Es wird ein Roman... irgendwann mal. Aber im Moment ists noch eine Kurzgeschichte von der länge her
Ich bin gespannt was du nach dem Rest sagst. Etwa 1,5 Kapitel hab ich noch zu posten
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Kapitel 2
I'm so lost without you when you're supposed to save me...
genervt suchte Niklas die Fernbedienung für seine Stereoanlage und legte, als er sie nicht fand einfach den groß leuchtenden Hauptschalter des Multisteckers um. Ji-In Chos Stimme erstarb. Es gab einen Ort und eine Zeit für jede Musik aber weder noch war gerade für Krypteria bestimmt. Der Kitsch konnte manchmal einfach unerträglich sein.
This is the night all angels cry and their tears set heaven alight/ this is a night of screaming, the sky is bleeding and no one but myself to blame...
Niklas seufzte und setzte sich wieder vor seinen PC. Gegen ein gutes Gedächtnis half es eben nicht, wenn man die Musik vor der Stelle ausdrehte. Schuld und Sühne-Musik war nun gerade nichts was er im Moment brauchte. Da half auch keine hübsche Koreanerin, oder die lieblichen Klavierklänge zwischen den Gitarrenparts. Der Grund für seinen Unmut lag auf der Hand. Leider nicht, so dachte er, nicht in seiner Hand, denn sonst hätte er nur zudrücken brauchen.
Isas merkwürdiges Verhalten hatte einen Grund und obwohl niemand es aussprach war doch völlig klar das Niklas dafür verantwortlich war. Oh natürlich nicht allein, das wusste er, doch trotzdem. Es war doch zum davonlaufen...
Carla erschien in seinem Kopf. Davonlaufen, sagte sie, hatte noch niemandem geholfen. Ja... er erinnerte sich. Es hatte sich einst viel um weglaufen gedreht bei ihr, schon lange bevor sie sich kennen gelernt hatten. Aber Carla war immer gut im weglaufen gewesen, vor allem vor sich selbst. Isa war keine die weglief. Isa stand immer nur da und ließ mit sich geschehen was kam. Es fraß sich immer durch sie hindurch. Wie ein Tumor, oder so. Und wenn wir schon davon sprechen, so vom davonlaufen... was machst eigentlich du? Du... irgendetwas unterbrach seine Gedanken. Er blinzelte und sah wie die Welt wieder klare Konturen abnahm.
Dann klopfte es erneut, bevor die Tür achtlos aufgestoßen wurde.
Allan stand in der Tür, einer der wenigen seiner Freunde außerhalb des Kreises.
Ein groß gewachsener, doch sehr magerer Kerl, nicht viel älter als Niklas selbst. In seinen Zügen lag etwas südamerikanisches, auch wenn die wenigsten das wirklich bemerkten. Wie immer ging er mit einer völligen Ignoranz für Aussehen oder ähnliche Kleinigkeiten durch die Welt. Er war unrasiert und die Haare waren fast so wirr Niklas, jedoch durch Vernachlässigung und nicht von Natur aus.
Ein geflügeltes Schwert prangte auf dem schwarzen T-Shirt und gab manchen den Eindruck das hinter dem Aussehen eine geschickt konstruierte Fassade lag. Dies stimmte jedoch nicht, zumindest glaubte Niklas das und Allan verlor darüber nie ein Wort.
Niklas schaffte es einen Moment lang nicht zu verbergen dass er völlig vergessen hatte das sich sein Freund bei ihm angekündigt hatte.
„Na“ sagte er schlicht.
Allan nickte ihm zu, trat ein und zog Niklas' Sessel neben den PC.
„Wie geht es in der Provinz?“
Allan besuchte ein Internat, etwas das Niklas gleichermaßen als Segen und Fluch für seinen Freund empfand. Zwar konnte er dort verhältnismäßig ungestört zur Schule gehen, aber er war eben mit den anderen dort fünf Tage die Woche gefangen und er hatte einfach kein Glück bei seinen Mitschülern. Noch nie gehabt. Einer der Gründe warum er dort war.
„Es ist sehr ruhig.“ Allan grinste nicht. Aber er grinste auch nicht besonders häufig. Niklas war es gewöhnt.
„Das glaub ich gern.“
Sie schwiegen beide etwas. Dann rief Niklas ein Spiel auf das sie beide kannten. Es machte auch nichts das er spielte und Allan nur daneben saß. Sie hatten sowas schon als Kinder gemacht.
