[Schreibwettbewerb - Runde IV] Mantis / Timestop

Wer hat die bessere Geschichte geschrieben?

  • Mantis

    Stimmen: 6 54,5%
  • Timestop

    Stimmen: 5 45,5%

  • Umfrageteilnehmer
    11
  • Umfrage geschlossen .

Enigma

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Wir nähern uns den höheren Rängen. Eine themenreiche Lektüre steht euch bevor. ;)

 
 

Enigma

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Mantis

Das große Fressen
Oder: Beinahe



Prolog

Am Hang des Wolkengebirges erhebt sich wie aus dem Gestein gewachsen die Burg Wolfenfels. Schwarz und stolz ragt sie über dem kleinen Städtchen gleichen Namens empor, und ihre Kerker reichen bis tief in den Berg hinein. Man erzählt sich, dass niemand der einmal diese Kerker betreten hat jemals wieder herausgekommen ist, was dazu führt, dass die Bevölkerung von Wolfenfels-Stadt zu den gesetzestreuesten der Region gehört.
Doch abgesehen von einigen wenigen Eingeweihten weiß niemand, was in den Tiefen der Kerker von Burg Wolfenfels tatsächlich geschieht.


~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ * ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~


“Bald ist es soweit, Igudor.” Der schmächtige Gehilfe nickte nur, war er doch nicht einmal davon überzeugt, dass sein Meister ihn überhaupt wahrnahm.
“Tage- und nächtelang haben unsere Alchemisten an der Rezeptur gearbeitet, und heute nacht, vor nur wenigen Stunden ist es ihnen gelungen, das Serum herzustellen. Hier in meinen Händen halte ich die Geheimwaffe, die diesen Krieg, ach, was sage ich – alle Kriege für uns entscheiden wird!” Heinrich von Grundingen lachte, ein trockenes, heiseres Lachen das bald in einen Hustenanfall umschlug.
Bis zu einem gewissen Grad konnte Igudor die Begeisterung seines Herren nachvollziehen: wenn – falls – dieses Experiment gelingen würde, konnte selbst der Tod die Armeen von Wolfenfels nicht mehr aufhalten. So ganz gelang es ihm jedoch nicht, sich darüber zu freuen, doch wenn man die Tatsache betrachtete, dass er schon Wochen in dieser feuchten, schlecht beleuchteten Krypta zugebracht hatte ohne das Tageslicht zu sehen, zur Gesellschaft nur den möglicherweise verrückten Heinrich von Grundingen und die Toten, dann konnte man es Igudor kaum verübeln.

“Unbesiegbar werden wir sein, mein Junge! Unbesiegbar, hörst du?” Igudor nickte wieder, doch sein Herr war schon wieder herumgewirbelt und hantierte mit einem kleinen Flakon und einer langen Nadel am leblosen Körper eines Soldaten, der seine besten Tage eindeutig hinter sich hatte. Seit Wochen schon.
Igudor sah nicht, was dann geschah, doch er erkannte, dass es gelungen sein musste. Ein Schauer lief über seinen Rücken, als er sah wie der Fuß des toten Soldaten zuckte. Unwillkürlich wich er zurück.
Heinrich von Grundingen trat ebenfalls einen Schritt zurück, um ehrfürchtig und selbstzufrieden sein Werk zu betrachten, das sich mit grauenhafter Trägheit aufrichtete und dann mit einem Pfflumpff von der steinernen Bahre glitt.
“Haha! Es ist vollbracht!!!”
Mit einigem Widerwillen drehte er sich von seinem Werk weg, das mehr an Ort und Stelle zu hängen schien anstatt zu stehen, und wandte sich an seinen Gehilfen. “Eile, Igudor. Lauf zu den Alchemisten und sag ihnen, dass das Serum perfekt ist! Wir brauchen mehr davon, und schnell! Jetzt kann uns nichts mehr aufhalten!”

Heinrich von Grundingen sah nicht, wie die belebte Kreatur hinter ihm unendlich langsam den Kopf hob und aus leeren Augenhöhlen in seine Richtung starrte. Er sah auch nicht, wie sich die vermoderten Arme ausbreiteten und seinem Hals näherten.
Was er sah, war der Schrecken auf Igudors Gesicht, ebenso wie dessen ausgestreckten Arm, der mit zitterndem Finger auf etwas hinter ihm wies. Also drehte er sich um.
Es war wohl in diesem Moment, dass Heinrich von Grundingen begriff, dass er einen fatalen Fehler begangen hatte.
Doch da war es bereits zu spät.


~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ * ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~


Es war ein ruhiger Abend im Herbst. Der verfärbte Laub hing noch an den Bäumen, und ein leichter Nebel hing über den Feldern und Wiesen. Die Straßen und Gassen der kleinen, schläfrigen Stadt am Fuße des Wolkengebirges waren wie leergefegt – die Menschen hatten sich in ihren Häusern vor der beginnenden Kälte verbarrikadiert. Der Schein zahlreicher Kaminfeuer drang aus den Fenstern nach draußen, ein Versprechen von Wärme und Geborgenheit mit sich bringend.
In der Taverne – die einfach nur “die Taverne” genannt wurde, da es das einzige Etablissement dieser Art in Wolfenstein-Stadt war – herrschte reger Betrieb. Nicht nur die Stammgäste aus Wolfenstein hatten sich an diesem Abend hier eingefunden: auch eine Gruppe Abenteurer aus fernen Ländern hatte sich an einem Tisch zusammengefunden, um Geschichten über ihre Taten und Reisen auszutauschen.

Ein älterer Krieger schien das Gespräch zu dominieren, die anderen am Tisch lauschten ihm mit einem Respekt, der nicht allein mit seinem Alter zu erklären war. Der Alte trug sein graues, ausdünnendes Haar in der Art der Schwertheiligen von Kara-Tur zurückgebunden, doch seine Kleidung entsprach nördlichen Gebräuchen und Klima. Über seinen Knieen lag ein gekrümmtes Schwert, seine linke Hand ruhte fast zärtlich auf dem Heft, während er mit seiner Rechten gestikulierend seine Erzählungen begleitete.
Am gleichen Tisch saßen noch fünf andere Personen: Eine junge, unscheinbare Frau mit harten, grauen Augen und der Ausrüstung und Gewandung eines Heilers saß dem Alten direkt gegenüber, den Blick auf ihn geheftet als versuche sie, durch bloßes Starren den Wahrheitsgehalt seiner Geschichte zu ergründen.
Neben ihr eine kapuzenbewehrte Gestalt, von der nur die behandschuhten Hände und die Griffe seiner zwei Schwerter aus dem dunkelgrünen Umhang hervorragten, und dessen Augen aus den Tiefen der Kapuze rot zu funkeln schienen.
An seiner Seite befand sich eine weitere junge Frau, diese in purpurnen Roben. Ihre weit aufgerissenen Augen sahen so aus, als hätten sie schon mehr gesehen als gut für sie wäre. Ihr Blick war der einzige, der nicht auf dem Alten ruhte – stattdessen sprangen ihre Augen hin und her, schienen den Raum abzutasten, suchend, niemals findend.
Eine Wolfenfelser Wache saß auf der anderen Seite der Heilerin. Offensichtlich befand er sich gerade nicht im Dienst, auch wenn er noch immer in der schwarzblauen Uniform steckte. Kettenhemd, Helm und Hellebarde hatte er allerdings nicht bei sich.
Zuletzt ein kleingewachsener Mann, der es fertigbrachte, selbst an einem runden Tisch abseits der anderen zu sitzen. Er behielt die Tavernentür vermeintlich unauffällig im Auge, eine Hand stets in Reichweite des Schwertgriffs.

