@Danol
Deine Einstellung ist, dass man die Meinungsfreiheit/freedom of speech überhaupt gar nicht und niemals einschränken dürften sollte. Du begründest das mit:
Ich sehe in der bloßen Möglichkeit solcher Einschränkungen eine wesentlich höhere Gefahr als in irgendwelchen momentan hierzulande verbotenen Äußerungen.
Das bedürfte jetzt einer etwas genaueren Erläuterung. Ich mutmaße jetzt, dass du da auf so etwas wie ein Dammbruchargument hinauswillst. Zugespitzt also: Wenn man einmal damit anfängt, wer weiß denn, wo das endet? An einem Tag ist es § 166 StGB, am nächsten Tag Volksverhetzung und irgendwann sind wir dann bei nordkoreanischen Zuständen angekommen.
Wenn du das anders meintest, dann kannst du mir deine Bedenken gerne erläutern. Wenn das aber deine Bedenken sind, dann halte ich die, gelinde gesagt, für etwas weit hergeholt.
Man kann sich natürlich immer hinstellen und mit besorgter Miene "Wehret den Anfängen" murmeln. Aber die wirklich rein theoretische Möglichkeit eines katastrophalen Endresultats sollte einem da nicht den Blick für die Realität verstellen. Denn das von mir beschriebene Szenario ist rein theoretischer Natur. Ich will dir gerne mal zeigen, welcher Gefahr die Meinungsfreiheit ausgesetzt ist und welche Gefahr im Umkehrfall von einer unbeschränkten "freedom of speech" ausgeht.
Wir haben in Deutschland die Möglichkeit, alle Grundrechte außer der Meinungsfreiheit einzuschränken, sogar das Recht auf Leben!
Die allgemeine Handlungsfreiheit zum Beispiel (Art. 2 I GG) erlaubt einem Menschen grundsätzlich alles - theoretisch gehören Rauben, Morden und Plündern in ihren Schutzbereich. Aber sie kann relativ einfach eingeschränkt werden, es muss nur verhältnismäßig sein. Sonst wären solche einfachen Dinge wie Ampeln oder das Verbot, den Nebenmann mit einer Machete zu köpfen, Dinge der Vergangenheit. Was verhältnismäßig ist, dazu hat das BVerfG einen recht eingängigen Maßstab entwickelt, den ich dir auf Anfrage gerne vermitteln will.
Dann gibt es Grundrechte wie die Kunst- oder Wissenschaftsfreiheit, die nur eingeschränkt werden können, wenn es sogenanntes "kollidierendes Verfassungsrecht" gibt. Nur dort wo Kunst oder Wissenschaft mit anderen Rechten von Verfassungsrang in Konflikt geraten - etwa mit dem Recht auf Leben -, können sie, soweit es erforderlich ist, eingeschränkt werden.
Und dann gibt es die Meinungsfreiheit. Das BVerfG schrieb dazu in seinem ersten Grundsatzurteil zu Art. 5 I GG:
"Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. Für eine freiheitlich-demokratische Staatsordnung ist es schlechthin konstituierend." Es schützt Meinungsäußerungen (zur Definiton der Meinung, s. meinen vorherigen Post) und damit zusammenhängende Tatsachenbehauptungen. Dieses Grundrecht einzuschränken ist noch schwieriger, da auf Grund seiner hohen Bedeutung auch andere Verfassungsrechte im Rahmen einer gegenseitigen Wechselwirkung dahiner zurückstehen müssen. Wenn also die Meinungsfreiheit in Konflikt gerät, müssen andere Rechte zunächst einmal hinten anstehen, außer ihre Beeinträchtigung ist zu groß. Dann erst ist eine verhältnismäßige Einschränkung denkbar.
Darüberhinaus ist die Meinungsfreiheit, wie alle anderen Grundrechte, durch Art. 19 IV GG geschützt, das heißt, sie darf nicht in ihrem Wesensgehalt geändert werden. Das ergibt sich aber schon so daraus, dass ein Eingriff nie unverhältnismäßig sein darf.
Dafür, dass all diese Rechte gewahrt werden, hat das Grundgesetz über die Grundrechtssystematik hinaus einen erheblichen Schutzapparat entwickelt. Grundrechte können nicht einfach so, etwa von der Bundesregierung, eingeschränkt werden. Sie dürfen viel mehr nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden - das ist die logische Folge der Demokratie, nach der alle Gewalt vom Volk ausgehen muss. Gesetze können nur durch den Bundestag, das einzige direkt gewählte Bundesorgan, erlassen werden. Darüberhinaus müssen Sie durch die Hände des Bundesrates und des Bundespräsidenten. Jeder davon ist nach Art. 1 III GG an die Grundrechte gebunden. Es besteht somit bereits im Gesetzgebungsprozess viel Kontrolle hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit. Und dann, wenn ein Gesetz erlassen wird, kann immernoch das Bundesverfassungsgericht angerufen werden, das Gesetze selbst wieder aufheben darf, wenn sie verfassungswidrig sind, also die Meinungsfreiheit einschränken.
Dieser ganze Apparat dient unter anderem dem Zweck zu gewährleisten, dass keine Gesetze erlassen werden oder lange Geltung haben, die gegen die Verfassung verstoßen. Art. 20 IV GG ist dabei noch nicht einmal einbezogen.
Eine wirkliche, ernstzunehmende Gefahr besteht also wirklich nicht, nur weil die Möglichkeit einer Grundrechtseinschränkung besteht.
Andersherum hat eine unbeschränkbare "freedom of speech", wie du sie dir vorstellst, echte, sehr reale Gefahren.
Charles Manson hat nie selbst jemanden umgebracht. Aber seine Jünger hätten mit Sicherheit keine Morde begangen, wenn er sie nicht dazu angestiftet hätte. Die
Hetzjagd in Guben wäre mit Sicherheit nicht von Statten gegangen, wenn die Täter nicht durch rechtsradikales Gedankengut (vermittelt durch Worte) radikalisiert worden wären. Und ich kann dir garantieren, dass es ohne die Macht der Worte keinen
Islamischen Staat gäbe. Und das ist ja fast noch Kleinkram.
Dass der Macher bestraft werden kann, reicht nicht aus, wenn die wahre Gefahr derjenige ist, der ihn angestiftet hat. Denn wenn derjenige ungestört weiter machen kann, dann findet er ein dutzend anderer Macher. Das sind reale Gefahren, die von freier Meinungsäußerung und Tatsachenäußerung ausgehen.
All das dient nicht dem Zwecke, dich davon zu überzeugen, dass freie Meinungsäußerung per se ausgeschlossen sein sollte. Das ist nicht der Fall und sie sollte, wie du schon richtig sagtest "so weit wie irgend möglich" geschützt werden. Aber für ein sicheres Gemeinwesen ist es nun einmal zwingend notwendig, dass auch hier Einschränkungen gemacht werden.
Da mit irgendwelchen theoretischen Missbrauchsgefahren anzukommen, das reicht einfach nicht.
(So, das war jetzt mal an Grundsätzlichem. Ich kann später auch gerne noch mal auf Details zu Betrug, § 166, Ehre und dergleichen eingehen.)
@Gala
Das ist jetzt rein informatorischer Natur: Das Grundgesetz hat keine Paragraphen (§§), sondern nur Artikel. Paragraphen haben das BGB oder das StGB. Du kannst das jetzt natürlich weiterhin nennen, wie du willst. Aber der Korrektor in mir kriegt da Zuckungen...