[Schreibwettbewerb - Runde IV - forfeit] Rote Zora

Enigma

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Tork erwachte mit wummernden Kopfschmerzen. „Mann, ich hab das Zeug früher besser vertragen“ dachte er, und kämpfte gegen seine Übelkeit. Alle Bässe des gestrigen Abends schienen gleichzeitig den kleinen Raum zwischen Scheitel und Schädelbasis auszufüllen, und ihm kam vor, als würden sie ihn jeden Moment sprengen. Er kämpfte seine Übelkeit nieder.

„Jetzt nur nicht auch noch kotzen“ dachte er, als ihm auffiel, dass es für diesen Vorsatz offenbar zu spät war: „Scheiße!“ Sein ganzes Bett fühlte sich nass und klebrig an. Nun war es alles andere als gemütlich in den Federn, und es schien ratsam, aufzuwachen und aufzustehen, und sich die ganze Bescherung anzusehen und irgendwo her ein Bad zu organisieren.

Gleichzeitig verschaffte sich in seinem benebelten Hirn eine weitere Erkenntnis Zugang zu seinem Bewusstsein. Es wummerte nicht nur in seinem Kopf, es wummerte auch an der Tür. „Aufmachen! Im Namen des Stadtvogtes, Aufmachen!“ In seinem Hirn formten sich mühsam Gedanken. Was wollen die um diese Herrgottsfrühe von einem Künstler wie ihm? Hatte er seine Papiere falsch ausgefüllt? Irgendwelche Lärmschutzverordnungen missachtet? Diese verdammten Korinthenkacker. Aber was half es, nun musste er da durch. Mühsam öffnete er die Augen und schloss sie gleich wieder.

Doch jetzt war er hellwach, denn was er gesehen hatte, pumpte sofort eine für drei Halborks ausreichende Menge Adrenalin in seine Adern.

Blut. Es war alles voller Blut. Viel mehr Blut als gesund war in der Gegend zu verplempern. Und irgendwem musste das ganz dringend fehlen. Er betastete seinen Körper und stellte fest, dass er unverletzt war. Nun bekam das Donnern an der Tür einen bedrohlichen Klang. Panik erfasste ihn, er riss die Augen auf, und nun sah er die ganze Bescherung. Neben seinem Bett lag, seine Gitarrenaxt im Schädel, das junge Mädel von gestern dass... wenn er sich nur erinnern könnte...

