Zelon Engelherz
Das große Fressen
Bei Nacht zeigte Baldurs Tor seine besonders hässlichen Seiten.
Mehrmals sprachen Professionelle Vicky an, Betrunkene krochen im eigenen Erbrochenen herum und dreimal beobachtete sie wie Mitglieder der Stadtwache und der Flammenden Faust Geld von verdächtigen Gestalten entgegennahmen.
Einmal versuchte sie ein dürres Männchen mit Messer zu überfallen.
Vicky überließ ihn und seine gebrochenen Gliedmassen sich selbst.
Ihr Weg führte sie nach einiger Zeit in eine Gasse, die es an Gestank und Schmutz mit einigen Vertretern ihrer Heimat Sigil aufnehmen konnte und damit über Müll und anderen Unrat hinweg.
Krogar wartete an ihren Ende und ihm hingen noch teile eines Stiefels aus dem Mund.
Auf ein heben ihrer rechten Augenbraue zuckte er, ganze zwei Meter zwanzig groß und einem Drachen wie aus dem Gesicht geschnitten, nur die gewaltigen, muskulösen Schultern.
,,Sie waren zu viert und dachten, ich wäre ein gutes Paar Schuhe oder so was. Wäre eine Verschwendung gewesen.’’
Er rülpste kurz und schluckte anschließend den Stiefel endgültig runter.
Kurz darauf begann er sich zwischen seinen Zähnen rumzupulen.
Vicky enthielt sich jeglichen Kommentars.
,,Können wir dann?’’
Sie nickte und ihr Freund aus einem Paralleluniversum der dunkelsten Ecke der Schöpfung malte mit einem Stück Kreide die Umrisse einer Tür an die beschmierte Wand hinter ihm.
Die Ziegel glitten nach innen in die Wand und verschwanden langsam einer nach den andere, um dahinter nichts als einen sich windenden Wirbel aus mit kleinen Lichtpunkten durchzogender Dunkelheit zu hinterlassen.
Vicky schaute den Vorgang sehr fasziniert zu, ein Zeichen dafür wie lange ihre letzte Reise durch ein Portal zurücklag, und in ihrem Herzen spürte sie zum ersten Mal seit Jahren ehrliches und von Herzen kommendes Heimweh.
Ein Seufzer entwich ihrer Brust, was nun Krogar zu einem schuppigen Stirnrunzeln brachte.
,,Können wir dann endlich?’’
,,Jaja.’’
,,Wo ist denn dein kleiner Modron geblieben?’’
,,Ich habe Mono bei meiner Freundin gelassen.’’
,,Hmm... Leckerer Happen?’’
,,Wenn Du es so ausrückst, wird mir ganz anders zumute.’’
Sein Lachen hallte durch den Kosmos, als sie beide gleichzeitig in das Portal sprangen.
*
Papa sah müde aus, schien aber wirklich froh darüber zu sein sie zu sehen.
Zumindest kombinierten ihre Ermittlersinne dies zusammen, als er sie mit einer seiner berühmten Umarmungen (die mehr als einen seiner Feinde alles gebrochen hatten ) an sich drückte und sein dröhnendes Gelächter durch alle Räume erschallen ließ.
Zur Freude aller blieb sie vollkommen unbeschadet und kurz darauf saßen sie beide kurz darauf bei warmen Kakao und in flauschigen Pantoffeln (eine gemeinsame Marotte) in seinem Arbeitszimmer, unter den toten Augen der ausgestopften Köpfe alter Gegner und Onkel Baldwin (der es so gewollt hatte).
,,Schön dass Du kommen konntest’’, begann Varg “Blutaxt” Vicktory, der berühmte Sieger tausend epischer Schlachten, nun Lesebrille und braune Häschenhandschuhe tragend.
,,Ich freu mich auch Papa.’’
,,Und, bist Du immer noch mit dieser Werwolfsfrau zusammen?’’
,,Ja, Papa.’’
,,Ist dir sehr ernst mit ihr, hmm?’’
,,Sie haart an bestimmten Tagen sehr stark und schläft öfter auf dem Teppich als im Bett, aber ja, es ist ernst.’’
,,Das freut mich.’’
,,Mich auch.’’
Lächelnd stießen sie an und jeder trank einen Schluck.
Dann ließen sie beide den Moment auf sich wirken, genossen die Stille, das Beisammensein, die gemütliche Atmosphäre.
Es verging eine gefüllte Ewigkeit, bis Varg sie mit einem schweren Stoßseufzer, wieder in die Realität holte. Sein Blick war ernst und mit echter Sorge erfüllt.
