HiHo, ich grabe mal den alten Thread wieder aus, mit Bitte um Verlegung in das Geschichtenforum. Ich rechtzeitig zu Ostern poste ich mal eine Weihnachtsgeschichte . Ich habe die Geschichte als Erzählpredigt im Heiligabendgottesdienst erzählt, den wir zusammen mit der Militärseelsorge veranstaltet haben, und habe da durchaus auch einen kleinen politischen Subtext eingeflochten. Viel Spaß beim Lesen
Der Soldat mit den roten Handschuhen, inspiriert von Rudolf Otto Wiemer*
Der Soldat schlug sich in die Handschuhe. Es war mal wieder kalt in dieser Nacht. Damals in Rom, hatten sie ihn beglückwünscht. In den Süden sollte es gehen. Da ist es warm, da scheint immer die Sonne. Niemand hatte von den Nächten geredet. Die waren kalt. Und die waren gefährlich. Dieses Land war voll von Aufständischen. Diverse fundamentalistische Splittergruppen zogen durch die Gegend und wenn sie sich nicht gerade gegenseitig abmesserten, rivalisierten sie vor allem darin, wem es wohl gelänge, die meisten römischen Soldaten zu ermorden.
Der Soldat lächelte grimmig. Hatten die Juden nicht Rom als Schutzmacht angerufen? Hatte die römische Armee ihnen nicht die Freiheit gebracht, eine begrenzte Autonomie, und hatten sie nicht die Zivilisation in diese barbarische Ecke nahe am Ende der Welt gebracht? Straßen gebaut, ein Postwesen eingerichtet, Wasserleitungen installiert?
Gewiss, es gab auch Übergriffe. Vor allem die verbündeten Truppen von Roms sogenannten Freunden waren ziemlich undiszipliniert. Aber Vergeltungsmaßnahmen mussten ja auch sein, um sich Respekt zu verschaffen. Sonst würde diese Wegelagerei mit der sich die Aufständischen finanzierten überhand nehmen. Der ganze Straßenbau wäre umsonst, und das Postwesen eine Farce, weil die Wege letztlich unpassierbar wären, und man nur unter Lebensgefahr oder horrenden Schutzgeldzahlungen reisen konnte.
Um überhaupt mal einen Überblick, irgendeine Ordnung in dieses Volk zu bringen, hatte der Kaiser nun eine Volkszählung angeordnet. So würde man Steuerlisen erstellen, und dieses Land wäre nicht nur ein Millionengrab an Militärausgaben, sondern würde auch mal etwas abwerfen. Und vielleicht könnte man auch des einen oder anderen Halunken habhaft werden.
Aber zunächst hatte es den Anschein, als würde dieser Zensus nur noch mehr Chaos verursachen, als es ohnehin schon gab. Halb Israel war auf den Beinen, um sich in der Heimatstadt registrieren zu lassen. Und weil es offensichtlich für Juden als Auszeichnung galt, ein Judäer aus Bethlehem, der Stadt eines offenbar mächtigen Königs der Vorzeit zu sein, pilgerten Tausende aus allen Ecken des Landes in dieses Nest im judäischen Bergland.
Die Stadt war ein einziges Gewusel aus Menschen, Tieren, Karren und Kindern. Überall Gezeter und Geschrei, und wenn es irgendeinen Ort gab, wo Aufständische im Schutz der Menge untertauchen konnten, dann war es genau hier.
Zuhause feierten sie gerade Sol Invictus. Das Fest der unbesiegbaren Sonne. Die längste Nacht des Jahres würde bald vorüber sein, und die Tage länger und heller werden. Die Sonne würde unbesiegt aus der Dunkelheit des Winters emporsteigen, wie auch Rom aus diesem Chaos siegreich hervorgehen würde und das Licht seiner Herrschaft über die ganze Welt ausbreiten würde.
Aber noch war es dunkel, gefährlich und kalt hier. Jeder hier konnte einer von diesen Zeloten oder Sikariern sein. Sie verkleiden sich als Bettler, als Händler sogar als schwangere Frauen. Und eh du dich versiehst, hast du ein Messer im Leib. Sein Kamerad Sixtus ist so gefallen. Und er, Marcus, war dabei gewesen als er starb. Sie hatten daraufhin dreißig Männer der Gegend gekreuzigt, um ein Zeichen zu setzen. Aber er hatte den Eindruck, die Stimmung ist seitdem noch viel feindseliger geworden.
