[Schreibwettbewerb - Finale] Timestop / Lisra

Wer hat die bessere Geschichte geschrieben?

  • Timestop

    Stimmen: 8 66,7%
  • Lisra

    Stimmen: 4 33,3%

  • Umfrageteilnehmer
    12
  • Umfrage geschlossen .

Enigma

Suchender
Registriert
15.07.2002
Beiträge
2.159
 
Die wahrscheinlich letzte Veröffentlichung für diesen Wettbewerb.

Geniesst die Lektüre. ;)

 
 

Enigma

Suchender
Registriert
15.07.2002
Beiträge
2.159
Timestop

Elanif eßorg sad - der Kreis schließt sich.

Der Alte spürte wie das Schwert tief in seinen Magen stach, aber seine Hände drückten weiter zu. Er umklammerte den dünnen Hals solange er konnte. Das war das letzte was er noch tun musste. Abertausende Geschichten sprangen, wie gezählte und doch unzählige Schafe vor dem Einschlafen durch seinen Kopf, die Geschichten eines Lebens. Irgendwann endete die Geschichte bei diesem Augenblick und er sank nieder.

<------------

Hlinka rannte durch den dichten Wald, schlug Haken, rutschte über die Blätter und zerbrach morsche Äste. Kurze Gedankenfetzen flammten in ihrem Kopf auf, dass sie Mutter Natur damit verletzte. Daher warf sie immer wieder stille Stoßgebete in Richtung des Bodens vor ihr, dass dieser sich an ihr nicht mit Wurzeln oder Löchern rächen möge. Dazwischen konzentrierte sie sich auf den Weg vor sich, um nicht hinzufallen und um sich von dem Schmerz in ihrer Brust abzulenken, welche das Atmen verursachte. Sie touchierte mit den Händen die dicht beieinanderstehenden Bäumstämme um einen möglichen Sturz zu verhindern. Doch es dauerte nicht lange, bis ihr von Erschöpfung und Schmerz überwältigter Körper die Grenzen des Zumutbaren überschritt und sie feststellen musste, dass sie kaum mehr lief, sondern nur noch vorwärtsschwankte. Stolpernd rettete sie sich hinter den nächsten Baum, der breiter war als sie selbst und horchte, die eine Hand am Kurzschwert, die andere das Medaillon umklammernd. Sie versuchte krampfhaft ihren zügellosen Atem zu beherrschen, damit sie auf andere Geräusche achten konnte.
Stille, die sich mit Hoffnung und Furcht mischte, während Zeit verging, sich ihr Atem beruhigte und die Übelkeit nachließ. Aber zuerst nur vereinzelt, dann immer klarer vernahm sie die schnellen Schritte, die hinter ihr das Laub aufwirbelten. Zwei, drei, oder mehr? Sie konnte es nicht sagen. Etwas Schwarzes jagte ein paar Meter rechts an ihr vorbei. Noch etwas weiter rechts ein weiterer Schatten. Dann links direkt neben ihr, sie erstarrte fast, zog nur ganz langsam das Schwert aus der Scheide. Da blieb der Schatten, der sie eben passiert hatte, auch schon stehen. In dem Moment als er sich umdrehte, sprang Hlinka nach vorne und schlug sein Bein ab. Der Schatten schrie schrecklich heulend auf und fiel um. Die anderen Verfolger mussten das gehört haben.
Sie rannte weiter, erst unsicher in welche Richtung, wieder unstet in Kurven, bis sie sich dazu entschied, dass sie einfach geradeaus rennen musste. Weiter, immer weiter. Oh, Mutter Mond, wenn du deine Hand noch immer über mich hältst, dann gib mir Kraft, nur Kraft, dann helfe ich mir auch selbst heraus. Nicht stürzen, rennen. Rennen, keine Schmerzen. Alles wird gut.
Die Lichtung kam aus dem Nichts. Der Wald endete, als ob er plötzlich entschieden hätte, eine Grenze zu ziehen. Eine breite, schlammige Straße lag matschig und zerwühlt zwischen den Baumreihen und schlängelte sich in zwei Richtungen in die Ferne. Sie lief nur ein paar Meter weit, bevor sie aus einem ihr unverständlichen Grund zögerte.
„Welche Richtung?“
Derjenige, der in der fremd klingenden Zunge gesprochen hatte, war nur ein paar Meter von ihr entfernt plötzlich aufgetaucht.
Der Mond befreite sich von den Wolken und gab den Blick auf den Mann frei. Der Anblick des Fremden schockierte Hlinka. Wie gebannt starrte dieser auf ihre Brust. Als er langsam die Hand ausstreckte, griff sie an und stach mit aller Kraft zu.

<------------

Der Leichnam schob seinen Kopf knackend zurecht, als ob es nur ein Helm wäre, der wieder richtig positioniert werden müsste. Plötzlich setzte er zu einer Bewegung mit der Hand an. Der alte Schwertmeister bemerkte einen dumpfen Schmerz und hatte das Gefühl, dass ihm wichtige Erinnerungen abhanden kamen, entfleuchten, so sehr er auch versuchte, sie festzuhalten. Dann fiel sein Blick auf das Schwert in seinen Händen, er erkannte die Gefahr und rammte die Klinge genau zwischen die Rippen seines gruseligen Gegenübers, durch das Herz.
Das Gesicht seines Gegners verwandelte sich immer mehr zu einem Totenschädel und so war nicht zu erkennen ob sein Ausdruck herablassend, beleidigt oder amüsiert war. Ein Wink seiner knochigen Hände reichte jedoch aus, um den Schwertmeister durch die Luft zu schleudern und einige Meter entfernt auf dem Boden aufschlagen zu lassen. In und auf seinem ganzen Körper spürte der Alte ein schmerzhaftes Knistern.
„Sinnlos und enervierend.“. Die grausige Stimme hallte durch die Gegend. Sein Feind zog das Schwert aus den Überresten seines verfallenen Körpers. Die Augenhöhlen glimmten rot auf.
„Ich bin der Bewahrer von Erinnerung und Tod. Der Rätselmeister und Fadenzieher. Du kannst mich nicht vernichten. So oder so, du wirst tun was ich dir auftrage.“, sprach er verächtlich.
„Wenn du so mächtig bist, warum tust du es dann nicht selbst? Was brauchst du mich?“
Der Leichnam machte eine wegwerfende Geste.
„Ich bin ein Zuschauer, ein Analytiker, ein Wegweiser. Ich sehe, ich verstehe, ich gebe die Richtung vor. Aber ich kann nur die Toten lenken und nicht die Lebenden.“
„Und ich habe keinerlei Lust deine Marionette zu sein, die du kommandieren kannst. Egal was du befiehlst oder dir erkaufen willst.“, fauchte der Alte.
„Oh, es bleibt deine Wahl. Aber vor die wurdest und wirst du gestellt. Gib mir, was ich will und du bekommst, was du dir wünscht. Entkommen kann man seinem Schicksal nicht, denn es wird sich dir stellen, deinen Weg kreuzen. Das habe ich schon gesehen. Dann wirst du wissen, was du zu tun hast.“

Der Alte schüttelte den Kopf und ging an ihm vorbei.

