[Limbo - Runde I] Tigerle / Gala / Lisra

Wer hat die besseren/beste Geschichte(n) geschrieben?

  • Tigerle

    Stimmen: 6 40,0%
  • Gala

    Stimmen: 6 40,0%
  • Lisra

    Stimmen: 8 53,3%

  • Umfrageteilnehmer
    15
  • Umfrage geschlossen .

Enigma

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Als drittes poste ich die Dreierbegegnung für diese Runde. ;) Hier könnt ihr mehr als eine Stimme abgeben.

Viel Spass bei der Lektüre! :)

 
 

Enigma

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Tigerle

Die 'blutige Hand'

Mit Elfen hatte ich auch schon zu tun. Wahrhaft seltsame Wesen, muss ich sagen. Sie sind zwar schwächlich, aber über deren Aussehen kann man echt neidisch werden! Und auch im Streite können sie wertvolle Gefährten sein, wie ich es schon selber erlebt habe! Da gibt es eine Elfe, ohne die ich heute sicher nicht mehr unter Euch weilen würde! Ich weiss, ihr seid schon gespannt, so lasst mich erzählen, wie es war!
Es war spät an einem windigen Herbsttag als jene Elfe ins Fischerdorf rannte. Ja, ich habe damals in einem kleinem Fischerdorf gelebt. Es war ein verschlafenes kleines Kaff mit verschiedenen hölzernen Bruchbüden und Bootshäusern sowie einem ungepflegtem, ständig miefendem Dorfplatz. Aber immerhin kam ich hier unter, nachdem ich mich von meinem Liebsten trennen musste. Hier konnte ich mich immerhin durch harte Arbeit selber versorgen und konnte meine Sehnsucht zum Meer stillen. Aber ich schweife ab.
Wie gesagt, es kam eine Elfe in unser Wirtshaus gerannt. Völlig aufgeregt erzählte sie, dass sie ein Schiff gesehen habe. Aber eines "Mit einer bösen Aura", wie sie es formulierte. Ich muss gestehen, ich habe gelacht. Mit dem Met in der Hand war es auch leicht zu lachen. Außerdem hat das gesamte Dorf mitgelacht! Allerdings war da dieser Streuner, Vortin Calo, der sich selber als Wächter der Küste bezeichnete, der offensichtlich Interesse an der Geschichte zeigte. Auf eine eindrucksvolle Weise blieb er ruhig und hörte dem recht wirren Bericht der Elfe zu. Ich fand es faszinierend, ihn zuzusehen, wie er sich diese Elfe anhörte. Zumindest bis als er meinte, dass er sich das einmal gerne selber ansehen würde. Wir verstummten alle, da in seinen Worten ein auffordernder Ton war. Die meisten bezahlten spontan ihren Met oder Bier und gingen ins eigene Heim. "Ich gehe mit" entrutschte es dagegen mir. Gut, ich gebe zu, dass diese Worte nicht allzu sehr überlegt waren. Aber was hatte ich besseres vor? Es ist alle Male besser mitzumarschieren, als hier sitzen zu bleiben und sich zu besaufen. Nur Vortin sah mich abschätzig an! Oh, wie ich diesen Blick hasse! Nur weil ich eine Frau sei, solle ich nicht kämpfen können? Aber wenn ich einmal versuchen würde, mit solchen Leuten zu flirten, haben Jene wiederum meistens Angst vor mir! Immerhin versuchte dieses Exemplar von einem Mann nicht, es mir auszureden!
So nahm ich meine Streitaxt und wir marschierten noch in der Dämmerung los. Während im Westen noch das Rot der Sonne den Himmel färbte, war zur Rechten schon der volle Mond hinter Wolkenschleiern klar zu sehen. Der Weg war schwer zu erkennen; das Gras hatte auch nur ein helleres Schwarz als die dunklen Steine der Felsenküste angenommen und immer wieder mussten einzelne Hänge mit allen Vieren erklommen werden. Ausserdem bildete sich bis in Höhe der Hüften (zumindest meiner Hüften) diese Suppe, die sich hier beinahe an jedem trockenen Tag bildete und vom Meer ins Land geblasen wurde. Dies machte es nicht einfacher, einen sicheren Tritt zu finden, da man zwar sehen konnte, wohin man gehen musste, aber niemals sah, worauf man nun genau trat. Dennoch kamen wir gut voran. Es war nicht nur so, dass ich diese Gegend inzwischen kannte, sondern auch dieser Mann schien mit diesen Begebenheiten wohl geübt zu sein und bei der Elfe, Lynes hiess sie übrigens, wie wir inzwischen erfuhren, hätte man gar denken können, dass es keinerlei Probleme gegeben hätte.
Jenes grazile Wesen führte uns dann tatsächlich zu einem seltsamen Platz. Schon nach einer halben Stunde war ein schwaches Licht hinter einem Felsen zu erkennen. Mögen dort Piraten an Land gegangen sein? Und warum flackerte es nicht wie ein Feuer, wenn die Kerle dort ein Lager aufgeschlagen hätten? Ausserdem wirkte es weniger kraftvoll gelb sondern eher fahl wie ein zweiter Mond, der auf den Wassern läge. Das Leuchten schien so kalt wie der Seewind, der uns so langsam um die Körper strich und ahnnungsvoll düster in den Ohren heulte. Wir hielten inne und versuchten nachzudenken, in den Wind zu lauschen oder irgendetwas zu tun, um uns diese Merkwürdigkeit zu erklären. Eine Angst vor dem Unbekannten, welches wir zu gern erklärt hätten, hielt uns zurück. Aber durch das stehenbleiben erreichten wir nur, dass wir uns fröstelten. Es gab dennoch keine Alternative; wir erklommen auch die letzte Anhöhe.
Und dann sahen wir es aus hoher und doch nur scheinbar sicherer Lage aus: Des Lichtes Quelle war das unheilvolle Schiff selber! Wie mit Schimmel überzogen steuerte der mächtige Dreimaster dort in aller widerwärtiger Pracht die geschützte Bucht an, die 10 Schritt unter unseren Füßen lag. Die Segel waren aus weissgrauem Blasentang, der Kiel ein eigenes Korallenriff und gar die Besatzung selber aus strahlend aschfahlem Nebel die in voller Unnatürlichkeit in einer menschlichen Form blieb.

Wir hielten den Atem an.

Uns war unmittelbar klar, dass, was auch immer diese Gestalten hier an Land suchen sollten, es doch sicher nur Unheil für den gesamten Landstrich bedeuten würde. So Piraten schon in lebendiger Gestalt eine Bedrohung für jede Küste waren, umso mehr waren es sicherlich auch diese Unwesen. Und wir hatten keine Lust zu erleben, was die Besatzung hier anzustellen gedachte. Es galt nicht nur uns zu schützen, sondern vermutlich war das ganze Dorf in gar höchster Gefahr. Ein kurzer Blick genügte. Ich nickte Vortin zu und Vortin ebenso mir. Lynes war an unserem Genicke zwar nicht beteiligt, aber ihr entschlossener Griff an den Bogen verriet, dass sie dasselbe dachte, worauf Vortin und ich über die Grasnarbe sprangen und mit lautem Getöse den sandigen Hang herrunter rutschten.
Ziemlich schnell stellten wir fest, wie unüberlegt wir doch gehandelt hatten. Schon der erste Schlag gegen einen dieser Piraten ging ins Leere. Zwar wurde der getroffene Geist geteilt, aber die Nebelschwaden schlossen sich wieder. Auch wenn dieses Zusammenwachsen freilich einige Minuten dauerte, so waren wir nicht in der Lage, auch nur eines der Wesen zu besiegen. Andererseits konnten uns diese Piraten so auch nicht verletzen. Jeder Stich ging durch uns hindurch und kein Hieb fand einen Leib zum Zerschmettern. Der ganze Kampf glich einem Schattenspiel, bei dem man nur seine eigene Kampfkünster gegen imaginäre Schatten demonstrieren würde. Aber diese Gegner waren, wenn auch auf eine irreale Weise, real und sicherlich kein Produkt dreier Phantasten.
So griff dann auch Vortin mit allem Mut an. Er stürzte sich in die Menge der Piraten und zerteilte deren Geister nicht nur mit dem Schwert sondern auch mit seinem ganzen Körper. Danach musste ich dann aber auch mit Schrecken ansehen, wie sein ganzer Körper verlangsamte. Leuchtend weissen Schleier hielten ihn gebunden wie in einem riesigen Spinnennetz. Obwohl eines dieser Geister alleine keinen Widerstand bot war die Menge eine Falle aus der Hölle, die jeden standhaften Recken zu fesseln vermochte. Vortin konnte sich nicht mehr wehren und wurde von der Menge der Geister unter Deck getragen. Und auch ich hatte so langsam das Gefühl, als ob ich mich immer schlechter bewegen konnte.

