Fragen, die Euch schon immer auf der Seele brannten, Teil 3

Gala

Labyrinth-Leichnam
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Kämen sie von einem allwissendem Gott, hätte er ihnen nämlich damals schon sagen können, dass der Unterschied zwischen Mensch und Tier fließend ist, sowohl was die Evolution angeht als auch was die Fähigkeiten der heute lebenden Tiere angeht. Und das nichtmal nur bei Primaten.
:rolleyes: Oder Gott ist klüger als heutige Wissenschaftler, aber das ist vermutlich Blasphemie in den Ohren der versammelten Wissenschaftsgläubigen. :fies: *flüchtet vor dem Scheiterhaufen*
 

Chiburi

Kampfhase
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meh...

"Wissenschaftsgläubige" ist auch so ein Kampfbegriff von religiösen Fanatikern, die das mit Vorhersagbarkeitskriterien, Peer-Reviews und Beweisbarkeit noch nicht so richtig verstanden haben.

Auch deswegen: :up: @ Veldryn, als Verteidiger des elterlichen Glaubens käme ich mir an Miryas Stelle auch fehlbesetzt vor. Lehrer an einer staatlichen Schule sollten bitteschön laizistisch lehren, Wissen vermitteln, und vor allem zum Denken anregen, und nicht aus Konzilianz die Märchen der Eltern nachplappern. Wie weit wollte man da auch gehen. Christentum ja weil Leitkultur, Islam nein? Islam auch noch weil Weltreligion, aber Esoterik nicht mehr? Religionen ja, aber Rassenlehre nicht mehr, weil Letztere rassistisch, und Erstere nur frauenfeindlich?

@ Rhonwen

*gg*, sehr schön :D
 

Veldryn

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@Chibi: :up:

@Gala: There is no such thing as "Wissenschaftsgläubigkeit". Und Blasphemie ist für Nichtreligiöse ein Wort ohne Bedeutung. ;)
 

Chinasky

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There is no such thing as "Wissenschaftsgläubigkeit".

Aber selbstverständlich ist Wissenschaftsgläubigkeit ein weitverbreitetes Phänomen. Man sollte nicht annehmen, dass Leute, die sich als nicht-religiös verstehen, gegenüber den üblichen Denkfehlern gefeit wären.

Was die Kinderfrage angeht: Tiere kommen in den jeweiligen Tierhimmel. Hunde in den Hundehimmel, Zecken in den Zeckenhimmel, Meerschweinchen können sich aussuchen, ob sie in den Glatthaarmeerschweinchen- oder in den Wirbelhaarmeerschweinchenhimmel möchten. Ich glaube (kann mich aber da falsch erinnern), es war Carl Sagan, der sinngemäß sagte: "Wenn Pferde beten könnten, würden sie zu einem Gott mit Mähne, Schweif und vier Hufen beten."

Dazu paßt eine Studie (Quelle mal wieder nicht zur Hand, sie wurde von Sam Harris erwähnt in einem der vielen Interviews, die ich inzwischen schon gesehen habe), bei welcher die Gehirnaktivitäten der Probanden gemessen wurden, während sie Fragen nach dem Muster "Was würden Sie tun, wenn X? Was würde ihre Cousine tun, wenn X?" beantworteten. Je nachdem, ob die Probanden sich eine hypothetische Situation und die dazu passenden Handlungsoptionen für sich oder für andere vorstellten, fand sich erhöhte Aktivität in unterschiedlichen Hirnregionen: Wie man selbst in einer hypothetischen Situation handeln würde, weiß man. Um aber die Handlungsweise eines anderen Menschen zu prognostizieren, muß man sich in diesen anderen Menschen hineinversetzen... Es ist uns klar, dass andere Menschen gegebenenfalls anders handeln würden, als wir das täten.

Soweit, so nachvollziehbar. Interessanterweise feuerte das Gehirn der Probanden allerdings, wenn nach der Handlungsweise Gottes in einer hypothetischen Situation gefragt wurde, in genau den Regionen, in denen es auch bei Fragen nach der eigenen Handlungsweise gefeuert hatte... Sam Harris brachte das als Beispiel dafür, weswegen das Euthyphrondilemma aus psychologisch-neurologischer Perspektive eigentlich schon gelöst sei: Das Gute, was Gott will, ist das Gute, wie die Gläubigen es sich vorstellen: Gott ist also keine moralstiftende Institution (schon erst recht keine unabhängige, gleichsam "absolute" Instanz), sondern in ethischer Hinsicht nur eine Projektion der Gläubigen. Die Sicherheit der Gläubigen, dass Gott moralisch nicht falsch liegen könne (weswegen er, der Sintflut-Massenmörder, ja als das Gute an sich verstanden wird), ist letztlich nichts anderes als ihre Sicherheit, schon die richtigen Werte zu vertreten.

Wenn Gott nun die Form derer annimmt, die an ihn glauben, so bekommt jedes glaubensfähige Tier seine eigene Art von Himmel mit dem jeweils eigenen Gott...
 

David

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Natürlich kann auch die Wissenschaft falsch liegen, aber dass wir hier spamen können, liegt nicht am fleißigen Beten. ;)
 

Leglaf

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Wie kommt es eigentlich, das das Leben manchmal so ein verdammtes Miststück sein kann?
 