,,Willst Du es dir nicht doch anders überlegen? Es werden dort einige der härtesten Typen aller Universen aufkreuzen und sie alle dürften einen gewaltigen Appetit mitbringen.
Ich habe sogar von einem physisch gewordenen, schwarzen Loch gehört.’’
,,Papa...’’
,,Ich mein es ernst Vicky. Das wird keines der unzähligen, kleinen Scharmützel, von denen es im Blutkrieg mehr als Welten gibt. Das ist ein richtiges Ereignis, bei dem sich Abyss und die Neun Höllen gegenseitig auszustechen versuchen werden. Frag mich nicht warum, aber für die hat die ganze Fresserei fast religiösen Charakter und keiner wird was sagen, wenn ein Teilnehmer den andren mal eben zwischen zwei Mahlzeiten verschlingt.’’
,,Papa...’’
,,Dir geht es auf Toril doch nicht schlecht oder? War selber dort, nettes Fleckchen, lässt sich gut dort leben. Wenn Du und deine Freundin es wollt, lege ich noch was drauf und ihr...’’
,,Papa.’’
Ihre Hand legte sich auf die seine und ihr Gesicht zeigte soviel Entschlossenheit, wie seit Jahren nicht mehr.
,,Ich habe lange und gründlich darüber nachgedacht und... und ich möchte es versuchen. Ich bin glücklich mit Skeira, aber ihr alle, Du, Krogar und die restliche Legio fehlt mir einfach, genau wie die ganzer Stadt mir fehlt. Ich will wieder nach hause zurückkehren und Das große Fressen ist die Gelegenheit dafür.
Ich will es zumindest versucht haben.’’
Ihre Gesichtszüge wurden weicher und ihre Lippen verzogen sich sogar zu einem kleinen Lächeln.
,,Auch wenn ich deswegen schon regelmäßig Albträume habe, aber das ändert nichts an der Chance, die es mir bietet. Vielleicht ist es sogar meine Einzige bis zum nächsten Urknall.’’
Sie verstummte wieder und anstatt zu antworten, nahm Varg einen weiteren Schluck aus der Tasse.
Er überließ sie eine Weile ihrer eigenen Tasse ehe er zum zweiten Mal an diesem Tag seufzte, aufstand und sie anschließend in den Arm nahm.
Ihr Kreuz knackte ein wenig, als er sie fest an sich drückte.
,,Mach die Legio stolz, Große.’’
Seine Worte brachten sie jedoch zum lächeln und als vor ihren Augen Skeiras Gesicht auftauchte, wuchs ihre Entschlossenheit umso mehr an.
Obwohl sie wusste was sie erwarten würde.
*
Man erzählte sich, dass es Das große Fressen bereits gab, bevor auch nur ein Gedanke an den Blutkrieg verschwendet worden war.
Über Milliarden von Jahren hatte man es stets ab dem richtigen Stand der Sterne, zur richtigen Zeit, zum richtigen Moment hin abgehalten und seinen höchstwichtigen Zweck geehrt.
Allerdings war dieser im Laufe der Massenausrottungen zahlreicher älterer Dämonen und Teufel, langsam in Vergessenheit geraten.
So blieb ein Wettbewerb gewaltigen Ausmaßes zurück, bei dem sich Millionen von Lebensformen aus allen Teilen des Universums mit Köstlichkeiten und Abartigkeiten jenseits der sterblichen Vorstellungskraft zum Ruhme des Abyss und der Neun Höllen, den Bauch voll schlugen.
Die Regeln waren denkbar einfach: Man aß solange bis die Runde endete und durfte nur einmal das Vorangegangene runterschlucken, um sich kurz darauf wieder etwas in den Mund zu stopfen.
Hielt man länger als drei Herzschläge ohne etwas zu Essen im Mund inne, schied man aus.
Das Gleiche galt, wenn man von einem Gegner verschlungen wurde (im Gegenzug war es jedoch auch nicht dazu, diesem das gleiche Schicksal zukommen zu lassen) oder wenn man auf Grund der Überbelastung seines Magens oder an ersticken verstarb.
Da die Neun Höllen sich dieses Mal das Recht der Veranstaltung erkämpft hatten, wurde diesmal eine organisierte Struktur aus drei Runden ( Vorspeise, Hauptgericht, Dessert) vorgegeben, in der alle Gerichte streng vorgegeben in Kategorien eingeteilt worden waren, um der verhassten Unordnung gleich entgegenzuwirken.
Die Streiter beider Seiten wurden jeweils streng auf zwei Seiten einer mathematisch perfekt ausgerichteten , unendlichen Tafel verteilt, wo sie sich ihren jeweiligen Gegenpart von der Gegenseite gegenüber sahen, während ihre Mitstreiter neben ihnen saßen.
