Rote Zora
Das große Finale - der Kreis schließt sich
Pelle blickte nacheinander in die Gesichter besorgter alter Männer. Sein Mentor war da, ein hochrangiger Kleriker des Helm sowie ein erfahrener Magier aus dem Freundeskreis seines Mentors. Noch interessanter war der Ort, an dem sich diese illustre Herrenriege mit ihm traf: Im Keller der Taverne zu den Fünf Krügen. Man konnte ihren Gesichtern ansehen, dass sie sich sichtlich unwohl fühlten, und im gleichen Maße stieg bei dem jungen Paladin ein kribbeliges Gefühl von Bedeutung. Wie sich die Herren da mit ihren graumelierten Bärten auf den Holzstühlen seiner Stammkneipe versuchten bequem hinzusetzen hatte schon etwas komisches. Aber nicht allein die ungewohnt harte Sitzunterlage schien dafür zu sorgen, dass sie allesamt unbehaglich auf ihren Plätzen hin und her rutschten. Sie hatten ein Problem, und es musste ein gewaltiges sein, so viel schien sicher. Und um so erstaunlicher war es, dass sie nun ausgerechnet zu ihm gekommen waren, Pellegrinus Luminiszentius, einem Jungpaladin, der noch nicht mal alle seine Prüfungen gemeistert hatte. Und da offenbar keiner der weisen Herren das Gespräch eröffnen mochte, ergriff Pelle selbst das Wort:
„Nun, meine Herren, was verschafft mir die absolut schmeichelhafte Ehre eines solch hohen Besuchs in so bescheidenem Rahmen?“
„Pelle,“ sein Mentor sprach schnell und leise, er, der sonst mit sonorer Bedächtigkeit in seiner Stimme seiner Würde und Erfahrung Ausdruck verlieh: „diese Treffen hier findet gar nicht statt. Es ist so geheim wie nur irgend etwas geheim sein kann. Niemand außer uns hier Anwesenden weiß davon.“
„Was ist passiert?“
„Felix Feuerschild ist tot.“
„Felix... - wer?“
„Felix Feuerschild ist einer unserer besten Leute in Baldurs Tor... gewesen“ - Ein jäher Schmerz durchfuhr das gütige Gesicht seines Lehrers. „ich habe ihn selbst ausgebildet. Ein guter Junge... vorurteilsfrei, gewissenhaft, loyal und rechtschaffen...“ Er riss sich zusammen: „Er hatte einen heiklen Auftrag, und irgendwie wurde er offenbar verraten. Er ist heute früh ermordet worden!“
„Heute früh, ich meine es ist...“
Der Mentor deutete mit dem Kopf zum Magier: „Wir waren gerade dort angekommen, weil es hieß, er hätte eine heiße Spur gefunden. Er suchte nach einem Mädchen, Elisa Silberschild. Sie ist seit Wochen verschwunden. Eine schlimme Geschichte. Aber er erschien nicht zum vereinbarten Treffen. Stattdessen traf die Nachricht ein dass er... er...“ Wieder dieser Schmerz. Die Stimme versagte.
„Und dann fiel Euch auf, dass ihr jemanden braucht, der in seine Fußstapfen tritt, richtig? Einer der ermitteln kann und nicht in diesem leckgeschlagenen System des Ordens von Baldurs Tor drin steckt. Und der wahnsinnig genug ist, sich mit Leuten anzulegen, die offenbar über Leichen gehen.“
Der Mentor nickte. „Und da ist noch etwas... wir brauchen jemanden, der – sagen wir mal – recht vorurteilsfrei an die Sache herangeht. Der unglückliche Felix hatte eine Co-Ermittlerin mit an Bord geholt, und sie.. ist... ein bisschen besonders...“ Das Gesicht des Mentors nahm einen gequälten Ausdruck an, als würde er gerade auf einer lebendigen Kröte kauen, und müsste sie umgehend unterschlucken.“
„Wieder so was halb orkisches? Oder einen Werwolf oder ein klein bisschen untot?“ Pelle versuchte lustig zu klingen.
„Sie ist ein Succubus“ die gepresste Stimme des Mentors war ein Flüstern.
Pelle stand eine Weile der Mund offen. Er konnte sich unmöglich verhört haben. Genausowenig war es möglich, dass die Kirche Helms und der Orden der Luminiszenti mit einem leibhaftigen Dämon zusammenarbeitete. Das passte doch alles nicht zusammen! - „Ihr müsst verdammt große Probleme haben...“
„Pack deine Sachen, wir teleportieren in einer dreiviertel Stunde zurück nach Baldurs Tor.“ Die Stimme des Mentors hatte wieder ihre alte Festigkeit gewonnen. Eine Widerrede war offenbar ausgeschlossen. Stumm stand Pelle auf und verließ die Schänke. Auf dem Weg nach Hause fragte er sich mehrfach, ob er geträumt hatte.
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Pelle schmiss wahllos ein paar Klamotten zusammen. Die wichtigsten Utensilien für eine vernünftige Untersuchung, ein paar Dinge um sich ein gepflegtes Aussehen zu verpassen. Seine Paladinverkleidung zog er an, beschloss aber, sie wieder abzulegen, sobald die hohen Herren ihn allein ließen. Unnötiger Ballast das alles. Kurz wog er das Buch in seiner Hand, in dem er gerade las. Sein Mentor hatte es ihm geschenkt. Die Geschichte eines dunkelelfischen Magiers namens Issililta, der anders als die übrigen Vertreter seiner Rasse seine schier unglaublichen Fähigkeiten dazu einsetzte, den Menschen zu helfen, statt sie zu quälen und zu töten.
