Ah. Also das passiert, wenn ich versuche, eine schnuffige Liebesgeschichte zu schreiben. Interessant
Schutzengel
Der Tag, an dem ich starb, begann als einer der schönsten meines Lebens.
Ich erinnere mich an den Wind, der durch die Straßen wehte, und an den Geruch einer Stadt im Sommer, an den Duft von warmem Asphalt und Abgasen, der unangenehm sein sollte, es aber nicht ist. Ich erinnere mich das Rauschen der Bäume in den Alleen, die Flecken aus Schatten, die sie auf den Boden malten.
Und an dein Lächeln. An das mehr als an alles andere.
Damals kannten wir uns seit über einem Jahr. Das ist länger, als diese erste, rauschartige Phase normalerweise andauert, in der man den anderen in strahlendem Licht wahrnimmt und die Welt voller Musik ist, doch nicht für uns. Ein Jahr, und meine Welt bestand noch immer nur aus dir. Aus deinem Gang und deinen Augen.
Aus deinem Lächeln.
Wenn ich mit dir gehe, ist die Welt ohne Bedeutung, ist ein Rahmen, den du ausfüllst. Nichts ist wichtig, außer deiner Hand in meiner, und deine Augen, die sich in meinen widerspiegeln.
Und vermutlich hätte ich dem Auto auch dann nicht rechtzeitig ausweichen können, wenn ich stattdessen auf die Straße geguckt hätte.
Ich höre einen erschrockenen Ruf und das Quietschen von Reifen, und dann packt mich die Faust eines Riesen und schleudert mich in die Luft, hebt mich, ein winziges Stückchen nur, dem Himmel entgegen und lässt mich schwerelos dahin gleiten.
Ich komme auf, und der Asphalt reißt meine Haut auf und bricht meine Knochen.
Ich spüre keine Schmerzen.
Um mich herum schreien Menschen.
Irgend etwas schreckt sie auf, und ich glaube, es hat mit mir zu tun.
Über mir sehe ich das Blau des Himmels, dem ich gerade eben noch so nahe war, und ein paar vereinzelte Wolken, die an ihm entlangziehen, und das helle Licht der Sonne
Der Sonne? Aber
das langsam stärker wird, mich aber nicht blendet.
Es ist beinahe friedlich in mir. Ich glaube, es würde mir gefallen, noch ein Weilchen so liegen zu bleiben.
Und dann sehe ich dein Gesicht, als du dich über mich beugst, mit Tränen in den Augen und meinen Namen rufend, mit den Händen über mein Gesicht streifend, und dann, mit einem Ausdruck nackter Hilflosigkeit, das Blut betrachtend, das nun an ihnen klebt.
Und ich merke, was passiert.
Ich merke, dass ich sterbe.
Das Licht wird heller, und ich sehe nicht mehr dein Gesicht.
Ich sehe dich, wie du dich über einen schrecklich verdrehten, blutigen Körper beugst. Und ich merke, dass das Licht nicht von der Sonne kommt, sondern von einer anderen Quelle, hinter mir.
Als ich mich umdrehe, werde ich in Weiß gebadet. Ich weiß nicht, was hinter dem Licht ist, doch ich kann die Stimmen hören, die mich rufen. Ich spüre den Sog, der an mir zieht und mich dazu bringt, langsam, ganz langsam, einen Schritt nach vorne zu tun, zu auf das Licht. Einen Schritt, und dann noch einen.
Ich sei gestorben, sagen die Stimmen. Sie sagen, ich hätte meine Hülle verloren.
Sie sprechen von der Linderung aller Schmerzen, vom Ende meines Abenteuers, meiner kurzen Reise, und ihr Klang hüllt mich ein und tröstet mich und zieht mich vorwärts.
Es wird Zeit, heimzukehren.
Doch kurz vor dem letzten Schritt blicke ich mich noch einmal um und sehe dich, wie du über meinem Körper weinst und dich an mir festkrallst und, wieder und wieder, meinen Namen rufst.
Und ich bleibe stehen.
Nein.
Ich kann noch nicht gehen.
Ich kann dich nicht so zurücklassen, so voller Trauer und Angst. Jeden Morgen, den ich neben dir aufwachte, habe ich mir geschworen, dass du glücklich sein sollst, und dass ich alles tun werde, um dieses Lächeln noch einmal zu sehen, und noch einmal, und noch einmal.
