern auch noch die ganzen mittlerweile unabhängigen zentralasiatischen Staaten von Aserbaidschan über Kasachstan bis Kirgisien. Erklärtes Ziel afghanischer Kämpfer, etwa der hezb-e-islami, war die Befreiung aller Muslime von der Sowjetherrschaft. Nach dem ersten Rückzug wäre es also weiter gegangen. Zum dritten dürfte diese Niederlage vielen klar gemacht haben, dass die ganzen vorigen Siegesmeldungen etc. eben nicht stimmten und das in anderen Bereichen vermutlich genauso aussah.
 

Rink

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"Rink hatte ich so verstanden, dass er das selbst dann für gut befindet, wenn es kontraproduktiv ist und die Bevölkerung sich stattdessen hinter die Regierung stellt."

@Olome, wo liest Du denn das raus? o.O
Ich habe nicht gesagt, dass ich das für "gut" befinde, ich habe lediglich festgehalten, dass diese Sanktionen eben leider auch die Bevölkerung selber treffen, man aber nur so auch Druck auf diese Regierungen ausüben kann und den Politikern eben schlussendlich nichts anderes übrig bleibt, wenn sie nicht wie Du (Zitat: ) "nichts" machen wollen. Gut ist das nicht, es ist eine Lose-Lose-Situation, ein Dilemma halt.
Ich bin der Meinung, dass Politiker in der Aussenpolitik grade die Beschneidung von Menschenrechten oder Anzeichen für internationale Gefahren sanktionieren müssen und das nicht um die eigene Bevölkerung zufriedenzustellen, sondern sich selber. ;)
Dass dabei nicht das Ziel ist, der Bevölkerung zu schaden um einen Aufstand hervorzurufen, versteht sich von selber. Das Ziel ist in solchen Fällen normalerweise eben, dass man den Staat dazu bringen will, beispielsweise Menschenrechtsverletzungen zu minimieren. Eben nach der "wenn Du mir, dann ich Dir"-Erpressungsmasche. Toll finde auch ich diese nicht und ich bezweifle etwas, dass diese bei Kim wirklich grosse Früchte tragen wird, aber ich finde man muss etwas machen.

Militärmaterialausfuhrregeln sind eine Sache, diese nützen aber nur gegen Staaten, welche auch in einen Krieg gegen aussen antreten wollen, und leider eher nicht gegen Menschenrechtsverletzungen im Innern des Staates. Und in der Vergangenheit hat sich leider rausgestellt, dass Drittstaaten die Waffen kaufen und unter der Hand an Länder weitergeben können, welche auf dieser Liste stehen (so war offenbar auch Militärmaterial aus Schweizer Produktion im Arabischen Frühling involviert, obwohl es dort eigentlich nicht hätte auftauchen dürfen).
 

Olome Keratin

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@Rink: Das hatte ich genau aus dem rausgelesen, womit du nachfolgend begründen wolltest, warum das nicht deine Ansicht sei. Das ergibt sich daraus, wie ich die Wirkungen solcher Sanktionen einschätze.

1. Ich kenne kein Beispiel dafür, dass wirtschaftliche Sanktionen eine Regierung zur Änderung ihrer Innenpolitik bewegt hätten.

2. Ich kenne kein Beispiel dafür, dass wirtschaftliche Sanktionen in irgendeinem Land einen Regierungswechsel ausgelöst hätten.

Wenn du nur 1. erreichen wolltest, aber feststellst, dass die wirtschaftlichen Sanktionen nicht zum von dir gewünschten Ergebnis führen, stattdessen aber die Zivilbevölkerung treffen, wärst du dann bereit, sie wieder zurückzunehmen? Wenn nein, kann ich mine obige Aussage wohl aufrecht erhalten.
 

Rink

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@Olome, gelten aus Deiner Sicht die Unterlassung der Zahlung von Finanzpaketen (Griechenland) nicht auch zu wirtschaftlichen Sanktionen? Also für mich schon :D
Der Spardruck hat die Innenpolitik massiv beeinflusst und einige Wechsel an der Spitze der Regierung ausgelöst.

Spontan kommt mir auch die Ölkrise in den Sinn, die weltweit Auswirkungen hatte.