„Wie weit bist du gekommen?“
„Ich hab's durchgespielt seitdem du das letzte Mal da warst, aber nochmal angefangen“
„Warum?“
„Ich hab verpasst die zweite Storyline weiterzuverfolgen und dann ergab das Ende keinen Sinn. Aber ich geb' die Spiel dem Schuld, weil es einen nicht dazu zwingt alles aufzuklären.“
„Spielerische Freiheit“
„Ja ok, stimmt, aber irgendwie halbherzig, oder?“
Allan dachte nach, den Blick auf den Bildschirm fixiert.
„Da, links!“ sagte er schließlich und mit geübter Leichtigkeit ließ Niklas seine Spielfigur in Deckung gehen, bevor einer der zahlreichen Feinde Gelegenheit hatte ihn unter Feuer zu nehmen.
Sie waren darauf eingespielt. In Shootern war Allan ein weiteres Paar Augen, in Strategiespielen ein Gedächtnis für Dinge die Niklas im Eifer des Gefechts zu vergessen drohte und in Rollenspielen ein weiterer Geist für Rätsel, eine weitere Meinung bei spielerisch wichtigen Entscheidungen.
Es musste auf andere seltsam wirken wie sie da wirklich zusammen spielten. Manchmal, aber nur manchmal, dachte Niklas das es fast schon unfair sei das auch in Onlinematches durchzuziehen. Wer auch immer auf der anderen Seite der Leitung, irgendwo in der Welt, saß, hatte doch nur einen Kopf zur Verfügung.
„Aber sieh es doch so, wie willst du eine Spielwelt wirklich frei gestalten?“
„Morrowind ist frei“
„So frei das man sich darin verläuft“
Niklas grinste. „Man verläuft sich auch in der realen Welt, also so gesehen...“
„Du weißt was ich meine.“
Niklas nickte und verpasste einem der KI-Gegner einen Kopfschuss.
„Irgendwas schränkt doch immer ein. Hier sind es diese lächerlichen Zäune. Was ist denn das bitte, einen Meter hoch oder so und die sollen wirklich alles draußen halten? Das ist lächerlich. Auch wenn da Stacheldraht dran ist, da komm' selbst ich 'drüber“
„Was sollen sie den sonst machen?“
„Höhere Zäune!“
Einen unvorsichtigen Schritt später war Niklas Figur von mehreren Dutzend Kugeln durchlöchert und der farbarme Bildschirm verkündete nun dass das Spiel vorbei sei, außer es würde erneut geladen. Manchmal halfen auch zwei Köpfe nicht weiter.
Der Ladevorgang war kurz und schmerzlos, selten für ein so modernes Spiel das sonst auf Niklas PC eher dahinruckelte, aber Allan verlor trotzdem das Interesse. Er fische ohne genau hinzusehen ein Buch aus einem Stapel neben Niklas Schreibtisch. Es waren all jene die er neulich beim aufräumen fand, jedoch nie gelesen hatte.
„Wer ist E.E Cummings?“ fragte er und schlug 'Der große Kampf der Toby Jane' auf.
„Weiß auch nicht. Gehörte meiner Schwester.“ Niklas dachte kurz nach.
„Ich glaube so eine Art Enid Blyton für ältere. Starke Frauen und so. Mädchen machen wichtige Arbeit weil Jungen verhindert sind oder ihnen Kopf ganz woanders haben.“
Allan überflog die Seiten mit einer Geschwindigkeit an der selbst Niklas schnelle Lesekünste nicht herankamen, auch wenn sich der große Junge eine Stunde später nicht mehr daran erinnern würde was er eigentlich gelesen hatte.
„Naja...“ sagte er schließlich.
Und damit hatte es sich für die nächsten zwei Stunden. Allan blätterte, überflog, las den ein oder anderen Teil der ihm interessant erschien genauer, hielt seinen Geist beschäftigt.
Niklas ließ seine Spielfigur durch Ruinen schleichen und mit geübter Präzision Kugeln verteilen.
Er sah und hatte nie irgendetwas falsches daran gesehen sich in digitalen Welten zu bewegen. Er war am Computer aufgewachsen, unter den strengen Drohungen von Verboten und Zeitlimits hatte er sich Jahr für Jahr mehr Wissen über die wunderlichen Eigenheiten von Computern angeeignet. So logisch und gleichzeitig völlig außerhalb der Reichweite vom Menschenverstand...
