@ Hank
Stört Dich vor allem der Terminus "altdeutsch"?
Nein, mich stört die kulturalistisch hergeleitete Behauptung, Russlanddeutsche seien wegen ihrer Mentalität (oder was auch immer, das wird ja nicht klar benannt) Deutschland-kompatibler als Türken und Araber – dazu noch über so einen blödsinnigen Begriff wie den „Fleiß“, als sei das irgendein Wert an sich. Wie das zustande gekommen sein soll, nachdem diese Leute bis 1990 im Ostblock lebten und z.T. dort vollständig aufgewachsen sind, darüber schweigt sich Sarrazin natürlich aus.
Vielleicht gibt's dafür andere Erklärungen als Traditionen, die sich auf deutsche Einflüsse zurückführen lassen. Würde mich interessieren, was das für Erklärungen sein könnten. Denn die Russen an sich (behauptet eine befreundete Russin) seien eher faul...
1. Mindestens die Großeltern-Generation spricht deutsch, 2. man sieht Russlanddeutschen nicht an, dass sie oder ihre Eltern nicht in Deutschland geboren wurden, 3. sie wurden als heimkehrende Volksgenossen empfangen und mit der deutschen Staatsbürgerschaft ausgestattet, nicht als „Gastarbeiter“ kritisch beäugt und 4. sofern sie einen Glauben hatten, fanden sie entsprechende kirchliche Strukturen bereits vor. Reicht das?
Was, wenn manche Klischees sich aus Erfahrungen speisen?
Unterscheide bitte zwischen Klischee, Vorurteil und Ressentiment. Ersteres ist eine eher spaßhafte Überzeichnung von kulturell ausgeprägten Merkmalen – etwa der Gauloises-Franzose mit Baguette, Rotwein und Käse oder der teetrinkende höfliche Brite. Ein Vorurteil ist eine negativ aufgeladene, aber korrigierbare Sichtweise auf Minderheiten, die für gewöhnlich bei direktem Kontakt mir Angehörigen dieser Minderheiten in sich zusammenfällt. Ein Ressentiment ist gegen die Korrektur immun, es handelt sich um ein festgefügtes Weltbild – z.B. der Wahn von der jüdischen Weltverschwörung. Das Ressentiment braucht keine Anknüpfungspunkte zu realem Verhalten oder aber die Verbindung ist außerordentlich schwach.
Das, ich nenn's mal: „Erfahrungsargument“ ist außerordentlich schwach, weil es nur dazu dient, eben diese persönlich gemachten Erfahrungen unbegründeterweise auf eine ganze Gruppe zu projizieren. Macht man die Menschen, die sich dieses Arguments bedienen, darauf aufmerksam, erfolgt für gewöhnlich die Verteidigung, man habe es aber doch so erlebt. Ein Zirkelargument ohne jede Beweiskraft, es bleibt ganz und gar in der richtigen Feststellung stecken, dass es
innerhalb einer Gruppe Leute gibt die
so und so sind. Vermutlich sogar ziemlich viele, aber an dem Punkt endet die Aussage dann auch schon.
Da wir vom zivilisatorischen Stand eigentlich darüber hinaus sein sollten, individuelle, wenn auch gehäufte Handlungen der Angehörigen einer Gruppe auf die Gruppe als Ganzes zu projizieren, um aus dieser Gruppe einen Antagonisten zu basteln, frage ich mich, wie man solche Aussagen als „treffsicher“ loben kann. Wir bewegen uns hier schließlich nicht auf einem satirischen Niveau, wo über irgendwelche kulturellen Eigenheiten gefrotzelt wird, sondern der Sarrazin nimmt seine „Erfahrungen“ und sonstigen Wissenshintergründe derart ernst, dass er aus ihnen (falsche) politische Handlungsanweisungen ableitet. Von einer Vorurteils- bis Ressentimentgeladenen Politik will ich nichts wissen. Wer schon für Aufklärung und ratio plädiert, darf das ruhig auch in die Gefilde ausdehnen, in der sich der das „gesunde Volksempfinden“ austobt.
Was stört Dich genau? Daß er die Fakten drastisch auf den Punkt gebracht hat?
So, an der Stelle hab ich mich wirklich gefragt, ob du das überhaupt ernst meinst. „Die Fakten drastisch auf den Punkt bringt“ ist ein Euphemismus allererster Güte. Wann hast du das letzte Mal eine deutsche Frau gefragt, ob sie nach ihren drei bereits vorhandenen Kindern noch weitere „produzieren“ möchte, als wäre das irgendein verwertbares Material und sie eine Gebärmaschine? Und was zum Henker ist bitte „überreichlicher Nachwuchs“? Form und Inhalt lassen sich nicht ohne Weiteres trennen, wer das glaubt, macht es sich zu einfach.
Ich zitier den Sarrazin einfach nochmal:
Jemanden, der nichts tut, muß ich auch nicht anerkennen. Ich muß niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert.
