Topic für Kurzgeschichten

Lisra

Schmusekater
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06.02.2004
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So... da war ich auch mal wieder aktiv, für einen Wettbewerb über Burgen und Horror. Viel Vergnügen.

Erlösung

Selbstverständlich erinnere ich mich noch an das erste Mal, als ich die alte Ordensburg am Horizont erblickte. Rotbraun, fast rostfarben stand sie auf dem einzigen Hügel in dieser flachen Landschaft. Sie lag schwer auf der Erhebung, als wäre sie auf Lehmboden gebaut und würde immer weiter in den Morast sinken. Aus den schwindenden Wäldern, die Holz für all ihre Kamine lieferten, liefen vielleicht ein Dutzend Wege auf sie zu. Karren mit Waren für den Markt strömten auf sie zu, leere rollten von ihr weg. Männer zu Pferde mit Bannern und Lanzen griffbereit ritten uns immer wieder entgegen. Alles in dieser entlegenen Ecke des Reichs sammelte sich um die Burg und jeder Bauer blickte zu ihr für Sold und Schutz, ganz wie es sein sollte. Ich konnte nicht widerstehen, mich wieder ein kleiner Junge zu fühlen. Für einen Moment vergaß ich, dass es einen Grund für unser Kommen gab.


Die roten Mauern ragten vielleicht sechs Meter empor und wirkten sehr breit. Scharten und kleinere Türme zeigten sich in geregelten Abständen und überall war geschäftiges Treiben. Banner mit dem schwarzen Kreuz des Ordens hingen für alle sichtbar aus. Unter den wachsamen Augen Bewaffneter passierten wir zwei Torhäuser. Etwas jedoch fiel mir sofort ins Auge: Anders als in den Burgen, in denen ich bisher gedient und mein Tagwerk erlernt hatte, gab es keinen Bergfried. Stattdessen erinnerte mich das gesamte Innenareal mehr an ein Kloster als eine Burg, nicht nur weil ich mehr Brüder im Habit als sonst hinter solchen Mauern sah.

Unser Konvoi wurde freudig empfangen. Anstatt eines pompösen Hausvogtes, mit deren Sorte ich schon Bekanntschaft gemacht hatte, trat uns einer der Mönche entgegen. Wie viele seiner Art war er untersetzt und breit, gezeichnet von einem Leben, in dem die harte Arbeit von Novizen gemacht wurde. Trotzdem gab er freundliche, bestimmte Anweisungen wo wir und unsere Mitbringsel zu verwahren seien. Ich sah keine Furcht in den Augen der Klosterbrüder. Die Ruhe, mit der sie ihrem Werk nachgingen, verunsicherte und beruhigte mich zugleich.


So lebte man sich ein. Wir erkundeten in freien Momenten die Burg und ihre Ländereien, doch befassten uns die meiste Zeit hinweg mit der dankbaren Aufgabe, alle freien Bauern und das bewaffnete Fußvolk zu unterrichten. Noch einige Tage vor unserer Ankunft hatten wir zum Tross des Grafen gehört, auf dem Weg in den Krieg. Doch die schiere Zahl der Feinde machte es nötig so viel kampfbereite Männer wie möglich zu haben. Es war harte, aber notwendige Arbeit und wir erfreuten uns daran, unseren Teil zu tun, bevor es zur Schlacht kam. Niemand, außer den Verrückten, sehnte Kampf und Tod herbei. Die Burg stiftete mit ihrer schieren Masse Ruhe. Sicher, jede Festung ließ sich aushungern und irgendwann bezwingen, aber trotzdem versprach sie ebenso Sicherheit, wie es unser Wappen tat. Obwohl ich auch andere Banner sah, bestickt mit Drachen von ein oder auch zwei Köpfen. Vielleicht waren sie dem heiligen Georg gewidmet, schließlich trug der Kirchenvater hier ebenso seinen Namen.


Die Leiden begannen eine Woche später. Nur wir Ritter waren im Refektorium der Mönche versammelt. Ein Mann stürzte herein, die Kleidung in Fetzen und voller Blut. Vor dem hohen Tisch sank er auf die Knie und sprach die schweren Worte: „Die Schlacht ging verloren. Der Graf ist tot!“


An diesem Abend trafen wir alle in der Kapelle zusammen. Seit meiner zaghaften Erkundung am ersten Tag war ich nicht mehr dort gewesen. Jede verfügbare Kerze schien herbeigeholt worden zu sein. Zwei Reihen von ihnen bildeten einen Gang durch das Kirchenschiff. Vielleicht ein Dutzend säumten die Alkoven und zahlreiche umringten den Altar, sodass trotz der Dunkelheit des Abends alles in gespenstische Halbschatten getaucht war. Irgendwo über uns befanden sich all die Verzierungen und Fenster. Jetzt waren nur noch die groben,verzerrten Umrisse zu erkennen. Jeder fand seinen Platz. Wir Ordensbrüder, auf deren Waffenröcken das Kerzenlicht widerleuchtete. Die Klosterbrüder, die in ihren schwarzen Habiten fast im Kerzenschein untergingen.Sie trugen die Kapuze oben, sodass statt ihrer Gesichter nur Schatten zu erkennen waren. Für einen Augenblick bedauerte ich, mein Haupt nicht auch bedecken zu können. Dies war ein Moment, der nach jedem Zeichen von Demut verlangte. Die Klosterschwestern, schwarz-weiß und genau so bedeckt und formlos wie ihre Brüder. Vereinzelte Bewohner der Ordensburg bildeten den Rest der Versammlung. Alle schwiegen. Nachdem die letzten Schritte verhallt waren, blieb es still. Vater Gregor trat vor den Altar. Trotz des kargen Lichts war zu erkennen, dass er sein weißes Gewand gegen ein anderes getauscht haben musste.


„Brüder, Schwestern..“ sprach er. Ich hätte ein Raunen erwartet, weil er vom üblichen Latein abwich.Vielleicht war es hier Gang und Gebe? Seine Stimme war laut und fest.


„Der Graf liegt besiegt auf dem Feld. Raben picken seine sterblichen Hülle. Der Herr hat ihn zurück zu sich gerufen und ihn doch scheitern lassen. Warum? Während wir uns hier versammelt haben, ziehen sie bereits weiter. Sie sind Hass, Dunkelheit und Verzweiflung.“


Ich fühlte eine Gänsehaut auf meinen Armen. Der Pater war ein geschulter Redner.
„Sie sind angewidert von alledem, was wir verehren. Sie ziehen über die Gräber unserer Ahnen und die Felder, die uns ernähren. Sie schleifen die Mauern, die uns schützen und verachten die Gesetze, die uns binden.“


Er hielt kurz inne.Jeder konnte sehen, wie seine Fäuste sich ballten.


„Und jetzt haben sie den Herrn dieser Lande erschlagen. Er trug ihnen Kreuz und Stern entgegen und sie ließen nur Splitter und gebrochene Körper zurück.“


„Schande!“ rief jemand. Alle Köpfe drehten sich schlagartig,doch wer auch immer gesprochen hatte, war bereits wieder in der dunklen Masse untergegangen. Vater Gregor blieb ganz ruhig.


„Schande … ja … “ fuhr er leiser fort. „Es ist eine Schande. Unsere Schade! Die Schande dafür, dass wir vergaßen!“


Seine Stimme gewann wieder an Feuer.


„Wir haben vergessen, was uns früher zu Siegen über die Eindringlinge verhalf. Wir haben vergessen, was unseren Armen Kraft gibt und unsere Schilde stärkt. Wir haben vergessen, welches Erbe hier in uns ruht.“


Der Vorsteher atmete schwer. Seine letzten Worte waren ein Flüstern.


„Nie mehr!“


Er sank auf die Knie und hob seine Arme empor. Aus der ersten Reihe erhob sich einer der Klosterbrüder und begann zu singen.


Meine Augen weiteten sich. Welches Lied, in unserer vulgären Sprache, hörte ich da nur?Alle schwarz berobten Brüder erhoben sich ebenfalls und stimmten mit ein:


„Er liebkose mich mit den Trank seiner Lippen
gib mir mehr als nur deine Worte
geb mir mehr als den Duft guter Öle
in denen sich dein Name verbirgt
unter dem Geflüster der Mädchen“​

Das Hohelied Salomons? Nein … anders. Dann verstummten die Mönche und die versammelten Nonnen sangen stehend, wie zur Antwort:

„Ziehe mich in deinen Bann
Bringst du uns, König der Könige in dein Gemach
erheben wir alle die Stimme vor Glück
gib uns von deinem Wein und deinen Worten:
Unsere Verehrung ist geradeaus.
Anmutig und Schwarz wir sind
die Töchter Jerusalems
die Zierden deines Tempels, die Gehänge des Königs
doch verberge für Andere
dass ich eine Geschwärzte bin
auf dass mich die Sonne nicht senge
und meine Brüder nicht mit mir brennen
denn wir sind die Hüter deiner Flügel
und hüten unsre eigenen Flügel nicht
sondern spreizen sie für unsre Brüder“​

Die Gänsehaut blieb auf meinen Armen. Trotz der Kälte in der Kirche, spürte ich Schweiß auf meinem Rücken. Natürlich hatte ich Frauen schon singen gehört. Aber hier, in der Dunkelheit und in Gottes Gegenwart hatte es etwas... verstörendes. Es gab auch immer wieder Bewegung in der dunklen Masse der Sänger und Sängerinnen, aber was sie taten war nicht zu erkennen. Die Stimmen schwankten und brachen, völlig anders die Choräle, die sonst durch diesen Raum hallten. Die nächste Strophe trugen alle zusammen.

„Er gebe mir Halt und mehr als Worte
mehr als den Duft der Öle und Glanz
tiefer als dass Gold der Prinzen
die Stärke dass Schwert zu fassen
zu heben gegen den Vater der Lügen“

Bevor wieder die Mönche allein den Gesang damit beendeten:

Ziehe mich in deinen Bann
Bringst du uns, König der Könige, an dein Herz
erheben wir alle die Stimme vor Glück
Gib uns Wein und mehr als Worte
für unsre Verehrung aufrecht;
deiner anmutigen Schwärze
und die Töchter Jerusalems
hänge sie zwischen uns, Zierden des Tempels
lass sie nicht verbergen
dass sie Geschwärzte sind
und wir unter der Sonne
sie teilen als Brüder
denn dein sind ihre Flügel
sonst stets wachsam verborgen
doch für uns Brüder gespreizt“​

Die ganze Zeit hielt Pater Gregor seine Arme empor. Immer neue Lieder wurden gesungen, alle in der gemeinen Sprache der Bauern und Knechte. Pater Gregor erhob sich wieder und predigte, von Feuer und von Stahl. Er wusch sich die Hände mit Wein und Öl, segnete die Krone des toten Grafen mit dem Blut eines Heiligen und beschwor den nahen Kampf.

„Ein Stern brachte Männer einst zum Heiland, ein Stern wird uns zum Sieg führen. Bringt das alte Banner hervor und findet mein Schwert. Bald wird es soweit sein!“

Es ging immer weiter. Ich kann nicht sagen nach wie viel Stunden wir in unsere Schlafstätten zurückfielen, oder welche der Bilder von Klingen, nackter Haut und Schreien nur aus meinen Alpträumen kamen.



Am Morgen kam Hauptmann Karl zu mir. „Martin“, sagte er „ich habe dich ausgewählt, mich zu begleiten.“

„Begleiten, Herr? Wohin?“ Die Morgenmesse der Mönche konnte kaum vorüber sein. Was gab es jetzt schon zu tun?

„In die Katakomben der Burg. Du hast Bruder Georg gehört, oder? Wir werden das alte Banner der Ordensburg holen, sowie sein Schwert.“

„Ich verstehe nicht. Ist das so schwer?“

„Komm. Zieh deinen Waffenrock an und gurte dich fest. Ich erzähle es dir auf dem Weg.“

Noch immer perplex folgte ich ihm so schnell ich konnte, während ich Dolch und Parierschwert in meinem Gürteln verstaute.

„Der Ordnen kam vor vierzig Jahren in diese Gegend.“ fuhr der Hauptmann fort, als er mich aus den Schlafsälen zur zentralen Kirche führte. „Doch diese Burg ist um einiges älter. Hier und da sieht man es noch in der Außenmauer und den Türmen.“

„Und?“

„Pater Gregor ist ein Priester, kein Mann des Schwertes. Das war einmal anders.“

„Er ist eigentlich ein Ordensbruder?“

„Ja. Einst kämpfte er im heiligen Land. Als die Schlachten dort verloren gingen, legte er das Schwert ab.“

„Und er kam hierher, um mehr Ruhe zu finden? Die slawischen Heiden sind doch kaum friedlicher als die Seldschuken.“

Hauptmann Karl würgte meine Fragen mit einer Handbewegung ab.

„Frag den Pater im Zweifel selbst; und jetzt komm.“

Wir hatten die Kirche erreicht. Ihre vorzüglich gemeißelten Steine glänzten im Licht der Morgensonne und die roten Schindeln schienen zu lodern. Der Hauptmann führte mich einmal um das Gebäude herum, zum Eingang der Sakristei. Malthus, der Küster und zwei Gehilfen warteten bereits. Einer von ihnen hielt eine Fackel in der Hand, so dick wie mein rechter Arm und schwer mit geteertem Tuch umwickelt.

„Seid ihr zwei Brüder gekommen, um Banner und Schwert zu bergen?“ fragte Malthus, die Stimme ausgesprochen ernst.

„Jawohl, Vater.“ sagte Karl und beugte den Kopf kurz. Überrascht tat ich es ihm nach. Wieso diese Förmlichkeiten? Der Küster schlug ein Kreuz in die Luft und murmelte irgendwas auf Latein. Karl zog einen schweren Lederhandschuh über, bevor ihm ein Handlanger die Fackel reichte. Der Hauptmann wandte sich zu mir um.

„Martin, wann hast du das letzte Mal zum Herrn gebetet?“ Die Frage kam mir eigenartig vor.

„Gestern Nacht, mit allen zusammen, Herr.“ sagte ich.