In diesem Moment gab die Tür nach.

~~~oOo~~~

Es war ein wundervoller Herbstmorgen, die Luft war klar und kühl, es war diesmal kein Nebel, kein Regen und kein Wind, sondern so eine letzte Ahnung von Spätsommer ließ die Vögel ausgelassen zwitschern und in einem türkisblauen Himmel war die Sonne aufgegangen.

Pelle hatte heute frei und machte einen ausgiebigen Morgenlauf durch Athkatla, vorbei an den Villen und Herrenhäusern des Regierungsviertels, quer durch den Tempelbezirk und dann weiter, immer weiter. „Auch wenn du hauptsächlich mit dem Kopf arbeitest, du musst zusehen, dass du körperlich fit bleibst, mein Lieber!“ hatte ihn sein Mentor gemahnt. „Du willst ja nicht zu einem dürren Besserwissergnom mutieren, oder einem ...“ „Glückkeks?“ versuchte Pelle zu helfen und musst ein Deckung gehen, weil ein hölzerner Briefbeschwerer in gefährlichem Tiefflug seinen Scheitel streifte. Es gab immer noch Themen zwischen ihm und seinem Lehrmeister, die etwas, nun ja, belastet waren. Aber Pelle hatte eingesehen, dass sein Mentor recht hatte, und stellte fest, dass ihm das morgendliche Laufen unheimlich gut tat.

Wie üblich steuerte er jetzt auf das Brückenviertel zu. Die Taverne zu den fünf Krügen war ohnehin die Stammkneipe von ihm und seinen Freunden. Eine wundervolle Bardin hatte den Laden vor einiger Zeit übernommen. Sie war schon ein etwas älteres Semester, so dass sich in ihre rote Mähne einige graue Strähnchen gemischt hatten, aber sie war immer noch hinreißend, was ihren Humor und ihren Einfallsreichtum anging. Außerdem hatte sie für die Truppe, als es noch eine echte Abenteuergruppe war, manch guten Rat gehabt – und jede Menge günstiges Bier.

Heute hoffte er, einen Kaffee abstauben zu können. Normalerweise war Zora, so hieß die Wirtin, recht früh hoch, aber gestern war dort ein unsägliches Konzert im Theater mit einem Barden, der sich Zark oder so nannte und offenbar davon lebte, Menschen für dumm zu verkaufen. Statt Lieder und Weisen zu spielen, die das Ohr erfreuten, das Herz in Harmonie brachten und den Geist erfrischten veranstaltete er einen unsäglichen Krach, brüllte Obszönitäten, Blasphemien und Beleidigungen ins Publikum und ließ sich dafür feiern, weil das nun ein besonders genialer Kunststil sein solle. Pelle schüttelte im Laufen seinen Kopf und musste schmunzeln. Das war schon brillant, jeder Idiot kann Krach machen und rumschreien, aber dieser Typ machte richtig Karriere damit. Das Volk will eben betrogen sein, und sei es eben durch einen lärmenden Halbork.

Er bog in die Gasse ein und das Bild, das sich ihm bot war ihm schrecklich vertraut. Ein paar gelangweilte Bewaffnete der Stadtwache standen vor der Tür, eine Gruppe Gaffer versuchte trotzdem etwas zu erspähen, die Kutsche von Burjan, dem Bestatter parkte ein Stück weiter, wo der Hinterausgang lag. „Oh nein!“ dachte Pelle – und war drauf und dran umzukehren – dann dachte er an Zora, und beschloss doch, hineinzugehen.

„Oh, da hat sich die Heilige Inquisition aber beeilt!“ frotzelte Leif, der wachhabende, als er den durchgeschwitzten Pelle einließ.

„Halt die Klappe, ich hab' eigentlich frei heute!“ raunzte Pelle zurück, was aber irgendwie freundschaftlich klang.

„Das kann auch so bleiben, hier gibt es nichts zu ermitteln, der Täter wurde schon abgeführt, hier ist gleich Schluss!“

„Ach so?“ fragte Pelle „und? gibt es auch ein Kaffee?“

„Na, da frag doch am besten die Chefin selber. Die hat natürlich nicht so ne gute Laune. Mag ja keiner so gern, nen Mörder und ne Leiche unterm eigenen Dach zu haben, wenn du morgens aufwachst.“

„Ich glaub's gerne...“

Pelle wollte gerade Richtung Schankraum gehen, da kam Burjan mit seinen Helfern und einer zugedeckten Bahre die Treppe von den Schlafgemächern herunter. Pelle zögerte kurz, aber dann siegte seine Neugier über die Vernunft, die ihm predigte, er habe immer noch seinen freien Tag.

