Politik, 12. Staffel

Turjan

Senior Member
Registriert
21.09.2000
Beiträge
7.037
@Danol: Bei Argentinien hat's gereicht, das Land in den naechsten Bankrott zu treiben. Wobei Griechenland natuerlich die Option hat, ein russischer Satellitenstaat zu werden und seine Handelsbeziehungen dorthin zu beschraenken.

Richtiges Interesse, Griechenland dann auszuquetschen, kann ich mir nicht vorstellen, da das kontraproduktiv ist. Es besteht aber die Gefahr, dass da aus Angst vor den naechsten Folgen keine Klarheit geschaffen wird.

Deutschland besteht halt darauf, dass die Bilanz frisiert bleibt. Die eigene, wohlgemerkt.
 

David

Moderner Nomade
Registriert
05.10.2000
Beiträge
18.447
@Danol:
Mit Drachme könnte Griechenland natürlich ewig damit weitermachen abzuwerten und außer Tourismus und Staatsdienst keine nennenswerten Einkommensquellen zu haben. Ich halte das zwar nicht für eine wirklich gute Strategie (eher ein erster Schritt), weil sowas natürlich auch Nachteile hat (teure Importe, man fällt immer weiter zurück). Aber solange es nur die Griechen betrifft ist es deren Sache und sie können in ihren Wahlkämpfen darüber streiten ohne dass halb Europa deshalb schlaflose Nächte haben muss.

Was den deutschen Export angeht, in die Euro-Zone hat Deutschland kaum Exportüberschuss, die Grafik hier ist von 2013, in den Nachrichten habe ich neulich glaube ich die Zahl 3 Mrd. für 2014 gehört:
http://www.google.de/imgres?imgurl=...r=4916&page=1&start=0&ndsp=35&ved=0CCkQrQMwAw
D.h. auf die Eurozone bezogen ist der deutsche Export auch positiv weil so "Geld ins Haus" kommt das u.a. benötigt wird damit Deutschland kreditwürdig genug bleibt um für die "Euro-Rettung" haften zu können. Und wahrscheinlich stecken in den aus D exortierten Waren auch viele Einzelteile die vorher in Europa eingekauft wurden.

Griechenland kann btw. durchaus auch "exportieren", nämlich Tourismus. Wenn Ausländer ins Land kommen und touristische Dienstleistungen bezahlen ist das nicht soviel anders als wenn wir Autos verschiffen. Was ich mir in dem Zusammenhang die Tage öfter gedacht habe: Früher hat man bei "Griechenland" Fernweh bekommen weil es ein schönes Urlaubsziel ist, heute bekommt man schlechte Laune und mag das Thema eigentlich nicht mehr hören.. :(

Was ein "Insolvenzverfahren" für Staaten angeht stimme ich dir zu dass wir sowas eigentlich bräuchten, aber die Politiker dürften nicht ohne Grund zögern sowas anzugehen. Denn dann wird es für alle Staaten schwieriger an Kredite zu kommen, was für die Politiker den unschönen Nebeneffekt hätte, dass sie Ausgabenerhöhungen oder Steuersenkungen sofort gegenfinanzieren müssten anstatt darauf zu hoffen (bzw. zu behaupten), dass das zu Wirtschaftswachstum führt und sich über diesen Umweg mittelfristig selber finanziert.

PS.:
Generell habe ich den Verdacht dass du den Ausfall von Staatsschulden ein wenig zu leicht nehmen könntest. Diejenigen die dann Geld verlieren sind ja auch wieder alle vernetzt, wozu das (inkl. der psychologischen Effekte) führt hat man ja bei Lehman gesehen. Und wie du ja schon geschrieben hast geht es eigentlich gar nicht nur um Griechenland, sondern um alle schwächeren Euroländer. Da kommen dann schnell Summen zusammen die so oder so (Ausfall der Schulden, Belastung für die Geberländer) richtig Schaden anrichten können.
Und das nicht nur wirtschaftlich: Was wäre wohl los, wenn sich plötzlich die privaten Versicherungen in die die Politik uns gedrängt hat, in Luft auflösen würden ? Und zwar nicht über 20 Jahre durch niedrige Zinsen, so dass man Zeit hat sich an den Gedanken zu gewöhnen, sondern über Nacht, weil die Versicherung pleite geht ?
 