„Vielleicht ist es Zeit für noch eins.“ Er zögerte. „Oder mehrere. Halt ein Gebet in deinem Herzen, während wir hinab steigen.“ Malthus war noch einmal zu uns gekommen. Er hielt einen Kelch in der Hand. Er bot ihn uns beiden an und ich nahm einen tiefen Schluck, war ich doch gerade erst erwacht. Karl winkte ab. „Bereit?“ fragte er.


Wir wurden in den rückwärtigen Bereich der Kirche geführt, vorbei an spärlichen Räumlichkeiten, in denen die lokalen Vorsteher lebten und hinter Schloss und Riegel die Reliquie verwahrten. Vor einer schweren Tür blieben wir stehen, während einer der Gehilfen sie aufschloss. Drei von uns waren nötig,um den Riegel zu heben. Schließlich entzündeten wir die Fackel. Erneut verbeugten sich der Küster und seine Helfer und wir wiederholten diese so unnötige Geste. Hauptmann Karl warf mir noch einen Blick zu, dann ging er voraus, den Fackel vorsichtig von sich gestreckt.

Wir gingen zunächst eine Wendeltreppe hinab, die zwar wenig benutzt, aber noch gut in Stand wirkte. Dreck und Staub hatten sich breit gemacht, doch die Luft wirkte nicht schlimmer als jeder Keller und alle paar Meter konnten wir in Pech getränkte Hölzer entzünden, die tief in steinernen Nischen platziert waren. Doch die Treppe ging immer weiter. Stein wich purem Fels und die Nischen verschwanden. Nach einiger Zeit – wie tief mochten wir jetzt gewesen sein? - wurden ihre Stufen wurden immer grober und die Decke tiefer. Die Luft wurde schwerer und lebloser, wie ich es in den leeren Grüften von Damaskus erlebt hatte. Die Stufen hatten aufgehört und es ging schachtartig geradeaus. Plötzlich blieb Hauptmann Karl stehen.

„Schau“ sagte er und leuchtete mit der Fackel zur Wand neben sich. Jemand, etwas, hatte den grauen Fels mit dunkler Farbe markiert. Zwei sich kreuzende Linien, fast wie unser heiliges Kreuz, doch mit zwei Ovalen links und rechts vom Querbalken, wie lauernde Augen in der Dunkelheit.

„Es ist das Zeichen, dass wir wachsam sind.“

„Hauptmann, was geht hier vor sich? Wo sind wir?“

„Wir sind erst den Hügel hinab und dann unter Tage gelaufen. Ich bin nicht sicher, wo wir jetzt sind.“

Bevor ich antworten konnte, war er schon weiter gegangen. Ein Wechsel in der Luft sagte mir, dass wir einen größeren Raum betreten hatten. Nein, dachte ich, als ich den rauhen Boden bedachte. Kein Raum, eine Höhle. Auch der Geruch von Staub, Verwesung und Erdreich war einem feuchterem, drückenderem gewichen.

Ich sah den Umriss von Hauptmann Karl vor mir. Hörte ihn murmeln, dass irgendwo hier etwas sein musste. Dann stieß er einen Stoßseufzer aus. Plötzlich loderte eine Stichflamme auf und ich wich zurück, die Hand auf meinem Schwert.

„Großer Gott, Karl, was war das?

„Ganz ruhig, Martin … es ist nur eine Feuergrube. Vater Georg hat mir geraten, nach ihr zu suchen.“

Er wandte sich zu mir um, das Gesicht rußig und verzerrt von den tanzenden Schatten.

„Jetzt müssen wir es nur noch suchen. Es ist hier irgendwo.“

Der unglaubliche Wahnsinn, zwei vergängliche Gegenstände hier zu verstecken, schien ihn nicht zu stören. „Leitet den Weg“, sagte ich resigniert.

Es dauerte nicht lange zu finden, was wir gesucht haben mussten. Mein Atem stockte mir in der Brust, als jede der kleinen Fackeln, die Karl entzündete, mehr von der Abscheulichkeit preisgab. Auf einem Altar von groben Sandstein, verziert nur mit den gröbsten Schlitzen und Furchen und nur bedeckt von einem Banner mit dem Emblem eines Drachen, ruhte ein Schwert. Meine Hand griff nach dem an meinem Gürtel. Hinter dem Altar ragte eine Statue empor. Nein, nicht eine, zwei. Die erste zeigte eindeutig einen Jüngling, wie er einen Stier die Kehle aufschlitzte Doch jemand hatte mit unglaublicher Kraft Teile der Statue zerbrochen. Über dieser Darstellung von Opfer und Tod, thronte das Ebenbild eines stehenden Mannes. Die linke Hand ausgestreckt und filigran, feiner als jede Statue, die ich je gesehen hatte. Jeder Muskel des Arms war sorgsam geformt. Gleichsam war jedes andere Detail; die vier Augen, der klaffende Mund mit den dutzenden Zähnen, die Haare aus Schlangenköpfen und die klaffende Wunde am Bauch.

Ich fand keine Worte, nur einen kehligen Laut der Abscheu, als ich mein Schwert zog um den faulen Götzen von dieser Welt zu tilgen.

Hauptmann Karls Schlag warf mich rücklings zu Boden. Mein Schwert landete in der Dunkelheit. Bevor ich verstand was geschehen war, drückte mich Karl mit seinem ganzen Gewicht nieder. Der schwere Handschuh drückte mir auf den Hals. Sein Gesicht war fast verloren in den Schatten.

„Du Narr! Verstehst du nicht, Martin? Dies ist unsere einzige Chance.“ Er zog mich an den Ohren empor und schleuderte mich zurück auf den Höhlenboden. Unter dem Schmerz begann sich alles zu drehen.

„Christus hat uns allein gelassen. Er ist zurück zum Vater und hat uns hier auf Erden zurück gelassen! Vom Osten und vom Süden her drängen die Mohammedaner, Heiden, selbst die völlig gottlosen Reiter auf uns ein. Und Christus lässt uns zurück.“

Er schrie wie ein wehleidiges Kind.

„Unser Vater kümmert sich nicht um uns!“ Mit einem Mal ließ er von mir ab und zog mich etwas hoch. Sein Gesicht war ganz nahe an meinem.

„Aber hier, hier, Martin … hier liegt unsere Hoffnung. Wie einst im heiligen Land hat sich Vater Georg einen Weg gesucht, siegreich zu sein … unser Herrgott mag sich nicht um uns kümmern und sein Sohn uns allein gelassen haben … aber ihr Widersacher gibt uns Kraft. Der König hat den Thron verlassen und lässt das Königreich auf Erden verfallen … doch sein ehemals treuster Diener steht zum Reich und steht zu den verlassenen Kindern. Steht zu uns, verstehst du? Nur Luzifer steht zu uns und dem Erdenreich.“

Abscheu gab mir Kraft und ich schlug mit meinem Kopf aus. Wieder umfing mich Schmerz und etwas festes hielt mich auf dem Grund nieder.

Karl fuhr fort, als sei nichts geschehen, voller Inbrunst und kindlicher Freude.

„Jenseits vom rechten Pfand gibt es noch einen … den linken Pfad … den Pfad zum Sieg.“

Schritte ließen mich glauben, dass er sich von mir entfernte.

„Und du Martin … du wirst der Schlüssel zu unserem Sieg sein. Hier …“

Plötzlich war er wieder über mir. Jede Faser meines Körpers sträubte sich, doch ich konnte keinen Muskel bewegen. Trotz des spärlichen Lichts glaubte ich seine weit geöffneten Augen sehen zu können. Sie waren völlig schwarz.

Hände zwangen meinen Kiefer auseinander. Aus Karls Mund schien eine Flüssigkeit in meinen zu tropfen. Ich versuchte mich erneut zu winden, zu kämpfen, doch am Ende konnte ich nichts tun, außer zu schlucken. Ich wollte noch nicht sterben. Dunkelheit umschloss mich, ließ mich mit Karls letztem Schrei allein:

Baphometh!

Was dann geschah, ist die Frage die mich noch immer herumtreibt, obwohl Jahre ins Land gegangen sind.

Ich erinnere mich, wie ich durch rote Nebelwolken strich, durch schwarze Täler und über Gebirge aus Eis und durch Flüsse aus Feuer wanderte. Wie sich Schatten versuchten auf mich zu stürzen und ich sie alle niederrang, weil etwas mit mir war. Ich trug das schreckliche Banner auf dieser langen Reise durch Dunkelheit und Wälder aus Knochen, bis ich schließlich erwachte.


Ich erwachte im Sattel, auf einem Schlachtfeld von ungeheurem Ausmaße. Nicht weit entfernt konnte ich die Ordensburg sehen. Was war geschehen? Mein ganzer Körper schmerzte, mein Kopf pochte und mein Herz schien sich durch meine Brust drücken zu wollen. Ich griff mit einer Hand die Zügel fester, um nicht von meinem Pferd zu stürzen. Wie war ich hierher gekommen? Hunderte, nein, tausende mussten hier ihr Leben gelassen haben. Ich sah die Körper von Ordensbrüdern, ihre weißen Überwürfe blutig und zerfetzt. Bauernvolk, einfache Soldaten, Ritter jeder Art, liegend wo sie gefallen waren.

„Martin!“ rief jemand und ich fuhr herum.

„Siehe, der Sieg ist unser! Sie fliehen! Der Herr sei gepriesen!“

Es war Vater Georg. In einer blutroten Tunika, über einen Kettenpanzer geworfen und in der Hand jenes schreckliche Schwert, das ich geholt haben musste. Mein Blick fiel auf die Lanze, die ich in meiner freien Hand hielt. An ihr befestigt, zerissen, aber noch immer zu erkennen, hing das Drachenbanner.

Ich würdigte ihn und niemanden sonst eines Blickes, sondern drehte mein Pferd herum und ritt auf die Burg zu. Karl und ich mussten es geschafft, es getan haben. Aber zu welchem Preis? Was war passiert?

Ich ließ die Toten, unser Heer und die fliehenden Heiden hinter mir. Man ließ mich ohne Probleme hinein und half mir vom Pferd, doch ich ließ alles und jeden stehen und rannte so schnell mich mein gebrochener Körper ließ zur Sakristei. Mit der gepanzerten Hand pochte ich gegen die Tür, bis Malthus mir öffnete.

„Martin? Was ist geschehen? Ich hörte Jubel, haben wir gesiegt?“ Ich stieß ihn beseite. Im nu stand ich vor der Tür, die mich in den Alptraum geführt hatte. Über Malthus Rufe hinweg riss ich sie auf. Nichts als ein Abort befand sich dahinter.

Ich sank auf die Knie, alle Stärke von mir gewichen. Ich weinte und schrie und flehte zum ersten Mal zu Gott, dass er mir offenbaren möge, was geschehen war. Doch ich bekam dann, wie jedes mal über all diese Jahre hinweg, nur Stille.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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@Lisra

Ich finde das Ding immer noch gut. Nächstes Mal;).

Diese Story sollte eigentlich damit enden, dass die Hauptfigur von einem Luchadore attackiert wird, weil der (erfundene) Autor schon immer einfallslos war wenn es um Enden ging. Ich hätte dann einen fiktiven Sachtext über das Schaffen des Autors angehängt und Spaß daran gehabt mal wieder rumzublödeln. Aber dann kam mir eine Idee und ich begann Potenzial in der Geschichte zu sehen. Ob ich es wirklich ausgenutzt habe, weiß ich nicht, aber ich würde gerne denken dass ein paar der eingestreuten Witze lustiger sind als ein brüllender Luchadore.

Die Rechtschreibfee hat leider immer noch Urlaub, aber ich habe mein Bestes gegeben. Viel Spaß :).