„Ein tolles Buch. Erinnert vielleicht auf den ersten Blick an die Legenden von Drizzt, aber zu so einem Urteil kommen nur einfältige Kretins, die von diesem Werk nicht mehr als den Klappentext gelesen haben!“ hatte sein Mentor behauptet. Und: „Es ist etwas für Leute wie dich, die keine Vorurteile haben!“
Vorurteilsfrei. Das hatte er heute wieder gehört. Lange war er stolz drauf gewesen, aber mittlerweile fragte er sich, warum es eigentlich so eine Auszeichnung sein sollte. Was, verdammt noch mal, ist denn besonderes daran, wenn man einfach davon ausgeht, dass es zwar Gutes und Böses gibt in der Welt, aber nicht von vorneherein bestimmte Rassen, Klassen und Wesen an sich gut oder böse wären?
Musste man selber einmal erfahren haben, dass man anders ist, dass man nicht ins Schema passt, um zu kapieren, dass diese starren Schablonen mit denen Menschen so oft beurteilt werden, einfach total unbrauchbar sind, wenn man etwas bewerten will, was dynamisch, beweglich, weich, warm, pulsierend – schlichtweg lebendig ist? Er schüttelte den Kopf und packte das Buch mit ein. Da klopfte es auch schon an der Tür.
Zeit, aufzubrechen.
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Vicky hatte heute einen bescheidenen Tag. Alles fing damit an, dass sich irgendwelche fiesen Lebensmittelmotten in ihrem Kaffeepulver breit gemacht hatten. Alles war versponnen und verklebt mit Fäden dieser widerlichen Maden.
„Eine Woche nicht zu hause und dann so eine Sauerei!“
Nicht, dass sich diese Exkursion nicht gelohnt hätte. Sie hatte sich tatsächlich auf das platte Land begeben. Für sie, die von Sigil her eigentlich nur großstädtisches Leben kannte war das ein ähnlicher Kulturschock wie die der Schritt durch das Tor zu dieser Welt hier. Obwohl sie sich so defensiv gekleidet hatte wie nur irgend möglich und sich nach dem Griff in die unsagbarsten Tiefen ihres Kleiderschrankes bei dem Blick in den Spiegel für den perfekten Bauerntrampel hielt – war sie fassungslos, wie hoffnungslos overdressed sie dann in Dörfern wie Gullykin und ähnlichen Flecken auftrat.
Trotzdem: die Wahrheit über Elisa Silberschild war nur dort zu finden, denn der gute Felix, der sie mit Informationen versorgen sollte erwies sich als ganz und gar unbrauchbar für diesen Zweck, da er selber nur sorgsam gefilterte Nachrichten bekam, ihm aber offenbar gleichzeitig Druck gemacht wurde, die Angelegenheit zügig aufzuklären. Vicky war drauf und dran gewesen, diesen schlechten Witz einfach zurückzuweisen, wenn es sie nicht gereizt hätte, genau diese Informationen zu bekommen, die die Helmiten so sorgsam geheim zu halten trachteten.
Und es war ihr gelungen. Elisa Silberschild war tatsächlich die Tochter des Oberen der Helmpriesterschaft. Man hatte mit ihr ein wahnwitziges Experiment veranstaltet. Durch unsagbare Rituale sollte sie in den Zustand perfekter Unschuld gebracht werden. Angeblich wäre sie dann in der Lage gewesen, priesterliche Zauber von unvorstellbarer Macht zu wirken, die der Kirche Helms zu erheblichem Ansehen und sicherlich auch Reichtum verholfen hätten.
Vicky grinste. Das ganze endete in einem Fiasko.
Obwohl diese Operation unter höchster Geheimhaltung geplant und durchgeführt wurde, tauchte just am Ende der Rituale ein mächtiger Magier auf, fror das Mädchen in einen Eisblock und teleportierte sich mitsamt der in jeder Hinsicht unschuldigen Elisa an einen unbekannten Ort.
Die Kirche Helms hatte nun ein dreifaches Problem. Das Töchterchen des Oberen sollte natürlich so schnell wie möglich wieder gefunden werden und wohlbehalten zurückkehren. Dabei sollte zweitens aber niemand, wirklich niemand von diesem Ritual erfahren, was mit Sicherheit für einige Aufregung gesorgt hätte, nicht nur in den akademischen Kreisen der Theologen. Und schließlich musste das Leck gefunden werden, denn irgendwer musste ja dem Magier einen Tipp gegeben haben.
Sie konnte jetzt die Verzweiflung gut verstehen, die dazu führte, dass Felix Feuerschild dann vor eineinhalb Wochen an ihre Tür klopfte. Und schlagartig waren ihre Gedanken wieder im Hier und jetzt: Wo steckte dieser Kerl? So erfolgreich ihre Recherche auch war, heute war nicht ihr Tag. Verdorbener Kaffee und verspätete Paladine waren gleichermaßen ungeeignet, ihre Stimmung zu heben. Heute vormittag um die zehnte Stunde wollte Felix hier aufkreuzen, und nun hatte die Sonne ihren Zenit schon überschritten.
Hatte man von ihren Ermittlungen Wind bekommen und waren die Helmiten gerade dabei die Zusammenarbeit auf die kalte Tour zu beenden? Dann würde sie ihnen aber eine saftige Rechnung stellen. Nicht zuletzt, weil dieser Ausflug ins Landleben ihre Schuhe ruiniert hatte. Mono klickte beifällig als sie ihn bat, mal eine Aufstellung der abgeleisteten Stunden, aufgewendeten Kosten und übriger Auslagen aufzustellen.
