Zora's Geschichten-Thread

Rote Zora

Pfefferklinge
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Verehrtes Publikum!

Ich bin SEHR unsicher, ob ich diesen Thread hier überhaupt starten soll, aber ich habe mich jetzt doch für "ja" entschieden. Ich bin berufsmäßig ja unter anderem damit beschäftigt, Geschichten zu erzählen. Problem: Der Inhalt ist religiös nicht ganz neutral
:rolleyes:
Hiermit also:

PARENTAL ADVISORY: EXPLICIT RELIGIOUS CONTENT

Ich möchte das Forum auch NICHT als Plattform religiöser Propaganda missbrauchen, und will mit diesem Thread auch keine religiöse Diskussion vom Zaun brechen, beides ist mit den Forenregeln NICHT vereinbar, und jeder weiß, dass ich diese Regeln nicht nur akzeptiere, sondern deren Einhaltung auch von anderen verlange.

Worum geht's dann? Erstens möchte ich die Geschichten gerne mit Euch teilen. Zweitens sausen hier so viele Leute rum, die hervorragende Geschichtenschreiber sind, und deren Kritik mir viel bedeutet.

Feedback über: Erzählperspektive, Erzähltempo etc wären mir wirklich wichtig.

Ich habe davon schon so zwei drei Stück auf Lager, und wenn die Diskussion nicht ausartet, oder Nighty oder ein besorgter Mod den Thread schließt, würde ich die hier so peu-a-peu reinstellen.

Als Demo mein allerneuestes Produkt. Gleich als erstes Post.

ZORA
 

Rote Zora

Pfefferklinge
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Es war traumhaftes Wetter. Die Sonne schien warm und freundlich, und Chäräv wischte sein Schwert mit einem Stofffetzen ab, den er von seinem Opfer genommen hatte und warf den blutigen Lumpen ins Gebüsch.
Chäräv bezeichnete sich selber gerne als Kopfgeldjäger, aber in Wirklichkeit war er nichts anderes als ein gewissenloser Killer. Die Zeiten waren böse. Jede Familie, jeder Clan, jede Sippe war mit der anderen im Streit, und die Blutrache regierte. Böse Zeiten für die Menschen, gute Zeiten für Leute wie Chäräv. Wenn er Glück hatte würde ihn sogar die Familie des Opfers beauftragen, diesen Tod zu rächen, wer weiß? Chäräv lächelte.
Eigentlich könnte er mal wieder Noah besuchen. Noah war der einzige, der irgendwie an diesem ganzen bösen Spiel von Mord und Totschlag nicht teilnahm, er war also noch nie Kunde gewesen bei Chäräv, aber auch noch nie Ziel von seinen Anschlägen. Noah war irgendwie nicht von dieser Welt, deshalb ging Chäräv eigentlich gerne mal nach Feierabend zu ihm, weil er sicher sein konnte, hier nichts Geschäftliches regeln zu müssen.
In der Welt nannte man Noah nur „den Verrückten“ aber vielleicht, so dachte Chäräv, ist in einer so verrückten Welt der Verrückte der einzig Normale.
Am Eingangstor stand einer von Noahs Söhnen.
„Hallo Japhet!“ sagte Chäräv freundlich, und gab dem jungen Mann sein Schwert. Bei Noahs musste man seine Waffen immer an der Pforte abgeben, daran hatte er sich schon gewöhnt. Aber einen fiesen Spruch machte er doch immer wieder gerne.
„Fass mal an, ist noch warm. Vom mittleren Sohn bei den Horons. Aber er hat nicht lange zu leiden gehabt, er hatte ja das Glück dass er an einen Profi geriet...“
Chäräv freute sich, wie Japhet sich vor der Waffe ekelte und sie mit spitzen Fingern in die Truhe warf.
„Ich weiß nicht, warum sich mein Vater mit dir noch abgibt“ seufzte der, „aber wenn du gehst, kannst du dir dein Mordwerkzeug hier wieder abholen. Übrigens, er ist hinter dem Haus im Hof am Bauen“
Chäräv nickte und grinste zufrieden, als er Richtung Hof marschierte. Ab und zu musste man doch diese weltfremden Leute auf den Boden der Tatsachen zurückholen. Schon von fern hörte er das Hämmern und Klopfen wie auf eine Großbaustelle.
„Obwohl er sich aus vielem so raushält, geht es ihm doch richtig gut, dem Noah,“ dachte Chäräv. „Er baut offensichtlich schon wieder eine neue Scheune“.
Außerdem schien er sich ne Menge exotisches Viehzeugs zugelegt zu haben. Auf Noahs Hof ging es ja schon zu wie in einem Zoo. Kein Wunder, dass man da neue Stallungen brauchte.
Neugierig umrundete er das Haus um zu sehen, wie weit die Bauarbeiten schon gediehen waren. Aber was war DAS?
Das ganze hatte gigantische Ausmaße. Das Dach der Scheune lag mit dem Untersten nach oben auf Blöcken, der Dachfirst schwang sich in einem Bogen links und rechts in die Höhe. Die Dachspanten waren auch kunstvoll gewölbt, wie bei einem Schiffsrumpf.
„HE NOAH“ brüllte Chäräv über den Lärm der Baustelle hinweg. „Willst du mit diesem Scheunendach einen Architekturpreis gewinnen, oder was?“
Noah legte den Hammer aus der Hand und ging herüber zu Chäräv.
„Wer redet denn von Scheune, lieber Chäräv,. das da – er wies auf das hölzerne Gerippe – ist ein Schiff. Ich werde es Arche nennen.“
„Arche“ sagte Chäräv trocken. „Cool, Arche Noah. Wird man bestimmt noch in 5000 Jahren von sprechen“ Er musste aufpassen, dass er nicht laut losprustete vor Lachen. Also ein bisschen verrückt war Noah ja schon immer, aber nun war er endgültig durchgeknallt.
„Hör mir zu Chärav“ sagte Noah ernst, und Chäräv ärgerte sich schon, dass Noah auf seinen coolen Scherz so gar nicht einging. „Die Welt, in der wir leben, sie ist nichts, was von alleine so funktioniert, sie ist nicht einfach da, und wird auch nicht ewig da sein...“
Chäräv guckte Noah mit hochgezogenen Augenbrauen an. Wenn Noah philosophisch wurde, wurde es meistens interessant, auch wenn Chäräv damit meist nichts anzufangen wusste.
„Die Welt ist von Gott geschaffen, und um es noch genauer zu sagen: Sie ist von ihm aus dem Chaos heraus geschaffen worden, aus dem Tohuwabohu.“ Chäräv nickte, das hatte er schon gehört, er wusste immer noch nicht, worauf Noah hinaus wollte. Also nicht widersprechen.
„Das Chaos“ fuhr Noah fort, „das ist wildes Wasser. Unsere ganze Welt ist von wildem Wasser umgeben. Gott hat die wilden Wasser ausgesperrt. Hat einen festen Himmel gemacht, und eine feste Erde. Er hat die Wasser gezähmt und Schleusen angebracht. So kann es regnen und so können Quellen sprudeln, ohne dass die Welt hier im Chaos versinkt.
Noah sprach eindrucksvoll. Er untermalte seine Vorstellungen mit großen Bewegungen, und schien sich seiner Sache ganz sicher.
Chäräv, dessen Neugier größer war als alle Zweifel an dieser Theorie, nickte wieder. Im Grunde konnte er sich das auch gut vorstellen. Es war wie dieser Hof von Noah. Rundherum war wütendes Chaos, und dieser Hof war so eine feste Zone, mit eine Schleuse davor, so dass Chäräv zwar hinein konnte, aber eben ohne Unheil anzurichten. Unwillkürlich ging sein Blick zu dem gigantischen Schiff. Eine undefinierbare Beklemmung machte sich in seiner Magengegend breit. Er hatte sogar das Gefühl, als sei der Wind kühler geworden. Eine kleine Wolke schob sich vor die Sonne.
„und was ist jetzt damit?“ fragte er und deutete auf die im Bau befindliche Arche.
„Chäräv!“ Noah packte den Killer an den Schultern und blickte ihm gerade ins Gesicht „Das Chaos in der Welt ist bald schon wilder als das drumherum. Gott reicht es. Er hat diese Welt aufgegeben. Wir Menschen haben sie verdorben. Er...“ Noah machte ein Pause, und seine Stimme zitterte „er wird die Schleusen öffnen“
Eine Träne lief aus Noahs Augenwinkel über seine Wange und verschwand in seinem üppigen Bart.
Chäräv starrte Noah fassungslos an.
Der Mann musste völlig übergeschnappt sein. Aber es war sein absoluter Ernst, daran war kein Zweifel.
„Noah“ versuchte Chäräv wieder das Wort zu ergreifen, aber seine Stimme klang belegt, „Noah, aber das würde doch bedeuten,... ich meine, wenn das wahr ist was du da erzählst, dann... dann würde das doch bedeuten dass...“ Chäräv konnte es nicht in Worte fassen.
„Ja, dass diese ganze schöne Welt, so wie sie jetzt ist, untergeht. Komplett. Ganz und gar. Mit Mann und Maus. Und ohne Rettungsboot.“
„Bis auf... deine... Arche?“
Noah seufzte und blickte zu dem hölzernen Gerippe. „Ja, bis auf meine Arche. Ich weiß nicht wie das funktionieren soll, aber Gott hat versprochen, dass er mich überleben lässt. Mich und meine Familie. Und von den Tieren je ein Paar. Und das war's dann auch schon.“
Chäräv schwieg und blickte zur Arche. Das war dermaßen unglaublich, das war so endlos abgedreht, so vollends durchgeknallt, dass es fast schon wieder wahr sein konnte. Ein Tropfen fiel auf seinen Arm, und in seinem wirklich gefährlichen Leben ist sich Chäräv wohl noch nie so dermaßen erschrocken, er fuhr zusammen und blickte panisch zum Himmel. Die kleine Wolke hatte sich zu einem dunkelgrauen Etwas aufgetürmt, und ringsherum fielen dicke Tropfen auf die Erde. „Oh Gott!“ entfuhr es ihm, und er blickte hilfesuchend zu Noah, der völlig ungerührt da stand.
„Das, lieber Chäräv, ist nur ein ganz normaler Schauer. Ist bald wieder vorbei. Die Arche ist doch noch nicht fertig. Aber lass es dir einen Wink vom Himmel sein. Gott meint es ernst, es ist vorbei, sehr bald. Chäräv, vielleicht kann ich dich retten!“ Noahs Stimme klang fast flehentlich.
„Du? Mich retten?“ Chäräv starrte auf seine Hände, obwohl sie sauber waren, konnte er das frische Blut förmlich riechen. Er druckste herum: „Du, Noah, du weißt, ich gehöre nicht hier her, nicht hier in deine heile Welt. Ich gehöre zu denen da draußen. Ich... ich... ich töte für Geld, verstehst du ich bin Kopfgeldjäger, Killer, Mörder!“
Noah blickte ihn traurig an. „Das weiß ich doch“, sagte er sanft, „aber wenn du jetzt umkehrst, wenn du jetzt aufhörst, wenn du jetzt in mein Haus kommst, kann ich Gott bestimmt überreden, er hat gesagt mein ganzes Haus wird gerettet, und wenn du...“
Chäräv unterbrach ihn: „Nein, Noah, nein. Was wäre ich denn hier bei dir? Ein Fremdkörper, ich müsste ja ganz von vorne anfangen, mein ganzes Können, mein ganzes Leben wäre ja wertlos ich müsste ja ganz radikal...“
„Ja, das müsstest du“ sagte Noah ernst.
Langsam schüttelte Chäräv den Kopf, wandte sich um und ließ Noah im Regen stehen, der jetzt in dichten Schleiern über das Land wehte. Die Tropfen mischten sich mit den Tränen, die über Noahs Wangen kullerten, doch Chäräv bemerkte es nicht. Er holte sich bei Japhet sein Schwert ab, und ging durch das Tor. Vielleicht würde er zu Horons gehen, und nach einem Job fragen, die hatten jetzt doch bestimmt eine Rechnung mit seinem letzten Arbeitgeber offen.
„Noch ist es nur ein Schauer“ seufzte Noah mit einem Blick zum Himmel, und trieb seine Arbeiter zu Eile an...
 

