@Hank
Interessante Selbstbeobachtung.
Was die Akupunktur angeht, einfach mal zwei Erklärungsansätze - wobei ich hier nicht wirklich weiß, wovon ich spreche.
1) Akupunktur hilft, aber das exakte Treffen der bestimmten Punkte ist nicht so wichtig, wie "überliefert" ist - der positive Effekt wird durch andere Wirkmechanismen ausgelöst. Bei einer Tradition, die sich über Jahrtausende entwickelt hat, ist ja durchaus vorstellbar, dass sie immer weiter "verfeinert" wurde, dabei aber tatsächlich Elemente/Details eingebracht wurden, die schlicht keinerlei Effekt haben. Aber weil das Gesamtpaket funktioniert, wirds halt weiter so gemacht.
2) Achtung, Esoterik-Alarm: Wir haben noch bei Weitem nicht verstanden, welche Energien in unserem Körper wo wie wirken. Die Neurobiologie macht da zwar große Fortschritte (und erklärt teilweise Effekte, die zwar in alten Traditionen bekannt, aber eben nicht auf dieser Ebene erklärt waren), aber ist mE noch weit weg von "vollständigen" Erklärungen. Nun kommt die Akupunktur aus einer Kultur, in der z.B. Meditation eine wesentlich größere Rolle spielt. Möglicherweise braucht es diese Fähigkeiten, ein zur Meditation gehöriges "Mindset", damit eine Akkupunktur ihr volles Potential entfalten kann. In Folge dessen kann ich mir vorstellen, dass klinische Studien - je nach Aufbau - allgemein und/oder in unserem Kulturkreis zum Scheitern verurteilt sind bzw. eben zu widersprüchlichen Ergebnissen führen.
Eine Anmerkung noch: Dass du dadurch
wesentlich skeptischer geworden bist, find ich schade - abgesehen davon, dass es dich wohl zu mehr Sport motiviert.
Einfach wegen der großen Rolle, die selbsterfüllende Prophezeiungen (in beide Richtungen!) aus meiner Sicht spielen.
@Kraven
Klar, Fälle wie Gloria sind nicht schön. Ich wäre halt sehr vorsichtig, mich darauf zu sehr zu versteifen: Schwarze Schafe gibts bei allen Beteiligten. Aus meiner Sicht ists halt ziemlich egal, ob Menschen zu Schaden kommen, weil Homöopathie blödsinnig angewandt wird oder weil Schulmedizin blödsinnig angewandt wird. Es kann gut sein, dass ersteres prozentual öfter vorkommt - also prozentual zur Anwendung des Gebietes. Eine Frage, die sich mir stellt, ist: Wieso haben Homöopathie und allgemein alternative Ansätze in der Medizin einen Aufschwung? Ein Grund kann sein: Kirchen verlieren stark an Boden. Kirchlich praktizierter Glaube hat sich aus meiner Sicht zu wenig und viel zu langsam einer sich verändernden Welt angepasst, inkl. neuer Erkenntnisse - weshalb immer mehr Menschen ihr Vertrauen in diese verlieren. Dies hinterlässt ein "Glaubens-Vakuum", das anderweitig gefüllt wird. Eine andere Möglichkeit - und die beiden sich nicht aus - kann ein schwindendes Vertrauen in die klassichen Ärzte sein: Warum sollte ich jemandem vertrauen, der mich in krankem Zustand 1h zwischen anderen kranken Menschen warten lässt, um sich dann 5 min. Zeit für mich zu nehmen?