Darghand

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@ Hank

Das scheint mir aber ein Henne-Ei-Problem zu sein. Geht man davon aus, dass die Person religiös erzogen wurde, bildet der allwissende und strafende Gott einen Teil des Über-Ich (um mal Freuds' Terminologie zu bemühen). Gefragt, wie man sich selbst verhalten würde, wählt der fromme Mensch die gottgefällige Antwort, um den Forderungen des Über-Ich zu entsprechen. In diesem Sinne ist Gott, oder eher: Religion und religiöse Unterweisung, durchaus eine moralstiftende Institution.
 

Veldryn

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@Hank: Ich muss dir widersprechen, was sehr selten vorkommt - aber ich bleibe dabei, es gibt keine "Wissenschaftsgläubigkeit". Glaube und Wissenschaft schließen sich vollständig aus. Man kann, wenn man möchte, der Wissenschaft vertrauen, das sicherlich, aber nicht "an sie glauben" wie an eine Gottheit. Denn die Wissenschaft ist nichts anderes als eine Methode, bzw. eine Methodik, zum Erfassen unsere Umwelt. Die Methodik beinhaltet Regeln, die dazu dienen, dass die gewonnen Erkenntnisse so realitätsgetreu wie möglich sind. Oder anders ausgedrückt, es sollen Naturgesetze und deren Zusammenhänge miteinander erforscht werden, die die höchstmögliche Wahrscheinlichkeit bieten, tatsächlich die Realität zu repräsentieren. Das, und nur das, ist Wissenschaft. Dazu gehört u.a. Versuch und Irrtum, Reproduzierbarkeit, Vorhersagbarkeit und Statistik. Wenn du nun sagen willst, dass es ein weitverbreitetes Phänomen ist, dass Leute an den Sinn dieser Methodik "glauben"... ok - aber ich würde sagen, dass ich den Sinn dieser Methodik verstehe und sie prinzipiell bei fast allem, was ich tue, anwende, weil es das logische zu tun ist. Gleichermaßen würde ich sagen, dass ich an nichts "glaube", was in irgendeiner Form damit zu tun hat. Glaube impliziert immer Nichtwissen, sondern vielmehr so etwas wie, ich nenne es mal, blindes Vertrauen. Und: Kritikimmunität. Als Atheist und Anti-Theist verstehst du sicher, was ich damit meine. Und dieses blinde, unkritische(!) Vertrauen ist mit wissenschaftlichem Arbeiten und Denken weder nötig noch vereinbar. Anders als beim Glauben ist ja gerade die Möglichkeit des Irrtums eine ganz wichtige Säule der Wissenschaft!

Wenn du natürlich unter Wissenschaftsgläubigkeit etwas anderes verstehst, ok - zum Beispiel dass viele Leute an bestimmte wissenschaftliche Erkenntnisse glauben (ohne darüber viel zu wissen oder die wissenschaftliche Methode zu verstehen), dann ist das etwas völlig anderes und sollte meiner Meinung nach auch nicht mit einem so irreführenden Begriff belegt werden. :)

Aber das nur am Rande, ich werde langsam etwas Offtopic, sorry dafür. :)
 

Lisra

Schmusekater
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Nicht nur die Möglichkeit, sondern das aktive Suchen nach Irrtümern.
 

Chinasky

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@ Darghand: Das Henne-Ei-Problem an sich entwickelt Platon ja schon im Euthyphron-Dialog.

Meiner Erfahrung nach lassen sich (redlich argumentierende) Christen nicht auf das eigentliche Dilemma ein, mit dem Hinweis, dass es für den christlichen Glauben irrelevant sei, da ihr Gott das Gute an sich sei. Gott und das Gute sind identisch - damit überbrücken sie die Problematik. Gott muß nicht wissen, was das - von ihm unabhängige - Gute sei. Denn es ist nicht unabhängig von ihm. Henne und Ei sind identisch. Alle göttlichen Gebote sind also Selbst-Aussagen, Gott schreibt den Menschen nicht vor, wie sie sich zu verhalten hätten, sondern er sagt ihnen, wie, wer und was er ist.

Ich sage nicht, dass mich diese Argumentation überzeugt, aber wenn man die entsprechende Gottesdefinition als Prämisse akzeptiert, dann ist es stringent.

Meiner Ansicht nach liegt das eigentliche Problem vor der Prämisse, dass Gott das Gute sei. Es liegt darin, dass "das Gute" möglicherweise gar keine klar definierbare Bedeutungsmenge hat. Wer sich also auf Diskussionen darüber, woher die Menschen wissen (können), was gut und was böse sei, einläßt, hat schon verloren, weil er implizite der Voraussetzung, gut und böse könnten sinnvoll voneinander unterschieden werden und seien ein Gegensatzpaar, schon zustimmte.

Man muß, wenn man sich über dieses Thema Gedanken macht, m.A.n. berücksichtigen, in welchem Zusammenhang hier diskutiert wird und was das Kernargument der Gottesgläubigen ist. Beziehungsweise: was ihr zugrunde liegendes Interesse ist.*

Das Kernargument der Gottesgläubigen lautet: Wenn es keine absolute, d.h. nicht-subjektive, nicht-relative Instanz gibt, die entscheidet, was gut und was böse ist, dann sind wir Menschen unfähig, herauszufinden, was gut und was böse ist, denn dann ist alles moralisch relativ. Oder, um es mit dem berühmten Dostojewski-Zitat zu formulieren: "Ohne Gott ist alles erlaubt."