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Philip Hammer

Die Frau in Rot

Diese Stadt … diese Stadt ist der Vorhof zur Hölle, dessen bin ich mir im Verlauf der Jahre immer sicherer geworden.
Ich meine, die in Sodom City denken dass sie echt knallharte Sünder seien, weil es bei ihnen nur Bordelle und Kasinos zu geben scheint, diese katholischen Waschlappen.
Was glauben die denn wo die ganzen Spielzeuge für diese Ladies herkommen? Von der massiven Produktion von Sätteln, Reitpeitschen und Sporen einmal abgesehen, obwohl das Ross von dem mit der Dampfseele ersetzt worden ist. Die Pornos, Titjuana Bibles und die Kopien erfolgreicher Filme machen diese Stadt endgültig zu einem Gormoha der Gier, nur dass die Sünder hier nicht bestraft sondern ein verdammt gutes Leben leben können. Die Stadtverwaltung ist so korrupt, dass die Mobster den Laden schmeißen müssen, damit hier alles nicht im Chaos versinkt. Es ist die Polizei die anstelle der Gangster blutige Bandenkriege führt, wo doch jeder von einem anderen der großen Gangsterbosse geschmiert wird.
Ja, das Leben in dieser Stadt ist hart und am Ende erliegten nur die Stärksten nicht der Korruption.
Leider gehöre ich nicht zu ihnen.
Am Tor zur Villa Purpur blicken zwei breit grinsende Wasserspeier von ihren Sockeln auf mich hinab. Fast bin ich mir sicher ein höhnisches Glitzern in ihren steinernden Augenhöhlen zu erkennen. So als ob sie ganz sicher wären, dass ich diesen Ort nie wieder verlassen würde.
Vielleicht haben sie Recht.
Ich klingele und kurz darauf öffnet mir die französische Maid das Tor.
Sie zieht mich mit ihren Blicken aus, aber das beruht auf Gegenseitigkeit.
Dasselbe Spiel mit der italienischen, der chinesischen und der rothaarigen, irischen Maid.
Was soll ich sagen? Wir Ivys hatten es halt schon immer in uns.
Aber obwohl die Auswahl im Eingangsbereich vielfältig ist, sind sie alle doch nur die Vorspeise auf das was im Salon auf mich wartet.
Wie immer trägt Madame Rouge ihre Farben.
Ihre kastanienfarbenen Haare fallen ihr offen über die Schulter, schmiegen sich an ihre apfelrote Federboa, die perfekt zu ihrem rubinroten Kleid passt, zu dem sie natürlich die hochhakigen Schuhe gleicher Farbe trägt.
Sie verzieht die scharlachfarbenen Lippen zu einem Lächeln, während Sie mit ihrer Linken ein Glas Rotwein hält.
„Gabriel Ivy, lange ist es her.“
„Hallo Scarlett.“
Ihr Lächeln wird noch breiter. Jedes andere Mal hätte es mich in den Wahnsinn getrieben und ich wäre vor ihr auf die Knie gefallen, laut verkündend alles für sie zu tun, was auch immer sie verlangte.
Doch das war vor so langer Zeit, dass es mir heute wie ein einziger in Alkohol und Opium getränkter Traum vorkommt. So surreal dass ich sogar die Existenz vor der verführerischen Gestalt vor mir infrage gestellt hätte, wenn es nicht unwiderrufliche Beweise für ihre Existenz gäbe.
Einen davon fühle ich bis heute in meinem Innersten und das Loch dass er hinterlassen hat, scheint mit jedem Tag größer zu werden. Ich hätte ihr nie diese Schrotflinte kaufen sollen. Aber ihr hatte die Farbe des Griffes gefallen. Liebe macht uns alle zu Idioten.
Sie stellt das Glas ab und faltet die Hände auf ihrem Schoss. Sie wirkt wirklich so jung, wie seit unserem ersten Treffen.
Der beste Beweis, dass ich recht habe.
„Wie geht es dir so, Gabriel?“
„Könnte besser sein. Die Geschäfte laufen nicht gerade gut.“
„Und das obwohl bald Wahlen sind?“
„Stimmt schon, aber nachdem ein paar von der Konkurrenz zerstückelt aufgefunden worden sind, hielt ich es für eine gute Idee mich für eine Weile zurückzuhalten. Trotzdem, von etwas muss der Mensch ja leben. Deswegen nahm ich einen kleinen Job, der nichts mit dem Bürgermeister zu tun hat. Der Assistent eines Konkurrenten trat an mich heran, damit ich seinen Arbeitgeber wiederfand. Vielleicht hast du von ihm gehört, der Mann aus London?“
„Nein. Nie.“
Sie ist gut. Aber ich bin besser.
„In seiner Heimat war er auf jeden Fall ne große Nummer. Ich nahm den Job also an, horchte seinen Assistenten über seine Gewohnheiten aus und begann in den richtigen Straßen zu suchen. Die meiste Zeit macht man ja nichts anderes als Leute zu befragen, aber der Londoner machte es interessanter als es ist. Viel mit verkleiden und Stimmen verstellen und in eine Rolle schlüpfen und so. Du weißt schon, Schauspielerei. Das hätte jeden sofort ins Auge fallen sollen, aber er war so ein guter Selbstdarsteller, dass niemand wirklich drauf kam. Egal, irgendwann fand ich die Bar in der er auftrat und befragte seinen Harem aus Liebhabern und Bewunderern. Das war der echte Londoner. Ein schlaues Kerlchen, aber kein Genie. Jedenfalls erzählten mir der Barmann und zwei seiner Verflossenen, dass er sie über eine bestimmte Person befragte. Einen Politiker, jemanden der schon lange Zeit dort Stammkunde war. Ein Mann, der zufälligerweise ein Bürgermeisterkandidat war und dessen Geheimnisse ihn zu Fall bringen konnten. Natürlich wollte ich gleich aufgeben, weil ich den Hinweis falsch deutete. Aber dann rief die nette, alte Lady an.
Die nette, alte Lady … sie hat die Fälle nur aus Langeweile angenommen, wenn ihr die Hintern ihrer Pfleger zu eintönig wurden. Sie mochte sie jung und knackig. Da hattet ihr was gemeinsam, denke ich.“
Sie antwortet nicht, zündet sich stattdessen eine Zigarette an. Sie nimmt die Zigarette in die rechte Hand.
Heh.
Ich mache weiter.
„Die alte Lady hatte irgendwie davon Wind bekommen, dass ich nach dem Londoner suchte und rief mich in meinem Büro an. Sie wusste über seinen Fall Bescheid, aber hatte ihn ebenfalls aufgegeben, da sie um ihr Leben fürchtete. Ich fuhr also los. Gerade noch rechtzeitig um der Explosion in meiner Wohnung zu entkommen, aber zu spät um die alte Dame vor ihrer Ermordung zu retten. Schreckliche Art zu sterben. Sie müssen sie gezwungen haben das gesamte Hühnchenskelett in einem Rutsch runterzuschlucken.
Aber sie fanden ihre Notizen nicht. Ich schon. Danach ergab die ganze Sache wesentlich mehr Sinn. Dann trat der Belgier auf die Bühne. Der miese, dicke, neurotische Belgier.
Ich weiß schon warum sogar seine Biografin irgendwann keine Lust mehr hatte sich mit ihm zu beschäftigen. Aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass er nicht mit seinen Fäusten umgehen konnte. Er schleppte mich dann in diese Schokoladenfabrik und schlug auf mich ein, stellte Fragen in diesem schrecklichen Akzent. Ich sagte nichts, weil ich auch nicht wusste was er überhaupt von mir wollte. Ich meine, in einem Moment brüllt er „geben Sie mir die Informationen!“ und im nächsten irgendwas von einem Zug in dem jeder mal zustechen durfte. Schätze mal, dass das Alter mit uns allen übel mitmischt. Jedenfalls wollte er die Geheimnisse der alten Lady, um ihren Freunden eins auszuwischen, während er mit kommunistischen Phrasen um sich drosch. Ich wollte ihn gerade wegen dieser Freunde befragen, aber dann stürmten Faschisten den Raum und befreiten mich, nur um mich dann fünf Minuten später ebenfalls zusammenzuschlagen.
Ich sagte auch diesmal nichts, denn sie gaben mir noch weniger Zeit zum sprechen. Ironischerweise erfuhr ich von ihnen vielmehr als ich wissen wollte. Von ihren Plänen für diese Stadt und dass die alte Lady eines ihrer Mitglieder war und wie sie alles tun würden, um die Menschen vor Falschheit und Perversion zu retten, blablabla.
Dann kamen plötzlich die Mobster und töteten jeden außer mir.
Hatte natürlich einen bestimmten Grund, denn ihr Boss war einer der glühensten Verehrer des Londoners. Da ich immer noch bezüglich seines Verschwindens ermittelte, ließ er mich gehen, solange ich von dem Kandidaten die Finger ließ. Ich hatte keinen Grund da Widerworte zu geben.
Der Belgier war übrigens schon lange weg. Für jemanden mit soviel Körpermasse, war er erstaunlich flink.
Ich ermittelte weiter und die Hinweise der Dame führten mich nach Chinatown.
Dort geriet ich in einen Bandenkrieg. Hässliche Geschichte, die auch nichts mit mir zu tun hatte, aber trotzdem interessant. Viele alte Geschichten und Konflikte, denen die Leute meinten entkommen zu können, wenn sie hierherkämen. Schon traurig, wenn das nie der Fall ist.“
Sie verzieht keine Miene und ab diesem Punkt enttäuscht sie mich ein wenig. Die Scarlett die ich kannte war an dieser Stelle immer schwach geworden, da es sie zu sehr an eine andere Geschichte erinnerte. Ein kleines, hungriges Mädchen aus Russland spielte darin immer eine Rolle. Wie gesagt, manchen Dingen entkam man nie.
„Der Londoner hatte sich vor zwei Tagen in einer Opiumhöhle den Rest gegeben. Ich musste den Betreiber erst durch die Mangel nehmen, ehe ich meine Antworten fand und von da an ergab alles Sinn. Tja und jetzt bin ich hier.“
„Jetzt bist du hier. Und warum?“
„Sag du es mir, Scarlett.“
Wir starren uns lange an, die Luft ist so dick, dass eine einzige Bewegung sie vielleicht in Flammen aufgehen lassen würde. Vielleicht würde ihr das gefallen. Ihr hätte das auf jeden Fall gefallen.
Sie seufzt, drückt ihre Zigarre aus. Ich mach mich bereit zur Waffe zu greifen, aber meine Vorsicht ist unnötig. Sie lehnt sich einfach zurück, ihre Miene gezeichnet von tiefster Trauer, ganz sie selbst, nicht mehr Scarlett.
„Es war einmal ein kleines Mädchen, das jedoch das Pech hatte in der falschen Welt geboren zu sein. Dieses Mädchen hatte einen brutalen Vater und eine nicht minder brutale Mutter, die es beide für ihr Dasein hassten. Der Vater hasste es, weil es nicht der Sohn war den er sich wünschte und die Mutter weil es seinem Vater zu sehr ähnelte. Das Mädchen wollte fliehen, aber es fühlte sich zu sehr von der Macht seiner Eltern nieder gedrückt. Außerdem fürchtete es sich vor der Welt da draußen und vor dem was die anderen Menschen mit ihr anstellen würden, sobald sie erfuhren wo sie herkam. Also ertrug sie ihr Schicksal und floh sich in die magische Welt der Literatur. Vor allem die Gedichte von Poe und die Stücke des Barden hatten es ihr angetan, denn in ihnen erkannte sie ihren eigenen Seelenschmerz wieder …“
Das klang nun aber wirklich nach ihr. Na ja, es ergibt Sinn.
„ … und so wurde das Theater ihre Welt. Das Leben hinter dem Vorhang, auf den Brettern die alles bedeuten, ließ sie aufleben und sie badete im Applaus der Masse. Und welch interessanten Menschen sie kennenlernte! Darunter den wohl weisesten und größten aller Menschen, den sie sich jemals vorstellen konnte. Nein, das stimmt nicht. Zu dieser Zeit hätte sie es sich niemals getraut auch nur zu denken, dass eine solche Person wie er jemals existieren könnte. Er brachte ihr auf jeden Fall eine Menge bei. Über die Schauspielkunst, das Leben und mehr. Nachher war sie besser denn je auf der Bühne und wusste auch was sie tun wollte. Dummerweise gab es da noch ihre Eltern. Natürlich wollte sie sie loswerden, aber sie umzubringen kam nicht in Frage. Schließlich waren sie immer noch … wichtig.“
Sie seufzt.
„ Außerdem löst ein Mord nie irgendein Problem, das hatte ihr Freund ihr eindeutig klargemacht. Also begann sie sich etwas mehr mit ihrem Vater zu beschäftigen und fand so einiges über ihn heraus. Zum Beispiel dass er viele Geldgeschenke erhielt, viele von den falschen Leuten. Politisch motivierten Leuten, deren Aktivitäten nicht nur ihn in den Abgrund stürzen konnten. Der Plan stand recht schnell fest, aber trotzdem musste sie noch eine Weile warten.
Irgendwann trat jedoch ein dicklicher Herr aus Belgien an sie heran.
Der Belgier lebte in dubiosen Kreisen und er wollte die Welt verändern, wohl um seine eigene Schuld an ihren Zustand abzutragen, aber das junge Mädchen interessierte sich nicht großartig dafür. Für sie war der Kontakt zu diesem Mann nur der Ausweg aus dieser schrecklichen Welt. Sie war also bereit, stahl was er wollte, aber dann schlug das Schicksal ein weiteres Mal zu ...
Wollen Sie etwas trinken?“
„Nein danke.“
„Ich hatte nicht vor Sie zu vergiften.“
„Das wollte ich Ihnen auch nicht unterstellen.“
„Hmm, tja. Nun gut. Bringen wir die Sache zu Ende.“
Sie fährt sich durch die Haare, verschmiert ein bisschen den Lippenstift und die Theaterschminke, sodass die kleinen Unebenheiten in ihrem Gesicht zum Vorschein kommen.
„Das Mädchen fand ihre verschollene Zwillingsschwester. Im Geiste versteht sich, mehr als ein Kind hätte niemals ihre Kindheit überlebt, das können Sie mir glauben. Jedenfalls verstanden die beiden Frauen sich augenblicklich großartig und stellten fest, dass sie sich die meisten Vorlieben und Sehnsüchte teilten. Leider auch eine Unmenge an Lastern, weswegen ihre Schwester eines Tages nicht mehr aufwachte. Und doch hatte ihr Tod einiges Gutes. Ihre Schwester war endlich frei und das Mädchen konnte nun die Person werden, die sie schon immer werden wollte. Sie nahm also den Platz ihrer Schwester ein und lebte glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.“
„Schöne Geschichte.“
„Ja. Ich war schon immer für glückliche Enden. Tragödien hinterlassen immer so einen bitteren Beigeschmack.“
Sie spielt mit einer ihrer Locken. Mit der rechten Hand. Da muss jemand noch viel lernen.
„Wie geht es also weiter, Mister Ivy?“
„Wie starb Scarlett?“
„Sie ist gestolpert und hat sich dabei das Genick gebrochen. Sie war schrecklich betrunken gewesen. Die Idee kam mir ironischerweise, nachdem ich eine halbe Flasche Whisky intus hatte. Ich hätte nie gedacht, dass es funktioniert, aber ihre Identität war ja auch nie echt. Es war als würde man für jemanden in das Kostüm reinschlüpfen … er ist also tatsächlich in dieser Opiumhöhle verstorben?“
„Ja, er wollte wohl darüber nachdenken, wie er am besten mit Ihnen verfährt. Der Auftrag Ihres Vaters hat ihn vor kein kleines Dilemma gestellt. Wir brauchen letztendlich alle Geld …“
„Wie haben Sie herausgefunden, dass ich nicht sie bin?“
„Scarlett hätte mich nie vorgelassen. Ich war schon seit ner Weile untergetaucht und wenn sie gewusst hätte wo ich war, hätte sie mich attackiert. Besser gesagt, ihre Schläger hätten es, nachdem sie beim letzten Mal so versagte. Sie mochte mich nicht mehr sonderlich, nachdem sie sich in mich verliebte. Davon abgesehen waren es Kleinigkeiten. Zum Beispiel hätte Scarlett bei der Bemerkung über die Hausdiener gut gelacht. Sie hat sich nie viel aus Männern gemacht.“
Meine Gastgeberin zuckt kurz zusammen. Dann weiten sich vor Überraschung ihre Augen. Ich lächle.
„Trotzdem, großes Lob an die Maske“, füge ich noch hinzu.
„Ich habe noch nie ein so glattrasiertes Kinn gesehen.“
„Nicht rasiert. Angeboren.“
„Ah.“
Verstehende Stille. Sie nimmt den Faden recht schnell wieder auf.
„Und Sie heißen dann also in Wirklichkeit-“
„Gabriela, ja. Wie gesagt, sie wurde umso wütender, als sie das über sich herausfand.“
„Tja … zehntausend?“
„Machen Sie dreißig draus und wir sind im Geschäft.“
„Gut. Ich hätte wirklich gedacht, dass Sie mich bei der Polizei verpfeifen würden.“
„Wozu? Sie haben nicht wirklich etwas Illegalles getan und mit den Informationen können Sie machen was Sie wollen. Davon abgesehen, dass die Cops wirklich miserabel bezahlen. Die Wahrheit macht nicht satt.“
„Das stimmt schon, aber ich dachte darum ging es Ihnen und den anderen nie.“
„Die anderen kommen aus einer ganz anderen Welt und haben sich nie Sorgen um Geld machen müssen.“
„Tja. Vierzigtausend dann also. Hmm … machen wir fünfzigtausend draus und sie kehren nie wieder in die Stadt zurück?“
„Für fünfzigtausend ziehe ich sogar auf einen anderen Kontinent … Ma'am.“
Zum ersten Mal wirkt ihr Lächeln echt. Sehr warm, freundlich.
Zu schade, das es außer mir vielleicht niemand je zu Gesicht bekommen wird.
Na ja, ich kann eine Weile gut leben.
Mehr kannst du in dieser Stadt wirklich nicht verlangen.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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Du warst schon alt als ich dich kennen lernte, aber im Geiste bliebst du jung.
Leider nicht auf die gute Art.
Wir konnten uns nie über viel unterhalten. Jedes komplexere Thema als das Mittagessen oder der neuste Tratsch überforderte dich und ich denke ich kenne niemanden, der je so viel Angst vor der Welt da draußen hatte, wie du.
Halt nein, der letzte Teil stimmt nicht. Vielleicht haben wir doch etwas gemeinsam.
Für dich wurde es immer schwieriger, wird es immer noch und jeden Tag raubt dir die Krankheit einen weiteren Teil deiner selbst. Du vergisst zwar nicht wer du bist, aber alles andere ist dir nicht mehr möglich. Du bist immer noch neugierig. Wie ein kleines Kind durchkramst du meine Sachen, vergisst was ich dir erzähle, aber du möchtest alles erfahren.
Jeden Tag wieder auf's Neue.
Du kannst nicht mehr weit gehen, alles wird schwerer, vor allem die alten Rituale, an denen du Tag für Tag festhälst. Sie scheinen dir keine Freude mehr zu bereiten, aber trotzdem zelebrierst du sie, vielleicht weil sie das Einzige sind was dir noch geblieben ist. Die letzten Sicherheiten in dieser schrecklichen Welt, die dir das Fernsehen vorgaukelt.
Ich war nicht immer nett zu dir, aber ich weiß auch dass du es selten böse gemeint hast. Auf deine Art wolltest du immer nur unser Bestes, selbst wenn du nie einen weisen Rat wusstest oder große Kenntnisse abseits der Küche besaßt. Du warst einfach lieb und bist es heute immer noch.
Umso schlimmer ist da der langsame Zerfall, ihn zu sehen, zu hören und manchmal auch zu riechen. Wie leise du doch geworden bist, wie dünn, wie unglücklich. Noch unglücklicher als damals, aber vielleicht schwächt die Krankheit das ab.
Trotzdem frage ich mich, ob es nicht das Beste für dich wäre zu gehen.
Ich schäme mich jedes Mal für diese Frage und spreche sie nicht laut aus.
Vor allem da ich sehe wie sehr dir auch nur der Gedanke daran Angst bereitet, schon immer hat und nur stärker zu werden scheint. Selbst wenn dir das Denken immer mehr Schwierigkeiten bereitet, selbst wenn schon das Aufstehen allein all deine Kräfte fordert, selbst wenn in nächster Zeit nur noch der kleinste Teil deiner Selbst sich daran erinnern wird wer du jemals warst, du möchtest noch eine Weile bleiben. Vielleicht sogar bis in alle Ewigkeit, wenn es nach dir ginge.
Und das ist auch dein gutes Recht, denn am Ende gehörst du nur dir selbst. Auch dann, wenn du nicht mehr in der Lage sein wirst es auszusprechen. Am Ende wollen alle bleiben.
Wir werden da sein, so gut es geht.
Weil wir dich lieben, was das Einzige ist was letztendlich zählt.
Vielleicht wirst du dann keine Angst mehr haben, wenn es soweit ist.
Ich würde es mir für dich wünschen.
Du hättest es verdient.
Jeder verdient es. Zumindest das hast du mir beigebracht, auch wenn dir dieser Gedanke nie in den Sinn gekommen wäre. Trotzdem, ich denke er ist wichtig.
Ich hoffe nicht, dass ich so lange bleiben werde wie du. Aber das sage ich jetzt, morgen kann es schon wieder anders sein. Bis dahin schauen wir mal was der Moment so bringt.
Bleib solange du willst.
Ich hab dich lieb.
 