Irgendwann legte Allan das Buch weg und kehrte somit in die Welt der Ansprechbaren zurück.
„Wie war es?“ fragte Niklas und beendete das Spiel, nachdem er zum achten Mal an der selben Stelle erledigt worden war.
„Sehr ereignislos. Story bewegt sich, der Stil bleibt gleich, es passiert nicht so viel“
„Viele starke Frauen?“
„Naja“
Und damit hatte es sich; erneut.
Niklas lehnte sich in seinem Sessel zurück und starrte an die Wand. In einer anderen Ecke des Zimmers summte der PC in standby beruhigend regelmäßig vor sich hin.
Die letzten zwei Stunden bewegten sich vor seinen Augen hin und her. Sie hatten schon wieder diskutiert, er und Allan, wie so oft nachdem das gemeinsame Spielen am Computer seinen Reiz für heute verloren hatte.
Die genauen Details verschwammen vor seinen Augen als er versuchte sich zu erinnern, aber der Eindruck blieb, der Eindruck das Allan sehr viel cleverer war als alle dachten und er manchmal in der Lage war Dinge zu erkennen an die selbst er, Niklas, nicht herankam.
Mit einem Ausdruck von Bitterkeit dachte er daran, dass dem Freund auch gar keine andere Wahl blieb als tief in seinem Kopf nach möglichen Antworten zu suchen. Was blieb zu tun, wenn man in einer „Korrekturanstalt“ leben musste, umgeben von Typen die nur Wert auf Drogen oder Gewalt legten.
Er schüttelte den Kopf. Er wollt nicht darüber nachdenken, über Allans Philosophie der ewigen Unsicherheit, der totalen Abhängigkeit von unserem Gehirn und der gläsernen Fragilität der menschlichen Seele wie Niklas sie verstand.
Ruckartig stand er auf und ging in seinem Zimmer umher. Seine Augen fanden ein Bild das Allan ihm einmal geschickt hatte, während er in dieser Anstalt fest saß. Fast wie ein Brief von der Front.
Es war das Porträts einer jungen Frau, die ganz versunken in dem Schmerz den sie Empfand in die Leere, am Betrachter vorbei, schaute. Darunter stand einfach nur „Trauer“.
Er schüttelte den Kopf. Zeit für Tee, nicht für Trauer, fand er.
Sarah saß auf ihrem Bett, die Arme um die Knie geschlungen und starrte missmutig vor sich hin. Der Schirm des Laptops neben ihr war blank, das Zimmer dunkel. Nur gelegentlich war eine blinkende Diode etwas Licht auf sie. Es wäre ihr lieber gewesen wenn es Mondlicht gewesen wäre, aber es war viel zu bewölkt.
Der Tag warf nicht gut verlaufen. Tobias hatte sie, nachdem sie fast beschämt über den vorangegangenen Abend berichtet hatte, nach Hause gebracht, wo ihre große Schwester, gesegnet mit dem undankbaren Namen Florentine, nur ein wissendes Lächeln für sie übrig hatte und sie dem am Nachmittag folgendem Donnerwetter der Eltern überließ. Soviel zu schwesterlichem Zusammenhalt. Sisters make sorrow. Wer hatte das gesagt? Egal...
Four numbers staring back at me... displaying the mediocrity of my presence... I'm wasting my day watching them change... the sun with it's blue sky outside... shining down on all you happy people... I'm wasting my day waiting for rain...
sang sie leise, nur für sich. Ihre hohe,eigentlich klare Stimme klang gepresst. Sie ließ ihre Knie los, ließ sich zur Seite fallen und starrte auf die Plastikverkleidung des Laptops direkt neben ihrem Gesicht.
Sie fühlte das sie etwas mehr tun sollte, nicht bloß jetzt, morgen, übermorgen und das schon viel mehr hätte tun sollen. Aber es fiel ihr so schwer. Sie hatte sich fast gefreut als ihr Traum unerreichbar schien, endlich wieder frei sein, das hatte sie sich gewünscht, frei sein von dieser Anziehung, so gleichsam kindlich und erwachsen. Doch dann auf einmal schien es wieder greifbar, nahe, doch sie fühlte sich unfähig zu handeln, von einem Teil ihrer Selbst dazu verdammt untätig zu sein.