Damit haben die Gottesgläubigen voll und ganz recht. Und leider versuchen viele Glaubens- und Religionskritiker an dieser Stelle auszuweichen und faseln dann irgendetwas über humanistische Werte usw., statt einfach erstmal klar zu bekennen: "Es gibt tatsächlich keinen absoluten Blickwinkel darauf, was gut und was böse ist. Gut und böse sind relativ."

Erst, wenn man dies zugegeben hat, kann man konsistent auf das Problem der Gläubigen inweisen: Dass selbstverständlich auch mit Gott "alles erlaubt" ist.

Das Gegenargument der Gläubigen lautet ja sinngemäß: "Nein, Gott ist ein absoluter Bezugspunkt, unabhängig von uns Menschen, unabhängig von mir, dem Gläubigen. Schließlich habe ich mir Gott nicht ausgedacht, wenn ich mit ihm kommuniziere, kommuniziere ich mit einem Gegenüber und führe keine Selbstgespräche. Gott gebietet sogar öfter mal Dinge, die mir nicht passen, was einen klaren Beweis dafür liefert, dass er von mir verschieden ist."

Knackpunkt dieser Argumentation is die Nicht-Identität von Gott und Gläubigem, bzw. von Gott und Gläubigen-Projektion. Überall in christlichen Gefilden trifft man auf die Behauptung, die Gläubigen würden eine Beziehung mit Gott führen. Gott als Gegenüber. Glaube als Vertrauen in das Gegenüber...

Wenn nun aber hirnphysiologisch nachgewiesen wird, dass das gläubige Gehirn dieses Gottes-Gegenüber so behandelt, als sei es Teil des Ichs (während alle anderen vorgestellten Gegenüber, selbst nahe Freunde, Geliebte und Familienangehörige, vom Gehirn als Nichtbestandteil des Ichs behandelt werden), bricht die gesamte Argumentation zusammen.

Das Euthyphron-Dilemma läuft genau auf diese Erkenntnis hinaus: dass nicht unterschieden werden kann, zwischen dem, was Gott will (gut findet) und dem, was der Mensch will (gut findet). Aber Platon standen halt noch keine Hirn-Scans zur Verfügung. ;)


@Veldryn:
Ich muss dir widersprechen, was sehr selten vorkommt - aber ich bleibe dabei, es gibt keine "Wissenschaftsgläubigkeit".
Hehe, na, ist doch gut, wenn wir mal unterschiedlicher Meinung sind, sich immer nur gegenseitig auf die Schultern zu klopfen wird ja irgendwann auch langweilig, oder? ;)

Wenn du natürlich unter Wissenschaftsgläubigkeit etwas anderes verstehst, ok
Etwas anderes als was? Ich habe noch nicht so recht verstanden, wie Du Wissenschaftsgläubigkeit definierst.

Ich definiere sie so: Wissenschaftsgläubigkeit ist das Vertrauen darauf, dass die Wissenschaftler alle (relevanten) Fragen beantworten beantworten können. Jetzt oder in der Zukunft. Darunter auch ethische Fragen.

Die fundamentalistisch wissenschaftsgläubigen Leute glauben sogar, dass die Wissenschaftler schon alle relevanten Fragen beantwortet hätten. Solche fundamentalistischen Wissenschaftsgläubigen laufen z.B. in Kreationismus-Diskussionen den religiösen Apologeten ins offene Messer, denn ihr Optimismus, es seien schon alle relevanten Antworten wissenschaftlich gefunden worden, verleitet sie, so steile Thesen zu formulieren wie die, dass die Evolutionstheorie bewiesen sei.

Die Wissenschaftsgläubigkeit führte in der Vergangenheit zu solch unschönen Phänomenen wie dem Tugendterror der Jacobiner oder dem Sozialdarwinismus (nicht nur) der Nazis. Die Wissenschaftsgläubigen haben sich in aller Regel nicht mit der Dialektik der Aufklärung beschäftigt, sehen nicht die Gefahren der "totalen" Aufklärung und begehen den gleichen Kategorienfehler wie die Gottesgläubigen, indem sie ontologische und ethische Fragestellungen vermischen. Sie glauben allen Ernstes, Soziologen, Psychologen, Neurologen und andere Wissenschaftler könnten uns Wahrheiten darüber, was gut und was böse sei, liefern - heute oder zukünftig.

Ebenso wie die Gläubigen halten sie häufig ein argumentum ad auctoritatem/verecundiam für valide (Schon Einstein sagte...). Ihnen fehlen darüber hinaus meist basale wissenschaftstheoretische Kenntnisse und sie sind fast alle hoffnungslos optimistisch, was die Zukunft betrifft. :D

Die Methodik beinhaltet Regeln, die dazu dienen, dass die gewonnen Erkenntnisse so realitätsgetreu wie möglich sind. Oder anders ausgedrückt, es sollen Naturgesetze und deren Zusammenhänge miteinander erforscht werden, die die höchstmögliche Wahrscheinlichkeit bieten, tatsächlich die Realität zu repräsentieren.
Und was ist die Realität? ;) Wie genau läßt sich diese "höchstmögliche Wahrscheinlichkeit" denn berechnen und woher weiß man, ob es nicht noch eine höhermögliche Wahrscheinlichkeit gäbe?