Jede Runde würde ab einem Gong beginnen und ab einer perfekt errechneten Zeit wieder enden.
Hauptsächlich tat man dies weniger um den Teilnehmer Ruhe zu können, als das von ihnen angerichtete Chaos zu beseitigen (und um widersinnige Kombinationen wie Vorspeise und Hauptgericht auf einem Tisch vorzubeugen).
Es gewann am Ende die Gruppe, die noch die meisten überlebenden Teilnehmer vorzuweisen hatte.
Und diese begannen sich während der Vorspeise radikal auszudünnen.
Die vier G’ (gegessen, gekaut, geschluckt, gestorben) wurden in geradezu dekadenten Ausmaß praktiziert.
Die anderen Soldaten der Legio gaben schon nach sieben Tellern der Vorspeise auf, Krogar verstarb mit einem erstickten Triumphschrei und einem ganzem Spanferkel während des Hauptgangs (oder zumindest etwas, das einem solchen sehr ähnlich sah) im Rachen.
Vicky hielt bis zum Dessert durch.
Sie vergrößerte ihren Magen und ihren Mund und stopfte sich alles rein, was ihre bald nicht mehr ganz so perfekt manikürten Fingernägel zu fassen bekamen, machte sich dabei die allseits bekannte Unersättlichkeit der Succubi zunutze, um an diesem Tag sich selbst und ihrer Familie Ehre zu machen.
Ihr Bauch wölbte sich voluminös auf, ihre Gesicht wurde breiter, ihre Beine und Arme schwabbeliger und unter ihr begann die steinerne Bank angesichts ihres Gewichts und das ihrer anderen Mitstreiter gefährlich zu knacken.
Die kluge und umsichtige Ermittlerin verschwand und zurück blieb der pure Trieb, ein unersättliches Monster, ohne Sinn für Kultur oder Anstand, angetrieben vom alles erfüllenden Hunger nach mehr.
Knurrend biss Vicky einem Schokoladenteufelchen mit einem einzigen Biss, seinen Kopf ab und schaute sich kauend um.
Die Bestie in ihr bemerkte zufrieden, dass es außer ihr fast niemanden mehr gab, der noch am essen war, sah man von der einsamen Gestalt auf Seiten des Abyss ab.
Es handelte sich dabei um eine weitere Succubus, die es in Sachen Gewicht locker mit Vicky aufnehmen konnte und sich scheinbar nach weiterer Beute umschaute.
Vicky tat es ihr augenblicklich gleich und ihre gierigen Schweinsäuglein, erspähten ein Stück Drachensteak genau in der Mitte des Tisches, umgeben von getrockneten und frisch verschütteten Flüssigkeiten, so unschuldig und unbefleckt wie der jungfräuliche Knappe eines Paladins mit dreifach verschlossenen Keuschheitsgürtel und wein Anachronismus, den man sich eigentlich nicht seitens der Organisation hatte erlauben wollen.
Vicky spürte die Schwere ihres Fleisches und die Unbeweglichkeit ihrer Knochen und schaute sich fieberhaft nach einer Möglichkeit voranzukommen, um.
Sie registrierte, dass auch die restliche Oberfläche des Tisches sich in eine recht feucht und wohl auch rutschige Angelegenheit verwandelt hatte und erspähte ein vor Fett triefendes Tablett .
Die Idee kam ihr fast nahezu augenblicklich.
Sie schob sich den Rest des Dämonenteufelchens mit einem Mal in den Mund und hievte sich mit all ihrer dämonischen Kraft, auf den Tisch und auf das Tablett, kauend, ächzend, schwitzend.
Dann sammelte sie all ihre Kräfte, fokussierte ihren Blick auf das saftige Steak vor ihr, trotz Schokoladenteufelchen nicht in der Lage den Geifer zurückzuhalten.
Ein einziger kräftiger Stoß und sie schlitterte über den Tisch, in rasender Geschwindigkeit ihrem Ziel entgegen.
Die Beute kam näher, immer näher und ihre ängstlichen Ausdünstungen (jeder andere wäre so ordinär gewesen und hätte behauptet, dass ein Stück Fleisch dazu nicht mehr in der Lage gewesen wäre), erfüllten Vickys Nüstern.
Mit einem einzigen gezielten Happs, schnappte sie nach dem wehrlosen Beutetier und schlitterte weiter.
Dumpf schmerzte ihr Kopf, als sie in die anderen Succubus (die ebenfalls gerade auf den Tisch geklettert war) rammte und vom Tisch fegte.
Ihre Zähne jedoch blieben fest im Steakfleisch stecken und als sie dort auf der Tischplatte liegen blieb und zur mit Sternen übersäten Decke starrte, kamen ihr die Tränen.
