@ Scot d'Arnd:
Die Grund für Inzuchtgesetze ist einfach der, dass aus innerfamiliären Sexbeziehungen mit sehr viel höherer Wahrscheinlichkeit behinderte Kinder erwachsen.
Das dachte ich früher auch, beziehungsweise rationalisierte ich es mir so hin. Aber solch eine Begründung würde beinhalten, daß
1) der Staat behinderte Menschen verhindern will. Dies würde voraussetzen, daß der Staat darüber befindet, daß das Leben von Behinderten weniger lebenswert sei als das von Nicht-Behinderten. Welche Assoziationen kommen Dir da?
2) daß die statistische Wahrscheinlichkeit, daß aus einer inzestuösen Beziehung erbkranke Kinder entstehen, sehr hoch ist - viel höher, als sie tatsächlich liegt. Du erwähnst "selische Behinderungen" des Paares - ich kenne nur geistige/psychische Erkrankungen. Das Paar selbst ist kein Traumpaar, beide sind meines Wissens selber unterdurchschnittlich intelligent. Falls die Kinder geistig ebenfalls minderbemittelt sind, so muß dies keine Erbkrankheit sein, sondern kann eventuell auf "normale" Vererbung zurückgeführt werden. Falls dem so sein sollte - müßten dann demnächst Paare, die Kinder in die Welt setzen wollen, erstmal einen Intelligenztest machen, damit sie keine Dummköpfe in die Welt setzen?
3) der Staat inzestuöse Beziehungen solange dulden müßte, wie keine Kinder dabei entstehen.
4) der Staat andere Beziehungen, in welchen beispielsweise die Frau oder der Mann exzessiv rauchen, im Kernkraftwerk arbeiten oder sonstige erhöhte Risiken eingehen, was die Schädigung ihres Erbgutes angeht, ebenfalls verbieten müßte.
Was den Fall in Amstetten angeht, sollen die Kinder, die der Vater mit der Tochter gezeugt hat - soweit sie "normal" bei den Großeltern aufgezogen wurden, durchaus normal intelligent sein, nach allem, was ich bisher hörte. Inwieweit die Epilepsie-Krankheit des 19jährigen Mädchens, das jetzt im Koma liegt, erbkrankheitsbedingt ist, darüber wird man wohl später noch mehr erfahren. (Oder vielleicht auch nicht?)
Das einzige Argument, das ich zum Inzestverbot akzeptiere, ist, daß solche "gleichberechtigten" Inzestbeziehungen wie zwischen den zwei in Rede stehenden Geschwistern die Ausnahme darstellen dürften, daß also die ganz überwiegende Zahl der Inzestbeziehungen mit einem Mißbrauch von Macht einhergehen: Väter, Mütter, Onkel, Tanten, Großeltern oder wesentlich ältere Geschwister mißbrauchen wehrlose, bzw. noch nicht zur Selbstverantwortung fähige Kinder/Jugendliche. Wenn man hier gesetzliche Riegel vorschieben will, muß man wohl den Normalfall statt des Ausnahmefalls berücksichtigen. Dennoch finde ich, man sollte einmal genauer untersuchen, wieviele Mißbrauchfälle durch das Inzestverbot denn nun in der Praxis überhaupt verhindert werden - wenn nämlich ein Gesetz praktisch keinen Nutzen hat, gehört es m.M.n. auch abgeschafft.
Übrigens glaube ich persönlich, daß man die Gesetze schon so umformulieren könnte, daß der Schutzgedanke stärker in den Vordergrund gerät, statt der Verbots- und damit Einmischungscharakter. Naja, vielleicht ist die Gesellschaft noch nicht so weit und die Gesetzeslage ändert sich erst in ein paar Jahrzehnten, denn heute ist das Inzesttabu noch so stark wie beispielsweise das Homosexualitätstabu vor einem halben Jahrhundert.
