Bibelfest? Der religiöse Erguss aus dem Single-Topic

Gala

Labyrinth-Leichnam
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@Kraven: :rolleyes: Lies doch einfach mal mein vorletztes Posting in diesem Thread... :rolleyes:

@Chinasky: Nun, ich hätte von ihm wenigstens das Eingeständnis erwartet, das es *FALSCH* war, Prostitution zu fördern. Er hat es aber auch noch fast schon wieder verteidigt !

Meine vorige Sig ist von Medinilla.
 

Sol

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Weil der Papst es auf eine andere Art und Weise tut. Jesus sagte einst: wer mir folgen will, muss seinen Besitz und seine Familie um der Evangelien willen aufgeben [Quelle: Markus 10, 29].

An dieser Stelle sieht man mal wieder, dass man eine Bibelstelle in Wirklichkeit sehr viel hineininterpretieren kann:

Manchmal mag ich ja meine moderne Bibel nicht, weil es meist die Luther-Bibel ist aus der zitiert ist oder weil auch die Luther-Bibel eigentlich die Anerkannteste ist. Aber hier stimmt die dortige Übersetzung mit meiner Interpretation dieser Bibelstelle überein; bei mir lautet sie nämlich:

Jesus antwortete: "Ich versichere euch: Jeder, der für mich und die Gute Nachricht sein Haus, seine Geschwister, seine Eltern oder Kinder oder seinen Besitz zurückgelassen hat, der wird all das in diesem hundertfach wiederbekommen: [...]

Ich deute das "zurückgelassen" eher als "verlassen" und in die Welt hinausziehen und die frohe Botschaft verkündigen. Dies heißt ja in meinen augen zumindestens nicht, dass man *nie wieder* zu seiner Familie oder seinem Haus zurückkehren darf, wenn man sich Jesus angeschlossen hat. Ich denke, dass Jesus Christus vielleicht selber sogar mal seine Eltern oder Verwandten und seinen früheren Wohnort besucht hat.

Naja, es gibt halt von der Bibel die verschiedensten Interpretationen, sogar von mittelalterlichen Päpsten mit Welteroberungsplänen ;)

Was mir persönlich allerdings nicht so ganz bei so manchen kahtolischen Deutungen gefällt, ist folgendes:
Manche Stellen wie zum Beispiel die Bergpredigt werden mir zu sehr nach einem „Mönchstum“ interpretiert, dass es zur damaligen Zeit nicht gab :rolleyes: . Die „Zwei-Klassen-Ethik“, welche die katholische Kirche in der Bergpredigt sieht, hätte Jesus so sicherlich nicht gewollt :rolleyes.
 

Caswallon

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Sol: Vorher sagt Petrus: "Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt." In der Parallelstelle bei Matthäus (19, 27) steht dann sogar explizit die bei Markus unausgesprochene Frage: "Was wird uns dafür?"
Das Verb, das Petrus und Jesus verwenden (aphiemi) heißt svw. wie "abschicken, wegschicken, entsenden, werfen, ausstoßen, loslassen, vetreiben, befreien, sich scheiden lassen, vernachlässigen" - die Deutung "verlassen" ist also erstmal naheliegender, auch wenn man das vielleicht nicht 100%ig sicher sagen kann. :)
Auf die Jünger bezogen ist es aber auch sinnvoller; die haben zwar vielleicht hin und wieder mal zu Hause vorbeigeschaut (Petrus' Schwiegermutter und so ;), und von einem Besuch Jesu in Nazareth wird im NT auch berichtet, da haben sie ihn hochkant wieder rausgeworfen :D), aber praktisch waren sie auch für ihre Familien und deren Versorgung verloren.