Du sollst nicht leiden, nicht meinetwegen.
Niemals.
Also stemme ich mich gegen den Sog und gehe auf dich zu, und nehme dich sacht, ganz sacht, in den Arm.
Hab keine Angst, sage ich.
Für eine Sekunde erzitterst du. Und dann, langsam, wirst du ruhiger.
Hinter mir wird das Rufen lauter, fordernder. Die Stimmen sagen, hier sei nicht mehr meine Heimat. Sie sagen, ich habe kein Recht mehr, mich in die Belange der Lebenden einzumischen. Sie sagen, ich müsse mein Schicksal akzeptieren.
Und ich weiß, dass ich, wären die Umstände anders, auf sie hören würde.
Aber ich habe dir einst geschworen, dass ich bei dir bleibe, was immer geschieht. Dass ich dir Trost spende, wann immer du traurig bist.
Was sollte ich mit einem Paradies, in dem du nicht bist?
Und so bleibe ich bei dir. Als dich die Sanitäter, die viel zu spät kommen, langsam von meinem Körper wegführen, gehe ich neben dir. Ich spreche zu dir, als sie dich mit ins Krankenhaus nehmen. Die Ärzte wollen dir eine Tablette geben, um dich zu beruhigen. Ich streiche dir sanft durch dein Haar, drücke deine Hand, und hauche dir, unendlich sanft, einen Kuss auf die Stirn, und du blickst auf und sagst ihnen, du bräuchtest keine.
Am Tag meiner Beerdigung kannst du bereits wieder lächeln, und dieses Lächeln ist ansteckend, selbst und vor allem für mich.
Ich bleibe bei dir und tröste dich, und spende dir all das Glück, dass du mir gibst. Ich kann die Natur das Bandes, das wir teilen, nicht benennen, aber ich sehe, wie wir uns gegenseitig verstärken. Es macht mich glücklich, dich zu sehen und bei dir zu sein, und auch, wenn ich dich nicht körperlich berühren kann, bin ich doch immer bei dir. Und du spürst mich bei allem, was du tust, fühlst meine Glückseligkeit und lässt dich von ihr anstecken.
Es dauert nicht lange, bis du wieder zeichnest. Die ersten Bilder sind noch düster, sind Versuche, den Unfall zu verarbeiten, auch wenn du nie den Unfall selbst zeichnest. Ich liebe es, dir dabei zuzusehen, wie du dich konzentrierst und in den Bildern verlierst, die du erschaffst, und auch, wie die Bilder langsam wieder fröhlicher werden, wie sie immer mehr die Schönheit deiner Seele widerspiegeln.
Ein Tages zeichnest du ein Bild von mir, und als du damit fertig bist, strahlst du einen Frieden aus, den ich seit den Tagen vor meinem Tod nicht mehr an dir gespürt habe.
Ich gehe zu dir und küsse deine Nacken, und wir teilen dieses Gefühl des Friedens. Deine Wunden sind geheilt, und mir geht das Herz über, auch jetzt noch bei dir sein zu können.
Wenn du auf die Straße hinausgehst, tust du es mit eben jenem Lächeln auf dem Gesicht, in das ich mich verliebt habe, und ich sehe wieder den alten Glanz in deinen Augen, und ich bin froh und stolz, dass ich dich glücklich machen kann. Ich habe nichts auf dieser Welt als dein Glück, und es ist der größte Schatz, den ich mir vorstellen könnte.
Ich liebe dich.
Und dann wird deine Schönheit, dein Glanz und deine neu erwachte Lebenslust, von jemand anderem bemerkt.
Und er spricht dich an, und er lächelt.
Und du erwiderst es.
Du schenkst ihm das Lächeln, das so lange Zeit nur mir gehörte, und meine Welt wird grau.
Er.
Er mit seiner charmanten Art und seiner energetischen Lebensfreude. Er mit seiner Begeisterung für all die kleinen Dinge, er mit seinen Träumen und diesem verdammten, widerlichen Lächeln. Er hat dich gefangen genommen mit seinen süßen Worten und seinen haselnussbraunen Augen, in denen du so unglaublich gerne zu versinken begonnen hast.
