@Turjan
Die Letztentscheidung, ob etwas "geeignet" war, trifft der Richter. Der wird sich die Frage stellen, ob beim Tätigen der Aussage aus einer ex-ante Sicht die Prognose dahin ging, dass eine Störung des öffentlichen Friedens durch eine Aussage wahrscheinlich oder unwahrscheinlich war. Dabei wird er alle Umstände, die damit zusammenhängen könnten(etwa Zugänglichkeit der Schmähung, Art der Schmähung uÄ), einbeziehen müssen. Das ist zugegeben ein nicht zufriedenstellendes Ergebnis, weil zu diesem Zeitpunkt das Kind natürlich schon in den Brunnen gefallen ist. Und Nachsicht ist immer einfacher als Vorsicht. Allerdings wird der Richter eben wegen der Vagheit des Begriffes zu einer sehr begrenzenden Auslegung tendieren, wodurch eine Eignung eher abgelehnt als bejaht würde.
Aber auch bevor die Aussage betätigt wird ist der Prüfungsmaßstab der gleiche. Der Täter muss sich die gleiche Frage stellen, wie sie sich der Richter im Nachhinein stellt. Da kann er entweder falsch oder richtig liegen.
Man sollte aber beachten, dass § 166 StGB ein Vorsatzdelikt ist. Wenn der Schmähende also die Eignung seiner Schmähung zur Beeinträchtigung verkennt, handelt er unvorsätzlich, wäre also straflos.
Zu deinem Punkt bzgl der strafrechtlichen Notwendigkeit eines Beleidigungstatbestandes. Dein Argument, das Foren einfacher zu betreiben wäre, stimmt leider nicht. Denn aus strafrechtlicher Sicht kann ein Foreninhaber nicht für die Postings verantwortlich gemacht werden, die andere Posten. Nur zivilrechtlich ist da was zu machen.
Ich halte deinen Ansatz, die Beleidigung nicht dem Strafrecht zu unterwerfen, für grundsätzlich gar nicht verkehrt. Ich bin aber der Überzeugung, dass man jedenfalls als Privatbürger die Möglichkeit haben muss, gegen Schmähungen der eigenen Person irgendwie rechtlich vorzugehen.
Wenn jemand jeden Tag aufs übelste von seinen Nachbarn beschimpft würde, soll er das nur dulden müssen, weil sein Nachbar nunmal Meinungsfreiheit hat? Insbesondere wenn man bedenkt, dass die Grundrechte direkt nur den Staat verpflichten, den Bürger höchstens mittelbar. Man könnte natürlich meinen, dass Worte niemanden wirklich verletzten können und ich kann mir persönlich nichts vorstellen, dass jemand zu mir sagen könnte, dass ich gleich zum Gericht laufen würde. Du vielleicht auch nicht. Aber nicht alle Menschen haben die gleiche "Festigkeit". Und das Recht muss nun auch den Schwächeren dienen.
Ob man jetzt eine Strafbarkeit oder einen zivilrechtlichen Unterlassungs- und Schadensersatzanspruch wählt ist doch für die Reichweite der Meinungsfreiheit nur von geringerer Bedeutung.
@Danol
Du hast Recht, eine Einschränkung von Rechten muss positiv begründet werden. Die Frage war auch eher rhetorischer Natur zur Untermauerung des vorangegangen Punktes.
Aber was ich geschrieben habe, hat mit staatlicher Deutungshoheit nichts zu tun. Es ging in diesem Kontext allein um das Verbot der Behauptung unwahrer Tatsachen und es ist nun mal ein Defintionsmerkmal der Tatsache, dass sie nachprüfbar wahr oder unwahr ist. Das einzige Gesetz, in dem der Gesetzgeber mal eine Deutungshoheit über die Unwahrheit von Tatsachen für sich beansprucht, ist § 130 III StGB (Strafbarkeit der "Holocaustlüge"), welcher eine absolute Ausnahme bildet.
