Gala
Dunkle Träume - Helle Tage
Tempel der Tymora, Baldurs Tor
Der Raum war stickig und stank nach Weihrauch. Hinter einem gewaltigen Schreibtisch aus massiver Eiche thronte ein alter Priester, der derartig dick war, das er sogar nur von der Anstrengung des Sitzen und dabei Essens angestrengt keuchte und rot anlief. Aufgestanden war er wegen seines enormen Gewichts schon seit Jahrzehnten nicht mehr, so lange, das er sich kaum noch daran erinnern konnte, wie sich überhaupt anfühlte, zu stehen. Selbst das Fenster, das er im Moment gerne öffnen würde, war deshalb für ihn in unerreichbarer Ferne. Dies hob seine Laune genausowenig wie die Tatsache, das die gewaltige Menge Essen in dem Topf vor ihm mal wieder völlig zerkocht war.
Er hatte sich gerade eine neue Ladung Nudeln auf die Gabel bugsiert, als sich die Tür öffnete. Ein willkommener Zug frischer Luft zog in das mittelgroße Studierzimmer. In dem Türrahmen stand eine verhüllte Gestalt, die sich sogleich verbeugte. Sie trug einen Umhang aus auffällig groben Stoff, aus dem nur zwei dünne Arme und der Griff eines Bastardschwertes herausschaute. Das Gesicht war, auch nachdem die Verbeugung beendet war, im Dunkel der herabgezogenen Kapuze verborgen. In der Linken hielt der Neuankömmling ein Emblem, wie es Kleriker als Zauberfokus benutzen. Es war eines der Mondgöttin Selûne: zwei weibliche Augen umgeben von sieben Sternen, silbern auf blauem Hintergrund. In der anderen Hand wurde eine Waffe gehalten, ein Streitkolben, die traditionelle Waffe der Selûne und ihrer Kleriker. Diese hielt die Gestalt knapp unter dem Kopf statt am Griff - um sie vorzuzeigen, nicht damit anzugreifen. Im Gegensatz zu dem Umhang machte alles andere einen sehr wertigen Eindruck.
Eine wunderschöne, sanfte Stimme, die man nicht sicher einem Mann oder einer Frau zuordnen konnte, erklang: "Guten Tag ! ... und guten Appetit. Soll ich gleich noch einmal vorbeikommen ?".
Da der Priester praktisch die Hälfte seiner Lebenszeit am Essen war, war dies kein guter Vorschlag. Er winkte also mit der freien Hand den Gast herein, während die andere Hand bedächtig die Nudeln in den Teller zurückbalancierte. "Kommt nur herein, wie ist euer Name und was ist euer Begehren ?"
"Mein Name ist Isillilta Sidhmacil, Silberstern der Selûne, wie ihr an Symbol und Waffe erkennen könnt. Erspart mir bitte, mein Gesicht vorzeigen zu müssen - es wäre für euch kein schöner Anblick. Mir ist zu Ohren gekommen, das die Priester der Tymora Hilfe bei einem magischen Experiment benötigen ?"
"Guten Tag, Isilta, ich ..."
"Isillilta !" korrigierte der Verhüllte entschieden, aber nicht unfreundlich.
"Oh ja." Mit Bedauern sah der Sitzende, wie der Eingetretene die Tür hinter sich schloß und damit den Strom frischer Luft abschnitt. "Guten Tag, Isillilta. Mein Name ist Elric - Ein Glücksbringer der Tymora, wie man schon vermuten konnte." Er deutete eine Verbeugung an.
In seinem Kopf sprangen dabei ein ganzer Haufen Fragen herum. Warum trug Isillilta außer einem Streitkolben auch noch ein Bastardschwert ? Und war er ein Mann oder eine Frau ? Elric beschloß, von einer Frau auszugehen, denn die meisten Priester der Selûne sind weiblich. Aber warum kombinierte sie ein Tuch eines Bettlers mit ansonsten hochwertiger Ausrüstung darunter ? Für Armutseide sind Priester der Selûne nicht bekannt, und wer Armut schwört, trägt ja auch nicht unter einem schlechten Tuch gute Kleider. Warum trug sie an der rechten Hand noch einen weiteren Seidenhandschuh über den Lederhandschuh ? Und wie hatte sie von diesem Problem gehört ? Es war ja nicht so, als ob der Tempel damit hausieren gegangen wäre.