„Tschuldigung? Darf ich kurz?“

Die Träger setzten die Bahre ab. Pelegrinus Luminiscentius war bekannt bei dem Gewerbe, und manche behaupteten hinter vorgehaltener Hand, er sei wahrscheinlich die Wiedergeburt eines Nekromanten, weil er so gerne und ausführlich Leichen betrachtete. Dennoch wurde er respektiert, weil er immer wieder erfolgreich ermittelte, wie die aus lebendigen Menschen Kundschaft für Burjan wurde. „Eigentlich schlecht für's Geschäft“ hatte er dem jungen Paladin mal im Spaß gesagt, „wenn du immer Mörder fängst, dann kriege ich immer weniger zu tun. Aber anders herum – die Mörder werden nach dem Prozess ja auch meine Kunden, und so gleicht sich das ja alles wieder aus!“ Merkwürdigerweise hatte der junge Herr Pelegrinus das gar nicht komisch gefunden. Aber sonst kamen sie gut miteinander aus.

„Sieht diesmal aber nicht schön aus, junger Herr“ sagte er fürsorglich, als Pelle die Abdeckung anhob. In der Tat bot sich kein ansprechendes Bild. Ein junges Ding, höchstens vierzehn Jahre alt, war offensichtlich mit einem schweren scharfen Gegenstand förmlich niedergemacht worden.

Leif stellte sich dazu: „Larica, junges Mädel, außer dem Namen wissen wir nicht viel von ihr, eigentlich ein unbeschriebenes Blatt. Die Tatwaffe haben wir sichergestellt. Eine Axt. Mit Saiten drauf. Irres Ding, wenn du mich fragst. Steckte noch in ihrem Schädel, als wir ins Zimmer kamen. Sollte man also für die Tatwaffe halten. Man kann damit aber auch Musik machen“

„Ach, dann war der Täter dieser Halbork-Barde?“

„Alles sieht so aus. Die waren zusammen im Zimmer, und es war von innen abgeschlossen.“

„Geständig?“

„Sagt, er kann sich an nichts erinnern“

„Toll. Also womöglich im Suff erschlagen?“

„Könnte sein, wobei zum Suff wohl auch noch was anderes kommt. Meine Nase ist ja auch schon ne Weile mit mir in Athkathlas Halbwelt unterwegs, und ich würd' wetten das in dem Zimmer auch was geraucht wurde!“

„Lotus?“

Leif nickte.

Pelle warf noch einen letzten Blick auf das Opfer, dann nickte er Burjan zu, dass sie weitermachen konnten. Die Abdeckung schloss sich wieder über den entstellten Zügen eines einst schönen und jugendlichen Mädchens.

„Verdammtes Dreckszeug!“ murmelte Pelegrinus zu sich selber. Alle möglichen Reichen, Schönen, Berühmten und solche die sich dafür hielten, inhalierten dieses schreckliche Gift. Alle schwärmten von den betörenden Wirkungen und schimpften auf die kleinlichen Behörden, die versuchten, den schwunghaften Handel und verantwortungslosen Konsum dieser Droge einzudämmen. Und keiner wollte sich darum kümmern, was dieses Zeug wirklich anrichten konnte. Dass es gesunde Menschen zu ausgemergelten Skeletten werden ließ, die mit hohlen Augen und wirrem Blick durch die Straßen geisterten, nur um ein paar dreckige Krümel davon für ihre Sucht aufzutreiben. Und ganz zu schweigen, von Dingen wie diesen hier. Im Rausch und im Wahn wurden Verbrechen begangen, für die keiner Verantwortung übernahm, weil sich ja niemand erinnerte. Und ein zartes, jugendliches Leben wurde brutal ausgelöscht. Missmutig begab er sich zur Bar.

„Sollen sie ihn hängen, diesen...“

„Tork?“ fragte Zora „Er war's nicht!“

Pelle guckte sie an, als hätte er nicht richtig verstanden. Dann sah er, dass es ihr purer Ernst war, und dass sie auch nicht im Geringsten zu Späßen aufgelegt war. Im Gegenteil, so nah am Rand von Zorn und Verzweiflung hatte er sie noch nie gesehen. Er schluckte einen dummen Spruch herunter, den er gerade auf der Zunge hatte, und sagte lieber nichts.

„Guck nicht so doof. Pelle, du bist doch ein guter Ermittler. Krieg raus, wer die arme Larica umgebracht hat, und brauchst hier nie wieder ein Bier zu bezahlen. Kaffee?“

Pelle verkniff sich die Frage, ob der denn auch schon umsonst wäre, und nickte.

Zora goss ihm eine Tasse ein.