Doch gerade als die den wundervoll astronomisch anmutenden Endbetrag unter die Rechnung setzen wollte, klopfte es an der Tür. Sie blickte skeptisch auf und spannte ihre Handarmbrust. Dieses Klopfen war nicht das von Felix und irgendetwas in ihrem Bauch sagte ihr, dass etwas schief gelaufen war. Sie öffnete die Tür und trat sofort einen Schritt zurück – und musste lächeln.
Vor ihr stand ein notdürftig als Paladin verkleideter Milchbubi mit einem geradezu unglaublich ehrlichem Gesicht und so unverdorbenen Zügen, dass sie sich zwingen musste, nicht spontan Muttergefühle zu entwickeln, denn er machte ein sehr ernstes und wichtiges Gesicht.
„Hm?“ Es war ja wohl an ihm, zu erklären, was er hier wollte.
Der Junge ignorierte ihre hochgezogene Augenbraue und wirkte, als er den Mund aufmachte doch überraschend professionell: „Vicky Victory, nehme ich an? Pelegrinus Luminiscentius, ich bin angehender Paladin Helms und bin im Auftrag des Ordens hier. Felix Feuerschild ist tot. Er wurde ermordet.“
Vickys amüsierte Laune war wie weggeblasen. Dieser Fall schien richtig bösartig zu werden.
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Natürlich regnete es schon wieder. Vicky hatte vor allem Mitleid mit ihren Schuhen, die einfachsten waren ja nun hinüber, und ihre jetzigen, knallroten Wildledersandaletten, hatte sie zunehmend verzweifelt versucht um alle möglichen Pfützen herumzumanövrieren, doch nun standen sie am Eingang von Felix' Zuhause, und sie spürte, wie die Nässe langsam durch die Sohle kroch.
„Was sollen wir hier? Uns davon überzeugen,dass er wirklich tot ist? Ich hätte es auch so geglaubt!“
missmutig blickte sie auf die mittlerweile leicht aufgequollene Leiche dessen, was mal ein etwas unbedarfter, im ganzen aber umgänglicher Paladin Helms gewesen war.
„Spuren sichern“ gab Pellegrinus kurz zurück ohne seine grauen Augen vom Boden zu lassen, den er nach irgendwas auch immer absuchte.
„Bei diesem Wetter?“ Vicky zog sich zurück. Irgendwas nervte sie an diesem Typen, und sie musste eine Weile nachdenken bis es ihr einfiel. Er war so entsetzlich unbeeindruckt von ihrer Weiblichkeit. Nicht dass ihr das sabbernde Gegaffe oder die zotigen Sprüche einiger Testosteronmännchen nun wirklich etwas geben würden, aber dass dieses Exemplar ganz offenbar den durchwühlten Matsch vor seinen Füßen um Längen interessanter fand als sie, war doch irgendwie auch unverschämt. Sie zog sich in den Hauseingang zurück, um gleich darauf von diesem kleinen Streber gerufen zu werden.
„Hier! Das müsst Ihr Euch ansehen!“
Widerstrebend begab sie sich wieder unter den unbarmherzig herabnässenden freien Himmel.
„Die wichtigste Information kann jeder Trottel herausfinden: Ein Meisterschütze war am Werk. Schuss direkt ins linke Auge. Felix war sofort tot. Aber das hier...“ er wies auf einen Kratzer am Halsstück des Brustharnischs „zeigt, dass unser Scharfschütze doch zwei Mal geschossen hat.“
„Vielleicht doch nicht Mr. Superschütze, hm?“ Vicky gab sich keinerlei Mühe ihren Sarkasmus zu verbergen, aber das schien an dem Kerl abzuperlen wie wie der Regen an dem gewachsten Umhang den er klugerweise – und im Unterschied zu Vicky – angezogen hatte.
„Das glaube ich nicht. Denn der Schuss wäre unbedingt tödlich gewesen, hätte Felix nicht diesen speziellen Harnisch mit Halsschutz angezogen. Es scheint mir viel mehr, dass der Schütze zuerst auf den Hals gezielt hat, um das Gesicht nicht zu entstellen.“
„Ein Auftragsmörder also“ Vicky bemühte sich gelangweilt zu klingen, musste aber zugeben, dass der Jungspund ein scharfes Auge und einen durchaus wachen Verstand hatte. Aus dem könnte direkt noch mal was werden, dachte sie, wenn er nicht in dieser pomadigen Helm-Clique versauerte.
„Und ein verdammt guter noch dazu. Hier!“ er hielt die schlammverschmierten Überreste eines Armbrustbolzens in seiner dreckigen Hand unter Vickys Nase: „Das ist der Bolzen vom ersten Schuss. Total zersplitttert“
„Gutes Material eure Rüstungen“ sie bemühte sich immer noch so zu klingen, als erzählte er ihr nichts Neues, war aber in Wirklichkeit durchaus schon gespannt, worauf er hinaus wollte. Ein wirklich findiges Kerlchen.
„Ja, aber eben auch relativ schlichtes Material beim Schützen.“ Pelle ließ sich durch ihren Ton nicht in seinem Eifer beirren: „Es ist definitiv kein verzauberter Bolzen. Gute Handwerksarbeit sicher, sonst könnte er nicht so präzise schießen, aber keine Magie. Unser Auftragsmörder verlässt sich ganz auf sein Geschick. Vielleicht rechnet er auch bei seinen Opfern mit Schutz vor magischen Waffen.“
„Hm, das würde bedeuten, dass er sonst öfter mit Magiern zu tun hat...“ Vicky dachte nach, der Typ hatte mit seinem Schlammgewühle tatsächlich Informationen zutage gebracht, mit denen sie was anfangen konnte.