Elric lehnte sich nach hinten und beschloss, das er Isillilta genügend vertraute und sowieso nicht viel Schaden entstehen konnte: "Eine Gruppe von Abenteuern haben kürzlich dem Tempel der Tymora aus Dankbarkeit für den Schutz der Göttin einen alten, vermutlich elfischen Text vermacht, auf den sie in einer alten Ruine gestoßen waren. Nun ist der Tempel des Glücks und des Abenteuers nicht gerade eben dafür bekannt, alte elfische Texte zu sammeln. Die Schriftrolle soll also verkauft werden, es ist aber unklar, worum es sich genau handelt und wieviel man von wem dafür verlangen kann. Einfache Erkenntnismagie, über die wir durchaus verfügen, versagt an dem Artefakt völlig. Ein Magier aus der Stadt hat versucht, uns zu helfen, ist aber ebenfalls gescheitert. Wir haben dann überlegt, ob wir den Text nach Kerzenburg schicken sollen. Leider sind die Gelehrten dort aber dafür bekannt, Wissen zu horten und unzugänglich zu machen, und sie zahlen dafür dann sogar auch noch eher schlecht, wenn überhaupt. Es ist deßhalb überlegt worden, vielleicht einen der wirklich mächtigen Magier zu kontaktieren, wie etwa Elminster."
"Das hört sich für die perfekte Aufgabe für mich an.", stellte Isillilta fest: "Die alten Elfenreiche sind seit jeher meine Passion und Hauptinteresse gewesen. Ich würde auch gratis arbeiten, schließlich ist der Tempel der Tymora eine enge Verbündete der Selûne. Ich helfe euch gern."
"Nun ... das klingt hervorragend.", sagte Elric und lächelte: "Es wird aber auch keine Schande sein, falls ihr versagen solltet. Der Text ist nämlich wahrscheinlich tausende, wenn nicht über zehntausend Jahre alt. Soviel zumindest konnte der Magier herausfinden. Wir vermuten einen Magiespruch, von der Art und Weise, wie man sie heute gar nicht mehr aussprechen kann, wegen der Veränderungen der Magie seit dieser Zeit."
"Ich stehe ganz zu euer Verfügung."
"Dann kommt morgen wieder, es wird dann alles vorbereitet sein, das ihr die Schritrolle untersuchen könnt."
"Sehr wohl. Einen schönen Tag euch, Glücksbringer Elric !"
"Einen schönen Tag euch, Silberstern Isilta."
"Isillilta.", korrigierte Isillilta ihn mit leichtem Vorwurf in der Stimme.
"Entschuldigung. Isillilta."
Nachdem der Verhüllte gegangen war, sinnierte Elric noch eine ganze Zeit über diese bemerkenswerte Begegnung nach. Dann bemerkte er, das er vergessen hatte, um die Öffnung des Fensters zu bitten. Und sein Essen war auch kalt geworden.
Eine Taverne, Baldurs Tor
Auch Diebe hatten manchmal Feierabend, auch wenn das Damoklesschwert von Verhaftung, Folter und Gefängnis beständig über ihnen schwebte. Heute abend aber hatte sich eine Gruppe von einem Dutzend Schattendieben in einer der lokalen Tavernen eingefunden. Es waren weit mehr Leute als nur die Schattendiebe anwesend, aber der Wirt war ein Alliierter von ihnen, und ansonsten waren nur Einheimische und Bauern aus der näheren Umgebung präsent. Letztere hatten heute ihre Waren auf dem Markt angeboten und würden morgen wieder heimfahren. Jeden im Raum hatten die Diebe schon hunderte, wenn nicht tausende Male gesehen. Sehr wahrscheinlich war also kein Spion der Flammenden Faust darunter.
In dem großen Schankraum, der fast vollständig besetzt war, ging es laut her. Angesichts der Vielzahl der Gäste hatte der Wirt einen Barden bezahlt, um aufzuspielen, was den Lärmpegel, nicht entgegen der Interessen der Diebe, noch weiter gesteigert hatte. Die Diebe selbst saßen etwas abseits, an einem einsamen Tisch in der Ecke neben der Theke und der Tür zur Küche, wo strategisch angebrachtes wattiertes Tuch an der Wand den Lärm ein wenig dämpfte und verhinderte, das man sie allzu leicht belauschen konnte.
Kurz, die Bedingungen waren ideal, sich zu entspannen und einen über den Durst zu trinken.
Einer der Schattendiebe war eine ausgesprochen schöne Halblingsdame namens Frida Gernegroß, eine Meisterin des Diebesfachs, spezialisiert auf eine flinke Zunge, besaß aber auch ebensolche Finger und Füße, und verstand sich schon aufgrund ihrer Rasse hervorragend auf das sich Verstecken. Sie war einer Derjenigen in der Runde, die keinem alkoholischem Getränk zugesprochen hatten - sie hielt das auch unter diesen Umständen immer noch für unprofessionell. Trotzdem scherzte und lachte sie mit den Anderen, während sie an einem einfachen aber schmackhaften Saft nippte, den sie, in dieser Hinsicht ganz Halbling, mit eigenen Gewürzen noch ziemlich fachmännisch verfeinert hatte.
