Lisra
Die Morgensonne schien ihr Bestes zu geben. Die Wolken flohen vor dem Licht und der Wärme, sodass rotgoldenes Licht ungehindert über die Landschaft fiel. Eine gespenstische Ruhe ging mit dem Farbenspiel einher. Die Schlacht war vorüber und wer lebte, um den Morgen zu sehen, war einen Schritt voraus.
Hlinka schleppte sich über die Landschaft, die jetzt so sehr das vernarbte Gesicht eines Pockenkranken repräsentierte. Krater hatten die Erde zerfurcht und Pflastersteine verstreut. Zersplittertes Holz lag vermischt mit Glas auf dem unebenen Boden. Mauern waren niedergebrannt, sodass die Häuser wie Kadaver, ihrer Innereien beraubt, nur noch vage zeigten wo sie einst gestanden hatten.
Erinnerungen. Wie alles zurückkommt, wie klar einem alles scheint, wenn man glaubt, am Ende zu stehen. Hlinkas Beine zitterten. Aber es war nicht das Ende.
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Sie hatte gewusst, dass sich ihre Wege trennen mussten, hatte es gewusst, als sie sich ihr im schwachen Licht des Feuers offenbart hatte. Trotzdem tat es weh. Sie sah es noch immer genau vor sich, das bleiche Gesicht mit dem hellen blonden Schopf; vor ihr, neben ihr und die blauen Augen, so anders als ihre eigenen. Jetzt war sie wieder allein in diesem Konflikt, der sie hier festhielt und allein mit den Geistern, die nachts zu ihr kamen. Die Hände eines Heilers haben mir wieder Kraft gegeben. Anstatt zu weinen, will ich die Kraft nutzen. So lange der Krieg andauert, kann ich nicht weg.
„Ganz wie du willst.“ hatte der Offizier zu ihr gesagt, als wäre er unschlüssig, ob er sie bemitleiden sollte oder nicht. „Es heißt zwar, wir brauchen jeden Mann, aber wenn es jeden Moment Pfeile regnen kann, ist mir egal, wer an meiner Seite kämpft.“
Sie hatte gedacht, dass es schwieriger sein würde, sich freiwillig zu melden. Männer hatten die Augenbrauen hochgezogen, es hatte Getuschel gegeben, aber man hatte sie schließlich mit einer handvoll anderer Freiwilliger vereidigt. Hlinka fühlte sich nicht wohl, als sie die Worte hinter sich brachte. Es war nicht ihr König und nicht ihr Land, das sie gelobte zu verteidigen. Land und König waren lange für sie unbedeutend gewesen, Dinge, die keine Rolle in ihrem Leben spielten.
„Tragt das Wappen mit Stolz“, hatte ein anderer Offizier gesagt, dessen Gesicht so aussah, als hätte er es schon einmal zwischen das Wappen und ein fremdes Schwert geworfen. Hlinka fühlte nur die stete Erleichterung, am Leben zu sein.
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Hlinkas Beine drohten unter ihr nachzugeben. Sie ließ sich vorsichtig auf eine Grundmauer nieder. Schwer atmend sah sie zwischen den Schlieren vor ihren Augen, dass irgendetwas, vielleicht magisches Feuer, die Kanten der Mauern abgeschmolzen hatte.
Sie war verwundert, dass sie es überhaupt geschafft hatte bis zum neuen Tag wach zu bleiben. Die Nacht war auf den Beinen verbracht worden, rennend und kämpfend, während die Magier beider Seiten die Dunkelheit mit ihren Zaubern durchbrachen.
