Zelon Engelherz
Kohres Kopf schmerzte, der Schweiß trat aus allen Poren und sein Magen schien nach einer weiteren Entleerung zu schreien. Stöhnen drehte er sich auf seiner notdürftig errichteten Lagerstatt hin und her und meinte dabei seine Gelenke brechen zu hören.
Ihm kam der Gedanke, dass er vielleicht im sterben lag.
Er schloss die Lider, ließ sich das Gedachte durch den Kopf gehen und atmete einmal tief ein und aus, was dafür sorgte dass weitere Wellen des Schmerzes ihn überrollten.
Vielleicht war es auch der Schmerz, der die letzen Schlösser in seinem Kopf entzweiriss und längst verschlossen geglaubte Türen mit ungeahnter Kraft aufriss, denn nun begann sich das Jetzt für ihn zu verschwimmen und nach neuen kosmischen Gesetzen zusammenzusetzen.
Er selbst erlebte im Geiste seinen Alterungsprozess rückwärts, seine Haut wurde schmutziger und erinnerte sich daran seit drei Monaten nicht mehr gebadet zu haben, während in seinen Haaren wahrscheinlich die Läuse mit den Zecken um den Platz der dominanten Spezies kämpften.
Doch all das war nicht von Bedeutung, den Kira hatte für sie beide ein Brot gestohlen und lächelte ihn an. Zwar erwähnte sie auch den blöden Belvin, doch für den kleinen Kohres war das irrelevant .
Kira war bei ihm.
Sein älteres Ich wimmerte, ob nun auf Grund der physischen Schmerzen oder etwas anderem, wagte er nicht weiter zu überlegen.
Ob sie dort oben auf ihn warten würden?
Gab es an diesem Ort überhaupt einen Platz für ihn?
Seine Gedanken meinten darauf schon eine Antwort zu wissen und er versuchte sich von ihnen abzulenken, indem er sich von den geistigen Strömungen treiben ließ und weiter, immer weiter zurück ging in die Stadt in der grau die dominierende Farbe war und Möwengeschrei einen weckte.
Khores erinnerte sich.
*
Nach dem Tod seines Wirtes vor wenigen Tagen, hatte Drauger sich schon Sorgen gemacht. Nicht dass der Geist sich nicht von dem verswesenden und seelenlosen Leichnam hätte entfernen können nein, dies wäre ein leichtes gewesen.
Allerdings hätte es ihn auch wieder damit konfrontiert wieder alleine zu sein und das brachte ihn die Erinnerung des Erschauerns wieder in sein Gedächtnis zurück, worauf er gut und gerne hätte verzichten können.
Doch zum Glück hatte sich dies in den letzten Stunden zum Guten hin geändert.
Denn mochte sein einstweiliger Wirt auch erhängt haben, der Mann der ihn gefunden hatte bot genügend Potential um den Hunger Wissenshunger des ätherischen Wesens zu genüge zu stillen und seine neugierige Natur für einige Zeit zu beschäftigen.
Abseits der ihn inzwischen Wohlbekannten Aura eines Depressiven, haftete dem Mann in der weißroten Uniform und den tiefen Augenringen ein, wohl nur für Drauger sichtbarer, silberner Schimmer an, der ihm den Hauch von etwas viel Älteren, viel Interessentaren als er selbst es darstellte verlieh.
Drauger war mehr als nur erpicht darauf herauszufinden worum es sich handelte und drang in den Menschen ein. Es gestaltete sich viel einfacher, als er es sich ausgemalt hatte, jedoch wurde er zu Beginn von einem Sammelsurium an Gedankenfetzen überrollt, die ihn vor Schreck fast dazu brachten wieder zu fliehen.
Es waren Erinnerungen an alte Schlachtfelder und elfische Gesänge, gewürzt mit geselligen Runden an Lagerfeuern und große Zuneigung für alle deren Gesichter auftauchten.
Bilder eine Mutterfigur mit spitzen Ohren und strahlenden Lächeln, an eine junge Frau mit fast demselben Lächeln und eine kleine Gnomin mit Schuppen haut und der Fähigkeit Feuer zu speien, überfluteten ihn und erfüllten sein Dasein mit Entzücken. Es folgten Emotionen, gute wie schlechte und wohl so etwas wie Erkenntnisse und anschließend das Gefühl von Endgültigkeit, durchzogen mit einer harmonischen Ruhe, der anschließend die Dunkelheit des Nichts folgte, wovor Drauger zurückweichte, aber alles in allem sehr zufrieden mit dem was er gesehen und vor allem erlebt hatte war.