DeSoya

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Auch wenn ich sicher kein Experte bin, was Geschichten angeht, werde ich mal meinen Senf dazu abgeben. ;)
Auch wenn ich im folgenden doch ziemlich meckere, mir hat sie gefallen, da sie sehr gut lesbar ist, und mich zum Nachdenken bringt. :) Also das bitte nicht aus den Augen verlieren. So, nun aber:
Ich habe die Geschichte gelesen und war ein paar Minuten am Überlegen, was ich aus selbiger entnehmen kann. Was mir persönlich fehlt ist ein Pointe. Es wirkt auf mich/ist ja eine Schilderung einer Begegnung zwischen Noah und einem Killer. Es ist gut möglich, dass dies bereits die Pointe ist. Für mich ist sie aber definitiv zu diffus.
Noah selber wirkt recht gut. Nicht zuletzt dadurch, dass Chäräv durch die Verwendung recht 'cooler' Sprache schön als Gegenpol zu einem abgeklärten, wenn auch ziemlich betrübten Noah geschildert wird. Allerdings hältst du das nicht bis zum Schluss durch. Chäräv - gesetzt den Fall, er nimmt es Noah wirklich so ab - ist natürlich betroffen. Aber das er dann komplett den lockeren Redestil verliert, finde ich überzogen. Ich lese gerade nochmal nach....hm, er stottert. Das reicht eigentlich schon. Trotzdem habe ich den Eindruck, dass dieser Teil noch verfeinert werden könnte. Vermutlich bei dem Teil, als er selber reuig wird und Noahs Einladung mit der Begründung ablehnt, dass er ja Killer sei. Evtl. wäre es dort stimmiger, wenn er sich bspw. schüttelt und dann wieder sein altes Selbst zum Vorschein kommt und er vom Hof geht, "dem Alten" die Geschichte aber nicht wirklich abnimmt.
Ach ja, zu Chäräv selber noch etwas. Meinst du nicht, dass du mit dem Mörder vielleicht etwas zu klischeehaft vorgegangen bist?
 

Kraven

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Wow... klasse geschrieben! :up: Vor allem finde ich die Idee witzig, die Geschichte in heutiger Sprache zu hören, das macht Spaß zu lesen :) Und auch Chäräv selbst... einer der Sünder, der die Geschichte als außenstehender mitkriegt... erstklassig, hat wirklich Spaß gemacht zu lesen :)

Den Anfang finde ich etwas holperig, das kann aber auch daran liegen, dass ich die Erzählweise des allwissenden Erzählers nicht allzu gut kenne. Ich hätte wohl eher die Geschichte komplett aus Chärävs Perspektive beschrieben, aber das ist Geschmackssache.
Was ich allerdings nicht wirklich verstehe, ist, warum Chäräv Noah glaubt. Er betrachtet den Mann doch als verrückt. Unabhängig davon, ob er gläubig ist oder nicht, aber woher weiß er, dass Noah einen direkten Draht zu Gott hat?
 

Christa

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:up: Super

Über Erzählperspektive oder Erzähltempo kann ich Dir leider nichts sagen, davon hab ich keine Ahnung :o, aber ich lese sehr gerne und deine Geschichte hat mir vom Schreibstil her besser gefallen, als das Original. Ich hab Noah richtig vor mir gesehen, wie er mit großen Bewegungen vom Chaos spricht und wie er am Ende versucht Chäräv zu retten. [flüster]*sich eine Träne wegwischt*[/flüster]

Ich glaube, ich habe bei einem Satz einen Fehler gefunden:
<Ein Tropfen fiel auf seinen Arm, und in seinem wirklich gefährlichen Leben ist sich Chäräv wohl noch nie so dermaßen erschrocken,...>
Ist sich erschrocken habe ich noch nie gehört oder gelesen, ich würde schreiben hat sich erschrocken ;)

[flüster]Aber so was wolltest Du bestimmt nicht hören, oder?[/flüster]
 