Aus meiner Sicht ist die Diplomatie gespickt mit Deals der wenn Du mir, dann ich Dir-Art, diese kann man stets auch formulieren als "wenn Du mir nicht, dann ich Dir nicht (sprich Erpressung). Niemand würde nun zugeben, dass Erpressungen bei ihm gewirkt haben und man etwas nur wegen einer Erpressung macht, das heisst aber nicht, dass es die Politik nicht beeinflusst. Wirtschaftliche Sanktionen hatten in den Konflikten der letzten 40 Jahre aus meiner Sicht jedenfalls stets ein Anteil und haben diverse Konflikte beeinflusst, beispielsweise auch durch eine Verschnellerung der Problemlösung oder Eskalation.

Aber ich würde gerne die Gegenfrage stellen: man muss das nämlich dem gegenüberstellen, was passiert, wenn man keine Sanktionen macht:
Wann haben keine Sanktionen die Innenpolitik solcher Staaten bewegt oder Regierungswechsel verursacht? Sicher seltener als Sanktionen, oder? ;)

Für mich ist es ein wenig, wie wenn man einen Nachbar hat, der seine Familie mit Gewalt und Unterdrückung missbraucht und zudem mit seiner Waffensammlung eine Bedrohung auch für Deine Wohnung darstellt. Er ist Bäcker und Du kaufst bei ihm und gibst ihm dafür elektronische Geräte. Würdest Du nun weiterhin Deine Brötchen bei ihm kaufen, und Deine elektronischen Geräte an ihn liefern oder versuchen mit den Druckmitteln, welche Du hast, etwas zu bewegen. Das hat Risiken (es kann schneller eskalieren), es hat Investitionen (man muss auf den Handel verzichten) aber es hat auch die Möglichkeit, dass Kompromisse gemacht werden können und eine Verbesserung der Lage erfolgen kann. Zudem ist jeder Handel mit dieser Person auch eine Stärkung seiner jetzigen Situation und damit auch nicht "keine Handlung", man macht in so einem Falle also nicht "nichts", sondern unterstützt bestehende Strukturen.
Für mich ist es aber auch eine (sicherlich etwas überhebliche) Prinzipfrage. Ich will seine Brötchen nicht mehr und auch sein Geld nicht, solange er diese Situation aufrecht erhält.
 

Matthew McKane

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@Rink: Das Problem ist, dass du nie weißt, ob die üblen Gerüchte, die du über deinen Nachbarn gehört hast, auch wirklich stimmen. Oder ob nur sein Apfelbaum zu weit in den Garten von gegenüber ragt und die Frau von gegenüber sich Geschichten ausdenkt.
 

Olome Keratin

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@Rink:
gelten aus Deiner Sicht die Unterlassung der Zahlung von Finanzpaketen (Griechenland) nicht auch zu wirtschaftlichen Sanktionen?
Das wäre für mich rechtsstaatlich gebotenes und wirtschaftlich vernünftiges Handeln. Schließlich gibt es laut EU-Verträgen eine No-Bailout-Klausel.;)
Übrigens wurde ja immer brav gezahlt, auch wenn noch so viele der Forderungen gar nicht umgesetzt wurden (Privatisierungserlöse, Schrumpfung des öffentlichen Dienstes, Bekämpfung der Steuerhinterziehung usw.).

Ölkrise: Gab es dabei irgendeine Forderung eines OPEC-Staates, die die Innenpolitik eines westlichen Landes betrafen?:hae: Das waren doch bei allen Boykotten außenpolitische Forderungen.

Wann haben keine Sanktionen die Innenpolitik solcher Staaten bewegt oder Regierungswechsel verursacht? Sicher seltener als Sanktionen, oder?
Also wenn Sanktionen so etwas nie bewirkt haben, bewirken keine Sanktionen vermutlich dasselbe.
 

Rink

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@Matthew da hast Du recht, aber ich hoffe schwer, dass politische Staaten nicht aufgrund von Publikationen der Bildzeitung agieren, sondern ihre Informationsquellen haben, die zuverlässiger sind. Nun mag das nicht immer der Fall sein oder Politiker nicht immer auf diese Informationen hören (Iraqkrieg?), aber ich erwarte schon, dass die Politiker umfassend und qualitativ gut informiert sind, bevor sie Entscheidungen fällen.