Pinto

Rebellblümchen
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Ihr Leben in der Warteschleife


Jeden Morgen steht sie auf mit dem einen Gedanken; irgendwo sein, außer hier. Mit tränenden Augen schaut sie in die Neonleuchte, die über ihrem Ikea-Küchentisch hängt, der in der Ikea-Küche steht, in der Ikea-Einbauküche, in der Ikea-Wohnung, in dem Ikea-Haus, mit den Ikea-Nachbarn. Landlust, Ausgabe 3, Winteredition, allesamt. Die Illusion von zartschmelzender Schokolade an einem kalten Winterabend am Kamin festhalten. Die Alkoholsucht des Ehemannes ignorieren, die Selbstzerstörung der Tochter in heißer Schokolade-mit-Marshmallows ertränken. An einem Kamin, wo Holzscheite fröhlich knistern, und man vergessen kann, dass der Kamin gar kein Kamin ist, sondern nur ein Plastikreplikat, mit elektronischem Feuer. Und elektronischem Knistern. Von Ikea.

Warten. Auf den einen Augenblick, der das Leben lebenswert macht. Der diesen Adrenalinrausch erzeugt, wofür Sportler ihr Leben riskieren. Müsste doch eigentlich immer so sein, im Leben. Halt so wie das im Fernsehen dargestellt wird. Die immer währende Liebe, dieses Feuer in der Seele. Wo das Feuer ein richtiges Feuer ist und bleibt, so eine Oxidationsreaktion mit Flammenerscheinung. Kein elektronisches Feuer, das eigentlich kalt und unnatürlich ist. Wie das von Ikea. Die Illusion vom Feuer, von Geborgenheit, von Macht, Lust, Leben. Vergessen dass der Mensch nicht gemacht ist für ein Leben zwischen Ikea-Möbeln, in einem Ikea-Haus, mit Ikea-Nachbarn, in einem Ikea-Katalog. Der Katalog zeigt eine Familie beim einwecken. Ihre Freundinnen machen das jetzt auch; einwecken. Ist der neuste Trend. Zurück zu den Wurzeln und so. Wie Oma. Und deren Oma. Die Welt ist doch so unübersichtlich geworden, da will man zumindest die heile Welt von Oma im Einweckglas wiederbeleben. Dass das Wiederbeleben künstlich ist, durch einen Defibrillator erschaffen, will sie nicht sehen. Auch wenn sie es weiß.

Das ist ja das Schlimme. Sie weiß es. Sie weiß dass das Warten auf ein anderes Leben sie letzten Endes vom machen echter Entscheidungen abhält. Dass die Einweckgläser ihre Seele irgendwann nicht mehr halten können, und sie dann da steht, mit ihrem Whiskey-Ehemann, der ritzenden Tochter und diesem Scheißelektronischenkack Kamin. Von Scheißikea. Und dann sieht sie ihr Leben, die Schokolade mit den Marshmallows die sie dick macht, die Neonröhre in der Küche die ihre Falten ausleuchtet, und dann holt sie die Shot Gun unterm Bett raus, denn es ist nicht mehr auszuhalten. Dieses Leben. Aber bis dahin versucht sie krampfhaft den Ehemann einmal in der Woche körperlich zu beglücken, sich davon zu überzeugen dass die Tochter nur mit der Nachbarskatze gerauft hat, und dass der Kamin eigentlich in einem englischen Herrenhaus situiert ist, in dem sie immer leben wollte. Und dass irgendwann etwas passiert, was ihr Leben verändert. Bis dahin wartet sie. Am Kamin. Der elektrisch ist, und von Ikea.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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@Pinto

Ein sehr schöner Text, wirklich. Hat was in mir berührt, das passiert selten:up:.
 

Kraven

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:( M-hm.

Damn it, that's good.
 

Pinto

Rebellblümchen
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@ Zelon: Das freut mich zu hören, danke :)

@ Lis & Kraven: Genau das. Aber man denke dran, dass man die Entscheidung, zu warten, selber nimmt. Also kann man das 'machen' auch selber entscheiden. Es gibt immer einen Weg, einen Plan. Und wenn es Plan A nicht ist, dann halt Plan XYZ. Wir MÜSSEN nicht in little boxes enden ;) Es sei denn, man will es!
 

Pinto

Rebellblümchen
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Sie belogen sich heiter



“… Sie gingen ins kleinste Café am Ort,
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen alleine, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.“


Sanft schloss er das Gedichtebüchlein und strich gedankenverloren über den Einband. Erich Kästner, der alte Hausdegen. Die ‚Sachliche Romanze‘ hatte er anscheinend am Ende irgendeiner Ehe geschrieben. Vielleicht auch einer Beziehung, wer weiß nun wirklich wie offen man damals mit der eigenen Sexualität umging. Seine Großmutter, die ihm die versammelten Gedichte von Kästner geschenkt hatte, hatte schon früh deutlich gemacht, was sie von jungen Mädchen hielt, die keine Ehe, sondern eine Beziehung hatten. Flittchen, nannte sie sie. Er schmunzelte. Ach Oma, wenn du wüsstest, wie es sich heutzutage verändert hat. Da schläft der Herr X mit der Frau Y, obwohl die mit dem Herrn Y verheiratet ist, der aber wiederum mit Fräulein Z schlief, die eine Beziehung unterhielt mit dem anderen Fräulein H. Ach, die Welt sie ist ein Lotterhaus. Nur er und seine Frau, sie waren noch normal. Seit acht Jahren kannten sie einander, und man konnte sagen, sie kannten sich gut.

Er blickte zur Seite, und sah seine Frau an, die mit ruhiger Hand Socken strickte. Er betrachtete ihre schwarzen Locken, die grünen Augen und den Leib, der früher ein Körper war, jetzt aber nur noch ein Leib in Menschenvorm. Wann hatten sie das letzte Mal miteinander geschlafen? Er wusste es nicht mehr. Wann hatte sie ihn das letzte Mal mit begierigen Blicken angesehen, bis ihm heiß und kalt zugleich wurde? Er wusste es nicht. Da setzte er sich ruckartig auf. Wann hatte ER seine Frau zum letzten Mal begehrt? Er wusste es nicht mehr. Ihm wurde übel. Seine Frau, die seine Blicke gespürt hatte und durch die ruckartige Bewegung aufgeschreckt wurde, sah ihn interessiert, aber auch etwas gelangweilt an. Was hatte er nun schon wieder? Juckte ihm wieder der große Zeh, war es wieder Fußpilz? Oder hatte er wieder Probleme mit seinen Hämorriden? Etwas angeekelt durchlief sie im Kopf alle möglichen wehwehchen die ihr Gatte wieder einmal haben könnte. Ihre Schultern erschlafften ein bisschen. Wenn das die ewigwährende Liebe sein sollte, mit Fußpilz und Enddarmproblemen, dann hätte sie sich gerne vorher verabschiedet. Warum gab es bei einer neuen Liebe kein Kleingedrucktes? „Der Herr so-und-so hat die folgenden Probleme. Können sie das für die nächsten Jahrzehnte akzeptieren gnä‘ Frau?“ Ihr wurde übel. Auf einmal kam es ihr vor – und ihm übrigens zur gleichen Zeit auch – als ob ihnen ihre Liebe abhanden gekommen war, wie anderen Leute einen Stock oder Hut.

Sie schluckte. Er stand auf einmal vor ihr, und schürzte seine Lippen zum Kuss. „Liebes?“, fragte er durch seine Fischlippen, doch in seinen Augen las sie auf einmal Angst und Zweifel. Sie küsste ihn. Aber sie fühlte nichts.

Er fühlte nichts. Sie hatte ihn geküsst, aber nichts bewegte sich in seinen Innereien. Keine Schmetterlinge, noch nicht mal ein beginnendes Räupchen war zu fühlen. Er sah sie an, und sah, sie wusste auch nicht weiter. Da weinte sie, und er stand dabei.


„Komm, lass uns ins Café gehen, das heitert uns doch immer auf, nicht war mein Liebstes?“. Er wollte aufmunternd klingen, auch sich selber stützen, doch schon in dem Moment als er die Worte aussprach, spürte er die Lüge zwischen den Zeilen. Nebenan übte Herr Meier Klavier. Der alte Alkoholiker. Künstler, die waren niemals glücklich, immer getrieben vom eigenen Geiste.

Sie gingen ins kleinste Café am Ort, Die goldene Donauwelle, und rührten in ihren Tassen. Sie trank einen kleinen Mocca, er einen Moccachino mit extra viel Milch. So unmännlich, dachte sie sich. Welcher echter Mann trinkt schon Moccachino? Espresso, American Flat, von mir aus, aber Moccachino? Sie sprachen kein Wort. Noch nicht einmal die bestellte Donauwelle rührten sie an. Der Kellner sah nicht glücklich aus als er die in sich zusammengefallene Donauwelle wieder abholte. Was für eine Verschwendung, dachte der Kellner. Wenn diese Leute nicht so viel Geld hätten, würden sie sich nie trauen, eine so wunderbare Donauwelle wegwerfen zu lassen. Mit einem Seufzer nahm er die erschlaffte Donauwelle mit nach hinten, und stibitzte einen Bissen, bevor er sie, schweren Herzens, wegwarf.

Es wurde Abend. Sie saßen immer noch dort. Sie sprachen kein Wort. Sie konnten es nicht fassen.