Es hätte ein Abend wie jeder andere sein können, mit dieser abenteuerlichen Geschichten, dem Herdfeuer und dem schier unaufhörlichen Nachschub mehr oder weniger verdünnten Alkohols, mit dem die einzige Schankmaid unermüdlich die Gäste versorgte.
Eigentlich war es auch ein Abend wie jeder andere. Bis die Tür aufgestoßen wurde, und ein blutüberströmter Mann mit dem Gesicht zuerst auf den Holzboden fiel.
Schlagartig verstummten alle Gespräche im Raum. Für einen Moment schien es, als wäre das unregelmäßige, hektische Atmen des Verletzten das einzige Geräusch auf der Welt. Dann hob er den Kopf, und obwohl seine Worte kaum mehr als ein Flüstern waren, waren sie in der gespannten Stille deutlich zu verstehen.
„Sie... sie sind hier.“

Im nächsten Moment war die Heilerin an seiner Seite, kniete neben ihm nieder und half ihm, sich auf die Seite zu drehen.
„Beruhigt Euch. Niemand hier will Euch Böses. Ihr seid hier sicher, unter Freunden.“ Während sie leise zu ihm sprach, untersuchte sie ihn und kam zu dem Schluss, dass seine Verletzungen schlimmer aussahen als sie es waren. Tatsächlich schien das ihn bedeckende Blut nicht einmal sein eigenes zu sein; abgesehen von einigen Kratzern im Gesicht und auf den Händen hatte er lediglich eine nicht besonders tiefe Bisswunde am linken Unterarm. Sie runzelte die Stirn, begann dennoch die Wunde zu versorgen.
Sie erstarrte, als der Verwundete sie am Handgelenk packte, mit unerwartet festem Griff.
„Ihr versteht nicht.“ Seine Stimme klang heiser. „Wir sind hier nicht sicher. Sie kommen, sie sind hinter mir her. Wir sind verloren, es gibt keinen Ausweg! Tötet mich, bevor ich so werde wie sie! Sie sind überall!“
Bewegungslos erwiderte sie seinen Blick, suchte nach Anzeichen des Wahnsinns, wurde nicht fündig.
„Wer?“ Ihre eigene Stimme war tonlos geworden, flach.
„Die lebenden Toten.“

Nervöses Gelächter erhob sich im Schankraum. Für einen Moment hatte er es geschafft, die anderen Gäste zu beunruhigen, aber – lebende Tote? In dieser Stadt? Das war doch lächerlich!
Man fuhr fort mit dem Geschichtenerzählen und dem Trinken, während Skeira Hati, die Heilerin, sich mit dem Verwundeten abseits hinsetzte um sich weiter um seine Verletzung zu kümmern, und der Wirt immer öfter besorgte Blicke zur Tür warf.

Es dauerte nicht lange, und die Tür öffnete sich erneut.
Zuerst schien es, als wäre niemand dort. Lediglich ein kalter Luftzug wehte geistgleich durch die Taverne und ließ die Anwesenden frösteln. Schließlich stand einer der Stammgäste auf um die Tür zu schließen, doch noch bevor er sie erreichen konnte stand darin eine Gestalt. Etwas stimmte mit diesem Neuankömmling nicht, davon waren sie alle überzeugt. Schon bevor er sich auf den Stammgast stürzte und mit ihm zu Boden ging.

Innerhalb von Sekunden war in der Taverne die Hölle los: Schreiende Gäste rannten einander über den Haufen, unschlüssig wohin sie fliehen sollten. Der Schwertmeister und der Verhüllte waren aufgesprungen und hatten ihre Waffen gezogen, doch kein Feind befand sich in ihrer Reichweite.
Einzig der Wirt bewies einen klaren Kopf, als er hinter dem Tresen hervor kam, und eine gewaltige zweischneidige Axt im Schädel des Neuankömmlings versenkte.
Da stand auch schon der nächste sonderbare Fremde in der Tür. Diesem merkte man seine Andersartigkeit gleich mit mehreren Sinnen zugleich an – offenbar hatte er schon seit einer Weile das Zeitliche gesegnet, bevor etwas ihn ins Diesseits zurückbeordert hatte. Der Wirt zögerte nicht; einen Sekundenbruchteil später steckte seine Axt im Torso des belebten Leichnams, der unter der Wucht des Aufpralls einige Schritt zurücktaumelte.

Der Wirt schlug die Tür zu und schob den Riegel vor.
„Ruhe!“
Seine Gäste hielten inne, alle Blicke richteten sich auf ihn.
„Er hatte Recht.“, sagte er, und deutete auf den Verletzten, der bei der erneuten Attacke bewusstlos geworden war. „Die Untoten kommen, und wir sind hier nicht sicher.“
Panisches Stimmengewirr erhob sich.
„Ruhe, bitte. Schweigt!“ Auch dieses Mal reichte seine Autorität aus; er war der Wirt, die Leute hörten ihm zu.
„Wenn wir hierbleiben, werden wir gefressen. Wie Johnny hier.“ Er gestikulierte in Richtung des Unglücklichen, der nur eine Tür hatte schließen wollen und damit mit Teilen seines Gesichts bezahlt hatte.
„Ich habe hier genug Waffen, um euch alle auszurüsten. Es gibt einen geheimen, unterirdischen Gang, der von hier direkt in den Kerker der Burg führt. Und wo könnte es sicherer sein, als in der Burg?“
Die Gruppe um den alten Schwertmeister nickte zögerlich, doch die übrigen Gäste schienen weniger überzeugt.
„Wir sollten uns aufteilen! Dann haben wir größere Chancen ihnen zu entkommen.“, rief einer von ihnen.
„Aye!“

Und so geschah es, dass der größte Teil der Tavernengäste durch den Hinterausgang verschwand, nicht ohne sich vorher am Waffenarsenal des Wirtes zu bedienen.
„Sagt, Wirt“, begann der Alte, „wie kommt es, dass ihr über eine solche Vielzahl Waffen verfügt? Ich wusste nicht, dass die Gastronomie hierzulande ein so gefährliches Gewerbe ist. Tatsächlich dachte ich, dass einzig die Bewohner der Shygyu-Inseln im Gründrachenmeer für solche Gewaltbereitschaft bekannt seien. Damals, als ich...“
„Altersvorsorge.“, knurrte der Wirt ungehalten, während er Armbrüste, Munition und Beile an die Wartenden aushändigte. Dann drehte er sich zu dem Verhüllten und der Wolfenfelser Wache.
„Ihr da! Meine Tochter wird mit euch gehen.“ Er nickte kurz in Richtung der Schankmaid, die sich just in diesem Moment zwei Äxte umschnallte.
„Ich erwarte von euch, dass ihr sie mit eurem Leben beschützt. Nennt mir eure Namen.“
„Man nennt mich Jo.“, erwiderte der Gardist mit einer leichten Verneigung.
Der Verhüllte zögerte, doch dann schien ihm aufzugehen, dass dies kein Moment war um sich zu zieren.
„Ich bin Spizz´zhâ-zirrhim Tlin´orzza. Auch Spizz genannt.“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.
Von draußen drang nun deutlich hörbar ein hohles Stöhnen nach drinnen, kurz darauf begann jemand – oder etwas – in einem unsteten Rhythmus gegen die Tür zu schlagen.
„Das soll mir genügen. Ihr habt meinen Segen. Und nun geht – ich halte sie auf!“


~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ * ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~


Zunächst sah es danach aus, als würde der Schankwirt recht behalten. So weit sie dank ihrer Fackeln sehen konnten, befanden sich keinerlei Lebewesen im Geheimgang, wenn man mal von ein paar Spinnen und Ratten absah, die flüchteten sobald sie die kleine Gruppe näher kommen hörte.
Jedoch dauerte es nicht lange, bis Jo, der ein Stück vorauslief, abrupt stehen blieb und den anderen mit erhobener Hand bedeutete still zu sein.

„Was ist?“, flüsterte die Purpurgekleidete nervös. „Hast du etwas gesehen?“
„Sshhht...“ Er lauschte in die Stille hinein, schloss die Augen um sich durch die tanzenden Fackelschatten nicht ablenken zu lassen. War es Einbildung, oder...?
„Da vorne ist etwas.“

Ein gutes Dutzend der ruhelosen Toten schleppte sich nach und nach in ihr Sichtfeld, die Arme nach ihnen ausgestreckt als wollten sie sie umarmen, begrüßen wie einen lange verloren geglaubten Freund. Der Anblick war ebenso schaurig wie auf groteske Weise faszinierend, und so starrten sie den Untoten entgegen, bewegungslos. Bis ein Beil an ihnen vorüberflog und den Schädel des ersten Monsters spaltete. Mit einem leisen Stöhnen ging die Kreatur zu Boden, und der Bann war gebrochen.
Armbrüste wurden geladen und abgefeuert, während Jo und Spizz sich gemeinsam mit dem alten Schwertmeister und der Schankmaid den heranrückenden Wesen im Nahkampf stellten.