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„Es endet hier und jetzt“, hatte er zu ihnen gesagt, doch anstatt zu jubeln hatten sie nur entschlossen genickt. Er war den ganzen Abend bei ihnen, den normalen Soldaten, geblieben, obwohl er als Kronprinz noch ganz andere Pflichten hatte. Für Hlinka unterschied er sich nur in der Qualität von Haar und Bart von den anderen Männern, obwohl er eine Rüstung trug, die aussah, als könnte sie einen Schlag mit einem spitzen Hammer überstehen. Die Nachricht hätte nicht klarer sein können. Der König hatte ihnen seinen Sohn geschickt, damit er es zu Ende brachte.
Sie trafen um Mitternacht auf die Kalte Hand.
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Hlinkas Atmung beruhigte sich etwas. Jetzt wo die Sonne voll aufgegangen war, konnte sie sich selber genauer betrachten. Ihr Körper fühlte sich seit Stunden an wie eine einzige große Wunde. Sie schien jedoch Glück gehabt zu haben. Als sie die Ärmel ihres Kettenhemds hochschob, war die Haut am manchen Stellen abgeschürft oder dunkel verfärbt, manchmal nur gerötet. Scharfer Schmerz in ihrer rechten Schulter, stach aus der Masse heraus. Ihre Beine hatten auf beiden Seiten kleinere Schnitte, die jedoch nie richtig tief gewesen waren. Das meiste Blut gehörte nicht ihr.
Ein schwaches Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Sie konnte es kaum fassen.
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„Nichts weiter als Lügen!“
Hlinka blickte ungläubig zwischen Mjinn und dem alten Mann hin und her. Sie hatte sie noch nie aufgebracht oder genervt gesehen und jetzt schien sie außer sich vor Zorn.
Mjinn war mitgezogen als Hlinkas Einheit das Lager verließ, um sich einem größeren Heer anzuschließen. Es sei Zeit sich dem Feind zu stellen, hatte man ihnen gesagt. In diesem Dorf, deutlich größer als das Lager und wohlhabend genug für einen gepflasterten Platz vor dem Haus des Magistrats, hatte der alte Mann bei seinem Pferd gesessen, umringt von einer Meute Kinder. Die beiden Frauen hatten sich unauffällig dazugestellt. Es tat gut wieder neue Stimmen zu hören.
Für Hlinka formten sich neue Welten, als sie dem Ergrauten zuhörte. Namen von Orten, die ihr noch schwerer über die Zunge gingen als die ihrer Begleiterin, Landschaften, die wie aus einem Traum klangen, mit riesigen Wasserfällen, mächtigen Gebirgen und Regen, der Steine mit sich reißen konnte. In dieser Welt lebten Einsiedler oder kleine Gruppen von Suchenden in kleinen Festungen, die sich in den Felswänden oder dichten Wäldern verbargen. „Die Wahrheit“ war das Ziel ihrer Suche. Es klang wie ein sehr seltsames Leben für Hlinka und auch nicht nach dem, wovon Mjinn ihr erzählt hatte. Trotzdem hatte der Mönch gebannt, wenn auch etwas abschätzig, zugehört.
„Ich dachte, ich sei bereits entkommen“, hatte er gesagt „die Rolle mit dem letzten Willen unseres Meisters in der Hand, da fielen sie wie Kirschblüten von den Bäumen. Zwanzig Mann, in lila Roben gehüllt, denn ihr zweites Geheimnis ist die Färberei, und mit Krallen wie Tiger an den Händen.“
Mjinn hat ungläubig die Stirn gerunzelt.
„Meister Zhan überbringt Grüße sagte der Anführer, übergib uns die Rolle und geh frei! Aber ich dachte nicht daran. Bei meiner Ehre als Träger einer Wasserklinge, ich würde den letzten Willen meines Meisters nicht kampflos übergeben. Aber gegen zwanzig feige Mann hilft einem das beste Schwert nicht. Ich war jung und unerfahren. Für ihren Meister Zhan nahmen sie die Rolle mit und ließen mich liegen.“
Er gab den Zuhörern ein beinahe zahnloses Grinsen. „Wie ihr seht, hat es mich nicht umgebracht.“
Das war der Moment, wo Mjinn sprach.