Ansonsten nimmt sich der Gesetzgeber an keiner Stelle heraus, eine bestimmte Tatsachenbehauptung als wahr oder unwahr darzustellen, also eine Deutungshoheit für sich zu beanspruchen.
Ein Beispiel: § 263 I StGB (Betrug) lautet:
(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
An keiner Stelle nimmt der Gesetzgeber eine Deutungshoheit über die Wahrheit oder Unwahrheit von Tatsachen für sich in Anspruch. Dafür sagt er aber ganz abstrakt und vereinfacht , wer unwahre Tatsachen behauptet, um einen anderen zu schädigen und sich einen Vermögensvorteil zu verschaffen, wird bestraft. Welche unwahre Tatsachenbehauptung jetzt konkret die Strafbarkeit auslöst, ist reine Fallfrage. Das ist ein Verhalten, dass nach wohl ganz allgemeiner Auffassung strafwürdig ist, da jeder gerne möchte, dass sein Vermögen einen gewissen Schutz genießt. Hier rechtfertigt der Schutz des Vermögens eine Beschränkung der Freiheit von Tatsachenäußerungen.
Bzgl deiner zweiten Aussage:
Grundrechte sollten m.M.n. vor dem Gesetzgeber so gut geschützt wie nur irgend Möglich sein.
Natürlich und da wird dir auch niemand widersprechen. Du machst es dir nur sehr einfach. Was heißt "wie nur irgend möglich"? Grundrechte können miteinander auf die komischsten Art und Weisen in Konflikt geraten. Nehmen wir mal § 166 I StGB als Beispiel. Der schränkt die Meinungsfreiheit ein. Untragbar, findest du vielleicht. Aber Art. 4 II GG gibt das Grundrecht der freien Religionsausübung. Diese kann gefährdet werden, wenn man auf schmählichste Art und Weise Religionsgemeinschaften in den Dreck ziehen kann, dass sich ihre Gläubigen nicht mehr sicher fühlen. Wie lösen wir diesen Konflikt nun auf? Immer pro Meinungsfreiheit? Verdient denn die Religionsfreiheit gar keinen Schutz?
Das ist eines von vielen Spannungsfeldern, in denen der Gesetzgeber sich auf irgendeine Art und Weise entscheiden muss. Und in solchen und vielen anderen Fällen gibt es nunmal nicht den einen richtigen Weg. Und deshalb muss dem Gesetzgeber ein Entscheidungsspielraum gelassen werden.
Und bezüglich deiner Bedenken, dass Freiheiten abgeschafft werden können. Nein, können Sie gerade nicht. Denn Entscheidungsspielraum heißt ja nicht freie Verfügungsgewalt. So darf in Deutschland kein Eingriff in ein Grundrecht unverhältnismäßig sein. Der Gesetzgeber darf ein Grundrecht nie mehr einschränken, als es für die Erlangung des Zwecks erforderlich ist.
Mal ein viel einfacheres Beispiel, das mit Meinungsfreiheit nichts zu tun hat. Art. 5 II S. 1 GG sagt, dass die Forschung frei ist. Das ist ein sogenanntes schrankenloses Grundrecht, das heißt der Verfassungsgeber hat keine direkte Möglichkeit vorgesehen, dieses Grundrecht einzuschränken.
Heißt das jetzt, tödliche Versuche am Menschen sind erlaubt? Gilt § 212 StGB (Totschlag) nicht für Wissenschaftler, die ein legitimes Forschungsinteresse bekunden? Natürlich muss der Wissenschaftler bestraft werden. Auch wenn Art. 5 II dem Wortlaut nach schrankenlos ist, fordert Art. 2 GG den Schutz des Lebens. Also ergibt sich aus Art. 2 GG die Schranke von Art. 5 II GG.
Es ist immer einfach, auf maximale Freiheit zu pochen. Aber die eigene maximale Freiheit kann ganz schnell zur Unfreiheit der anderen führen. Und das kann in einer Demokratie nur der Gesetzgeber verhindern.