„Geht auf's Haus“ sagte sie, als ob sie seine stumme Frage gehört hätte.

Pelle pustete den Dampf beiseite und trank einen Schluck. Zora wirbelte noch ziemlich herum, bis sich die Wachen, Bestatter und Schaulustigen verzogen hatten, dann schloss sie die Tür ab, und plötzlich war es still in den Fünf Krügen. Zora holte sich einen weiteren Barhocker dazu, goss sich einen von ihrem berüchtigten klaren uskokischen Schnaps ein, trank aber nicht sondern blickte an Pelle vorbei ins Leere. Tränen glitzerten in ihren Augen.

„Erzähl mal“ sagte Pelle ruhig, plötzlich war er ganz in seinem Element. Ein Mord war geschehen, und man suchte nach Recht und Gerechtigkeit, nach einem, der der Sache auf den Grund ging, und die Wahrheit ans Licht brachte. Das war seine Aufgabe, das war seine Berufung.

„Tork ist ein genialer Künstler. Es war der Wahnsinn, dass ich ihn in meine kleine Spelunke bekommen habe, um hier aufzutreten. Es war der Wahnsinn. Gerammelt voll, Superstimmung, absolut geniale Musik...“

Pelle prustete etwas Kaffee über die polierte Barplatte, worauf er sich einen vernichtenden Blick aus Zoras grünen Augen einfing.

„Tschuldigung... Geschmäcker sind verschieden... also...“ er hustete immer noch „geniale Musik. Weiter?“

„Du hast einfach keine Ahnung von Bardenkunst, Pelle!“ sagte Zora streng: „weißt du wie Bardinnen und Barden von der Alten Schule, wir finden kunstvolle Bilder und gedrechselte Reime und wohlklingende Melodien, um dem, was in uns drin ist an Leidenschaft und Feuer eine möglichst feine und künstlerisch ansprechende Form zu geben. Und Tork... Tork ist... Tork war... anders...“
Da konnte Pelle nur mit voller Zustimmung nicken. Das war er ohne Zweifel.

„Er brüllt es einfach raus. Den ganzen Schmerz, die Wut den Hass. Das ist so unmittelbar, so echt so direkt und so... ehrlich.“ Zora suchte noch immer nach Worten, aber sie wurde zunehmend besser. „und die Leute verstehen es, und sie lieben es. Wenn du randvoll mit Ärger, Scheitern und Verzweiflung bist, dann willst du nicht eine säuselnde Ballade vom sterbenden Schwan hören. Dann brauchst du Tork, der sich auf die Bühne stellt und dir in die Ohren schreit, dass die Welt ungerecht und das Leben scheiße ist. Das ist genial.“

Pelle beschloss, dazu lieber zu schweigen. Er für seinen Teil brauchte das definitiv nicht.

Zora nahm seine Hand und suchte seinen Blick mit ihren grünen Augen: „Pelle, er war's wirklich nicht. Er ist absolut nicht der Typ dafür. Der killt keine Kinder!“

„Hm, im Suff vielleicht oder...“ Pelle machte eine unmissverständliche Geste für den Konsum von Schwarzem Lotus.

Zora schüttelte energisch ihre rot-grauen Locken. „Wenn Tork was raucht wird er friedlich wie ein kleines Kind. Jeder reagiert anders auf das Zeug, das weiß ich nun aus einiger Erfahrung. Tork killt keine Kinder, definitiv nicht, nicht mal im Vollrausch!“ sie sagte das mit einiger Bestimmtheit, trotzdem wusste Pelle, dass er diese Bestimmtheit schon oft von Leuten gehört hatte, die am Ende von den objektiven Beweisen eines besseren belehrt wurden. Und die Beweise konnten klarer nicht sein.

Aber genau das reizte ihn. Was wäre, wenn dieser Grunzgröhler tatsächlich unschuldig war? Dann gab es für Pelle, den Pala die Chance, der Stadtwache noch einmal richtig zu zeigen, wie man vernünftig ermittelt, und die Dinge manchmal eben nicht so waren, wie sie ursprünglich erscheinen.
„Darf ich das Zimmer sehen?“

Zoras Blick, der ihr Nicken begleitete überflutete ihn förmlich mit Dankbarkeit. „Du willst also ermitteln?“

„Nun, zumindest will ich mir mal ein eigenes Bild vom Tatort machen, denke ich“ sagte er mit gespielter Vorsicht.

„Danke, Pelle!“ Ehe er sich versah, hatte er eine dicken Kuss auf die Wange gedrückt bekommen, dann schnappte Zora ihr Schlüsselbund und sie gingen in den ersten Stock.

Der Schnaps war stehen geblieben.

