Politik, 11. Staffel

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Matthew McKane

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Spott ist böse und wird im Forum nicht angewendet? Na, ein Glück, dass ich so wenig schreibe, hab anscheinend keinen Eindruck gemacht.

Es ist so lange erlaubt, bis die Inquisition entscheidet, dass der öffentliche Frieden hier gefährdet ist.

Solange das Ziel des Spotts selber schmunzeln kann ist doch alles in Ordnung. Und wenn mal jemand empfindlich reagiert und verletzt ist, entschuldigt man sich normalerweise, wenn man nicht beabsichtigt hatte jemand zu verletzen.
 
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Turjan

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Matthew schrieb:
Der Paragraph 166 sagt für mich vor allem aus, dass vor allem Religiöse selbst, beim sich untereinander gegenseitig anpöbeln, nicht den öffentlichen Frieden stören dürfen. Das ist doch gut.
Daran ist gar nichts gut, da hier die Schuldfrage auf, einerseits, der subjektiven Betroffenheit eines anderen und, andererseits, der potentiellen Notwendigkeit der Ordnungsgewalt, taetig werden zu muessen, beruht. D.h., die Strafbarkeit ist reaktiv begruendet, also darauf, wie jemand Drittes subjektiv reagiert, was nur schwer kalkulierbar ist und deshalb als Gesetz aus prinzipiellen Rechtserwaegungen nichts taugt.

In den angelsaechsischen Laendern sind solche Paragraphen mit gutem Grund ersatzlos gestrichen worden, weil das Recht auf freie Meinungsaeusserung dort ueber das Recht auf weniger Arbeit fuer die Ordnungsmacht gestellt ist, und bestraft wird dort der Randalierende, nicht der, der von seinem Recht auf Meinungsaeusserung Gebrauch macht. Noch dazu ist letzteres auch in Deutschland ein Grundrecht.
Der verbietet keineswegs Blasphemie, auch wenn er Blasphemieparagraph genannt wird.

Dann guck Dir mal die Urteile an. Die Sache mit dem Aufkleber „Lieber eine befleckte Verhütung als eine unbefleckte Empfängnis“ ist doch das Paradebeispiel des Blasphemieparagraphen in Reinform.
 
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Matthew McKane

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Auf der anderen Seite steht es mir als Atheist aber genauso frei, Rabatz zu machen, wenn Gottlose als Sünder und Gottlosigkeit als Ursache von Leid und Ungerechtigkeit gepredigt wird. Und mich dann auf diesen Paragraphen zu berufen. Das macht bloss keiner. Bisher klagt nur die Katholische Kirche.
 

Turjan

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Sicher. Nur warum macht es keiner? Wahrscheinlich deshalb, weil man bei naeherem Nachdenken erkennt, dass ein Gericht eine angeblich beschaedigte Ehre nicht wiederherstellen kann. Das funktioniert heutzutage nicht mehr. Was man ja auch sehr schoen am Fall Christian Wulff sehen kann, der anscheinend eine Genugtuung aus seinen Prozessen zieht, die ein grosser Teil der Gesellschaft nicht nachvollziehen kann, weil da eher der Eindruck der beleidigten Leberwurst zurueckbleibt. Souveraen hat er sich zu keiner Zeit verhalten, und das ist auch das, was sein Amt und sein Ansehen hauptsaechlich beschaedigt hat.

Ich nehme mal an, auch die Katholische Kirche hat das im Fall der Papst-Karikaturen begriffen. Ein souveraener Umgang mit solchen Dingen kommt besser an als kleinliche Prozessiererei, die mehr Schaden fuer den Klaeger anrichtet, als dass sie Gutes tut. Ich nehme mal an, das ist auch der Hauptgrund, warum das Anrufen dieses Paragraphen sowieso recht selten vorkommt.

Es nuetzt halt nichts, wenn man den Prozess gewinnt und in der Gesellschaft als Buhmann zurueckbleibt.

Edit: Wobei man bei so etwas auch den Streisand-Effekt nicht vergessen sollte. Wer liest denn schon die Titanic.
 