@Olome, nun mir hat es jedenfalls den Eindruck gemacht, als wärt ihr nicht "verpflichtet" gewesen, Griechenland zu retten und dass ohne (massives) Entgegenkommen von Griechenland, diese Finanzpakete nicht bezahlt worden wären. Ob das so gewesen wäre oder nicht und was genau nun die Ursache für das Bezahlen der Finanzpakete war, wenn nicht die innenpolitischen Strukturwandlungen in Griechenland, darüber kann ich aber natürlich nur spekulieren.
@Ölkrise, nun es waren effektiv Forderungen, welche die Aussenpolitik von Staaten betrafen, welche aber natürlich durch innenpolitische Entscheide gefällt wurden und dann doch Auswirkungen auf die Innenpolitik der Länder zur Folge hatten ;) Aber ich stimme Dir zu, dass reine innenpolitische Forderungen natürlich schwerer von aussen durchzusetzen sind.
 

David

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Sanktionen kann man ja auch abstufen, zB kann man "dual use" mehr oder weniger streng auslegen. Zumindest neben Militärgerät auch "dual use" der engsten Definition nicht zu liefern dürfte bei einigen Staaten durchaus angebracht sein.
Der größere Kritikpunkt ist für mich eher die Auswahl dieser Staaten: Iran und Nordkorea werden sanktioniert, aber Saudi Arabien kann sogar mit Waffenlieferungen rechnen. Wobei Saudi Arabien wenigstens noch nicht uns oder einen engen Verbündeten bedroht hat, aber ob das nach einem Machtwechsel immer so bleiben wird (bzw. was dann mit den Waffen passiert) ist die andere Frage. (Vielleicht sollte man bei Waffen generell von einer "Negativliste" zu einer "Positivliste" übergehen ?)

Davon abgesehen erinnert die Debatte mich ein wenig an die Frage ob die Strafen gegen einzelne Bürger was bringen, oder ob sie vor allem dazu dienen, das Gerechtigkeitsempfinden der übrigen Bürger zu bedienen.
Letzteres spielt mit Sicherheit auch bei den Sanktionen eine Rolle. Ob man das negativ (zB als reinen Wahlkampf) oder positiv (die Regierung macht das, was die Bürger wollen) sehen will, ist wieder die nächste Frage.
 

Olome Keratin

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@Rink: Die deutschen Politiker hatten sich eigentlich erst darauf festgelegt (allen voran Merkel), Griechenland nicht zu helfen. Dann kam anscheinend das Argument der wechselseitigen Abhängigkeit, bspw. Bankensektor oder Überschwappen der Krise auf Italien und Spanien, und die deutschen Politiker sind umgefallen. Vorausgegangen war eine möglicherweise bewusst vom griechischen Premier Papandreou herbeigeführte Vertrauenskrise von Investoren gegenüber dem griechischen Staat. Falls die Information stimmt, dass Papandreous Familie selbst gegen griechische Staatsanleihen spekuliert hat, ist das auch nicht unplausibel. (Quelle hierfür ein Uni-Vortrag, den ich vor einiger Zeit gehört habe, in dem die Kurse für griechische Anleihen mit Äußerungen Papandreous zeitlich abgeglichen wurden. Interessanterweise richtete Papandreou immer dann anklagende Worte gegen Investoren, wenn die Renditen und Zinsen grade zurückgegangen waren, was sie prompt wieder in die Höhe trieb.) In dem Zusammenhang könnten auch die Defizitzahlen Griechenlands übertrieben worden, ein virulenter Streitpunkt in Griechenland zwischen Pasok und Nea Dimokratia, bei dem ich nicht beurteilen kann, wer Recht hat.
Zum ersten Euro-Rettungsschirm EFSF habe ich damals direkt Insiderinformationen bekommen. Die Über-Nacht-Implementierung von dem Ding fiel ja mit der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen zusammen. Wenige Tage später hatten wir in Heidelberg Michael Link, MdB (FDP) da, damals Vorsitzender des Europa-Ausschusses des Bundestags, mittlerweile Staatssekretär Außenministerium. Damals war er erschüttert über den EFSF und den Ablauf. Nach seiner Darstellung war es so, dass sich Schäubles Finanzministerium (in erster Linie wohl Asmussen, damals noch Staatssekretär) mit der EU-Kommission verbündet hat, den EFSF verabredete und Merkel vor vollendete Tatsachen stellte, die das ganze dann einfach abgenickt hat. Westerwelle folgte gleich anschließend.
Vor dem Hintergrund würde ich irgendeine Form der Erpressung oder sonstige Beeinflussung durch Deutschland bei der Euro-Rettung ganz weit zurückweisen.