<------------

„Sie sind überall!“
Schreie und Kämpfe um sie herum. Aus allen Richtungen strömten Schemen in der Dunkelheit gegen kreischende und Befehle brüllende Männer und Frauen an. Hlinka unterdrückte die Panik und versuchte Freund von Feind zu unterscheiden. Fackeln erlöschten und der Mond war verschwunden.
„Warum?“, stöhnte Hlinka innerlich auf.
Die zappelnden Schemen, die sich auf mit Waffen herumfuchtelnde Menschen warfen, waren der Feind. Und als eines der Monster auf sie zustürzte, schlug sie mit ihrer Waffe blind zu. Schreiend ging es zu Boden. Es zappelte noch, also schlug sie ihm den Kopf ab. Vor ihr lag ein Wesen wie eine verdrehte Mischung aus Mensch und Hund, mit schrecklichen Krallen und Gebiss, schwarz wie die Nacht um sie herum.
Irgendwo rief jemand „Zu mir!“. In diese Richtung rannte sie, genau wie andere. Sie erkannte, dass sich dort ein Halbkreis bildete. Sie floh in das Innere, welches mehr Sicherheit versprach.
Eine Fackel wurde entzündet. Endlich mehr Licht. Es war der Hauptmann. Hlinka sah sich um, ob sie bei Verwundeten helfen konnte.
„Hlinka, bleib bei mir!“ Sie packte sie an der Schulter und sah sie eindringlich an.
„Wenn mir etwas passiert, wenn wir aufgerieben werden, dann nimm das Medaillon und lauf. Flieh und berichte dem Baron, Va..“
In diesem Moment rammte sie etwas und stieß sie um. Eines der Biester war durch die löchrigen Reihen der Truppe gebrochen, verbiss sich am Hals des Hauptmanns und schlug mit seinen Krallen zu. Sie schrie panisch auf. Zusammen mit einigen anderen schlug Hlinka auf die Bestie ein, bis sie sie zerhackt hatten und wegstoßen konnten.
Hlinka eilte zum Hauptmann, während der Rest der Soldaten versuchte, die Reihen wieder zu schließen. Eine riesige, stark blutende Wunde klaffte an ihrer Schulter und am Hals.
„Oh Kelemvor, Tempus, ihr Götter..“, der Hauptmann spuckte Blut und stöhnte vor Schmerz.
„Nimm das Medaillon und lauf. Lauf!“ Tränen strömten über ihre Wangen, als sie ihr zitternd das Medaillon aufdrängte.
„Es hat mich erwischt, lauf, bevor es zu spät ist!“, krächzte sie.
„Ich werde nicht so enden.“
Heftig atmend nahm sie ihr Schwert, riss sich die beschädigte Lederrüstung vom Leib, zielte auf ihren Bauch, zögerte einige Sekunden von einem heftigen Schütteln gepackt und stach dann zu. Nach einem kurzen schmerzhaften Zischlaut und Aufbäumen fiel sie zurück und lag still.
Hlinka hatte nur erstarrt zusehen können, das Medaillon in blutigen Händen an sich gepresst, als ob alles in nur einem Herzschlag abgelaufen wäre. Wie in Trance drehte sie ihren Kopf Richtung Kampf, wo die Reihen der Soldaten von heftig gegen sie anrennenden und sie anspringenden Schatten gelichtet wurden. Hlinka war unentschlossen, gefangen zwischen panischer Starre, dem Bedürfnis zu helfen, einem Befehl und dem Wunsch zu gehorchen. Als die Fackel erlöschte, traf sie eine Entscheidung und lief in diejenige Richtung aus welcher kein Grauen heranströmte. In den Wald.

<------------

Die Gestalt in der Robe berührte sanft die Schulter des Alten. Er schreckte auf, unsicher was geschehen war. Wieder entglitten ihm wichtige Gedanken und Erinnerungsfetzen, die er hatte fassen wollen. Er starrte auf das Schwert in seiner Hand.
„Wer bist du?“, fragte er.
„Ein Zauberer. Ich kann dir helfen.“, flüsterte die geheimnisvolle Figur.
„Und wie das?“, fragte der Schwertmeister, während er sich die Nase richtete.
„Du musst nur meinem Vorschlag lauschen.“
„Und was springt für mich dabei heraus?“
„Ich werde dich völlig von deinem Fluch befreien.“
Der Alte nickte und schürzte die Lippen.
„Den ich vermutlich dir verdanke?“
Die Gestalt schnaufte amüsiert.
„Du hast ihn dir selbst aufgeladen.“
„Was wäre der Auftrag?“
Der Zauberer trat nahe an ihn heran.
„Merk dir dies gut. Ich möchte, dass du mir ein Medaillon besorgst. Es hat einen hohen Wert für mich, der dich nicht kümmern muss. Sein Träger wird es allerdings nicht freiwillig hergeben. Du musst sie töten. Damit wird unser Pakt dann beendet. Das ist alles was du dir behalten musst.“, hauchte die Stimme hypnotisch.
Der Alte starrte ihn wütend an.
„Eine Mordauftrag von einem geheimnisvollen Fremden.“, knurrte er. „Ich rieche die Bösartigkeit doch bis hierhin.“
„Es ist deine einzige Chance. Ich zeige dir wo du hin musst, dort stellt sich dir unser beider Schicksal.“. Der Zauberer drehte sich um und wies ihm das Ziel, das im vergehenden Licht kaum noch zu erkennen war.
In diesem Moment enthauptete ihn der Schwertmeister mit einem schnellen Schlag seiner Waffe und der Zauberer fiel um wie ein Sack Kartoffeln.
„Ich lehne ab.“, kommentierte der Alte und spuckte aus.
Da packten die Hände des Zauberers den eigenen Kopf und sein Körper erhob sich wieder. Er fluchte.