Der alte Mann musterte Mjinn eindringlich. „Das Gerede eines Greises kann immer wahr oder gelogen sein oder immer zwischen den beiden hin und her springen, vor allem wenn das Gedächtnis nicht mehr mitspielen mag.“ Die hellen Augen wurden kalt. „Diese Geschichte jedoch ist wahr. Ich werde sie niemals vergessen können.“
Mjinn riss ihren Ärmel hoch und zeigte dem alten Mann ihre Markierung. Die Kinder riefen laut oooooh und als der Mann sein eigenes Tattoo hervorzeigte, riefen sie aaaaaah. Hlinka trat einen Schritt zurück.
„Ich weiß nicht, wie oft man euch in eurem Leben gegen den Schädel getreten hat, aber ihr irrt euch. Meister Zhan würde so etwas nie tun!“
Das Lächeln kehrte auf das Gesicht des Greises zurück.
„Was macht dich so sicher, junger Mönch?“
„Die Krallen. Kein Mitglied des Klosters würde freiwillig Waffen tragen. Meister Zhan hält Waffen für das Werkzeug von Schwachen.“
Hlinka wurde sich für einen Moment des Gewichts des Schwerts an ihrer Hüfte bewusst.
Wieder das schadhafte Lächeln.
„Und hat er dir jemals offenbart, warum er das denkt?“
„Er sagte, dass er vor vielen Jahren..“ Mjinn hielt inne.
„Ja?“ fragte der alte Mann.
Mjinn antwortete ihm nicht. Ihre Hände zitterten.
„Das ist nun mal die Geschichte. Jeder macht Fehl..“
„LÜGEN!“
Hlinka hatte Mjinn nie kämpfen sehen. Die Geschwindigkeit des Mönchs erfüllte sie für einen Moment mit Hochachtung. In einem Moment stand sie völlig still, im nächsten schnellte ihr nackter Fuß nach vorne, ihr ganzer Körper gespannt wie der einer Raubkatze.
Dann lag sie auf dem Pflaster des Platzes und hielt sich den Bauch. Die Kinder brachen in Jubel aus.
„Je älter Mann wird, desto mehr Dinge erfährt man, die einem nicht gefallen,“ brummte der alte Mann, doch er lächelte milde. „Kommt Kinder, der Wind ist schlecht für meine alten Knochen.“ Gefolgt von den begeisterten Kindern schlurfte er an Mjinn vorbei. Das Pferd folgte ihm und trat Mjinn fast auf die Hand.
Hlinka schloss ihren Mund und half Mjinn wieder auf die Beine.
„Worum bei den neun Höllen ging es gerade?“
Es sollte der Grund werden, der Mjinn zum Gehen zwang.
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Hlinka dachte, sie konnte den Gesang von Vögeln hören. War es schon so weit gekommen? Sie fühlte wie Hungergefühle in sie zurückkehrten. Sie hatte den Wasserschlauch eines Gefallenen genommen, nachdem dieser nicht protestiert hatte. Der Schlauch schien noch ungeöffnet und als sie gierig trank hoffte sie, dass sich weder Gift noch Pest darin verbargen. Sie hatte die Nacht nicht überlebt, um elend an einer Seuche zu sterben. Sie besah ihre Beine erneut. Wunden reinigen, dachte sie. Irgendwie. Mit Mühe drückte sich Hlinka von der verformten Mauer hoch. Sie hoffte, dass ein Heiler noch am Leben war. Oder auf eine versiegelte Flasche Schnaps oder einen Fluss, in dem keine Körper schwammen. Heilerin, du kannst dir nicht mal selber helfen.
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„Kannst du nicht schlafen?“
„Nein.“
Ein weiterer Hocker wurde vor das Fenster gezogen. Draußen konnte man die hungernde Form des Mondes sehen. Sie fühlte eine Hand auf ihrem Arm.