Allgemein: Auch wenn das manchen nicht so besonders gefallen mag - die katholische Kirche schöpft aus zwei Quellen (mindestens). Die eine ist die Bibel, die andere die Tradition - was sich in der Vergangenheit in der Kirche bewährt hat und was die Kirchenväter und Konzilien, geleitet vom Heiligen Geist Gottes, festgelegt haben, das hat ebenfalls Autorität. Die Gewichtung von Bibel und Tradition mag sich von Zeit zu Zeit unterscheiden, aber gültig bleibt beides. Das ist eine durchaus mögliche Konsequenz, die man ziehen kann, wenn man ernst nimmt, daß Jesus nicht tot und Vergangenheit ist, sondern lebt. Ob man sich dieser Ansicht zur Tradition anschließt oder nicht (als Evangele tue ich es eher nicht), kann man selber entscheiden, aber der katholischen Kirche etwas vorzuwerfen, was sie nie behauptet hat, ist ein wenig sinnlos. ;)

Noch zugespitzter habe ich es mal von orthodoxer Seite gelesen: Warum sollte Gott mit der Apokalypse des Johannes plötzlich aufgehört haben, sich seiner Kirche zu offenbaren? Daher hätten die biblischen Schriften natürlich eine gewisse Priorität, aber man könne den Geist Gottes auch in den Schriften eines Gregor von Nazianz, Basileios des Großen (4. Jh.), Simeon des Theologen (11. Jh.) oder Gregorios Palamas (14. Jh.) finden - der Unterschied sei einer der Gewichtung, kein prinzipieller.
Wie gesagt - das kam nicht von katholischer Seite, und ich weiß auch nicht, ob das offizielle orthodoxe Lehre ist, aber es vedeutlicht die Position, die ich oben meinte.

Cas
 
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Gala

Labyrinth-Leichnam
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Hmm ?

Ich hab die Bibelstelle jetzt nicht auswendig, aber von mindestens einem Apostel wird im neuen Testament eindeutig erwähnt, das er immer noch eine Familie hatte - und zwar so, als sei das überhaupt nichts Besonderes, im Nebensatz sozusagen.

Das Urchristentum war meines Wissens überhaupt nicht sexualitätsfeindlich ausgerichtet. Das kam erst in den folgenden Jahrhunderten, weil das zu dieser Zeit en vogue war. Die Sexualitätsfeindlichkeit kommt aber ursprünglich aus griechischen Philosophien, und nicht etwa aus dem Christentum.
 

Chinasky

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Aus welchen griechischen Philosophien?
 

Caswallon

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Gala: Das mit dem Apostel war Petrus höchstselbst, was ich oben (im Nebensatz sozusagen :D) auch geschrieben hatte - er hatte eine Schwiegermutter, woraus man, wenn alles seine Ordnung hat, auch schließen kann, daß er zumindest irgendwann mal wohl eine Frau gehabt haben dürfte. ;)
Ändert aber nichts an der Aussage, daß "er verließ seine Familie" seine Position zutreffend beschreiben dürfte.

Cas
 

Kraven

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@Hank: Ich glaube, das geht auf Aristoteles zurück. Dessen Frauenbild war nicht grade das Beste, das hat sich auch in seinen Niederschriften bemerkbar gemacht. Was ich grade in Erinnerung habe, ist das Bild der Kinderzeugung... alles wichtige, das ein Kind entstehen lässt, kommt vom männlichen Samen, die Frau hat nur die Aufgabe des Austragens. Demzufolge ist die Frau auch eher unwichtig.
Das Ganze wurde glaub ich erst achtzehnhundertirgendwas widerlegt, als ein Forscher herausfand, wozu die weibliche Eizelle denn nun wirklich da ist - bis dahin war Aristoteles´ Weltbild das absolut gängige.

@Gala: Hab ich. Aber entweder haben wir einen unterschiedlichen Humor oder ich kapier den Witz darin einfach nicht. Ich find den Satz einfach nur gleichermaßen platt wie... ja, dumm. Der Vergleich mit den Erklärungen der katholischen Kirche will bei mir irgendwie nicht wirken...
 

Chinasky

Dirty old man
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@Kraven: Sexualfeindlichkeit und negatives Frauenbild - für mich sind das immer noch zwei Paar Schuhe. Die Griechen hatten immerhin auch den Dyonisos-Kult usf.. Auch durch Platons Schriften wird nicht gerade Keuschheit transportiert. Sexual- und Frauenfeindlichkeit lassen sich nach meinem Dafürhalten recht gut aus der Bibel, insbesondere dem AT her begründen, siehe "Sündenfall" usf.. Ich vermute also deren Wurzeln im Judentum.
Daher finde ich es etwas konstruiert, die armen Hellenen, die sich nicht mehr so richtig wehren können, hierfür verantwortlich zu machen. ;) (Womit ich nicht behaupten will, die Griechen seien besonders frauenfreundlich und nicht-chauvinistisch gewesen.)
 

