@Diarmuid: Natürlich. Aber Fehlfunktionen in der Psyche (die auch nichts anderes als Fehlsteuerungen auf biochemischem Niveau im Gehirn sind) sind ja mit körperlichen Funktionen eng gekoppelt. Man darf da zwischen geistig und körperlich keine Trennlinie ziehen, auch wenn das - schon allein aus historischem Unverständnis der Psyche heraus - allzuoft getan wird.
Wo genau bei Triebtätern im Kopf etwas schiefläuft, kann aber ohnehin noch nicht hundertprozentig festgestellt (und somit ursächlich behandelt) werden. Daher bleibt die Ausschaltung des Sexualtriebs (jeglicher Art!) durch Kastration die bisher einzige wirklich effektive Methode, das Problem des Triebtäters "medizinisch" anzugehen. Psychotherapie ohne medikamentöse Maßnahmen dürfte hier ziemlich ins Leere laufen - der Täter wird vielleicht mehr auf die Folgen seines Tuns sensibilisiert, aber der Trieb bleibt.
@Falk: Du hast natürlich recht mit dem dünnen Eis. Ich habe mich dazu auch mehr aus pharmakologischer Sicht geäußert... entscheiden würde ich so etwas nicht wollen. Ebenso wie ich der Todesstrafe kritisch gegenüberstehe. Im Gegensatz zur Todesstrafe hat man hier aber eine Bestrafung, die dem Täter a) nicht eines normalen Lebens beraubt, b) nicht umumkehrbar ist und c) sogar im Gegenzug dem Täter ein normales Leben ermöglicht (wie schon erwähnt, gibt es ja mitunter schon Täter, die freiwillig zu dieser Maßnahme gegriffen haben). Eigentlich ist das nichtmal eine "Strafe". Darum finde ich den Vergleich nicht so ganz treffend.
Irgendwie ist das aus meiner Sicht eine verschwimmende Grenze zwischen die-Unversehrtheit-verletzen und den-Täter-medizinisch-behandeln. Man könnte es auf eine ähnliche Stufe stellen wie einen wahnhaften Schizophreniepatienten, der zwangseingewiesen und in der Klinik therapiert werden muss. Dieser wird auch, gewissermaßen, gegen seinen Willen dort festgehalten und behandelt. Die chemische Kastration ist eben auch eine Behandlung einer psychischen Störung, die dem Täter/Patienten ein normales Leben zurückgeben kann.
Ob das alles aber rechtlich standhält, keine Ahnung... für mich ist das aber rein medizinisch betrachtet durchaus nicht verkehrt.
edit
Beim erneuten Durchlesen des Artikels fällt mir auf, dass diese Maßnahme in Polen nicht einmal neu ist - die Richter hatten schon vorher die Wahl, die chemische Kastration anzuordnen. Neu ist jetzt nur die Verpflichtung dazu bei jedem Straftäter, der in die entsprechende Kategorie fällt. Insofern... ändert das etwas an der ethischen Frage? Ob es bei einigen gemacht wird oder bei allen, spielt für die ethische Grundsatzfrage keine wirkliche Rolle - sondern nur, ob es
überhaupt gemacht werden darf, oder? Diese Frage scheint ja Polen damit für sich schon länger beantwortet zu haben.
Mich würde interessieren, wie andere Länder dazu stehen, insbesondere in der EU.
nochmal edit
Hier mal ein interessanter Artikel über einen Pädophilen und seinen Werdegang. Vielleicht lässt das die Vergleiche mit Todesstrafe und Handabhacken in einem anderen Licht erscheinen.
noch ein Gedanke zum Schluss:
Letzen Endes dient doch die Haftstrafe, die bei diversen Verbrechen weltweit zur Bestrafung angewandt wird - und die Grundrechte des Täters auch einschränkt (oder ist Freiheit kein Grundrecht?) - doch in erster Linie der Resozialisierung, oder? Die Strafe soll ja nicht einfach nur eine Strafe sein und dem Täter in irgendeiner Form "weh tun", sondern den Täter in die Gesellschaft wieder eingliedern - nach Möglichkeit in einer Verfassung, in der er eben nicht erneut straffällig wird. Dass das praktisch nicht immer gegeben ist, ist klar - aber in vielen Fällen funktioniert das sogar, denke ich.
Triebtäter hingegen sind von ihrem unsäglichem Trieb
nicht heilbar - egal wie lang sie in Haft sitzen und egal wieviele Psychotherapiesitzungen sie mitmachen (siehe der von mir verlinkte Artikel). Die chemische Kastration ermöglicht hier eigentlich erst das, was mit der Haftstrafe allein bei dieser Kategorie Täter nicht gelingt - eine Resozialisierung mit einem weitaus verringertem Risiko einer erneuten Straftat.
Jeder Pädophile, der sich einmal an einem Kind vergriffen hat, hat ein sehr hohes Risiko, das noch einmal zu tun. Viele dieser Menschen haben durchaus einen Sinn dafür, dass ihr Tun falsch ist - aber trotzdem passiert es auch denen, dass der Trieb überhand nimmt. Welche Lösung bietet nun unser Rechtssystem für dieses Problem? Eine lebenslange Verwahrung erscheint in Deutschland ja wohl nicht angemessen, also tun wir was? Lassen die Täter nach Tat und Haft wieder auf die Straße zurück? Mit ungebremsten Trieb? Das ist für die Täter genausowenig ein angenehmes Leben wie für potentielle Opfer. Wenn wir also keine chemische Kastration als Behandlung für diese Störung wollen, welche Alternativen gibt es zur Resozialisierung solcher Täter?