Zur Ölkrise: Die einzige Ölkrise, die ich finden konnte, die mit politischen Forderungen der Förderländer verknüpft war, ist die von 1973, ausgelöst durch den Yom-Kippur-Krieg und die US-Unterstützung für Israel. Auf die Innenpolitik abzielende Forderungen der Förderländer habe ich keine entdeckt. Das Embargo wurde dann dadurch aufgehoben, dass die USA einen Waffenstillstand vermittelten. Inwieweit das meinen obigen Thesen widerspricht, kann ich nicht erkennen.
 

Rink

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@David, ich stimme Dir zu bei Waffenexporten. Das Problem hier ist halt, es ist ein Geschäft und Politiker und Volk scheinen hier die eigenen Arbeitsplätze und Einkünfte höher zu gewichten als allfällige zukünftige Gefahren, solange sie selber nicht Opfer dieser Gefahren werden können :D

@Olome nunja für mich ändert der Hintergrund nichts daran, dass man strikte Forderungen mit der Zahlung des Rettungsschirmes an Griechenland gestellt hat und ohne innenpolitische Handlungen der Griechen gedroht hat, nicht zu bezahlen. Richtig oder? Was ist das denn, wenn nicht eine innenpolitische Forderung, welche man mittels einer Erpressung durchsetzen will und durchgesetzt hat? ;)
Naja wir können uns ja darauf einigen, dass wir nicht einer Meinung sind. Für mich ist halt keine wirkliche Option, nebendran zu stehen und nichts zu unternehmen, selbst wenn man beim Handeln keine Garantie auf Wirkung hat. Zu den Optionen gehören neben Einschränkungen des Handels beispielsweise auch das Einfrieren von Konten von Diktatoren und das Leid der Bevölkerung kann man mit der Finanzierung von Hilfsorganisationen vor Ort gezielter lindern.
 

Olome Keratin

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@Rink: Griechenland hat aber von allen Auflagen nur die umgesetzt, zu denen es Lust hatte. Konsequenzen: noch mehr Geld.:rolleyes:
Griechenland hat
1. seine globalen Einspar- und Defizitziele nicht erreicht.
2. seine Privatisierungen nicht durchgeführt
3. viele Marktliberalisierungen nicht durchgeführt
4. die Steuerhinterziehung nicht effektiv bekämpft
5. den öffentlichen Dienst nicht im vereinbarten Umfang verkleinert

Alle Maßnahmen, die getroffen wurden, gingen einseitig zulasten der Unterschicht und unteren Mittelschicht - die Gruppe, die sich nicht wirklich effektiv wehren kann. Das ist nicht das, was von den Geldgebern festgesetzt wurde, sondern Ergebnis griechischer Politik und daher auch keine Erpressung.
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
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Hmpf.

Olome, ich habe schon bessere Beiträge von dir gelesen.

> 1. seine globalen Einspar- und Defizitziele nicht erreicht.

Duh. Wie denn auch ? Das ist unmöglich. Alle Maßnahmen, die dafür ergriffen wurden, haben auch die Eingabeseite zusammenbrechen lassen.

Man kann in der Politik nicht einfach sagen "ich möchte das die Welt so und so aussieht". Sondern man muß die Bedingungen schaffen, damit die Welt wie gewünscht aussieht. Politik wird schlußendlich immer von der Macht des Faktischen bestimmt.

> 2. seine Privatisierungen nicht durchgeführt

Doch, haben sie, es gab nur keine Käufer :rolleyes:

> 3. viele Marktliberalisierungen nicht durchgeführt

So ? Welche denn ?

> 4. die Steuerhinterziehung nicht effektiv bekämpft

Ach ? War das etwa tatsächlich mal eine Forderung der EU ? Das ist mir nämlich ganz neu.

> 5. den öffentlichen Dienst nicht im vereinbarten Umfang verkleinert

Verdammt aber auch, sie haben nicht die Arbeitslosigkeit im gewünschten Maße erhöht ? Sowas aber auch.

