@Sylvana:
Diese Frage ergibt sich für mich, wenn er meinen Verweis auf vom Christentum begangene Verfolgung Andersdenkender lapidar beiseite schiebt - letztlich haben die Nazis genau das gleiche getan!
Einen wesentlichen Unterschied zwischen der Verfolgung Andersdenkender aus ideologischen Gründen (Nazis) oder aus religiösen (Christen) kann ich für mich nicht erkennen.
Ich hab mal die Formulierungen in Deinem Zitat fett hervorgehoben, die belegen, warum Godwins Law so unsinnig nicht ist. Nein, Du greifst nach Deinem Verständnis niemanden hier in der Diskussion persönlich an. Aber Deine Grundthese ist diejenige, daß das Christentum negativ sei. Deine Gegner in einem solchen Streit sind also jene, deren Grundthese lautet, daß das Christentum unterm Strich positiv sei. Du vergleichst nun die Institutionen des Christentums - wenn auch verklausuliert und durch Einschränkungen wie "ergibt sich für mich..." scheinbar entschärft - mit dem Nazitum. Aus Deiner Sicht ist das relativ sachlich und objektiv, aber die Gegenseite wird dadurch, wenn der Nazi-Vergleich für sie beleidigend ist, beleidigt. Du bist ja nicht der (die? Woher habe ich das Gefühl, Du seiest männlich?
) erste, der solche Nazi-Vergleiche auf schwer einsehbaren Hinterpfaden in die Debatte einbringt. Letztlich ist es egal, ob Dein Vergleich adäquat war - wichtig ist, daß er nicht weiterführend ist, sondern dafür sorgt, daß sich die Gegenseite auf einer Ebene angegriffen fühlt, die nach allgemeinen Maßstäben unterhalb der Gürtellinie liegt. Wir haben die Diskussion bezüglich der Nazi-Vergleiche auch in dem Politik-Thread schon mehrmals gehabt, und generell ist es so, daß jeder, der mit solchen Vergleichen kommt, immer vehement abstreitet, damit irgendjemanden persönlich angreifen zu wollen oder gar die Verbrechen der Nazis relativieren zu wollen.
Vielleicht sollte man einfach mal sagen: Okay, seit 50 Jahren werden dergleichen Diskussionen geführt und es hat sich einfach empirisch ergeben, daß Nazi-Vergleiche in Diskussionen destruktiv sind. Deswegen lasse ich sie weg, selbst wenn ich sie mal für angebracht halte.
Mir fällt noch ein Gedanke dazu ein: Wenn man Diskussionen als eine Art Gemeinschaftsprojekt aller Beteiligten betrachtet, das gelingen soll, dann ist es wichtig, daß jeder sein Bestes gibt und sich bemüht, das intelektuelle Niveau der Diskussion so hoch wie möglich zu halten. In einer Arbeitsgruppe fallen diejenigen unangenehm auf, die faul sind, die nicht wirklich engagiert arbeiten, sondern immer nur so gerade das Nötigste tun. Auch beim Diskutieren ist es nervig, wenn die Gegenseite es sich leicht macht, immer nur die ohnehin schon allen bekannten Argumente bringt, mit einem Wort: unoriginell argumentiert.
Nazi-Vergleiche sind extrem unoriginell. Sie sind so wohlfeil, so extrem billig, daß man sie meist nur noch in der großen Vorratspackung zum halben Preis hinterhergeschmissen bekommt. Das Vorgehen der Kirchen, der Kommunisten, der amerikanischen Siedler in Amerika, der Hausverwalter und Lehrer wurde schon derartig häufig mit dem der Nazis verglichen, daß es eigentlich nur noch peinlich ist. Allein schon, um sich zu etwas mehr Originalität zu zwingen, sollte man sich selbst alle Nazi-Vergleiche verbieten. Denn ansonsten gefährdet man mit seiner geistigen Faulheit das Gemeinschaftsprojekt.
Ich für mein Teil ertappe mich immer wieder dabei, wie sich mir Nazi-Vergleiche aufdrängen, und ich habe sie hier im Forum auch schon viel zu häufig gebracht, aber seit ich Sambucos Ratschlag folgend mich mal ein bißchen mit Godwins Law beschäftigt habe, denke bzw. hoffe ich, daß ich zukünftig diesen Fehler nicht mehr machen werde. Oder wenigstens seltener...
@Ciramon:
Soso, die Religion ist also dazu da, um die Menschen angesichts der unvollkommenen Welt ruhigzustellen und in Lethargie zu halten.
Ich denke mal, das bezieht sich auf meine Ausführungen weiter oben, daher fühle ich mich angesprochen.
Schön finde ich das Wort Lethargie - ich hab's nicht verwendet, aber es ist freilich das, was man bekommt, wenn man meine Gedanken weiter spinnt und zuspitzt.