~~~oOo~~~

Tork saß in einer stickigen Zelle. Netterweise hatte ihm der Wärter einen Eimer gebracht, denn er hatte sich mehrfach übergeben müssen. Die Sonne war nun schon aufgegangen und schien irgendwo in ein Fenster des Verliestraktes, vier Meter hoch und winzig klein. Sein Schädel brummte, sein Magen rebellierte immer noch und sein Geist stocherte in einem dichten Nebel fehlender Erinnerungen, dessen eintöniges Grau immer wieder vom grellen Rot des vergossenen Blutes zerrissen wurde.

„Und? Habt Ihr sie umgebracht?“

Er hatte den Fremden nicht kommen gesehen, auch nicht gehört. Aber da stand so ein strubbeliger Milchbubi vor seiner Zellentür und machte ein wichtiges Gesicht.

„Du fragst den Falschen, Bürschchen“

„Nun, ich denke schon, dass ich Euch fragen sollte. Ihr steht in dringendem Tatverdacht, die arme Larica ermordet zu haben. Und wer sollte besser wissen, ob Ihr es wart als Ihr selber?“

„Alle wissen es besser hier. ALLE“ Tork war aufgesprungen und trat mit seiner hünenhaften Erscheinung an das Gitter. Der Jungspund auf der anderen Seite verharrte ungerührt.

„Ich weiß gar nichts. Das ist völlig leer hier drinne.“ er klopfte sich mit seinem Finger an seinen Schädel. „ich weiß von keinem Mädchen, ich kannte ihren Namen nicht mal, bis du ihn eben gesagt hast. Alle, alle, alle können mir ständig etwas neues über die letzte Nacht erzählen. Also frag sie, frag sie alle. Aber frag nicht mich.“

„Ich habe sie schon gefragt.“ sagte der andere kalt: „Dann frage ich anders herum: Ist es bei Euch im Zusammenhang mit Alkohol oder Drogenmissbrauch schon mal zu Gewalttätigkeiten gekommen? Seid unbesorgt, ich bekomme es auch so heraus, aber da ich einer der wenigen Menschen bin, die zumindest für möglich halten, dass Ihr unschuldig seid, solltet Ihr kooperieren“

„Es ist schon mal was zu Bruch gegangen, klar. Aber bislang keine Toten oder Verletzten. Aber was soll der Scheiß, ich gestehe einfach.“

Nun wirkte der andere doch verblüfft.

„Ist doch ein guter Abgang: Ein großartiger Gig, eine berauschte Nacht, ein Bad im Blut und am Ende der Strick. Das war Tork.“

Er warf sich in Pose, doch der junge Kerl schwieg und blickte ihm unverwandt in die Augen. Tork blieb unbeirrt: „Hey, das ist doch für so einen alten Krachmacher wie mich ein wirklich genialer Schlusspunkt. Besser als sabbernd und alt irgendwo in seiner Scheiße zu liegen und zu warten, dass einen endlich der Teufel holt. Der kann einen nämlich manchmal ganz schön warten lassen, der faule Sack“

Huch? Der junge Typ war offenbar doch noch zu schocken. Tork grinste ein gelbes Grinsen, als er sah, wie der Kerl seinen Blick abwandte und verstohlen ein heiliges Amulett küsste.