Ich musste ihn nun dennoch herausholen. Es kam für mich nicht in Frage, einen Mitstreiter im Stich zu lassen. Und ich war mir sicher, dass ich mich auch auf die Elfe verlassen konnte. Dies dachte ich zumindest, bis mir just in diesem Augenblick auffiel, dass keine Pfeile mehr vom Hang herunter geschossen kamen. Anscheinend hatte sie, dieses feige Weib, Fersengeld gegeben und ist ind die Dunkelheit abgedüst. Also musste ich es alleine wagen. Nun galt es also, unter Deck zu kommen. Dafür musste ich aber erstmal einen Weg aufs Deck finden. Und die Landungsbrücke war voll von diesen weissen Widerwärtigkeiten, welche alle vom Bösen persönlich angestachelt zu sein schienen. So lief ich aufs Schiff zu an der Landungsbrücke vorbei und hangelte mich in Windeseile über tief herunterhängende Seile hoch. Überall musste ich aufpassen, nicht in widerlichen Tang oder Schimmel zu greifen. Sowieso war es ein seltsamer Griff, der gleichermaßen fest wie leer erschien. Das Schiff, welches selber fahl leuchtete und von hier aus sogar den Mond mit todeskaltem Licht überstrahlte, war nur zur Hälfte von dieser Welt.
Ich kletterte weiter an der Takelage und schwang mich über zwei Masten an eine scheinbar etwas sicherere Stelle. Ungeschickterweise erwischte ich eine morsche Stelle und krachte splitternd mit dem Rechten Fuß durch den Boden. So steckte ich nun fest und sah den Kapitän dieses Geisterschiffes auf mich zukommen. In furchterregend stattlicher Gestalt stand er nun vor mir mit einem Holzbein und einem fahlgrauem Papageien. "Dein Leben ist zu Ende" krächzte dieser geflügelte Todesbote wie wenn eine metallene Harke auf über den Bart einer eiserner Statue kratzen würde. Und selbst dieser Grabesvogel wirkte noch ungefährlich im Vergleich zu seinem untoten Träger. Hinter einem versteppten Bart und einer tiefschwarzen Augenbinde konnte ich dessen unheilvolles Gesicht sehen mitsamt seiner leuchtend blutroten Augen. Noch jetzt höre ich das Echo seiner dunklen Worte in meinen für alle Zeiten gequälte Ohren: "Auch du wirst mir bald überall hin Folgen, und einmal jedes Jahr mit mir auf Kaperfahrt Sklaven zusammentreiben!". Dies durfte nicht mein Ende sein! Ein Leben als gefesselte Seele ist so ziemlich das schlimmste Schicksal, welches ich mir vorstellen kann. Mit klammer Angst zitternd umfasste ich meine Axt fester, meinen unbesiegbaren Feind fest ins Auge gefasst. Auch wenn ich keine Chance haben sollte, so wollte ich um jede Hoffnung kämpfen. Irgendetwas musste es doch noch geben. Ich durfte nicht aufgeben... Ich konnte nicht aufgeben. Und dann kam er auf mich zu.

Plötzlich übertönte ein saphirblaues Licht die Fahle des Schiffes und mächtige Worte erhellten die tiefe Nacht. Auf dem Felsen über diese Bucht war wieder diese Elfe aufgetaucht, nicht mehr so unscheinbar zierlich sondern in beängstigender Kraft über die Natur gebietend! Lynes hatte also doch weitaus mehr drauf als vorsichtig aus dem Hinterhalt zu schiessen und ängstlich in Deckung zu gehen, wie ich zuerst angenommen hatte. Und mit ihren hallenden und schallenden Worten zog sie die Wolken zu und verbot dem vollen Mond fürs weitere das Seelenschiff zu beleuchten. Mit diesem Moment wurde auch das Leuchten der Geister und des Wracks selber kraftlos, auch wenn sich diese mir weiterhin bedrohlich näherten. Auch wenn der Kapitän am nächsten war, so hatte sich auch seine Crew nun mit bedrohlich leeren Blicken zu mir gewandt.
Der Kapitän, der im Gegensatz zu mir einen festen stand hatte, hob seinen Säbel und schlug zu. Geistesgegenwärtig parierte ich mit meiner Axt und traf zu meiner Verblüffung auf Widerstand. Sein Hieb glitt ab und traf neben mir in die Morschen Dielen, die zersplitternd krachten, worauf ich lärmend und eingestaubt im unteren Deck landete. Dieser stürzte mit und rappelte sich klappernd neben mir wieder auf. Es war ein knöchernes Klappern, welches sich auch auch seiner neuen Gestalt anpasst war. Nun fiel mir es auch plötzlich auf: Aus einem Geist war nun ein wandelndes Skelett geworden. Endlich bekam ich die Möglichkeit, diese Wesen zu schädigen. Endlich tat sich wieder ein Weg der Hoffnung auf! Ich holte aus zum freien Hieb und trennte Schädel vom Brustbein des knöchernen Kapitäns. Der Rest seines Gebeinleibes fiel polternd zusammen. Laut stürmte ich wieder an Deck und griff in wilder Raserei die Skelette an. Mit einer unstillbaren Wut im Bauch warf ich mich auf die restliche Besatzung. Ob durch Lynes' Pfeile oder meinen Axthieben, am Ende sind sie alle gefallen. Auch wenn ich selber letztendlich blutüberströmt zusammenbrach, so war es geschafft. So überlebte ich diesen Kampf und bin noch gerade einem bösen Schicksal entwichen. Ein paar Minuten habe ich sicher glücklich, aber völlig entkräftet auf dem Boden zusammengekauert gelegen, bevor ich mich wieder aufrappeln konnte. Und auch danach kam ich nur noch humpelnd und hinkend weiter.

Im Lagerraum fanden wir dann auch Vortin, der allerdings zu einem alten Greis gealtert war. Mit langem weissen, schütterem Haar, einem Buckel, knöchernd gichternen Händen und sehr sehr vielen tiefen Furchen im Gesicht konnte er nur noch gestützt gehen. Zu seinem Glück kam mit dem Verlassen des Schiffes binnen kurzer Zeit auch seine alte Jugend zurück, so dass er schon am nächsten Morgen besser aussah als ich, da ich noch einige Tage lang tiefe Wunden auskurieren musste. Dies Wunden ertrug ich aber mit Freuden.
Und heute? Heute ist liegt das Wrack immernoch am Strand dieses Fischerdorfes, auch wenn es inzwischen weiter verrottet ist. Die "Blutige Hand" hatte mit den Mächten der Unterwelt einen Pakt geschlossen, welcher ihm dieses unheilige Dasein gewährte. Nur war er von da an verpflichtet, jedes Jahr neue Seelen zu fangen. In den Tage- und Logbüchern an Bord steckte auch noch so manch anderes Geheimnis, die zu erzählen sich lohnen würde. Nur was Vortin wirklich widerfahren war, werden wir wohl niemals erfahren. Er selber schwört aber noch heute, jahrzehntelang einsam an diesem Mast gekettet gewesen zu sein.
Auch wenn ihr jetzt meint, ich hätte Euch den größten Seemannsgarn aller Zeiten aufgetischt, so ist die Geschichte doch wahr, so wahr ich Sendja Thorfinnadottir bin!
 