Gefährlich war es, er musste die Augen offen halten. Gerade in diesem Getümmel, gerade in dieser Nacht, in der es dunkel war. Und bitterkalt.
Er blickte auf seine Handschuhe und musste lächeln. Rot waren sie, und selbstgestrickt von seiner Mutter. Die Kameraden hatten ihn ausgelacht deswegen. „Willst du in einen Krieg ziehen oder in eine Schneeballschlacht“ haben sie gehöhnt. Willst du, dass sich die Zeloten totlachen, wenn sie dich so sehen? Ein Legionär mit Fäustlingen von Mami. Das ist doch peinlich für die ganze Kohorte! Er hatte sogar schon überlegt, sie wegzuwerfen, doch er musste an Mutterns Augen denken, als sie ihm die Handschuhe gegeben hatte. Nein, das konnte er ihr nicht antun.
Dann waren die Nächte kälter geworden, und sie waren von der milden Küstenebene bei Caesaräa hier in das Bergland verlegt worden. Da haben sie aufgehört zu lachen. Und einmal hatte sogar jemand versucht, seine Handschuhe zu stehlen. Nun trug er sie mit Stolz.
„He, Soldat!“
Marcus wurde aus seinen Gedanken gerissen, sofort fuhr seine Hand zum Schwertgriff. In seinen Gedanken an seine Mutter war er unaufmerksam geworden, das kann schnell den Tod bedeuten, und dann wird Mutter zuhause weinen.
Ein Einheimischer stand vor ihm. Bei ihm war ein Esel und eine schwangere Frau. „Ha“, dachte Marcus, die Tarnung mit schwangeren Frauen kenne ich schon und zog seine Waffe. „Keinen Schritt weiter, Jude, oder ich Euch in den Hades schicken!“
Sein Gegenüber hob beschwichtigend die Hände. „Ich bin fremd hier, wir kommen aus Galiäa, wir sind völlig fertig von der Reise, Sie sehen doch, meine Frau ist schwanger, und wir brauchen dringend ein Quartier. Ich fürchte es ist bald soweit“
Marcus hielt inne. Das Schwert in der Hand musterte er die beiden. In den Augen des Mannes waren Erschöpfung und Verzweiflung zu sehen. Sonst hätte er als Jude sich wohl auch kaum an einen römischen Legionär gewandt. Die Frau im Hintergrund wimmerte leise. Was sollte er nun tun? Er blieb misstrauisch.
„Aus Galiläa kommt ihr? Wo den da? Wie heißt du? Und wieso schleppst du deine hochschwangere Frau hier in dieses Gebirge, wo es kalt ist und gefährlich, in eine Stadt die dermaßen überrannt ist?“
„Ich habe mir diese Volkszählung nicht ausgedacht“ versetzte der Jude, und in seinen Augen glomm so etwas wie Trotz auf, den Marcus hier von den Eingeborenen nur zu gut kannte. Doch dann hörte man ein leises Aufstöhnen von der Frau, und der Blick des jüdischen Wanderers wurde sofort wieder milder.
„Ich heiße Josef. Wir kommen aus Nazareth. Ich bin ehrbarer Handwerker, Zimmermann von Beruf. Ich bin kein Feind Roms, sondern nur ein verzweifelter Mann, der eine Herberge sucht. Hier ist alles belegt und bei meiner Frau haben die Wehen eingesetzt. Ich brauche Hilfe.“ und nach einer kurzen Pause: „Bitte!“
Marcus blickte vom Mann zur Frau und wieder zurück. Sein Herz sagte ihm deutlich, dass er hier helfen musste. Sein Kopf spulte alle Dienstvorschriften herunter, die dagegen sprachen. Dann setzte sich sein Herz durch.
„Mitkommen!“ sagte er barsch, doch dann tat er das, was er eigentlich nicht tun durfte. Er wandte dem fremden Juden seinen Rücken zu und verließ seinen Posten. Mit den beiden Wanderern im Schlepptau marschierte er zur nächsten Heberge. Das Gedränge war furchtbar. Auch für Marcus gab es kein Durchkommen. Aber dann sah er ein Stück weiter draußen einen Stall für die Tiere. Jeder Gasthof hatte Viecher zum Schlachten außerdem oft Reittiere.