„Also kürzen wir das ganze ab. Ja, ich hab den Groupie umgenietet, wir hatten irgendwie Streit, und weil ich ein bisschen zu viel gesoffen hatte, ist es halt aus dem Ruder gelaufen. Zack, bumm, bäng, aus die Maus. Zufrieden, Herr Paladin?“

Der hatte offenbar seine Fassung wiedererlangt: „Tork, Ihr macht einen großen Fehler, wenn ihr damit Witze macht. Sterben ist nie schön, schon gar nicht am Galgen. Es geht mir nicht um Euer armseliges Leben, sondern um die Wahrheit, um nichts anderes. Wenn Ihr es wart, sollt Ihr meinetwegen hängen, aber wenn nicht, dann läuft da draußen noch ein Mörder rum, der dann gleich zwei Leben auf dem Gewissen hat, das der armen Larica und Eures. Also erzählt was ihr wisst, und lasst mich mit Eurem blasphemischen und melodramatischen Getue in Ruhe.“

Tork dachte kurz nach. Das erneute Stochern im grauen Nebel der Erinnerungslosigkeit weckte wie zur Strafe seine Übelkeit, und er erbrach grüne Galle in den Eimer.

„Verpiss dich einfach, Muttersöhnchen“ hustete er. Dann wandte er sich erneut dem Eimer zu.

~~oOo~~

Am Nachmittag saßen sie in ihrem alten Ermittlungsteam zusammen. Jerob, der Gnom, Antilis ein für sein junges Alter hager und altmodisch wirkender Magier und Pelegrinus, der angehende Paladin. Auch Zora war dazu gestoßen, sie hatte den Tresen ihrer Schankmaid anvertraut, und wollte nun unbedingt wissen, wie es weiter geht.

„Von Tork werden wir nichts neues erfahren, im Gegenteil, er ist drauf und dran zu gestehen, und in einem Anfall von Melodramatik eine Art Selbstmord durch die Henkershand zu begehen. Ich könnte es fast verstehen, es geht im saudreckig, er reiert in einer Tour und seine Chancen sind grottenmies“ eröffnete Pelle das gemeinsam Nachdenken.

„Er war's nicht!“ sagte Zora. Ich hab jetzt seine ganze Kammer aufgeräumt und geputzt. Und wisst ihr was? Nirgendwo ein Krümel von seinem Tabak. Der ganze Beutel ist futsch!“

„Da war Lotus drin, oder?“ Jerob war bereits in groben Zügen ins Bild gesetzt worden, „dann kann es gut sein, dass ein korrupter Typ von der Stattwache oder von Burjan das Zeug hat mitgehen lassen. Die haben einen harten, grauen Alltag und sehnen sich auch nach ein paar blumigen Träumen!“

„Schon möglich. Es kann aber auch sein, dass jemand die Chance genutzt hat, das Kraut verschwinden zu lassen, weil was drin war.“ gab Pelle zu bedenken.

Zora nickte eifrig: „Tork ist ein Halbork mit einer unglaublichen Konstitution, den haut nicht so schnell was um. Außerdem war er einiges gewohnt. Auch Lotus konsumierte er regelmäßig, seit er diesen Hui Fui Meister getroffen hatte, das weiß ich von ihm persönlich. Wenn er sich jetzt die Seele aus dem Leib kotzt, dann hat ihn irgendwer ganz übel vergiftet.“

„Tja, so könnte es gewesen sein“ murmelte Jerob: „ein böses KO-Zeug in den Tabak mischen, den Tiefschlaf des Barden nutzen um einen feigen Mord zu begehen, und am Ende alles an ihm hängen lassen.“

„Er könnte es aber auch immer noch selber gewesen sein“ beharrte Pelle. „Wir brauchen keine tollen Theorien, wir brauchen Beweise!“

„Was ist zu tun?“ es war das erste Mal, dass Antilis das Wort ergriff, er wartete in der Regel immer ab, bis es konkret wurde.