„Das ist gar nicht so schwer, wie ich dachte!“, rief die Schankmaid, verzückt von der schieren Menge an Gliedmaßen, die sie in so kurzer Zeit von den belebten Körpern getrennt hatte. Doch die gewaltsamen Amputationen schienen die Untoten nicht aufzuhalten; Kreaturen ohne Arme rückten weiter vor und schnappten in Ermangelung geeigneter Greifwerkzeuge mit ihren Kiefern nach den Abenteurern, abgetrennte Arme zogen sich mühsam, aber unermüdlich vorwärts. Und dann geschah, was früher oder später geschehen musste: die Schankmaid verlor ihre Balance und fiel zu Boden. Innerhalb weniger Sekunden, schneller als ihre Gefährten reagieren konnten, hatten die ersten der wandelnden Toten sich schon auf sie gestürzt und zerrissen sie vor ihren Augen. Schlimmer als ihre Schreie war die relative Stille als ihre Stimme schließlich nach quälend langer Zeit verstummte.

„Jetzt fällt es mir wieder ein!“ Der alte Schwertmeister vollführte mit einer für sein Alter erstaunlichen Agilität einen Tritt, der seinen verwesenden Kontrahenten einige Schritt weit zurückwarf.
„Die Köpfe! Wir müssen die Köpfe erwischen, nur so können wir sie besiegen!“
Mit neuer Kampfeswut und neuer Hoffnung warfen die Gefährten sich den Untoten entgegen, und tatsächlich – war der Kopf erst einmal vom Hals getrennt, oder schwer beschädigt, fielen die Kreaturen so tot zu Boden wie sie es eigentlich zu sein hatten.

Als der letzte Untote gefallen war, senkten sie erschöpft die Waffen. Die Schankmaid war die einzige Tote auf ihrer Seite, doch Jo, der Wächter, blutete aus einer Wunde am Knie und konnte sich kaum auf den Beinen halten. „Seine Kniescheibe ist zerschmettert.“, stellte Skeira fest, während sie einen Verband anlegte, der nicht viel mehr tat, als die Blutung aufzuhalten.
Jo richtete sich auf, und schaute ihnen nacheinander in die Augen. „Ihr müsst ohne mich weitergehen. Ich halte euch nur auf.“ Die Purpurne wollte protestieren, doch Jo ließ es nicht dazu kommen. „Ohne mich könnt ihr es schaffen, und für mich ist es schon zu spät.“ Er zeigte ihnen seine Hand – die blutige Bisswunde war deutlich zu sehen, und der junge Mann machte sich keine Illusionen darüber, was dies für ihn bedeutete.
Er war nicht umzustimmen, und so ließen sie ihn in jenem Gang zurück, zusammen mit einer Fackel sowie einer Armbrust samt Munition.
„Denk daran – wenn sie kommen, nimm so viele von ihnen mit wie du nur kannst. Doch bewahre den letzten Bolzen für dich selbst auf.“


~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ * ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~


„Sie können uns unmöglich bis hierhin gefolgt sein.“, sagte der Alte. Sie hatten den dunklen Gang mit seinen Gestalten und Gefahren und einigen ihrer Gefährten hinter sich gelassen, und waren nun in einem der Gästezimmer der Burg angekommen.
Dies musste einst eines der luxuriösen Gästezimmer von Burg Wolfenfels gewesen sein – die steinernen Wände waren mit prächtigen Teppichen und Gemälden behangen, und kunstvoll geschnitzte Eichenmöbel und silberne Fackelhalter hätten den Raum wohnlich gemacht, wären da nicht die allgegenwärtigen Spuren der Verwüstung gewesen. Blutige Fußabdrücke vielerlei Herkunft zogen sich durch das Zimmer, Blut auch an den Wänden und dem Mobiliar.
„Das mussten sie auch nicht.“, sagte Spizz.
„Wovon redest du?“, fragte der Schwertmeister.
„Sie sind schon hier.“

Und so mussten sie ihr blutiges Handwerk fortsetzen.

„Seid ihr in Ordnung?“, fragte Skeira, die sich erschöpft an eine Wand lehnte, und die Augen halb geschlossen hielt – so musste sie die Toten nicht betrachten, deren leblose Hüllen im Halbdunkel die Gesichter von Bekannten anzunehmen schienen. Nein... nein, das ist nicht wahr. Sie haben mit unseren ehrwürdigen Toten nichts gemein.
Der Schwertmeister brummte etwas Unverständliches, das allerdings nach Zustimmung klang. Ein leises, fast geflüstertes „Ja“ kam von der anderen Frau, und auch der kleingewachsene, verschwiegene Mann gab zu erkennen, dass er wohlauf war.
Erleichterung durchströmte Skeira, bis sie bemerkte, dass das nicht alle ihre Gefährten war. Auch dem alten Meister war dies augefallen.
„Was ist mit dir, Spizz? ... Spizz?“
Keine Reaktion.
Skeira beobachtete, wie die junge Frau im purpurnen Gewand zu dem verhüllten Krieger hinüberging, der ein Stück abseits der Gruppe stand, die blutigen Schwerter noch immer in seinen Händen.
„Spizz? Spizz?! Bist du noch d-aahhhhh!!“
Der Schrei der Purpurnen erstarb abrupt, als die Klingen des Dunkelelfs ihre Kehle durchschnitten.

Skeira war mit einem Mal hellwach.
Verrat! Wie konnte es sein, was erhoffte er sich davon?
Doch dann setzte Spizz sich in Bewegung, und sie erkannte, was geschehen war.
Einer von ihnen... Wie hat er die Wunde vor uns verbergen können?
Obwohl der Untod ihn erheblich langsamer machte als er es zu Lebzeiten gewesen war, schafften seine Attacken es dennoch, den Schwertmeister in Bedrängnis zu bringen. Zwar parierte der Alte jeden Schlag, doch die Kampffähigkeiten waren dem Dunkelelfen selbst nach dem Tod noch erhalten geblieben. Sein Gegner war gezwungen, immer weiter zurückzuweichen.

Sie hatte sich geschworen, es nie wieder zu tun. Zu viel Leid war aus ihren Taten hervorgegangen, es hatte zu viele Tote gegeben, mehr als sie jemals mit ihren Heilungen würde ausgleichen können.
Doch Skeira konnte nicht einfach dastehen und zusehen, wie ihre Verbündeten starben.
Ich muss es tun!

Der Schwertmeister stand mit dem Rücken zur Wand. Seine Bewegungen waren langsamer geworden, nun gelang es ihm nur noch mit Mühe sein Schwert rechtzeitig zur Parade zu erheben.
Mit der nächsten Attacke gelang es dem untoten Spizz, das Katana des alten Mannes zur Seite zu schlagen, seiner Deckung völlig beraubt.
Spizz holte zum nächsten Schlag aus
- und wurde mitten in der Bewegung von einer großen, haarigen Gestalt gerammt.
Gemeinsam fielen der Untote und der Werwolf, Klauen und Fänge und Klingen blitzten im Fackellicht während beide den anderen zu bezwingen versuchten.

Es war ihr Glück, dass der Schwertmeister nicht lange zögerte und getreu des Prinzips handelte, dass eines Feindes Feind sein Freund sein musste. Und mit einem kräftigen Schlag im richtigen Moment befreite er den entseelten Dunkelelfen von seinem Kopf und Skeira von ihrem Kontrahenten.
Gerade noch rechtzeitig – denn sie fühlte ihre Kräfte bereits wieder schwinden, und konnte sich noch mit Mühe unter dem leblosen Körper ihres einstigen Gefahrten hervorziehen, bevor sie erneut menschliche Gestalt annahm.