Zuletzt bearbeitet:

Danol

Senior Member
Registriert
06.02.2011
Beiträge
569
@David: Ein "weiter so" mit der Drachme wäre jedenfalls erstmal besser für den Durchschnittsgriechen als die jetzige Situation, was man dann langfristig tun müsste ist eine ganz andere Geschichte.

Ob Deutschland seinen Überschuss nun in der Eurozone hat oder außerhalb ist nicht wirklich wichtig. Eigentlich ist außerhalb der Eurozone sogar tendentiell schlechter, weil dadurch der Euro stärker wird, was zu noch mehr Problemen für die schwächeren Länder in der Eurozone führt. Das Deutschland, dank dieser Gewinne, nun bei der Beseitigung von Problemen helfen kann, die es andernfalls wahrscheinlich nie gegeben hätte, ist in meinen Augen auch kein Argument für unseren Exportwahn. Der starke Euro ist auch einer der Gründe warum Tourismus in Griechenland nichtmehr so rund läuft wie früher. Ist ja nicht so dass die keine Touristen mehr ins Land lassen, aber Länder, die den Euro nicht haben, stehen halt einfach attraktiver da (die Türkei z.B.).

Den Ausfall von Staatsschulden sehe ich übrigens als volkswirtschaftlich langfristig weitgehend bedeutungslos und haushaltspolitisch das Gebot der Stunde an. Es ist nicht weiter drastisch wenn dann private Rentenversicherungen finanzielle Probleme haben, das bedeutet letztlich nur dass man von der kapitalgedeckten zur umlagefinanzierten Rente zurückmuss, was sich langfristig eh nicht vermeiden lässt. Insofern werden die Verluste bei der privaten Vorsorge durch eine höhere Rente aus der Umlagefinanzierung ausgeglichen werden können. Dass ein Großteil der Finanzwirtschaft pleite gehen könnte - na und? Das sind mafiöse Gruppierungen, die seit Jahrzehnten Profite aus Staatsanleihen einstreichen, ohne ein Realrisiko zu haben welches auch nur annähernd dem entspricht was die Zinssätze, die diverse Staaten zahlen müssen, rechtfertigen würde. Ein großflächiger Ausfall von Staatsanleihen, zusammen mit einer größeren Pleitewelle im Finanzsektor, könnte genau der heilsame Schock sein, den wir benötigen um wieder zu einer sinnvollen Haushalts- Renten- und Wirtschaftspolitik zu kommen. Das realwirtschaftliche Risiko halte ich auch für nicht besonders schlimm, die paar Geldinstitute, die da wirklich zwingend benötigt werden, kann man notfalls über die EZB solange rekapitalisieren bis sie den Ausfall des Rests auffangen können. Das wäre im Endeffekt zwar Gelddrucken, andererseits ist die Inflation in der Eurozone momentan sowieso zu niedrig für gerade die kriselnden Teilnehmer, also ist das ein überschaubares Problem. Die Folgen von Lehman & Co waren grundsätzlich auch kein großes Problem; hätte man damals die Banken (also die, die gerettet wurden bevor Lehman bankrott ging) einfach Bankrott gehen lassen und das Rettungsgeld für Konjunkturmaßnahmen verwendet, hätte man deutlich mehr erreichen können. So hatte man ein Hand voll Banken gerettet, dann eine Bankrott gehen lassen, damit für Paranoia gesorgt und die internationale wie nationale Kreditvergabe nachhaltig geschädigt, genau das was man eigentlich vermeiden wollten. Mit anderen Worten man hatte die Kosten für die geretteten Banken, der erwartete volkswirtschaftliche Nutzen ist ausgeblieben. Da wäre es einfacher und billiger gewesen die Banken pleite gehen zu lassen, noch liquide Institute über die Zentralbanken hinreichend mit Kapital zu versorgen, sie durch negative Leitzinsen dazu zu nötigen das auch fürs Kreditgeschäft zu verwenden und anschließend durch staatliche Konjunkturmaßnamen die realwirtschaftlichen Folgen aufzufangen. So waren die Aufwendungen zur Rettung der Banken aber höher als es der Schaden, den ihre Pleite anrichtet, jemals hätte sein können.
 