Rote Zora

Pfefferklinge
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Danke für die konstruktive Kritik. Und natürlich auch für die Komplimente :)
@deSoya
Hm, die Pointe. Bös gute Frage. Im Grunde wollte ich gar keine Pointe in dem Sinne rüberschwingen, dass es eine klare "Moral von der Geschicht" gibt. Ich wollte die Geschichte mal spannend erzählen, aus einer neuen Perspektive. So ein bisschen Hintergund ausleuchten. Welches Weltbild dieser Fluterzählung zu Grunde liegt. So ein wichtiger Satz ist: Das Chaos hier drinnen ist bald schlimmer als das Chaos da draußen. Im Weltbild der Erzählzeit dieser Geschichte war die Welt als Gottes Schöpfung eine Feste in chaotischen Urflut. Auch wenn unser Planetensystem für solch ein Weltbild keinen Platz mehr hat, ist an dieser Vorstellung ja irgendwie was wahres dran, dem wollte ich mal nachspüren, auch mit dem Vergleich von Noahs Hof und schließlich auch der Arche.
Am Schluss muss ich wirklich noch bissi feilen, Chäräv kann zum Schluss tatsächlich klarer in sein altes Leben zurückkehren. Oder aber es muss deutlicher werden, dass er zwar geht, aber irgendwie den Spaß an dem Job verloren hat.
Natürlich arbeite ich mit Chäräv als Klischee. Aber es gehört zum Kontext der Geschichte, dass sich die Verderbnis der Welt vor allem in einer Eskalation der Blutrache geäußert hat: Vom Auge um Auge, Zahn um Zahn war nicht mehr die Rede, sondern: "Einen Mann erschlug ich für meine Wunde, und einen Jüngling für meine Beule, Kain soll siebenmal gerächt werden, aber Lamech siebenundsiebzig mal" (1.Mose 4,23+24).
Der das gesagt hat, gilt als Vater von Noah, da könnte man natürlich auch was draus machen. So nen netten Vater-Sohn Konflikt. :D
Die totale Verderbnis der Welt war ja nicht dergestalt zu sehen, dass die Menschen etwas netter zueinander sein sollten, sondern es war Mord und Totschlag aller Orten. Und deshalb gefiel mir Rolle des Chäräv so gut: Schlechte Zeiten für die Menschen, gute Zeiten für Chäräv.
@Kraven:
Hm, ok, auctorialer Erzählstil passt natürlich zur Gattung "Märchen" oder so, und ist nicht jedermanns Sache. Auch die Vergangenheitsform wird bei mir oft angefragt, Präsens sei viel dichter. Ich weiß nicht, ich glaube das ist mein Stil. Außerdem, wenn ich in Ich-Form von Chäräv schreibe, kann ich ihn eigentlich nicht am Schluss vor die Hunde gehen lassen. :c: ;)
Aber allwissend ist der Erzähler nicht, oder ist mir da ein Fehler unterlaufen? Auch der Erzähler sieht die Arche erst, wenn er mit Chäräv um die Ecke biegt, und erkennt dass es ein Schiff ist, erst, als Noah das erklärt.
Dass Chäräv Noah nicht nur für Verrückt hält, macht er ja schon am Anfang deutlich, als er überlegt, ob Noah nicht vielleicht der einzig normale ist.
Die Spannung, dass Chäräv Noah glaubt, dass er den Schutz dieses "frommen" Hauses genießt, aber letztlich nicht dazu gehören kann und will, das ist durchaus eine Spannung und ein Widerspruch, der beabsichtigt ist.
@Christa
ARGH. Jajaja, das Erschrecken. Also normalerweise wird das intransitive Erschrecken im Perfekt mit sein gebildet. Also wenn ich erschrecke, heißt es im Imperfekt erschrak und im Perfekt ich bin erschrocken. Wenn ich jemanden erschrecke, heißt es erschreckte und habe erschreckt. So jedenfalls die Theorie. Umgangssprachlich durchgesetzt hat sich aber die falsche reflexive Form: Ich habe mich erschreckt. (würde eigentlich bedeuten, dass man vor dem Spiegel laut BUH sagt).
In diesem Kuddelmuddel habe ich dann beim Schreiben wohl den Überblick verloren. Aber mal an die RS und Grammatik Experten: Richtig müsste es heißen, "war ...erschrocken" oder? Aber das sagt und schreibt heute doch kein Mensch mehr...
*grübel*
ZORA
 

Kraven

Lernender
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Och, mit der Vergangenheitsform kann ich gut leben, les ich gewohnheitsgemäß lieber als Präsens ;)
Wenn ich sage, aus Chärävs Sicht erzählen, meine ich damit nicht die Ich-Form. Aber du schreibst "Die Tropfen mischten sich mit den Tränen, die über Noahs Wangen kullerten, doch Chäräv bemerkte es nicht." Wenn Chäräv es nicht merkt, ist es für den Leser nicht passiert, es sei denn, die Erzählform ist die des allwissenden Erzählers.
Auch bei Chärävs Vorstellung schreibst du "Chäräv bezeichnete sich selber gerne als Kopfgeldjäger, aber in Wirklichkeit war er nichts anderes als ein gewissenloser Killer." Wieder die Meinung eines Außenstehenden, des Erzählers. Bei der simplen Wiedergabe Chärävs Gedanken wäre der Wortlaut in etwa: "Manche Leute bezeichneten ihn oft als gewissenlosen Killer, eine Bezeichnung, die Chäräv nicht recht gefallen wollte. Viel lieber bezeichnete er sich als Kopfgeldjäger, auch wenn einem Außenstehenden wohl kein allzu großer Unterschied aufgefallen wäre." Der Sinn ist geblieben, aber die Sichtweise wurde komplett auf Chäräv übertragen. Das sorgt für mehr Nähe mit dem Hauptcharakter, ohne dass du auf die Ich-Form verfallen musst.
Andererseits sind Noahs Tränen natürlich ein dramatisches Element, darum versteh ich die... auctoriale? Erzälform [Argh, Fremdwörter :D ;) ].
 

Sol

Mönch/Assassine
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Um ein Statement abgeben zu können Zora, würde ich gern wissen brauchst du diesen Text für so eine Art Predigt oder etwas in dieser Richtung? :)
 

Ciramon

Drachenkrieger
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Ich glaube, es stammt nicht aus einer konkreten Motivation. Zora mag es wohl einfach, Geschichten neu zu erzählen. Sehr bardenmäßig eben und für Zuhörer und Leser macht es die alten Geschichten wieder interessant bzw. erleichtert Kindern ein erstmaliges Entdecken :)

Geht die Geschichte copy-pasten
 

Sambuco

Mutzenjäger
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@Zora:
WOW! :up:
Meinen allergrößten Respekt. Ich habe die Geschichte vom ersten bis zum letzten Wort in mich hineingesogen - obwohl ich sie ja eigentlich ziemlich genau kenne.
Sehr flott und modern erzählt. Ehrlich, das ist genau der Stil, mit dem man jüngeren Menschen die biblischen Geschichten näher bringen kann. In meinem Konfirmantenunterricht hätte ich mir gewünscht, solche Texte zu haben.:)
Besonders gefällt mir, dass es quasi aus der Sichtweise von Chäräv erzählt wird. Das macht die ganze Sache viel persönlicher.

Was hast Du eigentlich mit den Geschichten vor?
Die wären eigentlich ideal für mein Patenkind. Kannst Du bitte noch weitere Kostproben geben? Oder kann man irgendwo Deine "gesammelten Werke" lesen?

Sam
 

Chinasky

Dirty old man
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Hier Wenn er Glück hatte würde ihn sogar die Familie des Opfers beauftragen, diesen Tod zu rächen, wer weiß? fehlt hinter "hatte" ein Komma.

Hier Ein Tropfen fiel auf seinen Arm, und in seinem wirklich gefährlichen Leben ist sich Chäräv wohl noch nie so dermaßen erschrocken, er fuhr zusammen und blickte panisch zum Himmel. müßte es nach meinem Sprachverständnis entweder "hatte sich Chäräv wohl noch nie so erschrocken" oder "war Chäräv wohl noch nie so erschrocken gewesen". So und dermaßen ist doppelt gemoppelt, ob man "sich erschrecken" oder nur "erschrecken" nimmt, hängt wohl von der Gegend ab, aus welcher man kommt.

Solche
In der Welt nannte man Noah nur „den Verrückten“ aber vielleicht, so dachte Chäräv, ist in einer so verrückten Welt der Verrückte der einzig Normale.
Sätze sind für mich immer schwierig, ich hab's gern durch eindeutige Satzzeichen gekennzeichnet, wann eine Figur etwas denkt, und wann nicht. In der Welt nannte man Noah nur "den Verrückten". Okay, das ist eine auktoriale Perspektive. Doch die wird noch nicht einmal durch ein (eigentlich hierher gehörendes ;) ) Komma von dem "aber vielleicht" abgegrenzt, mit welcher dann Chärävs wortwörtliche Gedanken sich anschließen. Sollte der erste Teil ebenfalls schon zu diesen wortwörtlichen Chäräv-Gedanken gehören, müßte er ebenfalls im Präsens stehen. Also ungefähr so:
"Da draußen in meiner Welt nennen sie Noah alle nur den Verrückten", dachte Cäräv, "aber vielleicht ist in einer so verrückten Welt der Verrückte der einzig Normale."