Kommentarlos reichte der alte Mann ihr seinen Waffenrock und wartete geduldig, bis sie aufgestanden war und seinem Blick begegnete. Auch der letzte ihrer Begleiter, der sich im letzten Kampf gekonnt unauffällig zurückgezogen hatte, gesellte sich nun wieder zu den beiden.
Schließlich fand der Alte seine Worte wieder. „Wa... wie hast du...?“, und verstummte wieder.
Skeira lächelte unglücklich. „Das ist eine lange Geschichte – doch nun lasst uns erst einmal von hier verschwinden.“


~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ * ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~


Nun hatten sie erstmals Zeit, sich ihrer Umgebung bewusst zu werden, und jetzt erkannten sie auch, dass sich zu ihrer Rechten und ihrer Rechten weite Gänge erstreckten. Am Ende des Einen konnten sie einen bläulichen Schimmer ausmachen. Konnte dies tatsächlich schon der Weg nach draußen sein?

Skeira und der alte Schwertmeister würdigten den anderen Gang nicht einmal eines zweiten Blickes, doch ihr letzter verbleibender Begleiter teilte ihre Ansichten nicht.
„So wartet doch.“ Plötzliche Begeisterung hatte ihn erfasst, und trotz all des Grauens lag ein fast fröhlicher Ausdruck auf seinem Gesicht.
„Wisst ihr denn nicht, dass es in dieser Burg unermesslichen Reichtum zu finden gibt? Keine Wachen um mich aufzuhalten, und niemand, den es stören könnte wenn ich mir ein paar kleine Dinge borge. Wartet hier, ich bin gleich wieder da.“
Und mit diesen Worten eilte er von dannen.
Sie hörten seinen schnellen Schritten zu, die sich von ihnen entfernten und denen man beinahe schon die Vorfreude anhören konnte mit denen ihr Besitzer sich dem unermesslichen Reichtum näherte, der ihn ganz gewiss hinter der nächsten Ecke erwarten würde.


Dann verstummten die Schritte, und für einen Augenblick war die Stille im Halbdunkel nahezu absolut. Der alte Mann und die junge Frau warfen sich einen Blick zu.
Ein Schrei hallte durch die Gänge, und Skeira setzte sich in Bewegung. Er braucht Hilfe, er braucht uns, wir müssen ihm helfen!
Doch eine Hand auf ihrer Schulter hielt sie zurück. Sie drehte sich zum Schwertmeister, dieser schüttelte nur den Kopf. Zu spät...

Der Schrei wurde zu einem hysterischen Kreischen, dann war es wieder still. Bis auf ein kaum hörbares Schlurfen in der Dunkelheit.
Skeira schluckte hart und umklammerte ihre Armbrust. Sie sind hier.
Sie hob die Waffe und zielte auf den Schemen, der sich langsam aus der Dunkelheit herausschälte. Im Zwielicht meinte sie, die Überreste einer schwarzblauen Uniform zu erkennen, die in Fetzen vom geschändeten Körper herunterhing. Ihr wurde übel.
Ihre Hand zitterte als sie versuchte, den Kopf anzuvisieren.
Ziel´ auf den Kopf. Die Worte des Schwertmeisters in ihrem Kopf, seine Hand um die ihre, sanften Druck gebend, sie stabilisierend.
„Das ist nicht Jo, nicht mehr. Er würde es dir danken. Tu es – für ihn.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, doch mit seinen Worten und seinen Händen gelang es ihr schließlich, ihre eigenen Hände ruhig zu halten, und den Bolzen abzuschießen. Keine Gnade.

Die Kreatur fiel, doch das Schlurfen hielt an. Ein vielstimmiges Stöhnen ertönte aus dem finsteren Gang, kam näher.
Skeira suchte hektisch nach ihrer Munition, doch der Köcher war leer. Ihr Herz setzte einen Schlag aus.
Erneut rettete sie eine Hand in der ihren, die sie dieses Mal energisch mit sich zog. Durch die unbeleuchteten Gänge, durch offenstehende Türen, durch weitere Bildnisse der Zerstörung bis zum großen hölzernen Tor, das auf den Burghof führte.
Sie hielten nur kurz inne, um das Tor mit zwei Hellebarden zu verbarrikadieren, die sie durch die weit geschwungenen Türgriffe steckten. Vielleicht würde das Tor die Untoten sogar kurze Zeit aufhalten können...


~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ * ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~


“Wie sollen wir jemals hier weg kommen? Sie sind überall, und es werden immer mehr!” Skeira konnte nun nicht mehr verbergen, dass die Panik schon lange von ihr Besitz ergriffen hatte. Der alte Schwertmeister schien jedoch geradezu unangebracht gelassen. Seit er wie aus einem Reflex heraus die Führung übernommen hatte, hatte er nur wenig geredet und die stets kleiner werdende Gruppe sicher durch die untoten Massen geleitet. Skeira hoffte, dass er eine Idee hatte, dass er weiter geplant hatte als bis zu diesem Punkt. Sie hasste es, ihr Schicksal in anderer Leute Hände zu legen, doch es blieb ihr wohl nichts anderes mehr übrig.

Er hielt inne als sie durch das Burgtor auf den Dorfplatz traten, unweit der Taverne, die jetzt wie ausgestorben schien. Niemand war im Schein der Straßenlaternen zu sehen, weder tot noch lebendig.
“Wir können auf meinem Pferd wegreiten.” Der Alte schenkte ihr ein nahezu zahnloses Grinsen. “Das erinnert mich an damals. Damals, als ich während der großen Goblinplage von 1349 von Feinden umringt war, und...” – “Welches Pferd?”, unterbrach Skeira ihn ungehalten. Wie konnte er hier stehen und eine Anekdote zum Besten geben, wo doch die Armee der Untoten sie jeden Moment einholen könnte.
“Mein Pferd, meine treue Ziva. Sie wartet noch draußen vor der Taver...oh.”
Offensichtlich war ihm etwas eingefallen. “Komm, schnell. Wir müssen uns beeilen. Oh, hoffentlich ist es noch nicht zu spät!”

Ziva stand tatsächlich noch auf der anderen Seite der Taverne, und drehte träge den Kopf zu ihnen als sie näher kamen. Skeira zögerte. Dieses abgemagerte Tier sollte sie aus dieser Hölle herausbringen? Tatsächlich sah die Stute aus, als sei sie dem Tode näher als dem Leben.
Aber was habe ich für eine Wahl?
“Ziva! Da bist du ja! Bin ich froh, dich zu sehen, mein Mädchen.“ Fröhlich plappernd ging der Alte auf sein Pferd zu. Irgend etwas stimmt hier nicht, dachte Skeira.
Vielleicht lag es daran, dass sie Pferden noch nie so richtig vertraut hatte. Oder vielleicht lag es doch an den verstümmelten Leichen, die das Ross umringten, oder an dem seltsam blicklosen Ausdruck in Zivas Augen.
Skeira hielt sich hinter dem Schwertmeister, der sein Pferd nun erreicht hatte, die rechte Hand erhoben um dem Tier über die Nüstern zu streicheln. Ziva schnappte nach ihm.
Der Alte, offenbar die Eigenheiten seines Reittiers gewohnt, zog die Hand beinahe rechtzeitig zurück, sodass Ziva nur seine Fingerkuppen erwischte.
Blut spritzte, und der Alte fluchte, während er einen Schritt zurücktrat. „Ziva!“ Er klang empört, und ein klein wenig verwundert.

Ungläubig sah Skeira zu, wie das Pferd seinem Herren nachsetzte, das Maul geöffnet, bereit, erneut zuzubeißen. Der Alte hatte keine Zeit um auszuweichen; die Zähne des Biests gruben sich tief in seinen linken Oberarm und rissen mit einem heftigen Ruck blutige Muskelstränge heraus.
„Pass auf!“, schrie Skeira, obwohl es schon zu spät war. Was in den neun Höllen ist mit diesem Tier geschehen?
Ziva gab einen Laut von sich, der eher an ein Stöhnen als an ein Wiehern erinnerte.
Schreckliche Erkenntnis überkam Skeira im selben Moment, in dem der Schwertmeister das Katana zog und nach Ziva schlug. Die Klinge hinterließ einen tiefen Schnitt quer über Zivas Brust, doch nur eine winzige Menge Blut sickerte aus der eigentlich tödlichen Wunde.
Ziva störte sich nicht daran – sie stieg, und schlug mit den Vorderhufen nach ihrem Meister. Behende duckte er sich unter den Schlägen weg, doch die Strapazen der langen Nacht begannen nun auch an seiner Konzentration zu zehren, und so traf einer der Hufe ihn an der Schulter.