Zuletzt bearbeitet:

David

Moderner Nomade
Registriert
05.10.2000
Beiträge
18.447
Der Euro wird ja schon absichtlich geschwächt um dem Export der schwächeren Länder zu helfen, was dann aber natürlich auch den deutschen Firmen hilft, die das gar nicht nötig haben und für die das nicht wirklich gedacht war.
Das spiegelt am Ende dass die Länder innerhalb des Euros (vielleicht zu) unterschiedlich stark sind. Letzenendes war bei Einführung des Euros die geographische Lage wohl manchmal wichtiger als die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit.

Dass das "weiter so mit Drachme" ein erster Schritt sein könnte mag stimmen, aber in der Vergangenheit hat man die nächsten Schritte ja leider nicht gemacht. Genausowenig wie in der Zeit wo nach Einführung des Euros die Zinsen für Griechenland ähnlich niedrig waren wie für Deutschland.
Aber die Drachmen-Lösung hätte für mich vor allem den Vorteil dass danach niemand mehr Griechenland reinreden muss weil es wieder alleinige Sache der Griechen wäre wie sie Wirtschaftspolitik betreiben. Und mir fällt halt auch keine andere Lösung ein die für mich wirklich erfolgsversprechend klingt.
Unterm Strich schätze ich die wirtschaftlichen Perspektiven für Griechenland aber (wenigstens kurz- und mittelfristig) eher mäßig ein, da wollte ich nicht tauschen. :(

Den Zusammenbruch des Finanzmarktes würde ich wie gesagt nicht so locker sehen, für praktisch jedes Geschäft werden Transaktionen, Versicherungen, Kredite etc. benötigt und dieser Zusammenbruch trifft auch nicht zwangsläufig nur die Millionäre, sondern kann auch viele Normalsparer mit in den Abgrund reißen, mit unabsehbaren politischen Folgen.
Ich möchte nicht wissen was bei uns los wäre wenn eines Morgens auf vielen Konten alles über der Einlagensicherungsgrenze verschwunden wäre.

Natürlich glaube ich auch nicht dass die Staatsschulden je richtig zurückgezahlt werden, bestenfalls zahlt man die alten Schulden mit neuen Schulden, schafft es aber, im Schnitt keine neuen Schulden mehr aufzunehmen, so dass Inflation und Wirtschaftswachstum die Schulden (relativ betrachtet) immer weniger werden lassen. Sozusagen ein langsamer Entzug durch Reduzierung der Dosis, kein kalter Entzug über Nacht.
Leider fürchte ich dass Wähler und Politiker genauso kurzfristig denken wie Aktionäre und lieber heute gut mit neuen Schulden leben als die nächsten 50 Jahre mitzudenken.
 

Danol

Senior Member
Registriert
06.02.2011
Beiträge
569
Wenn Griechenland die nächsten Schritte mit Drachme aber nicht auf die Reihe bekommt ist das erstmal ein lokales Problem, kein europäisches - insofern wäre also selbst das schon eine Verbesserung.
Das man versucht den Euro zu schwächen ist wohl richtig, aber eben nicht ansatzweise so sehr wie es Griechenland, Spanien und Italien wirklich bräuchten. Der Profiteur ist Deutschland, wir können fleißig exportieren ohne die damit normalerweise verbundenen Nachteile fürchten zu müssen. Genau diese Exporte ziehen die Währung dann wieder rauf, so dass man gar keine Chance hat den € nicht zu stark für Gr. werden zu lassen. Effektiv sind die gegenwärtigen Abwertungsbemühungen ein Fehlschlag, ihre Wirkung ist gut genug um D noch mehr Außenhandelsüberschuss zu bescheren, aber nicht genug um Gr. und Co merklich zu helfen.