Pelle fuhr sich mit der Hand durch das Haar. „Mehrere Dinge: Du, Antilis, solltest bei den Harfnern und in den üblichen Kräuterläden dieser Stadt mal nachfragen, ob es ein KO-Mittel zum Rauchen gibt. Und ob irgendwer in letzter Zeit danach gefragt, oder sogar etwas gekauft hat. Du hast da ganz gute Beziehungen, lass es nicht unbedingt wie eine Ermittlung aussehen.“

Er wandte sich Jerob zu: „Du versuchst alles herauszukriegen, was das Opfer angeht. Larica, wo hat sie gewohnt, wer waren ihre Eltern, wovon hat sie gelebt. Wenn jemand anderes sie getötet hat als ein halborkischer Barde im Suff, dann hatte er womöglich ein Motiv, denn dann war das ein geplanter und heimtückischer Mord. Hatte sie Feinde?“

„Schon klar, und jetzt kommt gleich noch der Satz: 'jedes Detail ist wichtig' – ich werd' sehen, was ich herauskriegen kann, Cheffe!“

Pelle grinste zufrieden. Sein Team war zwar eigentlich ein Haufen Irrer, aber gemeinsam waren sie eine Macht: „Ich selber werde sehen, was ich aus Torks Umfeld herausbekomme. Was, wenn er verurteilt wird, wer bekommt sein Vermögen, wer könnte ihm so übel wollen, dass er ihn in sowas hereinzieht.

~~~oOo~~~

Der Rest ist tatsächlich schnell erzählt. Jerob ermittelte, dass die unschuldig-süße Larica als durchaus lukrativen Nebenerwerb für ein paar Goldmünzen bereit war, einsame Herren zu begleiten. Sie war aber (mehr konnte man bei der sprichwörtlichen Diskretion des Gewerbes nicht heraus bekommen) nicht von Tork selbst gebucht worden.

Antilis war ähnlich erfolgreich: Er konnte seinen Kontakten nur entlocken, dass in letzter Zeit Nachfrage nach gemahlener Somnilis Nuss da gewesen sei. Aber wer genau es war, da hüllte man sich in Schweigen, ganz im Vertrauen wurde ihm aber der Begriff „Problemlöser“ zugeraunt. Ohne Namen, um's Leben nicht, keine Namen.

Pelle schließlich fand heraus, dass es sich lohnte dass Tork seine Konzerte und seine Finanzen nicht selbst organisierte, sondern dafür einen Kerl namens Biff beauftragt hatte. Da sich Biff allzu fürsorglich nach Torks Sachen und vor allem auch nach seiner Pfeife erkundigte, beschloss das Team, hier nachzusetzen.

An dieser Stelle kam auch Zora ins Spiel, die irgendeine alte Geschichte mit Biff hatte, die noch aus der Anfangszeit ihrer Karriere in den Fünf Krügen zu tun hatte. Während sie ihm in einem recht bierseligen Gespräch so manches über sein Geschäft entlockte, sicherte Jerob bei ihm im Kontor manche harten Fakten, die beweisen konnten, dass er Tork während seiner Karriere um Tausende von Goldstücken betrogen hatte. In einer krakeligen Notiz, die er sorgsam mit abgelegt hatte, formulierte Tork eine unschuldige Frage nach dem Verbleib eines vergleichsweise lächerlichen Betrages.

„Das war sein Todesurteil.“ stellte Pelle zufrieden fest.

„Und in seinem Kassenbuch finden wir eine Auszahlung ohne Beleg, der genau die Kosten abdeckt, für den die liebe Larica dir die Nacht versüßt.“ Jerob grinste.

„Und wenn ich mich nicht irre, werden wir auch die Kosten für die Nuss und denProblemlöser dort wiederfinden, wenn wir etwas tiefer graben!“

„Wir haben jedenfalls genug, um Tork frei zu bekommen. Er ist in eine Falle gelockt worden, wobei der oder die Täter keine Scheu hatten, dafür Menschenleben zu opfern.“ Pelle war wie immer ehrlich empört.

„Darf ich mitkommen, wenn ihr jetzt zum Stadtgefängis geht?“ fragte Zora. Alle waren einverstanden.