Enigma

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Gala

Die Erinnerung an den Winter hing noch immer milde frostig in der Luft. Aber der Wald stand schon grün, und nur der Raureif auf den Gräsern war noch eine Erinnerung an das glitzernde Weiß der kalten Jahreszeit. Das Tageslicht, das durch die Baumwipfel fiel, war noch golden abgeschwächt, anzeigend, das es erst Sonnenaufgang war.

Vortin Calo schlenderte lässig den offiziellen Waldweg entlang, die Steigungen des hügeligen Geländes mit Leichtigkeit nehmend. Seine Lederrüstung hatte keine Hosentaschen, stattdessen hatte er seine Hände in den Waffengürtel geklemmt. Die Mahlzeit, die er noch vor einer Stunde im letzten Dorf zu sich genommen hatte, war ganz vorzüglich gewesen. Nun genoß er die kaltfrische Luft, den wollig gefüllten Magen und die zarten Dürfte des erwachenden Frühlingswaldes. Heute war so ganz und gar nicht ein Tag zum finstere Bösewichte jagen. Eher fühlte sich Vortin jugendlich, wollte Lausbubenstreiche spielen und schönen Frauen nachstellen.

Er seufzte. Die Pflicht ging vor, erst recht jetzt, wo er eine feste Anstellung und ein sicheres Gehalt hatte.

Sein aktueller Fall war allerdings wirklich ziemlich hoffnungslos. Wenn er wie früher nur für den Erfolg bezahlt worden wäre, hätte er längst aufgegeben und nach etwas Erfolgsversprechenderem gesucht.

Vor über einer Woche war eine größerer Handelszug überfallen worden. Zwei der Reisenden hatten sich dabei zur Wehr gesetzt und waren niedergemacht worden. Vortin war zu diesem Zeitpunkt am anderen Ende des Königsreichs gewesen und hatte mehr als einen Tag gebraucht, um den Tatort zu erreichen. Bis dahin waren die meisten Spuren schon verwischt, die meisten Augenzeugen bereits weitergezogen und sogar die Todesopfer lagen schon ordnungsgemäß begraben. Was Vortin also wußte, war nur eine grobe Auflistung der gestohlenen Waren und eine wenig aussagekräftige Beschreibung der Banditen, welche den Überfall in der Abenddämmerung durchgeführt hatten und sich unter schwarzen Umhängen verbargen.

In diesem Moment bewies Vortin, das Alter und Festanstellung ihn noch nicht verweichlicht hatten und er immer noch ein Kind des Waldes war. Es war nur ein leises Geräusch gewesen, oder eine kleine Bewegung in seinem Augenwinkel. Aber aus jahrelang geübten Instinkt duckte er sich übergangslos trotz seiner vorigen Gedankenverlorenheit und lässigen Pose blitzschnell weg. Und keinen Moment zu früh, denn wo gerade eben noch sein Kopf gewesen war, sauste prompt eine Wurfaxt vorbei und grub sich mit einem lauten "Klack!" tief in einen Baumstamm. Sekundenbruchteile später hatte Vortin sich bereits mit jetzt gezogenen Waffen in die Deckung des Gebüsches geschlagen.

Eine große Gestalt in schwerer Rüstung brach mit Gebrüll aus dem Unterholz, die Streitaxt zum Angriff erhoben, und stürmte auf Vortins Position zu: "Hab ich dich, dreckiger Räuber ! Gib mir mein Familienerbe zurück, dann lasse ich dich am Leben !" und ohne eine Antwort abzuwarten, schlug der Angreifer mit aller Macht dort hin, wo er sein Opfer im Gebüsch vermutete.

"Halt, Stopp ! Ihr habt den Falschen !" rief Vortin, der sich gottlob schon wieder ganz woanders befand.

"Stell dich dem Kampf, du ... was ?" Die Axt schon wieder zum erneuerten Schlag erhoben, hielt der Angreifer mit verständnislosem Blick inne.

Den Angreifer jetzt erkennend, fuhr Vortin fort: "Haltet ein, Fräulein Sendja ! Ich bin es doch, der Inspektor !" Er trat ins Freie.

Sendja Thorfinnadottir trat in gründlich musternd näher, dann senkte sie sichtlich enttäuscht ihre Waffe. "Oh", machte sie. Dann, sichtlich zerknirscht: "Oh."

Trotz des eben durchlebten kurzen, heftigen Momentes der Todesangst und des Kampfes kam Vortin nicht umhin, für einen Augenblick noch einmal die überwältigende, königliche Schönheit dieser Frau zu bewundern. Ihre alabasterfarbener Haut, deren Makellosigkeit nur von ein paar frechen Sommersprossen um die Nase herum durchbrochen wurden. Ihre flammenden, aufregendem roten Haar, das lockig um ihr Gesicht floß. Ihre blassblauen Augen, so tief wie das Meer, in denen jeder Mann gerne für immer versinken würde. Vor allem aber auch ihr Gesicht und ihr Körper, groß und kräftig, aber auch so überwältigend formvollendet, wie man es sich für eine Göttin vorstellt.

Sie war beim Überfall nicht anwesend gewesen, aber man hatte eine wichtige Sendung an sie gestohlen, weshalb sie schon anwesend war, als Vortin am Tatort eintraf, und ihn gründlich in die Mangel nahm, das er ihre Wertgegenstände wiederzufinden hätte.

"... sagt mal, hört ihr mir überhaupt zu ?", wollte Sendja gerade von ihm wissen.

Vortin kehrte in die Realität zurück. Sendja, so hatte er mit halben Ohr mitbekommen, hatte sich bei ihm entschuldigt und war gerade damit beschäftigt, ihre Wurfaxt aus dem Baumstamm zu entfernen.

Zu seiner eigenen Überraschung begann er zu stottern: "Ähm, ja. Es tut mir leid, Frau Thor... dingens... äh, sehr geehrtes Fräulein Sendja." Verdammte Nordländer mit ihren langen Namen, die sich keiner merken kann. "Leider scheint es so, als ob die Räuber wie vom Boden verschluckt sind. Soweit ich es in Erfahrung bringen konnte, gab es keine weiteren Überfälle im Umkreis von Dutzenden von Kilometern, schon gar nicht solche, die der Beschreibung dieses speziellen Überfalls gleichen. Es gibt keine verwertbare Spuren oder neue Augenzeugenberichte. Ich werde weitersuchen, aber wir werden vermutlich erst dann weiterkommen, wenn und falls es noch einmal so einen Überfall geben wird."

Sendja reagierte entsetzt und heftig: "Aber mein Familienerbe ! Ich brauche es doch jetzt ! Wie soll ich ohne das Brautkleid und den Brautschmuck meiner Mutter heiraten ! Das wäre gegen alle Familientradition ! Das geht nicht !"

Vortin war zu sehr Mann, um eine schöne Frau unglücklich sehen zu können. "Wir tun unser Bestes." versicherte er hastig. "Wirklich, wir tun alles, was wir können."

"So ? Und wo habt ihr dann meinen Rex ? Würde ein Hund nicht bei der Suche helfen ?" fing Sendja plötzlich an, kritisch nachzubohren. Diese Frau war feurig und sprunghaft zugleich.