Es klirrte als das Schwert aus seiner tauben Hand zu Boden fiel, ein Geräusch das trotz des Kampfes unnatürlich laut zu Skeira herüberdrang. Ich muss etwas unternehmen!, dachte sie, fieberhaft nach einer Möglichkeit suchend in den Kampf einzugreifen. Sie fühlte sich ausgelaugt, erschöpft. Die Munition für die Armbrust in ihrer Hand war schon seit langem ausgegangen.
Nutzloses Ding!
Sie holte aus und warf die Fernwaffe mit aller Kraft in Zivas Richtung. Die Armbrust schlug einige Meter entfernt auf dem Kopfsteinpflaster auf und zersplitterte wirkungslos in ihre Einzelteile.
Skeira sah hilflos zu, wie das unermüdliche Ross seinen Meister weiter zurückdrängte und ihm stets neue Bisswunden beibrachte. Einer plötzlichen Eingebung folgend griff sie sich einen Pflasterstein, der sich aus der Straße gelöst hatte, und warf erneut. Dieses Mal hatte sie mehr Glück: der kantige Stein traf Zivas Flanke mit einem dumpfen Schlag.
Das Pferd drehte träge den Kopf in ihre Richtung und hielt einen Moment inne, als sei es unschlüssig ob Skeira eine Bedrohung für sie formte oder nicht.
Dieser kurze Augenblick des Zögerns war alles, was der Schwertmeister benötigte: er griff nach seinem Katana, und schwang es in zwei schrecklichen, mächtigen Schlägen gegen sein einstiges Reittier; mit dem Ersten durchtrennte er eines ihrer Vorderbeine, und ehe Ziva das Gleichgewicht verlor, trennte der zweite Schlag ihren Kopf vom Hals.
Doch noch bevor der endgültige Tod die Stute ereilen konnte, machte sie noch einen letzten Satz vorwärts, und begrub im Fallen den überraschten Schwertmeister unter sich.


~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ * ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~ ~~


Skeira kniete neben dem gefallenen Schwertmeister nieder. Seine Augen waren geschlossen, und obwohl sein Körper zahlreiche Wunden aufwies, lag ein Lächeln auf seinem Gesicht. Sein Geist verweilte schon nicht mehr in dieser Welt als er seinen letzten Atemzug tat. Sie beneidete ihn darum.
Behutsam bettete sie seinen grauhaarigen Kopf auf ihren Knieen und bemühte sich, ihren Blick auf ihn gerichtet zu halten, und nicht auf die langsam, aber stetig näherrückende Armee der wandelnden Toten.
"Beinahe... beinahe hätten wir es geschafft.”

Sie schloss die Augen und versuchte, die Panik zurückzudrängen, sich zu konzentrieren um den Wolf in ihr zu finden. Müdigkeit und Verzweiflung erschwerten es ihr, machten es schier unmöglich jenes vertrautes Kribbeln wahrzunehmen, das sich nach einer gefühlten Ewigkeit von ihrem Innern aus über den ganzen Körper ausbreitete. In jenem schmerzhaften Moment, in dem ihre Gestalt sich wandelte, öffnete sie die Augen wieder, um noch einmal – mit menschlicher Sicht – den alten Schwertmeister anzusehen, dem sie ihr Leben zu verdanken hatte.
Tote, leere Augen starrten zurück und blinzelten nicht einmal, als das, was einmal der Alte gewesen war den Kopf hob und und das Gesicht in ihre Richtung drehte, den Mund zu einem makaberen Grinsen verzogen.
 

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Unser ganzes Leben ist die Bühne, auf der Geschichten in Geschichten spielen, oft ohne Ende und Beginn, ohne Pointe oder Sinn. Vorhang auf.

Akt 1 - Entrissen

Noch 3 Tage bis X.

Ein kleiner, weißer Raum ohne Fenster, mit wenigen weichen Sitzmöglichkeiten und Tischchen ist unsere Welt. Eine Lampe an der Decke spendet flackernd Licht. Drei apathisch wirkende Personen in weißen Nachthemden sitzen dort. Eine blasse junge Frau spielt mit ihren Knöcheln, daneben sitzt ein weiteres, großes, dunkelhäutiges Mädchen mit langem, glatten Haar und hübschen Gesichtszügen, die vor sich hinstarrt. Ganz in der Ecke sitzt ein alter Asiate und scheint zu schlafen, während ihm Sabber auf seine Brust tropft.

Blasse Frau *plötzlich nervös*: Ist es schon Nacht? Haben wir heute Vollmond?
Die dunkelhäutige Frau reagiert nicht und starrt weiter vor sich hin.
Blasse Frau *fährt sich mit der Hand über die Oberlippe*: Oh, es beginnt schon wieder. Sind das Haare? Das sind Haare, oder? Ziva, das sind doch Haare!
Sie schüttelt die große Frau neben sich, die sie kurz ansieht, aber nicht weiter reagiert.

Der alte Mann erwacht durch das Gebrüll und lässt einen Schlachtruf erklingen, der sich ähnlich wie ein japanischer Kleinbaum anhört. Das Mädchen springt zu ihm hin.

Mädchen: Sag mir, Opa, ist heute Vollmond? Hab ich mich schon verändert?
Opa: Was?
Mädchen: Ist heute Vollmond?
Opa: Nein. Doch. Ich weiß nicht. Bist du es, Lotusblüte?
Mädchen: Deine Tochter ist tot. Deshalb bist du hier.
Opa: Wann ist das passiert?
Mädchen *genervt*: Ach.

Eine Person in weißer Krankenschwesterkleidung betritt in Begleitung zweier kräftiger Pfleger den Raum.
Schwester Mathilde: Es ist Zeit für das Abendessen und die Medikamente.
Mädchen: Schon Abend? Ist heute Vollmond?
Schwester Mathilde: Ja, heute ist Vollmond. Und es gibt Grießbrei, Skeira.
Skeira: Oh, ihr Götter. Ich wusste es.
Das Essen wird verteilt. Ziva schlürft den Brei direkt aus der Schüssel, obwohl die Schwester sie dazu ermahnt, den Löffel zu benutzen. Der Alte wird von einem der Pfleger gefüttert. Schwester Mathilde streut einige Tabletten in den Brei.

Skeira: Sind das wieder Drogen?
Schwester Mathilde: Liebes, sie helfen dir dabei, dich nicht aufregen zu müssen.
Skeira: Sie helfen nicht. Sie machen mich nur müde und dumm. Ich will nicht.
Skeira schleudert den Brei davon.
Schwester: Beruhige dich bitte Skeira, sonst müssen wir wieder die Spritzen benutzen.
Skeira: Nein, nicht stechen, keine Nadeln!
Sie schubst die Schwester weg, als sich diese mit einer Spritze bewaffnet nähert. Als einer der Pfleger heraneilt um sie festzuhalten, springt sie ihn an und versucht ihm ins Ohr zu beißen. Der zweite Pfleger muss seine Fütterung des Alten unterbrechen und seinem Kollegen zu Hilfe eilen. Zusammen können sie das Mädchen festhalten. Die Schwester verabreicht ihr die Spritze und danach stecken Skeira in eine Zwangsjacke.
Schwester: Das bedeutet wohl ein Einzelzimmer für die Nacht.
Skeira: Ja, sperrt mich lieber weg. Das ist besser für uns alle!

Akt 2 - Spiele

~~OoO~~

Noch 2 Tage bis X.

Die Szene hat sich nicht grundlegend verändert, aber Skeira sitzt nun fröhlich summend in ihrem Stuhl. Die Schwester kommt herein.

