Weia, was für eine Geschichte. Aufmerksame Nachbarn können Leben retten.
Aber in ihrem Fall muss man sagen: Was wäre das für ein Leben gewesen?
Ich weiß wirklich wovon ich rede, mein Schwiegervater hat eine Hirnblutung dank sofortiger Hilfe überlebt, aber schön wurde es nimmer, und ging jahrelang.
Und auch wenn es vielleicht unpassend ist, muss ich eine Anekdote aus der Dorfpastörlichen Praxis erzählen: E. rief mich an, der Lorenz sei verstorben. Ich kannte beide, Lorenz war ein komischer Kauz, unverheiratet (was wie man hörte an der Mutter lag) und ein Schaffer ohne Ende. Jahrelang hat er 20h und mehr (!) gearbeitet, den Hof alleine bestellt, seine Mutter gepflegt und oft nur heimlich geschlafen, weil sie ihn so auf Trab hielt.
Deshalb konnte er auch nicht aufhören, als er eigentlich nicht mehr konnte. So hat er seinen Anbau selber gebaut, auch als er faktisch blind war. Alle Ziegel nach Gefühl aufgesetzt. Das sah aus! Aber anders als die Nachbarn, die sich über die Optik ärgerten hatte ich größte Hochachtung vor Lorenz. Und freute mich mit ihm, dass er E. gefunden hatte. Die waren wohl irgendwie ein Paar.
Noch etwas war typisch für Lorenz: Er liebte Wärme. Es konnte ihm nicht warm genug sein. Deshalb verfügte sein Anbau über sowohl Fußboden- wie auch Wandheizung und hatte für den Notfall auch Heizkörper installiert. Kein Scherz. So war er eben, der Lorenz.
Nun war er tot der Lorenz, und weil ich ihn und E kannte, rief sie mich an. Ich also hin. Ja, der medizinische Dienst müsse noch kommen. Das könne dauern. Der Bestatter erst morgen früh, das sei doch in Ordnung. Total in Ordnung, sagte ich, aber macht um Gottes Willen die Heizung aus und das Fenster auf. Bei diesen Temparaturen... Lorenz liebte eben die Wärme, aber jetzt war sie doch eher schädlich.
Der medizinische Notdienst brauchte ewig, ich musste mich vorher verabschieden. Es war alles geklärt, man hat auch gemeinsam noch Erinnerungen geteilt, Verabredungen getroffen und das Vaterunser gebetet. Mission accomplished, alles weitere morgen.
Am nächsten Tag hörte ich dann die Geschichte. Ja, der medizinische Notdienst sei dagewesen habe ordnungsgemäß den Tod festgestellt, den unterschriebenen Schein auf dem Küchentisch liegen gelassen und dann gemeinsam das Haus verlassen. Alles richtig gemacht.
Bis die Nachbarn merkten, dass bei Lorenz das Fenster aufstand. Mitten in der Nacht. Sie wussten doch, dass Lorenz die Wärme liebte. Das würde er nie tun. Sie fangen an sich Sorgen zu machen. Schließlich rufen sie die Polizei. Ein Streifenwagen fährt vor. Die Tür verschlossen. Mit Stablampe wird durch das Fenster eine leblose Person auf dem Bett entdeckt, die nicht ansprechbar ist.
Notarztwagen, Schlüsseldienst, das volle Programm. Als sie in der Küche stehen, sehen sie den Totenschein. Ups. Sorry.
Offenbar gibt es keinen Datenabgleich zwischen medizinischen Notdienst der Ärzte und der Rettungsdienstleitstelle. Wusste ich auch nicht. Aber bei der Beerdigungsfeier bekamen die Nachbarn trotzdem eine lobende Erwähnung: sie kannten Lorenz wirklich gut, und hatten recht, dass da irgendwas nicht stimmte. Nächstes Mal sagen wir nebenan dann gleich bescheid.
ZORA