Übrigens halte ich diesen Satz für ziemlich - nun ja - untypisch für einen Kerl wie Chäräv. Normal? Wie kommt er auf Normal? Dies würde heißen, daß er in Normenverständnis hätte, welches mit der Welt nicht übereinstimmt. Woher soll er das haben?
Und damit komme ich zum Inhaltlichen... :fies:
Du hast Dir mit dieser Geschichte genaugenommen etwas Unmögliches vorgenommen, indem Du Dich inhaltlich auf die Bibel verläßt, deren Vorzug es aber ist, nicht wirklich eine psychologische Stimmigkeit ihrer Charaktere einhalten zu müssen.
Die Frage ist doch schon, ob es solche bösen Zeiten, wo frisch drauflosgemeuchelt wird, wo also das Faustrecht oder das Recht dessen, der die besseren Profis anheuern kann, gilt, geben kann, ohne daß das Rechtsbewußtsein der Menschen sich ändert. Du sprichst von "bösen Zeiten für die Menschen", und setzt ein "gute Zeiten für Leute wie Chäräv" als Kontrapunkt dagegen. Dies hieße erstens, daß Chäräv kein Mensch ist, und zweitens, daß die Zeiten scheinbar nicht so sich gestalten, wie es die Mehrheit der Menschen wünscht.
Darin wird aber schon das religiös-philosophische Dilemma deutlich: Wenn die Mehrheit der Menschen die Dinge nicht so mag, wie sie laufen, dann wird diese Drohung der heraufziehenden Bestrafung durch die Sintflut zu einer ungerechten Drohung. Die Menschen wollen ja gar nicht, daß es so läuft wie bislang, nur die Nicht-Menschen a la Chäräv sorgen dafür, daß alles immer schlimmer wird. Und doch wird ausgerechnet diesem Chäräv angeboten, er könne sich in die Noah-Arche mit einquartieren, wenn er mal kurz umkehrt.

Wenn ich mir einen Grund vorstellen sollte, weswegen es Gott einfallen sollte, diese ganze bisherige Schöpfung absaufen zu lassen, so nur jenen, daß sie hoffnungslos vermurkst ist. Dazu müßte aber für mein Verständnis gehören, daß Menschen, die paradigmatisch für diese Vermurkstheit stehen, eben blind sind für ihre Deformiertheiten. Ein Kopfgeldjäger, der sich mit irgendwelchen Schuldgefühlen herumplagt, der die Welt, wie sie ist, als böse einstuft, der paßt nicht in dieses Bild der totalen Deformation. Hier kommt Deine christliche Errettungsbotschaft zum Tragen, sie macht die Geschichte für mein Verständnis kaputt. Klar, ich verstehe: Chäräv wird bis zum Ende die rettende Hand (Gottes, durch Noah verlängert) angeboten, er bräuchte nur zugreifen und alles würde (für ihn) gut, er müßte nur umkehren auf seinem Weg. Niemand versteht bei Deiner Geschichte so genau, warum er sie nicht ergreift, denn die Rückkehr in seine böse, chaotische Welt ist nicht wirklich glaubhaft motiviert. Eigentlich ist sein (von mir mal ausformuliertes) Argument: "Ich bin zu böse, um gerettet zu werden!" saublöd. Auch hier wieder vermischt sich Deine Predigerfunktion mit der des Literaten und zwar zuungunsten der Literatur. Denn wir kennen ja alle dieses Argument, daß in der Bibel mehrmals vorkommt, daß die Bösen so an ihrer Bosheit verzweifeln, weil ihnen der Glaube an die Allmacht göttlichen Verzeihens fehlt. Und Euer Job als Prediger ist also der zu sagen: "Nein, so böse könnt ihr gar nicht sein, daß Gott eure Reue nicht annehmen würde."

Aber wenn Chäräv tatsächlich böse wäre, und wenn er wirklich an die kommende Sündflut glauben würde, dann wäre er Egoist genug, zu sagen: Okay, ich ändere meinen Weg, ich werfe mein Schwert fort, denn das Hemd ist mir näher als der Wams. Ein Profikiller würde die Gefahr erkennen und sich im Zweifelsfalle für das eigene Leben entscheiden. Er würde sich also Asche auf's Haupt streuen, einen Mea-culpa-Gesang anstimmen, heuchlerisch hilfsbereit beim Bau der Arche mithelfen und in einem unbeobachteten Moment eine Waffe gut zwischen den zwei Sicherheitswänden in der Arche verstauen, um sie - man kann ja nie wissen! - im Bedarfsfall nach der Sündflut wieder hervorzukramen. Das wäre spannden, das wäre realistisch, das würde jenen Kitzel beim Leser auslösen, der versteht: das Böse (Alien) läßt sich nicht ersäufen, denn seine Natur ist die des Überlebenskünstlers. Statt dessen handelt Chäräv ganz seltsam: Er geht aus Noahs Haus wie der gläubige Katholik aus der Kirche, und sobald er draussen ist, hat er alle Bedenken und Selbstzweifel und Schuldgefühle verloren: Business as usual.

Wie soll ich sagen?! Das ist alles so plakativ. So Predigt-mäßig. Keine spannende Geschichte, sondern eine Fabel, von der Kanzel herabhallend:"Sind wir nicht alle kleine Chärävs, die ab und an angesprungen werden von unserem schlechten Gewissen? Vor allem, wenn uns ein Noah oder ein Pastor darauf hinweist, wie sehr wir uns verrant haben? Sollten wir nicht alle dann ein klein wenig klüger sein als Chäräv? Sollten wir nicht alle etwas vernünftiger sein als der Suppenkasper? Hier, in der Geschichte steht's ja, wohin sowas führt!" :rolleyes:

Das Ende der Geschichte ist ja eben nicht offen, sondern für alle Leser klar: Chäräv wird, weil er die Gelegenheit, umzukehren, nicht wahr nahm, absaufen, samt all den anderen verderbten Leuten und wohl auch denjenigen Menschen, die bisher auch schon eine böse Zeit hatten... Und das finde ich langweilig.
Langweilig finde ich auch, daß dem Noah nicht ein etwas mephistopelischerer Chäräv entgegengesetzt wird. Sobald Noah die Hände ausstreckt und zu predigen und die Welt und ihre allgemeine Lage zu erklären beginnt, ist Chäräv sofort ganz kleinlaut. Und das soll ein Kontrapunkt sein? Es gäbe allerhand kluge und schwierig zu beanwortende Fragen, die er Noah stellen könnte. Er könnte ihn als das erscheinen lassen, als was er jedem, gar nicht einmal böswilligen, sondern lediglich skeptischen Vernunftwesen erscheinen müßte: Als ein Spinner. Warum stellt er nicht all jene Fragen, die jeder Betriebswirt gern stellen würde?
"Hey, Noah, wo hast du eigentlich das Kapital für so eine Riesenunternehmung her? Wer schenkt dir das ganze Holz, wer fängt für dich all die Tiere ein, welcher Bauer organisiert es, all das nötige Futter an Bord zu bringen? Womit überhaupt verdienst du dein Geld und ernährst deine ganze große Sippe, damit die den lieben langen Tag hier auf der Baustelle arbeiten kann? Ist doch komisch, daß ausgerechnet deine so blütenweißen Geschäfte in bösen Zeiten wie diesen derart florieren können, oder? Jene Tonkrüge zum Beispiel - hat die nicht der Sulev hergestellt, für den ich letztens seinen Konkurrenten killen mußte, weil der nicht im Tonkrugkartell mitspielen wollte? Und das Holz dort - stammt es nicht vom Grundstück Alehebs, der es nur deswegen so früh erben konnte, weil ich bei dem sozialverträglichen Ableben seines Väterchens ein wenig nachhalf? Klar, er hat es dir billig verkauft, aber weißt du auch, weswegen? Weil er ganz schnell Geld brauchte, um mich und seine drei Huren zu bezahlen. Tja, ohne meine kleinen Meucheldienste hättest du wohl dreimal soviel für das Holz zahlen müssen, wäre es dann noch finanzierbar gewesen, auch genügend Streu für die Elefanten und Warzenschweine einzukaufen?"

Die Alltagssprache, in welcher Du hier schreibst, versucht, die Abgedrehtheit und Gleichnishaftigkeit der Geschichte zu verdecken. Aber obgleich Du die Sprache änderst, läßt Du doch ansonsten alles so, wie's in der Bibel steht, und so sorgst Du für eine Pseudo-Authentizität. Weil Dir der Kern der Geschichte heilig ist, bist Du ihr als Literat und Barde ausgeliefert und hast Du nicht die Möglichkeiten, die sich z.B. ein Thomas Mann bei seinem "Joseph"-Roman nahm (die beste Bibel-Geschichte, die ich in meinem ganzen Leben gelesen habe). Dein Glaube steht vor der Tür, hinter welcher das literarische Licht leuchtet, und läßt Dich nicht hindurch, sondern weist den Weg in jenes Zimmer, in welchem all die Wachturm- und Erwachet!-Autoren sitzen und den Schweißgeruch der im höchsten Maße Rechtgläubigen verströmen... :p

All das, was natürlich an dieser Geschichte auch gut ist, zu loben, spare ich mir. Da mir die ganze Richtung nicht paßt, werde ich einen Deibel tun... :fies: Und ausserdem bis Du als Geistlicher Profi und mußt allein deswegen schon mit strengerem Maß gemessen werden als wir Durchschnitts-Laienautoren...
 