Schwester: Skeira, wie geht es dir heute?
Skeira *strahlend*: Wunderbar. Jetzt ist wieder alles gut.
Schwester: Schön. Sollen wir dann ein Spiel spielen?
Skeira: Wenn alle mitmachen?
Der Opa grunzt zustimmend und Ziva nickt nur.
Schwester: Was wollt ihr denn spielen?
Skeira: Mensch ärgere Dich nicht?
Schwester: Oh nein!
Skeira: We didn't playtest this at all.
Schwester: Ich glaube das ist nicht so gut, solange Ziva nicht mit uns spricht.
Opa *der inzwischen von den Pflegern dazugesetzt wurde*: Werwolf.
Skeira knurrt ihn an.
Schwester: Nein, lieber nicht. Skeira! Aus!
Skeira: Dann eine Rollenspielrunde.
Schwester: Ich weiß nicht.
Opa: Ja, Pen&Paper, das ist toll. Bitte.
Schwester: Ich weiß nicht, ob dies das Richtige für euch ist.
Opas Versuch ein nettes Lächeln hinzubekommen schlägt fehl und Skeira setzt einen Hundeblick auf, doch ihre graublauen Augen sagen etwas anderes aus.
Ziva klopft auf den Tisch um Aufmerksamkeit zu erlangen und nickt heftig. Ihr Lächeln schlägt alles.
Schwester: Wenn ihr alle versprecht, artig zu sein und euch an die Regeln haltet. Meine Regeln.
Alle drei versprechen es nachdrücklich.

Die Schwester bringt eine verstaubte Schachtel. Sie verteilt verschiedene Würfel, Zettel, Schreibstifte für sich und Ziva und blättert versteckt hinter einem Sichtschutz aus Papier in einem dicken Buch. Die beiden Pfleger setzen sich grinsend in den Hintergrund und unterhalten sich leise über den Schichtwechsel und ihre Freundinnen.
Schwester: Ziva du erstellst deine Spielfigur. Ihr anderen beide sagt mir, was ihr wollt und ich schreibe es für euch auf.
Skeira: Ich kann das selber machen.
Schwester: Nein, du bekommst keinen spitzen Gegenstand nach der Sache mit dem Kugelschreiber und dem Doktor damals.
Skeira: Och man.
Opa: Ich spiele einen Kensai. 83. Ein Mensch aus Kara-Tur.
Die Schwester würfelt ihm diverse Eigenschaftswerte zusammen und notiert sie auf einem Zettel.
Schwester: Ein hoher Wert in Sagenkunde. Name?
Opa: Wang.
Skeira: Ich spiele eine Klerikerin. 21, Mensch. Blaue Hemden und helle Leinenhosen. Name: Skeira Hati. Keine Waffen, aber dafür....
*Skeira macht eine dramatische Pause*
Skeira: …ist sie ein Werwolf.
Schwester: Muss das sein, Skeira? Es ist ein Rollenspiel.
Skeira verschränkt die Arme vor der Brust und nickt bestimmt. Die Schwester rollt auch ihre Werte aus.
Schwester: Extra hohe Heilfähigkeiten und hohes Charisma.
Ziva schiebt ihr ihren Zettel zu.
Schwester *runzelt die Stirn*: Du willst ein Pferd sein?
Ziva nickt heftig und zeigt auf den Opa.
Schwester: Scheint so, als hättest du ein Reittier. Groß, schwarz, kräftig, hohes Charisma.
Opa *lüstern*: Was zum reiten, sehr schön.
Die Schwester verdreht die Augen, Ziva grinst und macht ein angedeutetes High Five mit dem Alten.
Skeira *verzieht das Gesicht und wendet sich ab*: Uah.

Schwester: Ruhe jetzt, oder wir hören auf. Gut. Passt auf.

Akt 3 - Eiserne Bande oder stärkerer Bezug zu Baldur's Gate

~~OoO~~

Zwei Abenteurer sitzen an einem Tisch in einer Taverne.
„Was machen wir nun?“, fragt Wang, der Kensai.
„Ich trinke erstmal ein Bier.“, sagt die Frau.
Ein Pferd schaut durch ein Fenster und wiehert Richtung der Bar.
„Ich glaube, ich werde mal den Gastwirt fragen, was hier so los ist.“, denkt der alte Mann laut und steht auf.
Auf dem Weg wird er von einem Zwerg angerempelt.
„Hey, du bist wohl ein ganz großer Held, Fremder?“, beschwert sich dieser.
„Ich will keinen Streit.“, wehrt Wang ab.
„Aber vielleicht suche ich so jemanden.“
„Ich sagte doch, ich will keinen Streit.“, meint Wang nachdrücklich, bewegt sich an die Theke und springt auf einen der Stühle.
„He, Gastwirt. Irgendwelche Gerüchte gehört?“
„Stammgäste hören hier so manches.“, meint der Wirt.
Es folgt eine Phase der Stille.
„Stammgäste, die Hochprozentiges bestellen.“
Wang zählt seine Münzen nach und legt ein paar auf den Tisch.
„Dann nehme ich den Feuerwein.“
„Ein wirklich guter Tropfen. Den bestellen sich sogar Zwerge. So wie der Zwerg hinter dir.“
Wang dreht sich kurz um.
„Und?“
„Ich habe gehört es lohnt sich, mit ihm zu sprechen, er hat meines Wissens ein Problem, bei dem er Hilfe braucht.“
Wang schüttet den Feuerwein mit saurer Miene in einem Schluck herunter, nickt dem Wirt zu und gesellt sich dann zu dem stumm wartenden Zwerg.
„Ihr habt also eine Aufgabe?“
„Aha. Also doch. Mein Name ist Drong, Zwergenfürst des Donnergebirges. Ja, ich will eine dringende Botschaft an meine Liebste, Verona von Grünstein schicken. Allerdings...“
Der Zwerg deutet auf sein Holzbein, das Wang vorher nicht aufgefallen ist.
„...damit komme ich nicht schnell genug hin. Ihr müsst die Nachricht innerhalb von vier Tagen überbracht haben. Der Brief ist versiegelt, also öffnet ihn nicht, das geht euch nichts an. Der schnellste Weg ist nach Norden durch den Dunkelwald und die Tiefschluchtbrücke. Aber dort lauern Gefahren. Habt ihr genug Gefährten für die Reise?“
„Diese Dame dort, eine geschickte Heilerin. Was ich weiß, obwohl ich sie gerade erst getroffen hab.“, Wang deutet auf Skeira die kurz mit ihrem Ale grüßt.
„Und...“, der Kensai deutet auf das Pferd und hält inne.
„Wir zwei. Und wir haben ein gutes Pferd.“
„Nun, dann kommt ihr schneller voran. Das sollte genügen. Mein Dank und eine hohe Belohnung sind euch sicher, wenn ihr mit einer Antwort zurückkehrt.“

~~<O>~~

Die beiden Helden sitzen auf dem Pferd und reiten durch den dichten Dunkelwald, wo die dichten Baumkronen jeglichen Blick auf den freien Himmel verwehren.
„Es kommt mir vor, als wäre keinerlei Zeit vergangen.“, meint Skeira.
„Ja, die Reise geht gut voran. Aber es kommt mir vor, als hätte mir eine Stimme gesagt, dass es noch dunkler wird, als es hier normalerweise schon ist. Wir sollten rasten.“
Die Gruppe bereitet sich ein Nachtlager vor, indem sie Feuerholz zusammentragen. Während Skeira es mit ihrer Fackel, die sie die ganze Zeit entzündet dabei hatte, zum Brennen bringt, bricht der Alte das Siegel des Briefes, während Ziva erfolglos versucht, ihn davon abzuhalten, indem sie mit dem Maul danach schnappt.
„Ist das eine gute Idee?“, murrt Skeira.
„Es ist immer gut, informiert zu sein. Es könnte ja drinstehen, dass wir beim Abgeben des Briefes ermordet werden sollen. Das Siegel kriegen wir schon wieder hin.“, antwortet Wang lapidar.
Er räuspert sich und liest vor.
„Oh holde Verona mein,
willst du meine Liebste sein?
Du bringst mir das größte Glück,
und mit jedem Stück,
das mich von dir entfernt,
habe ich gelernt,
dass ich ohne dich nicht leben will,
dafür bedeutest du mir viel zu viel.
Drum frage ich dich mit bangem Herz,
voll Seelenschmerz,
wirst du mich heiraten,
gemeinsam den Altar beschreiten?
Auf ewig Dein
Drong“