Ich weiß, dass ich kein Recht auf Eifersucht habe. Du weißt nicht, dass es mich noch gibt. Du spürst meine Nähe, aber du spürst nicht... mich. Du spürst eine Präsenz, die du nicht zuordnen kannst. Alles, was geschehen wird, wird dir nicht wie Untreue vorkommen.
Ich weiß das.
Und ich bin dabei, als ihr euch verabredet. Ich bin dabei, als eure Blicke tiefer werden und die Berührungen zärtlicher.
Ich kann nicht weg von dir. Ich versuche es, ich will dich alleine lassen, dich alleine mit ihm, ich weiß, ich weiß, dass ich kein Anrecht mehr auf dich habe
aber wusste ich es damals
doch ich komme nicht von dir weg.
Du bindest mich an dich.
Schlimmer. Ich habe mich damals an dich gebunden, und ich weiß nicht, wie ich die Bindung lösen kann.
Und ich muss zuschauen. Ich muss zusehen, wie eure Hände wie selbstverständlich zueinander finden, wie ihr euch küsst, an einem warmen Spätfrühlingsabend, umgeben vom Duft der Kirschblüten, und ich spüre die Liebe, die anfängt, sich in dir zu formen. Das Band zwischen uns ist intakt, obwohl ich daran zerre und reiße, und ich spüre jede Minute diese verdammte Zuneigung zwischen euch.
Ich habe kein Recht, zwischen euch zu stehen, ich weiß das, und so schirme ich meine Gedanken ab, forme meine Gefühle zu einem Knäuel, dass ich dicht an meine Brust presse und nicht an dich heranlasse.
Ein bisschen spürst du trotzdem. Nur ein wenig, hin und wieder ein kurzer Schwall von Trauer, von
Hass
Abneigung, von meinem Hadern.
Und ihr küsst euch wieder und wieder, und als seine Hände ein bisschen zu deutlich auf Wanderschaft gehen, schreie ich auf. Kurz, ganz kurz nur, bevor ich mich wieder unter Kontrolle habe, aber zum ersten Mal seit langer Zeit hast teilst du wieder ein Gefühl mit mir.
Du zuckst zusammen und schlägst die Hände vor den Kopf, und sofort ist er da, besorgt und so verdammt aufrichtig liebevoll.
Was los ist, fragt er.
Nichts, sagst du. Kopfschmerzen.
Nichts.
Das also ist meine neue Position in deinem Leben.
Kopfschmerzen.
Ein Ärgernis.
Für einen Augenblick, für einen winzigen Moment nur, möchte ich dich anschreien und dir vorhalten, was ich deinetwegen durchmache, wie weh mir jede eurer Berührungen tut, wie er dich anfasst und berührt, als wärst du sein und nicht mein, als wärst du...
Für eine einzige Sekunde.
Doch ich bemühe mich. Ich behalte es bei mir.
Ich habe geschworen, dass du glücklich wirst. Ich bin es dir schuldig, nicht zwischen dir und deinem Glück zu stehen.
Im Gegenteil, ich weiß, dass ich mich für dich freuen sollte.
Das ist doch das Zeichen wahrer Liebe, nicht wahr?
Ich bemühe mich. Trotz der Schreie in meinem Kopf.
Dann schlaft ihr miteinander.
Ich schließe die Augen, die ich nicht mehr habe, und presse die Hände auf die Ohren, als ob es irgendetwas nützte.
Ich kriege alles mit.
Euren Schweiß, der sich vermischt, euren Geruch, das Streicheln und das sanfte Flüstern, und die Hingabe füreinander. Ich fühle, was du fühlst, was du für ihn fühlst, für diesen Fremden, und du zwingst mich, teilzuhaben, an dem Seufzen und leisen Stöhnen, dem Vermischen, dem Aneinanderklammern, dem zarten Streicheln und den suchenden Küssen, an dem Stoßen von Fleisch gegen Fleisch.
Ich kann nicht mehr.
Die Gefühle, die ich abgeschirmt habe, brechen sich Bahn mit einem Schrei, der meinen Kopf und meine Welt ausfüllt.
Du bist die einzige, die ihn hören kann.
Ich spüre, wie mein Schrei dich erreicht und eins mit dir wird.
Du wirst starr.
Du spürst Angst, Trauer, Hass und Ekel, vor dir und vor ihm, aus dem Nichts.