Beim Finanzmarkt muss man halt auch sehen dass großes Teiles des dort investierten Kapitals in Produkten liegen ohne die man ewig lang auch ganz gut auskam. Der Großteil des dort investierten Geldes ist Geld das in Finanzprodukte investiert ist die keinen realwirtschaftlichen Nutzen haben, wenn dieses Geld weg ist dann ist das zunächst mal egal. Das sind letztendlich Luftnummern, ohne die man auch früher (ich rede jetzt nicht von der Steinzeit, sondern von der Zeit so '70-'90) ohne nennenswerte Probleme wirtschaften konnte und die überhaupt nur entstehen konnten weil die Gewinne aus den permanent entstehenden Blasen und Spekulationshypes irgendwo investiert werden mussten. Im Grunde sind sie das Ergebnis eines Schneeballsystems, gegenstandslose Schuldverschreibungen deren Hauptzweck die Spekulation um der Spekulation willen ist. Das da auch Geld von Kleinsparern drinn ist halte ich für nicht weiter relevant. Wer als Kleinsparer in sowas investiert ist selbst Schuld. Die Einlagensicherung beträgt derzeit übrigens 100k €, wer da drüber liegt ist in meinen Augen auch kein Kleinsparer mehr. Die davon betroffenen dürften so wenige sein dass sich die politischen Folgen in Grenzen halten. Vielleicht eine neue AFD, d.h. eine reaktionäre, fundamentalkapitalistische Besitzendenpartei ohne nennenswerte Wirkung. Nicht schön, aber auch längst nicht das Drama, zu dem sowas immer hochgeschrieben wird.
Ich halte diese Folgen jedenfalls für weit beherrschbarer als es die Folgen der gegenwärtigen Verschuldung sind, die ja, wie Du es auch sagst, niemals zurückgezahlt werden. Wenn wir dabei bleiben haben wir nichts anderes als einen gigantischen Umverteilungsapparat, der allein auf Bundesebene 10% des Gesamthaushalts auf die Schuldner umverteilt, jedes Jahr. Dadurch sind die Handlungsspielräume der Politik arg eingeschränkt, für diverse Aufgaben ist schon zu wenig Geld da. Sobald eine Krise kommt steigt die Verschuldung zwangsläufig wieder, weil man ja keine Rücklagen bilden kann (keine Neuverschuldung ist ja schon ein Erfolg), im Aufschwung schafft man dann vielleicht eine 0, langfristig steigt der Schuldenstand damit aber dennoch immer weiter.
Je weiter der Schuldenstand steigt, desto weniger Möglichkeiten zur Krisenprävention gibt es, das heißt Krisen werden sich tendentiell häufen. Die werden dann wieder mit neuen Schulden bekämpft, weil es anders nicht geht, was den Spielraum außerhalb von Krisen noch weiter einschränkt. Wenn das ewig so weiter geht, hat das langfristig unter Garantie schlimmere Auswirkungen als jede Einmalkorrektur sie jemals haben könnte. Wenn man die nächsten 50 Jahre mitdenken will, sollte man erkennen dass eine Korrektur der heute bestehenden Staatsschuldenverhältnisse, auf 50 Jahre hochgerechnet, niemals so schlimm sein kann wie das weitere Bedienen dieser Schulden.
 
Zuletzt bearbeitet:

David

Moderner Nomade
Registriert
05.10.2000
Beiträge
18.447
Es ist ja auch gar nicht möglich einen Euro-Kurs zu finden bei dem Griechenland gegenüber Deutschland wettbewerbsfähiger werden kann weil sich das Verhältnis der Beiden dadurch nicht ändern kann. Die Unterschiede sind einfach zu groß, und selbst wenn die griechische Wirtschaft Fortschritte macht, stehen die deutschen Unternehmen ja auch nicht still. D.H. die griechischen Firmen müssen sich schneller entwickeln als die Deutschen um aufzuholen.
Insofern wäre ein Euro-Austritt (neben der institutionalisierten Trasnferunion) wahrscheinlich wirklich der einzig gehbare Weg, aber im Moment habe ich das Gefühl, dass man vor wirklich großen Entscheidungen zurückschreckt.

Die Schulden könnte man wie gesagt auch langfristig abbauen indem man einfach dafür sorgt dass in normalen Zeiten die Einnahmen des Staates etwas über den Ausgaben liegen und so in schlechten Zeiten Spielraum besteht ohne dass die Gesamtschulden langfristig gesehen immer weiter steigen.
Aber dafür müsste man es eben schaffen gegen die ganzen Besitzstandsverteidiger anzukämpfen, und das sind dann nicht nur Multimillionäre, sondern u.a. auch kleine Unternehmen die ihren reduzierten Mehrwertsteuersatz behalten wollen, Angestellte die nicht wollen dass man XY nicht mehr steuerlich absetzen kann, Kulturfreunde die gerne mehr Geld für Museen etc. hätten (hier in München gibt es gerade einen kleinen Aufstand weil kein neues Konzerthaus gebaut werden soll) usw. usf.