Da fällt mir noch ein Kennzeichen von Wissenschaftsgläubigen ein: sie sprechen gern von "der Realität" oder "der Wirklichkeit", ohne über eine funktionierende Definition dieser Begriffe zu verfügen, mit der es ihnen möglich wäre, die Realität von der Nicht-Realität differenzieren zu können.



*Ihr Interesse besteht selbstverständlich darin, die eigenen Werte als allgemeinverbindliche Norm zu etablieren - ein Interesse, das sie mit so ziemlich allen am Diskurs Beteiligten gemein haben.
 
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Veldryn

Strauchdiebin
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@Hank: Deine Definition von Wissenschaftsgläubigkeit (= Wissenschaft kann alle relevanten Fragen irgendwann beantworten) kann ich so annehmen. Ich habe selber dafür keine Definition geliefert, weil mir meinerseits nicht ganz klar war, was du drunter verstehst. Für mich ist das Wort ein Oxymoron. :)
Jeder, der wahrlich das Wesen der Wissenschaft versteht, dürfte in meinen Augen nicht wissenschaftsgläubig sein. Denn jeder, der weiß was wissenschaftliche Arbeit bedeutet, weiß auch, dass es nie 100%ige Sicherheit bei naturwissenschaftlichen Gesetzen (= unserer Interpretation der Realität) geben kann. Genau das gehört ja zum Wesen der Wissenschaft. Wie Lisra sehr schön gesagt hat, die Suche nach dem Irrtum macht die Wissenschaft aus!
Auch das mit den ethischen Fragen ist sicher ein Punkt, wo nur eine kleine Minderheit der Ansicht sein dürfte, dass das wissenschaftlich zu beantworten sei. Wobei es evolutionsbiologisch durchaus von Vorteil war, ethische und moralische Vorstellungen zu entwickeln, aber evolutionsbiologisch herrscht halt andererseits auch noch in großem Maße das Reptilhirn im Menschen, daher liegt es an uns, mit unserer gegebenen Vernunft in die bestmögliche Zukunft zu gehen, aber das ist ein anderes Thema (Humanismus ftw!) :)

Daher denke ich nach wie vor nicht, dass es sowas wie Wissenchaftsgläubigkeit gibt. Beziehungsweise vielmehr, dass es tatsächlich veine relevante Anzahl Menschen gibt, die dieser Gläubigkeit anhängen, so wie du sie definierst! Das Verstehen der wissenschaftlichen Methodik schließt jegliche Gläubigkeit aus. Denn Gläubigkeit bedeutet, wie ich schon vorher schrieb, Kritikimmunität und Dogma statt Suche nach Neuem/Veränderung. Lisra hat es eigentlich toll in seinem Einwurf auf den Punkt gebracht, danke dafür! :)

Und was ist die Realität? Wie genau läßt sich diese "höchstmögliche Wahrscheinlichkeit" denn berechnen und woher weiß man, ob es nicht noch eine höhermögliche Wahrscheinlichkeit gäbe?

Die Realität ist für uns durch unsere Sinne in gewissem Maße, aber eben nur in gewissem Maße, erfahrbar. Die Wissenschaft liefert uns Werkzeuge, diese Sinne zu erweitern, z.B. durch verbesserte Sicht oder Detektoren für Dinge, die wir als Menschen nicht haben (UV-Licht, Radioaktivität nur als Beispiele), um durch Experimente, Thesen, Versuch und Irrtum die Realität, die wir nie 100% erfahren werden können, so gut wie möglich zu umschreiben. Nur darum geht es. Kein ernstzunehmender Wissenschaftler wird je behaupten, die Realität zu 100% zu kennen. Die Realität ist vielleicht so etwas wie ein Ideal, dem wir uns versuchen anzunähern. Die höchstmöglichen Wahrscheinlichkeiten, die Realität zu beschreiben, liefern uns eben jene Naturgesetze oder -konstanten, die in Sachen Vorhersagbarkeit und Reproduzierbarkeit besonders gute, genaue, reproduzierbare Ergebnisse liefern. Die Gravitation ist hier vielleicht ein schönes Beispiel. Sie funktioniert nachprüfbar auf der Erde, auf dem Mond und offenbar überall im bekannten Universum, das kann man experimentell und vorhersagbar und -berechenbar belegen. Planetenumlaufbahnen und Kometen konnten schon vor Jahrhunderten berechnet werden. Die klassische Physik von Newton basiert auf dem Vorhandensein der Gravitiation. Die relativistische erweiterte das Bild, aber auch hier fand sich die Gravitation als bedeutende Grundkraft wieder. Bisher ist es soweit ich weiß ziemlich unklar, wie die Gravitation vermittelt wird, weil die Quantenmechanik ein ziemlich schwierig nachprüfbares/beobachtbares Gebiet ist (vielleicht bringen uns die nächsten Versuche im CERN da weiter, wer weiß), aber scheint sehr, sehr, also wirklich sehr, wahrscheinlich dass es diese Kraft gibt, und sie nach festen Gesetzmäßigkeiten (=Naturgesetze!) wirkt. Das so als Beispiel, worum es bei der Jagd nach der Realität geht. :)