Zuletzt bearbeitet:

Rote Zora

Pfefferklinge
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@Sol: Ist momentan noch nicht klar, ob ich die Geschichte irgendwo verwende. Jugendgottesdienst? Reli-Unterricht? Keine Ahnung. Ist nicht mit spezieller Zweckbindung geschrieben.

@Cir: Mist ich habe die copyright Vermerke vergessen :p

@Sambuco: Weitere Kostproben werden gewiss folgen.

@ Hank: He, du (oder deine Eltern :p) hast meine Parental Advisory nicht gelesen. ;)
Also Thomas Mann ist nicht mein Maßstab. Der spielt definitiv in einer anderen Liga. Wenn ich mich mit großen Reli-Päd Erzählern wie Neidhardt, Laubi, Schindler und Terlinden messen kann, dann bin ich ja heilfroh. Nach dem Literaturnobelpreis strebe ich nicht.
Das tun übrigens auch meine bardischen Werke sonst hier im Forum nicht, wie dir aufgefallen sein wird, ist fast alles ziemlich simple Gebrauchlyrik, anlässlich von Geburtstagen oder anderen Nettigkeiten.
Die für dich enttäuschende Qualität meiner Geschichte hat also nicht nur mit meinem religiösen Sendungsbewusstsein zu tun, sondern mit meinem literarischen Niveau, das mit Sicherheit nicht Bundesliga ist.
Dass Chäräv zum Schluss zu blass ist, ist mir aber nach DaSoyas Kritk auch schon aufgefallen, und daran werden ich noch feilen.
Das andere ist natürlich trotzdem richtig, Noah wird beschrieben als einer, der "ein frommer Mann ohne Tadel" war, und natürlich eine idealisierte Heile Welt symbolisiert. Natürlich kann man als guter Protestant darauf wert legen, dass man so isoliert nicht leben kann, und das Böse eine Verstrickung ist, aus der sich keiner wirklich herauswinden kann.
Habe auch schon eine Idee, die Geschichte vielleicht noch mal als Bruderkonflikt aufzuziehen, wo Chäräv und Noah beide Söhne Lamechs sind, da könnte man den Konflikt zwischen dem frommen Spinner und dem bösen Realisten dran aufbauen.
Diese Geschichte bleibt aber in ihren Genen ganz archaisch und archetypisch. Bleibt im Weltbild, bleibt eben irgendwie fabulös, und das durchaus mit Absicht.

ZORA
 

Sambuco

Mutzenjäger
Registriert
28.07.2003
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2.266
Ähm Hank,
Dir ist schon klar, dass man an eine (immer noch) biblische Geschichte nicht die literarischen Maßstäbe (in Bezug auf Glaubwürdigkeit, Sinnhaftigkeit, ect. ) des 21ten Jahrhunderts anlegen kannst?;)

Insofern finde ich Deine Kritik für einen Atheisten zwar durchaus nachvollziehbar, in diesem Zusammenhang (zumal Zora extra darauf hingewiesen hat) aber ziemlich unfair.

Zora hat IMHO eine "moderne" Fassung einer biblischen Geschichte geschrieben - nicht eine moderne Geschichte mit marginalem biblischen Hintergrund. Das wollte sie auch nicht, aber genau das ist es, was Du kritisierst.

Fazit: Am Thema vorbeidiskutiert, Sechs, Setzen! :D ;)

PS: @Zora:
Da hätte ich mir das auch sparen können.:D
 
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Chinasky

Dirty old man
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@Sambuco: Hab mich noch nie an die "aufgegebenen Themen" gehalten. Und egal, um welche Geschichten es sich handelt, ob um uralte biblische oder um in der Gegenwart spielende: literarische Qualität hat nichts mit der Zeit zu tun, und an einen Autor der Jetztzeit darf ich als Publikum jetztzeitige Qualitätsansprüche stellen. :p
@ Zora: Und Warnhinweise werden grundsätzlich ignoriert. :p :p

Natürlich will ich hier, an Dich, Zora, nicht Mann'sch Maßstäbe anlegen (oder vielleicht doch, bin mir da nicht sooo sicher ;) ). Inzwischen hab ich nochmal drüber nachgedacht, und bemerkt, daß ich noch gar nicht nach dem anvisierten Publikum gefragt habe. Diese Frage hole ich also nach, ohne mich weiter um die Antwort zu scheren, denn das Publikum sind ja, wenn die Story hier erzählt wird, wir Forumler. :D

Und ich als einer von denen habe immer große Probleme, Inhalt und Form so säuberlich zu trennen, weil die ja eigentlich ein Ganzes bilden sollten. Also muß ich, wenn ich mir Gedanken über die Form mache, auch immer bedenken, warum eben diese Form gewählt wird, welche Funktion sie haben soll.
Wenn ich mit dem Thema an sich gewaltige Probleme hätte, würde ich hier ja nicht schreiben, aber eigentlich finde ich das Thema sogar spannend - wie andere wichtige Themen, die Liebe z.B. Es geht also um das Wie, und nur daran habe ich etwas auszusetzen als selbstangemaßter Kritikaster. Du, Zora, trägst Dich ja schon selbst mit dem Gedanken, die Geschichte aus einer anderen Perspektive zu schreiben und einen Bruderkonflikt in den Mittelpunkt zu stellen.

Für mich ist die Geschichte nicht in sich stimming, weil der Konflikt, in dem sich Chäräv befindet, eben nur ein behaupteter Konflikt ist. In der Bibel geht man (gedanklich) ja quasi vom Ende aus: von der Sündflut. Und dann wird sozusagen überlegt, was denn Gott zu dieser Sündflut bewogen haben könnte.
Aber hier, in Deiner Geschichte, wird Chäräv einfach in das Joch gezwungen, ein Beispiel für die Verderbtheit der Welt abzugeben. Und das auf eine, wie ich finde, nicht besonders überzeugende Weise. Wenn seine boshafte Freude beschrieben wird, als Japhet sich vor der blutigen Klinge ekelt, dann fühle ich mich an B-Movies oder die schwächeren Stellen von Salvatore-Romanen erinnert, wenn ein Böser mal so richtig böse zu sein hat. Es überzeugt mich nicht, es ist nur behauptet. Wenn Du nun sagst, Chäräv solle nur ein Klischee sein, dann ist dagegen freilich nicht anzuargumentieren. Wenn Du's so willst... :rolleyes:
Aber Klischees sind langweilig. Und da ich mal einfach davon ausgehe, daß Du natürlich auch gern literarisch so wertvoll wie möglich schreibst, kann Dir das nicht egal sein, denn Klischees sind immer schlechte dramaturgische Mittel. Es geht mir darum, daß man als Autor auch den dunklen, den negativen Helden nicht verraten sollte, weil er sonst weniger dunkel ist. Chäräv, das Abziehbild eines Schurken - das ist keine sehr überzeugende Anti-Identifikationsfigur.
Tragik (und letzten Endes ist seine Rückkehr in das Chaos der "bösen" Welt ja wohl tragisch gemeint) kommt nicht auf bei Figuren, die uns aufgrund ihrer fehlenden Mehrdimensionalität nicht nahe gehen. Chäräv - wie alle anderen Leute, die zu der Verderbnis der geschilderten Epoche beitragen - hat eine Geschichte, hat Gründe, warum er so wurde, wie er ist. Wenn Du die "gute Seite" auch in Deiner Geschichte vertreten willst und - was ja gar nicht verboten sein soll, auch nicht für Literaten - eine Moral vermitteln willst, dann ist es aber doch handwerklich geschickter, sich soweit wie möglich in die böse Gegenseite hineinzuversetzen, wenigstens für eine Weile mal ihre Sichtweise zu übernehmen. Und zwar nicht unter Vorbehalt und die Hand immer fest an der Brille, sie jederzeit abzunehmen, sobald der Anblick zu vertraut wird.
Als Autor solltest Du es Deinem Vorbild nachmachen, und auch mal in die Hölle hinabsteigen, Dir das Böse mal von Nahem anschauen, nicht durch die Schutzgitter des Klischeehaften. So funktionieren alle guten Geschichten, in denen von wahren Bösewichtern erzählt wird, mir fällt da spontan "Das Schweigen der Lämmer" ein. Man sollte als Leser das Böse nachfühlen können, man sollte erschrocken feststellen, daß man selbst so zu denken imstande ist wie der Oberschurke (dadurch funktionier z.B. der Thriller "Sieben" - der Zuschauer weiß, was in dem Karton ist, weil er - und er macht es sich erst in dem Moment klar, als er über sein Wissen erschrickt - in der Logik des Massenmörder denkt).