Allerdings verwirrte ihn der zeitliche Rahmen der Erinnerungen ein wenig, da sie sich über einen Zeitraum erstreckten der weit über die aktuelle Lebenszeit des Menschen hinausreichen müssen, jedoch opferte er dem nicht viel Zeit, da eine neue Präsens die Bilder zu verdrängen begann und ihn mitriss in eine viel dunklere und abgründigere Gedankenwelt, als die davor.
Es war ein Festmahl an Sinneseindrücken für den Geist.
Angst wurde mit den Qualen des Hungers und hilfloser Wut zu einem wohlschmeckenden Ganzen vermischt und ergänzte sich perfekt zu den allgegenwärtigen Bildern von grauen Straßen , dunklen Gassen, versetzt mit der Frische der Seeluft und dem höhnischen Geschrei von Möwen über seinen Kopf.
Es folgten weitere Erinnerungen, zumeist um ein junges Mädchen in jugendlichen Jahren kreisend, die jedoch schlussendlich von einer einzigen Szene verdrängt wurden, die langsam aber sicher in den Fokus von allem rückte und ihn, Drauger, zum großen Protagonisten dessen was kommen sollte machte.
Er war nun nicht mehr der Geist Drauger, sondern ein Junge von zehn Jahren, schmutzig, zerlaust, hungrig.
Er ging nun die dunkle Straße eines der verruchteren Viertel der Stadt entlang ,unter seinen zerlumpten Kleidern ein Messer und Wut in seinem Herzen.
Seine Gedanken waren nur auf ein Ziel gerichtet, einen Jungen, sieben Jahre älter als er und viel stärker.
Doch das machte nichts , denn er hatte ein Messer.
Er kam zu einem Gebäude, an dessen Eingangstür ein Schild hing, auf dem eine errötende Frau mit Fischschwanz abgebildet war.
Einige Meter davon entfernt sah er eine Gestalt in einer Ecke sitzen und ihr Gesicht in ihren Handflächen bergen, um sie herum lagen die Überreste einiger Krüge, leer.
Er ging auf die Gestalt zu, ohne zu zögern, hatte er sie doch erkannt da sein Lachen auch nicht anders klang als die Laute die er nun von sich gab.
Er fürchtete sich nicht, da er das Messer hatte.
Er ging auf den jungen Mann zu, der kurz darauf das Gesicht hob und die Augen zukniff.
Er lächelte als er ihn auf ihn selbst zugehen sah.
Er wagte es ihn anzulächeln, nach alldem was er ihm angetan hatte!
Er war nun schon fast da, roch schon den billigen Wein im Atem des Jugendlichen, der seinen Namen sagte, die Arme ausstreckte und dabei die Rötung seiner Augen im fahlen Fackelschein zu erkennen gab, in deren Winkeln sich schon die Tränen wieder daran machten sich zu sammeln.
Doch der Junge achtete auf all dies nicht.
Dazu war das Messer zu stark.
Der Rest war verschwommen und getränkt in Angst und Blut, gefolgt vom ziellosen Rennen durch die scheinbar noch dunkler gewordenen Straßen der Stadt.
Für den Jungen war dies schrecklich keine Frage, doch für Drauger selbst war dies nur ein müder Abklatsch dessen was er zuvor erlebt hatte, keineswegs mit der Intensität des Zorns des Jungen zu vergleichen, der ihn für einige Momente wieder an der kosmischen Nichtigkeit des Lebens und der Begrenzungen einer jeden Existenz hatte teilhaben lassen.
Er wollte mehr.
Also begann er sich auszudehnen, mit seinen ätherischen Sinnen die Gedankengänge des Menschen weiter abzusuchen, bestrebt diese Szene wieder zurückzurufen und sich ein weiteres Mal an dem Erlebten zu laben.
Er stieß dabei auf keinen großartigen Widerstand und konnte daher schnell die Kontrolle übernehmen, brachte die Szene wieder zurück, ging dieselben Straßen wieder entlang und spürte das Messer wieder unter seinen Kleidern. Wieder war der junge Mann nicht mehr weit und wieder badete der Geist in Zorn und Hass und damit auch das Leben selbst.
Es waren wieder nur noch wenige Schritte bis er vor ihm stand, doch als sein Ziel diesmal den Blick an ihn richtete, erschrak Drauger, denn die Iris des Jugendlichen und auch das Weiß in seinen Augen waren durch leuchtendes Silber ersetzt worden und seine Stirn eindeutig zornig gerunzelt.
Und als er diesmal sprach, mit einer Stimme die ihm nicht gehörte, war es nur ein einziges kaltes Wort, in dem die Wut von tausend Sterblichen zu liegen schien.
,,RAUS!”
