Schreibprobe - Ben

Jelindreal

Psychoelf
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07.09.1999
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Enstand heute Nachmittag spontan, mal schauen ob was taugt.

Es war Herbst geworden und der Regen prasselte auf den Karton und durchweichte ihn langsam Schicht für Schicht. Ben rollte sich unter seinem selbst gebastelten Dach hervor und durchbohrte mit seinem rechten Zeigefinger den Karton. „Verdammt“. Ben rollte den Schlafsack zusammen und klemmte ihn sich unter seinen Arm. Er schaute sich nochmals in der Gasse hinter dem Lebensmittelmarkt um und entdeckte einen Müllcontainer an der Seite des Gebäudes. Der Regen wurde immer lauter, je näher er dem Container kam. Ben legte seinen Schlafsack auf die Erde und stemmte den Deckel des Containers auf. Er erblickte drei Ratten die sich über eine Ladung Gemüse hermachten, welche anscheinend erst heute weggeworfen wurde. Er starrte die Ratten an, wie sie ihre Nagezähne immer wieder aufs neue in ihre Beute gruben und seine Gedanken wanderten umher, fort von dem Regen, raus aus der Gasse. Wie war er hier nur gelandet...

Es war ein ganz normaler Montagmorgen im Frühling. Ben fuhr wie jeden Tag zur Arbeit, 8 Uhr anfangen, 16 Uhr aufhören, Arbeit nach Stechuhr. Er parkt seinen Wagen in der Tiefgarage und betrat über das Treppenhaus die Bank. Zur Stechuhr, zum Kassenraum, zu seinem Schalter. Jeden Morgen das Gleiche und das seid 25 Jahren. Die Türen der Bank wurden geöffnet und die ersten Kunden strömten zu den Schaltern, Einzahlungen, Auszahlungen, Überweisungen. Der Job machte ihn nicht glücklich, musste er auch nicht. Er konnte damit seine Familie ernähren, seine Frau und seine beiden Töchter, mehr hatte er nie gewollt. Dann stand dieser Kerl plötzlich vor seinem Schalter, eine Nylonstrumpfhose über dem Gesicht und einem Revolver vor Bens Gesicht. Ben dachte nicht mehr lange nach, sondern reagierte nur. Er gab dem verdammten Mistkerl das Geld und versuchte mit seinem Leben davon zu kommen.

Ben wurde von einem grollenden Donner aus seinen Gedanken gerissen. Blitze zuckten über den Himmel und er starrte immer noch auf die Ratten. Er schlug den Deckel des Containers zu und schnappte sich seinen Schlafsack. Er brauchte einen trockenen Schlafplatz und wie von selbst trugen ihn seine Beine aus der Gasse, die Straße entlang. Den gleichen Weg den er jeden Morgen zur Arbeit gefahren war. Er erinnerte sich an die Tiefgarage und das sie Nachts meist unverschlossen war. Warum sollte er nicht dort die Nacht verbringen, zumindest einen Schlafplatz waren sie ihm schuldig. Der Regen durchweichte seine Jacke und dann seinen alten dicken Wollpullover, welcher sich langsam mit Wasser vollsog. Die Blitze zuckten über den Himmel und in den Pfützen auf der Erde ergoss sich ein Farbenspiel aus Licht. Ben hatte für all das keinen Gedanken mehr, er sah bereits die Tiefgarage vor seinen Augen und dachte nur an einen trockenen Platz und das Sie ihm zumindest das schulden würden...