Das ist natürlich nicht so einfach und wird keine Erfolge über Nacht bringen, da kann ich schon verstehen dass man auf die Idee kommen kann, dass ein einmaliger Crash besser ist. Aber ich bin ehrlich gesagt unsicher, ob Deutschland sich davon je wieder erholen würde, oder ob wir am Ende nicht einfach KO liegen bleiben könnten.
Auch wenn das eher ein Symbol ist, ich bin jedesmal erstaunt wenn ich lese wie schnell nach dem Krieg erst die Schäden beseitigt und dann Dinge wie zB U-Bahnen gebaut werden konnten, während wir heute erstmal ein paar Jahrzehnte Planung und Prozesse einplanen müssen ehe vielleicht irgendwann mal was passiert. Mein Vertrauen, dass dieses Land in der Lage wäre, sich von einem echten Rückschlag (zB Pleite von einem Drittel der Unternehmen) zu erholen, ist ehrlich gesagt begrenzt. Zumal so eine Pleitewelle auch ganz schnell zu neuer Staatsverschuldung führen kann.
 
Zuletzt bearbeitet:

Danol

Senior Member
Registriert
06.02.2011
Beiträge
569
Ja, rein theoretisch könnte man die Schulden langsam abbauen. Praktisch ist der bisherige Schuldenstand zu groß, als dass sowas noch halbwegs realistisch wäre. Selbst wenn man den Besitzstandswahrern an den Kragen geht und auch wenn wir uns der Ausgaben für unsere Kulturschmarotzer entledigen könnten, hieße das immer noch dass wir uns entscheiden müssten: Wollen wir eine vernünftige Rente, ein ordentliches Gesundheitssystem, genug Polizei, soziale Sicherheit, eine einsatzfähige Armee, gute Bildung ODER wollen wir Schulden abbauen? Beides zusammen wird nicht gehen. Wenn der Plan lautet "Schuldenfrei in 50 Jahren", müssten jedes Jahr 26 MRD € getilgt werden, nur für die Bundesschuld. Wollte man alle Staatsschulden tilgen, wären wir bei 41MRD im Jahr. Anfangs fällt die Schuldensenkung auch bei der Zinslast noch kaum ins Gewicht, so dass selbst zu erwartende Mehreinnahmen durch ein faires Steuer- und Abgabensystem vollkommen gefressen würden. Möglich wäre so ein Schuldenabbau, aber dafür muss man entweder wesentlich länger vorausplanen als 50 Jahre (wobei es schon illusorisch ist, 50 Jahre "Rückzahlungspolitik" durchzuhalten) oder eben massive Einschnitte anderswo hinnehmen. Diese Einschnitte ziehen dann wieder den üblichen Rattenschwanz nach sind (schwächerer Binnenmarkt, verlust von Arbeitsplätzen usw.), der uns dann irgendwann in die nächste Krise bringen wird. Spätestens wenn man dann realisiert dass man sich da, wie immer, nicht Raussparen kann, wars das mit der Entschuldung. Unterm Strich denke ich daher nach wie vor dass die einzige Methode, die sich "rechnet", eine einmalige Komplettentschuldung durch Enteignung der Gläubiger und Zahlungsverweigerung darstellt. Alles andere wird dafür sorgen dass wir mehrere Generationen lang einen praktisch handlungsunfähigen Staat haben oder so lange dauern dass maximal unsere Ur-Ur-Enkel irgendwann mal davon profitieren. Ein Ausbleiben der Entschuldung wird auch irgendwann zu einem nicht mehr handlungsfähigen Staat führen, da der Schuldendienst die Spielräume für Dinge wie z.B. Krisenmanagement praktisch beseitigt, Krisen aber nunmal immer auftraten und wohl auch künftig nicht aussterben werden. Irgendwann wird es den Crash also so oder so geben, die Frage ist eigentlich nur ob wir damit wirklich bis zum bitteren Ende warten wollen oder das nicht lieber hinter uns bringen, solange wir uns darauf noch halbwegs vorbereiten können bzw. Möglichkeiten zum Reagieren haben.