„Hast du Angst, dass ich ohne etwas zu sagen verschwinde?“
Hlinkas Rufe nach ihr waren damals doch noch zu ihr durchgedrungen, als sie kaum sie selbst gewesen war.
„Das ist’s nicht“, murmelte sie. Hlinka lehnte ihren Kopf gegen Skeiras Schulter. Die ältere Frau kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sie konnte Wunden reinigen und verbinden, mehr nicht. Sie hatte die Wunden verbunden und versorgt, aber…
„Hat es was mit deinen Wunden zu tun?“
Skeira bereute es sofort. Für eine ganze Weile tat sie nichts, als das zitternde Bündel festzuhalten, während Tränen das geliehene Nachthemd trafen.
Nachts fühle ich seinen Blick und spüre seinen Griff und seinem Atem. Wenn ich am Bett eines Menschen stehe, der mich braucht und um den ich mich kümmern muss, sehe ich meine Hände, die Hände die das Schwert ergriffen und immer wieder zuschlugen bis das Stück Fleisch die Schläge nicht mehr wert war. Mit diesen Händen soll ich jetzt helfen. Ich bin keine Heilerin, ich bin auf dem gleichen Weg wie er.
Hlinka öffnete die Augen. Sie lag wieder in dem dünnen Bett. Sie fühlte die Wärme,die von Skeira ausging und für einen Moment dachte sie daran sie zu wecken. Morgen, entschied sie. Sie konnte es nicht länger mit sich herumtragen.
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„Hlinka?“
Sie fuhr herum, trotz der Müdigkeit. Im Schatten eines Hauseingangs lag jemand.
„Marjo?“
Sie zog ihn mühsam auf die Beine. Kleine Feuer breiteten sich in ihren Beinen aus. Marjo war kein geborener Soldat, sondern ein Kind der Umstände. Er hatte früher zusammen mit seinem Vater, Vieh für die Bauern zu den Märkten getrieben, die zu viel Land und nicht genug Söhne hatten, um das selbst zu tun. Mit dem Schließen der Handelswege versiegte das kleine Einkommen. Marjo war ein kleiner Mann von höchstens ihrer eigenen Höhe, aber zäh wie Leder. Er schien nicht schwer verletzt zu sein, nur erschöpft. Wer ist das nicht.Der Überwurf mit dem Banner des Königs hing in Fetzen, doch die Rüstung darunter war intakt.
Mit einem Arm um sie, schaute er sich zwischen den Ruinen um.
„Wir haben es geschafft, oder?“
„Wir leben noch. Das zählt als Sieg.“
„Und die Kalte Hand?“
„Zerschlagen.“
Sich bald gegenseitig stützend, manövrierten sie die Reste der Stadt. Zwischen den Leichen von Hobgoblins und menschlichen Söldnern sahen sie die Reste von Maik, Vorn, Lisou und Teken. Junge Männer, die nur wieder eine Zukunft haben wollten. Sie blickte zum Himmel, aber natürlich gab es jetzt keinen Mond zu sehen. Hlinka hoffte, dass sie nicht am Wall der Seelen endeten, sondern an einem besseren Ort waren.
Am Ende einer breiten, zersprengten Straße kam das Stadttor in Sicht. Mehr als die Hälfte war eingestürzt, das eiserne Gitter zu einem unförmigen Haufen Metall geschmolzen.
Jubel kam ihnen entgegen, als sie die Torruine passierten. Über ein Dutzend Soldaten des Königs hatten ein Lager improvisiert und teilten die Euphorie am Leben zu sein; massierten Leben in ihre Glieder zurück.
Ein älterer Mann trug die weiße Binde eines Heilers. Sie ging direkt auf ihn zu, nachdem sie Marjo an jemand anderen übergeben hatte. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich die anderen um sie scharrten. Jeder wollte Schulterklopfen, ein Lächeln, Vergessen.