„Sehr schwülstig.“, meint Skeira mit erhobener Augenbraue.
„Und dafür sollen wir in größter Geschwindigkeit hineilen? Vielleicht ein militärischer Code?“. Skeira versucht Wang den Brief zu entreißen, scheitert jedoch.
„Ich kann keine Anzeichen dafür entdecken. Scheint ein einfacher Botenjob zu sein.“, Wang verschließt den Brief wieder.
„Sollten wir Wachen aufstellen?“, fragt Skeira.
„Wenn du willst, kannst du wachen. Ich schlafe.“, antwortet Wang und legt sich hin.
Skeira und Ziva einigen sich wortlos darauf, dass sie sich abwechseln werden. Es ist gut, wenn man sich auf sein Pferd verlassen kann.
Skeira war sich sicher, in der Nacht ungezählte 32 Äste knacken gehört zu haben, 97 verschiedene Tierrufe und fünfmal keuchendes Atmen oder Stöhnen, das nicht von den Schlafenden kam.
Danach stupst sie Ziva an, während sie die Nachtruhe übernimmt.
Zivas Nacht ist ruhiger, bis auf 31 herumtanzende Schatten und eine Eule die sich ihr auf den Kopf setzt.

Am nächsten Tag ist der Schwertmeister äußerst ausgeruht, die anderen beiden dagegen grummelig. Zumindest Skeira, Ziva merkt man es nicht an, sie murmelte auch nichts von fehlendem Kaffee.
Auf dem Weg nach Norden zählt Skeira 12 Pferdeäpfel, während Wang versucht die Landkarte des Zwergs richtig zu deuten.

~~OoO~~

Schwester: Ein Wurf auf Kartenlesen.
Skeira: Zahlen, immer nur Zahlen.
Schwester: Zahlen sind die Basis um ein geregeltes Zusammenleben zu ermöglichen. Sie sind ein fester Grundstock hinter der Realität.
Skeira: Pah.
Opa: Und? Wie gut habe ich die Karte durchschaut?
Schwester: Ihr kommt vom Weg ab. Plötzlich erscheint aus dem Nichts eine Hexe vor euch.
Opa: Angriff!
Schwester: Wind umspielt sie, als sie die Hände hebt und ein schwarzes Tor neben ihr erscheint. Blätter, Äste, kleine Nagetiere wirbeln hin und werden hineingesaugt. Die Bäume biegen sich.
Opa: Ich versuche mich an einem Baum festzuhalten.
Skeira: Ich auch.
Ziva verweist auf ihren Würfel, der eine 19 zeigt. Die Schwester würfelt.
Schwester: 1 und 1. Ihr werdet alle trotz eurem Widerstand in das Portal gesogen. Es wird schwarz und dunkel um euch. Hier hören wir auf.
Opa: Oh, ich hasse Cliffhanger.
Skeira: Wie gemein.
Schwester: Wir machen morgen weiter, wenn ihr alles brav aufgegessen habt.
Sie sammelt alles ein und verlässt den Raum.

Akt 4 - Das große Fressen oder Je brutaler der Zugriff, desto mehr schlüpft euch durch die Finger.

Noch 23 Stunden bis X

Die Schwester betritt den Raum. Alle drei Insassen sind in freudiger Erwartung. Die Pfleger verteilen den Brei in Plastikschüsseln, einer setzt sich wieder zum Opa, alle essen brav, die Schwester verteilt die Tabletten. Als sie Skeira eine Tablette hinlegt, fällt diese vom Tellerrand und rollt Richtung Ziva. Skeira tapst hinterher, nimmt den Plastiklöffel aus Zivas Napf und rammt ihn der Schwester ins Auge. Einen Moment später schlägt Ziva dem Pfleger neben ihr die Handkante gegen den Hals. Als der zweite Pfleger neben dem Alten sich umdreht und aufspringen will, zieht sich ein Faden um seinen Hals und der Alte zwingt ihn in die Knie, bis der Mann röchelnd und zuckend stirbt.
Inzwischen wirft Skeira die Schwester zu Boden und zerrt die schreiende und um sich schlagende Frau an den Haaren Richtung Wand. Sie holt lächelnd eine Kartoffel hervor und steckt sie der Schwester in den Mund.
Skeira: Pscht.
Die Schwester wird ohnmächtig.
Skeira *enttäuscht*: Schade.
Dann beginnt sie die Kleidung der Frau auszuziehen.

Akt 5 - Verbrannte Erde

~~o~~

Auszug aus der Dokumentation „Prolog einer Katastrophe“.
20:15 Uhr auf dem Wetterkanal.
21:00 Uhr „Sind Rollenspiele eine Gefahr für die Gesellschaft?“ Eine Diskussionsrunde zwischen Politikern, Kirchenvertretern und einem ehemaligen Grabschänder.

[...]Etwa 19:30. Noch vor dem Doktor sind die Schwester Mathilde W. und die Pfleger Mike H. und Alex O., zweifacher Familienvater, mit denen sie bisher gut auskamen, ihre ersten Opfer. Wie die drei aus der Hochsicherheitsabteilung der Nervenheilanstalt entkommen konnten, ist größtenteils ein Rätsel. Genau wie weitere Fragen, welche man sich stellen könnte: Warum versagten alle Sicherheitsmaßnahmen und wieso genossen die drei psychisch gestörten Gewalttäter solche Freiheiten. Wie sammelten und versteckten sie die Objekte für ihre Flucht. Warum wirkte die Medikation nicht. Was bewog die drei zu dieser plötzlichen Aktion.
Die meisten Details ihrer Akten sind immer noch unter Verschluss, scheinbar hatten die drei in den 2 bis 3 Jahren ihrer Verwahrung jedoch das Vertrauen ihrer Umgebung gewonnen.
[...]Niemand weiß genau, was am 09. Oktober geschah. Nachdem die drei die im Raum anwesende Schwester und zwei Pfleger überwältigt und ermordet hatten, entkamen sie in deren Kleidung. Mit simpelsten Gegenständen überwanden sie weitere Sicherheitssperren und entkamen über die 5 m hohe Mauer und den Stacheldraht. Es ist zu vermuten, dass sie den Schichtwechsel perfekt abgepasst hatten und so der Videoüberwachung entgingen.
[...]Wie die drei ihre Bewacher und Therapeuten genug einlullen konnten, um so lasch bewacht zu werden, ist unklar.
Bekannt ist jedoch, dass der 83 Jahre alte Chinese Wang Li, ein ehemaliger Drehbuchautor aus Hongkong, der seine gesamte Familie brutal ermordet hatte, nach einem Schlaganfall als nahezu immobil galt, was sich bei seiner Flucht als offensichtlicher Irrtum herausstellte.
Über die ehemalige Makkabiade-Siegerin im Springreiten und Europameisterin im Capoeira, Ziva Apfelbaum, ist nicht viel mehr bekannt. Unterlagen, die uns vorliegen, lassen jedoch vermuten, dass es sich um eine ehemalige Agentin handelt, die bei einem Einsatz ein Massaker unter Zivilisten anrichtete, verletzt wurde und mutmaßlich unter Aphasie litt. Die stumme Frau hatte danach kein aggressives Verhalten mehr an den Tag gelegt.
Kopf der Bande ist vermutlich Jane Doe, eine Serienkillerin, die sich den Künstlernamen Skeira zugelegt hatte. Sie war als einzige mehrfach “leicht” gewalttätig geworden, jedoch “in einem vorhersehbaren Rahmen”. Es wird angenommen, dass ihre Wahnvorstellung ein Werwolf zu sein, nur vorgespielt war, um den Ausbruch vorzubereiten.
Obwohl nach der Flucht sofort ein Fahndungsaufruf an alle Polizeidienststellen herausging, wurde die gesamte Dimension der Gefahr zu dem Zeitpunkt offensichtlich noch nicht erfasst. Das Medieninteresse wurde durch die Geburt eines Ligerbabys im Zoo und das Ligafinale abgelenkt.
[...]