~~~oOo~~~

Tork saß in den fünf Krügen und klimperte auf seiner Axt ein paar belanglose Akkorde. Sein Grinsen zeigte alle seine gelben Zähne in voller Pracht.

„Hey, ihr habt mir jetzt zwar einen wirklich stylischen Abgang versaut, aber ehrlich gesagt, ist diese Nummer hier auch nicht schlecht. Ich bin jetzt ein richtig steinreicher alter Knacker, und kann mich irgendwo in den Süden absetzen und mir den Rest meines Lebens die Falten aus dem Sack ziehen.“

Pelle wandte angewidert den Blick ab. Er hasste einmal mehr seine bildliche Vorstellungskraft, und verbot sich den Gedanken, ob Faerûn durch diesen ungehobelten Halbork wirklich etwas nützliches erhalten geblieben ist. Allein Zora schien sich nicht vor diesem Urvieh zu ekeln.

„Glaub mir Tork, das macht auf die Dauer auch keinen Spaß.“ sagte sie ihm ernst, als könnte man sich mit so einem Halbmonster tatsächlich sinnvoll unterhalten: „Ich mach die Fünf Krüge jetzt auch schon ein paar Jährchen, aber manchmal vermisse ich das noch total, einfach loszuziehen, Musik zu machen, die Liebe des Publikums zu spüren. Das ist einfach ein anderes Leben.“

Tork blickte sie groß an. „Das wär natürlich auch ne Idee. Wenn wir zusammen noch mal losziehen würden, um ein bisschen Faerûn zu rocken, hm?“

„Meinst du das geht? Ich meine, ich hab jahrelang nicht mehr...“

„Metal ist keine große Kunst, du musst es einfach in dir haben, Baby, und ich spüre, du hast es. Komm her, die Bühne ist leer, lass mal zusammen was austesten!“

Pelle sprang auf: „Ich glaube ich geh dann mal“

Jerob pflichtete ihm bei. Und Antilis erhob sich auch von seinem Stuhl.

„Wir haben noch zu tun, wir müssen ja schließlich diesen ominösen Problemlöser jagen“

So verpassten sie alle drei die Geburt eines der legendärsten Metal Duos das es in der Geschichte der Vergessenen Reiche je gab. Es nannte sich: „Die eiserne Bande“.
 

Timestop

Running out of Time
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Sehr schön, Zora, du bist ein big red M...astermind und hast dir Skully redlich verdient.
 

Rote Zora

Pfefferklinge
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Danke, Time für das Feedback. Es ist ja das Schicksal der Geschichten ohne Vote, dass sie einfach weniger gelesen werden, weil sie sehr spät kommen, und natürlich die Spannung fehlt. Im Nachhinein bin ich zufriedener mit meiner Geschichte, als ich es beim Schreiben war. Irgendwie hatte ich so eine ganze Ermittlungsgeschichte vor Augen, so bissl Mankell Stil, mit diesen Treffen wo sie zusammentragen, was sie gefunden haben, und die nächsten Schritte überlegen, und all dem Tüdelütt. Das war natürlich total unrealistisch in der Zeit hinzubekommen. Und der Bruch ab dem Satz: "Der Rest ist schnell erzählt" ist der Geschichte noch abzuspüren. Aber insgesamt ist mir einiges auch ganz gut gelungen, wo ich auch merke, dass mir das Lesen von so vielen guten Schreibern hier hilft, stilistisch besser zu werden.
Ich freu mich, dabei geblieben zu sein, und freu mich, wenn's gefällt.
ZORA
 

skull

Thronfolger
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Ganz kurz: Ich habs auch gelesen, bin die Runde aber kaum zum kommentieren gekommen. Mach ich noch die Tage. (hoffentlich-vielleicht).
 

Christa

Universaldilettantin
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Gefällt mir sehr gut Zora. :up: Meinen Punkt würdest Du kriegen, wenn ich abstimmen könnte.
 
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