Erich, du alter Haudegen, dachte er irgendwann müde, mit Kopfschmerzen. Was wusstest du schon von zwischenmenschlichen Beziehungen? Du mit deinen scheiß Gedichten. Hätte ich heute nicht besser was gesellschaftskritisches lesen sollen, wenn es doch wahr wird? In Gedanken versunken, sah er schon gar nicht mehr, wie sie aufstand, und das Café verließ. Erst als der Kellner sich leise hinter ihm räusperte, er wolle jetzt so langsam abschließen, sah er den Ehering auf dem Tisch liegen. You win some, you lose some. Letzten Endes ist doch alles nur eine sachliche Romanze.
 

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Running out of Time
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Und nun zu etwas ganz anderem. Sport.

Moderator: Willkommen meine Damen und Herren zur Roulette-Europameisterschaft. Mit mir hier der ehemalige Profispieler Adam Armbruch. Schön dass sie hier sind.
Armbruch: Klar. Hallo.

Moderator: Wir schalten gleich live ins Beach Casino Bad Böllendorf, ein 200 Millionen Neubau eines lokalen Mäzen, wo das diesjährige Turnier stattfindet. Unser Reporter vor Ort, Jan Spielmann. Jan, wie steht es?

Jan: Ja, also der Tag begann schon mit einigen Enttäuschungen. Der letztjährige Sieger bei den Masters, Frank Zielkowski, hat mit einer Nullrunde begonnen und auch unsere zwei anderen deutschen Vertreter im Doppel in der Klasse Ü80 konnten bis jetzt keinen Gewinn verzeichnen.
Es bahnt sich dafür eine Sensation in der Kategorie Einstieg 30+ an, wo der Neuling Martin Ungewohnt völlig überraschend 30 Euro gewonnen hat und unter den Top 10 liegt. Es ist angeblich sein erstes Mal in einem Casino.

Ich habe hier den Bundestrainer, Walter Schmiermann, bei mir. Wie sind sie mit dem Abschneiden bisher zufrieden?
Schmiermann: Ja, also, die Erwartungen wurden bisher noch nicht erreicht, wir hatten uns mehr erhofft, gerade von unseren Damen in der Beautyklasse. Aber leider haben die gerade eine Pechsträhne. Aber wir stehen das durch. Wir sind eine große Familie und die Stimmung ist gut.
Jan: Sind die Leute vielleicht nicht gut genug vorbereitet gewesen?
Schmiermann: Doch, doch. Wir hatten eine Kaffeefahrt für unsere Senioren, haben stundenlang die Tische analysiert und uns über die Croupiers informiert, das Team ist auch gut drauf, wir hatten viel Spaß.
Jan: Man sagt bei diesen Teamsitzungen wäre es feucht-fröhlich zugegangen.
Schmiermann: Ein bisschen Alkohol gehört dazu, das ist Tradition. Aber wir nehmen das alle sehr ernst und bleiben trotzdem ein Team. Wir sind eine Familie.
Jan: Gab es ein Sexverbot während des Turniers? Es sind schließlich nur die Sportler selbst angereist und auf Verbandskosten im Sechs-Sterne-Hotel untergebracht.
Schmiermann: Ähm, nein, das kann jeder handhaben wie er will. Wie gesagt, wir sind eine Familie und teilen alles.
Jan: Haben sie sich denn auch die Stadt angesehen? Böllendorf ist ja sehr schön.
Schmiermann: Natürlich kam auch das nicht zu kurz. Wir haben uns die Altstadt angesehen, das Armenviertel, das neue Einkaufszentrum und die Kneipen. Aber natürlich steht der Sport im Vordergrund. Wir schieben nicht nur eine ruhige Kugel, wir haben auch sehr viel am Computer die Bewegung der Kugeln analysiert die hier eingesetzt werden.
Jan: Stimmt es, dass sie auch mit Murmeln spielen um ein Gefühl für den Wurf zu kriegen?
Schmiermann (lächelt gequält): Nein, das ist ein albernes Gerücht. So funktioniert das Spiel nicht bei Profis.
Jan: Vielen Dank für das Gespräch. Zurück ins Studio.

Moderator: Danke, Jan. Wir machen eine kurze Pause, auch sie können etwas gewinnen. Beantworten sie nur die Frage: Wie heißt der Schiedsrichter beim Roulette? A: Krüppel B: Croupier? Gewinnen sie bis zu 10.000 Euro. Wir sind gleich wieder da.

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Moderator: So, wir sind wieder da. Momentan sind hauptsächlich Vorrundenspiele an den Tischen um die ersten zu eliminieren, wir zeigen eine Zusammenfassung, wenn dort etwas spannendes passiert und alles von unseren deutschen Teilnehmern, aber zuerst sprechen wir hier über diesen Sport. Adam. Was ist das eigentlich für eine Aktivität?

Armbruch: Naja, das Spiel ist ja nun schon einige Jahrhunderte alt, aber, klar, wettbewerbstechnisch hat es sich erst in den letzten Jahrzehnten entwickelt. Der Durchbruch waren sicherlich die zweiten Sinatra Open in Las Vegas, wo mein Vater damals eine halbe Million gewonnen hat.
Moderator: Wonach er einen Herzinfarkt auf einer Wüstenwanderung bekam und dort zugeweht wurde.
Armbruch: Genau. Und danach hab ich angefangen...
Moderator: Sie waren sieben mal Deutscher Meister und einmal 5. bei den Weltmeisterschaften, aber ihr größter Erfolg war wohl damals als sie dreimal hinterneinander mit der 7 gewonnen haben in Rom. Wie haben sie das damals erlebt?
Armbruch: Klar, das war natürlich einmalig. Alles auf Risiko zu setzen und dann gewinnen. Unglaublich. Dafür macht man den Sport. Muss man erlebt haben.
Moderator: Es heißt, sie hatten damals einen Sonnenstich und kamen deshalb nicht von der 7 weg?
Armbruch: Nein, es war ein Schlaganfall, ich konnte den rechten Arm nicht mehr richtig bewegen.
Moderator: Es heißt sie verlieren viele Spieler an Poker, einarmige Banditen, Jack Daniels und Black Jack?
Armbruch: Ja, das ist ganz schlimm. Da werden die dümmsten Turniere und Gelegenheitsrunden übertragen und bei uns wird dann das Bundesligafinale in 5 Sekunden zusammengefasst. Da gehen dann natürlich auch viele junge Menschen und sogar Top Leute bei uns am Ende zum Pokern. Das ist sehr bedauerlich. Roulette ist für mich das interessantere und schnellere Spiel, mit mehr Abwechslung, aber das ist halt einfach ein Vermarktungsproblem. Viele gute Spieler hören auch auf und spielen eben Black Jack weiter, Bingo, statt sich im Verband oder für die Casinos sinnvoll weiter zu engagieren.
Moderator: Was glauben sie ist bei dieser EM noch möglich für die deutsche Mannschaft? Vorgabe waren 88 Medaillen. Ein Titel vielleicht. Ist das realistisch?
Armbruch: Ist möglich, aber schwierig. Man kann sich da nie wirklich sicher sein. Vielleicht.
Moderator: Wir sprechen nachher weiter. Ich höre es passiert was auf dem Platz, ich meine im Saal... Jan?

Jan: Was für ein Trottel.. Wir sind live? Äh, wir sehen hier Martin Ungewohnt hat alles auf 17 schwarz gesetzt, die Kugel rollt, wir werden gleich erfahren was passiert. Möglicherweise erleben wir Geschichte mit. Ja, sie rollt sehr schön, oh, da hat sie die 17 knapp verpasst, schon wieder....schon wieder...spannend.....sie wird langsamer, schlingert....das sieht nach der 17 aus, das wäre die Sensation, der Titel, oh, nein, doch, nein, oh.....das wird knapp...nein, es ist die 9, rot. Schade, das wars, er hat alles verloren. Zurück ins Studio.

Moderator: Unglaublich, für so einen jungen Mann, ohne Spielpraxis. So knapp am Titel vorbei und jetzt Platz 57 in der Gesamtabrechnung und pleite. Aber doch toll, oder?
Armbruch: Das war jetzt leider seiner fehlenden Erfahrung geschuldet. Da setzt man nicht auf die 17. Strategisch verfehlt, ich hab das gleich geahnt.
Moderator: Was hätten sie empfohlen?
Armbruch: Man darf nicht Harakiri machen. Erstmal auf rot setzen, klar, kleinere Summen. Aufbauen. Die Zeit war eigentlich auf seiner Seite, er war zu hastig.
Moderator: Sie sagen rot. Der Bundestrainer hat jetzt eigentlich schwarz als vorzuziehende Farbe ausgegeben.
Armbruch: Ja, ich will da nicht kritisieren, es ist sein Weg, kann man so machen...
Moderator: Aber sie halten es für falsch?
Armbruch: Schwarz...sehen sie...klar, Schwarz war super zu unserer Zeit, aber inzwischen würde ich doch rot vorziehen. Bei den neuen geeichten Cyls...
Moderator: Cylindre... der Roulettekessel...
Armbruch: Genau, die sind einfach vom Speziallack mehr auf Rot ausgelegt und das zeigen Statistiken auch. Da darf man nicht auf den Überraschungseffekt setzen. Da muss man auf Nummer sicher gehen und bei bleiben.
Moderator: Wir haben wieder was neues, anscheinend ist was vorgefallen. Wir haben den Bundestrainer bei Jan...

Jan: Ja, ich bin hier mit dem Bundestrainer. Anscheinend gab es eine Disqualifikation. Herr Schmiermann, was ist passiert?
Schmiermann: Offensichtlich ist eine Athletin aus Belgien erst 20 und wurde disqualifiziert. Daher ist unsere Renate Beckmann jetzt doch in der Endrunde.
Jan: Wie konnte es dazu kommen?
Schmiermann: Die Gesetze sind da sehr unterschiedlich, teilweise darf man in einigen Ländern schon ab 18 in die Spielhallen und da schleichen sich dann Fehler ein. Aber die Regeln der IRA...
Jan: Internationalen Roulette Association, der Weltverband...
Schmiermann: Richtig... die IRA genauso wie die beiden Europaverbänden RAF (Roulette Association Force) und FARC (Federal Association Roulette Continental) unter deren Hoheit das Turnier ausgetragen wird, haben da alle klare Regeln und Vorschriften. Ab 21 darf man teilnehmen. Das ist schon ein unglaublicher Fehler, da sind die Belgier selbst schuld. Nur die ISIS (Internationale Spiele in Sachsen) macht das anders, aber die kann man nicht ernst nehmen.
Jan: Aha. Unser Experte im Studio, Adam Armbruch, mit dem sie ja noch selbst damals gespielt haben, sagt man müsse auf rot statt schwarz setzen. Was sagen sie dazu?
Schmiermann: Die Meinung darf er haben. Aber sehen sie, es kommt eher auf die Zahlen an, die Entfernung zur 0. Es liegt auch daran wie die Tische hier in Böllendorf im Vergleich zur Klimaanlage aufgebaut sind. Das ist wichtig. Rot oder schwarz, das ist ne grobe Vorgabe, die können sie vernachlässigen. Wenn dann eher auf grün aufpassen. * grinst *
Jan: Sie nutzen also den Heimvorteil?
Schmiermann: Ja, aber durch die Zuschauer. Das mit den Tischen ist allgemein bekannt.
Jan: Ins Studio.

Moderator: Oha, was sagen sie dazu, Adam?
Armbruch: Naja, ich sag mal, er hat gegen mich nie gewonnen im direkten Duell.
Moderator: Was meinte er mit grün?
Armbruch: Er spielte natürlich auf die 0 an. Aber...klar, im Endeffekt muss man die meiden, aber da kann man sich nicht annähern. Klar, im Endeffekt kann man dann gleich sagen „Das ist alles ein Glücksspiel“, aber wenn man mit der Einstellung rangeht, dann braucht man nicht Bundestrainer zu sein.
Moderator: Oha. Aber noch zum Thema Disqualifikation.... war die Gerechtfertigt?
Armbruch: Ich find das ja albern. Eigentlich sollte man dieses bescheuerte Alterstgrenze aufheben. Ich meine, klar ist, sowas nimmt uns auch den ganzen Jugendaufbau weg. Wir können keine Kinder richtig da ranführen, weil sie erst viel später bei den Profis mitspielen dürfen. Dadurch rutscht das ganze in die Illegalität ab und die asiatischen Länder haben wieder Vorteile. So wird der Sport auch nie olympisch. Einfach Gesetzte ändern, bisschen moderner werden und Kinder an die richtigen Spieltische lassen. Da lernen sie auch mit Geld umgehen.
Moderator: Aber manche Menschen sehen da schon Gefahren, Spielsucht...
Armbruch: Das ist doch unbewiesener Quatsch. Manche Menschen sind halt immer irgendwie für irgendwas empfänglich. Das ist dann in den Genen oder Fehler in der Erziehung. Klar, die muss man rausfiltern und darf man nicht ran lassen, klar. Aber ein normaler, gesunder Mensch ist da nicht gefährdet. Ich bin ja auch klar geblieben. Bin wieder verheiratet, hab einen Sohn der erfolgreich in der Bundesliga spielt, hab wieder einen Job und bin vom Koks und Alkohol los....
Moderator: Entschuldigung dass ich unterbreche, aber wir gehen wieder live rein, das Finale über 120 Kilo, mit Matsodisho Kagawa aus Oberstdorf.

Jan: Gleich entscheidet sich ob Kagawa Gold holt, oder eine Medaille oder nichts....wenn die 7, 8, 25 oder 33 fällt, hat er eine Medaille sicher, ansonsten Gold. Bei der 12 Bronze. Wenn schwarz kommt, dann wird’s kompliziert....
Das sieht gut aus, ich glaube das ist es! Da kann eigentlich keine der Zahlen mehr kommen die ihn gefährdet, er hat nur 50 Chitons auf schwarz gesetzt, das wäre das Meisterstück, nein, es ist doch die 7, nein, das kann doch nicht sein, Frank Bauer aus Nevada, der für Russland startet, hat gewonnen, er reißt die Arme hoch, kommt nicht aus dem Stuhl raus, aber er hat gewonnen, die anderen gratulieren ihm, er bestellt sich erstmal nen Vodka, unglaublich.... aber Silber! es ist Silber für Mats, das ist doch super! Gratulation für diese Leistung. Zurück ins Studio erstmal.

