@Sir Darian:
Der Adressat der Kritik aber ist in der Regel, wenn er dieser ausgesetzt wird, eher in einem emotionalen Zustand. Er ärgert sich, er ist empört, was auch immer.
Und ein emotional aufgebrachter Mensch ist in der Regel einer rationalen Aussage über nicht gerade empfänglich.
Das ist ein klassisches Sender - Empfänger Problem in einem Kommunikationsmodell, habe ich mal gelernt.
Daher stelle ich mir die Frage, ob es das passende Werkzeug ist, Kritik einer emotional leicht reizbaren Gruppe durch Satire näherbringen zu wollen.
Aber mit dieser Argumentationskette landen wir dort, wo zumindest ich keinesfalls hin will: wer am emotionalsten sich geriert, wird am wenigsten kritisiert. Damit wird das Beleidigte-Leberwurst-Spielen positiv belohnt. Die Opfer-Pose ist nun seit mehreren Jahrzehnten immer beliebter geworden. Inzwischen spielen sie auf allen Seiten gekränkte Unschuld, weil im Diskurs zu lange solcherart Rücksicht auf die Gefühlswallungen der Leute genommen wurde, wie Du es für sinnvoll zu halten scheinst. Um mal ein schönes Beispiel zu bringen: ich treibe mich ja in ein, zwei christlichen Foren herum und dort sind drei Themen absolute Dauerbrenner: Selbstbefriedigung, vorehelicher Sex und Homosexualität.
Was letztere angeht, so vermute ich mal, dass die Meinungsverschiedenheiten zwischen konservativen Christen und Islamisten etwa bei nullkommanull liegen dürften... Nun hat sich seit einigen Jahren als Euphemismus zu "Schwulenhass" ja der Begriff "Homophobie" eingebürgert. Und es ist eine Freude zu lesen, wie sich nun konservative Christen als Verfolgte in Deutschland gerieren, weil ihnen, wenn sie ihre Ressentiments gegen Homosexuelle öffentlich kund tun wollen (sie nennen das: "Zeugnis ablegen" über ihre "Erkenntnisse aus der Bibel"), regelmäßig Homophobie attestiert wird. Das wird dann so formuliert: "Hier in Deutschland herrscht schon längst Zensur, denn jeder, der seine biblischen Erkenntnisse über Homosex formulieren will, wird als homophob diskriminiert! Und jetzt sollen unsere Kinder in der Schule sogar schwul gemacht werden und wir dürfen dagegen nichts äussern, weil es dann sofort wieder heißt, wir seien homophob. Bald werden wahre Christen hier verfolgt wie in China oder im Irak, nur weil sie die Wahrheit bekennen. Dabei steht schon im Römerbrief... (und so weiter und so fort)"
Kurz: man stilisiert sich zum Opfer, zum Verfolgten, um nur ja nicht mal klar gesagt zu bekommen, was andere von dem Mist, den man von sicht gibt, halten. Dabei gilt: je höhertourig diese "Opfer" ihre Emotionsmaschine laufen lassen, desto ratloser stehen die anderen dabei und fragen sich: was tun?
Ich habe in der letzten Woche zwei solcher Opfer-Inszenierungen live mit ansehen können und - nun ja, mann soll ja aus zwei Erlebnissen noch keine Regel machen, aber es handelte sich in beiden Fällen um Mitbürger süd-östlicher Provinienz. Einmal eine Frau im Kaufhaus, deren Aufführung ich in praktisch der gleichen Art vor ein paar Jahren schon mal erleben durfte (mit einer anderen Frau). Der fehlte an der Ladenkasse plötzlich ihr Portemonnaie. Vielleicht hatte sie's daheim liegen lassen, vielleicht hatte sie's auf der Straße verloren, vielleicht war es ihr gestohlen worden, vielleicht besaß sie keins - man weiß es nicht. Aber ihre Aufführung war jedenfalls ganz große Oper. In ihrer mir unverständlichen Mutterzunge jammerte sie tremolierend die Tonleitern hoch und runter. Sie raufte sich die Haare, schrie und zeterte, ließ sich auf den Boden, auf die Knie fallen und rang die Hände, als die Kassiererin und dann auch der herbeigerufene Mann von der Sicherheit ihr zu verstehen gaben, dass sie die Ware nicht ohne Bezahlung mitnehmen könne. Ihr Mann werde sie schlagen (exakt die gleiche Behauptung hatte vor Jahren die andere Frau in der vergleichbaren Situation von sich gegeben), wenn er von der gestohlenen Geldbörse erführe. Ihr sei das Geld hier im Kaufhaus gestohlen worden, man müsse ihr helfen...
Nun tat der Mann von der Sicherheit, was wohl Bestandteil seines Jobs ist: er versuchte, die Frau von der Kasse wegzumanövrieren. Und da sie da auf dem Boden kauerte, machte er Anstalten, ihr beim Aufstehen zu "helfen", d.h. natürlich: sie anzufassen und irgendwie wegzuschaffen von da, wo sie den Betrieb aufhielt und immer mehr Gaffer wie mich anlockte. Na, da war der Security-Boy aber an die Falsche geraten! Nun schrie sie, als wolle man sie abstechen. Der böse Mann, so war ihren Gesten zu entnehmen, habe ihr weh getan. Gewalt und so!... Es war, um mich zu wiederholen, das ganz, ganz große Theater.