Und leider war das ein peinlicher Punkt. Dieses Viech von einem Hund, das Rex hieß, war beim Überfall dabeigewesen, da Teil des besagten "Familienerbes" von Fräulein Sendja. Aber die Räuber hatten das Tier wenig überraschend ignoriert. Sendja hatte dann Rex Vortin überlassen, damit der Geruchssinn des Hundes Vortin bei der Jagt helfen sollte. Aber Vortin war eigentlich nur heilfroh, als er das Tier endlich irgendwo unterstellen konnte. Der Hund war sowohl altersschwach, halb blind, sein Geruchssinn fast völlig verschwunden und obendrein von der hundischen Entsprechung von Altersstarrsinn befallen.

Fräulein Sendja schaute ungeduldig: "Jaaaa ?"

Vortin räusperte sich. "Nun, der Hund konnte leider nicht viel helfen." Immerhin war das die Wahrheit. "Die Spuren hatten sich schon verloren." Das könnte auch stimmen, obwohl es auch sein könnte, das ein guter Spürhund weitergeholfen hätte. "Wir haben ihn untergestellt. Es geht ihm gut !" Wenn er nicht schon im Hundehimmel ist.

"Hmm." machte Sendja erstmal nur und schaute ihn prüfend an. Vortin hielt dem Blick stand. Er hatte ja wirklich alles getan, was in seiner Macht gestanden war. Im Gegensatz zu Kriminalgeschichten bleiben in der Realität eben leider viele Verbrechen ungesühnt, wenn man nicht recht schnell einen Hauptverdächtigen findet.

"Vielleicht solltet ihr das alles nochmal euren Prinzen erklären. Der ist in der Nähe." sagte Sendja nach einer Pause.

Jetzt war es an der Zeit für Vortin, selbst einmal Sendja prüfend anzusehen. Eigentlich war es Sendja strikt verboten, sich dem Prinzen zu nähern.

Aber Sendja grinste nur schelmisch und gab direkt zu: "Der König ist mit Angriffen an der Grenze beschäftigt - und deshalb hat mein Prinz derzeit de facto das Kommando im Reich."

Vortin seufzte innerlich. Er hatte nichts in der Hand und würde wahrscheinlich auch nichts mehr in die Hand bekommen. Jetzt galt es also, Vorgesetzten Honig um den Bart zu schmieren. Warum hatte er nochmal für eine gute Idee gehalten, auf seine alten Tage eine Festanstellung anzunehmen ? Es ist ja derselbe Job wie sonst auch, aber mit sicherer Bezahlung ? Ja, genau.

---***---​

Nach dieser ersten Begegnung müssen wir die Geschichte etwas abkürzen und zusammenfassen, denn nun passierte viel, aber wenig Berichtenswertes.

Es dauerte tatsächlich nur zwei Stunden, bis sie zum Dorf kamen, in dem der Prinz lagerte.

Das Gespräch mit dem Prinzen war unerfreulich - und viel zu lang, um es niederzuschreiben. Wortreich und mit einer gewissen Herablassung, den viel älteren Waldläufer wie ein Kind belehrend und alle seine Argumente ignorierend, führte der Prinz immer wieder aus, das Vortin das Diebesgut wiederzufinden hätte. Und sonst gar nichts. Und zwar möglichst bitte bis morgen früh.

Sehr bald war Vortin wieder bester Laune, um Banditen zu jagen. Er hatte jetzt sowieso größte Lust, irgend jemanden zu verprügeln.

Hinzu kam, das Sendja längst wußte, das Vortin Rex zurückgelassen hatte. Sie hatte den Hund abgeholt und jetzt dabei. Zudem beschloß sie, mit Vortin loszuziehen. Ohne den Brautschmuck ihrer Mutter wollte sie nunmal nicht heiraten, also konnte sie genausogut mitsuchen, um den Schmuck wiederzufinden.

Am nächsten Morgen zogen die drei also los. Vortin war es schade um den Tag, den er auf den Prinz verschwendet hatte. Darum wollte er jetzt schnell vorankommen. Er stellte aber schnell fest, das der Hund immer noch genau derselbe Klotz am Bein war, wie zuvor. Und das Sendja einfach unendlich viel Liebe für den Köter hatte und völlig unfähig zu sein schien, zu erkennen, das das Tier einfach völlig nutzlos war.

Erst ein paar Tage später passierte wieder etwas wirklich Bemerkenswertes.

---***---​

Es war Mittag. Warm, aber nicht unangenehm. Sie waren inzwischen weit fernab von jeder Zivilisation. Der einzige Vorteil der Gegend war, das man sich hier wirklich gut verstecken konnte. Ansonsten war es nur ein endloser Urwald.

Vortin trug gerade wieder den Hund. Das war der einzige Weg, um schneller voranzukommen. Obwohl er sie immer wieder gefragt hatte, hatte Sendja sich standhaft geweigert, Rex irgendwo unterzustellen. Und der Hund hielt einfach nicht besonders lange durch beim Wandern. Doch plötzlich begann ebendieser Hund zu bellen, während er gleichzeitig von Vortins Rücken sprang.

"Rex, witterst du was ?" fragte Sendja. Da Hunde nicht reden können, sprang der Hund stattdessen los. Sendja stürmte ihm trotz ihres schweren Kettenhemdes erstaunlich lautlos nach. Vortin konnte kaum mit den beiden mithalten.

So liefen sie ungefähr fünf Minuten lang, dabei eine Reichweite von etwa anderthalb Kilometern überbrückend. Vortin, dessen Abstand zu den anderen beiden sich immer mehr vergrößert hatte, roch plötzlich Rauch. Er erreichte eine Lichtung. Sendja stand auf ihr und blickte um sich, mit dem wilden Blick der Kampfeswut und die Kriegsaxt schwingend, aber immer noch lautlos, ohne Ziel. Rex hingegen saß ganz friedlich über ein wenig Wildbrett, das er offensichtlich von dem Lagerfeuer erobert hatte. Das war, schloß Vortin, alles, was er gewittert hatte.

Vortin sah mit einem Blick an vielen verschiedenen Details, das es sich hier nicht um das Lager der Räuber handeln konnte. Hier hatte nur eine einzelne Person gelagert, und diese lebte nur vom Wald selbst. So war nicht mal das Essgeschirr aus Metall, sondern aus Holz. Wenn auch mit einer gewissen Meisterschaft geschnitzt.

Aber er hatte keine Zeit, das Sendja mitzuteilen. Diese brüllte: "Hab ich dick, du dreckiger Räuber !" und stürzte sich ins Gebüsch. Es blieb Vortin nichts anderes übrig, das Sendja nachzulaufen. Er versuchte zu rufen, das sie schon wieder den Falschen erwischt hatte, aber das heftige Atmen hatte ihn heiser gemacht. Er hoffte, er würde schnell genug sein, um Schlimmeres zu verhindern.

So liefen sie eine ganze Zeit lang. Ab und zu konnte er schemenhaft die Gestalt erkennen, die sie verfolgten. Irgendwann kamen sie wieder auf eine Lichtung. Auf der Rex immer noch lag, seine Mahlzeit verdauend. Sie waren im Kreis gelaufen.

Vortin konnte nun für einen Augenblick lang genau sehen, wer der Verfolgte war. Es war eine Wildelfe. Entweder noch ein halbes Kind, oder zumindest kleinwüchsig.

Vortin versuchte noch einmal, zu rufen: "Halt, Stopp, Sendja, halt ein !" aber Sendja hörte ihn nicht. Sie war wohl immer noch im Blutrausch.

Die Elfe sprang in ein Gebüsch. Sendja ihr hinterher, gewaltig zuschlagend. Vortin wurde übel bei dem Gedanken, das vor seinen Augen ein unschuldiges Kind erschlagen wurde. Aber es spitzte kein Blut. Stattdessen lief nur ein verängstigtes Eichhörnchen einen nahen Baumstamm hinauf.

Sendja stand wie angewurzelt. "Nanu ?" Vortin erreichte sie.

Das Gebüsch war leer.

Vortin schnappte nach Luft. "Sehr geehrtes Fräulein Sendja", begann er, um ihr eine Standpauke zu halten.