Und ja, natürlich gibt es immer eine höhermögliche Wahrscheinlichkeit. Das macht die Wissenschaft ja so spannend. Aber solange wir darauf keine erfahrbaren (=mit unseren technischen Mitteln messbaren) Hinweise finden, bleibt uns nur unsere Fantasie übrig, um jene bessere Umschreibungen der Realität zu erdenken. Auch solche Inspiration gehört zur wissenschaftlichen Arbeit. Gute Ideen aus dem scheinbaren Nichts heraus haben in der Geschichte vermutlich mindestens so oft zu Durchbrüchen in der Wissenschaft geführt wie schlichte, neue Beobachtungen... ;)
 
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Turjan

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Chinasky schrieb:
Wenn nun aber hirnphysiologisch nachgewiesen wird, dass das gläubige Gehirn dieses Gottes-Gegenüber so behandelt, als sei es Teil des Ichs (während alle anderen vorgestellten Gegenüber, selbst nahe Freunde, Geliebte und Familienangehörige, vom Gehirn als Nichtbestandteil des Ichs behandelt werden), bricht die gesamte Argumentation zusammen.
Du hast jetzt gerade nur nachgewiesen, dass es ein goettlicher Funke in uns ist, der uns ticken laesst *duck*; das nur, um die offensichtlich zu erwartende Antwort zu nennen. Als ein in sich zirkulaer ruhendes Gebaeude ist Glaube gegen solche Anwuerfe meist immun.

@Veldryn: Nee, in puncto Wissenschaftsglaeubigkeit hat Hank vollkommen recht. Es ist erstaunlich, wie viele angeblich laizistisch denkende Menschen herumlaufen, die dort laufend Kategorienfehler begehen. Wissenschaft ist erst mal nur eine Methode. Was Hanks Beispiel mit der Evolutionstheorie angeht, ist der Knackpunkt ja eigentlich der, dass man eine Theorie gar nicht beweisen kann. Eine Theorie ist ein Erklaerungsgebaeude. Beweisen tut man Gesetze, also wenn-dann Beziehungen.

Du reagierst bei dem Wort "Wissenschaftsglaeubigkeit" wahrscheinlich nur deshalb etwas allergisch, weil das von Glaeubigen gerne als tumber Kampfbegriff eingesetzt wird, um tatsaechliche Erkenntnisse abzubuegeln, weil sie gar keine Lust haben, sich mit der Materie zu befassen. Aber wie Hank schon andeutete: vor Denkfehlern ist keine Seite gefeit. Ich halte es zwar fuer recht unwahrscheinlich, dass Gott mit der Schippe rumgelaufen ist und in muehevoller Kleinarbeit zeitlich geordnete Fossilienreihen in aufeinanderfolgende Erdschichten verbuddelt hat ;), aber zu 100% ausschliessen kann ich das nicht.
 

Veldryn

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@Turjan: Ja, das meine ich. Wer "wissenschaftsgläubig" ist, hat Wissenschaft als Methode nicht verstanden. Daher ist das Wort in meinen Augen ein Unding!
Offenbar hab ich aber noch immer nicht genug von meinem Idealismus verloren, wenn es wirklich soviele Leute gibt, die diese Denkfehler machen... :(
Das gleiche "Glaubens-"Problem und den gleichen dazugehörigen Vorwurf gibt es ja beim Atheismus, unabhängig von der Wissenschaft. Viele Religiöse werfen Atheisten vor, dass sie ja auch "glauben", nämlich dass es keinen Gott gibt. Was grundfalsch ist, denn Atheismus ist erst einmal nichts anderes als die Abwesenheit von Glauben an einen Gott. Die meisten Atheisten sind damit zugleich Agnostiker, denn kaum ein Atheist würde behaupten, beweisen zu können (und damit 100% zu wissen), dass es keinen Gott gibt. Ich würde das auch nicht von mir behaupten. Ich denke nur, dass so ziemlich alles, was ich über die Natur und das Universum weiß, dagegen spricht und ich es daher für extrem unwahrscheinlich halte.
Das Nicht-Glauben ist für meine Weltanschauung ein ganz elementarer Bestandteil, gerade weil es Grundvorraussetzung für wissenschaftliches Arbeiten und logisches Denken ist. Glaube ist nicht logisch, nicht vernünftig, sondern ein rein emotionales Konstrukt. Irgendwie gehe ich daher immer davon aus, dass gerade Leute die in der Wissenschaft tätig sind, diese Prinzipien auch befolgen. Glaube hat da nix verloren.
 

Matthew McKane

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Ja, das meine ich. Wer "wissenschaftsgläubig" ist, hat Wissenschaft als Methode nicht verstanden. Daher ist das Wort in meinen Augen ein Unding!
Warum soll das ein Unding sein? Die Wissenschaftsgläubigen, sind doch nicht die Wissenschaftler selbst? Sondern eben Leute, die von Wissenschaft nichts verstehen. Und zum Beispiel Rauchen, mit der "Gewissheit" dass die Medizin schon bald ein Heilmittel für Krebs finden wird.
 

Veldryn

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Warum soll das ein Unding sein? Die Wissenschaftsgläubigen, sind doch nicht die Wissenschaftler selbst?