Pelle blickte konzentriert vom Bolzen zur Leiche und in die Umgebung. Als hätte er Angst irgendetwas zu übersehen. Dabei sollte er, bevand Vicky, ja mittlerweile wissen, dass er es diesmal mit einem Profi zu tun hatte, der einfach keine weiteren Spuren hinterließ als eine Leiche und zwei Bolzen. Als er seufzte war ihr Einsatz gekommen:
„Und nun, Herr Pelegrinus, seid Ihr am Ende mit Eurem Latein. Nun bräuchtet ihr jemanden, der Euch wie auf Knopfdruck einen Namen und eine Adresse ausspuckt von einem geradezu perfekten Auftragsmörder, der häufig mit Magiern verkehrt und keine Scheu hat, einen Hauptmann der Luminiszenti mit zwei Schüssen das Lebenslichtlein auszupusten und dann spurlos zu verschwinden, richtig?“
Pelle starrte sie mit offenem Mund an. Vicky war wieder in ihrem Element. Der Bubi mochte noch so clever sein, ihm fehlte das, was sie hatte: Beziehungen. Die besten Verbindungen in alles Schichten der Schickeria, des organisierten Verbrechens und der diese ganze verdammte Stadt durchwuchernden Halbwelt.
„Zufällig habe ich so etwas zu Hause. Gehen wir?“
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Pelle blieb ja nichts anderes übrig, als ihr zu folgen, auch wenn er kein gutes Gefühl hatte, musste er sich einräumen, dass er keine richtigen Alternativen hatte. Hier in der fremden Stadt vermisste er sein Team. Soll er Antilis und Jerom noch hier her teleportieren lassen? Er schüttelte den Kopf. Erstens wären sie in einer ihr fremden Stadt auch nur von begrenztem Nutzen, zweitens würde sich sein Orden schlichtweg weigern noch weitere Personen in diese unangenehme Sache einzuweihen.
Vicky verschwand sofort im Bad, um aus ihren nassen Klamotten zu kommen, Pelle hängte seinen triefenden Umhang auf, seine nassen Schuhe stellte er artig darunter, bei dem Rest musste es halt so gehen, auch wenn er sich beim Umsehen fragte, wo er in seinen Alltagsklamotten eigentlich Platz nehmen sollte. Alles hier verriet einen leicht extravaganten aber keineswegs aufdringlichen Chic, der ihm so völlig unvertraut war. Er kannte die niedrigen Kaschemmen in denen er oft ermittelte, er kannte die überladenen Prunkzimmer des ritterlichen Adels – aber dieses sparsame aber erlesene Ambiente faszinierte ihn. Seine Finger glitten über einen polierten Couchtisch, auf dem ein würfelförmiges Etwas stand, das leise klickte.
Plötzlich fiel ihm auf, dass Vicky mit ihm redete. Sofort sah er auf. Sie hatte die Badezimmertür einen Spalt offen gelassen, und erzählte ihm nun ihre Version, wie sie Felix Feuerschild kennen gelernt hatte, und was genau bislang ihr Auftrag gewesen sei. Auch, was sie auf ihrer Tour auf's Land herausgefunden hatte.
Pelle stellte fest, dass sie doch eine echte Ermittlerin war, und kein Zuckerpüppchen, wie sie noch am Tatort auf ihn gewirkt hatte. Durch den Türspalt konnte er einen Blick auf sie erhaschen. Es stimmte. Succubi waren von einer tatsächlich übermenschlichen Schönheit und Attraktivität gekennzeichnet. Und er stellte einmal mehr frustriert fest, dass ihn absolut nichts zu ihr hinzog. 'Wenn dich nicht mal ein Succubus reizt, solltest du es dir wirklich endlich zugeben, dass das nichts mehr wird, mit Frau und Kindern und Familie. Du bist einfach anders gepolt, und musst deine Rolle als Außenseiter auch irgendwie annehmen'. Wohin ihn das führte, wusste er noch nicht, denn von der besagten Szene hatte er bislang nur die gruseligsten Geschichten gehört.
„Nur gucken, nicht anfassen“ hörte er Vickys Stimme aus dem Badezimmer, und ihm viel auf, dass er während seiner Gedanken offenbar zu ihr rübergestarrt hatte, und sie seinen Blick missverstanden hatte. Schamhaft senkte er die Augen. 'Na das kann ja eine heitere Ermittlerpartnerschaft werden, wenn sie mich auch noch für einen Spanner hält' dachte er – und war überrascht, wie aufgeräumt und fröhlich Vicky aus dem Bad kam.
Sie wies ihm einen Platz zu bei jener eleganten Sitzgruppe, bei der sich Pelle unwillkürlich fragte, ob seine durch den Außeneinsatz doch etwas beeinträchtigten Klamotten es überhaupt empfahlen, sich dort niederzulassen.. Vicky fütterte der Würfel auf dem Couchtisch nun mit allen Informationen, die sie hatten sammeln können und tatsächlich begann das Ding zu rattern und verschiedene Gesprächsfetzen, halbdurchsichtige Bilder und dann Zahlen, Daten und Fakten auszuspucken, die an Präzision nichts zu wünschen übrig ließen. Der gesuchte Mann hieß Ino, war 37 Jahre alt, wohnte in einem Lodge oberhalb eines Lagerhauses im Hafen und arbeitete für die Magiergilde die Kalte Hand. Der Preis für einen Mord an einem Gewöhnlichen betrug 500 Goldstücke, Adlige waren teurer, Abschaum billiger. Plus Spesen und Verbrauchmaterial.