Kraven

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Nicht die griechischen Philosopgen per se, aber Aristoteles eben. Und der war ne ganze zeitlang der wichtigste der Philosophen, während die althebräischen Nomaden nicht unbedingt Weltruhm für ihre Dichter und Denker inne hatten ;)

Die Kirche war seit dem frühen Mittelalter vor allem ein politisches Institut, dass die Richtigkeit seiner Lehren auf allen Ebenen vermauern wollte und auch musste, wenn es an der Macht bleiben wollte. Dies gilt auch für die Intellektuellen der damaligen Zeit, in den Domschulen und Universitäten wurde schließlich nicht nur aus der Bibel gelehrt, sondern generell aus den Schriften berühmter Theologen und sonstiger Denker.
Diese sonstigen Denker waren zu einem Großteil allerdings die griechischen Philosophen, nicht umsonst war griechisch lange Zeit die Sprache der Gelehrten. Platon, Sokrates, Aristoteles (um nur bei den drei Großen zu bleiben): Die hatten alle dermaßen viel auf der Pfanne, dass selbst die katholische Kirche es sich nicht leisten konnte, sie zu ignorieren. Ich glaube, Thomas von Aquin war das, der verzweifelt versucht hat, Aristoteles in Einklang mit den christlichen Lehren zu bringen (wobei dessen Frauenbild ja schon wieder ein Thema für sich ist, dagegen war Aristoteles emanzipiert...)

Um´s kurz zu machen: Wenn ich als kirchlicher Lehrer einen gebildeten Wissenschaftler vor mir habe, womit versuche ich eher, ihn von meinen Weltanschauungen zu überzeugen? Mit eingangs erwähnten Nomaden oder mit den größten Denkern der vergangenen Zeit?
 

Chinasky

Dirty old man
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Mit der Primärquelle: Der Bibel. :D
 

Kraven

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Die Bibel vertritt an dieser Stelle die Nomaden ;) Meiner Meinung nach ist es immer günstiger, ein paar Wissenschaftler im Rücken zu haben, wenn man eine Religion zur Staatsform erheben will.
 

Caswallon

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Aristoteles mag einer der größten Philosophen gewesen sein, und seine Nachwirkung unbestritten, aber das überschätzt ihn dann doch ein bißchen. :D Zumal er nicht sexualitätsfeindlich an sich war, höchstens frauenfeindlich im üblichen Rahmen der griechischen Philosophie.

In der Antike hat die aristotelische Philosophie zwar große Wirkung gezeigt, aber nur teilweise an sich - Aristoteles hat nie den Kultstatus ;) erreicht wie Platon (der häufig den Beinamen "göttlich" erhielt). Vielmehr hat sie gewirkt, indem ihre Ideen in den Platonismus wieder eingeflossen sind (grob ausgedrückt).

Der Einfluß antiker Philosophie aufs alte Christentum hat mit Aristoteles daher nur am Rande zu tun; die philosophische Richtung, die den größten Einfluß auf das Christentum hatte, war der Neuplatonismus, der von Plotin um 250 begründet wurde; wie der Name schon sagt, verstand sich der zu einem großen Teil als Platon-Exegese - andere Ansichten, darunter auch aristotelische, sind reichlich mit eingeflossen, aber nicht dominierend. Dieser Neuplatonismus war gerade zu der Zeit die beinahe alleinherrschende philosophische Richtung, als das Christentum die vorherrschende Religion wurde - viele der großen Kirchenväter des 3. bis 5. Jh.s waren mehr oder minder stark neuplatonisch beeinflußt, besonders prominent (bei uns) Augustinus. Bei dem zeigt sich in gewisser Weise auch das Phänomen der Überzeugung durch Annäherung des Christentums an die Philosophie: Einen starken Einfluß auf Augustinus' Hinwendung zum Christentum hatten eben christliche neuplatonische Schriften, die beide Ansichten versuchten zu vereinen. Im späten 4. und 5. Jh. liefert der Neuplatonismus häufig die gemeinsame philosophische Basis sowohl des Heidentums als auch des Christentums; er ist im Prinzip keine heidnische Philosophie mehr, sondern eine von Anhängern beider Religionen vertretene.