Der Überfall auf die Bank war kaum vier Stunden her, als Ben in das Büro seines Vorgesetzten geordert wurde. Die Leitung der Bank war der Meinung das Ben niemals das Geld hätte rausgeben dürfen, er war hinter Kugelsicherem Glas und es waren keine Kunden da. Er hätte den Alarmknopf drücken und den Kerl hinhalten müssen. Sein Verhalten sei nicht tolerierbar und sein Verhalten sei nicht länger tragbar für den Betrieb und seine Kollegen. Ben stand noch immer unter Schock und wusste nicht, was er erwidern sollte. Sie legten ihm einen Aufhebungsvertrag vor und Ben unterschrieb. Ben verließ stumm die Bank, ging in die Tiefgarage, stieg in sein Auto und fuhr los. Was war eben passiert, die Ereignisse des Tages stürzten über ihn herein. Ein Banküberfall und die Bank gab ihm die Schuld das der Raub erfolgreich war. Er dachte an den Mann mit der Waffe in der Hand und sah wieder in den Lauf des Revolvers und er sah sich selbst, wie er das Geld nahm und es in Richtung des Revolvers schob. Es war nicht seine Schuld, er wollte nur überleben. Doch das spielte jetzt keine Rolle mehr, er hatte eine Unterschrift geleistet und würde nicht mehr zurückkehren. Ein Teil von ihm freute sich darüber das er diesen Tag überlebt hatte und das er diesen Job der ihn nie glücklich gemacht hatte, nicht mehr machen müsste. Der andere Teil fragte sich, wie er das seiner Frau und seinen beiden Töchtern erklären sollte.

Der Regen wurde immer intensiver und kleine Flüsse bildeten sich an den Straßenseiten. Ben erreichte die Tiefgarage und sah wie das Wasser die Einfahrt hinunter floss. Er ging zu der kleinen Tür an der Seite der Garageneinfahrt. Offen, sie war offen. Er atmete erleichtert durch und schlüpfte durch die Tür in die Tiefgarage. Das Deckenlicht flackerte und tauchte die Halle vor ihm abwechselnd in ein klinisches Weiß und in pechschwarze Nacht. Hier drinnen waren die Geräusche des Gewitters kaum noch hörbar und nur ein kleiner Rinnsal welcher unter dem Garagentor hervorkam erinnerte an den Regen. Ben schaute sich um und entdeckte eine Nische, die nur wenige Meter vom Eingang entfernt war. Hier konnte er die Nacht verbringen und morgen früh schnell genug verschwinden, bevor seine ehemaligen Arbeitskollegen kamen. Ben rollte seinen alten blauen löchrigen Schlafsack aus und legte ihn auf die Erde, um sich dann selbst auf ihn zu legen. Ben starrte an die Betondecke und das Flackern der Deckenlichter nahm er nach ein paar Minuten kaum noch wahr. Hier lag er nun, nur wenige Meter von dem Ort entfernt, an dem sein altes Leben geendet hatte...

Der Überfall war schon 3 Monate her und immer noch stand Ben jeden Morgen auf, so als ob er zur Arbeit fahren würde. Er stieg in seinen Wagen, fuhr los und zumeist endete die Fahrt auf einem Rastplatz gleich außerhalb der Stadt. Er hatte es nicht geschafft, er konnte seiner Frau nicht sagen das er seinen Job verloren hatten, ja sogar mehr oder minder freiwillig aufgegeben hatte. Ben war gleich am Tag nach dem Überfall zu einer anderen Bank gefahren und hatte dort einen Kredit aufgenommen und sein Haus als Sicherheit gegeben. Das Haus in dem seine Familie lebte, die immer noch dachte, das er jeden Morgen zur Arbeit fuhr und die immer noch dachte das sie jeden Monat von seinem Gehalt leben würden. Ben verbrachte die Tage fortan an einem Kiosk auf dem Restplatz gleich außerhalb der Stadt. Jeden Tag durchblätterte er die Stellenanzeigen auf der Suche nach einer Arbeit, mit der er seine Familie ernähren könne und jeden Tag knüllte er die Zeitung zusammen, warf sie in den Papierkorb und begann zu trinken. Am Anfang war es nur mal ein Bier und es war nie so viel als das er merkbar betrunken war. Bevor er am Nachmittag heimfuhr wusch er sich auf dem Rastplatz und streifte so den Gestank von billigen Fusel und Abgasen von sich ab. Er hatte sein System entwickelt, sein System funktionierte und irgendwann würde er eine Stellenanzeige finden und wieder arbeiten und solange musste halt der Kredit ausreichen.