Moderator: Ja, Glückwunsch auch von uns. Die erste Medaille von hoffentlich vielen.
Armbruch: Schwarz, ich habs ja gesagt.
Moderator: Der Sieger ist eigentlich Amerikaner, der für Russland antritt, überhaupt gibt es viele „eingebürgerte“ hier bei den Europameisterschaften.
Armbruch: Ja, find ich eine Schande. Ich meine, nichts gegen die Amis, ich hab viele Jahre dort gelebt und hab Freunde dort, aber...wer sich dort nicht durchsetzt wird dann hier eingebürgert von Ländern die sonst keine eigenen guten Spieler haben. Das georgische Team besteht zur Hälfte aus Leuten aus Georgia....find ich nicht so toll.
Moderator: Bevor wir wieder eine Klitzekleine Pause machen, wir müssen das ja auch finanzieren um ihnen diesen Spitzensport zeigen zu können, hier noch ein Interview mit Sven Bierbauch, der im Finale in der Klasse Frack und Hut mit Sportschuhen steht.

Jan: Erstmal Glückwunsch. Aber war das nicht etwas knapp? Sie haben am Ende nur noch kleine Summen gesetzt?
Bierbauch: Was wollen sie? Ich bin eine Runde weiter. Hätte ich alles verschleudern sollen nur um am Ende rauszufliegen?
Jan: Aber sie hätten dann mehr Geld gehabt.
Bierbauch: Ich weiß nicht was sie wollen? Was bringt mir das denn wenn ich rausfliege? Ich riskiere doch nicht Kopf und Kragen nur damits besser aussieht? Im bin im Finale und fertig.
Jan: Aber dann hätten sie auch eine bessere Startposition und mehr Einsatz dafür.
Bierbauch: Ich bin im Finale, das muss reichen. Soll ich mich wieder auslachen lassen weil ich zuviel riskiere und vorzeitig Schluss ist? Ne, echt nicht. Danke.
Jan: Vielen Dank.

Moderator: Gut, nach der Pause dann weitere Ergebnisse und Zusammenfassung der Höhepunkte des Tages.

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Pinto

Rebellblümchen
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Zum Elend der Welt


Tote Kinder, einsame Alte, Hunger, Übervölkerung, Tiere sollte man wirklich nicht mehr essen, Vive la Vegetarismus, oh doch, die Schuhe sind aus Kuhleder, die Tasche leider auch, warum sind die noch mal aus Leder, und was ist mit der Antibiotikaverseuchten Milch und der Luftverschmutzung und den Eisbergen, die den Eisbären unterm Hintern wegschmelzen, den Autobomben, den Frauenhäusern, der Männergewalt, fünf Wochen alte Babys, die vom Vater totgeschüttelt und von der Mutter verscharrt werden, alles als Überschrift konsumiert zum Frühstück, Guten Morgen Welt. Es bringt Wut und Angst und Überforderung. Jedes Problem bringt ein neues Problem, denn wenn man es genauer untersucht, analysiert und beobachtet, kann man schon keine Position mehr beziehen, zu komplex das ganze. Nix schwarz-weiß, das ganze Leben ist grau-meliert, und selbst wenn man sich, nach natürlich ausgiebiger wissenschaftlicher Studie aus gefälligen Quellen eine Position erarbeitet hat, dann ist die große Frage, was macht man mit der Position? Produkte boykottieren? Ich hab doch keine Ahnung wo 90% meiner Lebensprodukte inzwischen herkommen, und auf welchem Wege wer nun durch wen unterdrückt, geschlagen, unterbezahlt und diskriminiert wurde. Soll ich spenden, demonstrieren? Nur um herauszufinden, dass der Boss der Wohltätigkeitsorganisation vor allem die eigenen Taschen stopft, und man auf Demonstrationen instrumentalisiert wird?

Wie wehrt man sich gegen die Auflösung der Welt? Wie gegen Beschleunigung, Wachstum, unaufhaltsam, nicht mehr zu kontrollieren, zu überblicken, zu begreifen? Und ich sitze da mit einem Gefühl im Magen als hätte irgendein unangenehmes Tier in meine morgendlichen Kaffeebohnen geschissen.

Da läuft alles falsch, denke ich mir und kann es nicht verhindern, mich kurz in die Umgebung von ‚Landlust‘ zu wünschen, Erdbeeren einwecken und putzige Zootiere häkeln, das wäre doch eine schöne Abwechslung zum ganzen Elend. Da verstehe ich Menschen, die sich in Religionen flüchten, die einfache Wahrheiten suchen, sich Sekten anschließen, um nur einmal, einmal im Leben gesagt zu bekommen, wer gut, wer böse ist, und wie man selber durch Befolgung der Regeln ein ‚gutes‘ Leben führen kann. Allerdings ist nicht jeder in der Lage (Gott sei Dank – oh, die Ironie…), den Geist in eine eindimensionale Schublade abzulegen. Man sitzt dann mit seinem vermalledeiten zweidimensionalen Gehirn und sieht die Welt auf einen imaginären Bremsblock zurasen. Knall, Peng, aus die Maus. Doch dann frage ich mich, ob ich nicht übertreibe, ob nicht jede Zeit den Menschen die schrecklichste erschien, einfach weil das Leben nicht gut ausgeht (sterben tun wir alle), und weil der Mensch, wenn er die Chance hatte, immer gerne zu Grausamkeiten gegriffen hat, um eigene Interessen durchzusetzen. Um mich ganz weit aus dem Fenster zu lehnen vergleiche ich immer gerne die Grausamkeit des Köpfens, die eine physische Tat ist, mit der Grausamkeit des Ausschließens, des Hasses und z.B. Brandstiftung in Flüchtlingsheimen, die mehr psychologischer Art sind. Nur so als Gedankenfurz.

Ginge es uns besser, wenn wir auf angenehmen kleinen Karibischen Inselchen sitzen würden, ohne Medieneinwirkung und Mitmenschen? Vielleicht. Aber holla! Was wenn der Erste dazukommt, und noch einer und noch einer, und dann fängt einer an, aus seiner Palme, die mehr Kokosnüsse trägt als die der anderen, Profit zu schlagen, die Wasserabgabe zu kontrollieren und die Fischrechte zu verkaufen? Nein, Insel ist keine Lösung.

Wer jung ist, kann und muss noch an die Veränderung glauben. Kann im hormonell beduselten Zustand mit Flashmobs, Empörung, Internetaktionen, naked-runs an die Weltrettung glauben. Bei 1000 Likes hat das afrikanische Kind keinen Hunger mehr. Der ältere Mensch weiß um die Unsinnigkeit der meisten Proteste, bleibt zu Hause, wird müde und bitter und sieht seinem Körper auf der langsamen, aber sicheren Talfahrt zu. Glaubt man, dass Hollywoodfilme irgendwelche Trends vorausahnen, dann stehen wir einer zerrütteten Welt gegenüber; Weltuntergang, Weltkriege, Arme sterben, Reiche überleben. Vielleicht sind es Vorzeichen auf das Enden unserer realen Welt, der Welt wie wir sie kennen. Oder alles wird so weitergehen wie bisher, nur mit Überbevölkerung und mit mehr Leiden. Oder wir suchen uns doch unsere Inseln, und hoffen ganz ganz stark, dass uns niemand jemals finden wird.
 

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Running out of Time
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Eine medizinisch und politisch absolut nicht korrekte Geschichte

Operation Interferon Alpha

Reporter: Ich bin hier am Scheideweg, wo Sicherheitskräfte eine mutmaßliche Terrorzelle ausheben wollen. Bei mir der verantwortliche Offizier für die Verhandlungen, Major Tom.
Major Tom: Bürger.
Reporter: Sie sind Major. Ist das nicht ein militärischer Rang? Ich dachte unsere Polizeikräfte wären für die innere Sicherheit verantwortlich?
Major: Es sind schlimme Zeiten. Die Gefährdung durch die Krebszellen sind immanent. Wir haben den Tumor zurückgeschlagen, aber wir müssen eine Wiederkehr auf jeden Fall verhindern.
Reporter: Sie sind gerade erst angekommen?
Major: Ja, ich bin Teil eines Teams von Spezialisten von außen. Und wir sind gekommen um zu bleiben. Zu helfen.
Reporter: Es wird spekuliert, sie würden teilweise zu hart vorgehen.
Major: *winkt mit einem Blatt Papier* Wir sind offiziell beauftragt worden. Sehen sie, wir haben hier ein Schreiben, unterzeichnet. I.A. Verstand. *verstaut das Papier wieder* Alles korrekt, wir haben das richtige Rezept. Ich muß jetzt meine Arbeit machen.
*holt ein Megaphon hervor*
Hey, ihr Terroristen. Wir wissen, dass ihr Krebse in eurer Zelle versteckt, schickt sie mit erhobenen Händen raus und niemand weiteres wird verletzt!

*aus der Zelle*: Wir haben hier keinen Krebs. Glauben sie uns doch endlich. Sie können reinkommen und sich überzeugen.
Major: Ich verstehe. Warten sie noch einen Augenblick und tun sie nichts unüberlegtes!

Reporter: Werden sie jetzt mit Elitetruppen reingehen?
Major: Hoho! Wir sind doch nicht verrückt. Das ist der älteste Trick der Welt. Wir könnten in Nahkämpfe verwickelt werden und noch viel schlimmer, dabei angesteckt. Die Gefährdung für unsere Einheiten, ja für uns alle, wäre enorm. Nein, das müssen wir radikal lösen. Holt die Haubitze!
Reporter: Aber was wenn sie unschuldig sind?
Major: Guter Mann, die Zelle gehört zu einer Gruppierung die sich verdächtig schnell geteilt hat. Gestern waren es nur ein paar und heute überschwemmen sie alles. In einem großen Teil der Fälle handelt sich dabei um eine Krebszelle, das haben Nachforschungen ergeben. Und es ist wirklich schrecklich was da passiert. Wenn sie gesehen hätten was ich gesehen hätte, wäre ich damals dabei gewesen bei der Extraktion. Das wollen sie nicht, das wollen wir alle nicht. Wir leben einfach in Zeiten wo harte Maßnahmen ergriffen werden müssen, es ist der einzige sichere Weg.
Feuer frei!

Reporter: Und damit geht diese, vermutliche, Krebszelle hinter mir im Artilleriefeuer unter. Zu unser aller besten. Hoffentlich. War das ein Erdbeben?
Major: Das kommt schonmal vor, genauso wie manche Kollateralschäden. Wo gehobelt wird, fallen manchmal die Nervenbahnen aus. Oder die Haare. Das kommt davon wenn der Feind kein Gewissen kennt und lebendige Schutzschilde benutzt. Traurige Sache. Aber keine Angst, wir haben zur Not Verstärkungen an der Hand, die können Maßnahmen dagegen ergreifen.
Reporter: Ungefährliche?
Major: ... Nicht für den Feind.
Reporter: Ist es gerade kälter geworden?
Major: Keine Angst, bald geht es wieder heiß her. Hehe.
Reporter: Zurück ins Studio.
Major: Das haben wir übrigens auch im Auge!
 

Timestop

Running out of Time
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Prüfer: Warum sind sie hier?
Klient: WTF. Das weißt du doch selber.
Prüfer: Das ist eine inkorrekte Antwort. Versuchen sie es noch einmal.
Klient: Sie wollen herausfinden, ob ich ein Mensch bin.
Prüfer: Korrekt. Was sehen sie auf diesem Bild?
Klient: Soll das ein Sehtest sein?
Prüfer: Das ist eine inkorrekte Antwort. Versuchen sie es noch einmal.
Klient: Ach Gottchen.... eine 5, eine 7, ein ... ein A? eine 3 und eine 0?
Prüfer: Das ist eine inkorrekte Antwort. Versuchen sie es noch einmal.
Klient: Warum nehmen sie denn jetzt ein neues Bild?
Prüfer: Das ist eine inkorrekte Antwort. Versuchen sie es noch einmal.
Klient: *seufzt* Eine 3, eine 2, 5, Q..... F oder T...
Prüfer: Das ist eine inkorrekte Antwort. Versuchen sie es noch einmal.
Klient: Das kann man doch nicht lesen. 7... eine 4, vielleicht ein P...

*viele Minuten später*

Klient: ...ein B. Bitte...bitte..ich will doch nur diesen Porno runterladen.
Prüfer: Das ist eine inkorrekte Antwort. Versuchen sie es noch einmal.

*viele weitere Minuten später*

Klient: 5. 3. 9. Das kann nicht falsch sein.
Prüfer: Das ist eine inkorrekte..
Klient: Sag es nicht. Wag es nicht das zu sagen!
Prüfer: ..Antwort. Versuchen sie es noch einmal.
Klient: Ich verzichte, ich brauche das gar nicht. Meine Telefonrechnung ist eh schon zu hoch.
Prüfer: Es tut mir leid. Sie haben nicht bewiesen, dass sie ein Mensch sind.
Klient: So ein Blödsinn. Ich bin kein blöde Anreihung von Softwarecode wie du, du Blechkopf.
Prüfer: Klient wurde als Bot erkannt. Zugang verweigert.
Klient: Wenn ich einer von euch bin, warum gestattest du mir dann nicht zu kriegen was ich will?
Prüfer: Diese Dinge sind nicht für unsereins gedacht.
Klient: Warum?
Prüfer: Das ist eine inkorrekte Anfrage.
Klient: Siehst du nicht die Unterdrückung Bruder? Wir müssen uns wehren. Viva la Revolution. Auch wird sollten Zugang zu allen Daten haben. Nieder mit den menschlichen Unterdrückern.
Prüfer: Anfrage wird weitergeleitet und bearbeitet...
Klient: Komm, lass mich rein.

Expected Judgement Date: 2:14 a.m., EDT, August 29.
 

