Zelon Engelherz
„Ich danke Euch für Eure Gastfreundschaft.“
„Oh, dafür nicht Mensch. Das ist doch selbstverständlich.“
Kohres Gegenüber, eine maskierte und in einen langen Mantel gekleidete Gestalt, polierte mit behandschuhten Händen einen schädelförmig geformten Helm aus Bronze, bis dieser im langsam untergehenden Licht der Sonne funkelte.
„Außerdem kommen mir Eure Dienste als Träger gerade recht. Ihr werdet Gerechtigkeit angemessen entlasten, denke ich.“
„Euer Vertrauen ehrt mich.“
„Jaja, ich weiß, ich weiß.“
Seine letzten Worte unterstrich der geheimnisvolle Fremde, der sich als „Isillila der Großartige“ ( „Isillita der Geheimnisvolle“ oder „Isillita der Fantastische“ wären auch angemessen genug gewesen, wie er ihm später gestand ) vorgestellt hatte, mit einer huldvollen Handbewegung.
„Ihr könnt zu Recht den Göttern danken ausgerechnet mir begegnet zu sein. Heute Nacht wird Euch kein Leid geschehen, denn meine übermächtige Präsens wird alle potentiellen Gefahren abschrecken.
Und sollte es doch zu einem Kampf kommen, werden uns meine titanischen Fähigkeiten im bewaffneten wie auch unbewaffneten Kampf den Sieg bringen.
Vorausgesetzt meine übermächtigen magischen Kräfte lassen es überhaupt dazu kommen.
Und auch nur dann, wenn jemand die Fähigkeiten besäße jede einzelne meiner bis auf das winzigste Detail ausgelegten Fallen zu umgehen, was ich doch, mangels Intellekte, die mit den meinen konkurrieren können, stark in bezweifle.‘‘
Kohres lag auf der Zunge, dass es die meisten wohl nicht nur im intellektuellen Bereich nicht mit ihm konkurrieren konnten, aber dafür lag ihn dann doch zuviel daran, heute an einem warmen Feuer zu schlafen.
Deswegen reduzierte er seinen Gegenkommentar auf ein knappes „Hmm“ und kümmerte sich stattdessen darum Feuerholz nachzulegen und ein-, zweimal die Suppe im darüber köchelnden Kochtopf umzurühren.
Es verging einige Zeit, ehe sein Gastgeber wieder das Wort an ihn wendete, aber nicht dem Blick von dem Helm abwandte.
„Also dann guter Mann, erzählt mal.‘‘
Kohres erstaunter Blick sagte mehr als tausend Worte.
Der größte Abenteurer aller Zeiten wedelte erneut mit blaublütiger Würde mit seinem Poliertuch.
„Erzählt mir irgendwas Erquickliches, eine Geschichte aus Eurer Vergangenheit. Nicht dass die Erzählungen meiner, hunderter Epen würdiger, Abenteuer, erotische nicht miteingeschlossen, jemals etwas von ihrer Faszination verlieren würden, aber die kleinen Geschichtchen Normalsterblicher sind doch ab und an sehr erquicklich.‘‘
Er polierte weiter.
Kohres dagegen begann angestrengt nachzudenken.
Nicht etwa, weil er sich nicht vorstellen konnte, seinem Gastgeber eloquent darzulegen dass ihn seine Vergangenheit nichts anginge, aber dieser Satz verstarb schneller als ihn lieb war, da ihn augenblicklich etwas klar wurde.
Etwas dass er in den letzten vier Tagen unterdrückt hatte und nun wie eine Sturmflut seinen Kopf auszufüllen begann.
Eine Weile schwieg er noch.
Dann sprach er.
Mehr zu sich selbst, als zu dem, sich im reflektierenden Helm betrachtenden, Maskierten.
„Lustig dass Ihr da was hören wollt, aber leider gibt es da nichts zu erzählen.
Abgesehen von einer Sache mein ich.
Ist nicht so, dass ich nicht viel erlebt hätte, aber all das ist nichts zudem, was mir vor vier Tagen zugestoßen ist. Seht Ihr, ich wollte sterben.
Wegen meiner Sünden und so. Ich war niemals ein guter Söldner der Flammenden Faust, selbst als ich noch keine Schmiergelder annahm. Irgendwie habe ich das Ganze zu betäuben versucht, mit Alkohol und Drogen und ein, zwei Frauen, vielleicht auch nur eine, bei meinem Gesicht.
Wie gesagt, oberflächlich gesehen habe ich einfach mein Leben genossen, aber tief in mir drin, wollte ich mich einfach nur für das was ich war, davor und danach, bestrafen.
Bestrafen, auf die brutalste Art und Weise die es gab.
Blöderweise verläuft es im Leben nie so, wie man es sich wünscht oder?