Es hatte dem Abend gestern eine bittere Süße gegeben und sie lächelte fast. Es war so typisch, so Klischee... doch wenn man Klischees selber ausleben konnte, dann schienen sie weniger furchtbar, fast schon schön. Und wo wir schon bei Klischees waren...
sie schloss ihr großes Kissen in die Arme und schloss die Augen, gab sich einem Traumbild hin. Nicht so schön wie im Licht des Mondes zu sitzen, aber immerhin. Einmal noch grinste sie über sich selbst, bevor der Wachtraum zu Schlaf wurde.
[Hekate]:
Hast du mit der Kleinen gesprochen?
[Lia]:
Sie war nicht online und um diese Zeit wird sie auch nicht mehr kommen.
[Hekate]:
Du hättest sie anrufen können.
[Lia]:
Allan war da, ich fand das wär' unhöflich gewesen.
[Hekate]:
Du hast komische Prioritäten ^^
[Lia]:
Das sagt die richtige. Du kümmerst dich auch eher um Gäste.
[Hekate]:
Das heißt nicht dass das gut ist
[Lia]:
Nein, aber es untergräbt deine moralische Autorität ^^
[Hekate]:
Ich habe welche?
[Lia]:
Manchmal
[Hekate]:
... ich mache irgendwas falsch
[Lia]:
Selbst Kinder sehen zu dir auf
[Hekate]:
Aber nicht weil ich ein guter Mensch bin, sondern weil ich Sprungkicks machen kann Bretter zerschlage
[Lia]:
Auch eine Form von Autorität, wenn auch keine moralische
[Hekate]:
grins
point
Das Gespräch ging recht unbeschwert weiter. Carla bot einen gewissen Halt, einen gleichsam unsicheren und festen zugleich. Hinter ihren Pseudonymen im ICQ verborgen gab es für Carla und ihn eigentlich keine Barrieren mehr, sie konnten sich all das sagen was sie normalerweise in sich verschlossen, selbst wenn sie sich gegenüberstanden. Ihre Freundschaft war erst hier, hinter kalten Bildschirmen entstanden und gewachsen, bevor sie sich einmal trafen, die gleiche Schule besuchten.
Als sie sich verabschiedet hatten ging auch Niklas zu Bett.
Umfangen in der Dunkelheit rutschte er bald in die Schwebe zwischen Wach und Schlaf, verlor sich dann gänzlich.
Sie kamen sich wie ein Schwarm hässlicher Raubvögel. Wie sie da zu sechst auf der Mauer saßen und die vereinzelten Menschen, manchmal auch Massen daran, beobachteten. Früher, als die Eltern der meisten in die Stadt gezogen waren, gab es hier kleine Läden und eine handvoll von Kaufhäusern. Seltsam eigentlich, das die kleinen eher überlebten als die großen. Nun waren fast alle Kaufhäuser im Schatten der großen Arkaden eingegangen und nur die sehr spezialisierten Kleinen hielten sich tapfer.
Als Gruppe mieden sie das große Zentrum. Es trieben sich dort andere, größere Gruppen herum und auch wenn sich zumindest einige zu wehren verstanden, war es die Schererei die es unausweichlich mit sich brachte einfach nicht wert.
Tobias, für den Nachmittag frei von Seminar, Nebenjob und Hausaufgaben, massierte Carla. Sie war wieder mürrisch und streitlustig, weil sie Muskelkater hatte. Kleine Kinder zu trainieren strengte sie mehr an als nur sich selbst und auch ihre fließend eingeübten Aufwärmübungen halfen da wenig.
Alex und Alex hielten Ausgaben der aktuellen Schullektüre in den Händen, schritten dramatisch auf dem Rasen hinter Mauer umher.
„Ich will euch was sagen, Genossen, das Weib ist von teuflischem Geblüt!“ deklamierte der eine.
„Doch sicherlich keine Braut des Kapitals?“
fragte der andere zurück. Alex sah schockiert aus.
„Nein, Genosse, wie kannst du nur sowas sagen? Nicht bloß ihre Wangen sind rot, sondern auch ihre Seele!“
Niklas rollte mit den Augen und drehte sich zu den beiden um.
„Ihr Blut wahrscheinlich auch. Das steht da aber nicht, oder?“
Die beiden grinsten.
„Ne, das wär' zu gut für dieses Buch!“
Niklas hob die Brauen.
