@Olome: Nein, ich verdamme Huntington nicht, zumindest hat mich das genannte Buch von ihm beeindruckt und inhaltlich überzeugt. Darüber hab ich ja früher schon mal Auseinandersetzungen mit Darghand gehabt, dessen Kritik ich teilweise nachvollziehen konnte, aber für unwesentlich in der Sache hielt. Übrigens halte ich manche Konsequenzen, die Huntington aus den in dem Buch dargestellten Analysen zu ziehen vorschlägt, für falsch, insbesonderd die Besinnung auf "unsere christlichen Wurzeln". Mein Konsequenzvorschlag wäre, daß sich "der Westen" endlich darauf besinnt, was "the root of all (oder zumindest: much
) evil" sei und zu einem klar säkularen-aufgeklärten, humanistischen Selbstverständnis gelangt. Weil sich m.M.n. aus einer Haltung, die durch irrationalistische Weltanschauungsanteile gewissermaßen verunklart (um das böse Wort "verseucht" zu vermeiden) ist, keine überzeugende, d.h. konsistente Gegenposition zum politischen Islam vertreten läßt. Es gibt keine validen Argumente gegen die Gültigkeit der Scharia weltweit, solange man einräumt, daß da oben ein Gott wohne, welcher unfehlbar und allmächtig und Handlungsanweisungen gebend sei. In diesem zentralen Punkt bin ich also in Opposition zu Huntington und sämtlichen "Konservativen".
Ich hab die von dir verlinkte Runde nicht gesehen, weiß auch nicht ob ich das tue, die Detailsvon dir reichen mir schon, um das als Zeitverschwendung wie bei den meisten Polittalks anzusehen. Und ernsthaft: Hast du dir von Ströbele irgendwas versprochen? Für mich einer der üblichen, überbewerteten grünen Schaumschläger.
Da machst Du es Dir nun ein gutes Stück zu einfach. Erstens weiß ich nicht, was Du unter den "üblichen, überbewerteten grünen Schaumschlägern" verstehst. Zu einem großen Teil vertrete ich die grünen Standpunkte, lediglich bezüglich der Integrationspolitik und dem Verhältnis zu den Religionen (es gibt auch seit der Gründung der Grünen immer einen religiös motivierten Flügel in dieser Partei, nämlich vor allem Christen, die grüne Politik als "Bewahrung der göttlichen Schöpfung" verstehen - und deren Zielen ich zustimme, selbst wenn ich ihr religiöses Motiv nicht teile). Schaumschlägerei - nun ja, Klappern gehört zum Geschäft. Daß solche Dauer-Talk-Bank-Drücker wie Ströbele leider mit der Zeit immer plakativer in ihren Argumentationen werden, stimmt. Aber häufig vertrat er - zu anderen Themen - Positionen, die ich vollumfänglich teilte. Also biedere Dich hier mal nicht bei mir durch pauschale Grünen-Schelte an!
Was die "Hart aber fair"-Sendung angeht, so finde ich, man sollte die sich aus dem gleichen Grund angucken, dessentwegen Du z.B. nach ausführlicheren Auszügen aus dem Sarrazin-Interview suchtest: sie ist für die Diskussion wichtig. Gala zitierte einen Artikel über die Gästebucheinträge zu dieser Sendung. Als ich die Polemik (Redebeiträge eines NPD-Parteitags) darin monierte, fragte er, wievielen und welchen Gästebucheinträgen ich denn zustimmen könne.
Spätestens da dürfte klar sein, daß man sich doch nun auch mal mit der Sendung, welche diese Gästebucheinträge provozierte, beschäftigen sollte, oder?
Und ich fand die Sendung zwar vom Niveau her mal wieder recht weit unten angesiedelt. Aber eben auch symptomatisch für die Debatte.
So werden nun mal leider in Deutschland politische Diskurse geführt (oder besser: inszeniert), an deren Ende dann ein Herr Sarrazin von seinen Vorgesetzten ein bestimmtes Ressort entzogen wird, ihm also öffentlich eine Ohrfeige gegeben wird. So werden politische Entscheidungen getroffen, so läßt sich Empörung über einen "Tonfall" aufbauen und kanalisieren, so lassen sich Sachfragen in der "Darf-der-sowas-sagen?"-Soße ertränken.
Als ich gestern in der spätnächtlichen Heute-Sendung die Nachricht über die öffentliche Zurücksetzung Sarrazins sah, wurden auch wieder zwei scheinbar zufällige Passanten kurz zum Thema interviewt. Beide befürworteten die Bundesbank-Entscheidung, Sarrazin abzuwatschen. So wird also "Volkes Stimme" bezüglich der Causa von den öffentlich-rechtlichen Sendern in den sich seriös gerierenden Nachrichten dargestellt: keine Kritik an der Bundesbankentscheidung, sondern hundert Prozent Zustimmung.