Dem Neuplatonismus kann man auch, wenn man will, einen gewissen Anteil an einer "Sexualitätsfeindlichkeit" des Christentums anlasten; schon seit Plotin hatte er gewisse Tendenzen in diese Richtung. "Leibfeindlichkeit" wäre da allerdings angebrachter; für den Neuplatoniker ist die rohe Materie das Nicht-Gute schlechthin, während das Göttliche (in seinen Begriffen: "das Eine" - der Neuplatonismus war auch in der heidnischen Variante tendenziell monotheistisch) durch eine Art meditative Schau zu erfahren ist; die Welt ist vorzustellen als "Ausflüsse" (Emanationen) des Einen, das gleichzeitig das höchste Gute und Unfaßbare ist; die höchsten Emanationen sind Geist, Verstand und Seele, und nur wo diese "Kräfte" die Materie formen, ist die wahrnehmbare Welt. (Wie üblich stark vereinfacht.) Eine starke Betonung des Geistigen und eine angelegte Leibfeindlichkeit findet sich also auch da; das hatte wohl auch gewisse Einflüsse auf das Christentum.

Mit dem Ende der Antike kam auch die Philosophie in weiten Teilen zum Erliegen; im Frühmittelalter (im Westen ab ca. 500) gab es nicht mehr sooo viele antik Gebildete, die man hätte überzeugen können. (Universitäten gab's damals auch keine.) ;)
Thomas von Aquins (13. Jh.) Aristoteles-Auslegung ist im Prinzip kein Zeugnis des Nachwirkens Aristoteles', sondern seiner Neuentdeckung - die Werke des Aristoteles kamen zu dieser Zeit gerade über die Araber nach Europa zurück. Zur neuen Autorität dieses Philosophen in Westeuropa hat Thomas selber nicht wenig beigetragen.

Daß das AT von althebräischen Nomaden stammt, war übrigens kein besonderes Hindernis, auch nicht für die Antike. Das Judentum war zwar im allgemeinen nicht besonders anziehungskräftig und galt teilweise als reichlich versponnen, aber es war immerhin als eine alte, selbständige religiöse Richtung geachtet und bekannt. Wenn aber etwas alt war, dann war es in den Augen der Antike auch gut. Man hatte eine gewisse Schwäche für alte, seltsame, orientalische Kulte und Weisheitslehren - von den ägyptischen Modegöttern (um zu Isis zurückzukommen :D) über babylonische Zauberei, persische Magier, indische Brahmanen (Pythagoras soll die getroffen haben) und Mysterienkulten eben auch hin zu jüdischen Vorstellungen.
Schwieriger wurde es da z.B. mit der biblischen Sprache - auch hier ist Augustinus ein nettes Beispiel, der - als Rhetorikstudent, Theaterdichter und junger Intellektueller - bei seiner ersten Lektüre die Bibel schnell wieder weglegte, weil sie so roh und einfach geschrieben war; sprachlich ausgefeilte Philosophie wie Cicero u.ä. fand er damals viel anziehender. Im Mittelalter spielte aber auch das keine Rolle mehr; da hatte sich das Bibellatein dermaßen durchgesetzt, daß es wiederum selber als Maßstab galt.

Cas
 
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Brisëis

Priesterin des Apollo
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Ich hab die Diskussion hier interessiert gelesen... entschuldiget die Zwischenfrage:

"Um´s kurz zu machen: Wenn ich als kirchlicher Lehrer einen gebildeten Wissenschaftler vor mir habe, womit versuche ich eher, ihn von meinen Weltanschauungen zu überzeugen? Mit eingangs erwähnten Nomaden oder mit den größten Denkern der vergangenen Zeit?"