Du stimmst ein in den Klang. Du schreist. Du stößt ihn weg, kriechst fort von ihm, schreist ihn an und schlägst nach ihm, als er versucht, näher zu kommen und dich zu beruhigen.
All die Worte, die sich in mir angestaut hatten, brechen sich nun Bahn durch deine Stimme. Du schreist ihm all das entgegen, was ich über euch dachte.
Alles.
Als dann, endlich, die Tür hinter ihm zufällt, schreist du nicht mehr. Die Tränen haben jeden anderen Laut ersterben lassen.
Seitdem ist die Stille zwischen uns.
Jedes Mal, wenn ich versuche, dich zu trösten, dich zu berühren, schreckst du zurück, als hätte dich ein Schlag getroffen. Du spürst mich. Du spürst meine Trauer und meine Wut und meine Hilflosigkeit, so wie ich die deine fühle. Und, genau wie zuvor, verstärken wir uns gegenseitig.
Alles, was sich will, ist dich wieder in die Arme nehmen zu können. Ich will wieder dein Lächeln sehen. Doch jedes Mal, wenn ich dich sehe, flammt in mir erneut die Wut auf über den Verrat, den du begangen hast, ohne es zu wissen, und wann immer das geschieht, zuckst du ängstlich zusammen.
Er versucht immer noch manchmal, anzurufen. Du gehst nicht ran.
Du schläfst nicht mehr gut.
Einst war ich ein Wächter über deinen Schlaf, und habe deine bösen Träume vertrieben. Jetzt sehe ich hilflos zu, wie du dich ruhelos im Schlaf umherwälzt, und die Trauer fällt auf dich herab und nährt deine Träume.
Und ich sehe und erlebe deine Alpträume mit dir.
Der Schreibtisch, an dem du einst so gerne gezeichnet hast, bleibt leer. Du saßt dort, und ich neben dir, Stunde um Stunde und nichts passierte, bis du irgendwann frustriert ein Tintenfässchen auf der Tischplatte zerschlagen hast.
Die Tinte ist schon lange getrocknet.
Morgens stehst du auf und hast Angst, und den ganzen Tag über spürst du meine Nähe, die du nicht begreifen kannst und die dich erdrückt.
Liebste, es tut mir so leid.
Ich will weg von dir, weit, weit weg, und dich in Frieden leben lassen, doch ich kann es nicht. Ich habe mich dir versprochen, damals, und ich habe keine Möglichkeit, dieses Versprechen zu lösen. Ich muss dir folgen. Muss bei dir sein. Muss jeden Tag zusehen, wie unglücklicher wirst und wie ich dein Unglück noch verstärke.
Unsere Tage sind grau.
Ich bin nicht einmal überrascht, als ich dich mit den Rasierklingen nach Hause gehen sehe.
Du bist blass, fast durchscheinend geworden, und deine Augen haben all ihren Glanz verloren. Sechs Monate lang war ich nicht stark genug, dir Ruhe zu schenken.
Sechs Monate lang hast du nicht geschlafen.
Ich gehe neben dir und will es dir ausreden. Ich gehe neben dir und flüstere beständig auf dich ein; zum Schreien habe ich keine Kraft mehr.
Lebe, flüstere ich. Bitte lebe.
Und für eine Sekunde stockt dein Schritt, als hättest du mich verstanden. Du bleibst stehen und betrachtest die unter grauen Wolken begrabene Stadt, die toten Bäume, die ihre kahlen Äste dem Himmel entgegen strecken.
Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit spüre ich wieder eine Spur von Leben in dir, ein fester Kern, der sich der Großen Trauer entgegenstellt.
Auf die falsche Art.
Du flüsterst nur ein Wort.
Wozu?
Und dann gehst weiter, und die ganze Zeit über suche ich nach einer Antwort.
Zuhause angekommen, lässt du warmes Wasser ein und ziehst dich langsam aus, entblößt einen blassen, mager gewordenen Körper und legst dich langsam in die Wanne, und noch immer kann ich nichts tun, als dir hilflos zuzusehen.
Ich bin zu müde, um dich aufzuhalten. Ich kann nicht mehr.
Das glaube ich so lange, bis ich die Klinge zwischen deinen Fingern sehe und sich die winzige Entschlossenheit in deiner Seele auch auf mich ausbreitet.
Nein, flüstere ich.