<------------

Hlinka genoss den Sonnenuntergang.
Mit etwa 160 Frauen und Männern waren sie losgezogen, um sich auf die Jagd nach den marodierenden Monstern zu machen. Keine Goblins oder Räuber diesmal, sondern mysteriöse, schaurige Schatten von denen Dorfbewohner und Bauern ängstlich berichteten. Neue Schwärme von Untoten, die einen angeblich in ihresgleichen verwandelten wenn sie einen verletzten. Geschichten so schaurig, dass sie nur geflüstert die Runde machten. Ihr letztendliches Ziel war jedoch die Burg eines mächtigen Nekromanten, von dem die Gefahr ausging. So zumindest glaubte man.
Eine neue Herausforderung für die ewig kämpfende Armee des Barons und seinen heiligen Kampf für Gerechtigkeit und ums Überleben.
Hlinka war als Heilerin in die Armee gezwungen worden, aber alle die mitmarschierten sollten auch kämpfen können. Hlinka hatte sich auch da schon bewiesen und sie war sogar die schnellste Läuferin der Kompanie. Unter anderem dafür hatte man sie, trotz ihrer Jugend, mit einem Offiziersrang belohnt.
An sich wäre ihr das egal gewesen, doch neben dem durchaus schmeichelnden höheren Rang gab es auch tatsächliche Vorteile, wie ein Pferd, mehr Rationen und erzwungener Respekt von niederen Soldaten, die sich nicht mehr jeden Unsinn erlauben durften, lange gezwungen abstinenter Veteran hin oder her.
Nairad ritt neben ihr. Sie war der Hauptmann der Gruppe. Sie war eine der Töchter des Barons, was sicherlich einer der Gründe für die Stellung war. Aber sie war zugleich eine Kämpferin, charismatisch, voller kraftvoller, positiver Ausstrahlung, liebenswert volksnah und eine gute Freundin.
„Ein schönes Medaillon hast... habt ihr da. Sir. Herrin.“, meinte Hlinka.
Nairad winkte ab und schüttelte ihr langes blondes Haar.
„Ihr könnt mich ruhig weiter duzen...Leutnant.“, lächelte sie.
„Vater hat es mir für diese Mission feierlich übergeben. Der Feind fürchtet es. Es darf auf keinen Fall in seine Hände fallen.“
„Wie wirkt es?“, fragte Hlinka.
„Ich habe keine Ahnung. Es soll seine wahre Macht gegen den Anführer der Dunklen zeigen. Dort wird es seine ganze Kraft entfalten und ihn vernichten, wenn jemand mit einem reinen Herzen es trägt. Wir können uns also wohl auf einen heldenhaften Kampf gegen ihn einstellen.“
Sie lachte hell auf.
„Sofern mein Herz wirklich so rein ist.“
Hlinka bewunderte diese Einstellung, wie sie der Situation so viel Positives abgewinnen konnte, obwohl sie kurz davor standen, gegen so viel ungewisses Grauen anzureiten. Sie war Inspiration und ein Anker in dieser Welt für alle die sie anführte.
„Wenn wir überhaupt wüssten, wer oder was genau er ist. Vielleicht führt ihn das Medaillon zu uns oder umgekehrt?“, grübelte der Hauptmann.
„So fangen vermutlich alle Heldengeschichten an.“, warf Hlinka ein. „Was steht darauf?“
„Clua Console.“, las der Hauptmann die Inschrift. Sie zuckte die Schultern.
„Lassen wir uns überraschen. Dort drüben am Waldrand schlagen wir unser Lager auf.“

<------------

Nichts. Keine Schwärze, kein Weiß. Einfach nichts. Er schwebte blind und taub im Nirgendwo.

„Ich will nicht sterben.“, der Schwertmeister hörte seine eigenen Gedanken in der Einsamkeit.

„Ich kann dir helfen. Du musst nur aus freien Stücken das Leben wählen. Du musst einen Teil deiner Selbst opfern und dann werde ich dich zu unser beider Freiheit führen. Haben wir einen Pakt?“

Ein Teil der Ewigkeit verging. Ungezählt und doch gefühlt, voller Schrecken und Verzweiflung und unterdrückte alle Fragen.

Dann antwortete der alte Schwertmeister.

„Ja.“

„Vergessen.“

Er öffnete die Augen. Etwas hatte sich verändert. All seine Sinne waren wieder hergestellt. Besser als jemals zuvor. Aufmerksamer, fokussierter. Doch zugleich schien die Welt von einem dunklen Schleier belegt. Düster und unwichtig.

Er war in einem kleinen Dörfchen, das völlig trostlos und verlassen wirkte. Überall um ihn herum lagen Leichen, bewegungslos, wie kürzlich dahingeschlachtet. Angeknabbert und verwesend. Zivas Kopf starrte ihn vorwurfsvoll an, daneben lag der dürre Rest ihres abgetrennten Pferdekörpers.
Er fasste an seine Seite, wo ein Stück Fleisch herausgerissen war. An den Arm, wo ein riesiger Biss verewigt schien. Er führte seine Zunge durch die aufgeschnittene Backe. Doch da war kein Blut. Kein Schmerz. Er spürte nichts. Er war selbst nicht mehr als eine untote, verrottende Hülle.
Doch obwohl er die Welt erkannte und Teile von sich selbst, so nagten entsetzliche Gedanken an seinem Geist, der sich mehr und mehr isolierte.
„Wo bin ich? Wer bin ich? Was ist geschehen?“
Er packte an seine Nase, die schief herabhing, wie halb herausgebrochen. Er versuchte sie gerade wieder zu justieren, als ihn ein mentaler Windstoss erreichte, eine Aura, die ihm durch Mark und Bein ging. Sein Körper knisterte und er verspürte die Ahnung eines Schmerzes. Es schien ihm wie ein kurzer Moment der Hoffnung. Dann bemerkte er die verhüllte Gestalt neben sich. Deren pechschwarze Robe verdeckte den ganzen Körper, eine Kapuze das Gesicht und so konnte er nichts erkennen außer bleichen, knochigen Händen.
„Sei gegrüßt, mein gedankenloses Kind.“, sagte die Gestalt mit schmeichelnder Stimme und schlich behutsam um ihn herum. „Du wirst das Gewicht sein, das die Waage zu meinen Gunsten kippen lässt.“ Dann zeigte er sein Gesicht.
Der Alte blickte ihn an. Verkalkte Leitungen in seinem Kopf erwachten wieder zum Leben, holten aus lauter Mangel an anderem, vergrabene Erinnerungen hervor und setzten zufällig ein altes Bild zusammen.
„Du bist dieser verfluchte Nekromant der das Land terrorisiert. Ich kenne dein Gesicht. Es ist ewig her als wir uns das letzte Mal trafen. Irgendwo...“
Er hob sein Schwert und legte die Schwertspitze an den Hals des Mannes.
Dieser war für einen Moment überrascht.
„Nicht gut.“, murmelte er dann und machte eine langsame, wischende Bewegung mit der Hand. „Versuchen wir es erneut. Vergessen.
 

Enigma

Suchender
Registriert
15.07.2002
Beiträge
2.159
Lisra

Die Morgensonne schien ihr Bestes zu geben. Die Wolken flohen vor dem Licht und der Wärme, sodass rotgoldenes Licht ungehindert über die Landschaft fiel. Eine gespenstische Ruhe ging mit dem Farbenspiel einher. Die Schlacht war vorüber und wer lebte, um den Morgen zu sehen, war einen Schritt voraus.

Hlinka schleppte sich über die Landschaft, die jetzt so sehr das vernarbte Gesicht eines Pockenkranken repräsentierte. Krater hatten die Erde zerfurcht und Pflastersteine verstreut. Zersplittertes Holz lag vermischt mit Glas auf dem unebenen Boden. Mauern waren niedergebrannt, sodass die Häuser wie Kadaver, ihrer Innereien beraubt, nur noch vage zeigten wo sie einst gestanden hatten.

Erinnerungen. Wie alles zurückkommt, wie klar einem alles scheint, wenn man glaubt, am Ende zu stehen. Hlinkas Beine zitterten. Aber es war nicht das Ende.