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Danol

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Auf der anderen Seite steht es mir als Atheist aber genauso frei, Rabatz zu machen, wenn Gottlose als Sünder und Gottlosigkeit als Ursache von Leid und Ungerechtigkeit gepredigt wird. Und mich dann auf diesen Paragraphen zu berufen. Das macht bloss keiner. Bisher klagt nur die Katholische Kirche.

Das ist zunächst mal Unsinn, der § spezifiziert sein Anwendungsgebiet recht genau, Absatz 1 könnte dabei auf Atheisten anwendbar sein, Absatz 2 aber nichtmehr: " eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche" ... wir haben keine atheistischen Kirchen, Religionsgesellschaften oder Weltanschauungsvereinigungen in Deutschland, das ist exklusiv ein Schutz der Kirchen.

Und selbst wenn Du Recht hättest: Das macht es nicht besser. Warum sollten bestimmte Weltanschauungen vor Beschimpfungen geschützt werden? Es sagt in meinen Augen sehr viel aus dass wir religiösen Weltanschauungen hier einen Schutz zugestehen, über den wir z.B. bei politischen oder wissenschaftlichen Anschauungen nichtmal nachdenken würden. Selbst wenn sich auch Atheisten darauf berufen könnten, bliebe das immer noch als zentrales Problem bestehen, nämlich dass religiöse Anschauungen in unserer Gesellschaft ein Stellenwert eingeräumt wird der über allen anderen Weltanschauungen steht. Das sie unbegründeten Sonderschutz genießen, der mithilfe des Staates durchgesetzt wird. Darüber sollten wir, seit der Aufklärung, eigentlich längst hinweg sein.
 

Caesar

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Während ich dem meisten zustimme, ich das Gesetz für Unfug halte und stark bezweifle, dass irgend ein Humanistischer Verband aufgrund des Gotteslästerungsparagraphen Recht bekäme, und vor allem die Formulierung "geeignet ist den Öffentlichen Frieden zu stören" ja eigentlich nur bedeuten "wenn genug Menschen deshalb rumweinen, egal woran sie nun glauben oder nicht", sollte man bei den Fakten schon ehrlich sein.
Es gibt durchaus auch Atheistische Weltanschauungsgemeinschaften: http://de.wikipedia.org/wiki/Weltanschauungsgemeinschaft Einige davon hätten sogar das recht "Kirchensteuern" vom Staat erheben zu lassen. Tun sie nicht, ginge aber.
 

Danol

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Welche sollen das sein? Der in der Wikipedia als Beispiel angegebene HVD ist nicht atheistisch (er bekennt sich zu Humanismus und Säkularismus, ich lese aber nirgends dass die Ablehnung von Gottesvorstellungen Bestandteil ihrer Selbstauffassung wäre), genausowenig der ebenfalls genannte Dachverband freier Weltanschauungsgemeinschaften. Nenn mir also bitte mal eine explizit atheistische Weltanschauungsgemeinschaft in Deutschland.
 

Caesar

C
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Na wenn dir der Humanistische Verband nicht Atheistisch genug ist, kann man dir da wohl nicht helfen. Ich würde "Atheismus" auch nicht als ausreichendes Merkmal einer Weltanschauung sehen, nicht mal als wichtigsten Teil. Ansonsten wäre das eine absurde Weltanschauung. Der Humanistische Verband vertritt jedoch ausdrücklich die Interessen von Atheisten und Atheistinnen. Mehr kann man da eigentlich nicht erwarten finde ich.
 

Danol

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Naja ich würde von einer atheistischen Weltanschauungsgemeinschaft schon erwarten dass sie eben explizit atheistisch ist. Wenn man die lediglich nicht-theistischen Weltanschauungsgemeinschaften, also solche die lediglich an sich keinen Gott enthalten, mit einrechnet, stimmts zwar, dann steht aber eben nur diese spezielle Weltanschauungsgemeinschaft unter dem Schutz des §166, nicht "die" atheistische Weltanschauung an sich.
 

Matthew McKane

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Warum wollt ihr unbedingt Gläubige beleidigen dürfen? Man darf bei uns niemanden beleidigen. Beleidigung ist doch auch so eine Straftat. Auch Schmähkritiken gehören dazu. Es gibt nur hohe Anforderungen, ab wann etwas zur Schmähkritik wird. Nämlich dann, wenn der ehrverletzende Aspekt im Vordergrund steht und nichts mehr mit der Sache zu tun hat. Beim inkontinenten Papst, wäre das meiner Meinung nach gegeben.
Ich würde vermutlich dagegen vorgehen, wenn solche Karrikaturen über mich gemacht werden würden.
 