Pelle kam aus dem Staunen nicht heraus.
„Wenn du die Vermutung haben solltest, dass das hier irgendein Teufelszeug ist, würde ich dir nicht wirklich widersprechen“ ließ sie ihn mit einem süffisanten Lächeln wissen. Dann wurde ihre Stimme wieder ernst: „ Ich denke, ich werde unserem Herrn Ino mal einen kleinen Besuch abstatten“
„Du?“ Pelle ahnte bereits die Antwort, aber sie schmeckte ihm nicht.
„Ich denke eine von uns beiden hat verdammt gute Beziehungen in dieser Stadt, und eine von uns beiden wird keine Probleme haben, bei Herrn Ino etwas herauszufinden, und eine von uns beiden hat keinerlei Lust darauf, dass irgendein trotteliger Paladin neben ihr herstiefelt und alles versaut.“ Sie sagte das alles mit einem zuckersüßen Lächeln und einer geradezu liebevoll freundlichen Stimme – aber die Botschaft traf Pelle wie eine Faust mitten ins Gesicht.
'Du arrogantes Miststück' wollte er sagen, verkniff es sich aber, weil er sich irgendwo doch noch an seine ritterliche Benimmschule erinnern konnte – und vor allem wollte er nicht der erste sein, der hier ausfällig wurde. Und was würde es überhaupt bringen, wenn sich die Ermittler in einen sinnlosen Streit treiben ließen? Er holte tief Luft: „Ich arbeite eigentlich gerne im Team. Natürlich können wir uns auch aufteilen, aber dann müssten wir überlegen, was ich in der Zeit sinnvolles tun könnte.“
Er erkannte an Vickys zufriedenem Gesichtsausdruck, dass sie ihn jetzt da hatte, wo sie wollte. Er war jetzt der kleine Hilfsermittler, der sie um einen Auftrag anbettelte. Es ärgerte ihn maßlos, und trotzdem fiel ihm nichts ein, was ihm anderes übrig blieb. Immerhin schien sie eine Idee für ihn zu haben.
„Pellegrinus, Ihr könntet in der Tat die Gilde der Kalten Hand mal etwas näher unter die Lupe nehmen. Wer geht da ein und aus? Wer könnte Ino gebucht oder vermittelt haben? Wer von diesen Zauberkünstlern hat möglicherweise ein Interesse an Elisa? Immerhin, sie wurde in einen Eisblock verwandelt, das passt ja schon irgendwie zu der magischen Ausrichtung dieser Gilde.“
Pellegrinus sah ein, dass das keine schlechte zweite Fährte wäre. Aber wie sollte er da etwas erreichen, wenn er da ganz auf sich allein gestellt war? Auch hier wusste Vicky Rat.
„Du arbeitest gerne im Team? Ich habe einige Leute, die ich immer wieder gerne als Hilfsermittler in Anspruch nehme. Botengänge, Handlangerdienste, aber hier und da auch mal eine Observation oder Materialbeschaffung und Recherche.“
Pelle zog die Augenbrauen hoch. „Zuverlässig? Ich meine...“
„Absolut. Sie sind nicht in die Strukturen der Stadtwache oder Paladine eingebunden, im Gegenteil, das ist eine Truppe von Leuten, die alle nicht ganz – sagen wir angepasst sind. Man muss schon...“
„Vorurteilsfrei an die Sache rangehen, richtig?“
Vicky nickte breit lächelnd. Dann wandte sie sich diesem merkwürdigen Würfel zu: „Mono? Kannst du unserem lieben Pellegrinus ein paar Mitarbeiter vorschlagen?“ Der Kasten surrte kurz, dann spuckte er eine Reihe von Namen aus. Vicky kommentierte.
„Cathwulf – oh ja, der ist ein ganz solider Kämpfer, nicht ganz hohl in der Birne aber auch keine große Leuchte. Leider besessen von Drauger, einem Geist, der noch seinen Frieden sucht. Dabei aber ganz brauchtbar.
Hlinka – oh ja, ein vielseitiges, interessantes Mädel. Sucht noch seinen Weg zwischen Heilen oder Töten, irgendwie gestrandet nach einem Massaker in ihrer Heimat. Ziemlich misstrauisch und gerade dadurch keine schlechte Ermittlerin.
Kohres – ja, der arme Kerl trägt leider ein verfluchtes Schwert. Das macht ihn im Kampf unheimlich stark, aber leider auch etwas unberechenbar. Theoretisch ist er noch bei der Flammenden Faust, aber die wollen nichts mehr von ihm wissen. Wenn du irgendwo ratzekahl aufräumen musst, ist er dein Mann.
Mjinn – vielleicht die normalste von allen, die ich hier habe, kommt aus nem Kloster irgendwo im Osten. Sehr geschickt, blitzschnelle Reaktionen, ziemlich resistent gegen Magie. Soll jetzt die Welt kennenlernen und ist deshalb nicht so ganz von hier.
Sahudja – ein Narr und irgendwie auch Zauberer. Werde nicht ganz schlau aus ihm, aber er ist dazu noch ein Charmeur und ziemlicher Glückspilz. Ihr könntet euch prima ergänzen.
Skeira Hati – eigentlich sehr brauchbar, weil man eine Priesterin immer gut haben kann. Passable Heilkünste, ob sie einen wie Drauger bannen könnte, würde ich eher verneinen. Wenn ihre Stimme aber etwas rauher, und ihr Arm pelziger wird, würde ich den Sicherheitsabstand vergrößern.“
„Lykanthropie?“ Pelle versuchte, möglichst gelassen zu klingen.