Ein anderer Punkt ist die - auch in deinem Posting - unterstellte Klarheit wissenschaftlicher Erkenntnisse. Du sagst: Die Leute, die an Homöopathie glauben, glauben ja nur dran, während ich die Schulmedizin nachweisen kann. Ich sage: Die Schulmedizin ist gesichert
er, größere Anteile sind (sehr wahrscheinlich) korrekt und funktionieren, aber der Unterschied zu alternativer Medizin ist in erster Linie ein gradueller Unterschied, nicht zwingend ein grundlegender. Aber dabei gehts mir auch jeweils ums Gesamtpaket. Ich kann mir gut vorstellen, dass viele homöopathischen Mittel keine* Wirkung haben ("keine": Placebo-Diskussion hatten wir ja schon
). Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass es Ansätze und Ideen gibt, die eine Wirkung haben können. Und um die zu finden und zu verstehen, ist es wichtig, "open minded" zu sein. Ein Beispiel: Bei dem Thema "Verdünnung/Potentierung" sollte nicht mit dem Nachdenken aufgehört werden, sobald man feststellt, dass ab einem gewissen Verdünnungsgrad voraussichtlich keinerlei Wirkstoff mehr vorhanden ist. Vielmehr sollte überlegt werden, ob und was für Eigenschaften sich nach aktuellem Erkenntnisstand und was für welche möglicherweise über den aktuellen Erkenntnisstand hinaus sich auf den Trägerstoff übertragen könnten.
Was die Fehleranfälligkeit der klassischen Wissenschaft angeht, möchte ich noch auf ein paar Punkte hinweisen: Gim hat die 5% Irrtumswahrscheinlichkeit erwähnt. Hier einfach nur ein paar Gedankengänge - vorweg: Mir ist klar, dass ich hier stark vereinfache. Mir ist auch klar, dass die 5% Irrtumswahrscheinlichkeit nur
eine mögliche Signifikanzschwelle ist und durchaus auch 1% und 0,1% üblich sind - wobei meines Wissens in der Medizin 5% üblich sind? Stimmt das?
Wissenschaftliche Arbeiten bauen idR (meiner Erfahrung nach: Quasi immer) auf vergangenen Erkenntnissen auf. Muss auch so sein, ist auch völlig in Ordnung. Hier kann es aber zu bedingten Wahrscheinlichkeiten kommen: Unter der Annahme, dass A korrekt ist (wie durch Studie xy [mit <5% Irrtumswahrscheinlichkeit] belegt), gehen wir davon aus, dass Maßnahme B zu Effekt C führt. Dieses untersuchen wir empirisch und stellen fest: Mit <5% Irrtumswahrscheinlichkeit ist die Annahme bestätigt. Angenommen - und die Zahlen sind jetzt relativ willkürlich gewählt - unsere Studie baut stark auf drei vorangegangen Studien auf und jeder dieser Studie ist stark abhängig von jeweils drei weiteren Studien, sind wir effektiv abhängig von 12 vorangegangenen Studien mit je <5% Irrtumswahrscheinlichkeit. 95% hoch 13 (insgesamt 13 Fälle von <5% Irrtumswahrscheinlichkeit) ergeben bis zu 49% Irrtumswahrscheinlichkeit. Ups. Daher find ich eine Portion Relativismus gar nicht so falsch hier. Es sei aber noch angemerkt, dass mir wohl bewusst ist, dass a) verschiedene Studien sich gegenseitig stützen (und zwei Studien mit je 5% Irrtumswahrscheinlichkeit zur gleichen Aussage resultieren in 0,25% Irrtumswahrscheinlichkeit), b) die tatsächlichen Werte potentiell sehr viel kleiner als 5% sind und c) ein Fehler einer zugrundeliegenden Annahme nicht zwingend eine Aussage bzw. studie falsifiziert. Auf der anderen Seite ist aber die Anzahl verwendeter Quellen normalerweise sehr sehr sehr viel größer.
Ein anderer Punkt ist: Das da oben ist ne rein mathematische Betrachtung. Gerade bei quantitativ empirischen Studien ist aber der mathematische Teil der Statistik das kleinere Thema: Ihre Interpretation* ist viel spannender und entscheidender. Und hier wird (u.A.) interessant, in wie weit die betroffenen Forscher ergebnisgetrieben sind: Wissenschaftlich betrachtet ist eine Falsifizierung einer Annahme ein genauso valides, gutes und konstruktives Ergebnis wie eine Bestätigung. Psychologisch betrachtet ist die Bestätigung aber sehr viel toller und motivierender für den Forscher. Wenn dann auch noch Ergebnisdruck und große Geldsummen dahinterstecken...
Meines Wissens - aber ich hab leider keine Quelle dafür greifbar (könnte ne Vorlesung von Prof. Sembill gewesen sein
) - wurde sogar bei Physikexperimenten gezeigt, dass die Erwartungshaltung des durchführenden Forschers einen signifikanten Einfluss auf das Ergebnis haben kann - Stichwort: Selbsterfüllende Prophezeiung.