Es war nur ein Hauch, nur ein Kribbeln, nur das allerleichteste Streicheln - aber Frida drehte sich sofort zur Tür, als diese sich öffnete und einen kurzen leichten Luftzug verursachte. Obwohl sie sich ganz schnell umgedreht hatte, hatte der von einem dunkellila Umhang völlig verhüllte Neuankömmling die Tür schon wieder hinter sich geschlossen und stand jetzt still und ruhig einfach da.
Frida streckte warnend die Hände mit einer bestimmten Geste in die Runde. Mitten im Satz und ohne die Lautstärke und Sprechweise zu ändern wechselte der derzeitige Sprecher das Thema von der besten Art und Weise, Edelleute auszurauben, zu den Handelsbedingungen in Baldurs Tor. Und bis auf Weiteres würde das Gespräch weiter solche harmlosen Bahnen ziehen.
Während sie nicht mal mit einem Viertelohr noch der Konversation folgte, versuchte Frida den Verhüllten einzuschätzen. Seine Aufmachung hätte den Eindruck eines Magiers verursacht, wäre der Stoff nicht ausgesprochen grob und billig. Eine Verkleidung, urteilte Frida, und eine verdammt schlechte obendrein. Stoff dieser Qualität würde Zauber in Wahrheit kaum halten können, meinte sie zu wissen.
Das Gesicht war vollständig unter der tief heruntergezogenen Kapuze verborgen, und selbst der angestrengteste Blick Fridas konnte in dem trügerischen Dämmerlicht der Tavernenbeleuchtung nichts von den Gesichtszügen ausmachen. Der Kopf war aber eher schmal und länglich, wie von einem Elfen, auch wenn die Gestalt doch eher die Größe eines Menschen hatte. Trotz des weiten Umhangs war leicht zu erkennen, das der Träger eher schlank, wenn nicht gar hager war. Dies und auch die Grandezza, mit der die Figur einfach dastand, verstärkte den Eindruck eines Elfen, ja gar eines arroganten Sonnenelfen.
Der Eindruck von Eleganz und Beschwingtheit verstärkte sich noch, als der Eingetretene sich offensichtlich entschieden hatte, wohin er sich wenden wollte - und sich direkt auf sie zubewegte. Das waren die Schritte eines Künstlers, eines Tänzers. Frida vermutete einen Barden: aber warum würde sich ein Barde derart miserabel verkleiden ? Außerdem bemerkte sie nun, das die Person unter dem Umhang eine, nein sogar zwei Waffen unter der Kleidung trug - links wohl ein Schwert, rechts eher eine Art Knüppel.
Bevor sie sich weitere Fragen stellen konnte, war der Fremde auch schon herangetreten und sprach sie direkt an, da sie in seine Richtung sah. Das Thema am Tisch schien sich auf das Wetter geändert zu haben. Kein Wunder eigentlich, denn was wissen einfache Diebe schon von Handelssituationen.
"Guten Tag. Ich benötige eure Dienste.", erklang leise und freundlich im Plauderton eine auffallend magnetische Stimme: "Schlachtdienste. Ich hoffe, es ist ein Schlächter anwesend ? Gerne auch noch ein Gehilfe."
Die Stimme hatte einen enormen Effekt auf Frida. Sie war völlig gebannt und verzaubert von ihrer Schönheit. Das mußte ein wahrer Meisterbarde sein ! Verdattert starrte sie nur noch auf den Fremden, nahm kaum war, was er eigentlich gesagt hatte. Daraufhin wiederholte der Fremde seine Anfrage mit Geduld und ein bisschen Amüsement. Ah, ja, Schlachtarbeiten. Okay, ... kein besonders subtiler Hinweis, worum es ging, und trotzdem unschuldig genug für den Ort. Normalerweise hätte Frida hieran großen Anstoß genommen, denn sie haßte Mord. Unter dem Einfluß der Stimme allerdings war sie gewillt, jede Menge Ausreden zu erfinden, nur um den Fremden nicht für seine Anfrage im schlechten Licht sehen zu müssen. Auch lahme Ausreden würden genügen, sie zu überzeugen.
"Es geht um Großvieh, ich zahle gut, und es ist dringend. Das Vieh scheint an einer Seuche erkrankt zu sein, und die Krankheit sollte sich auf keinen Fall ausbreiten."
Frida nickte. Sie verstand. Es ging um hohe Personen, die Bezahlung würde gut sein, und es handelt sich um eher weniger nette Zeitgenossen. Sie seufzte. Manchmal muß man der Gerechtigkeit wohl eben ein wenig nachhelfen, dachte sie. "Ich kenne einen guten Schlachtmeister.", hörte sie sich sagen: "Er kann morgen ..."