„Ja, so nennt man das wohl in dieser Ebene. Richtig, sie ist ein Werwolf. Ja, das waren sie wohl alle. Meine Informanten innerhalb des Apparates von Stadt und Priesterschaft sind erstens – entschuldige das bitte – ein Betriebsgeheimnis, und außerdem bei diesem Einsatz möglicherweise zu dicht an dem Leck das wir suchen.“
Pelle nickte stumm. Im Geist ging er noch einmal die Namen durch. Dann blickte er Vicky gerade in die Augen: „Ich nehme sie“
„Wen? Skeira? Mjinn? Oder...“
„Ich nehme sie alle.“
Nun war es ihm doch noch gelungen, sie zu verblüffen.
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Pelle saß in der Taverne zum rostigen Eimer und sah sich seine neue Ermittlungsgruppe einen nach dem anderen an. Aus seinem – wahrscheinlich aus schlechtem Gewissen – reichlich veranschlagten Spesentopf konnte er jedem ein Goldstück pro Tag anbieten, und bei den verkrachten Existenzen, die ihm da gegenüber saßen, war das ganz offensichtlich eine ganze Menge. Als er in all die ernsten und entschlossenen Gesichter blickte, überkam ihn eine Welle von Glück. Jetzt war er wieder in seinem Element.
Er teilte sie in Teams ein. Mjinn und Sahudja hatten das größte akrobatische Talent, Cathwulf und Kohres bildeten die Nahkampffraktion, Skeira und Hlinka hatten immerhin ganz brauchbare Heilfertigkeiten. Sie machten einen Plan zur Observation des Hauptquartiers der Gilde, dafür waren die beiden Mädchen zuständig. Immernoch erweckten Frauen weniger Argwohn als Männer, wenn sie stundenlang an einer Ecke standen und palaverten. Mjinn und Sahudja sollten versuchen, dort einzudringen, um Informationen aus dem Inneren zu bergen, Cathwulf und Kohres sollten als Eingreifkommando im Hintergrund bleiben, falls es notwendig sein sollte, jemanden herauszuhauen.
Es dauerte Tage, bis sie Ergebnisse bekamen. Tage, in denen er nichts mehr von Vicky hörte, und nicht wusste, ob er sich ärgern sollte, oder Sorgen machen musste, doch seine eigenen Ermittlungen kosteten fast alle seine Aufmerksamkeit, und er vermutete, dass es bei seiner ungleichen Kollegin ähnlich sein würde.
Sahudja und Mjinn kamen zwar in das Haus, aber nicht weiter als bis auf den Dachboden, alle Räume von wirklichem Interesse waren zu gut gesichert. Die Beobachtung des Eingangs brachte wenig ein, weil sich die mächtigeren Mitglieder dieser Gilde direkt in das Anwesen teleportierten. Aber sein Team entwickelte Ehrgeiz und war findig. Hlinka heuerte bei der Putzkolonne an, und konnte in das Gebäude eindringen, und einen von Sahudja verzauberten Portschlüssel dort einschmuggeln. Damit konnte zwar kein Mensch, aber der Geist, der Cathwulfs Besessenheit ausmachte, problemlos die magischen Schranken umgehen. So drang er in das Innerste der Gilde vor und konnte dort alles mögliche mithören und dem Team durch Cathwulfs Mund berichten.
Und was sie zu hören bekamen, als sie mal wieder im Rostigen Eimer saßen, ließ bei Pelegrinus alle Nackenhaare aufrecht stehen. Kein geringerer als Aramand, der Problemlöser, war ein Ehrenmitglied dieser Gilde. Pelle konnte schwören, dass es der selbe Problemlöser war, den er auch in Athkatla gejagt hatte: „Das ist unser Mann. Das ist genau seine Handschrift. Alles konzentriert sich jetzt auf ihn!“ Er brauchte nur kurz zu erzählen, was für ein gewissenloser Widerling dieser Aramand war, und sein ganzes Team war ein Monolith grimmiger Entschlossenheit.
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Es war sein großer Tag. Aramand hatte für Lord Leodon, ein besonderes Geschenk vorbereitet. Dieser Auftrag war besonders wichtig, weil jener Lord hervorragende Beziehungen in die höchsten Kreise des Adels hatte. Und außerdem war er sehr einflussreich was die Tätigkeit der Behörden, namentlich der Wachen und Paladine anging. Ein unschätzbar wertvoller Klient in Aramands Kundenkartei. Nachdem er seine Geschenke – es waren nämlich zwei – recht ansprechend verpackt hatte, teleportierte er sich pünktlich um die vierte Stunde nach Mittag in die Villa Leodons. Es war einer der Momente, in denen er sich in seiner Vorfreude fühlte, wie ein kleiner Junge, der etwas wirklich funktionierendes gebaut hatte, und es nun seinem Vater zeigen durfte.
„Aramand! Mein lieber Freund und Löser aller meiner Probleme, Erfüller aller meiner Wünsche! Ist es nun soweit?“ Der Herr mit dem graumelierten Bart und der Statur eines etwas in die Jahre gekommenen Ritters war nur in einen Bademantel gekleidet, als er Aramand und seine Fracht empfing. Sie waren im Schlafgemach, und das nicht ohne Grund.