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Turjan

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Fuer die Straftat "Beleidigung" gilt das oben gesagte ganz genau so. Das Strafrecht erfuellt dort eine kontraproduktive Funktion. Im Prinzip schadet man sich selbst, wenn man gegen eine Beleidigung klagt. Man rueckt die Beleidigung fuer einen groesseren Kreis der Oeffentlichkeit in das Blickfeld, und egal wie der Prozess ausgeht, was bleibt, ist das Bild der Beleidigung, die auf ewig mit einem selbst assoziiert bleibt. Dazu kommt noch das Image, dass man den grossen Bruder zu Hilfe rufen muss, weil man selbst nicht Manns genug ist, mit so etwas umzugehen. Die Wirkung einer Klage ist also insgesamt fatal.

Das ist auch beim Bild vom inkontinenten Papst so. Ohne die Klage gegen die Titanic haette da keiner drauf geachtet. Die meisten Leute haetten davon nie etwas gehoert, und von denen, die etwas gehoert haetten, haetten die meisten wohl mit den Schultern gezuckt und es als etwas geschmacklos abgetan. Die Klage hat das ganze dann geadelt, zu einer Grundrechtsfrage aufgebaut und die Sympathien gegen die Kirche verschoben. Auf ganzer Linie kontraproduktiv eben.

Wenn Dich eine Beleidigung so betroffen macht, dass Du dagegen klagst, ist auch die Wahrscheinlichkeit gross, dass sie einen wahren Kern hat. Das sagt einem einfach die Lebenserfahrung. Und das wissen die meisten Leute.
 
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Danol

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§166 schützt gerade nicht die Gläubigen selbst, sondern die Weltanschauungen und Kirchen. Ein persönlich beleidigter Gläubiger muss da, wie alle anderen auch, auf §185 StGB zurückgreifen.

Das Beleidigungen eine Straftat sind, ist an sich auch so ein Unding. Meinungsfreiheit sollte auch da klar über der angeblichen Schutzbedürftigkeit des Beleidigten stehen. Ebenso bei Schmähkritik. Ganz allgemein würde ich sagen es sollte schlicht keine Einschränkungen der Meinungsfreiheit aus Rücksicht auf irgendjemandes Befindlichkeiten oder sonstigen Gründen geben. Jede Meinung, unabhängig von ihrem Inhalt, sollte geäußert werden dürfen ohne dass das ein Fall fürs Strafrecht werden kann. Der Schaden, den eine Gesellschaft durch Einschränkungen der Meinungsfreiheit erleidet, ist in meinen Augen deutlich höher als der durch die Verbote nachträglich sanktionierte "Schaden".
 

Sir Darian

Ritter des Helm
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Hmmm... *grübel*

Danol schrieb:
Ganz allgemein würde ich sagen es sollte schlicht keine Einschränkungen der Meinungsfreiheit aus Rücksicht auf irgendjemandes Befindlichkeiten oder sonstigen Gründen geben.
Damit würdest Du doch den Artikel 1.1. des Grundgesetztes aushebeln?! :wunder: :hae:

Ich meine, wenn jeder einen anderen beleidigen könnte, nur weil es seine persönliche Meinung darstellt, wo bliebe denn da noch der Schutz der Würde des Menschen?

Seltsame Ansichten hast Du manchmal, finde ich. :hae:

Nachtrag:

Die letzte Zeile streiche ich mal. Das geht auf die persönliche Ebene, und das zu vermeiden verlange ich ja von allen hier auch immer.
 

Turjan

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Ich bin in dieser Hinsicht ganz Danols Ansicht.

Sir Darian schrieb:
Ich meine, wenn jeder einen anderen beleidigen könnte, nur weil es seine persönliche Meinung darstellt, wo bliebe denn da noch der Schutz der Würde des Menschen?
In der oeffentlichen Meinung, bei den Medien, etc. Ich habe versucht, oben klar zu machen, warum das Strafrecht beim Schutz der Menschenwuerde ein ungeeignetes Instrument ist. Es richtet mehr Schaden an, als dass es Gutes tun wuerde. Da es also kontraproduktiv ist, waere es besser, der Meinungsfreiheit hier freien Lauf zu lassen.
 