"Entschuldigung, aber es ist wirklich dringend. Geht es nicht schon heute abend ? Der Weg ist weit, wir müssen uns beeilen." unterbrach die Stimme aus dem Dunkel der Kapuze.
"Hmm. Okay. Aber das kostet natürlich extra, denn eigentlich ist ja Feierabend." Nicht wirklich, dachte sie innerlich. Als Dieb hat man wirklich niemals Feierabend. Sie fuhr fort: "Dann geht jetzt vor die Tür, wir kommen gleich nach."
Als der Fremde sich entfernt hatte, blickte Frida in die Runde. "Kennt jemand vielleicht diese Person ?" fragte sie leise. Ein großes Schulterzucken. Nur der andere Halbling in der Runde nickte: "Ja, das ist Isillilta, ein Abenteurer und Magier." Ein MAGIER ? Wieso bewegt er sich denn dann mit solcher Eleganz ? Ich hätte auf jeden Fall auf einen Barden gewettet ! wunderte sich Frida. "Hat die Dienste unser Gilde bisher nie in Anspruch genommen. Ich hab ihn aber einmal zu beklauen versucht. Er hat mich sofort erwischt, mich aber nicht angezeigt, sondern mir stattdessen großzügig etwas Geld zugesteckt, mit der Erklärung, das er den Diamanten, den ich ihm entwenden wollte, noch dringend bräuchte, um damit Leben zu retten."
"Gut." meinte Frida, war aber verwirrt. Ein Magier, der eine enorm sympathische Stimme hat, sich wie ein Tänzer bewegt und anscheinend mit hohen Klerikersprüchen Tote zum Leben erwecken kann. Daraus werde ich jetzt nicht schlau. Das paßt alles hinten und vorne nicht zusammen. "Ino. Das ist ein Auftrag für dich." Sie wandte sich an einen kleineren Menschen, einen farblosen Langweiler, der den ganzen Abend schweigsam geblieben war und an einem Glas Wasser nippte. Er war eigentlich nur als Schutz dabei, nicht weil irgend jemand seine Gesellschaft suchte. "Hol dein Schlachtermesser" - gemeint war seine Armbrust, aber das wollte Frida nicht laut aussprechen - "wir brechen sofort auf, ich komme mit dir, auch wenn ich noch nie Gehilfe für Schlachtarbeiten gemacht habe, aber ich denke, ich schaffe das schon."
Ino nuschelte etwas Unverständliches.
"Was ?" fragte Frida.
"Habs schon dabei, wir können sofort los.", brummte Ino.
"Gut.", stellte Frida wieder fest: "Dann gehts jetzt wirklich sofort los. Auf Wiedersehen, ihr Anderen, und habt Spass." Sie selbst, vermutete sie, würde eher keinen haben.
Mulsantir, Raschemen
Vier Tage später staß Frida abends im kalten Wald. Es war absolut still. Der Himmel war wolkenverhangen, und es war sehr dunkel.
Sie warteten auf Ino, das er von dem Auftrag zurückkehren möge. Der Magier, der sie hier her teleportiert hatte, saß neben ihr. Seinen Namen hatte sie natürlich inzwischen herausgefunden, auch, das er wirklich ein Elf sein mußte. Das hatte er ihr nicht gesagt, aber sie hatte festgestellt, das er meditierte, statt zu schlafen, so, wie es ihres Wissens nur Elfen tun.
In den vergangenen drei Tagen hatten sie die Ortschaft in der Nähe erkundet, wo auch das ausgewählte Opfer wohnte. Es war Mulsantir in Raschemen. Frida war noch nie derart weit entfernt von Baldurs Gate gewesen. Dieses Land hier war ihr völlig fremd. Allerdings wurde auch hier die allgemeine Sprache auch hier gesprochen, so das es keine Verständnisprobleme gab.
Es hatte sich schnell herausgestellt, das ein Halbling hierzulande, zumal ein weiblicher von bemerkenswerter Schönheit, so auffällig war wie ein bunter Hund, egal wie man ihn verkleidete. Es gab ansonsten fast ausschließlich nur Menschen hier. Das hatte Fridas Nützlichkeit deutliche Grenzen gesetzt, denn ein zu auffälliger Dieb ist nun mal ein schlechter Dieb. Er blieb den Leuten im Gedächnis, so das er nicht mal mehr als Ablenkung taugte. Ino schien das aber nur recht zu sein, der arbeitete wohl sowieso am liebsten allein. So hatte Frida sehr viel freie Zeit gehabt, die sie oft damit zubrachte, über Isillilta nachzudenken, aber wirklich schlau war sie aus ihm trotzdem nicht geworden.