Nun war es an Drauger Schmerzen zu fühlen. Schmerzen jenseits aller Vorstellungskraft, die an ihm zerrten und über das Begriffsvermögen des Fleisches weit hinausgingen.
Er wurde zerrissen, nach draußen gedrängt und obwohl er sich verzweifelt wehrte, war die Macht des Wortes doch zu stark und er wurde wieder zurück in die düstere Welt der Sterblichen zurückgeschickt, von unvorstellbaren Qualen geplagt, die erst mit den ersten Strahlen der Sonne enden sollten.
Und ihn einsam zurückließen.
*
Der Drang sich übergeben zu müssen, weckte Khores aus dem unruhigen Halbschlaf, in dem er sich in seinem Zustand befunden hatte und die Bilder in seinem Kopf verfolgten ihn auch den Rest der Nacht, sodass seine Laune dementsprechend gedrückt und sein Körper rechtschaffen müde war.
Khores selbst achtete jedoch nicht darauf, denn sein Geist weilte in ganz anderen Sphären.
Belvin war von ihm im Zorn erstochen worden.
Es war eine schlichte Feststellung, mehr nicht.
Selbst nach all den Jahren verspürte er nicht einmal im Ansatz so etwas wie Reue und seine Abscheu gegenüber den damals älteren Jungen, war nicht geringer geworden.
Durch seine Dummheit war Kira umgekommen, so jedenfalls die bis heute logischste Erklärung für den Söldner und durch seine Dummheit war der Junge schlussendlich wieder alleine gewesen.
Mehr gab es dazu nicht zu sagen und für ihn, Khores, hatte diese Geschichte, auch nur eine von vielen die sich täglich auf den Straßen Baldurs Tors zutrugen, ihr Ende vor den Toren des Helmtempels und mit Mutter Lara geendet.
Bei dem Gedanken an die Priesterin, schloss er die Augen und seufzte einmal schwer, als ihr Gesicht vor seinem geistigen Auge erschien.
Auf ihre Art hatte sie ihn immer ein wenig Kira erinnert und sie war es auch, die ihm einst den Weg ebnete der ihn eines Tages zur Flammenden Faust führen würde. Sie hatte ihn Lesen und Schreiben und war in der Lage einige der Wunden in seinem Innern heilen zu lassen.
Und oft enthielten ihre Lehren auch, ungewöhnlich für eine Priesterin eines so strengen Gottes wie Helm, Abhandlungen über die Bedeutung eines Wortes, dessen Erwähnung ihn bis heute noch Bauchschmerzen bereitete.
Er öffnete wieder die Augen und sein Blick glitt zu dem Schwert, das nur einen Handschlag entfernt neben ihm in seiner Scheide ruhte. Ihm kam der Gedanke, dass er weiter musste. Also griff er nach der Waffe und gürtete sie sich um die Taille, griff auch nach dem gestern gefundenen Geldbeutel, seinen letzten Eigentümer hatte er am gestrigren Tag an einem Baum baumelnd gefunden, seinen restlichen Sachen und trat hinaus in die morgendliche Welt, in der ihm die Sonne schon jetzt viel zu warm erschien und die Luft kaum zu atmen war.
Er blickte nach oben, kniff die Augen zusammen und in einer rein instinktiven Geste streckte er den Arm gen Himmel aus, wie um ihn zu berühren.
Erneut fragte er sich, ob es dort oben einen Platz für ihn gab.
Ihn, der bis heute nicht in der Lage dem Sinn des Wortes Folge zu leisten, da dies bedeutete zu vergessen und er dies nicht wollte.
Für ihn, der seine Tat als wahre Gerechtigkeit ansah, in einer Welt in der die Sünder weiterlebten und ihre Opfer sich tief unter der Erde schlafen legten.
Ihn, der ,,kleine Bruder“ seiner liebste Freundin, Schwester und Beschützerin, die sich zumindest in ihrer kleinen Familie, bestehend aus ihr, ihm und Belvin, Frieden gewünscht hatte.
Kohres Arm glitt kraftlos nach unten, seine Augen wendeten sich vom Himmel ab und auf den Boden unter ihm und ihm wurde klar, dass er die Antwort auf seine Frage kannte, spätestens als er das erste Mal bei Mutter Lara beichtete.
Sein Blick wendete sich gen Osten, zum weiten Horizont, zu jenem unbekannten Ziel, welches dort am Ende des Weges liegen mochte. Der Sünder setzte langsam einen Schritt nach dem anderen, die Zukunft vor ihm und die Vergangenheit hinter ihm.
Auf der Suche nach etwas, von dem er noch nicht ahnte und jener Erlösung, die nur durch jenes Wort, das in allen Zungen der Welt nur als Vergebung bekannt war, erlangen konnte.