Dann wurde ihm plötzlich klar, das er zu der Frau sprach, die seine zukünftige Königin sein würde. Da überlegte er es sich anders.

"Ich kündige !"
 

Enigma

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Lisra

Der Abend begann damit, dass Thomas „Vortin“ Calo einen Trommelstock nach seiner Gitarristin warf. Wie immer traf er nur die unschuldige Wand, denn obwohl Silvia „Sendja“ Thorfinnadottir stolz und ohne zu blinzeln stehen geblieben war, wollte er sie eigentlich gar nicht verletzen. Wie immer zog die rothaarige Isländerin nur die Augenbrauen hoch und drehte sich dann weg um ihrer schwarzen Gibson Streicheleinheiten zu geben. Vortin seufzte. Machte sie sich jemals über andere Sorgen?

„Das kannst du nicht ernst meinen!“

Sendja drehte sich nicht um. Ihre linke Hand spielte durch Aufschlagen und Abziehen selbstständig ein Lick. E.. D.. C#.. E.. D C#.. E.. D.. C#..

„Warum nicht? Sie kann spielen, sieht ganz nett aus..“

Für einen Moment war Vortin danach auch den zweiten Stock nach ihr zu werfen.

„Darum geht’s überhaupt nicht!“

Jetzt drehte Sendja sich um. Ihr kleiner Finger schlug ein B auf der zweiten Seite, schob sich zwei Bünde höher und bog die Note einen halben Ton nach oben, während sie ihn mit ihrem Blick fixierte.

„Und worum dann, Mister Nur-Die-Musik-Zählt?“

Vortin streckte die Finger beider Hände reflexartig, ein nervöser Tick von ihm, und suchte nach den richtigen Worten. Er war sich nicht so sicher worum es eigentlich ging, aber es lag noch mehr dahinter.

„Um Vertrauen. Darum, dass man sowas einfach nicht macht! Ist doch nicht Darrens Schuld? Du suchst immer gleich Ersatz!“

Ehrliche Verwirrung schlich sich auf Sendjas Gesicht.

„Er ist doch noch in der Band. Is' ja nicht so als hätten wir ihn rausgeworfen. Es musste heute nur 'n Ersatz her!“

Der Ersatz. Ein Geräusch aus einer Ecke des kleinen Backstage Raums unterbrach das gegenseitige Anstarren. 2/3 von Burning Floor blickten auf den Ersatz, der schüchtern hinter einem Gig Bag und wilden braunen Haaren hervor lugte. Überhaupt war Braun bei ihr etwas Dominierendes. Die junge Frau hatte braune Augen, die bräunliche Haut einer Mulattin und erdfarbene Gewänder, die aussahen, als seien sie von der Wäscheleine einer besonders monochromen Hippiekommune entwendet worden. Josette Lynes wohnte wegen eines Studentenaustauschs bei Sendjas Eltern, hatte an diesem Abend nichts zu tun und konnte Bass spielen. Die rothaarige Gitarristin hatte die kleine Französin herbei geschliffen und darauf bestanden, dass sie für Darren einsprang, nachdem dieser Stunden zuvor ein Unglück mit mehreren Treppenstufen, einem Kasten schlechtem Bier und einem gusseisernen Treppengeländer gehabt hatte und noch immer auf der Intensivstation lag, den Kopf voller Mohnmilch und grünen Schäfchen.

„Ich werde mir Mühe geben...“, sagte sie langsam, jedes Wort betont, damit es klar verständlich war. Ihr Verständnis der Grammatik war einwandfrei, aber die Aussprache bereitete Jo Schwierigkeiten und gab ihr manchmal das Gefühl, eine Socke in der Kehle zu haben.

„Außerdem“, sagte Sendja, „ist JoLyn nur noch zwei Monate hier, da kann sie ihn nicht komplett ersetzen.“

Irgendwie war Sendja bei diesem Namen für die Austauschstudentin angelangt und sah nicht ein, sie jetzt bei ihrem richtigen Vornamen zu nennen.
Vortin nickte und entspannte sich etwas. Es war ja auch JoLyn gegenüber nicht fair sich gegenseitig anzuschreien, während die Kleine wie fehlplatziert auf dem abgenutzten Sofa zwischen Bierkästen, Instrumentenkoffern und den Bühnenoutfits von vier Bands, leicht verloren wirkend, hockte; es war auch nicht gerade freundlich.
Er hob seinen Trommelstock auf und brachte ein aufmunterndes Lächeln auf sein Gesicht.

„Denkst du, das klappt?“, fragte er und deutete mit dem Stock auf einen wilden Stapel von Notenpapier, der neben JoLyn auf dem Sofa lag. Sie nickte.

„Nicht so schwierig.“

Wie konnte es auch anders sein. Das Meiste bestand aus einer schier endlosen Abfolge von Cs, Gs, Ds und Fs in Achteln, kaum eine schwere Aufgabe für einen Bassisten der die erste von der zweiten Seite unterscheiden kann.

„Bis auf...“ Sie hob zwei Blätter auf und wedelte sie hin und her. In der oberen rechten Ecke war ein roter Strich gesetzt, die Markierung für ganz neue Songs.

Sendja nickte langsam. Darren hatte den Song vorgestern erst eingereicht, sein erstes eigenes Werk, dazu gedacht ihn und seinen Bass auch mal in den Vordergrund zu stellen.

„Wir haben noch ein paar Stunden Zeit“, sagte sie bestimmt, „lasst uns das ausprobieren.“


***

Nach Vortins Meinung hatte es Sendjas Charakter nicht gut getan, sich den Sohn eines wohlhabenden Unternehmers zu angeln. Sie hatte weiß Gott schon eine hohe Meinung von sich, als rothaarige Exotin und begabte Musikerin, aber er musste zugeben, dass es auch Vorteile hatte.
Ein paar Straßen von dem kleinen Jugendclub, in dem sie abends noch spielen sollten, lag eine alte Fabrikhalle. Von Stacheldraht und einer hohen Mauer umgeben hatte sie nicht viel mehr getan als vor sich hin zu rosten bis Burning Floor sie als Übungsraum erobert hatte. Dank Machwerk von Sendjas Verlobten war das Equipment mit dem sie spielen mussten auch endlich für mehr als nur Lärm geeignet.
JoLyn staunte nicht schlecht, als die Halogenlampen aufglühten. Dort wo einst eine Walze von der Größe eines Elefanten gestanden hatte lagen jetzt mehrere dicke Teppiche und darauf standen Verstärker, Lautsprecher und ein Schlagzeug.

„Whooow.“

„Fredrik ist vielleicht ein nerviger Schlipsträger, aber spendabel ist er“, sagte Vortin und wich nur knapp einem scharfen Tritt von Sendja aus. Einem solchen Tritt war Fredrik vor einem Jahr auch nur knapp entronnen, nachdem Sendja von Nahem sehen konnte, dass der Störenfried vom Konzert am Abend zuvor doch „ganz süß“ war. Vortin sagte sich immer, dass der Junge auch andere Qualitäten haben musste.

„Na dann...“, sagte Vortin, als er auf seinem Hocker Platz nahm und die Kopfhörer aufhob.

Routine kam über ihn: Beim Vorzählen die Stöcke aneinanderschlagen, einen Rhythmus beginnen, einen, zwei, drei, vier Takte bis sich die ersten Akkorde aus den Boxen quälen, Rhythmus halten, warten bis man den Bass im Zwerchfell fühlen kann, halten, dann bis auf den Puls alles hinunter brechen während sich die Gitarre austobt. Acht Takte Rhythmus, Schluss.
Vortin blinzelte ein paar Mal und wartete darauf, dass die Musik ihn wieder losließ. Er blickte zu den beiden Frauen.

„Lief gar nicht so schlecht, oder?“

„Etwas... ungeordnet...“, sagte JoLyn langsam.

