Dachrisma blickte erneut zum Fremden hoch, der sie, wie befürchtet, zunächst ernst musterte. Er schien jedoch zu dem Schluss zu kommen, daß sie, ihres schäbigen Äußeren zum trotz, nichts arges im Schilde führte. Die Aussicht auf eine, wenn auch nur vorläufige und vermutlich eher kurze Pause mit (wie sie inständig hoffte) zumindest einem festen Dach über dem Kopf ließ sie neuen Mut schöpfen. Hoffentlich machte es dem Fremden keine Umstände, sie zu beherbergen. Doch könnte sie sich ja auch etwas nützlich machen, so ihre Überlegung. Sie kannte sich grundlegend mit Kräutern aus und war in ihrem Leben durchaus auch mit Aufgaben der Haushaltsführung betraut gewesen.
So folgte Dachrisma also dem Fremden. Zum Glück begann er mit einem unverfänglichen Gespräch, denn im Grunde wusste sie gar nicht, wie sie sich derzeit verhalten sollte. Die lange Reise ohne Begleiter hatte sie von derartigen Situationen völlig entwöhnt. Was wenn sie zu viel redete und dem Fremden auf die Nerven fiel? Oder ihm aus versehen indiskrete Fragen stellte? Wie verhielt man sich überhaupt in Gesellschaft, nachdem man wochenlang nur mit Bäume und Steinen gesprochen hat, was im Rückblick betrachtet eine eher einseitige Art der Kommunikation war.
Der Fremde verhielt sich im höchstmaß höflich und rücksichtsvoll, bahnte ihr einen Weg durch den verwilderten, abgelgenen Teil des Waldes und schilderte ihr den Ort, zum dem er sie führte. Mit der Wanderung, beziehungsweise Levitation durch den Wald schritt der Tag langsam voran. Obwohl der Wald einen ruhigen und abgeschiedenen Eindruck machte erfuhr sie so, daß es durchaus noch andere Waldbewohner geben musste. Möglicherweise sogar welche mit noch absonderlicheren Verhaltensweisen als sie selbst, wie sie den Worten des Fremden entnehmen konnte. Schlafende Leute machten ihr keine Sorgen, aber was war das für eine beunruhigende Geschichte mit einem Mann im Keller, der von Blut sprach. Gab es im Keller Ratten oder gar ernsthafte Gefahren? Gerade wollte sie diesen Punkt der Erzählungen des Fremden aufgreifen, als er auf ein mal inne hielt und auf einen Punkt nicht weit von ihr entfernt deutete. Der Wald schien sich zu lichten, doch konnte sie von ihrem Standpunkt aus noch nichts sehen. Nur daß in der Richtung, in die sie ging, heller wurde. Zum Glück, denn der Tag neigte sich dem Ende zu, und wenn sie selbst am hellen Tag über jede Wurzel stolperte, dann wäre sie im halbdunkel mit Sicherheit vom Weg abgekommen und gegen Bäume gelaufen.
Dachrisma trat aus den Bäumen hervor und sah den Ort, auf den der Fremde gedeutet hatte. Es war eine Lichtung, in einiger Entfernung war ein Gebäude zu sehen. Es entsprach auf angenehme Weise in keinster Weise der Vorstellung, die sie sich selbst aufgrund der Schilderungen des Fremden von dem Ort gemacht hatte. Ein kleiner Bach mit äußerst klarem Wasser floss auf de Lichtug entlang. Es gab sogar einen Garten, und das Haus war keineswegs ein kleine, halb zerfallene Hütte. Es war auch kein finsterer Turm, wie ihn einige Magier bevorzugten. Der Fremde indes hatte aufgehört vor ihr her zu schweben, levitierte nun über ihr auf der Stelle und stellte sich ihr als Gandalf der Weiße vor.
Dachrisma deutete eine höfliche Verbeugung an. "Dachrisma mein Name. Sagt, was ist dies für ein Ort? Ihr hattet eine alte Hütte erwähnt, eine Ruine. Mir scheint der Ort zwar alt, aber weder klein noch sonderlich verfallen. Wie kann ich mich für die Gastfreundschaft erkenntlich zeigen, Herr Gandalf? Und, der Keller, habt Ihr Probleme mit Ungeziefer?" Sie biss sich auf die Lippe. DAS meinte sie mit indiskreten Fragen. Eigentlich ging es ja um diese Kerl im Keller, aber wie sollte man SO eine Frage stellen? Jetzt glaubte er womöglich, sie hielte das Haus für ungepflegt oder gar abgerissen.