~~o~~

Akt 6 - Beinahe" oder "(Nicht) bis zum Letzten

3 Stunden vor X.

Skeira, Ziva und der Opa stehen inmitten der Masse an Menschen die sich in der Rush Hour an ihnen vorbeischiebt, ohne sie zu bemerken. Dabei war das Trio durchaus auffällig.
Eine große dunkelhäutige Frau mit Rasterhaaren, Beanie auf dem Kopf, gekleidet in bunte Klamotten, an ihrer Hand ein kleiner, alter Asiate mit Sonnenbrille, Halstuch, in Lederjacke und Jeans, eine Pfeife schmauchend und daneben eine blasse Frau in schwarz, Nietengürtel, mit rosa Punkfrisur und einem Paket unter dem Arm.
“Geht's jetzt nach Hause?”, fragt Ziva.
“Ja, jetzt gehen wir alle nach Hause.”, meint Skeira lächelnd, zwinkert dem Leser zu und spricht zu ihm:

Auch wenn man uns den Weg versperrt,
und von Zuhause weggezerrt,
jetzt finden wir den Weg zurück,
selbstgeschmiedet unser Glück,
wo wir wirklich wir selbst sind,
und nicht der Launen andrer Kind.

Nun, werter Leser, wenn nicht schon getan,
nach diesem kafkaesken Wahn,
wäre es nett wenn du nun liest,
was meiner Schöpferin hierzu entsprießt.
 

skull

Thronfolger
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23.09.2000
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Tja, da habe ich jetzt den Punkt versehentlich an Mantis gegeben, hähähä!

Rachä!

Ehem. *hüstel*. Nein, den Punkt habe ich tatsächlich gestern schon vergeben. Zu meiner eigenen Überraschung, muss ich sagen.
Nach Timestops Akt 1 & Akt 2 war ich nämlich überzeugt, dass er diese Runde triumphiert.
Die Idee, die Charaktere als Insassen einer Irrenanstalt zu beschreiben, ist genial und die Umsetzung super.

Aber ab der Rollenspielrunde wirds dann ....komisch?:confused:
Falls das Abentuer mit zwergischem Liebesbrief in einem Verhältnis zur restlichen Geschichte steht, hab ichs nicht begriffen. Der (Gewalt)ausbruch kommt aus dem Nichts.
Am Ende kommt noch ne Metaebene rein und das Ganze wird zum kafkaesken Wahn erklärt, gut...

Ich bin als Leser eher langweilig. Ich mag rote Fäden, die fehlen hier leider.



Auch bei Mantis ist die grundliegende Idee famos. Der Text liest sich äußerst unterhaltsam, wobei er sich langsam aber sicher von "lustig" zu "tragisch/dramatisch" wandelt.
Vor allem der Anfang und das Ende wissen denn auch zu überzeugen.

Das, eh, Mittelstück leidet etwas unter Platzmangel. Die diversen namenlosen Charaktere, die die Gruppe als Zombiefutter mit sich führt, kommen leider etwas farblos rüber. (Trotz bunter Klamotten.;))

Als Kenner von diversen Zombie-infizierten Filmen (und Computerspielen und Songs) kann man dafür sämtliche Klischees und Standards des Genres würdigen, die hier kunstvoll (und blutig) in die Geschichte eingebaut wurden.

Insgesamt finde ich Mantis Text also stimmiger und überzeugender.
 

Mantis

Heilende Hände
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Timey, deine Geschichte find´ ich toll :)
Grossartige Idee, mit der Irrenanstalt, auch wenn die Episoden ab der Rollenspielrunde mich eher verwirren :D
Das Endgedicht verstehe ich auch nicht... aber sie war sehr schön zu lesen, hat mich super unterhalten und die Idee, alle Themen einzubauen, ist... :eek::up: wow!



Zu meiner eigenen Geschichte habe ich nichts zu sagen, aber schon seit ich die Idee für Zivas Part in der Geschichte hatte, wollte ich dieses Bild hier mit der Allgemeinheit teilen.
Ach ja - Vorsicht, Spoilergefahr :D
 

Rote Zora

Pfefferklinge
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Danke euch beiden für hervorragende Urlaubslektüre. Punkt für Mantis.
 

Irotor

Member
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Ich muss sagen, dass mich meine letztendliche Stimmvergabe etwas überrascht hat, doch trotzdem ging mein Punkt an Mantis.

Zum Stil muss man nicht wirklich etwas sagen, der ist bei beiden gewohnt gut, und ich kann schlecht anfangen die beiden Geschichten zu vergleichen, dafür sind sie einfach viel zu unterschiedlich, also sag ich einfach, was mir an den beiden Geschichten gut gefallen hat (Kritikpunkte gibts da eher wenige).

Bei Timestops Geschichte gefallen mir der originelle Aufbau und der Einbezug der Themen sehr gut. Außerdem sind wieder satirische Elemente mit dabei, wie zum Beispiel das lapidare Aufbrechen des Siegels (warum kann eine Abenteurergruppe nicht einmal einfach das tun, was man ihnen sagt?), die Erwähnung der ominösen Stimme und das Tigerbaby, wobei das schon fast wieder traurig ist, weil es fast zu realistisch ist. Jedoch muss ich meinen Vorpostern zustimmen, dass es doch gegen Ende etwas verwirrend ist und der rote Faden etwas fehlt.

Mantis Geschichte überzeugt jedoch auch. Hier wird so fast jedes Klischee der Zombiegeschichten aufgegriffen, von der Frankensteinanleihe über die Zombieinvasion zum Gewölbe ebenso wie das obligatorische Zurücklassen des Verwundeten und das Kämpfen gegen die eigenen Verbündeten. Alles dabei und stimmig umgesetzt, wobei mir der Erzählstil besonders gefallen hat, es wurde an keiner Stelle langweilig, auch wenn das "Zombiefutter" manchmal was farblos war, wo ich auch meinen Vorpostern recht geben muss. Doch trotz allem stimig umgesetzt, klassische Elemente verarbeitet, ohne dass es lächerlich wirkt und ein passender Schluss, der die Stimmung gut einfängt.

Und weniger aufgrund mangelnder Qualität von Timestop als eher aufgrund sehr guter Qualität von Mantis geht der Punkt für mich klar und zurecht an Mantis.
 

Timestop

Running out of Time
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4.875
Achja, ich wollte noch etwas dazu schreiben.

Mein äh... Werk hatte letztendlich nur den Sinn eine unterhaltsame Geschichte zu erzählen, die verschiedene Erzählebenen hat und mit einem Bruch oder Schock kommt. Ich hatte einen perversen Spaß an der Mordszene die die ganze absurde Szenerie noch verwirrender macht, die Figuren verdreht und alles aus dem eben noch halbwegs klaren roten Faden herausreisst.

Die P&P-Episode ist recht belanglos und halt eine Geschichte ohne Zusammenhang zum Rest oder Hintergrund.

Ein kleiner Einschub aus einer Dokumentation die das ganze noch mehr aus dem Fokus der Fantasyerzählung rückt und etwas die Persiflage von Pseudohintergrundanalysen antatscht.

Als letztes eine Selbsterkenntnis der Protagonistin, dass sie nichts anderes als eine absurde Figur ist und Spiel mit der vierten Wand.

Wenn das für etwas Unterhaltung und Verwirrung gesorgt hat, gut, dies war mein einziger Wunsch.:D


Mantis Zombieapokalypse ist dann leckere (Brains) Standardkost. Flott, Action, Humor, eine Prise Grusel. Auch wenn die Genreblindheit (ein Zombie hat ihn gebissen, setz ich mich mal neben ihn) arg ist und einen die Hände vor den Kopf schlagen lässt, wenn auch vielleicht nicht unrealistisch für normale Menschen unter Stress ohne Kenntnisse von Zombiefilmen.
Daher war dann der Punkt auch sofort an Mantis vergeben, da sie eine "straighte", interessante Kurzgeschichte unter Einhaltung aller Regeln geschaffen hat.
 
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