Sie glaubte, Isillilta war ein Mann, aber das war vielleicht nur Wunschdenken ihrerseits. Sie liebte diese Stimme abgöttisch, so sehr, das es ihr oft schwerfiel, zu hören, was sie eigentlich sagte, weil sie sich ganz auf den Klang der Stimme und die Schönheit der Wortwahl konzentrierte. Gab es Verbindungen zwischen Elfen und Halblingen ? Sie glaubte nicht.
Sie hatte ein heiliges Symbol bei ihm gesehen, wie es Kleriker benutzen, auch wenn sie die Symbole darauf nicht zuordnen konnte. Gab es vielleicht Kleriker, die wie Magier teleportieren können ? Sie wußte es nicht.
Auch das Gesicht hatte sie immer noch nicht gesehen. Unter der Kapuze trug Isillilta einen schwarzen Maskenhelm. Zum Essen nahm er denn unteren Teil der Gesichtsmaske ab, hielt dann aber den Kopf gesenkt, so das man auch dann nichts vom Gesicht sehen konnte. Das Essen selbst war gut, wie die Halblingdame positiv vermerkte: es war frisch vom lokalen Markt gekauft und Isillilta schien einiges an Kochkünsten zu beherrschen, bei denen ihm Frida gerne noch zur Hand ging.
Ino hatte gute Arbeit geleistet. Nach drei Tagen wußten sie einen geeigneten Ort und eine geeignete Zeit für den Anschlag. Isillilta gab Ino vier magische Tränke und schärfte ihm ein, wie sie zu verwenden seien. Drei sollten in einer bestimmten Reihenfolge vor dem Attentat getrunken werden, der vierte war ein Unsichtbarkeitstrank und sollte nach dem Attentat drankommen. Danach sollte Ino so schnell wie möglich die Stadt verlassen, noch bevor der Mord auffiel und das Stadttor verschlossen würde. Besonders sollte er darauf achten, nichts zu berühren und nicht zu schnell zu laufen, sonst würde die Unsichtbarkeit versagen.
Dann verwandelte Isillitla Ino mittels eines Zaubers optisch in einen Einheimischen. Der Zauber war so stark, das selbst eine Meisterdiebin wie Frida hätte schwören können, wirklich einen Einheimischen vor sich zu haben. Isilillta hatte Ino zum Stadttor begleitet, um kurz vor dem Tor den Zauber noch einmal zu erneuern. Er erklärte, das dieser spezielle Zauber ein recht einfacher war und nur kurze Zeit anhielt. Durch die Verwendung eines solch geringen Zaubers hoffte Isillilta weniger aufzufallen, den hierzulande lebten sehr mächtige Magier. Schon bald nach dem Durchqueren des Tores würde Ino daher wieder zu Ino werden. Zu diesem Zeitpunkt sollte er deßhalb möglichst bereits im ausgewählten Versteck liegen.
Nun war alles getan. Ino hatte die Hauptaufgabe zu erledigen. Für Frida blieb, wie in den vergangenen Tagen des Öfteren, nur das Warten.
Sie warteten lange.
Irgendwann war klar, das etwas schiefgelaufen sein mußte. Trotzdem warteten sie noch etwas länger.
Und noch etwas länger.
Irgendwann schlief Frida ein.
Und irgendwann war es morgen, aber Ino war immer noch nicht zurückgekehrt.
"Berufsrisiko.", murmelte Frida leicht verschlafen, aber traurig. Sie hatte Ino nie leiden können und haßte, was er tat. Aber trotzdem hatte sie sich nicht gewünscht, das ihm etwas Böses zustößt.
Sie gingen.
Sie hatten den Unterstand, in dem sie die vergangenen Tage gelebt hatten, bereits zerstört und wollten gerade endgültig fortgehen, als Ino doch noch auftauchte. Seine Kleidung war voller Blutspritzer. In der einen Hand hielt er seine Armbrust, in der anderen seinen Giftdolch mit blutiger Klinge. Trotzdem schien er gutgelaunt, ja geradezu euphorisch.
"Hallo Leute", brüllte er regelrecht, in absolut fröhlichem Ton: "Auftrag leider nicht ausgeführt, die Zielperson war tot." Er schniefte ein bisschen, als täte ihm das leid, strahlte aber weiter übers ganze Gesicht. "Naja, Bezahlung gibts aber trotzdem, oder ? Was ein herrlicher Tag ! Bezahlt, ohne was dafür tun zu müssen ! Das ist wunderbar !"
Stille.
Dann frage Isillilta verblüfft: "Wie ist das Opfer denn gestorben ?"