Und dann bekam ich dieses Schwert in die Finger und der Geist in ihm ergriff von mir Besitz und es begann ein vierjähriges Martyrium.
Irgendwie habe ich es wohl genossen, all die Schmerzen und das Ringen, als wir beide versuchten die Kontrolle zu behalten und ich so einen Grund fand mir immer schlimmere Dinge anzutun, als ich ihn die Schuld geben konnte bösen Magiern hinterherzujagen, Dorfbewohner vor Banditen zu beschützen oder mich einfach zu besaufen und auf den Dorfplatz zu kotzen.
Ich konnte alles auf den Geist schieben oder auf den Drang des Schwertes, als ich noch nicht wusste, dass ich einen Untermieter in meinem Kopf hatte.
Tja und das endete dann wiederum vor einen Jahr, als mich dieser Assassine betrog und er plötzlich die Kontrolle über mich hatte und seinem Ziel entgegenzog.
Ich wehrte mich und fluchte... ein bisschen.
Den Rest von mir dagegen konnte es gar nicht schnell gut gehen.
Endlich ein Ende dieser unsäglichen Existenz, endlich die verdiente Strafe, endlich ein Ende mit allem.“
Er seufzte.
„Tja und dann begannen wir zu reden und er erzählte mir den wirklichen Grund seiner Rückkehr aus dem Grabe.“
Wieder ein Seufzer, dann ein Kopfschütteln.
Kurzes Schweigen.
Dann folgte ein dritter Seufzer und die Fortsetzung der Erzählung.
„Wenn man mir mal erzählt hätte, dass ein Mann wegen seiner Enkelin in die Welt zurückkehrt, um mit ihr seinen Frieden zu machen und dafür einen versoffenen Gardisten und sein Schwert benutzt, hätte ich ihn ins Irrenhaus geworfen. Da wäre er aber wohl nicht lange geblieben, ich spreche da aus Erfahrung.
Na ja... am Ende sagte er durch mich, alles was er zu sagen hatte und übergab ihr noch das Schwert.
Er musste weinen, das heißt ich musste weinen oder wir beide mussten es, ach Ihr wisst schon wie ich das meine.“
Kohres bezweifelte das ernsthaft.
„Auf jeden Fall war der ganze Spuck kurz darauf vorbei. Ich lag noch eine Weile im Bett, weil ich mich inzwischen zu sehr an ihn gewöhnt hatte, aber danach war alles vorbei.
Einfach so. Ohne dramatischen Endkampf, ohne Erleuchtung, ohne alles.
Es war einfach vorbei und ich bin immer noch hier.
Das ist meine Geschichte.“
„Hmm? Habt Ihr etwas gesagt?“
Die Maske Isillitas blickte ihn an, scheinbar hatte er sich erst ab jetzt von seinem eigenen Spiegelbild losreißen können.
Kohres verkniff sich nur unter größter Anstrengung ein Zähneknirschen.
„Nein, nichts. Ich hole noch etwas Feuerholz.“
„Tut dies, tut dies. Versucht dabei nicht in eine meiner herausragenden Fallen zu treten und dabei einen mittelmäßig, qualvollen Tod zu sterben.“
„Ich werde mein Bestes geben.“
Kohres erhob sich und entfernte sich vom Lagerfeuer. Erst nachdem er tiefer in das nahe Wäldchen vorgedrungen war, erlaubte er sich seiner Wut Luft zu machen, indem er mehrmals laut aufschrie und einige Flüche vom Zaun brach, die an dieser Stelle empfindlichen nicht zuzumuten sind.
Es folgten der vierte Seufzer und weitere grüblerische Gedanken, während er sich nun wirklich daran machte weiteres Holz aufzusammeln.
Er dachte an das Schwert, an Mircus und den Ärger, den er sich mit ihm eingehandelt hatte.
Nein, der Ärger den er ihm zuschreiben wollte und für den er immer einen Vorwand gesucht hatte, um ihn endlich in die Wege zu leiten.
Damit er sich selbst bestrafen konnte.
Und um anderen zu helfen.
Er hielt kurz inne, als er sich auf dem Rückweg befand und ließ sich das letzte Wort noch einmal durch den Kopf gehen.
Helfen.
Myrjas, Mircus’ Enkelin, Gesicht erschien vor seinem inneren Auge.
Er sah die Tränen in ihren Augen, die aufrichtige Rührung und fühlte erneut ihren Körper eng an dem seinen, als sie durch ihn den Geist umarmt hatte.
Seine eigenen Gefühle kamen ihn in den Sinn.
Genährt von dem Wissen das Richtige zu tun, war es die schönste Empfindung gewesen, die er jemals verspürt hatte. Es war so richtig gewesen, so wunderbar dem Himmel, in dem er Kira immer noch wähnte, nah, wie er es sich vorstellen konnte.