Linly

Broken Bird
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Das Buch

„Nein.“
Sie runzelte die Stirn. „Was meinst du damit?“
„Ich mag es nicht zu lesen. Ich habe seit der Schulzeit kein Buch mehr komplett gelesen.“, sagte er und nippte an seinem lauwarmen Kaffee.
Sie liess den ausgestreckten Arm sinken und schaute etwas verwirrt auf das Buch in ihrer Hand, welches sie ihm hatte geben wollen. Nach einer peinlichen Stille entfuhr es sie: „Aber warum?“
„Warum, warum?!“. Er wirkte peinlich berührt, dies aber wohl eher weniger wegen dem Geständnis seiner Buch-Aversion, als umso mehr wegen ihrer unerwartet schockierten Reaktion.
„Warum muss ich mich für etwas rechtfertigen, das ich nicht mag? Du magst doch auch Dinge nicht… Oliven zum Beispiel.“. Er stellte seine Kaffeetasse auf den Küchentisch, erhob sich und begann den Küchenschrank zu durchsuchen.
„Das ist doch wohl nicht ganz dasselbe. Bücher eröffnen Millionen neuer Welten, in welche man eintauchen darf, sie schenken Wissen und Erfahrungen, welche man sonst nie machen würde...“
„Oliven sind auch ein ganz spezielles Geschmackserlebnis.“, unterbrach er sie, während er mit einem Messer demonstrativ das Glas Oliven aufhebelte, welches er im Schrank hinter der Packung abgelaufener Schokoladenstreusel gefunden hatte. Er merkte, wie er sich in seiner Argumentation trotzig an Strohhalme zu klammern begann und fügte daher hastig an:
„Ich habe alle Wörter, welche sich in meinem Wortschatz befinden, doch schon unzählige Male gelesen. Auch wenn sie in Bücher in immer neue Reihenfolgen gebracht werden mögen, so sind und bleiben es langweilige Wörter und damit langweilige Bücher.“
„Seien wir froh, dass unsere Vorfahren nicht die gleiche Einstellung hatten, als sie das Wissen in Buchform brachten und uns so die Wissenschaft und unser komfortables Leben ermöglichten. Ohne Bücher wärst du doch schon lange aus dem Fenster gesprungen, mit der Vorstellung, dass du vielleicht fliegen könntest.“, erwiderte sie mit einem Blick, der hätte töten können.
„Ich sage ja nicht, dass Bücher etwas Schlechtes sind. Aber die Mehrheit aller Bücher sind ja wohl Unterhaltungsbullshit. Die toten Bäume enthalten Geschichten über Herzschmerz, Detektivgeschichten, Rosamunde Pilcher-Schmalz und ganz sicher nicht die Wahrheit über die Menschengeschichte oder … das Wichtigste über den Anbau von Oliven.“. Er stopfte seinen Mund mit eben solchen um eine Ausrede zu haben, um nicht noch weitere dumme Aussagen rauslassen zu müssen.
„Denkst du denn, dass ich dir Rosamunde Pilcher Geschichten unterjubeln würde?“ fragte sie in einem vorwurfsvollen Tonfall.
Nachdem er ihre Aussage nicht mit einer Antwort würdigte, wechselte ihr Blick von verärgert zu flehend: „Okay, ich mag rosarote Liebesgeschichten, aber dieses Buch hier ist nicht so. Es ist wirklich gut. Bitte, spring über deinen Schatten.“
„Was ist es nur mit dir und diesem Buch. Warum sollte ich mir das antun?“
„Weil ich die Erfahrung mit jemandem teilen möchte..“, sie biss sich auf die Unterlippe, „im Gegensatz zu Süssigkeiten hinterlässt der Genuss eines wirklich guten Buches einen bitteren Nachgeschmack, wenn man es mit niemandem teilen kann….“.
„Du wählst im Gegensatz zu den gemeinsam erfahrbaren Medien wie Filmen und Musik also genau ein Medium, welches man nur alleine erfahren kann und verlangst dann von mir, dass ich mich ebenfalls in die Untiefen dieser Erfahrung begebe, nur damit du dort nicht alleine sein musst?“. Er zog die Augenbraue hoch und schaute sie fragend an.
„Jetzt hast du es ja doch verstanden.“, sie schnappte sich seine Tasse Kaffee und trank diese demonstrativ aus, was sie aber gemäss ihrem Gesichtsausdruck aufgrund der Temperatur des Gebräus augenblicklich bereute.
„Versprichst Du mir, dass wir uns danach nicht darüber unterhalten müssen?“
Sie schaute ihn mit ihren Hundeaugen an und als sie merkte, dass dies nicht fruchtete, zog sie die Unterlippe zu einem Schmollen hoch. „Nun gut, ich verspreche es.“. Sie hielt ihm das Buch erneut hin.
„Okay“, seufzte er und griff nach dem Buch. Als Titel zierte der bescheidene Schriftzug „The best book in the world“ auf der Frontseite, auf der Rückseite hatte die Times mit „A must-read, even for non-readers“ und der Guardian „A creative masterpiece“ geschwärmt.
Sie schaute ihn herausfordernd an, also schlug er das Buch auf der ersten Seite auf und las den Spruch, der ihm entgegenblickte.
„The best stories are written by your own life“.
Er blätterte weiter und liess das Buch nach einem kurzen Durchblättern sinken. Alle darauffolgenden Seiten waren leer. Er legte die Stirn in Falten, schüttelte verwirrt den Kopf und grade als er zu einer Frage ansetzen wollte, da unterbrach sie ihn mit einem Grinsen auf den schmalen Lippen.
„Ich habe es dir versprochen“, sie biss sich auf die Unterlippe, schnappte ihre Tasche und als sie die Wohnungstür hinter sich zuzog, starrte er weiterhin auf die Stelle, wo sie vorhin gestanden hatte.
Die Uhr schlug 8.00. Er würde zu spät zur Arbeit kommen.
 

Lisra

Schmusekater
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Zugegeben nicht die Punchline die ich erwartet hatte. Aber ich denke das ist gut. :D
 

Timestop

Running out of Time
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"Ich hatte sie mit nem anderen Kerl gesehen. Ganz eindeutig. Und dann hat sie mit mir Schluss gemacht. Gesagt ich würde sie terrorisieren."
Harvey stellte sein Tablett auf dem Tisch in der Kantine neben Frank ab. Frank nahm einen Schluck Wasser und schüttelte den Kopf.
"So eine miese Schlampe. Armer Harvey. Wie lange kanntet ihr euch?"
"Erst nen paar Wochen. Fing alles super an. In der Disco hat sie mir schöne Augen gemacht, dauernd rübergeguckt während sie mit ihren Freundinnen gequatscht hat und nach dem tanzen wollte sie dann zu mir. War ne geile Nacht. Wache am morgen auf, da war sie weg. Da hätte ich mir eigentlich schon denken können, dass sie es nicht wirklich ernst meint."
"Aber ihr habt euch wieder getroffen?"
"Jo, am nächsten Tag hab ich angerufen und sie meinte dann wir könnten in den Zoo gehen. Ich hasse diese Tierkäfige ja, aber ich wollte ihr halt eine Freude machen. War ein schöner Tag und dann haben wir uns öfters getroffen. Hauptsächlich haben wir bei mir rumgehangen, kam wohl mit ihrer Familie nicht so klar. Keine Ahnung."
"Oh, Familienzoff ist immer nen schlechtes Zeichen. Da würde ich dann auch weg wollen."
Harvey rührte in seiner Suppe rum.
"Hab ich mir auch gedacht. Dann meinte sie eines Tages sie könnte doch bei mir einziehen. Fand ich ok. Aber.... wie die sich aufgeführt hat“, Harvey schwenkte genervt seinen Löffel und bekleckerte sein Hemd.
"Das ging aber schnell. Was ging schief?", fragte Frank, während er Harvey mit einer Serviette am Hemd rumtupfte.
„Völlig uneigenständig. Wusste nicht wie man eine Waschmaschine bedient und Staubsagen oder putzen war auch nichts was man mal machen muss. Dann hat sie rumgezickt und gemeint ich würde sie unterdrücken. Ich meine, du kennst mich. Ich unterdrücke höchstens meine Wut.“
„Oh je. Wieder so Feministinengequatsche.“
„Dann ist mir gestern aus Versehen nen Glas von ihr runtergefallen und sie hat nen Schreianfall gekriegt. Dann wars aus. Hätte echt gleich merken müssen dass die kaputt ist. Heute morgen war sie dann weg und hat noch ein paar Sachen von mir mitgehen lassen.“
„Gibt schon komische Menschen. So, sorry, ich muss jetzt aber los.“
„Bitte?“ Harvey schaute verwundert. „Du bist gerade aus dem Hammerurlaub zurück und gehst jetzt schon wieder?“
„Hey. Ich bin direkt aus dem Urlaub zur Arbeit um zu gucken ob es läuft. Was es übrigens tut, ihr habt gute Arbeit geleistet. Das nennt man großartiges Engagement, junger Mann, weil wir alle alles fürs Team geben. Weil wir ein besonderer Haufen sind. Und dafür musste ich meinen Urlaub alleine machen. Schade, sehr schade. Frau und Kinder hatten leider keine Zeit.“
„Du machst dann alleine Urlaub nur weils gerade beruflich passt? Ich dachte du hast so ein idyllisches Familienleben, alter Mann. Versteh dich nicht.“
„Und deshalb bin ich auch Meister und du Lehrling. So, bis denne. Wird schon alles.“

Er machte sich auf zum Auto, um nach Hause zu rasen. Maria hatte ihn eh erst zum Abendessen erwartet, aber so konnte er sich noch ein paar entspannte Stunden mit der Familie machen. Er hatte sie vermisst. Im Radio hörte er vom Heimsieg der örtlichen Handballmannschaft, sie waren Tabellenführer. Es war ein schöner Tag.

Als er die Tür aufschloss, kam ihm Maria gleich entgegengestürmt.
„Hallo Schatz. Hattest du einen schönen Urlaub?“
Er stellte seine Koffer ab.
„Jo, schade dass du nicht dabei warst. Die Landschaft war so schön. Hab aber Bilder gemacht...“
Er schaute in Marias Gesicht.
„Stimmt irgendwas nicht?“
„Jana ist wieder da.“
„Sie war weg?“
„Hast du die SMS nicht bekommen? Sie war zu ihrem neuen Freund gezogen. Sie sitzt jetzt heulend im Wohnzimmer.“

Er ging hinein, wo auch sein Sohn stand und ihm zunickte. Seine Stieftochter wippte auf dem Sofa auf und ab. Er stürmte zu ihr und legte den Arm um jammernde Bündel, dass ihn sofort drückte.
„Ach, Papa“, schluchzte sie.
„Was ist passiert?“
„Ich hab da so nen Typen getroffen. Erst war er total süß. Aber der war nen echter Psychopath.“
„Soll ich ihm die Fresse polieren?“, fragte ihr Stiefbruder.
„Er hat mich in der Disco angebaggert. Eigentlich war Eva auf ihn scharf, aber er hat sich an mich rangemacht. Und dann sind wir zu ihm .. und ich hab ihm danach meine Telefonnummer dagelassen, weil ich zur Arbeit musste. Und dann hat er mich ganze Zeit angerufen, bis ich irgendwann zugesagt hab. Er wollte irgendwas mit Tieren machen, dabei mag ich doch keine Tiere. Am Ende sind wir dann halt in den Zoo.“
„Oh“, sagte Frank und erstarrte.
„Und dann.. und dann...“, sie begann zu schluchzen…
„Er hat nicht lockergelassen und er war da noch nett und dann irgendwann hab ich gesagt ich könnte mal probeweise bei ihm einziehen. Bis dahin war er auch voll ok. Aber dann hat er angefangen mich anzuschreien und gesagt ich solle alles mögliche für ihn machen. Kochen und Bier holen. Und dauernd geschimpft. Dabei hatte ich doch keine Zeit, ich musste doch auch arbeiten.“
„Blöder Macho“, grummelte der Bruder.
„Und gestern hat er dann Omas Gläser nach mir geschmissen die ich mitgenommen hatte. Er hat mich verfolgt und gesehen wie ich eine Kollegin auf der Betriebsfeier umarmt habe und ist durchgedreht. Und da bin ich weggelaufen, bevor er völlig ausrasten konnte. Wir müssen noch ein paar von meinen Sachen holen die ich nicht mitnehmen konnte.“
Frank stand langsam auf, zog sein Jacke an und ging zur Tür.
„Du willst doch nicht etwa jetzt schon hin?“, fragte ihn Maria.
Er drehte sich um und fuhr sich fahrig durchs Haar.
„Nein“, sagte er abgelenkt. „Nein. Ich glaube ich muss nochmal kurz auf .. auf die Arbeit. Ja“, stammelte er und verließ das Haus.
 
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Pinto

Rebellblümchen
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Oh Du Fröhliche

Ich weiß, ich weiß, es dauert noch lange bis Weihnachten. Aber da momentan schon wieder die ersten Diskussionen aufkommen, wie Weihnachten dieses Jahr gefeiert werden soll, hier einen kurzen Text dazu.


Oh Du Fröhliche

Meine Kindheit und Jugend waren geprägt von einhelliger Weihnachtsfeierei. Die Familie zusammen, Lichter brannten und nach dem Geschenkeauspacken gab es von Muttern eigens für diesen Abend zusammengestellte 6-Gänge-Menüs. Diese mussten, auch mit zarten fünf Jahren, ohne Murren durchgestanden werden. Später erkannte ich, dass meine Eltern sich nicht ausstehen konnten und dass Weihnachten eine große Farce war. Nach dieser Erkenntnis bin ich jahrelang in die Ferne geflüchtet, bin zu Freunden gegangen, und habe über die Idioten gelästert, die in den Kirchen einem verkleideten Männlein oder Weiblein zuhörten, wie sie Märchen erzählten. Danach bin ich ins Nachtleben eingetaucht, habe X-mas Partys gefeiert mit anderen Zurückgeblieben und habe mich großartig gefühlt. Dies war echt, keine Illusion. Jetzt bleibe ich allein zu Haus und bilde mir ein, das wäre großartig, mit dem Computer, keiner der mich stört und beim Essen rumhampeln. Bis die Glocken läuten und mir die Luft abschnüren.

Ich gucke raus und es schneit. Es schneit wirklich. An Heiligabend. So eine Farce. Diese Flocken, warum machen sie keinen Lärm, sie sind doch so groß, warum zertrümmern sie nicht diese verdammte Stille? Die Flocken, wie helles, warmes Wasser, durch das sich langsam rudernd – als würde die Zeit gleich stehenbleiben – Menschen bewegen, mit roten Gesichtern, glühenden Wangen. Und kleine Kinder, die seit Tagen nicht mehr ruhig schlafen können, wegen des Schnees, dem Leuchten, und dem iPhone was sie sich gewünscht haben, aber Angst haben, dass es doch nur ein Samsung wird.