"Oh, irgend jemand Anderes hat es erschossen gehabt, als ich ankam. Was für eine schöne Blume !" jauchzte Ino und beugte sich nieder ins Gras.
"Und warum", konnte Frida nicht an sich halten: "Ist euer Dolch blutig und ihr habt einen leeren Köcher für die Bolzen euer Armbrust ?"
"Eine wunderschöne Blume, wirklich !", ignorierte Ino sie anscheinend in aller Unschuld: "Was ein herrlicher Tag ! Ich möchte, das alle Tage nur noch so herrlich sind !"
"Ino", fragte Frida streng: "Habt ihr getrunken ? Seid ihr auf Drogen ? Was ist los ?"
"Oh, etwas trinken könnte ich wirklich, wenn ich darüber nachdenke.", sinnierte Ino, ohne allerdings den Blick von der Blume zu heben: "Oh, ein wunderbarer Tag ist heute. Findet ihr nicht auch ? So schön hell. Das Leben ist wunderbar !"
"Wie habt ihr die Stadt verlassen ?", fragte Isillilta.
"Das war ganz einfach, die Stadtwachen waren tot. Irgendwer hat sie erstochen." lächelte Ino selig.
"Was ist euer Name ?", fragte Isillilta ernst.
"Ino." kam die prompte Antwort.
"Was ist euer Beruf ?", fuhr Isillilta fort.
"Oh, ich bin glaub ich Diplomat oder sowas." sinnierte Ino, mit einem kuriosem Gesichtsausdruck, so als ob er sich nicht wirklich erinnern könnte.
"Wie alt seid ihr ?"
"30, bald 31. Ich bin noch so jung ! Das ganze Leben liegt noch vor mir ! Es ist alles wunderbar !"
"Wo lebt ihr ?"
"In Baldurs Tor, eine schöne Stadt an der Schwertküste, voller Händler und Mitgliedern aller möglichen Rassen, die aus allen Himmelsrichtungen dorthin kommen. Es macht Spaß, dort zu leben ! Immer was los !"
"Wir müssen hier fort", entschied Isillilta, zu Frida gewandt: "was auch immer passiert ist, Ino hat anscheinend eine ganze Reihe Menschen getötet. Wir können jetzt erst einmal keine Magie mehr benutzen, denn dann fallen wir auf. Wahrscheinlich wird bereits intensiv nach Ino und eventuellen Verbündeten gesucht. Wir müssen zu Fuß Abstand gewinnen, bis ich gefahrlos die Magie brechen kann, die auf Ino wirkt."
"Kommt", sagte Isillilta zu Ino und packte ihn am Arm: "Ihr ..."
"NEIN !", sagte Ino plötzlich in aller Entschiedenheit und stach Isillilta mit dem Dolch in den Hals.
Frieda schrie vor Schreck auf, dann hielt sie sich die Hände vor den Mund.
Isillilta fiel zu Boden. Eine Blutlache breitete sich unter ihm aus. Keine große, denn das Herz hatte schon aufgehört zu schlagen.
"Oh, was hast du, Isillilta ?", fragte Ino erstaunt: "Zuviel gegessen, vielleicht ? Würde dir mal guttun ! Ich sollte auch essen ! Vielleicht sollte ich euer Geld an mich nehmen, damit ich auch etwas zu Essen kaufen kann !"
Er beugte sich über Isillilta, um nach Geld zu suchen. Während er das noch tat, verschwand der Leichnam plötzlich.
Jetzt schrie Frieda wirklich.
Das war kein guter Tag. Keiner der folgenden Tage sollte gut sein. Und Frida sollte bald herausfinden, das die Nächte noch schlimmer sind.
"Ein wunderbarer Tag. Ich liebe Sonnenschein.", strahlte Ino: "Wo ist eigentlich Isillilta ? Sollte der nicht hier sein ?"
Frieda lief weg, aber Ino folgte ihr einfach.
Isilliltas Magierturm
Eine Dunkelelfe schön zu nennen, ist eigentlich schon fast so, als ob man einen Schimmel weiß nennt. Dunkelelfen, ob weiblich oder männlich, waren praktisch ausnahmslos von großer Schönheit, noch mehr als andere Elfen. Zu häßliche Dunkelelfen, besonders adelige, waren von Lolth, der bösartigen Dämonengöttin der meisten Dunkelelfen, seit Jahrtausenden brutal aussortiert worden.
Doch Eli war selbst unter Dunkelelfen eine Besonderheit, die hervorstach. Nicht nur durch die absolute Formvollendung ihrer überwältigenden Schönheit, sondern auch durch für Dunkelelfen völlig untypische Sanftheit ihrer fliederfarbenen Augen, und durch die wie Mondlicht leuchtenden Haare.