---

Sie hatte gewusst, dass sich ihre Wege trennen mussten, hatte es gewusst, als sie sich ihr im schwachen Licht des Feuers offenbart hatte. Trotzdem tat es weh. Sie sah es noch immer genau vor sich, das bleiche Gesicht mit dem hellen blonden Schopf; vor ihr, neben ihr und die blauen Augen, so anders als ihre eigenen. Jetzt war sie wieder allein in diesem Konflikt, der sie hier festhielt und allein mit den Geistern, die nachts zu ihr kamen. Die Hände eines Heilers haben mir wieder Kraft gegeben. Anstatt zu weinen, will ich die Kraft nutzen. So lange der Krieg andauert, kann ich nicht weg.

„Ganz wie du willst.“ hatte der Offizier zu ihr gesagt, als wäre er unschlüssig, ob er sie bemitleiden sollte oder nicht. „Es heißt zwar, wir brauchen jeden Mann, aber wenn es jeden Moment Pfeile regnen kann, ist mir egal, wer an meiner Seite kämpft.“

Sie hatte gedacht, dass es schwieriger sein würde, sich freiwillig zu melden. Männer hatten die Augenbrauen hochgezogen, es hatte Getuschel gegeben, aber man hatte sie schließlich mit einer handvoll anderer Freiwilliger vereidigt. Hlinka fühlte sich nicht wohl, als sie die Worte hinter sich brachte. Es war nicht ihr König und nicht ihr Land, das sie gelobte zu verteidigen. Land und König waren lange für sie unbedeutend gewesen, Dinge, die keine Rolle in ihrem Leben spielten.


„Tragt das Wappen mit Stolz“, hatte ein anderer Offizier gesagt, dessen Gesicht so aussah, als hätte er es schon einmal zwischen das Wappen und ein fremdes Schwert geworfen. Hlinka fühlte nur die stete Erleichterung, am Leben zu sein.

---

Hlinkas Beine drohten unter ihr nachzugeben. Sie ließ sich vorsichtig auf eine Grundmauer nieder. Schwer atmend sah sie zwischen den Schlieren vor ihren Augen, dass irgendetwas, vielleicht magisches Feuer, die Kanten der Mauern abgeschmolzen hatte.

Sie war verwundert, dass sie es überhaupt geschafft hatte bis zum neuen Tag wach zu bleiben. Die Nacht war auf den Beinen verbracht worden, rennend und kämpfend, während die Magier beider Seiten die Dunkelheit mit ihren Zaubern durchbrachen.

---

„Es endet hier und jetzt“, hatte er zu ihnen gesagt, doch anstatt zu jubeln hatten sie nur entschlossen genickt. Er war den ganzen Abend bei ihnen, den normalen Soldaten, geblieben, obwohl er als Kronprinz noch ganz andere Pflichten hatte. Für Hlinka unterschied er sich nur in der Qualität von Haar und Bart von den anderen Männern, obwohl er eine Rüstung trug, die aussah, als könnte sie einen Schlag mit einem spitzen Hammer überstehen. Die Nachricht hätte nicht klarer sein können. Der König hatte ihnen seinen Sohn geschickt, damit er es zu Ende brachte.

Sie trafen um Mitternacht auf die Kalte Hand.

---

Hlinkas Atmung beruhigte sich etwas. Jetzt wo die Sonne voll aufgegangen war, konnte sie sich selber genauer betrachten. Ihr Körper fühlte sich seit Stunden an wie eine einzige große Wunde. Sie schien jedoch Glück gehabt zu haben. Als sie die Ärmel ihres Kettenhemds hochschob, war die Haut am manchen Stellen abgeschürft oder dunkel verfärbt, manchmal nur gerötet. Scharfer Schmerz in ihrer rechten Schulter, stach aus der Masse heraus. Ihre Beine hatten auf beiden Seiten kleinere Schnitte, die jedoch nie richtig tief gewesen waren. Das meiste Blut gehörte nicht ihr.

Ein schwaches Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. Sie konnte es kaum fassen.

---

„Nichts weiter als Lügen!“

Hlinka blickte ungläubig zwischen Mjinn und dem alten Mann hin und her. Sie hatte sie noch nie aufgebracht oder genervt gesehen und jetzt schien sie außer sich vor Zorn.

Mjinn war mitgezogen als Hlinkas Einheit das Lager verließ, um sich einem größeren Heer anzuschließen. Es sei Zeit sich dem Feind zu stellen, hatte man ihnen gesagt. In diesem Dorf, deutlich größer als das Lager und wohlhabend genug für einen gepflasterten Platz vor dem Haus des Magistrats, hatte der alte Mann bei seinem Pferd gesessen, umringt von einer Meute Kinder. Die beiden Frauen hatten sich unauffällig dazugestellt. Es tat gut wieder neue Stimmen zu hören.

Für Hlinka formten sich neue Welten, als sie dem Ergrauten zuhörte. Namen von Orten, die ihr noch schwerer über die Zunge gingen als die ihrer Begleiterin, Landschaften, die wie aus einem Traum klangen, mit riesigen Wasserfällen, mächtigen Gebirgen und Regen, der Steine mit sich reißen konnte. In dieser Welt lebten Einsiedler oder kleine Gruppen von Suchenden in kleinen Festungen, die sich in den Felswänden oder dichten Wäldern verbargen. „Die Wahrheit“ war das Ziel ihrer Suche. Es klang wie ein sehr seltsames Leben für Hlinka und auch nicht nach dem, wovon Mjinn ihr erzählt hatte. Trotzdem hatte der Mönch gebannt, wenn auch etwas abschätzig, zugehört.

„Ich dachte, ich sei bereits entkommen“, hatte er gesagt „die Rolle mit dem letzten Willen unseres Meisters in der Hand, da fielen sie wie Kirschblüten von den Bäumen. Zwanzig Mann, in lila Roben gehüllt, denn ihr zweites Geheimnis ist die Färberei, und mit Krallen wie Tiger an den Händen.“

Mjinn hat ungläubig die Stirn gerunzelt.

Meister Zhan überbringt Grüße sagte der Anführer, übergib uns die Rolle und geh frei! Aber ich dachte nicht daran. Bei meiner Ehre als Träger einer Wasserklinge, ich würde den letzten Willen meines Meisters nicht kampflos übergeben. Aber gegen zwanzig feige Mann hilft einem das beste Schwert nicht. Ich war jung und unerfahren. Für ihren Meister Zhan nahmen sie die Rolle mit und ließen mich liegen.“

Er gab den Zuhörern ein beinahe zahnloses Grinsen. „Wie ihr seht, hat es mich nicht umgebracht.“

Das war der Moment, wo Mjinn sprach.

Der alte Mann musterte Mjinn eindringlich. „Das Gerede eines Greises kann immer wahr oder gelogen sein oder immer zwischen den beiden hin und her springen, vor allem wenn das Gedächtnis nicht mehr mitspielen mag.“ Die hellen Augen wurden kalt. „Diese Geschichte jedoch ist wahr. Ich werde sie niemals vergessen können.“

Mjinn riss ihren Ärmel hoch und zeigte dem alten Mann ihre Markierung. Die Kinder riefen laut oooooh und als der Mann sein eigenes Tattoo hervorzeigte, riefen sie aaaaaah. Hlinka trat einen Schritt zurück.