Ein Unding ist es deshalb, weil genau eben Wissenschaftler - und generell wissenschaftlich denkende Menschen - von denen, die eben nix davon verstehen, gern so bezeichnet werden. Regt mich immer wieder auf. Egal ob in Religionsdiskussionen, Homöopathiediskussionen oder sonstigen Glaube vs. Wissenschafts-Diskussionen. Auch hier in diesem Thread, da kam das ja von Gala und wir alle wissen, dass der Kommentar an all jene adressiert war, die so denken wie ich. Und das ist ein Unding weil man dann "Wissenschaftsgläubiger" an den Kopf geworfen bekommt, wenn die Argumente ausgehen. Weil man dann "Wissenschaft ist auch nur ein Glaube" liest, wenn man versucht, esoterische Standpunkte zu widerlegen. Und weil jene, die solche Worte in den Mund nehmen, es ohnehin gezielt überlesen, wenn man versucht ihnen zu erklären, warum Wissenschaft und wissenschaftliches Denken zu genau 0% mit Glaube zu tun hat.
 

Chiburi

Kampfhase
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@ Hank - Realität

Realität ist, worin wir leben. Gravitation, Polymerisation, Kabelfernsehen, Gott und Leberkäs. Und wie nahe Theorien und Erklärungsversuche einzelner Aspekte dieser Realität eben dem echten Leben kommen, erkennen wir an der Vorhersagbarkeit. Darin liegt ja, jetzt mal von der hehren Suche nach der Wahrheit, dem Sinn des Lebens und Allem abgesehen, der große Reiz der Wissenschaft.

Und genau das sind die Zwei Punkte, die Wissenschaft vom Glauben unterscheidet. Sie trifft Aussagen, die (schon im Diesseits) falsifizierbar sind, und sie erhebt keinen Anspruch darauf, eine absolute Wahrheit zu verkünden. Ihr reicht in der Regel ein für die jeweiligen Zwecke genügend genaues Modell. Weshalb die klassische Mechanik trotz ihrer offensichtlichen Unvollständigkeit in relativistischen - oder Quantenbereichen sich in 99,8% aller Anwendungen größter Beliebtheit erfreut.

Nur... wenn man blind an einen christlichen Gott glauben kann, ohne die Grundlagen des christlichen Glaubens zu kennen, zu begreifen oder zu leben, warum nicht auch in gleicher Weise an die Wissenschaft?
 

Rink

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Ich definiere Wissenschaftsgläubigkeit vermutlich etwas weniger radikal als ihr. Ich würde sogar so weit gehen, zu sagen, dass wir alle in Punkto Wissenschaft die allermeisten wissenschaftlichen Theorien und Ansätze welche wir kennen selber nicht zu falsifizieren oder genau zu verstehen suchen. Ich persönlich kann weder komplexen mathematischen oder physikalischen Theorien folgen, noch in der Medizin genau verstehen, warum manche Medikamente genau diese Wirkungen und Nebenwirkungen aufweisen müssen. Ich verstehe z.B. auch nicht, warum mein Mainboard genau so aufgebaut sein muss, damit es funktioniert. Ich habe oft eine vage Vorstellung, aber ich kann die meisten Dinge nicht bis ins Detail nachvollziehen und damit für mich wissenschaftlich verifizieren.
Wenn mir nun aber eine "wissenschaftliche" Zeitschrift eine Erkenntnis näher bringt, so glaube ich diese (solange sie nicht stark mit meiner persönlichen Erfahrung widerspricht) normalerweise, ohne dass ich diese selber wissenschaftlich prüfe. Folglich schenke ich den Wissenschaftlern Vertrauen und dieses könnte man aus meiner Sicht durchaus auch als eine Form von "Glauben" definieren.
Natürlich ist das kein Freipass, die Wissenschaft zu diskreditieren. Es ist immer noch das beste und effizienteste Modell, der Wissenschaft Vertrauen zu schenken und ein Medikament zu schlucken, wenn der Arzt sagt, dass es hilft, ohne die genaue Wirkung vorher selber wissenschaftlich testen zu müssen. Aber es ist halt eine Relativität, welcher wir uns bewusst sein sollten. Alle Menschen (und manche Tierarten) neigen dazu, auch Wissen aufzunehmen, welches sie selber nicht geprüft haben und dieses zu einem Zeitpunkt als „Wahrheit“ im Kopf zu halten und ihr Leben danach auszurichten. Das gibt uns einen Vorteil, weil wir als Tierart und Gesellschaft ein Kollektivwissen erarbeiten und sich die Menschheit weiterentwickelt, als sie das sonst je könnte. Glaube spricht für mich die genau gleiche Neigung an und ich finde es witzig, dass die oftmals als Gegensätze zitierten Glaube und Wissenschaft dort eine Parallele aufweisen. Aber ich persönlich kann sowieso nicht wirklich nachvollziehen, warum man diese immer so stark als Gegensätze hochstilisiert, auch wenn es natürlich manche Schnittpunkte geben mag. Menschen entscheiden sich nie komplett entweder für Glaube oder Wissenschaft und schwören der anderen Seite komplett ab. Wäre ja doch etwas mühsam, alle Dinge selber immer und immer wieder wissenschaftlich zu prüfen, bevor man eine Entscheidung fällt :D

Gut/Böse: natürlich ist das nicht nur relativ, sondern gesellschaftlich definiert, was Gut und was Böse ist. Es braucht allerdings heute aus meiner Sicht für die grobe Moral keinen Gott mehr um Regeln zu definieren, das schafft die Sozialisation und das damit geprägte Logikverständnis auch alleine.
In unserer Gesellschaft ist nicht alles erlaubt, grob gesagt ist all jenes gut, was anderen Menschen/der Gesellschaft hilft und Egoismus ist böse. Dies ist eine gesellschaftliche Regel, welche uns das Zusammenleben erst ermöglicht. Früher brauchte es die Religion um diese Regeln durchzusetzen wo das Gesetz nicht hinreichte, heute haben wir ein Justizsystem, welches dies übernimmt.
 