Kraven meinst du damit auch, von deinem Glauben? ;)
 

Kraven

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Gerade dann! Okay, zugegeben, das Grundkonzept übernehme ich von den Nomaden, aber zum Untermauern gibt es nichts besseres als die Macht der Wissenschaft.

Ich kann sagen "Schau her, in der Bibel steht, dass die Frau dem Manne untergordnet sei." Das beeindruckt allerdings nicht sonderlich.
Wen ich hingegen sage "Schau her, in der Bibel steht, dass die Frau dem Manne untergeordnet ist. Und da stimmen mir zu: Plotin, Aristoteles, Thomas von Aquin, die neuste Ausgabe der GEO *GEO unter die Nase halt* und ganz ganz viele andere kluge Leute. Bitte unterschreib unter der gestrichelten Linie."
Du musst zugeben, das macht mehr Eindruck. Und es lässt sich ausweiten auf viele andere Bereiche, die in der Bibel stehen, somit auch auf den Glauben. Der Papst hat zwar ne Weile gebraucht, bis er die Urknalltheorie aktzeptiert und für gültig anerkannt hat, aber der hat schon gewusst, warum. Wenn mir ein Wissenschaftler, ein staatlich geprüfter Mann, dessen Intellekt öffentlich anerkannt ist, erzählt, dass da am Anfang eine gewaltige Energiequelle war, die alles erschaffen hat.... ja da fall ich dem Mann doch um den Hals vor Dankbarkeit, weil es genau meine Weltansicht/ meinen Glauben bestätigt.
Missionieren ist immer eine Frage der Überzeugungskunst. Und künftig hab ich ein weiteres Argument in der Hand, immer mit Querverweis auf diesen Wissenschaftler. Perfekt.

Übrigens: Geile Sig :D :up: :)

@Cas: Okay, mit Plotin hab ich mich noch nicht auseinandergesetzt, Aristoteles war für mich am nächsten... aber danke für den Text, ist sehr interessant zu lesen :)
 

Brisëis

Priesterin des Apollo
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Aber so wirst du niemandem den Glauben näher bingen ;)
All das ist nichts. All das ist Kopfsache ;)
Es ist interessant für Gläubige, oder für Religionswissenschaftler.
Ja die Sig ist schon was wert :D Die ist von Calvin dem Ref... äh dem Jungen mit dem Tiger.
 

Chinasky

Dirty old man
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So, jetzt muß ich aber doch nochmal Gala zitieren:
Das Urchristentum war meines Wissens überhaupt nicht sexualitätsfeindlich ausgerichtet. Das kam erst in den folgenden Jahrhunderten, weil das zu dieser Zeit en vogue war. Die Sexualitätsfeindlichkeit kommt aber ursprünglich aus griechischen Philosophien, und nicht etwa aus dem Christentum. Das war die Ausgangsbasis. Von dem Urchristentum weiß ich nun nicht sooo viel, muß mich da also ganz allein auf Galas Wissen verlassen. Daß aber die Leib- und somit Sexualitätsfeindlichkeit der Kirche nicht des Verweises auf die philosophischen Autoritäten bedurfte, ist für mich logisch, wenn ich mir überlege, wozu man solche Autoritäten heranzieht: Nämlich um den eigenen Standpunkt zu untermauern. Also erst ist da der Kirchenvertreter, der den Gläubigen ihre Sündigkeit unter die Nase reibt, und dann kommt sein Bedürfnis, ausserhalb seiner offenbarten Religion (Primärquelle) noch weitere Belege für seine These zu erschließen.
Zuerst haben wir den mönchischen Topos des Jesus, der für vierzig (oder wieviele es auch waren) Tage in die Wüste geht, um dann vom Teufel "versucht" zu werden, indem ihm alle Reichtümer der Welt angeboten werden. Und dann haben wir die Klöster, in denen sich die Mönche zusammenfanden,dieser guten alten Eremiten-Tradition (die es selbstverständlich lange vor Jesus gab) folgten und in ihren (irischen) Klöstern dann auch die griechischen Philosophen-Gesamtausgaben für die mittelalterliche Nachwelt erhielten. Das Klosterleben und überhaupt das Leben der Geistlichen ist nun mal soweit sexualitätsfeindlich, wie ich es mir nur denken kann - und also mußte niemand, der da im Kloster hockte, noch großartig überzeugt werden!