Nur ist das eben schlicht falsch. Eine Mehrheit oder zumindest ein relevanter Anteil der Bürger dürfte diese Sarrazin-Watschen so sehen, wie es von den Gästebuch-Eintragern schon anklang: Daß, wenn mal einer von "denen da oben" die Wahrheit ausspricht, er dafür sofort sanktioniert wird.
Wem wird mit solcher Heuchelei in die Arme gespielt? Den rechten Rattenfängern von PI. Aber sollen sie nachher nicht wieder alle ihre Hände in Unschuld waschen!
Um zu sehen, wie sowas geht, finde ich, ist es schon lohnend, sich die Hart-aber-fair-Sendung anzuschauen. In der übrigens - mal abgesehen von der Ditib-Dame - alle Gäste auch vernünftige Einlassungen vorbringen.
@Mumme:
Man muß davon ausgehen, daß menschliche Begabung zu einem Teil sozial bedingt ist, zu einem anderen Teil jedoch erblich.
Das mag wissenschaftlich gesehen stimmen, in diesen Zusammenhang gesagt, ist das aber nichts anderes als krasser Rassismus. Vietnamesen und Chinesen sind schlau und fleissig, Russen wenigstens noch fleissig, aber Türken und Araber sind dumm, aggressiv und primitiv.
Eine wissenschaftlich stimmige Aussage wird also je nach Kontext falsch? Also definiert sich Rassismus so, im falschen Moment faktisch Stimmiges auszusagen?
Wobei ja die Interpretation, wie Du sie dann ausführst, nämlich daß Sarrazin den Türken und Arabern pauschal gewissermaßen minderwertige biologische (genetische) Anlagen attestiere, eben schon Deine Interpretation ist. Er hat es nicht so gesagt - seine Gegner haben es so verstehen
wollen.
Er beschreibt Fakten: Vietnamesen und Chinesen integrieren sich erfolgreich, sind sogar z.B. bei Schulabschlüssen erfolgreicher als die angestammte deutsche Bevölkerung. Stimmt's, oder stimmt's nicht? Die Rußlanddeutschen haben in der ersten Generation hierzulande große Schwierigkeiten und bereiten auch große Schwierigkeiten (diesbezüglich kann man mal bei Gefängnisleitungen im Jugendstrafvollzug nachfragen...). Aber in der zweiten Generation marginalisieren sich die Probleme - die Integration gelingt. Stimmt's, oder stimmt's nicht?
Türken und Araber, bzw. deren Nachfahren, haben dagegen (immer statistisch betrachtet) in der zweiten und dritten Generation
mehr Probleme und bereiten mehr Probleme. Integration gelingt bei denen also - zumindest bislang nicht (Anmerkung: bei vielen Türken und Arabern gelingt die Integration selbstverständlich sehr wohl, es geht hier um statistische Tendenzen und einzelne Gegenbeispiele lassen sich immer finden). Stimmt's oder stimmt's nicht?
Sarrazin sagt nicht, daß Türken und Araber biologisch minderwertig seien. Diese Sichtweise heimlich zu hegen, unterstellt man ihm. Wenn man mal ausführlich in dem Interview lesen würde (also bitte mal Olomes Link anklicken!), müßte man eigentlich erkennen, daß er diese Sichtweise nicht hegt. Seine Sichtweise - und die hat auch Olome hier schon näher erläutert - ist eine, die man nicht teilen muß, aber die auf langjährigen Erfahrungen als Politiker und insbesondere als berliner Finanzminister zu beruhen scheint: Daß sich bestimmte Leute nicht verändern/erziehen lassen. Auf bestimmte Bevölkerungskreise bezogen heißt das: Die sieht er in gewisser Hinsicht als "verloren" an. Ist das eine zynische, oder nicht doch eher eine resignierend-nüchterne Einschätzung? Nochmal: Man muß seine Auffassung nicht teilen. Man kann daran glauben, daß jeder Unterschichts-Angehörige durch die richtigen politischen Weichenstellungen gerettet werden kann. Glauben entgegen den frustrierenden Erfahrungen, die Sarrazin offenbar gemacht hat.
Wenn man hier anderer Ansicht ist als er - dann kann man für diese Ansicht ja vielleicht auch Sachargumente aufbringen, am liebsten unterfüttert mit aussagekräftigen Zahlen.
Ich fürchte, Sarrazin hat Recht: manche Leute sind verloren, die haben sich in ihrer unproduktiven Situation eingerichtet. Leider kenne ich da auch aus meinem Familien- und Bekanntenkreis einige, habe also Erfahrungen machen müssen, die Sarrazins Thesen bestätigen.