Abgesehen von der „Produktion von Kopftuchmädchen“ ist
kein einziges dieser Merkmale spezifisch türkisch/arabisch; die „Kopftuchmädchen“ sind also de facto das Alleinstellungsmerkmal, weshalb Araber und Türken wegen den genannten, ohne Zweifel problematischen Haltungen in besonderem Maße abzulehnen seien. Die Skandale, die immer wieder durch die Medien geistern – Kinder vernachlässigt bis zum Hungertod, Säuglinge verscharrt, was-weiß-ich haben sich
alle in Haushalten von weißen deutschen „Unterschichtsangehörigen“ ereignet. Und, die Forderung? Mehr Jugendamt! Mehr Hilfsangebote! Oh Gott, denkt denn niemand an die Kinder? Riesen Thematisierung des Versagens der Ämter, der zuständigen Beamten, der blinden Nachbarschaft. Als Schönbohm mit der Behauptung daher kam, die Vernachlässigung der eigenen Kinder sei in der noch zu DDR-Zeiten angenommenen Mentalität begründet, ging ein Aufschrei durch den Blätterwald, wie man denn zu sowas wohl käme?
Sorgt sich Sarrazin um so etwas? Ist sein Antrieb der Schutz der muslimischen Frauen vor ihren sexistischen Ausbeutern? Ich vermute: nein, sonst würde der Mann nicht in lupenrein sexistischer Art und Weise die türkischen Frauen zu Gebärmaschinen einreduzieren und
irgendwo mal Forderungen erheben, die Türkinnen und Araberinnen von ihrem Los zu befreien, vielleicht auch gleich mal mit konkreten Lösungsvorschlägen. Aber halt, Sarrazin macht ja Lösungsvorschläge, und die sind so denkwürdig wie entlarvend:
Meine Vorstellung wäre: generell kein Zuzug mehr außer für Hochqualifizierte und perspektivisch keine Transferleistungen mehr für Einwanderer.
Soll heißen: solange die muslimischen Frauen in ihren Heimatländern von Männern und Familie unterdrückt und zum Söhne-Gebären gezwungen werden, ist das einem wie Sarrazin egal: Hauptsache, es kommen nicht die Falschen hierher, wo immerhin die realistischere Möglichkeit besteht, diese Frauen zu befreien. Was ihn umtreibt, ist die Sorge vor dem schrumpfenden „deutschen“ Volk, das, davon muss irgendwo ausgegangen werden, mal wieder über Familienabstammung, Aussehen und kulturalistische Unvereinbarkeiten definiert wird – in jedem Fall werden die Antagonisten auf diese Weise definiert.
Ich kann's nur nochmal sagen: für deinen im eigentlichen Sinne religionskritischen Ansatz sind Köpfe wie Sarrazin die falschen Verbündeten. Die gesamte sogenannte „islamkritische“ Front beobachte ich mit Grausen, weil Hinweise auf die Übertretung von Polemik zur Hetze, von der Kritik an herrschenden Mentalitäten in bestimmten Bevölkerungsgruppen zum Rassismus, von der Islamkritik zum geifernden Entwurf des „Moslem an sich“ entweder oft genug erst gar nicht thematisiert oder mit dem üblichen „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“ abgelehnt werden. Man sollte sich ab und zu selbstkritisch fragen, was man hier eigentlich zum Gegner auserkoren hat. Religion per se? Chauvinismus und Patriarchat? Nur den Islam? Die Moslems? Die arabisch/türkischstämmige Bevölkerung?
Sobald sichtbar wird, dass es um letztere zwei Möglichkeiten geht, gehen sämtliche universalistischen Maßstäbe flöten und den rassistischen und biologistischen Interpretationen wird Tür und Tor geöffnet. Was also soll das, Ausbrüche des „gesunden Volksempfindens“, das sich im Forum von „hart aber fair“ mal anonym so richtig austoben konnte, dann auch noch zur „demokratischen Abstimmung“ zu verklären? Haben diese Leute da alle Recht? Was äußert sich denn da? Die rational-aufklärerische und religionskritische Vernunft oder einfach mal wieder nur der vorurteilsbeladene, angstbesetzte Rassismus? Vermutlich von beidem etwas, und es ist auch irgendwo klar, was davon in der Minderheit ist. Dass die Sendung das Abstimmungsergebnis nirgends thematisiert, war ein schwerer Fehler. Es hätte nicht nur thematisiert werden müssen, sondern es hätte gleich auf den virulenten Rassismus hingewiesen werden müssen, der sich dort geäußert hat. Als Handlungsaufforderung wäre das nicht zu verachten gewesen, als "demokratische" Unterstützung für Sarrazin hingegen schon.
Die Tatsache, dass türkische/arabische Familien mehr Kinder bekommen, wird nur noch unter vorgestrigen Sichtweisen der Verdrängung von Völkern gesehen, dabei ist es völlig irrelevant, wer hier mehr Kinder kriegt – stöhnen nicht sonst alle über die überalterte Gesellschaft, das Problem der Renten usw.? Gesehen wird nur, dass
die Falschen die Kinder kriegen – die Moslems nämlich - , und entsprechend wird die Lösung darin gesucht, wie man sie davon abhalten kann. Das ist Unfug: die einzige Frage ist, wie man in die Köpfe der Nachwachsenden die richtigen Überzeugungen hineinkriegt. Da die Familie in diesem Fall offenbar oft genug versagt, müssen halt andere Lösungen her.