„Ja, Lord Leodon!“ antwortete der Hexer, „doch muss ich euch gestehen, dass ich Euren Auftrag nicht exakt so erfüllt habe, wie ihr es mir aufgetragen habt. Dafür bitte ich schon jetzt untertänigst um Eure Milde und Vergebung“
Die Augen des Anderen weiteten sich. „Nicht... ganz... exakt?“ Kaum verholener Zorn bebte in der Stimme, maßlose Enttäuschung breitete sich auf dem Gesicht aus: „Habt Ihr nicht, wie vereinbart, die reine Unschuld mitgebracht, die...“
„Doch!“ unterbrach ihn Aramand. Er genoss dieses Spiel, weil es wieder ein Spiel war, das ihn am Ende als strahlenden Gewinner vorsah. „ich habe mir nur erlaubt, ein kleines Häppchen noch oben drauf zu servieren!“ Mit diesen Worten zog er ein schillerndes Tuch von den beiden Körpern, die auf dem Schlafgemach des Adeligen lagen.
„Bei allen Göttern! Was ist das?“ entfuhr es dem alten Lord.
„Engelchen und Teufelchen – ist es nicht reizend, wie sie da nebeneinander liegen?“ Aramands Lächeln war das Bild seines Triumphes: „Mir ist doch tatsächlich bei meinen Bemühungen für Euren Auftrag ein kleiner böser Succubus in die Quere gekommen. Und da sie ja ganz nett anzusehen ist, dachte ich, ich bringe ihn euch einfach auch noch mit, bevor ich mich dann um die Entsorgung kümmere.“
„Ein Succubus!“ der Alte keuchte vor Gier als seine Augen nacheinander an den nackten Körpern von Elisa Silberschild und Vicky Victory entlangglitten: „Aber ist das nicht gefährlich, ich meine...“
„Mein Herr! Man nennt mich nicht umsonst den Problemlöser, Seht, ich habe vorgesorgt: Hier ein Ring, der Euch Schutz vor Bösem bereitet und Schutz vor jeder Art von Todesmagie. Ihr könnt unbeschwert genießen.“
Der Ring wurde förmlich aus Aramands Hand gerissen, der Bademantel glitt auf den Boden.
„Soll ich die Damen jetzt wecken?“ Die Frage war eher rhetorisch gemeint, doch dann kam alles anders.
Mit einem lauten Krachen flog die Tür aus den Angeln und eine Horde Männer und Frauen brach in die intime Stimmung des Schlafgemaches ein: „Da ist der Lump!“ „Tötet die Vergewaltiger“ „Rettet das Mädchen!“ „Im Namen Helms, ergebt Euch, oder findet den gerechten Lohn für Eure Taten!“
Aramand aktivierte sofort eine Reihe von Schutzzaubern, ein blauer Feuerschild umgab ihn und mit einer Handbewegung warf er eine Horde Winterwölfe gegen die Eindringlinge. Der Ritter hechtete zur Seite, und riss seinen Zweihänder aus dem Wehrgehänge, das über einem Stuhl lag. Mit Sicherheit würde sich hier niemand ergeben.
Es entstand eine kurze Pause vor dem Kampf, in dem sich die ungleichen Seiten maßen. Sicher, die Angreifer waren zahlenmäßig überlegen, aber ihre zwei Gegner waren in allen Belangen mächtiger – wenn auch nicht wirklich gut vorbereitet.
„Wie sind die hier reingekommen?“ zischte Aramand zu seinem Auftraggeber.
„Ich habe dem Personal freigegeben.“ entgegnete Leodon tonlos „Ich wollte doch ungestört sein, aber das ganze Haus ist gesichert mit Glyphen, die sich nur...“
„Mit dem Amulett der Luminiszenti deaktivieren lassen, Herr Schulleiter!“ Ein junger strubbeliger Kerl trat hervor, in der einen Hand ein einfaches Bastardschwert, in der anderen das strahlende Auge Helms in einer aus silber geformten Hand. „Lord Leodon Luminiszentius! Kennt Ihr mich noch? Wolltet Ihr mich nicht aus dem Orden verbannen nach dem Vorfall vor zwei Jahren? Um die Tugendhaftigkeit der Ordensritterschaft zu bewahren, wie sie vor Zeiten war, und immer sein soll?“
„P... P... Pelle... Du hier?“
Aramand seufzte. Dieser Haufen ungewaschener Randalierer war drauf und dran, den Tag seines Triumphes nachhaltig zu stören. Er stellte sich mit einem Schritt zwischen die Angreifer und seinen wichtigsten Auftraggeber und hob seinen Zauberstab.
Damit brach die Schlacht los. Die Winterwölfe jaulten auf, ihnen antwortete plötzlich ein viel schaurigeres Heulen, nur im Augenwinkel sah Aramand, dass sich eine der jungen Frauen in eine Bestie verwandelt hatte. Das würde für seine eigenen Kreaturen kein gutes Ende nehmen, er würde also nur ein paar Atemzüge Zeit gewinnen, die es zu nutzen galt. Er holte Luft, um einen Zauber zu sprechen, da tauchte eine weitere junge Frau durch seinen Feuerschild durch, und plötzlich blieb ihm die Luft weg. Dieses offensichtlich mönchische Gör hatte ihm einen üblen Tritt versetzt. Mit einem Kältekegel aus seinem Zauberstab warf er sie zurück. Wo waren die anderen? Drei bewaffnete Männer drangen mit ihren Schwertern auf seinen Auftraggeber ein, der splitterfasernackt allein mit seinem Schwert versuchte, die Angriffe wenigstens zu parieren. Schnell zauberte Aramand eine Hast auf ihn, damit er überhaupt eine Chance hatte, denn auch wenn er jedem einzelnen überlegen war, konnte man gut erkennen, dass die drei Kerls alles andere als unerfahren waren, und geschickt von mehreren Seiten angriffen. Danach sah es gleich besser aus, einer der Angreifer ging zu Boden, mit einer hässlichen Wunde am Hals hauchte er sein Leben aus.