Das Flackern des Lichtes endete und die Dunkelheit legte sich über Ben. Scheinbar hatte die Zeitschaltuhr das Licht ausgeschaltet oder der Blitz war eingeschlagen. Er wusste es nicht und es war ihm auch egal. Er spürte seine nasse Kleidung auf der Haut und erst jetzt bemerkte er die Kälte wieder, wie sie langsam in seine Knochen kroch und versuchte ihn zu lähmen. Ben wusste das ihm nichts anderes übrig blieb, als in der Nässe und Kälte zu schlafen, welche Wahl hatte er schon? Wieder ein Obdachlosenheim? Nein, dahin würde er nie wieder gehen. Selbst wenn sie zu ihm kämen um ihn abzuholen, er würde sich weigern und lieber draußen schlafen. Diese selbsternannten Weltverbesserer, denen ging es nicht um die Menschen, denen ging es nur um ihr eigenes Gewissen und darum die Stadt sauber zu halten. Er war dort gewesen, er hatte gesehen, was diese Wohltäter als Menschlich betrachteten...

Fünf Monate war alles gut gegangen, keiner hatte etwas gemerkt und das Geld sollte noch mindestens zwei Monate halten. Er hatte noch immer eine Chance, er konnte noch alles schaffen und vor seiner Familie als Held dastehen. Er würde eine bessere Arbeitsstelle finden, mehr verdienen und nicht nur seine Familie ernähren, sondern auch verwöhnen. Er war sich sich sicher das er es schaffen würde, aber vorher brauchte er einen Schluck, nur einen Kleinen damit er klar denken konnte. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Seine Frau hatte einen Brief gefunden und alles erfahren, von dem Kredit, von seiner Arbeitsstelle und als sie ihm eines Morgens hinterherfuhr auch von dem kleinem Kiosk und dem Alkohol. Sie hatte kein Verständnis für sein Handeln, sie reichte noch in der gleichen Woche die Scheidung ein, nahm seine beiden Töchter und zog aus. Die Bank verlangte die Rückzahlung des Kredites und er verlor sein Haus, das Haus seiner Familie. Er hatte alles verloren und stand auf der Straße, nur noch die Sachen die er am Körper trug gehörten ihm. Er wanderte ziellos durch die Stadt und übernachtete in billigen, schäbigen Motels. Dann war das letzte Geld aufgebraucht und ihm blieb nur der Weg in ein Obdachlosenheim. Er war einer von 100 die in ein Heim für 30 drängten. Die Zimmer wurden dreifach belegt und die Suppe mit Wasser gestreckt. Er war nur eine Nacht dort, aber er konnte sie nicht vergessen. Der Gestank, die Geräusche, diese vielen Menschen und dann der Tropfen der das Fass zum Überlaufen brachte. Am nächsten Morgen war alles weg, jemand hatte Nachts seine Taschen durchsucht und ihm alles genommen, seine Papiere, seinen Ehering, Alles. Die Leiter des Heimes zuckten nur mit den Schultern und sagten ihm, er hätte besser aufpassen sollen und sei selbst dafür verantwortlich seine Sachen zu schützen, sie seien schließlich keine Bank. Keine Bank, bei diesen Worten kam in Ben alles hoch, all die Erinnerungen, er stürmte hinaus und kehrte nicht wieder. Er brauchte etwas zu trinken.

Der Morgen dämmerte und das Tor der Tiefgarage öffnete sich quietschend. Ein paar Sonnenstrahlen erhellten den Eingangsbereich. Das Gewitter war verschwunden und der Tag versprach sonnig zu werden, wenn auch etwas kalt. Die ersten Wagen fuhren in die Tiefgarage und parkten im hinteren Bereich. Die Angestellten der Bank stiegen aus und machten sich auf den Weg ins Treppenhaus, um wie jeden Tag mit der Arbeit anzufangen. Keiner bemerkte den reglosen Körper in der dunklen Nische nahe des Eingangs. Niemand beugte sich über ihn und niemand sah die blauen Lippen und die offenen Augen. Zwei Wochen später entdeckte der Hausmeister bei einem Kontrollgang den leblosen Körper. Keine Ausweispapiere, kein bekanntes Gesicht, der arme Teufel.
 
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