Mit Sarrazin wird jetzt mal wieder in der üblichen Manier eine Sau durch's Dorf getrieben, bzw. ein Sündenbock. Den Überbringer unangenehmer Nachrichten rückt man einfach in die Nähe der Nazis - und zack! - muß man sich nicht mehr mit den unangenehmen Nachrichten auseinandersetzen.
Meines Wissens wurden die Zahlen, die Sarrazin anführte, nirgendwo dementiert. Die Integrationsunwilligkeit (Unfähigkeit?) ist unter Türken und Arabern niedriger, die entsprechenden Probleme größer als in anderen Migrantenmilieus wie z.B. den Vietnamesen. Daß der Islam als Religion hier eine Rolle spielen könnte, will niemand von den politisch korrekten Heinis zugeben, das Faß mag man nicht aufmachen aus Angst, dann über Problematiken diskutieren zu müssen, die man nicht durchschaut. Meine Vermutung: Wenn sich herausstellen sollte, daß der Islam tatsächlich für die niedrigen Intergrationserfolge bei Migranten aus muslimischen Staaten ursächlich sein könnte, müßte man allgemein über eine neue Relation von Staat und religiösen Gemeinschaften debattieren. Und zack - muß man die Gretchenfrage beantworten.
Die naive Ignoranz dieses Problems seitens der Grünen war der Grund, weswegen ich sie diesmal nicht gewählt habe. Denen geht nämlich scheinbar am Allerwertesten vorbei, was Leute, die in sozial schwachen Milieus leben müssen, wirklich besorgt.
In meinen Augen ist es infam, hier gegenüber jedem, der die Probleme mal beim Namen nennt, sofort die Nazikeule zu schwingen. Man wende sich mal an die Grundschullehrer in Stadtteilen mit hohem Türkenanteil, was die so täglich erleben bezüglich des Integrationsdesasters (einer meiner besten Freunde ist so einer und erzählt Geschichten, da fällt einem die Kinnlade runter).
Daß dieses Intergrationsproblem durch die wirtschaftliche Situation, auch durch den enthemmten Marktkapitalismus der letzten Jahre und Jahrzehnte verschärft worden sein dürfte - keine Frage. Aber die Lage der Türken und Araber mit derjenigen der Juden vor 80 Jahren zu vergleichen, ist - auch wenn der Zentralrat der Juden sich gegen Sarrazin gewendet hat - in meinen Augen eine Beleidigung der Juden und eine Relativierung und damit Instrumentalisierung des nazistischen Antisemitismus.
Die Gefahr, die ich sehe, ist, daß den falschen Leuten, nämlich dem braunen Pack, die Deutungshoheit über dieses Problem überlassen wird, indem man es in den Kreisen der etablierten Parteien inklusive der Grünen schlicht ignoriert. Wenn nur die Braunen das Problem benennen und ihre Lösungsvorschläge dafür auf den Tisch legen - dann ist das übel. Denn deren Lösungsvorschläge sind die üblichen rassistisch-dummen "Ausländer raus!"-Versionen. Welche anderen Lösungsvorschläge aber gibt es denn? Von den Grünen und überhaupt der ganzen politisch korrekten Mischpoke in den Medien wird immer noch das Bild der "Opfer" gezeichnet, wenn über das türkische und arabische Milieu berichtet wird. Alle sind sie Opfer - natürlich auch die Väter, die ihre Töchter unter das Kopftuch zwingen und die Jungs, die alle deutschen Frauen als Huren betrachten und ihre Lehrerinnen anspucken... Opfer der Zustände, allesamt, sie können nicht anders, das sind sie so gewöhnt von zuhause, das sind Traditionen, die kriegt man nicht so schnell aus den Köpfen raus, und der Kapitalismus ist auch irgendwie schuld daran, daß sie so verdächtig oft kriminell werden... Daß diese "kulturellen Traditionen" jetzt inzwischen in der dritten oder gar vierten Generation immer weiter aus denen der Mehrheitsgesellschaft ausscheren, daß es vielleicht irgendwelche strukturellen Gründe geben könnte dafür, daß chinesische, vietnamesische oder auch polnische und sogar russische Migranten es schaffen, sich erfolgreich zu integrieren, dies aber den Türken und Arabern nicht gelingen will - das blendet man aus.
Wenn jetzt Sarrazin
von der Bundesbank gemobbt wird, ist das symptomatisch dafür, daß man heute noch mit den unbequemen Zwischenrufern umgeht, wie man's zu Zeiten der Trojaner schon mit der Kassandra tat.
Symptomatisch ist dafür übrigens, daß man einfach die Mehrheit der politisch Interessierten am Thema abstempelt, indem man polemisiert, das Gästebucheinträge bei "Hart aber fair" läsen sich wie Redebeiträge auf einem NPD Parteitag. Seltsam, oder? War das tatsächlich eine konzertierte Aktion der Nazis? Oder ist es nicht eher so, daß hier die Mehrheit des Volkes offensichtlich eine andere Meinung zum Thema hat als die Mainstream-Medien und insbesondere die berufs-Empörten? Die Mehrheit derjenigen, die sich an der Abstimmung bei Hart aber fair beteiligten, fand, daß Sarrazin mit seinen Bemerkungen richtig lag. Aber dieses Abstimmungsergebnis schaffte es irgendwie nicht mehr in die Sendung. Wie halten wir's denn jetzt mit demokratischen Abstimmungen? Darf nur das verkündet werden, was ins Weltbild paßt? Wie lange haut das noch hin mit dem weltanschaulichen Ignorieren der offen sichtbaren Probleme?
Dämliche Frage. Das hat noch nie hingehauen. Deswegen entwickelt sich's ja auch zum Schlechteren.
edit @Olome: Danke für den Link! Lesenswert.