Doch was war das? Gerade wollte sich Aramand um den nächsten kümmern, da spürte er eine Präsenz, die ihm in unerträglich lauter Stille direkt in sein Hirn sprach: „Kennst du mich noch? Ich bin Drauger, der Geist von Lord Brevin, den ihr im Kerker habt verrotten lassen, ich war es der böses plante und vom noch böseren verraten wurde, und ich werde erst Frieden haben, wenn du tot bist!“ Aramand brachte seine ganze Konzentration auf, um sich dieses geisterhaften Angriffs zu erwehren, er musste jetzt unbedingt standhalten, dabei merkte er, dass ihm die Situation zu entgleiten drohte. Ihm. Dem Problemlöser. Seine Winterwölfe waren schon arg dezimiert, das Mönchsgör berappelte sich auch schon wieder, sein Auftraggeber war noch längst nicht aus dem
Schneider und... Verdammt! Auf die Ware hätte er eigentlich auch achten müssen.
Da war es auch schon zu spät. Ein orientalisch wirkender Narr tanzte durch die Kämpfenden mit Elisa Silberschild auf seinen Armen, zielsicher Richtung Ausgang. Aramand wollte ihn stoppen, doch auch die andere Dame war offenbar geweckt worden, und das war ein weit größeres Problem. Irgendein Bauerntrampel hatte sich zu dem Succubus durchgeschummelt, und flüsterte etwas in dessen Ohr. Er konnte kein Wort verstehen, aber mit einem Schrei der aus den Tiefen des Abyss zu kommen schien, stieg der Dämon geflügelt und gehörnt aus dem Bett empor.
„Vorsicht!“ brüllte Aramand unnötigerweise, als der Succubus mit Zähnen und Klauen seinem Auftraggeber in den Rücken fiel. Dieser wirbelte herum um sein mächtiges Schwert zwischen sich und die Furie zu bringen, da traf ihn ein Hieb von jenem Kämpfer, dessen Schwert die Buchstaben ZORN trug. Ohne Rüstung sah das übel aus, und dieser Strubbelkopf, den Leodon offenbar kannte, holte bereits zum finalen Schlag aus. Aramand zielte mit einem Eisgeschoss auf dessen linkes Auge, da pfiff etwas kurz durch die Luft und ihm stockte der Atem. Diese Höllengeburt hatte
ja auch noch einen Schwanz! Wie eine Peitsche hatte sich dieser um seinen Hals geschlungen und schnürte ihm die Luft ab. Er sah Leodon fallen. Er spürte wie dieses Scheusal von Weib ihn in die Luft hob. Zauber zu sprechen war ohne Luft unmöglich, vielleicht könnte es gelingen, noch einen Kältekegel aus dem Zauberstab abzufeuern, aber sein Arm gehorchte nicht mehr. Panik stieg in ihm auf. Er sah, wie die übrigen Angreifer einen Halbkreis um ihn bildeten. Keiner griff an. Sie glotzten nur noch, wie er um sein Leben zappelte. Was für ein beschissenes Ende dachte er noch, als ihm schwarz vor Augen wurde.
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Es war mittlerweile dunkel geworden, als Pelle mit Vicky auf dem Weg zu ihr nach Hause waren. Die anderen hatten es übernommen, das Anwesen zu sichern und dafür zu sorgen dass die Verletzten versorgt und die Toten – von ihnen hatte es nur Cathwulf erwischt – würdevoll aufgebahrt wurden. Drauger war ebenso verschwunden wie Sahudja mit Elisa Silberschild. Das würde noch viele dumme Fragen geben, aber Pelle war sich sicher, dass die junge Frau einen guten Tausch gemacht hatte.
Trotzdem konnte er es nicht fassen, dass er eigenhändig Lord Leodon umgebracht hatte: „Der Typ war der stellvertretende Ordensmeister unserer Ritterschaft, der war Leiter des Internats auf dem wir zu guten Paladinen ausgebildet werden sollten, der war einer der allerwichtigsten Typen bei uns in der Hierarchie“
„Er war ein meises Arschloch, wenn du mich fragst“ entgegnete Vicky trocken.
„Das er ein Arschloch war wusste ich auch. Aber so etwas!“ Pelle schüttelte den Kopf.
„Niederträchtigkeit trägt viele Masken, aber keine ist so gefährlich wie die der Tugend“ Vicky schien zu wissen, wovon sie sprach.
„Da hast du verdammt recht, Vicky.“
Sie waren zuhause angekommen. Irgendwie stand sie unschlüssig in der Tür: „Ich hab gesehen, wie du mich angesehen hast. Als wir das letzte Mal hier waren. Im Bad.“
Pelle kramte nach einer Erinnerung.
Vicky sah im direkt in die Augen: „Du hast mir das Leben gerettet, Pelle. Möchtest du... ich meine... heute wär' vielleicht kein schlechter Tag einen Cambion zu zeugen, oder?“
Pelles Mund war plötzlich staubtrocken: „Vicky, du... ich... ich meine... das geht nicht, ich...“
„Psssst....“ sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. Dann öffnete sie ihre andere Hand. Darin glitzerte der Ring, den sie Lord Leodon abgenommen hatte.
Behutsam nahm Pelle ihre Hand in seine und schloss die Finger vorsichtig wieder um das Kleinod.
Da verstand sie.