Sie ahnte bereits was geschehen würde und als die Schiedsrichter anschließend verkündeten, dass sie gewonnen hatte, kannte ihre Freude und Rührung keine Grenzen mehr.
Sie hatte gewonnen.
Ihre Rehabilitierung war vollzogen, Skeira würde bald wieder mut ihr vereint sein und die ganzen überflüssigen Pfunde ließen sich mit einer konstanten Weihwasserdiät wieder verbrennen.
Vicky war wieder daheim.
Der Tisch ächzte noch einmal herzerweichend.
Dann brach er entzwei und ließ sie unsanft auf den Boden plumpsen.
*
Kohres und Mircus hing der gemeinsame Magen bis zu den Kniekehlen.
Um sie herum boten die fahrenden Händler ihre gebratene, gekochten und verbrannten feil, doch keine davon war billig genug um sie sich leisten zu können.
Dem Söldner und dem Geist ging das Ganze mächtig gegen den Strich.
Plötzlich verdunkelte sich der Himmel und als sie beide nach oben schauten, empfing sie nichts als Schwärze.
Einem unguten Gefühl folgend, brachten sie sich unter einen Unterstand in Sicherheit, Zorn aus seiner Scheide gezogen, abwartend was da kommen mochte.
Keiner von beiden erwartete eine halbe Rinderhälfte vor ihren Füßen zu landen oder Geschirr das gemeinsam mit Bratensoße, Knochen, Salatresten und Kuchen zu Boden fiel.
Zwei gewaltige Steinbänke zertrümmerten große Teile der Stadt, ganze Stadtviertel wurden zwei gewaltigen Steintischhälften zertrümmert, das abgenagte Skelett eines Drachens landete im Hafenbecken und blockierte dies für mindestens zwei Monate.
Viele Menschen starben, als sie von der ungeheuren Wucht der fallenden Gegenstände erschlagen wurde und die Straßen mit ihren Blut tränkten.
Die Stadt selbst verstand all dies als eine Strafe der Götter, verbrannte alle Gasthäuser (und deren darin lebende Betreiber) und setzte eine ewig währende Fastenzeit bei Wasser, Brot und rohen Gemüse durch.
Kohres und Mircus würde dieses Ereignis noch lange verfolgen und für immer zeichnen.
Am Ende hatte der Blutkrieg auch unter den Sterblichen seinen Tribut gefordert.
*
Morgenstern runzelte nachdenklich die Stirn, als sich der Rest des Portals schloss und somit endgültig alle Spuren für das Verschwinden des Festmahls oder dessen bloße Existenz beseitigte.
Nachdenklich wandte sich der Tanar’Ri an seinen Kollegen Jahwe.
,,Meinst Du nicht, dass das Ärger geben wird?’’
Sein Rassen- und Zimmergenosse zuckte mit den Schultern.
,,Die Baatezu sagten ,,Der Verlierer räumt alles auf, also räumt es auf!” und das haben wir getan. Kein Festmahl, kein gar nichts mehr. Alles ist weg, verschwunden, hat sich ins Nichts aufgelöst, brauch uns nicht mehr zu interessieren.’’
,,Hmmm...’’
Morgenstern fuhr sich noch einmal nachdenklich mit der Rechten über das Kinn und zuckte anschließend mit den Schultern.
Die beiden Dämonen machten sich daran diese Ebene zu verlassen, indem Morgenstern mit einem Kreidestift eine Tür in den Boden malte.
Jahwe vertrieb sich die Zeit bis zum Nahen des Portals mit Fantasien fürs nächste Mal.
,,Beim nächsten Mal sind diese Bastarde fällig!”
,,Hmhm.’’
,,Dann werden wir...wie viel steht es eigentlich?’’
,,Neunmilliardensiebenhundertdreiundachtzigmillionen Mal für und Neunmilliardensiebenhundertdreiundachtzigmillionen und ein Mal für die Baatezu.’’
,,Holen wir doch locker auf!’’
,,Hmhm.’’
,,Ich habe ne Idee. Beim nächsten Mal bestimmen wir, dass sich nur die Teilnehmer auffressen. Dann kommen auch Typen wie dieses Schwarze Loch mal richtig zum Einsatz!”
,,Das hat sogar mal was...’’
Mit diesen Gedanken im Kopf, sprangen sie in den Abgrund, der sich zu ihren Füßen geöffnet hatte, um wieder kleinere Scharmützel im größten Konflikt des Universums auszutragen.
Bis die Sternen richtig standen, der richtige Moment zur richtigen Zeit gekommen war und sie erneut alle ihr wahres Gesicht unter ihren zahllosen Masken zeigen würden.