„Kein Enthusiasmus für glorreiche Revolutionsliteratur, Genosse Yanow? Passen sie nur gut auf!“
Er verkniff sich einen Spruch über den KGB. Er fühlte sich nicht in der Stimmung dafür. Schuldig fühlte er sich. Nicht aus dem selben Grund wie am Tag zuvor. Etwas anderes hatte ihn am Morgen getroffen und war über den Verlauf des Tages gewachsen.
Er vermisste Sarah. Nicht Isa. Er hätte sich zurückziehen sollen und genau auszupendeln was er jetzt eigentlich wollte, sagte er sich, nicht zu den anderen gehen sollen. Aber warum? Wieso hätte das besser sein sollen?
Er machte sich weiterhin Sorgen um Isa, aber er fühlte nicht mehr dieses innere Ziehen nach ihr, ihrer Nähe.
Er vermisste Sarah.
„Wo ist eigentlich Sarah?“ fragte Carla. Einmal mehr zog Niklas in Betracht das Frauen tatsächlich eine Art Gespür hatten genau solche Fragen zu stellen.
„Hab' sie seit Gestern Morgen nicht gesehen“
„Du hast nicht nach ihr gesehen, in der Pause?“
„Gibt es auch irgendwen der mir das nicht unter die Nase reibt?“
„Deine Schwester“
„Sie würde, wenn sie das wüsste“
„Auch wieder wahr“
Beide sanken wieder zurück, er in seine Nachdenklichkeit, sie in die halb angenehme, halb schmerzvolle Welt einer Massage.
Sie kannte Tobias am längsten von allen hier und erhob deshalb keine Einwände dagegen von ihm massiert zu werden. Es war ein tiefer Ausdruck von Vertrauen.
Niklas sah durch die Runde. Anne saß etwas weiter weg auf der Mauer und starrte missmutig auf das Display ihres Handys.
„Schlechte Nachrichten vom Freund?“
„Was?“
Sie sah auf, als hätte man sie bei irgendwas verbotenem erwischt.
„Ja. Ja. Genau.“
Niklas hob die Augenbrauen. Süße Skepsis... er machte sich nicht die Mühe gegen den Verdacht anzukämpfen. Sie hatte dann wohl eine Nachricht von Isa erhalten.
Er starrte auf die andere Seite der Straße. Man konnte deutlich sehen wie die Leuchtbuchstaben der Elektromarktkette von Wind und Wetter mehr und mehr geschleift wurden. Elend, gebleicht und dreckig. Und trotzdem Heim für so viele Vögel und andere Viecher. Er grinste bei dem Gedanken. Miniaturstadt? Vielleicht, schließlich ist die auch ausgewaschen und verdreckt und beheimatet uns.. aber im Gegensatz zu den Tauben da drüben versuchen wir sie im Stand zu halten. Die können es nicht. Die sterben irgendwann einfach und dann können sie nur hoffen das irgend so ein kranker Musiker kommt und sie fürs Artwork eines Albums benutzt. Was für ein Schicksal im Tode...
Benutzt eigentlich jemand Menschliche Leichen für Albumcover? Und wenn ja, ist d das eine Straftat? Schön versuchst du dich abzulenken...
Er ließ sich von der Mauer herab, stupste Carla im Vorbeigehen an.
„Bis Morgen“ sagte er, an alle gewandt. Keiner sagte was. Sie kannten das.
One step, one glimpse of an eye...
One moment can change everything...
Wait here 'til my words spread across the sky...
Sarah saß an ihrem Schreibtisch über die Kleinigkeiten gebeugt die ihr die Schule jeden Tag aufzwang. Von Sinn oder gar Lerneffekt war dabei kaum die reden, schien ihr.
Sie sah genervt auf. Ein Geräusch? Höchstens ihre Gedanken. Trotzdem blickte sie sich um. Zimmer sah so aus wie es sein sollte, bis auf ihre Spiegelung in der Scheibe der Balkontür. Spieglein... Spieglein, ich weiß wer und wo du bist! Mit Sorgfalt zog sie einen Ordner aus dem Regal neben ihrem Schreibtisch, der genauso aussah wie alle anderen dort. Sie blätterte durch, in Gedanken noch halb bei ihrer eigenen Reflektion, klein, mit müden Augen und unter ungekämmten Haaren hervorschauend. Und, wie sie an der aufkommenden Wärme spürte, rot im Gesicht.