Die Frauen-, Sexual- und Leibfeindlichkeit der Kirchen, wie sie sich mit der Zeit entwickelte, läßt sich sehr gut theologisch begründen, immerhin ist das Konzept der Erbsünde explizit mit dem Fleischlichen (... erkannten sie, daß sie nackt waren), dem Sexuellen (Eva kriegt als Strafe aufgebrummt, unter Schmerzen gebären zu müssen) und dem Weiblichen (denn Eva verführt Adam zur Sünde, zur Gebotsüberschreitung). Da muß also nicht ausserhalb gesucht werden für "gute" Gründe.
Daß, wenn gesucht wird, man auch ausserhalb des Christentums fündig werden kann - keine Frage! Aber ebensogut wird man bei den Griechen auch fündig, wenn man für das Gegenteil nach Argumenten sucht. Ich erinnere nur an die philosophische Schule der Kyniker, die ähnlich enthemmt wie die Hunde ihr Leben gestalteten, sich in aller Öffentlichkeit nach Lust und Laune einen runterholten usw.

Wenn Galas Wissen nun indes nicht trügt, die "Urchristen" also tatsächlich nicht so leibfeindlich waren, dann vermute ich hinter dem ganzen Themenkomplex das, was eigentlich überall auf der Welt, wo Sexualität tabuisiert und miesgemacht wird, den wirklichen Grund bildet: die Machtfrage!
Eine Institution Kirche, die nicht mehr nur aus ein paar freiwillig zusammenkommenden Gläubigen besteht, sondern die Strukturen aufbauen und festigen will, die in der Politik mitmischt - die hat ein Problem damit, wenn die Leute tun und denken und glauben, was sie gerade lustig sind. Die braucht Disziplinierungs-Instrumente, und hier ist die Sexualethik wohl besonders wirksam. Im Christentum paßt das natürlich besonders gut, weil die ganze Macht der Kirche auf diesem Erbsünden-Konzept beruht: Alle Menschen, ausnahmslos, sind vor Gott erstmal schuldig, alle verdienen sie Strafe. Das ist der Grundpfeiler aller kirchlichen Macht! Und wie mache ich das plausibel? Indem ich das, was jedem Menschen als eine der stärksten Triebfedern innewohnt, zur Sünde erkläre: Das sexuelle Verlangen. Tagtäglich wird der Gläubige an seine Sündigkeit erinnert, sobald mal wieder eine hübsche Frau (oder ein attraktiver Mann) an ihm vorbeigeht, schon sticht der sündige Stachel wieder zu... Man kommt kaum dazu, die eigene Sündhaftigkeit mal zu vergessen, solange die wichtigsten Triebe als sündig gekennzeichnet sind: neben dem Sexuellen auch noch der Hunger (Völlerei war eine der Todsünden), ja überhaupt alles Körperliche.
Gottes Reich ist nicht von dieser Welt - was im Umkehrschluß besagt: Da diese Welt nicht das Reich Gottes ist, kann sie nur das Reich seines Antagonisten sein: des Teufels. Körper-Geist-Dualismus, um es noch weiter zu abstahieren.

Sobald der Gläubige sich seines Lebens freut und mit sich im Reinen ist, wird die Machtinstitution Kirche mißtrauisch: Die Leute sollen gefälligst mit schlechtem Gewissen genießen, denn sonst kommt's noch so weit, daß sie der Kirche nicht mehr geben, sich von ihr nicht mehr nach Gutdünken leiten und drangsalieren lassen. Nur der reuige Sünder ist ein gutes Kirchenmitglied und zahlt brav alle Ablaßgelder, die man von ihm verlangt. Während vielleicht die Urchristen noch ein direktes Verhältnis zu Gott haben mochten, hat sich dann irgendwann die Kirche als Zwischeninstanz zwischen die Gläubigen und Gott gesetzt: Durch dieses enge Nadelöhr mußte man fortan hindurch, und das war auch für Nicht-Kamele alles andere als einfach. :D