Turjan

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@Rink: Hier begehst Du aber genau den Fehler, der Veldryn oder mich bezueglich des Satzes "Wissenschaft ist auch nur ein Glaube" so auf die Palme bringt: Du vermischst verschiedene Definitionen von "Glauben".

Es geht bei dem, was Du "Glauben" von wissenschaftlichen Informationen nennst, nicht darum, ob Du sie persoenlich falsifizieren kannst, sondern ob sie ueberhaupt falsifizierbar sind. Das was Du hier "Glauben" nennst, ist erst einmal eine Arbeitsgrundlage, also dass man zunaechst in seinem Handeln davon ausgeht, dass eine wissenschaftliche Information korrekt ist. Wenn man diese dann tatsaechlich anwendet, unterwirft man sie ja zumindest indirekt einer Ueberpruefung. Die Korrektheitsannahme ist nicht zu verwechseln mit der Annahme, diese Aussage enthalte keine Fehler. Alles menschliche Tun ist fehlerbehaftet. Unsere Erkenntnisfaehigkeit ist immer begrenzt. Es hat sich nur als vorteilhaft fuer unser Vorankommen erwiesen, auf dem Erfahrungsschatz unserer Vorgaenger in den Wissenschaften aufzubauen. Das ist die Grundlage unserer Zivilisation. Die Institution "Schule" beruht auf diesem Gedanken.

Der Glaube, um den es hier geht, ist der Glaube an Dinge, die prinzipiell (also nicht nur rein persoenlich) nicht falsifizierbar sind, wie die Gottes-Annahme, oder, was ich persoenlich als negativer einschaetze, der Glaube an Dinge, die bereits falsifiziert sind (siehe Homoeopathie). Der erste Fall ist wissenschaftlich nicht erfassbar (die wissenschaftliche Folgerung waere mangels Evidenz trotzdem die Annahme - also Arbeitsgrundlage - der Nichtexistenz), der zweite Fall ist simples menschliches Handeln wider besseres Wissen, um irgendeinen gefuehlsmaessiges Beduerfnis zu erfuellen.

Der Schritt, den man leider heute bei vielen Menschen erlebt, ist, dass das Entdecken der Fehlerhaftigkeit aller menschlichen Erkenntnis in der Ablehnung all dieser Erkenntnis muendet, weil diese fuer manche ploetzlich kommende Einsicht ueberwaeltigend wirken kann. Dies ist leider eine bei vielen Weltfluchtbewegungen, egal ob es um irgendwelche New Age-Zirkel, Homoeopathen oder Impfverweigerer geht, recht verbreitete Grundhaltung.

Wobei ich nichts gegen Weltflucht an und fuer sich habe - dies ist hier ja schliesslich grundsaetzlich erst mal ein Fantasy-Forum - solange man die Bodenhaftung nicht verliert und zwischen Fantasie und Realitaet unterscheidet.
 
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Rink

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@Turjan naja, für mich ist okay, wenn Du "Glauben" so absolut definieren möchtest und wäre Glaube aus meiner Sicht so absolut, so fände ich Deine Argumentation schlüssig. Ich finde aber schon, dass die Definition aller Gläubigen als Personen, welche ihren Glauben niemals hinterfragen, nicht an der Realität prüfen (und damit auch nicht falsifizieren können) und den Glauben (Bibel etc.) für fehlerlos halten etwas an der Realität vorbei zielt. Es gibt die amerikanisch angehauchte dichotome/zweipolige Anordnung von Wissenschaft versus Religion, bei welcher Personen immer nur genau einer der beiden Seiten und das zu 100% angehören können, in unserer Gesellschaft so doch gar nicht. Jeder Gläubige wird in vielen Dingen der Wissenschaft folgen und ich kenne kaum einer, der die Bibel im Wortlaut als eine vollkommene Realitätsbeschreibung einschätzen würde. Und wenn doch jemand radikal alle Antworten für sein Leben in der Bibel suchen würde, so müsste er extrem viel hineininterpretieren, und diese Interpretation würden andere Gläubige wiederum hinterfragen und für sich prüfen können. Wenn jemand nicht an Impfungen glaubt, so ist das wohl nicht ein bewusstes Abkehren von der Wissenschaft, sondern ich sehe das eher als ein kritisches Hinterfragen bestehender (in unserer Gesellschaft absolut freiwilliger) Optionen und das entweder aus Unwissenheit, oder weil man eben eine andere Quelle als vertrauenswürdiger einschätzt als du oder ich das wohl würden. Es ist leider nicht einfach heute, "Wissenschaft" zu erkennen, es gibt extrem viele konträre Informationen und es gibt selbst innerhalb der Wissenschaftsgebiete in vielen Dingen keinen klaren Konsens, geschweige denn eine zentralisierte, konsensorientierte Kommunikation.