So, das war jetzt relativ offtopic. Zu Deiner Meinung, daß man Gutachter, die Straftätern bescheinigen, geheilt zu sein, als "Mittäter" drankriegen sollte, falls die Deliquenten doch wieder rückfällig werden: Diese Meinung halte ich für gefährlich. Dann braucht man keinen psychologischen Gutachter mehr, denn die Ergebnisse der Gutachten wären ja immer dieselben: Weiter eingesperrt lassen! Entweder, man akzeptiert, daß Menschen aufgrund von psychischen Erkrankungen, welche sich kurieren lassen, Verbrechen begehen können - oder man bestreitet dies rundweg. Im letzteren Fall müßte man davon ausgehen, daß Psychotherapeuten, Psychater und andere in diesem Sektor Arbeitende durch die Bank Schwarlatane seien - daß psychische Erkrankungen nicht heilbar sind. Glaubst Du das tatsächlich? Ich nicht, denn ich habe erlebt, wie Menschen, die psychisch krank waren, durch eine gute Therapie geheilt wurden.
Wenn ein Kranker nun aufgrund seiner Krankheit ein Verbrechen begeht, ist ja ohnehin schon die Frage, inwieweit er überhaupt schuldfähig sei. Als jemand, der deterministisch-naturalistisch eingestellt ist, bezweifle ich dies (ich kann mit dem üblichen Schuld-Begriff überhaupt nicht viel anfangen). Aber ich akzeptiere, daß aus Gründen der Abschreckung und aus Gründen der Sicherheit Verbrecher eingeknastet werden müssen. Aber ich denke, daß jeder Verbrecher, der für seine Tat bestraft wurde, und von dem keine absehbare erhöhte Gefahr mehr ausgeht, auch eine Perspektive auf Freiheit bekommen sollte. Wenn er sich zudem während seiner Strafzeit einer Therapie unterzieht, sollte ihm das nicht negativ ausgelegt werden, sondern als Zeichen, daß er gewillt ist, zukünftig als funktionierendes Gesesllschaftsmitglied zu leben. Würde sich Deine Sichtweise durchsetzen (was mmeines Wissens in der Tendenz der Fall ist), würden aufgrund weniger (freilich: schrecklicher) Ausnahmefälle, in denen ein als geheilt entlassener Straftäter wieder Verbrechen begeht, viele Gefängnisinsassen, die eigentlich ans nützliche Gesellschaftsmitglieder in Freiheit leben könnten, auf Staatskosten dauerhaft weggesperrt. Von diesen aussichtslos und praktisch nutzlos Weggesperrten wird freilich in den Medien nicht berichtet, während die wenigen, schlimmen Einzelfälle, von denen ich sprach, sich ausführlichster Berichterstattung sicher sein können - so entsteht ein verfälschtes Bild, welches die Leute dann in die Richtung tendieren läßt, welche Du vertrittst.
Einen psychologischen Gutachter derartig haftbar zu machen für Diagnosefehler, die nun einmal passieren können, halte ich aus diesen Gründen für falsch und unfair - nicht nur den Gutachtern, sondern insbesondere den von ihnen Begutachteten gegenüber.
Falls allerdings Studien ergeben sollten, daß die Zahl falscher, die Freilassung befürwortender Gutachten statistisch signifikant zunimmt, oder daß sich Gutachter bei psychisch kranken Verbrechern statistisch häufiger "irren" als bei nicht straffälligen Patienten, dann müßte untersucht werden, woran dies liegt - und es müßten entsprechende Sicherungen ins System eingebaut werden. Denkbar wäre z.B. daß der Anreiz, dem Therapeuten/Gutachter etwas vorzuspielen, für jemanden, der aus dem Gefängnis raus will, natürlich höher ist als für jemanden, der freiwillig zum Therapeuten geht, um seine Ehe zu retten. Sowas wird aber, denke/hoffe ich mal, von den forensischen Gutachtern auch heute schon berücksichtigt.