Daß die Sexualität in nahezu allen Kulturen auf die eine oder andere Weise ritualisiert, oder tabuisiert wird, ist ein Hinweis darauf, daß es hier nicht so sehr um religiöse Wahrheiten, sondern um Macht geht. Die Taliban sind dafür ein schönes Beispiel, aber auch die "Ehrenmorde", die selbst hier in Deutschland noch von einigen in ihrer Macho-Kultur verhedderten türkischen Männern verübt werden, wenn sie die Familienehre durch die sexuelle Selbstbstimmung ihrer Töchter verletzt sehen.

Der sexuelle Rausch ist womöglich das intensivste Freiheits- und Zufriedenheitsgefühl, das den Menschen möglich ist. Und damit der geschworene Feind aller institutionalisierten Macht.

Daß es auch Betonköpfe unter den griechischen Philosophen in dieser Beziehung gab, wollte ich keineswegs abstreiten. Aber bedurft hätte die Kirche ihrer nicht.
 
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Aslan

Fauler Löwe
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Was ist denn das Urchristentum eigentlich (bzw: was versteht ihr darunter)? Die erste Generation? Von welchem Zeitraum wird hier geredet? Askese (und somit ein Stück weit Leibfeindlichkeit) ist ja schon in den vornizäischen Jahrhunderten zu finden. Der gute Origines hat sich beispielsweise eigenhändig selbst das Familienglück zerstört.

Zu den Philosophien: Ich denke, einen erheblichen "leibfeindlichen" Teil hat die stoische Philosophie ins Christentum hineingetragen. Dass auf griechische Philosophien zurückgegriffen wurde, um den eigenen Standpunkt zu untermauern, traf durchaus teilweise zu. Bekanntes Beispiel ist Klemens von Alexandrien, der unter griechisch gebildeten Leuten eben gezielt das Christentum in platonischen Bildern erklärte. Damit verbunden ist aber auch eine Vermischung der Standpunkte, weil eben gerade durch dieses zurückgreifen auf griechische Autoritäten die Unterschiede zwischen Neuplatonismus/Stoa auf der einen Seite und Christentum auf der andern Seite verwischt wurden. Griff man also auf gewisse Moralvorstellungen griechischer Philosophie zurück, so war der Schritt nicht mehr weit, eben von der Befürwortung eines massvollen Umganges zu totaler Askese zu gelangen.

Ein interessanter Ausschnitt übrigens aus dem Matthäusevangelium. Der Sprechende ist Jesus:

"Johannes ist gekommen, aß nicht und trank nicht; so sagen sie: Er ist besessen. Der Menschensohn ist gekommen, isst und trinkt; so sagen sie: Siehe, was ist dieser Mensch für ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder!" Mt 11,18-19

Wollen wir das Urchristentum also auf den Begründer des Christentums zurückführen, so sehen wir hier, dass er nicht leibfeindlich war. Er war sogar als Fresser und Säufer verschrieen.
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
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Urchristentum ist Kirche bis 3. Jahrhundert - als die Kirche Staatskirche wurde und anfing, den Leuten vorzuschreiben, was sie zu glauben hatten.

Bin bei Ratzinger jetzt langsam bei der Mitte des Buches angekommen. Wollt ihr wissen, warum Frauen "hinterm Herd bleiben sollen" ? Weil sie so geschaffen wurden und es immer schon so war !!! Mannometer. Da wünscht man sich, er würde wenigstens wieder zum Stammtischniveau aufsteigen. Selbst dort muß man intelligenter argumentieren.
 

Aslan

Fauler Löwe
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Ok, wenn das Urchristentum die ersten 300 Jahre sind, dann ist die Aussage, dass das Urchristentum nicht leibfeindlich war, falsch. Origines lebte z.B. 185-254.
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
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Natürlich waren die griechischen Philosophien von Anfang an auch schon da. Aber sie sind nicht original christlich, sondern ein externer Einfluß.
 
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