Nur, wenn Chäräv echtes Charisma erhält, kann auch seine Gegenfigur Noah zu glänzen anfangen. Seine Absonderlichkeit sollte auch für den Leser zuerst absonderlich wirken, die Wahrheit/Richtigkeit seines Standpunktes sollte sich erst im Laufe der Geschichte herauskristallisieren. Diese Richtigkeit wird ja in Deiner Geschichte nur durch den von mir schon kritisierten Gedanken Chärävs behauptet, welcher eigentlich dadurch eine gedankliche Toleranz beweisen würde (wenn man es ihm eben abnähme), die sogar noch positiv von dem selbstsicher-selbstgerechten Noah absticht.

Ebenso, wie Chäräv einseitig charakterisiert wird, wird freilich auch Noah lediglich als Abziehbild vorgeführt. Natürlich ist es hier für Dich als Autor noch schwieriger, so etwas wie Konflikte und Unsicherheiten in Noah anzulegen, da wir ihn ja nur durch die Augen Chärävs sehen. Etwaige Unsicherheiten Noahs müßten also im Dialog mit Chäräv oder in von Chäräv beobachteten Handlungen Noahs verpackt werden. Sicherlich keine einfache Aufgabenstellung. Mithin eine Herausforderung für eine Bardin! ;)

Wie auch immer - die Geschichte ist auf jeden Fall zu kurz, und zwar, weil die Moral der Geschicht Dir wahrscheinlich - nein, Du brauchst es nicht zuzugeben! :p - von Anfang an allzu klar war. Also spulst Du Dein Programm routiniert ab, mehr artistisch als künstlerisch. Das Thema der Regentropfen, also das Wettermotiv steht gleich zu Anfang, wird dann als Tropfen-Zeichen (nicht an der Wand sondern gleich am Himmel) beim Höhepunkt der Geschichte verwendet, um am Ende nochmal als "nur ein Schauer" die Sache abzurunden. Das ist erzählerische Routine, so, wie ich in vielen Details Deiner Geschichte erzählerische Routine bemerke, gegen die ich nichts einzuwenden hätte, wenn sie nicht so verdammt routiniert wäre. :shine: Die Story trägt Dich, den Erzähler, nicht fort, Du gehst, Weg und Ziel allzugut kennend, Ihr voran und sie trottet brav hinter Dir her.
Dies ist der Grund, weswegen ich persönlich eben nicht jenen Sog spüre, von dem Sambuco spricht, ich spüre eher das Gängelband, an welchem ich entlanggeführt werden soll.

Und das alles schreibe ich so gnadenlos, weil ich weiß, daß Du ein erwachsener Mensch mit einem gehörigen Batzen Verstand und vor allem erzählerischem Können bist, dem man nicht schmeicheln und Mut machen muß wie vielleicht einem schüchtern seine ersten Schreibversuche vorzeigenden Jugendlichen. Weil ich weiß, daß Du es viel besser könntest, wenn Du die Geschichte mal loslassen würdest, statt sie zu führen, wenn Du Chäräv und Noah mal etwas Lebens- und Spielraum lassen würdest, auch auf die Gefahr hin, daß sie schließlich an einem ganz anderen Ziel als dem vorgegebenen ankommen. Das hat nichts damit zu tun, wie ich Deine Intentionen (explicit religious content) finde, sondern es hat was mit der künstlerischen Vorgehensweise zu tun. Auf die Malerei übertragen würde ich sagen: Hör mit dem Malen nach Zahlen auf! Die Vorzeichnung und erste Idee dürfen nicht zum steifen Korsett werden. :)
 
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Kalla

Edler Held
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Verzeiht mir, wenn ich heute mal wenig eloquent (das mit der Eloquenz hat Hank ja schon für sich gebucht ;) ), also ganz gegen meine Gewohnheit nur ne kurze Stellungnahme abgebe.

Es fällt mir schwer, mich argumentativ innerhalb des biblischen Rahmens zu bewegen, somit den Plot als gegeben hinzunehmen und daraufhin nur noch die Form zu loben oder zu kritisieren. Tatsächlich geht es hier in meinem Verständnis um Form UND Inhalt, und der Barde hat es sich hier zur Aufgabe gemacht, mit der gewählten Form einen Inhalt (neu) zu "verkaufen". Und dieser "Spagat" ist nur in Ansätzen gelungen, was sicher mit Zoras religiöser Grundhaltung erklärbar ist. Kritik im einzelnen spar ich mir mal mangels Zeit (später mehr....)
Spannend find ich den Diskurs jetzt gerade deswegen, weil es in der Darstellung von "Gut und Böse" darum geht, sowohl die religiös tendenziöse als auch die ganz profan spannungsheischende Haltung in eine Form zu bringen, die beidem gerecht werden kann.
Sowas würd ich mir dann gerne mit einer Flasche Wein am Lagerfeuer (vorzugsweise beim FT in Crailsheim, ... Zora, kannst du nun kommen? ... ) mal gerne antun und darauf freu ich mich dann schon mal. :)
 

Rote Zora

Pfefferklinge
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HiHo, ich grabe mal den alten Thread wieder aus, mit Bitte um Verlegung in das Geschichtenforum. Ich rechtzeitig zu Ostern poste ich mal eine Weihnachtsgeschichte :D. Ich habe die Geschichte als Erzählpredigt im Heiligabendgottesdienst erzählt, den wir zusammen mit der Militärseelsorge veranstaltet haben, und habe da durchaus auch einen kleinen politischen Subtext eingeflochten. Viel Spaß beim Lesen

Der Soldat mit den roten Handschuhen, inspiriert von Rudolf Otto Wiemer*

Der Soldat schlug sich in die Handschuhe. Es war mal wieder kalt in dieser Nacht. Damals in Rom, hatten sie ihn beglückwünscht. In den Süden sollte es gehen. Da ist es warm, da scheint immer die Sonne. Niemand hatte von den Nächten geredet. Die waren kalt. Und die waren gefährlich. Dieses Land war voll von Aufständischen. Diverse fundamentalistische Splittergruppen zogen durch die Gegend und wenn sie sich nicht gerade gegenseitig abmesserten, rivalisierten sie vor allem darin, wem es wohl gelänge, die meisten römischen Soldaten zu ermorden.

Der Soldat lächelte grimmig. Hatten die Juden nicht Rom als Schutzmacht angerufen? Hatte die römische Armee ihnen nicht die Freiheit gebracht, eine begrenzte Autonomie, und hatten sie nicht die Zivilisation in diese barbarische Ecke nahe am Ende der Welt gebracht? Straßen gebaut, ein Postwesen eingerichtet, Wasserleitungen installiert?

Gewiss, es gab auch Übergriffe. Vor allem die verbündeten Truppen von Roms sogenannten Freunden waren ziemlich undiszipliniert. Aber Vergeltungsmaßnahmen mussten ja auch sein, um sich Respekt zu verschaffen. Sonst würde diese Wegelagerei mit der sich die Aufständischen finanzierten überhand nehmen. Der ganze Straßenbau wäre umsonst, und das Postwesen eine Farce, weil die Wege letztlich unpassierbar wären, und man nur unter Lebensgefahr oder horrenden Schutzgeldzahlungen reisen konnte.

Um überhaupt mal einen Überblick, irgendeine Ordnung in dieses Volk zu bringen, hatte der Kaiser nun eine Volkszählung angeordnet. So würde man Steuerlisen erstellen, und dieses Land wäre nicht nur ein Millionengrab an Militärausgaben, sondern würde auch mal etwas abwerfen. Und vielleicht könnte man auch des einen oder anderen Halunken habhaft werden.

Aber zunächst hatte es den Anschein, als würde dieser Zensus nur noch mehr Chaos verursachen, als es ohnehin schon gab. Halb Israel war auf den Beinen, um sich in der Heimatstadt registrieren zu lassen. Und weil es offensichtlich für Juden als Auszeichnung galt, ein Judäer aus Bethlehem, der Stadt eines offenbar mächtigen Königs der Vorzeit zu sein, pilgerten Tausende aus allen Ecken des Landes in dieses Nest im judäischen Bergland.

Die Stadt war ein einziges Gewusel aus Menschen, Tieren, Karren und Kindern. Überall Gezeter und Geschrei, und wenn es irgendeinen Ort gab, wo Aufständische im Schutz der Menge untertauchen konnten, dann war es genau hier.