„Mach dir nichts draus, das ist am Anfang immer so“, sagte Sendja und lächelte ihr aufmunternd zu. Die kleine Französin grinste verhalten und umklammerte den Hals ihrer Bassgitarre etwas fester. In diesem fremden Land, in einer rostigen Fabrikhalle, war es etwas Vertrautes.

„Vielleicht jetzt ein Lied?“, schlug JoLyn vor.

„That’s the spirit. Sen, das Intro, bitte.”

Die kleine Melodie kam nicht besonders weit, bevor sie von Schlagzeug und Bass in die Enge getrieben und verprügelt wurde. Sie kehrte jedoch mit ihrem großen Bruder zurück und bis zum abrupten Ende des Songs ließ sich kein Gewinner erkennen.

Vortin wischte sich über die Stirn und nickte zufrieden.

„Darauf können wir aufbauen.“

„Nächstes?“, fragte Sendja, während sie ihr Instrument tiefer stimmte.

Bevor Vortin antworten konnte fühlte er sein Handy vibrieren. Die Nachricht kam von Darrens Mutter. Er war endlich wieder bei Bewusstsein.


***

Es dauerte eine ganze Weile bis das Trio wieder aus dem Krankenhaus kam. Zwischen dem Ausfindig-machen des richtigen Raumes und Verhandlungen mit umsichtigem Personal verging die Zeit schneller als sie gedacht hatten.

„Wir spielen in einer halben Stunde.“

Die meisten Lieder standen noch ungeübt in der Schwebe.

„Verdammt.“


***

Das Publikum schrie begeistert, als Sendja den Ton noch höher hob, ihm das Genick brach und ihn wieder zu Boden fallen ließ. Ihre Hand fiel, packte die vibrierenden Seiten ihrer Gitarre und der Akkord verschwand abrupt.

„Dieses Lied“, rief sie „ist für unseren Bruder Darren, der im Krankenhaus liegt und sich wünscht ihr würdet auch für ihn Jubeln!“

Die vielleicht zweihundert Menschen unternahmen einen hoffnungslosen, aber liebenswerten Versuch, bis zum Krankenhaus gehört zu werden.

„An seiner Statt haben wir heute jemand ganz besonderen: Aus dem sonnigen Südfrankreich, Josetta!“

Sie wand sich geblendet im Scheinwerferlicht, unsicher, wo sie hinschauen sollte. Sendja sagte noch etwas, aber es kam nicht bei ihr an. Erst das Zusammenschlagen von Vortins Trommelstöcken riss sie aus ihrer Starre. Richtig, nächster Song... Rising Star, Crumbling Bridge.
Das Spielen gab ihr wieder Sicherheit. Sie kannte die Menschen, die hinter dem grellen Licht vor ihr standen nicht, die Sprache kam ihr nur schwer über die Lippen und alles war so gleich und trotzdem so anders hier, aber die Musik blieb gleich. Selbst wenn man den Song nicht kennt, kann man sich oft damit retten, bei der Gitarre zu bleiben. Jeder Schlag mit dem Plektrum ein Massieren des Zwerchfells der Zuhörer. Aber es war auch wieder ein Anpassen an etwas, nichts eigenes…

From this crumbling bride we watch a newborn sky

Der letzte Powerchord verhallte und das Feedback drängte sich aus den Lautsprechern. Fast ohne nachzudenken spielte JoLyn noch einen Moment weiter, kleine, unauffällige Noten, die das Ende des Liedes noch ein Stück versüßten. Sendja wischte sich den Schweiß von der Stirn und seufzte innerlich. Die kleine Uhr auf der Bühne sagte ihr deutlich, dass sie noch zehn Minuten spielen mussten. Dies war ihr letzter Song gewesen.
Sendja stand am Mikrofon und überlegte was sie sagen sollte. Ein Lied nochmal spielen? Einfach aufhören? Die Menschen vor ihnen hatten aufgehört zu jubeln und schauten ruhig, erwartungsvoll zu ihnen auf.

JoLyn hatte nicht aufgehört zu spielen. Stattdessen hatte sie eine neue Melodie begonnen, viel lauter als zuvor. Sendja wandte sich zu ihr um und wich dann hastig zur Seite, als JoLyn zum Mikrofon trat. Ihre Finger huschten über die Saiten. Dann begann sie zu singen.
Vortin verstand vielleicht drei Worte Französisch, oder fünfzehn. Jetzt wünschte er sich, er würde mehr können. Der Bass schlängelte sich unter JoLyns Stimme entlang, nur um dann hervorzutreten und der Stimme festen Grund zu geben. Kaum jemand im Publikum sprach Französisch. Trotzdem sprach die Musik zu ihnen. Nicht unbedingt so, wie es eigentlich gedacht war, aber dennoch tiefgreifend. Es ging um das Alleinsein in der Fremde, und darum, auch dort zu sich zu finden, Vertrauen in der Fremde zu finden, Freude daran, weiter am Leben zu sein. Ein Junge legte einen Arm um das Mädchen neben ihm und dachte daran, wie sie sich kennengelernt hatten. Eine Frau dachte an das langsame Fließen eines Flusses und das Spiegeln von Mondlicht auf seiner Oberfläche. Hinter dem Mischpult am anderen Ende des Raumes lächelte der granitgesichtige Besitzer des Jugendclubs für einen Moment, bevor er sich wieder auf das technische besann und die Musik in den Hintergrund verschwand.
Vortin traute sich kaum, einzusteigen, als würde er sich so aufzwingen. Er begann ganz langsam, mit Antippen des Ride Beckens, leise, glockenhelle Töne als Akzent unter dem sich konstant bewegenden Bass. Dann schlug er verhalten auf die Snare.
Vortin begleitete JoLyn noch etwa zwei Minuten. Als die junge Frau vom Mikrofon zurücktrat und ihr Bass langsam verklang, brach Sendjas Gitarre hervor, mit fast derselben Melodie, die zuvor immer wieder gespielt worden war, nur lauter, erst wehleidig, dann trotzig und schließlich kaum zu bändigen, als Schlagzeug und Bass sich ihr wieder anschlossen. Die Menge schrie begeistert.
Im Licht der Scheinwerfer lächelte JoLyn. Zum ersten Mal seit Monaten fühlte sie sich wirklich sicher.
 

Timestop

Running out of Time
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Das war jetzt so ziemlich die schwierigste Entscheidung.

Bei Tigerle kann man zumindest nicht behaupten es wäre zu dialoglastig.:D
Seine Kneipenstory fand ich recht standardmäßig, im Guten wie im Schlechten, wobei selbst mir einige Rechtschreibfehler aufgefallen sind, das verschandelt etwas das Gesamtbild. Am Lagerfeuer oder bei einem Bier erzählt könnte man vielleicht was aus der Geschichte rausholen, so wirkte sie halt wie eine bessere RPG-Quest (mit kurzfristigem Levelentzug für ein Partymitglied).

Bei Gala bekomme ich richtig das Gefühl, dass da die Zeichenbegrenzung zugeschlagen hat und gekürzt wurde (was sogar im Text selbst mehr oder minder subtil bestätigt wird). Dass seine eigene Figur nur eine Randerscheinung am offenen Ende ist, hilft da auch nicht. Zudem scheint mir die Geschichte etwas wirr. Warum stürzt sich die Wikingerbraut im Wald auf Leute die am Ort des Verbrechens auftauchen? Die rote Tante zu Besuch, kombiniert mit Berserkerrausch und grauem Star?
Trotz einiger, mal mehr, mal weniger gelungenen, humorvollen Elemente, wirkt mir das ganze etwas zusammengeschustert.

So, Lisra hat die Charaktere dann ganz in die Neuzeit transportiert, also völlig aus dem Fantasygenre genommen, was auch nicht bahnbrechend neu ist. Zudem hatte er auch mal wieder keine Lust auf eine richtige Story mit Anfang, Höhepunkt, Wendepunkt und Ende. Drama, baby.
Aber die Geschichte hat er, wie ich finde, so stilsicher von vorne bis hinten aufgebaut und so stimmungsvoll eingekleidet, die Elfin so toll umgesetzt in dem Setting, dass er dafür dennoch den subjektiven Punkt kriegt.
 