Fakt ist, Griechenland hat einen Großteil der geforderten Maßnahmen umgesetzt. Sonst wäre deren Wirtschaft ja nicht so dermaßen in die Knie gegangen und die Arbeitslosigkeit wäre nicht dermaßen explodiert. Wer jetzt kleinlich herumrechnet das da nicht alles perfekt gelaufen ist, versucht einfach nur von den eigenen Fehlern abzulenken.
 

Olome Keratin

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@Gala: Du solltest nicht vergessen, dass der Beitrag als Widerlegung von Rinks Aussage
nunja für mich ändert der Hintergrund nichts daran, dass man strikte Forderungen mit der Zahlung des Rettungsschirmes an Griechenland gestellt hat und ohne innenpolitische Handlungen der Griechen gedroht hat, nicht zu bezahlen. Richtig oder? Was ist das denn, wenn nicht eine innenpolitische Forderung, welche man mittels einer Erpressung durchsetzen will und durchgesetzt hat?
gedacht war.

Ich habe nicht gesagt, dass die Troika-Maßnahmen jemals realistisch gewesen wären oder es gut gewesen wäre, wenn man sie umgesetzt hätte. Da sie aber unrealistisch gewesen sind und sie bei weitem nicht vollständig umgesetzt wurden, halte ich Rinks These für nicht zutreffend.

Wegen Steuerhinterziehung: Guck dir das Heckmeck um die Lagarde-Liste an, dann siehst du, was daraus wurde. Muss ich dir dafür jetzt wirklich Belege raus suchen?

Nicht umgesetzte Marktliberalisierungen: Ok, hier muss man etwas zwischen den Zeilen lesen.
IWF von 2011 S. 52, Status von Deregulierung regulierter Berufe angeblich "in progress", outcome N/A (implementation delayed)

IWF 2012 S.72, Status von Deregulierung regulierter Berufe angeblich "in progress", outcome N/A
 

Ysrthgrathe

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@Olome

Zur Erpressung:
@Rink: Griechenland hat aber von allen Auflagen nur die umgesetzt, zu denen es Lust hatte. Konsequenzen: noch mehr Geld.:rolleyes:
Für den Tatbestand der Erpressung spielt es aber keine Rolle, ob der Täter die Drohung auch tatsächlich in die Tat umsetzt.
Es spielt eigentlich ebenfalls keine Rolle, ob das Opfer den Forderungen wie gewünscht nachkommt. Es reicht, dass dem Opfer ein Schaden entsteht.

Die Frage ist eher, ob die hier eine Rechtswidrigkeit vorliegt. Ohne Rechtswidrigkeit auch keine Erpressung.


Zur Frage, ob man von einer wirtschaftlichen Sanktion sprechen kann:
Laut Wiki gilt:
Wirtschaftssanktionen sind alle Versuche der Einflussnahme auf das Verhalten anderer Staaten mittels wirtschaftlicher Instrumente. Diese versuchte Einflussnahme erfolgt über eine - wirkliche oder perzipierte - Veränderung der Kosten/Nutzen-Relationen alternativer Verhaltensweisen.

Das ist hier doch durchaus gegeben, oder?


@Rink
Für mich ist es ein wenig, wie wenn man einen Nachbar hat, der seine Familie mit Gewalt und Unterdrückung missbraucht und zudem mit seiner Waffensammlung eine Bedrohung auch für Deine Wohnung darstellt. Er ist Bäcker[...]
Für mich ist es aber auch eine (sicherlich etwas überhebliche) Prinzipfrage. Ich will seine Brötchen nicht mehr und auch sein Geld nicht, solange er diese Situation aufrecht erhält.
Das Problem ist eben, dass du feststellst, dass nur die Familie deines Nachbarn unter deinem Verhalten leiden muss, nicht der Nachbar selbst.
Er geht auch weiter in die Kneipe und verzichtet auch sonst auf nichts.
Seine Frau und seine Kinder müssen aufgrund deines Verhaltens aber hungern und können sich keine anständige Kleidung mehr leisten.

Ist zwar schön, dass du Prinzipien hast. Objektiv schadest du damit aber fast ausschließlich den eigentlich Unschuldigen, der Schuldige kommt im Wesentlichen ungeschoren davon.
Ist dein Verhalten dann trotzdem noch richtig? Kommt drauf an, ob man einen utilitaristischen oder einen irgendwie anderen moralischen Standpunkt einnimmt.
 
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