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Die Kalte Hand kam mit einem Regen aus Feuer, der die Nacht zum Tage machte. Zum ersten Mal, seit sie im feuchten Gras liegend in die kalten Augen hochgeblickt hatte, fühlte sie keine Furcht, sondern Zorn.
Doch Zorn kann einem nicht ewig helfen helfen. Sie war nur ein Mensch und was auch immer diese Kreaturen antrieb, war stärker als das.
Tief in die Dunkelheit eines leeren Hauses geduckt, kämpfe Hlinka mit der Sehne einer Armbrust. Muskeln in ihren Schultern schienen reißen zu wollen, als sie die Waffe endlich gespannt bekam. Hektisches Tasten im Dunkeln fand erst den toten Schützen und dann seinen Köcher voller Bolzen.
Mit stetig klopfendem Herzen lehnte sie sich nahe an den Eingang zum Haus. Die Tür hing gebrochen in den Angeln.
Da! Zwei Hobgoblins schlichen die Gasse entlang. Einer zu viel. Aber sie konnten in der Finsternis besser sehen als sie, es gab kein Verstecken. Sie drückte ab. Der Bolzen traf die Kreatur, die ihr am nächsten war, in dem Moment, als nur wenige Meter entfernt etwas auf dem Boden aufschlug. Blaue Flammen fegten die Gasse entlang und rissen die Hobgoblins von den Füßen. Ohne weiter nachzudenken ließ Hlinka die Armbrust fallen und ergriff ihr Schwert.
Hlinka schlich durch die Stadt, begegnete dem Tod und wich ihm immer wieder aus. Schmerzen und Schnitte sammelten sich, aber Zorn und der Wille zu leben hielten sie auf den Beinen.
Der Markplatz war hell erleuchtet von magischem Licht. Jemand hatte den Brunnen zersprengt. Soldaten, Stadtbewohner, Hobgoblins und die Söldner im Dienste der Hand kämpften hier am erbittertsten. Irgendwo zwischen den Soldaten musste der Kronprinz sein, sicher geschützt durch eine magische Rüstung, von der alle anderen nur träumen konnten.
In der Mitte des Platzes, direkt an den Überresten des Brunnens, stand der größte Mensch, den Hlinka je gesehen hatte. War es überhaupt ein Mensch oder eine andere Kreatur, die aus Gier nach Gold oder Mord seinen Dienst tat? Mindestens zweieinhalb Meter hoch und bedeckt von einer Rüstung, die ein Mensch unmöglich tragen konnte. Trotzdem bewegte sie sich schnell, schwang eine Hellebarde ohne erkennbare Mühe. Die anderen Kämpfer gaben der Kreatur Freiraum und Hlinka versuchte zu erkennen, gegen wen sie dort kämpfte. Fast hätte sie geschrieen. Es war der alte Schwertmeister. Seinem Alter spottend stand er einen Moment sicher an einem Ort, dann wand er sich scheinbar durch die Klinge des Monsters hindurch, um ihr von hinten einen Hieb mit seinem krummen Schwert zu versetzen. Hlinka starrte mit offenem Mund auf das Geschehen. Es war kein Kampf, sondern eine Art Tanz, den der alte Mann dort vollführte, einen tödlichen, schnellen Tanz.
Ein Geräusch ließ sie herumfahren, gerade noch rechtzeitig, um einer Klinge auszuweichen. Innerlich fluchend, wandte sie sich ihrem eigenen Tanz zu.
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Die Mittagssonne wärmte sie alle. Zum ersten Mal seit einer langen Zeit hatten sie das Gefühl, dass Götter auf sie herablächelten.
Menschen kehrten zurück. Sie teilten die Freude der Soldaten nicht. Soldaten können auf Lohn oder Plünderei vertrauen, aber wenn Bewohner einer Stadt vor rauchenden Trümmern stehen, ist ihnen nicht nach Jubeln zumute. Man begegnete sich zunehmend mit Kälte.