Du hörst mich, ich weiß, dass du das tust, aber du ignorierst mich und führst die Klinge zu deinem Arm. Für einen kurzen Moment stiehlt sich ein trauriges Lächeln auf deine Züge, die Hoffnung auf Frieden.
Ich stürze mich auf dich.
Du spürst wieder meine Berührung und spürst mein Entsetzen, und ich spüre deine Schmerzen und deine Angst, die ich in dir auslöse, und wenn ich dir weh tun muss, um dich abzuhalten, dann sei es so.
Du wirst das nicht tun. Du wirst leben.
Du schreist, das Wasser spritzt aus der Wanne, du weinst, aber du lässt die verfluchte Klinge nicht los, deine Finger graben sich hinein, zerschneiden sich selbst, um den Tod nicht los zu lassen. Ich schreie, flehe, kralle mich in dich, will dich zwingen.
Mit einer Willenskraft, von der keiner von uns beiden wusste, dass du sie noch hast, stößt du mich weg, packst die vom Blut bereits glitschige Rasierklinge und ziehst sie dir über den Hals.
Du stirbst voller Entsetzen.
Stille. Stille, die in den Ohren rauscht.
Das Badewasser hat sich rot gefärbt, und dein bleiches Gesicht bildet einen krassen Kontrast.
Es heißt, tote Menschen würde eine friedliche Aura umgeben.
Dich nicht.
Dein Gesicht ist noch immer angstverzerrt.
Ich kann weder schreien noch weinen; alles, was ich kann, ist neben dir auf die Knie zu gehen und deine Hand zu halten, die nun zum ersten mal seit Monaten nicht mehr vor mir zurückweicht.
Ich durchstreiche dein Haar, berühre mit den Fingerspitzen deine blutleeren Lippen. Bleibe an deinem Blick hängen, der leer sein sollte, wenigstens das, doch der statt dessen immer noch Angst und Panik in sich trägt.
Ich wollte das nicht.
Ich wollte, dass du glücklich bist.
Dass wir glücklich sind.
Ich brauche eine Weile, in der ich einfach nur dasitze und deine Hand halte, bis ich das Licht bemerke, das den Raum erfüllt und immer stärker wird.
Um die Stimmen zu hören, und ihr Rufen.
Etwas ist anders als das letzte Mal.
Doch was immer es ist, ich kann nicht darauf achten, weil ich jetzt dich sehe.
Dich. Du stehst vor mir, du, neben deiner Hülle. Ich sehe dein wahres Selbst, die Essenz deiner Seele, und es bricht mir das Herz, die Furcht und die Trauer zu sehen, die ich in dieses einst so schöne Gebilde geschlagen habe.
Du blickst in das Licht, und ich bin mir sicher, dass du seinen Sog spürst, denn du gehst vorwärts, langsam, mit wackligem Schritt, auf das Licht zu, das so anders wirkt als das, welches mich damals einhüllte.
Ich strecke den Arm aus.
Warte, sage ich.
Dein Schritt verlangsamt sich nicht. Du folgst weiter dem Rufen, gehst an mir vorbei und auf das Licht zu, bis du dann, doch, für einen winzigen Moment zögerst. Für einen kurzen Augenblick sehe ich wieder Angst in dir.
Als ich hinter dich trete, um dich festzuhalten, sehe ich, was an diesem Licht so anders ist.
Ich sehe den Ort, an den die Selbstmörder kommen.
Und meine Hand krallt sich in deine Schulter.
Nein.
Du hast diesen Ort nicht verdient. Dich trifft keine Schuld.
Mich. Mich trifft die Schuld.
Und in diesem Moment drehst du dich um.
Ich weiß nicht, was du siehst, als du mich anblickst, aber noch einmal, ein letztes Mal, verzerrt sich dein Gesicht vor Angst.
Du schreist, und du stößt mich von dir und weichst zurück, durch die Pforte aus dunklem Licht. Und als ich vorspringe, dich festhalten will, stoße ich gegen eine unsichtbare Wand, die mich nicht durchlässt, die mich zurückhält, obwohl ich gegen sie schlage und gegen sie hämmere und deinen Namen rufe und schreie und wieder und wieder versuche, sie zu durchbrechen.
Es gelingt mir nicht.
Das Tor verblasst vor meinen Augen und lässt mich zurück in einer grauen Welt, mit der Schuld, dem Blut und der Leere allein.