Ich wäre auch mal auf eine Erklärung gespannt, was denn da nun zwangsläufig zu einem realwirtschaftlichen Problem führen sollte. Banken kann man, eine eigene Währung vorausgesetzt, durch die Zentralbank hinreichend rekapitalisieren und notfalls unter Zwangsverwaltung stellen, um das realwirtschaftlich relevante Kreditgeschäft am laufen zu halten. Die Produktionsmittel (Gebäude, Anlagen, Maschinen, Boden, ...) sind von der großen Spielgeldverbrennung auch nicht beeinflusst, solange man eben sicherstellt dass die damit arbeitenden Unternehmen weiterhin mit Krediten versorgt werden. Warum sollte also ein Drittel der Unternehmen pleite gehen?
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
Registriert
20.11.2000
Beiträge
14.907
Och, Deutschland könnte die Staatsschulden morgen lossein.

Einzig erforderlich: eine einmalige, große Vermögensabgabe. IIRC reichen z.B. ca 30-40% aller Kontostände aus, um uns sofort komplett zu entschulden.

Denn Deutschland hat nur Inlandsschulden(*). D.h. unsere Staatsschulden sind de facto nichts als eine Steuer, die die Allgemeinheit an unsere Reichen abführen muß. Andere Länder, wie z.B. Griechenland, haben hingegen Auslandsschulden - das sind echte Schulden, die man wirklich zurückzahlen müßte.

Weiter muß man dann noch verschiedene andere Probleme lösen:

  1. Unser Geld ist keine Goldwährung mehr, sondern ein "Fiat Money". D.h. Verschuldung ist fest in unser Geldsystem eingebaut und notwendig, damit überhaupt Geld entstehen kann - die Schulden sind die "Rechtfertigung" für die Existenz des Geldes, so wie es früher das Gold war.

    De facto ist unser Geldsystem also ein Schneeballsystem (Ponzi-Scheme) der Verschuldung - die Schulden können immer nur an das nächste Opfer weitergereicht, aber nie aus dem System entfernt werden. Eine massive Entschuldung durch eine Vermögensabgabe bedeutet also, das plötzlich zuwenig Bargeld vorhanden wäre. Genau das ist der Grund, warum ein Land (ganz egal welches Land man betrachtet, solange es eben nur Fiatmoney hat, was meines Wissens derzeit auf alle Länder weltweit zutrifft) entweder Staatsschulden hat oder eine Verschuldung von Privatpersonen - ein Drittes gibt es gar nicht ! Zumindest nicht mit Fiatmoney. Das ist auch der Grund, warum Deutschland sich immer weiter verschuldet - die Deutschen wollen sich (als Privatpersonen) nicht verschulden, aber die Bundesbank muß genug Geld in Umlauf bringen. Also muß sich eben der Staat selbst verschulden.

  2. Genau wie z.B. in Griechenland sind unsere Rentenversicherungen gezwungen, ihre Gelder in Staatsanleihen zu investieren. Damit haben unsere Rentenversicherungen keine Möglichkeit mehr, legal weiter zu operieren.



(*): Außer, wie kürzlich erwähnt, auf kommunaler Ebene gewisse dumme NRW-Städte, die mit voller Absicht ihre Schulden in Schweizerfranken aufgenommen haben.
 