„Wir sammeln uns am Flüchtlingslager“, kam der Befehl. Die inzwischen gut fünfzig Soldaten machten sich einzeln oder in kleinen Gruppen auf. Niemand protestierte. Die Offiziere versuchten allerdings auch nicht Ordnung in den Haufen zu bringen. Wer noch lebte, würde schon auftauchen. Wohin sollten sie auch sonst gehen?
Hlinka saß auf dem Erdboden. Etwas Neues war zwischen die Steine der Erschöpfung gekrochen, die auf ihr lagen.
„Kommst du?“
Jemand bot ihr eine Hand an. Sie ließ sich auf die Beine ziehen. Links von ihr lagen die Ruinen einer Stadt, für die sie fast gestorben wäre, symbolisch für das Land, das sie verteidigt hatte, ohne eine Wahl zu haben, nur weil sie leben wollte. Rechts lag eine Straße. Sie würde irgendwann zu dem Lager zurückführen, wo sie so viel Zeit verbracht hatte, Dinge gelernt und erlebt hatte. Wohin konnte es von dort aus gehen?
„Hey, kommst du jetzt?“
Eine Frage. Ich kann selber entscheiden. Ich kann über das bestimmen was ich tue.
„Ich, äh – “
Sie drehte den Kopf zur Seite. Ein kleines Waldstück, kaum mehr als natürliches Lager für Bauholz und Früchte, lag nicht weit entfernt.
„Schon klar“, sagte ihr gegenüber und unterdrückte ein Kichern.
Mit mehreren Augen in ihrem Rücken entfernte sie sich von den anderen Soldaten. Sie fühlte gar keinen Drang, aber es ersparte ihr eine Ausrede. Ich kam der Vergangenheit nicht einfach den Rücken kehren. Sie wird weiter bleiben, in Träumen und Erinnerungen. Aber für einen Moment war sie sich sicher, dass sie es doch konnte.
Eigentlich war es kein richtiger Wald, nur ein Haufen Bäume, die so dicht gewachsen waren, dass sie einen schnell verbargen. Licht kam durch die Lücken zwischen den Kronen. Er hatte nichts mit den Wäldern gemein, die sie erinnerte. Als sie auf eine winzige Lichtung kam, hielt sie inne.
War das wirklich eine gute Idee? Konnte sie so, allein und auf ihren müden Beinen, überhaupt weiter? Wohin würde sie gehen?
Ein Rascheln von der anderen Seite der Lichtung schreckte sie auf. Bevor sie überhaupt daran gedacht hatte, lag eine Hand an ihrem Schwert. Hlinka nahm sie erleichtert wieder fort, als sie erkannte was es war. Es war ein Pferd. Groß, braun, gut gepflegt und noch immer mit Sattel und Gehänge versehen. Im Wald?
„Ich kenne dich, oder?“ Bildete sie es sich ein oder schaute das Pferd sie wissend an. „Ziva?“
Das Pferd stupste sie freundlich mit der Schnauze an. Es war tatsächlich Ziva, das Pferd, das den alten Schwertmeister in seine letzte Schlacht getragen hatte.
Vielleicht war es die Erschöpfung, aber Hlinka hatte auf einmal eine Eingebung. „Hast du auf mich gewartet?“
Das Pferd antwortete nicht, natürlich. Es protestierte aber auch nicht, als Hlinka es an den Zügeln nahm und aus dem Wäldchen führte. Vor ihr lag die Ebene, grün und braun, fast leuchtend in der Mittagssonne. Ziva blieb ruhig, als Hlinka sie mit Mühe bestieg. Wie lange war es her, seit sie geritten war? Jahre? Es würde schon gehen.
Hlinka lächelte, als sie den Hals des Pferdes tätschelte. Der Krieg war vorüber.
„Ich könnte nach Hause gehen.“