*kleine Anmerkung dazu: "Glaube keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast" - diese Aussage ist wohlbekannt und nach meiner Erfahrung irreführend. Denn man muss gar nicht groß "fälschen", wie ich nicht zuletzt im Berichtswesen - was ja stark auf (sogar eher primitiven) Statistiken aufbaut - erlebt habe. Hat man nur genug Zahlen, kann man nahezu alles nachweisen. Und selbst kleine Fehler können schnell zu gegensätzlichen Aussagen führen. Das muss nicht mal absichtlich passieren: Passt man nicht sehr genau auf, passiert das schnell auch versehentlich.
Und die Anmerkung führt mich zum letzten Punkt hier: Seit wann sind Mediziner dafür bekannt, besonders talentiert und gut im Umgang mit Statistik zu sein, allein schon dem mathematischen Teil?
Ich kann hier das Buch "
Der Hund, der Eier legt" wärmstens empfehlen (wobei ich es selbst leider immernoch nicht vollständig gelesen habe
). Ich finde leider grade auf die schnelle die passende Textstelle nicht, daher folgende Zahlen ohne Gewähr. Die Autoren dieses Buches haben sich vor paar Jahren mal die größte (?) wissenschaftliche Zeitung der Medizin in den USA angeschaut und die Veröffentlichungen einfach nur darauf überprüft, ob die Statistik mathematisch korrekt angewandt wurde. Ergebnis: In ~25%? der Fälle wurde sie das nicht. Darauf haben sie die Zeitschrift angeschrieben und grob gesagt ein "Ups, schlecht, kümmern wir uns drum" als Antwort bekommen. Ein paar Jahre später haben sie das Experiment wiederholt und sind auf eine
gestiegene Fehlerrate gekommen. Wieder die Zeitschrift angeschrieben, dieses Mal ohne Reaktion.
In dem Buch wird übrigens auch betrachtet (grad beim Durchblättern drüber gestolpert), wie sich positive bzw. negative Ergebnisse auf die Chance zur Veröffentlichung bei Kongressen auswirken - Kurzfassung: Positiv = doppelt so gute Chance. (Callaham et al.: Positive-outcome bias and other limitations in the outcome of research abstracts submitted to a scientific meeting. J. Am. Med. Assoc. 280 (1998), S. 254-257)
Uffz, das wurde länger als gedacht. Ich will damit nicht klassische Wissenschaft schlechtreden, absolut nicht. Sie leistet unglaublich viel Gutes und hat ihre Existenzberechtigung. Ich möchte nur auf ihre Grenzen hinweisen - die meiner Erfahrung nach gerne vergessen/unterschlagen werden. Und das führt dann schnell zu einer "Wissenschaftsgläubigkeit" (jaja, Veldryn, hau mich nur
), die ihrerseits nun eben nicht wissenschaftlich ist (haust mich jetzt vielleicht doch nicht?
).
Ein letzter Kommentar zu deinem Posting, Kraven: Ich bin ansich ein großer Freund von Eigenverantwortung. Und dazu gehört auch, sich zu informieren. Und wer das nicht tut ... hat halt Pech, oder eben auch nicht. Aber: Schauen wir uns unsere Welt mal an, ist diese Idee irgendwann einfach unrealistisch. Einfach aufgrund von Komplexität und Informationsflut. Wie viel Zeit muss ich investieren, um eine informierte Entscheidung zu treffen,
welche Online-Banking-Verfahren wie sicher sind? Welche Spülmaschine wie umweltverträglich ist? Ob Kontaktlinsen oder Brille besser sind und ob ich mir meine Augen lasern lassen könnte/sollte? Ob ich meine Rechnerleistung dem
BOINC-Projekt zur Verfügung stellen sollte und was das an Stromkosten nach sich zieht? Ob Bodenhaltung für Hühner wirklich schlechter als Freilandhaltung ist? Ich könnte hier noch ewig weitermachen. Punkt ist: Irgendwo müssen wir anderen Menschen und ihren Aussagen vertrauen. Und an diesem Punkt kann ich durchaus verstehen, wenn medizinisch wissenschaftlich gebildete Menschen zickig werden, wenn sie "idealerweise" fanatisch auftretende Verfechter von "Unsinn" begegnen. Ich finde es allerdings auch schade (und zutiefst unwissenschaftlich), wenn in Folge dessen eine komplette Idee als Unsinn abgetan wird und so getan wird, als sei völlig offensichtlich, dass da nix dahinter stecken kann.