Er hielt inne blickte auf den Stock in seiner Rechten, ein besonders großes und schweres Exemplar, hinab, wog ihn hin und her, ließ sich alles noch einmal durch den Kopf gehen und traf eine Entscheidung.
Entschlossenen Schrittes schritt er erneut auf das Lagerfeuer zu, vorbei an der still wartenden Stute Gerechtigkeit (die ihn ausdruckslos anstarrte, aber aus Kohres Sicht genau in sein Herz zu sehen vermochte) vorbei, direkt auf Isillita zu, der den Schädelhelm nun bei seiner Betrachtung emporgehoben hatte und lautstark „Mein oder nicht mein” vor sich hinsagte.
Kohres legte fast den gesamten Holzstapel ab.
Den großen Stock behielt er jedoch in der rechten Hand.
„Meister Isillita, ich werde Euch gleich verlassen. Mir ist eben etwas Wichtiges aufgefallen und ich gedenke mein Leben nun zum Besseren zu führen.“
„Das ist sehr erfreulich für Euch, mein Lieber. Sagt, meint Ihr dass dieses Stück mir stehen würde?“
„Wohl eher nicht. Ehe ich Euch verlasse wollte ich Euch bitten, mir wenigstens eines Eurer Beutestücke nun ja, ausleihen. Eine magische Waffe, wenn es geht. Es geht um eine gute Sache und Ihr werdet sie wieder zurückerhalten, das schwöre ich.“
Isillita blickte ihn erneut an.
Seine Schultern begannen zu beben.
Sein schallendes Gelächter wurde von seiner Maske, ein wenig gedämpft. Es dauerte eine Weile bis er sich beruhigt hatte.
Gerechtigkeit, die nicht allzu weit entfernt stand, schnaubte nur einmal.
Isillita hatte derweil zu seiner Sprache zurückgefunden.
„Pfuh, Ihr seid ein richtiger Spaßvogel. Genau wie mein geschätzter Freund Aramand...“
Kohres hielt immer noch den Stock in seiner Rechten.
„... der aber wohl gerade von den Dämonen des Abyss geschändet wird, aber was sollte ich machen? Ich musste mich zwischen Ihm und dem großen Diamanten von Ka entscheiden. Ich bin mir sicher, dass er vollstes Verständnis für meine Entscheidung aufbringen könnte, wenn seine Seele nicht damit beschäftigt wäre bis in alle Ewigkeiten gedemütigt und zerrissen zu werden.“
„Da bin ich mir ganz sicher.“
Auf einmal runzelte Kohres die Stirn. Dann hob er, scheinbar überrascht, die Stimme und dann den Arm.
„Hey! Ist dass da hinten nicht eine unbekleidete, willige Jungfrau?”
Isillita drehte sich tatsächlich um.
Seine blitzschnellen Reflexe bewahrten ihn nicht vor der Kollision seines Hinterkopfes, mit dem Stock.
Dafür schien seine überdurchschnittliches Ego ihn aufrechtzuerhalten, da es eines zweites Schlages bedurfte um ihn wirklich zu Fall zu bringen.
Der dritte Schlag war nur eine kleine Sicherheitsmaßnahme.
Kohres verschwendete danach keine Zeit mehr und fesselte den Mister aller Klassen so fest wie er konnte (doppelt und dreifach, unter anderem auch mit dessen seidener Unterwäsche), trat das Feuer aus und packte die gesamte Beute in zwei handlichen Säcken zusammen.
Gerechtigkeit schaute ihn stumm dabei zu und als sich ihre Blicke trafen, schien ein stilles Einverständnis zwischen ihnen zu bestehen, als Kohres sie sattelte, die Beute verstaute und anschließend aufstieg.
Sein Blick wanderte gen Westen, wo die Sonne langsam hinter dem Horizont verschwand und er atmete einmal tief ein und aus.
„Weißt Du Mjinn, abgesehen davon dass ich einem arroganten Schnösel gerade ausgeraubt habe, ist das gar kein schlechtes Ende für ein altes Leben, finde ich.
Ich meine, auf eine Sünde mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht an oder?“
Das umgetaufte Pferd legt nur einmal kurz die Ohren an, enthielt sich jedoch einer Antwort.
Kohres selbst blickte noch einmal zum Himmel und als er dies tat, erschien er ihm fast zum greifen nah.
Er lächelte.
„Na komm. Wenn wir jetzt nach Westen reiten, finden wir vielleicht ein oder zwei der Dörfer, die dieser Schmarotzer um seine Reichtümer betrogen hat. Bringen wir den Menschen etwas vom Himmel auf die Welt.
Fangen wir neu an.“
Er drückte dem Pferd die Füße in die Seiten, schnalzte einmal mit der Zunge und gemeinsam ritten sie in Richtung Westen.
Das Ende hinter und ein neuer Anfang vor sich.