Ich weiß nicht, wie die Leute in der Türkei, in Rumänien, dem Libanon oder woher die Frau auch immer gestammt haben mag, in so einer Situation reagieren würden. War diese Frau tatsächlich so dünnhäutig? Konnte sie einfach ihre Emotionen nicht kontrollieren? Oder war der emotionale Ausbruch lediglich anerzogenes Verhalten und/oder Handlungsstrategie? Keine Ahnung. Aber so oder so: man darf derartiges Verhalten m.M.n. nicht auch noch belohnen.
Da die Schilderung dieses einen Erlebnisses schon zu lang geraten ist, will ich das andere Erlebnis, wo sich zwei Männer hier vor meiner Haustür auf der Straße um ein zu nah geparktes Auto stritten, nicht mehr groß ausschmücken. Fakt war: um den einen Beteiligten aus den schwindelerregenden Höhen seiner heiligen Wut wieder runterzukriegen, bedurfte es mehrerer laut auf ihn einredenden Frauen aus seiner Großfamilie, die ihn, an den Ellbogen gepackt, in seine Wohnung geleiten mußten (hinten schob, beide Ärmchen gegen seinen Po stemmend, noch ein kleines Mädchen; mir kamen bei dem Anblick die Tränen - vor Lachen!). Immer wieder drehte er sich um, um noch ein paar böse Blicke und (vermutlich) Verwünschungen auf seinen Opponenten zu schleudern. Der wiederum nur seine Beifahrerin als beschwichtigende Instanz hatte, die, so mußte man meinen, ihn durch ihre überlegene Körperkraft daran hinderte, seinem Gegner hinterherzusetzen und ihn niederzuschlagen...
Zwei
Opfer, zwei in ihrer Würde gar tief verletzte Opfer, die scheinbar kurz auf Knopf davor standen, sich mit bloßen Händen zu erwürgen. Wegen eines zu eng geparkten Autos...
Diese übertriebene Emotionalität, dieses aufbrausende Beleidigtsein - wie kann man denen begegnen? Indem man solchen Leuten einfach alles durchgehen läßt, sie nur nicht reizt, wo doch zu erwarten ist, dass sie sich wie bissige Hunde verhalten?
Falls da einfach unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen - sorry, aber da ist doch ein Multikulti praktisch gar nicht möglich, oder? Wenn immer derjenige einen Interessenskonflikt gewinnt, der am emotionalsten reagiert, dann können wir die Ratio einmotten, dann wird sie nicht mehr gebraucht.
Um auf das Thema Kritik an Religiösem zurückzukommen: Da religiöse Ideen sachlich-argumentativ überhaupt nicht ordentlich zu verteidigen sind, da sie ihrer Natur nach logisch inkonsistent und belegfrei zu sein pflegen, ist die irrationalel/emotionale Karte regelmäßig diejenige, die die Vertreter des religiösen Glaubens zu spielen pflegen. Und wenn sie bemerken, dass sie ihre Position leicht damit durchsetzen können, diese Karte zu spielen - dann werden sie die ein ums andere Mal zücken: bewährte Methoden ändert man nicht.
Im Diskurs ist das Ausspielen der emotionalen Karte meiner Ansicht nach sowetwas wie die Schwalbe beim Fußball. Man sollten denjenigen, der sich ein ums andere mal hinschmeißt, um Freistöße rauszuschinden, nicht immer wieder damit durchkommen lassen.
Kleinkinder in der Trotzphase wird man nicht davon abbringen können, sich in ihre Wut so sehr hineinzusteigern, dass sie sich ihre melodramatischen Aufführungen am Ende selbst glauben, wenn sie wegen eines verweigerten Lollies im Supermarkt Tränenströme vergießen, mit denen man die Sahara bewässern könnte und dabei strampeln wie ein Delinquent am Galgen. Wenn sie ihren Willen nicht erfüllt bekommen, dann trommeln sie auch schon mal im Furor mit den Fäusten gegen Mamas Beine.
Aber Erwachsene - sollte man denen vergleichbares Benehmen durchgehen lassen? Wäre es nicht gar ein Zeichen von Arroganz, Erwachsene wie kleine Kinder zu behandeln, die ihre Gefühle so wenig zu beherrschen vermögen wie Säuglinge ihre Ausscheidungsfunktionen? Ist es nicht geradezu ein Ausdruck des natürlichen Respekts vor der Menschenwürde des anderen, wenn man ihm zutraut, sich gegenüber Kritik angemessen - und das bedeutet: nicht kindisch - zu verhalten?
@Turjan:
Wobei wir in Deutschland tatsaechlich noch diesen unsaeglichen $166 haben. Der gehoert abgeschafft.
Mein
ceterum censeo!