Ihr einziger Fehler war, das sie nicht wirklich real war. Eli war ein Simulacrum, eine seelenlose Scheinexistenz, eine von einem Magier erschaffene Kopie einer realen Person, unter völliger Kontrolle dieses Meisters. In Elis Falle sogar die Kopie einer Göttin. Und entsprechend mächtig war selbst diese Scheinexistenz auch, mit den voll entwickelten Fähigkeiten eines Meisterbarden ausgerüstet.
Also solcher hatte sie vergeblich versucht, eine Wiederbelebungs-Schriftrolle auf den toten Körper ihres Meisters Isilliltas anzuwenden. Ein mächtiger göttlicher Schutzzauber hatte dessen Leichnam fast unmittelbar nach seinem Tode in den Tempel teleportiert. Es war ein kleiner, in den Magierturm integrierter Tempel eben ebenjener Göttin, von der Eli eine Kopie war. Leider hatte diese Schriftrolle nicht funktioniert. Es war nicht so, als ob Eli nicht die Kompetenz besaß, die Schriftrolle zu benutzen, und es war nicht so, als ob sich die Seele weigerte, in ihren Körper zurückzukehren, oder das sie verhindert war. Es war nur so, als ob die Leiche ihres Meisters kein gültiges Ziel des Zauberspruchs darstellte, was Eli trotz ihrer intimen Kenntnis aller Formen der Magie nicht nachvollziehen konnte. Es schien, als ob die Seele ihres Meisters bereits unmittelbar nach seinem Tod einen neuen Körper gefunden hatte.
Die Indizien für seltsame Vorgänge verstärkten sich, als einige Stunden, nachdem der Leichnam aufgetaucht war, die Mondklinge des Meisters vom Leichnam verschwand. Ein Besitzer einer Mondklinge ist von der Präsenz seiner Waffe abhängig; ohne diese stirbt er nach einer Weile. Deshalb hatte ihr Meister die Klinge mit einem Zauber versehen, mit der er sie immer zu sich rufen konnte. Irgendwo war ihr Meister also wohl immer noch am Leben. Aber warum teleportierte er sich nicht heim ?
Eli machte sich tagelang Sorgen. Isillilta hatte ihr streng verboten, den Magierturm zu verlassen. Erst recht seit dem Verschwinden der Göttin war Eli völlig unersetzlich, und als Simulacrum konnte sie nicht wie andere Lebewesen geheilt oder von den Toten zurückgerufen werden. Eine Verletzung bedeutete, das sie aufwendig repariert werden mußte. Der Tod beendete die Magie, die sie aufrechterhielt, worauf sie unersetzbar verloren wäre.
Endlich erschien Isillilta an seinem Teleportportal. Er war komplett nackt und trug nur die Mondklinge in seinen Händen. Vor allem aber war er - jung. Schelmisch lächelte er Eli an. "Du wirst nicht glauben, was mir passiert ist !"
"Nein, ich glaube wirklich nicht, Meister. Was um alles in der Welt ... ? Wieso seid ihr wieder jung ? Ihr seid 300 Jahre alt !"
"Ich hatte im Unterreich noch ein altes Experiment vergessen, das ich vor Jahrhunderten gemacht habe. Die Herstellung eines Klons ! Es war offensichtlich geglückt, und ich hatten der Klon derart gut geschützt, das er auch nach Jahrhunderten noch lebensfähig war. Und da war ich nun, in dem eigenen alten Laboratorium, völlig nackt und nach meinem Tode erst einmal ohne jede Magie, und außerhalb lauerten hunderte Anhängern Lolths !"
Isillilta lachte.
"Aber ich war frei ! Das erste Mal seit Jahrhunderten frei vom Fluch des dreimal vermadeilen Rings von Lolth und der ewigen Schmerzen, die er mir bereitete ! Und ich war plötzlich wieder jung. Es war wunderbar. Erst dachte ich, ich wäre im Himmel und ein Engel, so beschwerdefrei war mein Körper plötzlich. Und doch ..."
Hier schluckte Isillilta und hielt einen Moment inne.
"... war es auch schrecklich, dort unten zurückzukehren. Es ist gut, das ich Elf bin und nicht träume, sonst hätte ich vielleicht noch heute täglich Alpträume von der Unterwelt."
Tempel der Tymora, Baldurs Tor
"Das ist der vollständige Bericht.", log Isillilta ein wenig, als er Glücksbringer Elric einen Stapel Papier überreichte, in dem absolut nichts über Isilliltas Ausflug in die Unterwelt oder sonstige persönliche Hintergründe stand, die Elric nichts angingen. "Ich habe lange gebraucht, bis ich die beiden Schattendiebe wieder gefunden habe."