Zuhause feierten sie gerade Sol Invictus. Das Fest der unbesiegbaren Sonne. Die längste Nacht des Jahres würde bald vorüber sein, und die Tage länger und heller werden. Die Sonne würde unbesiegt aus der Dunkelheit des Winters emporsteigen, wie auch Rom aus diesem Chaos siegreich hervorgehen würde und das Licht seiner Herrschaft über die ganze Welt ausbreiten würde.

Aber noch war es dunkel, gefährlich und kalt hier. Jeder hier konnte einer von diesen Zeloten oder Sikariern sein. Sie verkleiden sich als Bettler, als Händler sogar als schwangere Frauen. Und eh du dich versiehst, hast du ein Messer im Leib. Sein Kamerad Sixtus ist so gefallen. Und er, Marcus, war dabei gewesen als er starb. Sie hatten daraufhin dreißig Männer der Gegend gekreuzigt, um ein Zeichen zu setzen. Aber er hatte den Eindruck, die Stimmung ist seitdem noch viel feindseliger geworden.

Gefährlich war es, er musste die Augen offen halten. Gerade in diesem Getümmel, gerade in dieser Nacht, in der es dunkel war. Und bitterkalt.

Er blickte auf seine Handschuhe und musste lächeln. Rot waren sie, und selbstgestrickt von seiner Mutter. Die Kameraden hatten ihn ausgelacht deswegen. „Willst du in einen Krieg ziehen oder in eine Schneeballschlacht“ haben sie gehöhnt. Willst du, dass sich die Zeloten totlachen, wenn sie dich so sehen? Ein Legionär mit Fäustlingen von Mami. Das ist doch peinlich für die ganze Kohorte! Er hatte sogar schon überlegt, sie wegzuwerfen, doch er musste an Mutterns Augen denken, als sie ihm die Handschuhe gegeben hatte. Nein, das konnte er ihr nicht antun.

Dann waren die Nächte kälter geworden, und sie waren von der milden Küstenebene bei Caesaräa hier in das Bergland verlegt worden. Da haben sie aufgehört zu lachen. Und einmal hatte sogar jemand versucht, seine Handschuhe zu stehlen. Nun trug er sie mit Stolz.

„He, Soldat!“
Marcus wurde aus seinen Gedanken gerissen, sofort fuhr seine Hand zum Schwertgriff. In seinen Gedanken an seine Mutter war er unaufmerksam geworden, das kann schnell den Tod bedeuten, und dann wird Mutter zuhause weinen.

Ein Einheimischer stand vor ihm. Bei ihm war ein Esel und eine schwangere Frau. „Ha“, dachte Marcus, die Tarnung mit schwangeren Frauen kenne ich schon und zog seine Waffe. „Keinen Schritt weiter, Jude, oder ich Euch in den Hades schicken!“

Sein Gegenüber hob beschwichtigend die Hände. „Ich bin fremd hier, wir kommen aus Galiäa, wir sind völlig fertig von der Reise, Sie sehen doch, meine Frau ist schwanger, und wir brauchen dringend ein Quartier. Ich fürchte es ist bald soweit“

Marcus hielt inne. Das Schwert in der Hand musterte er die beiden. In den Augen des Mannes waren Erschöpfung und Verzweiflung zu sehen. Sonst hätte er als Jude sich wohl auch kaum an einen römischen Legionär gewandt. Die Frau im Hintergrund wimmerte leise. Was sollte er nun tun? Er blieb misstrauisch.

„Aus Galiläa kommt ihr? Wo den da? Wie heißt du? Und wieso schleppst du deine hochschwangere Frau hier in dieses Gebirge, wo es kalt ist und gefährlich, in eine Stadt die dermaßen überrannt ist?“

„Ich habe mir diese Volkszählung nicht ausgedacht“ versetzte der Jude, und in seinen Augen glomm so etwas wie Trotz auf, den Marcus hier von den Eingeborenen nur zu gut kannte. Doch dann hörte man ein leises Aufstöhnen von der Frau, und der Blick des jüdischen Wanderers wurde sofort wieder milder.


„Ich heiße Josef. Wir kommen aus Nazareth. Ich bin ehrbarer Handwerker, Zimmermann von Beruf. Ich bin kein Feind Roms, sondern nur ein verzweifelter Mann, der eine Herberge sucht. Hier ist alles belegt und bei meiner Frau haben die Wehen eingesetzt. Ich brauche Hilfe.“ und nach einer kurzen Pause: „Bitte!“

Marcus blickte vom Mann zur Frau und wieder zurück. Sein Herz sagte ihm deutlich, dass er hier helfen musste. Sein Kopf spulte alle Dienstvorschriften herunter, die dagegen sprachen. Dann setzte sich sein Herz durch.

„Mitkommen!“ sagte er barsch, doch dann tat er das, was er eigentlich nicht tun durfte. Er wandte dem fremden Juden seinen Rücken zu und verließ seinen Posten. Mit den beiden Wanderern im Schlepptau marschierte er zur nächsten Heberge. Das Gedränge war furchtbar. Auch für Marcus gab es kein Durchkommen. Aber dann sah er ein Stück weiter draußen einen Stall für die Tiere. Jeder Gasthof hatte Viecher zum Schlachten außerdem oft Reittiere.

„Hauptsache ein Dach überm Kopf?“ Der Jude nickte. Marcus wandte seine Schritte auf das Feld. Der Stall war wie durch ein Wunder nicht voll belegt. Wahrscheinlich waren die meisten Tiere auf dem Grill und der Wirt machte das Geschäft seines Lebens. Wie auch immer, es war noch Platz da und frisches Heu.

„Im Namen des Kaisers von Rom requiriere ich diese Unterkunft für Josef von Nazareth und seine schwangere Frau – so, wenn jemand Fragen stellt, soll er sich an mich wenden. Ihr wisst ja wo mein Posten ist. Und dahin muss ich jetzt schleunigst zurück.“ Josef nickte und von seiner Frau kam ein dankbarer Blick, der Marcus ans Herz ging. „Kommt ihr klar?“ seine Stimme war milder geworden.
Wieder nickte Josef und seine Frau versuchte zu lächeln.

Marcus machte kehrt und bezog wieder seinen Posten. Irgendwo in der Magengegend hatte er das Gefühl, heute etwas richtig gemacht zu haben. Und irgendwie war es wärmer geworden. Nicht draußen, sondern drinnen. Auch schien es heller zu sein als vorher. Täuschte er sich, oder strahlte ein Stern am Himmel heute nacht viel heller als sonst? Warum war es ihm dann vorher nicht aufgefallen. Sol Invictus, dachte er: mitten in der dunkelsten Jahreszeit beginnt das Licht wieder stärker zu werden. Er dachte an zuhause und betrachtete beinahe zärtlich seine roten Handschuhe.

Seine Wache verlief erstaunlich reibungslos. Als seine Ablösung kam, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, und sah noch einmal bei dem Stall vorbei. Die junge Frau hatte ihr Kind geboren. Ein Sohn ist es geworden, erzählte der Vater stolz, und Jesus soll er heißen, Gott hilft. „Aber Ihr habt uns auch geholfen“, sagte er, „obwohl Ihr ein Heide seid“ und sein Blick war voller Dankbarkeit.

Doch Marcus hörte gar nicht mehr hin. Er sah das Kind, in diesen elenden Verhältnissen, es lag tatsächlich im Futtertrog, der notdürftig mit Heu ausgepolstert war. Und plötzlich kam in ihm alles hoch. Das ganze Leid. Der Schmerz über den Verlust des Freundes und Kameraden. Die grausame Rache, dieser sinnlose Tod der dreißig Männer.

Er blickte auf seine Hände, die daran beteiligt waren sie steckten noch immer in Mutterns roten Handschuhen. Da kam auch all die Liebe hoch, alles Gute, was er im Leben erfahren hatte. All die Freundschaft und Solidarität, alle Hilfe. Die Zärtlichkeit und Wärme.

Langsam ging er in die Knie. Du darfst hier sein, spürte er in seinem Herzen, du darfst hier sein mit dem Leid, mit deiner Schuld, und mit all dem Guten und Schönen. Mit deinem ganzen Leben bist du hier im Stall von Bethlehem. Tränen stiegen in seine Augen.

Er blickte auf zur Mutter. „Ich heiße Maria“ sagte sie leise. Sie sah glücklich aus, aber auch erschöpft von der Geburt, sie hatte wohl Blut verloren und ihre Hände wirkten fast durchsichtig und blaugefroren. Langsam zog Marcus seine Handschuhe aus. Die Handschuhe mit denen er getötet hatte, und die Handschuhe die ihn gewärmt hatten. In den kalten nächten und den dunklen Stunden.