„Ich weiß nicht, wie oft man euch in eurem Leben gegen den Schädel getreten hat, aber ihr irrt euch. Meister Zhan würde so etwas nie tun!“

Das Lächeln kehrte auf das Gesicht des Greises zurück.

„Was macht dich so sicher, junger Mönch?“

„Die Krallen. Kein Mitglied des Klosters würde freiwillig Waffen tragen. Meister Zhan hält Waffen für das Werkzeug von Schwachen.“

Hlinka wurde sich für einen Moment des Gewichts des Schwerts an ihrer Hüfte bewusst.

Wieder das schadhafte Lächeln.

„Und hat er dir jemals offenbart, warum er das denkt?“

„Er sagte, dass er vor vielen Jahren..“ Mjinn hielt inne.

„Ja?“ fragte der alte Mann.

Mjinn antwortete ihm nicht. Ihre Hände zitterten.

„Das ist nun mal die Geschichte. Jeder macht Fehl..“

„LÜGEN!“

Hlinka hatte Mjinn nie kämpfen sehen. Die Geschwindigkeit des Mönchs erfüllte sie für einen Moment mit Hochachtung. In einem Moment stand sie völlig still, im nächsten schnellte ihr nackter Fuß nach vorne, ihr ganzer Körper gespannt wie der einer Raubkatze.

Dann lag sie auf dem Pflaster des Platzes und hielt sich den Bauch. Die Kinder brachen in Jubel aus.

„Je älter Mann wird, desto mehr Dinge erfährt man, die einem nicht gefallen,“ brummte der alte Mann, doch er lächelte milde. „Kommt Kinder, der Wind ist schlecht für meine alten Knochen.“ Gefolgt von den begeisterten Kindern schlurfte er an Mjinn vorbei. Das Pferd folgte ihm und trat Mjinn fast auf die Hand.

Hlinka schloss ihren Mund und half Mjinn wieder auf die Beine.

„Worum bei den neun Höllen ging es gerade?“

Es sollte der Grund werden, der Mjinn zum Gehen zwang.

---

Hlinka dachte, sie konnte den Gesang von Vögeln hören. War es schon so weit gekommen? Sie fühlte wie Hungergefühle in sie zurückkehrten. Sie hatte den Wasserschlauch eines Gefallenen genommen, nachdem dieser nicht protestiert hatte. Der Schlauch schien noch ungeöffnet und als sie gierig trank hoffte sie, dass sich weder Gift noch Pest darin verbargen. Sie hatte die Nacht nicht überlebt, um elend an einer Seuche zu sterben. Sie besah ihre Beine erneut. Wunden reinigen, dachte sie. Irgendwie. Mit Mühe drückte sich Hlinka von der verformten Mauer hoch. Sie hoffte, dass ein Heiler noch am Leben war. Oder auf eine versiegelte Flasche Schnaps oder einen Fluss, in dem keine Körper schwammen. Heilerin, du kannst dir nicht mal selber helfen.

---

„Kannst du nicht schlafen?“

„Nein.“

Ein weiterer Hocker wurde vor das Fenster gezogen. Draußen konnte man die hungernde Form des Mondes sehen. Sie fühlte eine Hand auf ihrem Arm.

„Hast du Angst, dass ich ohne etwas zu sagen verschwinde?“

Hlinkas Rufe nach ihr waren damals doch noch zu ihr durchgedrungen, als sie kaum sie selbst gewesen war.

„Das ist’s nicht“, murmelte sie. Hlinka lehnte ihren Kopf gegen Skeiras Schulter. Die ältere Frau kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sie konnte Wunden reinigen und verbinden, mehr nicht. Sie hatte die Wunden verbunden und versorgt, aber…

„Hat es was mit deinen Wunden zu tun?“

Skeira bereute es sofort. Für eine ganze Weile tat sie nichts, als das zitternde Bündel festzuhalten, während Tränen das geliehene Nachthemd trafen.

Nachts fühle ich seinen Blick und spüre seinen Griff und seinem Atem. Wenn ich am Bett eines Menschen stehe, der mich braucht und um den ich mich kümmern muss, sehe ich meine Hände, die Hände die das Schwert ergriffen und immer wieder zuschlugen bis das Stück Fleisch die Schläge nicht mehr wert war. Mit diesen Händen soll ich jetzt helfen. Ich bin keine Heilerin, ich bin auf dem gleichen Weg wie er.

Hlinka öffnete die Augen. Sie lag wieder in dem dünnen Bett. Sie fühlte die Wärme,die von Skeira ausging und für einen Moment dachte sie daran sie zu wecken. Morgen, entschied sie. Sie konnte es nicht länger mit sich herumtragen.

---

„Hlinka?“

Sie fuhr herum, trotz der Müdigkeit. Im Schatten eines Hauseingangs lag jemand.

„Marjo?“

Sie zog ihn mühsam auf die Beine. Kleine Feuer breiteten sich in ihren Beinen aus. Marjo war kein geborener Soldat, sondern ein Kind der Umstände. Er hatte früher zusammen mit seinem Vater, Vieh für die Bauern zu den Märkten getrieben, die zu viel Land und nicht genug Söhne hatten, um das selbst zu tun. Mit dem Schließen der Handelswege versiegte das kleine Einkommen. Marjo war ein kleiner Mann von höchstens ihrer eigenen Höhe, aber zäh wie Leder. Er schien nicht schwer verletzt zu sein, nur erschöpft. Wer ist das nicht.Der Überwurf mit dem Banner des Königs hing in Fetzen, doch die Rüstung darunter war intakt.

Mit einem Arm um sie, schaute er sich zwischen den Ruinen um.

„Wir haben es geschafft, oder?“

„Wir leben noch. Das zählt als Sieg.“

„Und die Kalte Hand?“

„Zerschlagen.“

Sich bald gegenseitig stützend, manövrierten sie die Reste der Stadt. Zwischen den Leichen von Hobgoblins und menschlichen Söldnern sahen sie die Reste von Maik, Vorn, Lisou und Teken. Junge Männer, die nur wieder eine Zukunft haben wollten. Sie blickte zum Himmel, aber natürlich gab es jetzt keinen Mond zu sehen. Hlinka hoffte, dass sie nicht am Wall der Seelen endeten, sondern an einem besseren Ort waren.

Am Ende einer breiten, zersprengten Straße kam das Stadttor in Sicht. Mehr als die Hälfte war eingestürzt, das eiserne Gitter zu einem unförmigen Haufen Metall geschmolzen.

Jubel kam ihnen entgegen, als sie die Torruine passierten. Über ein Dutzend Soldaten des Königs hatten ein Lager improvisiert und teilten die Euphorie am Leben zu sein; massierten Leben in ihre Glieder zurück.