Rote Zora

Pfefferklinge
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Oha. Sehr schwere Entscheidung. Bevor ich jetzt rumkritisiere: Es hat mir Spaß gemacht alle Geschichten zu lesen, und ich bin mehrfach sehr positiv überrascht worden.

Zum Tigerle:
Cool, wenn man schon ne Dreierbegegnung hat, und muss trotzdem ohne Pirat auskommen, dann gibt es die eben als NPCs. :D
Überhaupt, soweit ich weiß, ist dies dein Debut als Erzähler in unserem Forum, und da haben sich manche viel schwerer getan. Dir gelingt eine runde, schöne, spannende Fantasygeschichte. Dabei werden beide Fremdcharaktere stimmig eingebaut und auch der eigene nicht zum Überhelden gegenüber den andern beiden Luschen aufgebaut (sowas kann ich schlecht ab). Im Gegenteil: Der Erzählcharakter gibt gleich am Anfang zu, ohne die Wildelfe verloren gewesen zu sein. Auch das muss positiv erwähnt werden: Die Erzählperspektive wird gut eingehalten, ich erfahre als Leser also auch nur das, was Sendja wirklich selber sieht, hört und denkt.
Ein Debut ohne die klassischen "Anfängerfehler" dazu mit wirklich schönen, plastischen und bildhaften Schilderungen, einer geschlossenen Storyline: Das sollte eigentlich schon für den Punkt reichen.

Aber Gala! Nachdem wir ja nun wissen, dass Gala und ich einen unterschiedlichen Humor haben, und ich darüber hinaus im letzten Wettstreit wenig mit seinem Char und seinen Geschichten anfangen konnte, war meine Erwartungshaltung nicht besonders hoch. Aber ich muss sagen: Alle Achtung!
Die Erzählperspektive auf Vortin zu legen war ein genialer Kniff. Das ermöglicht ihm, den eigenen Charakter mit den Augen des anderen anzusehen. Und genau da überrascht Gala gleich wieder: der Leser wird an der Nase herumgeführt, weil Lynes erst ganz zum Schluss auftaucht, ohne dass ihr Name fällt, ohne dass sie ein Wort sagt - und trotzdem beendet sie unwillentlich Vortins Karriere.

Davor eine nette Geschichte die vom Kontrast einer (manchmal etwas übertrieben grob gezeichneten) Sendja mit einer thorwalerisch wirkenden Einfältigkeit und dem erfahren-vorsichtigen Vortin lebt. Wie gesagt: Sendja wirkt hier und da schon unglaubwürdig, mit ihrem "Blutrausch" alles was sich im Walde regt gleich niedermachen zu wollen, das würde ihr niemals ihr Familienerbe zurückbringen. Auch sind ein paar stilistische Fehler (in dem sonst sehr ansprechendem Stück) drin. So etwas wie "offizielle Waldwege" gibt es selbst heute nur in Deutschland - im Mittelalter waren selbst Straßen nur etwas breiter ausgetretene Pfade. Auch die Erwähnung von "Kriminalgeschichten" wirkt als Anachronismus. Und dann ist da ein kleiner Wackler in der Erzählperspektive drin, wenn nämlich Leser eigentlich die Welt aus Vortins Augen sieht, aber dann selbstverständlich von Sendja Torfinnadottir die Rede ist - obwohl Vortin den Namen ja selber vergessen hat.

Sei's drum! Es ist eine hübsche Geschichte geworden, auch mit einer schönen Charakterentwicklung bei Vortin, der Sendja erst fürchtet, dann bewundert und schließlich - wo es nicht um sein, sondern anderer Leben geht - genug verachtet, um seine Pensionsansprüche aufs Spiel zu setzen. Das ist stimmig und ich habe es gern gelesen. Sollte für einen Punkt reichen können.

Aber dann kommt ja noch Lisra. Zunächst habe ich genacht: Nee, mein Lieber, wenn du jetzt ne reine Band-Szene schreibst, und nicht irgendwie über nen Songtext, nen Tagtraum oder irgendwas anderes den Sprung ins Fantasy-Genre schaffst, kriegst du meinen Punkt nicht. Es ist einfach zu einfach, von den Charakteren nur die Namen zu grabben, und dann ne ganz eigene Story zu schreiben.

Wenn das Schule macht, bemüht sich bald keiner mehr um ne stimmige Charakterstory, wenn am Ende doch nur Band-Proben, Klassenfahrten, Studi-Parties und Arztromane dabei rauskommen. Und die dann auch noch gegenüber stimmigen Fantasygeschichten den Punkt holen. No, nay, never.

Tjaaa... :rolleyes::rolleyes::rolleyes:

Im Grunde hat Lisra es ja doch geschafft, die Charaktere einzubauen. Svendja ist auch bei ihm thorwalerisch in ihrer Entschlusskraft und Sturheit, Vortin der bedächtigere, vorsichtigere, erfahrenere. Und Lynes das zarte, verletzliche Wesen aus einer anderen Welt, die aber mit ganz eigenen Kräften aufwarten kann, um den Rest zu retten.

Allerdings sollte Lisra seine Korrekturleser hängen lassen, denn die bröckelnde Braut im Refrain sorgt für unfreiwillige Komik an einer wirklich ganz verkehrten Stelle. :D:D:D

Ein kleiner Wackler in der Erzählperspektive ist hier auch zu vermerken. Woher weiß Vortin, dass Jo bei der Aussprache der Fremdsprache das Gefühl hat, eine Socke in der Kehle zu haben? Das Perspektivenproblem gilt auch für den allerlertzten Satz, aber das würde ich als "Absicht" werten.

Insgesamt besticht Lis' Geschichte durch das sehr stimmige Setting, man hat wirklich das Gefühl, in das Leben einer Band einzutauchen, durch ein paar Fachbegriffe wird dieses "Insider"-Gefühl noch verstärkt. Daneben originelle und aussagekräftige Bilder und Metaphern, nicht nur die Socke, sondern auch die grünen Schäfchen haben mich zum Schmunzeln gebracht.

Und so ein versöhnliches Ende, ausgerechnet bei Lisra, der doch sonst von schwarz aus die Steigerungen des Dunkels dekliniert! Und er hat Galas Charakter nicht gleich beim ersten Post umgebracht!

Wenn das keinen Punkt wert ist....

ZORA
 

Gala

Labyrinth-Leichnam
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Nur das Wichtigste:

Ich habe bei meiner Geschichte nichts gekürzt.

Meine Geschichte spielt definitiv in den Vergessenen Reichen, nicht im Mittelalter.

Einen offiziellen Waldweg gabs schon in der Steinzeit und bei Naturvölkern; mit dem Satz ist schlicht und ergreifend gemeint gewesen, das er sich nicht durchs Unterholz schlägt.
 

Zelon Engelherz

Wachritter des Helm
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Punkt für Tigerle und Lisra.

Tigerle schreibt ein schönes Seemanns(-frau)garn und erzählt es ohne große Mängel. Dann auch noch als Ich-Erzähler, das ist fast immer ein sicherer Garant für meine Stimme:D.

Lisra müssten wir ja eigentlich einmal böse anschauen und an den Ohren ziehen, denn mit seiner Bandgeschichte schummelt er sich mal eben aus den Vorlagen heraus und schreibt das, was er kennt und kann.

Aber das tut er wieder so gekonnt, dass man sich einfach gezwungen sieht die (gute) Qualität der Geschichte anzuerkennen und man zumindest diesmal ein Auge zudrücken kann.

Aber nächstes Mal wollen wir Fantasy lesen, klar;):D?

Gala ist schwierig.