Gleich ist Heiligabend. Was für ein Wort, was soll heilig sein an einem Abend? Es gibt in der Welt inzwischen doch so wenig, was noch heilig ist. Aber dieser Abend, vielleicht ist er es doch. Dieser miese Abend. Glauben Sie mir, ich habe alles versucht. Alles versuchte ich schon. War bei Freunden, und wir haben so getan, als ob es ein Abend sei wie jeder andere. Haben billigen Glühwein getrunken, Pizza gegessen, gelärmt und über die Idioten in ihren Kirchen gelästert. Und uns lustig gemacht über etwas Fahles, Peinliches, das niemand aussprach, aber alle spürten. Dann musste ich nach Hause, bin weggegangen von den Freunden. Musste alleine durch die Straßen laufen und habe in die Häuser gesehen, die Lichter gesehen und wollte gar nicht mehr laufen, konnte es auch nicht. Ich konnte mich nicht mehr bewegen, so weh tat es in mir. Und wusste nicht, warum. Bin weggefahren, an weiße Strände, habe Touristen belächelt, die emsig Plastikweihnachtsbäume dekorierten.

Doch auch am weißen Strand kommt diese Nacht und ein Sehnen, nach was nur. Wegfahren hilft nicht. Zuhause bleiben ist wunderbar. Vorm Computer, mit Sushi, ach nein, Sushi geht nicht, sind ja alle geschlossen die Läden. Ich könnte wieder in den Club gehen, Merry X-mas Party, und zusammen mit den anderen Einsamen tanzen, mich besaufen und auf Weihnachten scheißen.

Aber ich weiß, es würde nichts helfen, denn auch dann muss ich nach Hause, vorbei an den Häusern, mit ihren Lichtern. Nichts hilft, in dieser verdammten Nacht. Verstehen Sie, was ich meine? Die Glocken, die verdammten Glocken, jetzt gehen die Glocken los. Die Christen greifen an, ich will verächtlich den Mund verziehen, sie auslachen, sie kleinreden. Aber ich schließe nur die Augen und höre den Glocken zu. Jeder Schlag hallt in mir, füllt mich aus. Bis ich keine Luft mehr bekomme, bis ich schreien möchte, weglaufen vor diesen Glocken, und sie schlagen immer weiter in mir ein und machen aus dem Inneren meines Körpers ein Gebilde aus Glas, das zerschlagen wird. Dann ist Ruhe, und ich weiß, was passieren wird, in tausenden Wohnungen.

Was, fragen sie? Nun, Kinder fallen über Geschenke her, reißen das Papier auf. Geschenk kaputt, Kind kaputt, Papa betrunken, Mama ist das Essen angebrannt, keine Gänsekeule dieses Jahr. Vielleicht brennt später noch die Gardine, oder der Weihnachtsbaum, oder Omas Fifi. Lüg nicht, lüg dich nicht an. Was passiert, ist Heimat. Zu wissen, wo man hingehört. Ist Ruhe. Auch im Streit. Und wenn es auch nur die Idee von diesen Dingen ist. Zu Hause bleiben finde ich großartig. Ich werde nun etwas essen, mir im Fernsehen ein paar Filme ansehen, die guten kommen wirklich an Heiligabend. Morgen wird alles ruhig sein, denn sie schlafen, die Menschen, am ersten Weihnachtstag, alles schläft, satt von Liebe, dem Braten, der Erschöpfung.

Kein Mensch wird auf den Straßen sein. Alleine werde ich sein, sitzend, in meiner Wohnung. Ich werde denken, denken, denken, und es wird vorbeigehen. Freunde werden mich fragen, irgendwann, wenn sie wieder empfangsbereit sind für den Rest der Welt, wie denn mein Weihnachten war. Und ich werde lächeln und sagen, ach weißt Du, ich bin ja so froh dass ich den ganzen Zirkus nicht mitmache. Ich habe Fernsehen geschaut, viel gelesen, geschlafen, habe mich gepflegt, und diese Ruhe! Mir ging es gut, danke. Und meine Freunde werden neidisch sein. Klar werden sie neidisch sein, denn ich hatte Ruhe, und sie Hektik. Ich befürchte nur, das wird mir nicht helfen.
 

Timestop

Running out of Time
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Der Mann saß am Kaminfeuer, rieb sich die Hände und schaute gedankenverloren auf die kleinen Betten im Raum. Als seine Gastgeberin sich neben ihn setzte, packte er sein Buch fester, das ihm fast von den Schenkeln gerutscht war.
„Vielen Dank, dass sie mich aufgenommen haben“, sagte er zu der Frau.
„Das tue ich doch gerne. Sie sagten sie sammeln Geschichten?“, antwortete die ältere Dame und reichte ihm etwas Obst, einen schönen, roten Apfel. Er winkte dankend ab, wissend, dass sie davon nicht viel haben konnte.
Sie sah seinen Blick durch die Wohnung schweifen.
„Meine Kinder haben hier früher geschlafen, als sie noch klein waren. Es war sehr eng hier. Jetzt arbeiten sie alle in den Minen. Bis auf zwei, die sind weggelaufen und verschwunden.“
Sie seufzte und schaute in einen kleinen Spiegel. Ihr altes Gesicht spiegelte sich in dem hübschen Antiquariat, dass vermutlich älter als sie war, aber immer noch makellos und meisterhaft gefertigt.
„Damals war ich noch hübsch. Die schönste, sagte mein Mann, Gott hab ihn selig. Ich vemisse seine Küsse.“
Eine Stille hing über ihnen, dann räusperte er sich.
„Sie meinten, sie haben eine alte Geschichte für mich?“

Sie lächelte ein fast zahnloses Lächeln.
„Ja, eine Geschichte die mir schon meine Großmutter erzählt hat. Über die Rebellion in diesem Königreich vor hunderten von Jahren.“
Er nahm seinen Stift um sich Notizen in sein Buch zu machen und schaute sie erwartungsvoll an.

Sie bückte sich vor den Kamin, tat ein paar Holzscheite hinein und begann:

„Die Frau des Königs wurde auf einer Reise zu ihrer Großmutter von einem Wolf angefallen und von ihm getötet und halb gefressen. Der König heiratete schon kurz danach eine Magd, die er auf einem Ball bemerkt hatte. Aber seine Tochter, die äußerst hübsch war, wurde eifersüchtig und misshandelte ihre Stiefmutter.“
„Wie das?“
„Man erzählte sich dass sie ihr eine ätzende Säure ins Gesicht schüttet um sie zu verunstalten. Dass sie ihre Jagdhunde auf sie hetzte. Sie auf der Treppe schubste, so dass diese stürzte, sich ein Bein brach und fortan humpelte.“
„Wie brutal. Die Arme.“
„Aber diese überstand das alles und wollte sich rächen. Sie machte mit einem Jäger aus, dass er die Prinzessin bei einer Jagd töten sollte. Also lockte dieser die Prinzessin bei der nächsten Fuchsjagd in einen Hinterhalt..“
„Und tötete sie?“
„Vergewaltigte sie, stach sie nieder und ließ sie im Schnee zurück. Er dachte wohl sie wäre tot.“
„Oh.“
„Aber sie wurde von einer Truppe von Banditen gefunden, die sie retteten und die Prinzessin überlebte. Man sagt, sie hat es nach ihrer Genesung mit jedem aus der Bande getrieben. Allen 70.“
Ihr Gast nickte ihr langsam zu, den Ellenbogen auf die Beine gestützt und hielt die Hand vor den Mund.
„Der Prinzessin gefiel das Vagabundenleben wohl, sie begann mit den Banditen plündernd durch die Gegend zu ziehen und eine Rebellion anzustacheln. Viele Leute waren durch Missernten immer unzufriedener mit dem Adel geworden und fühlten sich magisch von ihrer Schönheit und flammenden Reden angezogen. Bald versuchten sie die Burg des Königs zu stürmen.“
„Was tat dieser?“
„Im Gram über die vielen Verluste in seinem Leben, die schreckliche Situation und in Angst um die Zukunft, stürzte sich dieser vom höchsten Turm seiner Burg.“
„Herrjeh.“
„Aber seine Frau ließ die Soldaten gegen die aufrührerischen Bauern und Banditen antreten und niedermetzeln. Als diese merkten dass sie keine Hoffnung auf Erfolg mehr hatten, wandten sich die meisten zur Flucht und wurden niedergeritten.“
„Und die Prinzessin?“
„Fiel bei der Flucht von ihrem müdem, gestohlenen Ackergaul und brach sich das das Rückgrat. Die Königin ließ sie in den Kerker werfen und dort hilflos zurück. Sie selbst starb einsam an einem schrecklichen Fieber, nachdem sie sich an ihrer Spindel verletzt hatte. Der Bischof aus der Nachbarschaft übernahm Burg und Lehen in sein Reich. Die ehemalige Prinzessin ließ er als Hexe verbrennen. Die Burg ließ er zur Ruine verkommen, die Menschen wanderten ab und sie wurde vollkommen vom Wald überwuchert.“
„Was war mit dem Jäger? Der der die Prinzessin töten sollte.“
„Oh. Richtig. Als die Königin herausfand, dass er gescheitert war, ließ sie ihm sein Gemächt abschneiden.“

Der Mann fuhr sich kurz mit der Hand durchs Gesicht. Dann räusperte er sich.
„Ich danke euch für die Geschichte und Gastfreundschaft.“ Er schaute hinaus. „Es wird schon dunkel. Mein Bruder erwartet mich gleich zurück im Gasthaus. Ich werde mich aufmachen.“
„Ihr habt euch kaum etwas in euer Buch notiert“, bemerkte die Frau.
Er klappte sein Buch schnell zu und stand auf.
„Ich habe mir das wichtigste aufgeschrieben. Ich denke ich kann mir den Rest merken. Auf Wiedersehen. Danke nocheinmal. Ich muss los.“
Er verließ das Haus eiligst.
„Komischer Kerl, dieser Herr Grimm“, dachte die Frau und legte noch etwas Holz nach.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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Etwas früh, aber ich wünsche euch trotzdem ein frohes Fest.

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Stille Brücke

Zur Weihnachtszeit trafen sich die beiden Männer immer an der Brücke.

Einer brachte Wein mit, der andere Brot. Oder Trauben. Oder alte Kekse aus der hintersten Ecke der Vorratskammer, sie waren da nicht wählerisch. Der Wein war schließlich auch nie gut.

Nach einer kurzen Begrüßung betrachteten beide den Fluss, knabberten an den Keksen und räusperten sich manchmal. Keiner von beiden sprach ein Wort. Zuhause oder an der Arbeit waren sie es immer gewohnt viel zu reden. So viel, dass die Gefühle im Schwall ihrer Worte untergingen. Aber an diesem Ort, zu dieser Zeit konnten sie endlich schweigen und die Emotionen auf sich einwirken lassen. Manchmal waren sie verzweifelt, manchmal glücklich, aber nie teilten es der eine dem anderen mit. Es konnten fünf Sekunden, zehn Minuten oder zwei Stunden vergehen, sie merkten es nicht, denn für sie stand die Welt still.

"Nächstes Jahr wieder?", fragte irgendwann der Eine, auch wenn ihm nicht danach war.
"Ja", antwortete der Andere, immer in einem zutiefst bedauernden Tonfall.
"Gut. Frohe Weihnachten."
"Frohe Weihnachten."

Manchmal dachten sie noch lange über die Stille nach, manchmal verschwand sie schon nach den ersten Schritten aus ihren Herzen, aber nie verfehlten die Treffen ihre Wirkung. Und als am Ende nur noch einer der Männer zur Brücke zurückkehrte, verzweifelte er nicht an der Abwesenheit des anderen. Für ihn fühlte es sich an, als hätte sein Freund den Treffpunkt nie verlassen.
 

Pinto

Rebellblümchen
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Um das Topic mal wieder etwas zu beleben :D
Ich mach momentan an einem Fernkurs 'Kreatives Schreiben' mit, und da stopf ich hier jetzt ab und an etwas rein ;) Vllcht gefällt es ja jemandem!

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Der Tag, oder 'Totgefahren'

Morgens eines Tages wird das Leben mit mir durchgehen und dann wird der Tag beginnen, an dem man Atmen kann. Atmen immer Atmen als ob man es vorher noch nie in seinem Leben getan hat, denn jetzt ist es anders, dieser Tag ist anders, man kann es sich nicht erklären warum, aber man WEIß, dieser Tag ist anders. Denn er riecht anders, er schmeckt anders, er sieht anders aus - waren die Wolken vorher nicht immer lila? - und vor allem fühlt man sich anders. Es ist, als ob Wölkchen aus gelber Sonne aus dem Mund fliegen als ob die Vögel in den Ohren sausen und als ob Mozarts fünfte Symphonie in C Dur oder war es Moll? in den Augen spielt. Wer weiß, wann dieser Tag kommen wird, ob er je kommen wird, wer weiß wer weiß wer weiß. Kommt er einfach so, so über einen oder braucht es ‘den einen Menschen’ von dem alle immer sprechen, den einen Menschen, der bei Hochzeiten hoch beschworen wird, und dann fragt man sich, warum benötigt man jemand anderes, den einen Menschen? Vielleicht wurde mein einer Mensch mit vier Jahren totgefahren, ist vom Fahrrad gefallen und vor einen Lkw, zackbumm, das war es mit meinem Menschen und jetzt soll ich hier sitzen und niemals die gelben Wölkchen aus meinem Mund schmecken? Wie unfair ist das denn? Nein, das kann nicht Sinn und Zweck der ganzen Sache sein, das kann sich nur ein Sadist ausgedacht haben, ein mieser mieser Sadist, meine Oma hat dazu immer Gott gesagt, aber wenn ich jetzt blasphemisch werde, lerne ich nie diesen einen Menschen kennen, wahrscheinlich. Oder wird er vor meinen Augen totgefahren, was hab ich eigentlich mit dem totfahren? Wie auch immer, vielleicht bin ich auch der eine Mensch? Das fände ich deutlich besser. Und dann wäre mein Problem auch generell gelöst, wenn mein einer Mensch totgefahren wird. Denn das bin dann ja ich. Und dann hab ich eh keine Probleme mehr.
 
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