Ein älterer Mann trug die weiße Binde eines Heilers. Sie ging direkt auf ihn zu, nachdem sie Marjo an jemand anderen übergeben hatte. Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich die anderen um sie scharrten. Jeder wollte Schulterklopfen, ein Lächeln, Vergessen.

---

Die Kalte Hand kam mit einem Regen aus Feuer, der die Nacht zum Tage machte. Zum ersten Mal, seit sie im feuchten Gras liegend in die kalten Augen hochgeblickt hatte, fühlte sie keine Furcht, sondern Zorn.

Doch Zorn kann einem nicht ewig helfen helfen. Sie war nur ein Mensch und was auch immer diese Kreaturen antrieb, war stärker als das.

Tief in die Dunkelheit eines leeren Hauses geduckt, kämpfe Hlinka mit der Sehne einer Armbrust. Muskeln in ihren Schultern schienen reißen zu wollen, als sie die Waffe endlich gespannt bekam. Hektisches Tasten im Dunkeln fand erst den toten Schützen und dann seinen Köcher voller Bolzen.

Mit stetig klopfendem Herzen lehnte sie sich nahe an den Eingang zum Haus. Die Tür hing gebrochen in den Angeln.

Da! Zwei Hobgoblins schlichen die Gasse entlang. Einer zu viel. Aber sie konnten in der Finsternis besser sehen als sie, es gab kein Verstecken. Sie drückte ab. Der Bolzen traf die Kreatur, die ihr am nächsten war, in dem Moment, als nur wenige Meter entfernt etwas auf dem Boden aufschlug. Blaue Flammen fegten die Gasse entlang und rissen die Hobgoblins von den Füßen. Ohne weiter nachzudenken ließ Hlinka die Armbrust fallen und ergriff ihr Schwert.

Hlinka schlich durch die Stadt, begegnete dem Tod und wich ihm immer wieder aus. Schmerzen und Schnitte sammelten sich, aber Zorn und der Wille zu leben hielten sie auf den Beinen.

Der Markplatz war hell erleuchtet von magischem Licht. Jemand hatte den Brunnen zersprengt. Soldaten, Stadtbewohner, Hobgoblins und die Söldner im Dienste der Hand kämpften hier am erbittertsten. Irgendwo zwischen den Soldaten musste der Kronprinz sein, sicher geschützt durch eine magische Rüstung, von der alle anderen nur träumen konnten.

In der Mitte des Platzes, direkt an den Überresten des Brunnens, stand der größte Mensch, den Hlinka je gesehen hatte. War es überhaupt ein Mensch oder eine andere Kreatur, die aus Gier nach Gold oder Mord seinen Dienst tat? Mindestens zweieinhalb Meter hoch und bedeckt von einer Rüstung, die ein Mensch unmöglich tragen konnte. Trotzdem bewegte sie sich schnell, schwang eine Hellebarde ohne erkennbare Mühe. Die anderen Kämpfer gaben der Kreatur Freiraum und Hlinka versuchte zu erkennen, gegen wen sie dort kämpfte. Fast hätte sie geschrieen. Es war der alte Schwertmeister. Seinem Alter spottend stand er einen Moment sicher an einem Ort, dann wand er sich scheinbar durch die Klinge des Monsters hindurch, um ihr von hinten einen Hieb mit seinem krummen Schwert zu versetzen. Hlinka starrte mit offenem Mund auf das Geschehen. Es war kein Kampf, sondern eine Art Tanz, den der alte Mann dort vollführte, einen tödlichen, schnellen Tanz.

Ein Geräusch ließ sie herumfahren, gerade noch rechtzeitig, um einer Klinge auszuweichen. Innerlich fluchend, wandte sie sich ihrem eigenen Tanz zu.

---

Die Mittagssonne wärmte sie alle. Zum ersten Mal seit einer langen Zeit hatten sie das Gefühl, dass Götter auf sie herablächelten.

Menschen kehrten zurück. Sie teilten die Freude der Soldaten nicht. Soldaten können auf Lohn oder Plünderei vertrauen, aber wenn Bewohner einer Stadt vor rauchenden Trümmern stehen, ist ihnen nicht nach Jubeln zumute. Man begegnete sich zunehmend mit Kälte.

„Wir sammeln uns am Flüchtlingslager“, kam der Befehl. Die inzwischen gut fünfzig Soldaten machten sich einzeln oder in kleinen Gruppen auf. Niemand protestierte. Die Offiziere versuchten allerdings auch nicht Ordnung in den Haufen zu bringen. Wer noch lebte, würde schon auftauchen. Wohin sollten sie auch sonst gehen?

Hlinka saß auf dem Erdboden. Etwas Neues war zwischen die Steine der Erschöpfung gekrochen, die auf ihr lagen.

„Kommst du?“

Jemand bot ihr eine Hand an. Sie ließ sich auf die Beine ziehen. Links von ihr lagen die Ruinen einer Stadt, für die sie fast gestorben wäre, symbolisch für das Land, das sie verteidigt hatte, ohne eine Wahl zu haben, nur weil sie leben wollte. Rechts lag eine Straße. Sie würde irgendwann zu dem Lager zurückführen, wo sie so viel Zeit verbracht hatte, Dinge gelernt und erlebt hatte. Wohin konnte es von dort aus gehen?

„Hey, kommst du jetzt?“

Eine Frage. Ich kann selber entscheiden. Ich kann über das bestimmen was ich tue.

„Ich, äh – “

Sie drehte den Kopf zur Seite. Ein kleines Waldstück, kaum mehr als natürliches Lager für Bauholz und Früchte, lag nicht weit entfernt.

„Schon klar“, sagte ihr gegenüber und unterdrückte ein Kichern.

Mit mehreren Augen in ihrem Rücken entfernte sie sich von den anderen Soldaten. Sie fühlte gar keinen Drang, aber es ersparte ihr eine Ausrede. Ich kam der Vergangenheit nicht einfach den Rücken kehren. Sie wird weiter bleiben, in Träumen und Erinnerungen. Aber für einen Moment war sie sich sicher, dass sie es doch konnte.

Eigentlich war es kein richtiger Wald, nur ein Haufen Bäume, die so dicht gewachsen waren, dass sie einen schnell verbargen. Licht kam durch die Lücken zwischen den Kronen. Er hatte nichts mit den Wäldern gemein, die sie erinnerte. Als sie auf eine winzige Lichtung kam, hielt sie inne.

War das wirklich eine gute Idee? Konnte sie so, allein und auf ihren müden Beinen, überhaupt weiter? Wohin würde sie gehen?

Ein Rascheln von der anderen Seite der Lichtung schreckte sie auf. Bevor sie überhaupt daran gedacht hatte, lag eine Hand an ihrem Schwert. Hlinka nahm sie erleichtert wieder fort, als sie erkannte was es war. Es war ein Pferd. Groß, braun, gut gepflegt und noch immer mit Sattel und Gehänge versehen. Im Wald?