Danol

Senior Member
Registriert
06.02.2011
Beiträge
569
Dass es dann zu wenig Bargeld gäbe ist Unsinn, weil sich am Bargeldbestand gar nichts ändern würde. Das per Vermögensabgabe (die, in dieser Höhe, wohl mit dem GG gar nicht zu vereinen wäre, "morgen" gehts also nicht) entzogene Vermögen würde ja im wesentlichen zu denen zurückfließen, denen es größtenteils überhaupt entzogen wurde (denn gerade die Vermögenden sind ja Gläubiger des Staates bzw. im Besitz der Gläubigerinstitutionen). Das Geld wird letztlich also ohnehin wieder bei Banken landen, die es zur Geldschöpfung verwenden können. Dadurch dass dieses Geld einmal umherreist (von den Abgabenzahlern zum Staat, zurück zu den Vermögenden, weiter zu den Banken) ist nicht plötzlich weniger davon da. Was die Rentenversicherungen angeht, das ist eher ein positiver Mitnahmeeffekt. Ein vorwiegend umlagefinanziertes System braucht sich halt keine großartigen Gedanken um die Anlage des Geldes zu machen. Die staatlichen Rentenversicherungen sollten m.M.n. ohnehin eine steuerfinanzierte Sache sein, insofern könnte man den Staat die Rentenversicherungen gleich direkt schlucken lassen und den ganzen Murks beenden.
 

Matthew McKane

Senior Member
Registriert
01.03.2000
Beiträge
2.073
Dass es dann zu wenig Bargeld gäbe ist Unsinn, weil sich am Bargeldbestand gar nichts ändern würde.

Doch würde es sich, natürlich. Das zurückgezahlte Geld wäre ja dann nicht mehr im Umlauf. Sondern würde auf den Konten der Gläubiger verschimmeln.

Die müssten es ja dann wieder ausgeben. Können sie aber nicht, wenn sich niemand Geld leiht. Also liegt es dann da rum und verdient nicht mal Zinsen.
 

Danol

Senior Member
Registriert
06.02.2011
Beiträge
569
Geld auf Konten ist im Umlauf. Oder denkst Du die Banken horten das nur weils so schön ist das Geld anderer Leute zu verwahren?
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
Registriert
20.11.2000
Beiträge
14.907

Astaldo

Vampireslayer
Registriert
14.06.2002
Beiträge
2.153
Wie desolat ist eigentlich der Zustand der ukrainischen Armee? Jetzt haben die wohl wieder eine Stadt verloren, die eingekesselt wurde. Sowas kann ja nur funktionieren, wenn nicht ausreichend Kräfte in der Nähe sind um das Hinterland abzusichern bzw. um den Kessel zu sprengen. Oder traut man sich nicht für eine richtige Militäraktion? Dann sollte man aber auch nicht die eigenen Leute auf Himmelfahrtskommandos schicken und Positionen verteidigen lassen, die ohne Nachschub und Absicherung nicht zu halten sind. Das Europa für die Ukraine keinen Krieg riskiert, sollte mittlerweile auch dem letzten in der dortigen Führung bewusst geworden sein und es sinnlos ist den Konflikt zu strecken bis vlt. doch jemand Hilfe schickt. Wenn man schon keine Bodentruppen(oder Blauhelme) gegen ISIS bzw. im syrischen Bürgerkrieg einsetzt, wo man die Bevölkerung durch das Leid und die vielen Toten noch viel eher motiviert kriegen würde, dann erst recht nicht für einen Konflikt wo jeder zweite denkt, dass dies nur ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland ist.
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
Registriert
20.11.2000
Beiträge
14.907

Danol

Senior Member
Registriert
06.02.2011
Beiträge
569
Der Zustand der ukrainischen Armee ist nicht wirklich gut, man hat Truppenteile verloren weil die nach der russischen Okkupation der Krim nun in die russische Armee übernommen wurden, man setzt Reservisten und Wehrpflichtige in größerem Umfang ein und verfügt größtenteils nur über Technik und Ausbildung auf Sowjetniveau. Dank der Feigheit der Nato besteht also praktisch keine Hoffnung, die russische Invasion abzuwehren. Sie einfach so einmarschieren zu lassen ist aber auch keine Option, man hat ja auf der Krim gesehen wie es dann weitergeht: Mit noch mehr Gebietsforderungen. Die Untätigkeit der Nato und insbesondere die Unwilligkeit von GB und den USA, ihre gemachten Garantieerklärungen auch umzusetzen, zwingen die Ukraine also DeFakto zum Führen eines perspektivlosen Abnutzungskrieges; aber Hauptsache die friedensbesoffenen Traumtänzer in Westeuropa können sich auf die Schulter Klopfen, man hat ja "peace in our time" gerettet. :wuerg:
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
Registriert
20.11.2000
Beiträge
14.907