Kleines Kind, sagte sie sich selbst, blätterst dadurch wie ein Mädchen in einem Film, weil es ja so tröstend ist. Eine weiterer Gedanke war, dass das doch gar keine Rolle spielte da sieh ja niemand dabei sei und ein dritter warf hinzu, dass es keinesfalls tröstlich war. Eher schmerzlich heilend, bittersüß.
Bittersüß. Bittersweet. Noch mehr Klischees, junge Dame, und es gibt Ärger. Sie sah erneut auf. Diesmal jedoch ein Geräusch. Hell; ging richtig ins Ohr. Sie blinzelte einmal, zweimal.
Natürlich, ihr Handy... sie brauchte einige Sekunden um sich daran zu erinnern wo das elende Stück Trendelektronik überhaupt lag, fand es, griff danach und warf einen Blick auf das Display. Es zeigte ganz einfach N.
Die Gewohnheit übernahm.
„Hi“ sie ließ sich aufs Bett fallen und ließ den Blick unruhig über ihre Zimmerdecke wandern.
„Na du“ Niklas Stimme klang, wie bei den Meisten, seltsam verzerrt. Nicht wirklich komisch, nur ungewohnt.
„Was verschafft mir die Ehre?“
„Länger als 12 Stunden lang kein Lebenszeichen von sich zu geben“
Es klang halb vorwurfsvoll, halb spielerisch. Sarah grinste.
„Ich wollte nur sehen ob du wirklich so interessiert bist“
Es war fast schon grausam, aber es machte Spaß Niklas eine Antwort zu geben mit der er nicht rechnete. Er schwieg eine Weile, bis sie leise lachte.
„Du weißt doch, ich werde von deiner Mutter bezahlt um auf dich aufzupassen und ich nehme für Geld meine Pflicht sehr ernst“
Sarah rollte mit den Augen. Das konnte sich jetzt eine Weile hinziehen. Es zog sich immer hin.
Endlose Aneinanderreihungen von halbwahren Antworten, Schlagabtausch. Und niemals sagte sie was sie sagen wollte, oftmals weil sie sich doch gar nicht im klaren darüber war was das eigentlich war. Manchmal hoffte sie das es ihm auch so ging, aber irgendwie zweifelte sie daran.
„Hast du etwas von Isa gehört?“ fragte sie. Noch während die Laute über ihre Lippen kamen hatte sie das Bedürfnis sich auf die Zunge zu beißen. Was sollte das denn? Schon, sie machte sich ja auch Sorgen, wie alle anderen auch...
„Anne weiß wohl etwas, aber sie schweigt“ sagte Niklas. Sarah drehte sich tiefer in ihr Kopfkissen als er sich über das Thema ausließ. Machmal war es einfach nur anstrengend ihm zuzuhören Vor allem weil sie den Drang verspürte ihn, stünde er vor ihr, an den Schultern zu nehmen und ihn kräftig durchzuschütteln damit die Welt in seinem Kopf vielleicht etwas mehr in Ordnung geriet.
Haha, kicherten ihre Gedanken, das sagt die Richtige.
Niklas saß im Schatten eines Hauseingangs und sprach leise aber eingehend.
Ihm schlug sein verdammtes Herz als hätte es etwas gegen ihn und er hielt sich mit der freien Hand den Brustkorb.
„Und letztlich ist es doch wieder meine Schuld“
Schuld, das ist alles worüber du mit ihr reden kannst, nicht wahr? Steckst gerne in der Vergangenheit weil du nicht abschätzen willst wie die Zukunft ist und weil du gerne blind bist wie ein Maulwurf. Sei doch erwachsen, das bist du doch fast. Es ist doch ganz leicht.
Er zwang sich Sarahs Antwort zuzuhören. Er kannte sie, er hätte sie sich selber geben können, zusammen mit einer Ohrfeige oder einem Fußtritt.
Aber es half wenig.
„Ich hab' dich auch lieb“ war das letzte was er sagte, bevor er auflegte, sein Handy wegsteckte und sich wieder auf den Weg machte. Es wurde so nie etwas.
Ein paar Kilometer weiter weg drehte sich Sarah zur Seite und starrte einige Zeit an die Wand, bevor sie aufstand und weiterarbeitete.
Wait here 'til my words spread across the sky...
Nur für wie lange noch?