„Ich kenne dich, oder?“ Bildete sie es sich ein oder schaute das Pferd sie wissend an. „Ziva?“

Das Pferd stupste sie freundlich mit der Schnauze an. Es war tatsächlich Ziva, das Pferd, das den alten Schwertmeister in seine letzte Schlacht getragen hatte.

Vielleicht war es die Erschöpfung, aber Hlinka hatte auf einmal eine Eingebung. „Hast du auf mich gewartet?“

Das Pferd antwortete nicht, natürlich. Es protestierte aber auch nicht, als Hlinka es an den Zügeln nahm und aus dem Wäldchen führte. Vor ihr lag die Ebene, grün und braun, fast leuchtend in der Mittagssonne. Ziva blieb ruhig, als Hlinka sie mit Mühe bestieg. Wie lange war es her, seit sie geritten war? Jahre? Es würde schon gehen.

Hlinka lächelte, als sie den Hals des Pferdes tätschelte. Der Krieg war vorüber.

„Ich könnte nach Hause gehen.“
 

skull

Thronfolger
Registriert
23.09.2000
Beiträge
5.986
Zwei gute Geschichten, aber ich bleibe ratlos zurück.:D

Timestop erzählt seine Geschichte von hinten nach vorne und reisst mit dem wahrhaft mächtigen Clua Console Amulett* die Fourth Wall ein — aber nur ein bisschen. Warum? Form follows Function; hier sehe ich die Funktion der Erzählstruktur aber nicht. Der Console-Gag steht auch stimmungstechnisch im krassen Widerspruch zum Rest der Geschichte.

Die Geschichte hätte man meiner Ansicht nach auch in chronologischer Reihenfolge erzählen können ohne dabei etwas zu verlieren und ich wäre seeehr viel weniger verwirrt gewesen. (Ugh! skull dumm! Ugh!)

Die Handlung scheint an Mantis Zombiegeschichte anzuknüpfen, ein böser Nekromant mit Obi-Wan'schen Geistesbeeinflussungskräften zieht die Fäden und will Hlinka ans Leder; zusätzlich zum gehirngewaschenen Hui Fui Opa bedient er sich dazu... Killerkoboldvampirschatten. Hm.

Ziemlich badass aber: "Ich lehne das Angebot ab." Sehr schön.:D

[flüster]*Ok, Clua Console ist ziemlich lustig.:D[/flüster]

Lisra toppt alles nochmal, er dreht die Chronologie nicht einfach nur um sondern gibt sie ganz auf — oder ich bin wirklich zu doof. (Ugh! skull dumm! Ugh!) Ist der Krieg nun gewonnen oder verloren? Wer stirbt wann warum und welche Stadt wird wieso von wem niedergebrannt? Wann spielt diese Geschichte im Verhältnis zu Hlinkas anderen Abenteuern?

Dazu gibt es jede Menge Charaktere, unter denen Timestops Kensai trotz epischem letzten Gefecht leider ein wenig untergeht. Ein Königssohn, der wichtig ist, von dem wir aber später nichts mehr hören, Gastauftritte von Mjinn und Skeira (die damit endgültig den Titel als meistzitierter Charakter in diesem Wettbewerb erhält).

Blut und Tod und düstere Düsternis gibt es in beiden Geschichten zuhauf.

Noch ist nichts entschieden.
 

Christa

Universaldilettantin
Registriert
11.09.2003
Beiträge
3.106
Skull, Du bist nicht der einzige Dumme, ich geselle mich gerne zu dir. ;)

Ich muss gestehen, dass auch ich von beiden Geschichten sehr verwirrt wurde. Ich habe so vieles nicht verstanden, dass ich ernsthaft an meinem Verstand gezweifelt habe. :o

Sorry, aber ich kann noch keinen Punkt vergeben. Ich muss die Geschichten glaube ich noch einmal lesen.
 

Rote Zora

Pfefferklinge
Registriert
06.05.2002
Beiträge
5.247
Time kriegt den Punkt, weil ich seine Geschichte wenigstens beim zweiten Mal Lesen verstanden habe. :rolleyes: :D

Im Ernst, ich finde, er macht das sehr geschickt, diese zwei Handlungsfäden, die sich erst am Schluss treffen, und das ganze dann überkopf aufgehängt, dass das schicksalhafte Aufeinandertreffen den Ausgangspunkt bildet. Bei Lisra ist es wirklich eine Konzentrationsaufgabe, herauszukriegen, ob gerade Rückblenden laufen, oder ob man schon in der Geschichte aktuell zugeschaltet ist. Hätte er das wie skull mit entsprechenden Überschriften, oder die Rückblenden kursiv gesetzt oder irgend eine andere Hilfe gegeben, wäre das sehr viel barmherziger gewesen. So verliere ich einfach den Überblick.

Times Rückwärtserzählung macht Sinn, weil die Tatsache, dass der Schwertmeister mittlerweile Zombie ist, eben erst ganz zum Schluss offenbart wird. So schafft er einen Spannungsbogen ganz eigener Art, und lässt zugleich über den Wert und Bestand von Erinnerungen nachdenken. Außerdem könnte man ihm unterstellen, er wolle unserem Veranstalter, der sich ja "Rätselmeister" nennt, ein schauriges Denkmal setzen. Wobei die zugedachte Rolle sicherlich eine zweifelhafte Ehre darstellt ;) :D

Lisra kämpft m.E. mit dem Halten einer durchgehenden Storylinie all seiner Geschichten. So muss Skeira noch vorkommen und Mjinn, und irgendwie wird es dann doch zuviel. Was ich bei Gala schon angemerkt habe gilt auch hier: Stärker in sich geschlossene Episoden lesen sich leichter als ein Fortsetzungsroman der irgendwann mit der Zahl der Themen und Personen überfordert wird.

Time bringt wieder einmal sein Pferd nicht recht unter, und wahrscheinlich hat er mittlerweile auch schon ein paar Mal seine Idee verflucht, ein Tier als Char in das Rennen geworfen zu haben, und nicht von Anfang statt auf das falsche Pferd gleich auf den Schwertmeister zu setzen. Wenn er uns nicht die ganze Zeit an der Nase herumgeführt hat, was ich ihm ohne Zögern zutraue.

Insgesamt habe ich zwar mit einigen Mühen, aber doch viel Gewinn beide Geschichten gelesen, den Punkt kriegt knapp, aber doch eindeutig bei mir Timestop.

ZORA
 

Lisra

Schmusekater
Registriert
06.02.2004
Beiträge
6.392
Dabei folgt es ganz einfach einem abab Schema wo a die Gegenwart und b ein Rückblick ist, getrennt durch die "---". Aber man hat mir ja schon in Aufsätzen in der Schule erklären müssen, dass die Logik des Autors mit der des Leser nicht übereinstimmt. Was für mich Sinn macht, weil ich ein großes Bild in 16 Farben in meinem Kopf habe, wird von jedem anders verstanden. Das tut mir sehr Leid, ich hätte euch allen gerne mehr Freude im Finale bereitet.