Für mich ist der springende Punkt aber, dass im Grunde jede Information, welche Du nicht selber wissenschaftlich auf seine Gültigkeit überprüfst, eine Information ist, welche Du einfach glaubst. Ob das temporärer Natur ist und ob das aus Deiner Sicht nun zur subjektiv eingeschätzten "Wissenschafts"-Menge angehört oder nicht ist deshalb irrelevant, weil es für Menschen stets nur die Gegenwart und die eigene Definition dieser Wissenschaftsmenge als Standpunkt gibt. Jemand der an einen Gott glaubt, muss das also am nächsten Tag auch nicht mehr unbedingt tun, das macht ihn am genannten Tag aber dennoch gläubig, wenn er sein Handeln nach diesen Vorstellungen ausrichtet. Und das tun wir alle bei vielen Dingen, welche für uns wissenschaftlich wirken, mehr oder weniger unkritisch und das birgt aus meiner Sicht schon eine gewisse Ironie.

Die Wirkung der Homöopathie liegt übrigens im Placebo-Effekt und wurde belegt. An die Wirkung des Placebo-Medikaments im Vergleich zu keiner Behandlung zu glauben, wäre also im Sinne der Wissenschaft und keine Fantasie und die Behandlungsmethode kann daher in der Medizin ein kleines sinnvolles Einsatzgebiet haben. Das aber nur nebenbei.
 
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Turjan

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7.037
@Rink: Waren meine Ausfuehrungen so unverstaendlich? Ich habe "Glauben" nicht "absolut" oder "dichotom" definiert, sondern darauf hingewiesen, dass Deine Argumentation auf einer unzulaessigen Vermischung zweier verschiedener Bedeutungen eines deutschen Wortes beruht. Religioeser Glaube ist der Glaube an etwas, was prinzipiell nicht falsifizierbar ist. Als solcher ist er wissenschaftlich nicht zugaenglich und hat damit per se keinerlei Beruehrungspunkte mit Wissenschaft. Das betrifft natuerlich nicht Dinge wie soziologische Auswirkungen, aber das hat ja nichts mit Glaubensinhalten zu tun. Glaube und Wissenschaft sind also nicht Gegensaetze, sondern haben schlicht keine Schnittmenge.

Und diese Definition von Glauben auf Wissenschaft anzuwenden, ist unzulaessig, da ja die grundsaetzliche Fehlerhaftigkeit jeglicher wissenschaftlicher Aussage ausser Frage steht. Es ist nur so, dass erfahrungsgemaess die meisten wissenschaftlichen Aussagen irgendeinen richtigen Kern haben (wohlgemerkt nicht alle, und nicht komplett), also es ratsam ist, sie bis zur Widerlegung als Arbeitsgrundlage zu benutzen. Diese sprachlich und gedanklich unsaubere Vermischung der verschiedenen Bedeutungen des deutschen Wortes "Glaube", wie sie aus Deinen Ausfuehrungen spricht, resultiert doch gerade in Dingen wie der kompletten Ablehnung der Schulmedizin, also prinzipiell unvernuenftigem, da der Realitaet widersprechendem Verhalten. Gerade das ist ein Denken in Absoluten, nicht meine Definition.

Wenn Dir also ein Schulmediziner sagt, dass Ibuprofen gegen bestimmte Schmerzen hilft, so ist das ein millionenfach erwiesenes Faktum, das auch in einer Doppelblindstudie belegt werden kann. Dass ich persoenlich Entzuendungshemmer im Labor verwendet habe und die Wirkungen direkt beobachtet habe, ist zwar nett, aber nicht notwendig, um diese Info zu akzeptieren. Der "Glaube" besteht hier doch lediglich darin, dass ich weiss, dass es schlicht wahrscheinlicher ist, dass eine wissenschaftliche Aussage auch tatsaechlich auf wissenschaftlichem Arbeiten und auf wissenschaftlicher Argumentation beruht, immer im Bewusstsein, dass natuerlich auch unsaubere und fehlerhafte Aussagen darunter sein koennen. Es ist also ein empirisch belegtes, ebenfalls wissenschaftlicher Meta-Untersuchungen zugaengliches Fakt, dass man mit einer vorbehaltlichen Akzeptanz dieser Aussagen im Normalfall besser faehrt als mit einer vorbehaltichen Ablehnung.

Ich glaube Hank hat weiter oben darauf hingewiesen, dass es durchaus auch im Prinzip falsche wissenschaftliche Aussagen gibt, die als Naeherung sehr nuetzlich sind. Man denke z.B. an den Massenerhaltungssatz in der Chemie. Der ist zwar im Prinzip falsch, aber das ist so ziemlich fuer alle praktischen Anwendungen irrelevant, da die Abweichungen bei normalen chemischen Reaktionen so gering sind, dass sie keinerlei Alltagsbedeutung haben.

Dein Satz zur Homoeopathie ist auch wieder so eine unsaubere Vermischung von Befunden. Die Wirkung von Homoeopathie wurde eindeutig und vielfach widerlegt. Es gibt einen sehr kleinen Placebo-Effekt, aber das liegt an der Placebo-Handlung und nicht an der Homoeopathie. Wenn Du Deinem Kind oder Deinem Pferd gut zuredest und ihm irgendetwas gibst und es sich dann besser fuehlt, so haengt das nicht davon ab, was Du ihm gibst. Hier von "Wirkung von Homoeopathie" zu sprechen, ist eine Fehlidentifikation der Ursache. Auf irgendetwas, das mit der Definition von "Homoeopathie" zu tun hat, beruht die Wirkung naemlich eindeutig nicht.
 
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