@Heilpraktiker und Ausbildung in Deutschland
Öhm, dass es nicht (staatlich anerkannt) ausgebildete Heilpraktier gibt, ist eine Sache - aber werden
deren Leistungen auch von (gesetzlichen) Krankenkassen bezahlt? Dachte eigentlich nicht?
@Y
Interessante Aussagen aus den Studien. Ich hätte zu den Erklärungsversuchen noch eine weitere Idee beizusteuern: Möglicherweise sind die Leiden von wohlhabenderen Menschen eher andere - weiß nicht, wie weit das in den Studien berücksichtig wurde. Wenn die Ursachen für Leiden eher psychischer Natur sind (Psychosomatik führt zu organischen Leiden, im Gegensatz z.B. zu [punktueller] körperlicher Überanstrengung), die z.B. durch erhöhten Stress hervorgerufen sind, kann ich mir gut vorstellen, dass ganzheitliche, alternativmedizinische Ansätze schlich effektiver wirken, als tendenziell (!) eher drogenbasierte* schulmedizinische Varianten. (*Disclaimer: "Drogenbasiert" soll hier in keinster Weise negativ oder als Angriff gemeint sein.)
Ich kann mir auch gut vorstellen, dass Placebo-Effekte - v.a. wenn sie mit intensiverer Beratung zusammenspielen - in diesen Fällen einen noch viel stärkeren Effekt als z.B. bei einer klassischen Grippe haben.
@David
Äh, warum sollte Homöopathie nicht als Placebo wissenschaftlich untersucht werden? Warum sollte nicht untersucht werden, welche Elemente einer homöopathischen Behandlung eine über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirkung haben oder haben könnte?
Selbst ganz klar als "Glauben" einzuordende Aspekte unserer Gesellschaft werden (glücklicherweise!) wissenschaftlich untersucht und betrachtet - nennt sich "Theologie".
@heise-Link "Homöopathie ist institutionalisierter Geisterglaube"
Sind schon interessante Sichten drin. Ich muss allerdings sagen: Dass es aus homöopathischen Kreisen eine starke und wahrscheinlich irrationale Abwehrhaltung gegenüber dem Buch gibt, die gar nicht so sehr auf Inhalten basiert, wundert mich jetzt nicht. Wer sein Buch schon als "Die Homöopathie-Lüge" betitelt, wählt damit (wahrscheinlich absichtlich) einen stark provozierenden Titel und braucht sich über
dieses Echo nun nicht zu wundern...
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Ich will diese Diskussion nicht ewig am Leben halten, aber doch zumindest noch kurz was dazu schreiben:
@Gim
Japp, Hintergrund vom FSM ist mir wohl bewusst und ich habe es nicht ganz zufällig gewählt. Ich bin generell der Meinung, wir könn(t)en mehr Humor so ziemlich überall gut gebrauchen. Ich hab auch keine Probleme damit, mich über Glauben anderer lustig zu machen und keine Probleme damit, wenn sich andere über meinen Glauben lustig machen. Nur: "Lustig machen" ist halt auch immer eine Form von persönlichem Angriff und damit aus meiner Sicht in einer konstruktiven Diskussion nicht angebracht - außer vielleicht (!) unter Freunden, die genau wissen, wie man sowas (nicht) meint. Erschwerend kommt halt noch das Medium Internet = Text only hinzu ...
Eine Klarstellung noch: Ich find grad das "nur meine Meinung" nicht, aber wenn das durchklang, was es nicht als "
nur deine Meinung" gemeint, sondern als "
nur deine
Meinung".
Das Ding hier soll auch in keinster Weise ein Angriff sein, sondern hoffentlich mögliche Missverständnisse meiner postings ausräumen.
"tu quoque gelöscht": Danke.