„Hauptsache ein Dach überm Kopf?“ Der Jude nickte. Marcus wandte seine Schritte auf das Feld. Der Stall war wie durch ein Wunder nicht voll belegt. Wahrscheinlich waren die meisten Tiere auf dem Grill und der Wirt machte das Geschäft seines Lebens. Wie auch immer, es war noch Platz da und frisches Heu.
„Im Namen des Kaisers von Rom requiriere ich diese Unterkunft für Josef von Nazareth und seine schwangere Frau – so, wenn jemand Fragen stellt, soll er sich an mich wenden. Ihr wisst ja wo mein Posten ist. Und dahin muss ich jetzt schleunigst zurück.“ Josef nickte und von seiner Frau kam ein dankbarer Blick, der Marcus ans Herz ging. „Kommt ihr klar?“ seine Stimme war milder geworden.
Wieder nickte Josef und seine Frau versuchte zu lächeln.
Marcus machte kehrt und bezog wieder seinen Posten. Irgendwo in der Magengegend hatte er das Gefühl, heute etwas richtig gemacht zu haben. Und irgendwie war es wärmer geworden. Nicht draußen, sondern drinnen. Auch schien es heller zu sein als vorher. Täuschte er sich, oder strahlte ein Stern am Himmel heute nacht viel heller als sonst? Warum war es ihm dann vorher nicht aufgefallen. Sol Invictus, dachte er: mitten in der dunkelsten Jahreszeit beginnt das Licht wieder stärker zu werden. Er dachte an zuhause und betrachtete beinahe zärtlich seine roten Handschuhe.
Seine Wache verlief erstaunlich reibungslos. Als seine Ablösung kam, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, und sah noch einmal bei dem Stall vorbei. Die junge Frau hatte ihr Kind geboren. Ein Sohn ist es geworden, erzählte der Vater stolz, und Jesus soll er heißen, Gott hilft. „Aber Ihr habt uns auch geholfen“, sagte er, „obwohl Ihr ein Heide seid“ und sein Blick war voller Dankbarkeit.
Doch Marcus hörte gar nicht mehr hin. Er sah das Kind, in diesen elenden Verhältnissen, es lag tatsächlich im Futtertrog, der notdürftig mit Heu ausgepolstert war. Und plötzlich kam in ihm alles hoch. Das ganze Leid. Der Schmerz über den Verlust des Freundes und Kameraden. Die grausame Rache, dieser sinnlose Tod der dreißig Männer.
Er blickte auf seine Hände, die daran beteiligt waren sie steckten noch immer in Mutterns roten Handschuhen. Da kam auch all die Liebe hoch, alles Gute, was er im Leben erfahren hatte. All die Freundschaft und Solidarität, alle Hilfe. Die Zärtlichkeit und Wärme.
Langsam ging er in die Knie. Du darfst hier sein, spürte er in seinem Herzen, du darfst hier sein mit dem Leid, mit deiner Schuld, und mit all dem Guten und Schönen. Mit deinem ganzen Leben bist du hier im Stall von Bethlehem. Tränen stiegen in seine Augen.
Er blickte auf zur Mutter. „Ich heiße Maria“ sagte sie leise. Sie sah glücklich aus, aber auch erschöpft von der Geburt, sie hatte wohl Blut verloren und ihre Hände wirkten fast durchsichtig und blaugefroren. Langsam zog Marcus seine Handschuhe aus. Die Handschuhe mit denen er getötet hatte, und die Handschuhe die ihn gewärmt hatten. In den kalten nächten und den dunklen Stunden.
Er legte sie in die Krippe, zum Kind in den Windeln. Er blickte Maria an. „Ich glaube, die kannst du im Moment ganz gut gebrauchen“ sagte er unbeholfen. Maria lächelte: Das ist unser erstes Geschenk zur Geburt, danke“
„Da ist aber einiges drin“ versuchte Marcus zu erklären, aber Maria lächelte: „dann ist es erst recht gut, wenn du es heute hier lässt“ Marcus nickte.
Dann hörte er, dass von draußen Leute kommen. Hastig stand er auf, und verschwand in der Nacht. Niemand hat je seine Geschichte erzählt. Bis heute.
*Rudolf Otto Wiemer, Pit und die Krippenmänner, 1960