Chinasky

Dirty old man
Registriert
01.10.1999
Beiträge
10.809
Immer wenn ich Formulierungen wie "friedensbesoffen" lese, denk ich mir: geh doch hin und melde dich freiwillig, um schön nüchtern beim Krieg mit zu machen... :wunder:
 

Danol

Senior Member
Registriert
06.02.2011
Beiträge
569
Der Vorwurf "friedensbesoffen" ist kein Ausdruck meiner Kriegsbegeisterung, sondern soll eher darauf anspielen dass diverse friedensbewegte sich mit ihren Vorstellungen in einen Rausch reingesteigert haben, bei dem schon mal der Kontakt zur Realität (hier: den politischen und militärischen Voraussetzungen von Frieden) verloren gehen kann. Freiwillig melden muss ich mich nicht mehr, als ehemaliger Wehrdienstleistender würde ich im Bedarfsfall wohl ohnehin eingezogen.

Der Nachdenkseiten-Artikel ist in meinen Augen ziemlich schwach. Das man die Sanktionen verhängt hat weil praktisch allen beteiligten klar ist dass Putin da eine Nebelkerze zündet, indem er vorgibt auf die Separatisten einzugehen, die dann halt nur leider nicht hören wollen, ist wohl keinem in den Sinn gekommen? Ein Ende der Sanktionspolitik könnte lediglich in Betracht kommen wenn es klar erkennbare Fortschritte gibt, insbesondere die Wiederherstellung der ukrainischen Souveränität über die abtrünnigen Gebiete; nicht aufgrund wohlklingenden diplomatischen blablas. Wenn man sich damit zufrieden gäbe, hätte man eigentlich auch die ohnehin sinnfreien Sanktionen sein lassen können.
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
Registriert
20.11.2000
Beiträge
14.907
Dafür, das der Nachdenkseiten-Artikel so super schwach sein soll, fallen dir aber wirklich extrem schlagende und konkrete Gegenargumente ein.

Und wenn Putin in die Ostukraine einfallen wollte, warum hat er das dann nicht längst getan ? Bei der Krim war der doch auch nicht so zimperlich.

Und genau das Problem, das die ukrainische Regierung eben nicht legitimiert ist, ist doch gerade die Ursache für den Konflikt. Die ukrainische Regierung hat sofort nach ihrem illegitimen Putsch weitreichende Verträge mit dem Westen gemacht und Russisch als Amtssprache verboten - dabei gibts viele Leute, die in der Ukraine leben und Russisch als Muttersprache haben. Der Klischko ist ja da das beste Beispiel, bei dem machen sich Leute sogar darüber lustig, wie schlecht der Ukrainisch kann - geboren ist er aber trotzdem dort.
 

Darghand

Einer von vielen
Registriert
30.07.2001
Beiträge
6.016
Das stimmt nicht. Es gab einen Gesetzesentwurf, der Russisch den Rang als zweite Amtssprache aberkennen sollte - der wurde aber nie ratifiziert, es wurde nur ein Riesenbohei drum gemacht.
Wer glaubt, die russische Regierung kümmere sich ganz besorgt um das Wohlergehen der russischsprachigen Ukrainer, ist bereits der üblichen Kriegs-Propaganda auf den Leim gegangen und muss sich außerdem die Frage gefallen lassen, was an einem derartigen völkisch-ethnischen Politikkurs toll sein soll (das gilt natürlich umgekehrt für die Ukraine und deren Nationalisten genauso). Die Okkupation und Annektion der Krim als beinharte Reaktion auf den Putsch in Kiew folgte geostrategischen und militärischen Interessen Russlands. Erstens, weil laut deren Strategen der Verlust der Krim einer offenen Flanke gleichkommt und Russland so kaum noch zu verteidigen sei, zum anderen ist das Schwarze Meer traditioneller Bereich russischer Machtprojektion.

Dass Russland die Separatisten in der Ostukraine unterstützt führe ich eher darauf zurück, dass Putin zwecks Machterhalt auf die russischen rechts-nationalistischen Kreise angewiesen ist und er der blumigen Ankündigung, die "ethnischen Russen" zu schützen, nun tatsächlich Taten folgen lassen muss. Und es verteuert die westliche Politik der Einbindung der Ukraine, ein sicher gewollter Effekt.
 
Oben