Er legte sie in die Krippe, zum Kind in den Windeln. Er blickte Maria an. „Ich glaube, die kannst du im Moment ganz gut gebrauchen“ sagte er unbeholfen. Maria lächelte: Das ist unser erstes Geschenk zur Geburt, danke“

„Da ist aber einiges drin“ versuchte Marcus zu erklären, aber Maria lächelte: „dann ist es erst recht gut, wenn du es heute hier lässt“ Marcus nickte.

Dann hörte er, dass von draußen Leute kommen. Hastig stand er auf, und verschwand in der Nacht. Niemand hat je seine Geschichte erzählt. Bis heute.

*Rudolf Otto Wiemer, Pit und die Krippenmänner, 1960
 

Chinasky

Dirty old man
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Sind noch ein paar Schnitzer drin, was die Zeitform angeht. Du wechselst immer mal wieder unvermittelt in die Gegenwart, ohne daß da erzähltechnisch ein System erkennbar wäre. Hier beispielsweise:
Aber er hatte den Eindruck, die Stimmung ist seitdem noch viel feindseliger geworden.
Dazu kommen ein paar Flüchtigkeitsfehler, hier beispielsweise fehlt nur ein Komma:
Das Schwert in der Hand musterte er die beiden.
(Ich hätte hier etwas weniger sparsam geschrieben: Die Hand am Heft seines Schwertes, musterte er die beiden. )

Gegen Ende scheinst Du zum End kommen zu wollen, es schleichen sich immer mehr Flüchtigkeits-Schnitzer ein, wie z.B. hier:
Er blickte auf seine Hände, die daran beteiligt waren sie steckten noch immer in Mutterns roten Handschuhen.

Inhaltlich frag ich mich wie schon bei der Noha-Geschichte: Wer soll angesprochen werden? Die alten Mütterchen, die sich freuen, wenn der Held der Geschichte so liebevoll an Muttern denkt? Kleine Kinder, die endlich einsehen sollen, daß die selbstgestrickten Handschuhe von Oma eigentlich ein total cooles Weihnachtsgeschenk sein können - falls man mal in die Provinz zum Wacheschieben abkommandiert wird? Oder skeptische Halbstarke, die statt eines Märchens lieber eine realistische Story haben und auf Söldnerromane stehen?
Ach, jetzt lese ich's gerade: Militärseelsorge. Die Geschichte hast Du also vor Soldaten erzählt? Wie waren deren Reaktionen?


Und welche Funktion hat denn dann der Held in dieser Geschichte? Ist er der deutsche Thorsten, der am Hindukusch unsere Freiheit verteidigt? Ist er der us-amerikanische Tom, der in Bagdad Nationbuilding betreibt? Und wen vertreten die Zeloten? Die Taliban? Sunniten? Schiiten? Oder nur die UCK-Kämpfer im Kosovo? Sind all die Besatzungstruppen in den Krisenregionen die heutigen Heiden? Fehlen den deutschen Truppen außer gepanzerten Spähwagen auch Handschuhe?

Geht der Held Deiner Geschichte mit gutem Beispiel voran, als er wider die Vorschriften seinen Wachposten verläßt? Kann man, von einem "warmen Gefühl" bewegt, mal eben die Sicherheit der Kameraden außer acht lassen und widerrechtlich Eigentum (Stall) der einheimischen Bevölkerung requirieren?



Und was passierte - eine Frage, die ich immer schon mal gern beantwortet gehabt hätte - mit dem Verantwortlichen in der römischen Bürokratie, der einen Zensus just an einem der höchsten Feiertage ansetzt?


ps.: Etwas offtopic, aber im Zusammenhang mit Deinem Text eventuell interessant für Dich als Seelsorger: Hier plädiert übrigens ein deutscher Soldat auf Jesus.de für die Todesstrafe. Zitat aus einem seiner Postings zum Thema, ob Soldaten als Mörder betrachtet werden können: "Wenn sie andere Kombatanten erschießen so ist das nun mal Krieg. Anders sieht es bei Zivilisten aus. Beabsichtigte Schüsse auf Zivilisten sind nicht hinnehmbar. Allerdings da auch wieder mit der einschränkung, das sich gewisse Kollateralschäden nun mal nicht verhindern lassen. Diese sind zwar ärgerlich, jedoch nicht zu verhindern."

Ärgerliche Kollateralschäden. Warum nur wünsche ich mir, daß solche Leute keine Seelsorge, sondern einen Radiergummiverwaltungsposten in irgendeiner abgelegenen Kaserne in der Lüneburger Heide bekommen?
 
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Rote Zora

Pfefferklinge
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Hallo Hank.
Habe mich ja schon auf deinen gerechten Verriss gefreut. :)
Es waren nicht nur Soldaten da, sondern ganz viele ganz normale Leute, die einen netten besinnlichen Gottesdienst als Sahnehäubchen auf dem Weihnachtsfest haben wollten. Die Herausforderung an den Prediger ist immer, dass Jung bis Alt da sitzt, dass man einerseits nicht aller Erwartungen erfüllen kann, dass man sogar hier und da gegen die Erwartungen angehen will, weil Weihnachten für die wirklich Beteiligten alles andere als gemütlich war. Also irgendwie weg von der Stall-Idylle. Einerseits. Andererseits ist es auch nicht besonders clever, an dem einzigen Abend, wo sie nun mal ALLE in die Kirche kommen, so doll auf den Putz zu hauen, dass sie das nie wieder tun. Ich bin da auch einfach zu nett für.
Von daher ergab sich die Geschichte. Sie hat nicht "die" Moral von der Geschichte, aber lädt hier und da zum Nach- und Weiterdenken ein: Wie ist es, wenn man als Soldat mit einem gewissen Idealismus und Sendungsbewusstsein in eine Krisenregion marschiert, und dann feststellt, dort von einem Großteil der Bevölkerung als Besatzer wahrgenommen zu werden, obwohl man nur Frieden, Sicherheit und Demokratie bringen wollte? Wie verhält man sich in einem assymmetrischen Krieg, der Opfer fordert in den eigenen Reihen? Wenn dem "Feind" aufgrund seiner zahlenmäßigen und technischen Unterlegenheit auch gar nichts anderes übrig bleibt, als sich zu tarnen, in Zivilkleidung zu agieren und damit auch die eigene Zivilbevölkerung dem Verdacht, wenn nicht der Rache der Besatzer auszusetzen (War der Tod der afghanischen Zivilistin mit ihren Kindern eigentlich noch vor Weihnachten? Ich meine beinahe ja). Die Fragen werden nicht beantwortet. Das ist auch nicht der Anspruch, aber die Problematik scheint auf, die - so vermute ich mal - nicht allen meinen Normalhörern vertraut war, weil doch von unseren Medien gerne in Gut und Böse unterschieden wird, und "unsere" Bundis ja immer die Guten sein müssen. Das das so gar nicht funktionieren kann, wollte ich mit der Geschichte schon ausdrücken.
Die Handschuhe sind nur eine Chiffre. Weihnachten als Fest der Liebe - hier ging es um ein Stück Mutterliebe, die der junge Kerl mit an die Front genommen hatte, und eigentlich als Held gar nicht brauchen wollte. Aber auch hier ist die Wirklichkeit stärker: So Held ist er dann doch nicht, und seine Kameraden auch nicht. Am Ende merkt er aber, dass die Mutterliebe und sein hartes Mörderhandwerk eigentlich nicht zusammenpassen. Nicht der Heldendünkel lässt ihn die Handschuhe ausziehen. Sondern eine echte menschlich-warme Regung die er für die junge Frau empfindet.
Und damit, klar, kommen wir noch zu dem religiös-erbaulichen Aspekt. Vor der Krippe Lasten ablegen: das ist nun mal unsere christliche Message. Jesus will keine Weihnachtsgeschenke in Goldpapier, sondern unser Leben wie es ist, mit den geplatzten Träumen und unerfüllten Erwartungen, mit Schuld und Sehnsucht. An der Krippe loslassen können - das macht sozusagen den letzten Schwenk aus, zusammen mit einer Geste von Barmherzigkeit, menschlicher Zuwendung mitten in einem assymetrischen Krieg, bei dem es nur Verlierer geben konnte - die Menschlichkeit wie immer zuerst.

ZORA

Hank, du willst doch keinen Politikthread hier im Geschichtentopic aufmachen, oder? Der Typ schreibt jedenfalls unausgegorenen Quark. Wenn er sagt, beabsichtigte Schüsse auf Zivilisten seien nicht hinnehmbar, dann stimmt das ja schon mal, aber "Kollateralschäden" sind da keine Einschränkung, sondern etwas ganz anderes - es sei denn, man gibt Kriegsverbrechen als Kollateralschäden aus, und dann kommt die ganze Verlogenheit dieses Begriffes zum Vorschein.
 
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Chinasky

Dirty old man
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Gab es denn Feedback von den Soldaten? Wie sah das aus?
 
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