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Danol

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Würde des Menschen ist ohnehin ein, in meinen Augen, sehr komischer Schutzgegenstand. Was soll das, präzise Definiert, überhaupt sein?

Es ist in meinen Augen auch kein Zufall dass gerade diejenigen Staaten, in denen sich unser westliches Demokratie- und Menschenrechtsverständnis entwickelt hat, diesen schwammigen Schutzgegenstand in ihren Verfassungen (oder vergleichbarer Gesetzgebung) gar nicht kennen/kannten (UK, USA, Frankreich). So furchtbar zentral kann das also nicht sein.
 

Turjan

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Gegen persoenliche Diffamierung kann man in den USA eigentlich nur dann mit Erfolg klagen, wenn man nachweisen kann, dass der Diffamierer versucht, einen wirtschaftlichen Vorteil aus seinen Beleidigungen zu ziehen. Alles andere ist, wie gesagt, kontraproduktiv. Zu Beleidigungen schweigt man entweder oder gibt Interviews, falls oeffentliches Interesse besteht.
 

Danol

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Gegen persoenliche Diffamierung kann man in den USA eigentlich nur dann mit Erfolg klagen, wenn man nachweisen kann, dass der Diffamierer versucht, einen wirtschaftlichen Vorteil aus seinen Beleidigungen zu ziehen.

Handelt es sich dabei nicht um Zivil-, nicht um Strafrecht? Nur der Klarstellung halber?
 

Turjan

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Ja sicher. Es geht dabei eigentlich mehr um Gewinnbeteiligung.
 

Chinasky

Dirty old man
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Wiewohl ich ja sehr für die Meinungsfreiheit bin, sehe ich bei einer juristischen absoluten Freigabe auch von persönlichen Beleidigungen doch eine Gefahr, die sich schlicht aus der unterschiedlichen wirtschaftlich-gesellschaftlichen Macht der Bürger ergibt. Ein Medien-Tycoon a la Rupert Murdoch hat dann praktisch Narrenfreiheit, er kann beleidigen, wen er mag und auf die Art, wie's ihm gefällt - am Ende kommt man gegen sein Medienimperium nicht an. Andere Beispiele wie die zerstörten Existenzen, die auf das Konto von BLÖD gehen oder die Art, wie Berlusconi mit seiner Medienmacht sich praktisch alles leisten kann (Diffamierung der Staatsanwälte beispielsweise) fallen mir auch ein.

Gegen persönliche Beleidigungen im öffentlichen Raum sollten also Bürger schon irgendeine rechtliche Handhabe bekommen. In einer idealen Gesellschaft bräuchte es da keine Einschränkungen, aber wie leben nicht in einer idealen Gesellschaft.

Wie, bzw. wo genau da die rechtlichen Linien zu ziehen wären, da bin ich mir selbst nicht sicher. Sicher bin ich mir nur, dass es ausschließlich darum gehen müsste, die individuelle Würde des Einzelnen zu schützen - nicht aber die Ideen und Meinungen, die er vertritt.
 

Turjan

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@Hank: Aber die USA zeigen, dass gerade das nicht passiert, sondern es genau umgekehrt ist. Wenn ein Maechtiger auf Kleinen herumhackt, schadet ihm das immens in der oeffentlichen Meinung. Die Medien wuerden ihn hemmungslos auseinandernehmen. In den USA geht das also eher nicht, aber in Deutschland sehr wohl. Wenn man hier naemlich jemand Maechtigen kritisiert, koennen sie einen verklagen und den Streitwert so hoch setzen, dass es finanzieller Selbstmord ist, den Mund gegen Maechtige aufzumachen. Das sind die unangenehmen Nebeneffekte unseres Strafrechts.

Ein prominentes Beispiel in Deutschland ist der Mueller von der Mueller Milch. Der verklagt jeden, der etwas ueber ihn schreibt und setzt den Streitwert so hoch, dass der Prozess Normalverdiener bankrott macht.
 
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