Ich habe dieses zerstückelte Format gewählt um einige der Fragen zu beantworten, die nach jeder Episode gestellt wurden, wie warum ging sie zur Armee, was passierte mit Mjinn, wo kommt der alte Meister her? Hätte ich wieder eine geschlossene Episode geschrieben, wären sicher auch wieder solche Fragen gestellt worden. Offenbar muss ich ein ernstes Wort mit meinen drei Betalesern reden, da sie zu schnell behaupten der Geschichte folgen zu können, so konfus wie das hier aufgenommen wurde. :c:

@skully
Um die Fragen zu beantworten: Der Krieg ist tatsächlich vorbei. Abschnitte a spielen ganz am Ende im Verhältnis zum Rest, die Rückblenden an verschiedenen Orten. Im nachhinein wäre es vielleicht ein klein wenig besser gewesen, wenn die Rückblenden selber chronologisch zur Gegenwart geordnet gewesen wären.
Gestorben sind:
-Verschiedene Menschen die zwar einen amen haben, aber Gesichtslose NPCs sind, letztendlich nur ne Art Dekoration für die kaputte Landschaft.
-Der alte Meister, der von seiner Ziva überlebt wurde
-Lauter Hobgoblins

Welche Stadt niedergebrannt wird ist letztlich irrelevant, genauso wie ich nie ausgeführt habe wo das ganze letztlich spielt, außer "links vom Wald" und so. Es ist jedenfalls eine relativ große, warum die kalte Hand genau dort eine Entscheidungsschlacht provoziert hat.. wer weiß. Spielt letztlich ja auch keine Rolle.


Es läuft nur darauf hinaus, dass Hlinka überlebt, und endlich die Möglichkeit wahrnehmen kann, nach der man mich seit der Vorstellungsgeschichte gefragt hat: Warum geht sie nicht einfach nach Hause? Der Krieg war ihm weg. Jetzt ist er weg, sie hat eine Rüstung, eine Waffe und ein Pferd und kann jetzt schauen ob es ihr Daheim noch gibt. Ich denke schon. Sie hat sich das jedenfalls verdient. Die Sonne scheint, sie lebt noch. Alles andere ist letztenendes nicht so wichtig.

Warum ich die Kontinuität die ganze Zeit aufrecht erhalten hab' weiß ich auch nicht so genau. Es war auf jeden Fall nicht die cleverste Entscheidung, weil so alle Geschichten bis auf die Erste nicht so richtig Kopf und Fuß haben, sondern nur einen etwas verunstalteten Rumpf. Aber so lange es irgendwem gefallen hat, wars ja nicht umsonst.

Puh. Jetzt ists vorbei.;)
 

Rote Zora

Pfefferklinge
Registriert
06.05.2002
Beiträge
5.247
Ah, jetzt ja!

Ich hatte das abab-Prinzip nämlich schon gemeint zu verstehen, habe aber verzweifelt versucht, die Rückblenden auf eine Reihe zu kriegen. Wenn die natürlich an verschiedenen Orten spielen, dann muss das scheitern.
Skull hatte so kleine Zwischenüberschriften eingesetzt, das war hilfreich...
ZORA
 

Christa

Universaldilettantin
Registriert
11.09.2003
Beiträge
3.106
Habe mich jetzt nach nochmaligem Lesen entschlossen Timestop meine Stimme zu geben.
 

Lisra

Schmusekater
Registriert
06.02.2004
Beiträge
6.392
*schnüff* :(

Ach quatsch. :D

*time die Hand reich*

Beim nächsten Mal aber!
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
Registriert
20.09.2004
Beiträge
2.112
Meine Stimme hat Lisra bekommen. Hlinka ist ja einer dieser Charaktere, die man ständig in den Arm nehmen will und sagen möchte "alles wird gut, gleich ist es vorbei". Und er ist seinem Stil auch den ganzen Wettbewerb auch treu gebliebe.

Bis zum schönen Ende.

*schnüff*

Deswegen ging der Punkt an ihn. Times Geschichte ist auch gut, aber in dieser Runde konnte er aus meiner Sicht nicht bestehen.
 

Timestop

Running out of Time
Registriert
17.04.2002
Beiträge
4.875
Waren beides wirklich etwas anstrengend zu lesende Geschichten.

Ich hab die Geschichte von hinten nach vorne aufgezäumt, um zu testen ob ein Erzählfluss und Spannungsbogen in beide Richtungen möglich ist, also ob es Sinn macht am Ende zu beginnen und dann zum Anfang vorzustossen und umgekehrt und man trotzdem beide Male eine interessante Geschichte vor sich hat.

Um aufs Skulls Frage nach dem Warum einzugehen: Weil ichs kann.:D

Ich hatte natürlich den Film Memento (wer ihn nicht kennt umbedingt mal anschauen) dabei im Kopf, nur dass ich dessen Brillianz und Grundidee der Wirkung der Amnesie nicht einfangen konnte.

Insgesamt bleibt daher ausser dem Grundkonzept nicht viel, dafür gibts einige Macken. Die Protagonisten interagieren (fast) nicht miteinander, Ziva wurde gleich ganz gestrichen, es gibt etwas zuviel sinnfreies gehacke (der drastische Tod von Nairad bringt durch die Zeitumkehr keinerlei Emotionen hervor) und natürlich ist die Erwähnung von "Clua Konsole" ein Stil- und Atmospährenbruch den ich mir nicht verkneifen konnte.
Und das Ende, wie ein Großteil der Geschichte, neigt wieder zu mysteriösem, spirituellem Quatsch, so dass es eher nervt und verwirrt.


Bei Lisra fand ich es ebenfalls unschön, dass Figuren auftauchen und verschwinden, was sie recht beliebig macht.
Die Handlung nachzuvollziehen war auch eher Arbeit und die Aufarbeitung baut noch mehr Fragen auf. Man muss vermutlich mehr Zeit aufwenden um die 16 Farben alle zu finden und ordnen. Das Ende fand ich dagegen rührend schön.


*Lis Pfote schüttel*


@Zora
Tatsächlich sind es ja zwei Charaktere und ich konnte mich damals einfach nicht entscheiden welchen ich nehme, also hab ich beider Grundgeschichten nochmal geändert und sie zusammengeführt.

Dafür hab ich mich tatsächlich damals schon verflucht und leider konnte ich daher niemals beiden die Aufmerksamkeit zukommen lassen die sie verdient haben. Insgesamt gesehen sogar nichtmal einem von beiden, da ich mich wieder zu sehr auf Geschichten und andere Charaktere versteift habe, statt mich auf meine eigenen zu konzentrieren. Gerade Ziva bekam viel zu wenig Spielzeit, sie hätte noch eine eigene Episode verdient. Schade dass die Serie schon abgesetzt ist.:D
 

Enigma

Suchender
Registriert
15.07.2002
Beiträge
2.159
&nbsp;
Abgesetzt?
Es gibt bloss keine Punkte mehr, aber ihr könnt noch so viel schreiben, wie ihr wollt. ;) Und eure Texte müssten vor der Veröffentlichung nicht einmal mehr durch das Nadelöhr bei mir. :eek: :D

&nbsp;
 
Oben