Irgendwie tue ich mich immer schwer, mich von seinen Texten fesseln zu lassen und zum Schluss weiß ich auch nicht mehr, worum es ging.

Das war auch diesmal der Fall, so leid es mir tut und von daher kann ich auch nicht sagen, was mich jetzt groß an diesen Text störte, wenn überhaupt:(.
 

Rote Zora

Pfefferklinge
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Nix für ungut, Gala, "offiziell" klingt einfach zu "offiziell", klingt für mich nach Eintragung in die amtliche topographische Karte, nach Markierungen und Muschelkalk. Und wenn ich schreibe: "klingt für mich wie" - dann ist das genau so subjektiv gemeint wie es da steht. Ich bin eben drüber gestolpert. Dass du nix anderes gemeint hast als ein Waldläuferpfad der manchem mehr als nur Vortin bekannt ist, war mir schon klar, deshalb wurde es unter Stil, nicht unter Inhalt angemerkt
;)
ZORA
 

Mantis

Heilende Hände
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Vorab: Es steht doch in den Regeln des Wettbewerbs, dass ausdrücklich jedes Setting erlaubt ist. Wenn nun Lisra also seine Geschichte in eine reale Welt übertragen möchte, und skull seine Geschichte in der germanischen Sagenwelt ansiedelt, dann ist das nicht nur erlaubt, sondern meiner Meinung nach auch wünschenswert. Mehr Abwechslung tut diesem Wettbewerb gut, finde ich. :)

Zu den Geschichten...

Lisra schafft es ganz gut, alle Charaktere in die reale Welt zu importieren - die sind nicht nur anhand ihrer Namen wiedererkennbar, sondern auch am Aussehen und am Verhalten. Durch den Zusatz "Austauschstudentin" kommt auch noch mal ein zusätzlicher Fremdheits-Aspekt dazu, der Galas Charakter mMn gerecht wird. Schön fand ich, dass Lynes eben nicht nur fremd und verschüchtert bleibt, sondern dass schließlich doch noch mehr in ihr steckt als alle dachten.
In der Geschichte an sich passierte jetzt nicht allzu viel, da hätte als Ausgleich etwas mehr Gedankeninhalt von Vortun, etwas mehr Introspektive gut getan, glaube ich.
Das Detail vom verletzten Bassisten hat mich jetzt kein Stück bewegt, dafür wusste man einfach zu wenig von ihm - oder das Falsche. Wenn der besoffen die Probekellertreppe runter fällt, erregt das bei mir nicht gerade Mitleid, muss ich zugeben... Daher kam auch das "wir widmen ihm dieses Konzert" nicht wirklich bei mir an - leider ebensowenig die die Beschreibung des Effekts des letzten Liedes auf das Publikum. Das kam mir irgendwie übertrieben vor, für die gewählte Erzählperspektive, oder auch nur fehl am Platz.
Ich konnte mich auch leider gar nicht für die bildhafte Sprache begeistern ("sie brach dem Ton das Genick" und dergleichen), aber wie all die anderen Punkte ist auch das eine persönliche Vorliebe... ^^


Tigerle macht hier meiner Meinung nach ein schönes Debüt, und hält sich auch durchgehend an seine Erzählperspektive - und dann auch noch die des ich-Erzählers... Respekt! Ich finde, das ist mit eine der schwierigeren Perspektiven.
Die grundlegende Geschichte fand ich auch gut - schlüssiges Zusammenbringen aller Charaktere, die doch mehr gemeinsam haben, als man auf den ersten Blick gedacht hatte. Auch schön, dass niemand übermächtig ist, oder ein Charakter unfähig gemacht wird - Zusammenarbeit führt hier zum Sieg, auch mal schön zu lesen. :)


Gala hat sich meiner Meinung nach auch sehr seit dem letzten Wettbewerb verbessert - vor allem, was meinen ewigen Hauptkritikpunkt betrifft, das "regelwerknahe Schreiben". Respekt dafür, ich finde, man erkennt einen deutlichen Stilwechsel, zum Guten hin!
Formell hab' ich noch ein paar Sachen bezüglich der Wortwahl zu kritisieren - den vielgenannten "offiziellen Waldweg" - sieh Zora; es hätte gereicht, ihn einfach "Waldweg" oder "Waldpfad" zu nennen, um ihn vom Unterholz zu unterscheiden. Das ist zwar nur ein Detail, aber eins, was hängen bleibt.
Hin und wieder fallen mir dann auch noch andere Wörter auf, die - meiner Meinung nach - einfach nicht in das Setting der Geschichte passen (Festanstellung, Inspektor, "Nanu",...), weil sie, nun ja, nicht "episch" genug sind.
Inhaltlich... ich hab mich etwas an diesem Hund aufgehangen, dessen Sinn sich mir nicht direkt erschließt. Vortin Calo ist schließlich ein Waldläufer, der sollte es auch alleine auf die Reihe kriegen, ein paar Spuren zu folgen. Dass Sendja nun auf einmal doch heiraten kann/darf, obwohl sie eigentlich (laut Tigerles Hintergrundgeschichte) nur die Geliebte des Kronprinzen ist und auch keine Hoffnung auf eine Heirat hat, hat mich auch etwas gestört. Ich finds gut, wenn man sich bei den Wettbewerbsgeschichten zumindest an den Hintergrundgeschichten der anderen orientiert, und nicht Dinge dazu erfindet, die im Gegensatz zur Hintergrundgeschichte stehen.

Aber auch noch was Positives: Schön, dass Gala die Erzählperspektive eines Fremdcharakters gewählt hat, dass keiner der Charaktere übermächtig gezeichnet wird, und niemand der eindeutige Verlierer der Begegnung ist. Interessanter Sinneswandel von Vortin, bei dem man sich schon von Anfang an gefragt hat, was zur Hölle er sich eigentlich von dieser Festanstellung verspricht, als freier Waldmensch der er ist. Und eindeutige Pluspunkte dafür, den eigenen Charakter nur beiläufig zu erwähnen, ihm aber dennoch eine wichtige Rolle zukommen zu lassen. :)
 

Timestop

Running out of Time
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Ich lass mich ja gerne widerlegen, aber...
*Rechtsanwalt beauftragt und Regeln konsultiert*

Also ich lese da:
Beweisstück ABC
Wie gewohnt gilt:
Genre und Setting sind Fantasy.


Wozu haben wir denn sonst alle Fantasy- oder fantasynahe (Sagen und Legenden) Charaktere genommen? Sind wir zu unkreativ?:eek: Keine Ameise die sich für James Dean hält? Kein Straßenkehrer (oh, das hatten wir schon).

Nene, das gibt Abzüge bei der B-Note.:p
 

Mantis

Heilende Hände
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Ups :D

ich dachte, dass sich das mit dem Fantasy-Genre nur auf die Charaktere bezieht, und dass die Geschichte, die dann dabei heraus kommen soll, frei ist, was das Setting betrifft.

Naja, das bewahrt mich jetzt davor, denselben "Fehler" zu machen :D

Und ich wollte damit keineswegs sagen, dass alle anderen Charaktere oder die Geschichten unkreativ wären - nur eben, dass ich es auch mal ganz schön finde, etwas anderes zu lesen. ^^
 

Enigma

Suchender
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Mea culpa.
Ich habe mich im Charakter-Thread noch einmal anders entschieden:

'Wählt bitte eine Figur, die in ein Fantasy-Umfeld passt. In euren Geschichten dürft ihr gerne vom Fantasy-Setting abdriften, aber aus Fairness gegenüber euren Mitschreibern sollte es nicht unnötig schwer sein, eure Hauptfigur zu "handhaben".'

Nächstes Mal gebe ich mir Mühe, das bereits im Ankündigungsthread zu erwähnen. ;)

 
 

Christa

Universaldilettantin
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Punkt für Tigerle, weil mir die Geschichte super gut gefallen hat. :up:
 
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