Mit dem biologischen Argument hätte er allerdings nicht kommen brauchen - hier läuft er unnötigerweise in das Messer des Biologismus-Vorwurfs, und das ist ja gleich neben dem Nazismus-Vorwurf-Messer aufgeklappt. Aber nochmal: Nicht er nennt Türken und Araber biologisch/genetisch minderwertig. Sondern das wird in seine Worte hineininterpretiert. Und zwar hierzulande reflexhaft.
Ich bin ja der Ansicht, daß die Genetik hier eine sehr, sehr untergeordnete Rolle spielt (vielleicht 5 oder 10%, aber das ist eine rein gefühlsmäßige Einschätzung, auch der ich nicht beharren will), und das Umfeld, in das die Kinder geboren werden, derartig hauptverantwortlich für seine Entwicklung ist, daß die genetischen Faktoren als irrelevant beiseitegelassen werden können. Was ich mich nur frage: Falls da tatsächlich gravierendere Zusammenhänge in biologisch-genetischer Hinsicht existieren sollten - dürften die hierzulande dann trotzdem nicht angesprochen werden? Oder dürften Politiker über solche Fragen nicht öffentlich nachdenken? Wieviele Denkverbote sollen wir uns auferlegen? Wieviel Denkfaulheit gestehen wir uns zu und begründen sie mit historischen Rücksichtnahmen? Wie würden Sarrazins Aussagen in der Öffentlichkeit wahrgenommen, wenn sie von einem britischen oder amerikanischen Politiker geäußert worden wären? Wenn z.B. ein englischer Politiker, der lange in der Kommunalregierung von London gearbeitet hätte, über die dortigen "Türken", also die Pakistani, so geredet hätte? Hätte der dann auch gleich von seinen Vorgesetzten öffentlich 'ne Ohrfeige bekommen, oder wäre man eher in eine Sachdiskussion darüber, wo er Recht und wo er Unrecht hat, eingetreten?
Daneben hat sie einen Teil von Menschen, etwa zwanzig Prozent der Bevölkerung, die nicht ökonomisch gebraucht werden [....]. Dieser Teil muß sich auswachsen.
Hallo, geht's noch? Was ist das denn für eine menschenverachtende Einstellung?!
Über dieses "Auswachsen" hat Olome schon einiges geschrieben und es wird in der Debatte ja auch immer wieder thematisiert. auch hier wieder scheint "auswachsen" mit "ausmerzen" verwechselt zu werden. Dabei ist's inhaltlich eben so, daß Sarrazin (man mag ihm hier zustimmen oder nicht), bestimmte erwachsene Leute für nicht mehr "erziehbar" hält. Ausführlicheres dazu im Wortlaut des Interviews. Auswachsen bedeutet also: es muß zugesehen werden, daß die nachfolgenden Generationen im Sinne der Integration erzogen werden, und daß sich dann das Desintegrationsproblem biologisch dadurch löst, daß die willentlich Desintegrierten irgendwann altersbedingt wegsterben. So, wie sich z.B. das "Vertriebenenproblem", welches über Jahrzehnte unser Verhältnis zu Polen, der Tschechei usw. stark belastete, irgendwann "auswuchs" - die unverbesserlichen "Berufsvertriebenen" sterben weg. Auch das "Erbfeinds"-Problem zwischen Deutschland und Frankreich wuchs sich aus. Und zwar dadurch, daß die Jugend in einem anderen Sinne erzogen wurde.
Es geht also nicht, wie unterstellt, darum, daß Sarrazin Geburtenkontrolle bei Leuten mit niedrigem IQ oder bei Türken und Arabern fordert. Sondern darum, daß man Familienpolitik so gestaltet, daß Kindergeld und Familienförderung sich nicht gerade für Leute aus der Unterschicht als vergleichsweise vorzuziehende Option der Lebensfinanzierung anbietet (Stützeempfänger in zweiter und dritter Generation...). Darum, daß man den Zuzug von "Import-Bräuten" verhindert. Darum, daß man in der Bildungspolitik dafür sorgt, daß die Herkunft aus einer sozial schwachen Familie eben
nicht automatisch in präkere Verhältnisse führt.
All diese Interpretationen von Sarrazins Worten bieten sich für mich an, denn sie machen Sinn, wenn man ihm nicht von vornherein Boshaftigkeit und Menschenverachtung unterstellt.
Deine Interpretation macht erst dann Sinn, wenn man ihm von vornherein Zynismus unterstellt. Dann kann man in seine Aussagen auch ein Plädyoer dafür hineinlesen, die Kindersterblichkeit in der Unterschicht vorsätzlich zu erhöhen.
Und das von jemanden, der bei anderen die "Untertöne" kritisiert...