Isillilta fuhr fort: "Leider wirkt der Trank, der in der Schriftrolle beschrieben ist, nicht so, wie wir gehofft hatten. Das Opfer bekommt nicht Gewissensbisse für alle seine Untaten, sondern es vergisst einfach völlig, jemals etwas Böses getan zu haben. Es behält auch die Fähigkeit, nach seiner Natur weiter Böses zu tun, ja diese Tendenz verstärkt sich noch weiter, auch wenn es sofort vergisst, was es gerade getan hat.
Der Effekt kehrt sich allerdings um, wenn das Opfer schlafen geht. Ab diesem Zeitpunkt quälen es unsägliche Alpträume. Ist im Wachzustand alles positiv und hell, so wird im Schlaf alles düster. Ist das Leben im Wachzustand eine endlose Glückseligkeit, so wird die Welt im Traum so düster, als wäre niemals etwas Gutes oder Positives passiert. In diesem Zustand beginnt das Subjekt erst recht gefährlich zu werden, den nun greift es alles an, was sich in der Nähe befindet, fest überzeugt, das es nichts Gutes auf der Welt gäbe.
Nur weil der andere Schattendieb wirklich pfiffig ist, konnte sie überhaupt überleben. Sie stieg auf Bäume und band sich dort oben fest. Da der Attentäter schlief, verfiel er gar nicht erst auf die Idee, Bäume zu erklettern, oder sonst eine koordinierte Handlung zu vollziehen. Er hat allerdings vielfach Raubtiere getötet, welche durch seinen Lärm angelockt wurden. Dadurch hatten die beiden allerdings auch immer genug Fleisch zum Essen.
Hinzu kommen verschiedene mächtige Effekte, die das Opfer beschützen. Nur weil ich den anderen Schattendieb fokussiert habe, konnte ich überhaupt den Aufenthaltsort herausfinden.
Insgesamt habe ich ein Dutzend seiner Opfer wieder zum Leben erwecken müssen, plus Kompensation für die Unbill, plus die Verärgerung der Hexen. Ein wirklich bemerkenswerter Berg Kosten. Ich hätte doch eher nach Thay gehen sollen, das wäre zwar noch viel gefährlicher gewesen, aber ..."
"Warum seid ihr überhaupt nach Raschemen gegangen ?", unterbrach Elric.
"Oh, ich hatte sowieso in der Gegend zu tun.", antwortete Isillilta eher ausweichend: "Natürlich habe ich auch die Schattendiebe kompensiert. Die Begleiterin sah so aus, als ob sie mit ihrem Anteil sich lieber einem ehrlichen Leben zuwenden wollte. Sie ist trotz ihrer Fähigkeiten auch schlußendlich zu gutherzig für eine Karriere als Schattendieb."
"Es war also alles ein gewaltiger Mißerfolg.", stellte Elric fest: "Schade. Sehr schade. Ein Trank, der gewissenlosen Menschen ein Gewissen gibt, das wäre eine wirklich wunderbare Erfindung. Wir könnten auf Gefängnisse völlig verzichten. Die Verbrecher würden sich selbst bestrafen und sich zuverlässig bessern."
"Ja." Isillilta schaute auf den wie immer vollen Teller Elrics. Diesesmal hatte er darauf verzichtet, guten Appetit zu wünschen, weil er es inzwischen als Sarkasmus empfand, das zu tun. "Es wäre schön gewesen." Für ein ganzes Volk, dachte er im Stillen. "Allerdings werden viele Verbrechen einfach aus Hunger oder verletztem Gerechtigkeitsgefühl begangen, das sollte man nie vergessen.
"Es wird am Besten sein, wenn ihr die Schriftrolle einem der großen Magier schickt.", fügte Isillilta hinzu: "In der Allgemeinheit kann sie nur Schaden anrichten."
"Ich gebe sie euch.", entschied Elric: "Ihr habt uns geholfen, sie zu entschlüsseln, und dann große Opfer gebracht, um ihren Inhalt probehalber anzuwenden."
"Danke. Vielleicht kann ich irgendwann dieses Rezept verfeinern, das man es für etwas Sinnvolles einsetzen kann."
Nach einiger weiteren Konservation verabschiedete sich Isillilta und ließ Elric mit seinem Essen allein. Er begab sich in die Sonne. Es störte ihn nicht, das diese ihn nun blendete, nachdem der Spinnenring ihn nicht mehr vor dem Licht schützte. Dafür hatte er auch keine ständigen Schmerzen mehr. Wenigstens seine eigenen Tage war dauerhaft heller geworden.
Aber auch seine Nächte dunkler. Denn nur allzu gründlich war er daran erinnert worden, was in der Unterwelt geschah. Für manche Alpträume mußte man nicht träumen.