Diese vom Christentum ausgehende Lethargie ist es, über welche sich Nietzsche immer so herrlich aufgeregt hat. Zumindest die Gefahr besteht, daß man eine solche Lethargie aus der Christlichen Lehre herausliest, tatsächlich gibt es da ja mal wieder widersprüchliche Botschaften selbst in dem "Vorbild Jesus". Einerseits haben wir Jesus als Neuerer und Revolutionär, welcher die alten Gesetze als irrelevant betrachtet und als neues oberstes Prinzip die Liebe zu Gott an deren Stelle setzt. Andererseits haben wir Jesus als demütigen Ja-Sager. Einmal in der schon zitierten "Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist!"-Szene, einmal in der "Doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!"-Szene. Jesus wird einerseits als der Erneuerer beschrieben, andererseits als das brave Opferlamm, daß sich zur Schlachtbank, repektive zum Kreuz führen läßt und nicht auf die Idee kommt, seine göttliche Macht einzusetzen. Man verhöhnt ihn deswegen ja sogar, aber er steigt nicht herab vom Kreuz.
Wieder also haben wir hier einander widersprechende christliche Botschaften, und es ist letztlich die Entscheidung jedes Einzelnen, wie er diese Botschaften nun gewichtet. Es bringt auch wenig, nun eine Tabelle aufzustellen und zu gucken: Wie häufig verhält sich Jesus unangepaßt, aktiv und revoltierend, und wie häufig markiert er den Ja-Sager und Duckmäuser? Denn es kommt dann wieder darauf an, wie schwer man persönlich jede einzelne Evangelien-Passage gewichtet.
Abschließend kann man solche Fragen nicht klären - allerdings kann man auf bestimmte Aspekte hinweisen und die Gefahren skizzieren, die sich aus ihnen ergeben. Dazu sollte man dann natürlich die Geschichte des Christentums betrachten. Der Einwand den – ich glaube – Slarti gegen die Kirchen brachte, daß das Chistentum über die Jahrhunderte hinweg den Mächtigen ein willfähriges Instrument war, um die Macht zu sichern, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen.
Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist... Die Zwei-Reiche-Lehre hat sicherlich alles andere als einen sozialrevolutionären Drive.
Über knapp 2000 Jahre konnte der andere Aspekt der christlichen Botschaft, nämlich daß – zumindest vor Gott – alle Menschen gleich seien und Jesus sich zu den Randgruppen, zu den Marginalisierten, den Schwachen und Benachteiligten hingezogen fühlte, beziehungsweise ihnen mit Respekt gegenübertrat, nur äußerst selten in gesellschaftlichen Veränderungen durchsetzen. Oder, anders herum ebenso vorsichtig formuliert: Die biblische und christliche Botschaft standen niemals wirklich dem Herrschaftsanspruch der Mächtigen entscheidend entgegen.
Ich glaube allerdings, daß dies ein Kennzeichen aller monotheistischen Verkündigungsreligionen ist: Die Annahme eines allmächtigen Gottes führt unweigerlich zu dem Schluß, daß alles, was der Fall ist, von diesem Gott gewollt wird. Die Hereinnahme des Dualismus-Prinzips, beispielsweise in Form des Satans, der also als Antagonist Gottes zu fungieren hat, macht die Sache nur komplizierter, aber nicht besser. Denn Satan wird ja am Ende auf jeden Fall besiegt werden und ist damit eigentlich schon jetzt der Besiegte, sozusagen nur der Sparringspartner Gottes. Ohne Gottes Willen hätte dieser Sparringspartner nix auf dieser Welt zu suchen – also sind auch alle Aktionen dieses Sparringspartner letztlich gottgewollt.
Also ist alles am Ende wieder gottgewollt und es bringt überhaupt nix, sich gegen die herrschenden Zustände aufzulehnen, weil dies einer Revolte gegen die „gottgewollte Ordnung“ gleichkäme.
Aus dieser Zwickmühle kommt man nur heraus, wenn man Gott radikal aus seinem Denken streicht. Alles andere sind winkeladvokatorische Kniffe, die häufig allerdings sehr überzeugend wirken, denn immerhin haben die klügsten Köpfe des Abendlandes in ihren Klöstern knapp tausendfünfhundert Jahre Zeit gehabt, sich diese geistigen/geistlichen Ausweichmanöver auszudenken.
Wie schon gesagt: Das Grundproblem findet sich bei allen Religionen, die sich auf eine oberste, nicht hinterfragbare Autorität stützen. Momentan können wir die negativen Auswirkungen solch einer Denkgrundlage besonders krass in der islamischen Welt sehen, nicht, weil der Islam so viel leichter als das Christentum im Sinne terroristischer Fanatiker zu instrumentalisieren wäre, sondern weil die islamische Welt ihre Aufklärung noch nicht erlebt hat.
Womit wir bei der Frage wären, ob nicht eventuell das Christentum auch die Grundlagen schaffte, welche die abendländische Aufklärung erst möglich machten. Es gibt sicherlich einige Aspekte, die eine solche These unterstützen, allerdings meine ich, daß mehr Argumente dagegen sprechen. Das gravierendste Argument ist das gute alte Hellenentum. Sowohl die politische Idee der Gleichheit aller Bürger war schon weit entwickelt (auch wenn sich diese Gleichheit freilich nicht auf die Sklaven, die Einwohner der Nachbarstädte und die Frauen bezog...), als auch das philosophische Instrumentarium generell. Man muß nur ein paar sokratische Dialoge bei Platon lesen, um zu erkennen, wie extrem weit das reflexive Bewußtsein damals schon fortgeschritten war. Auch die republikanischen Ideen der Römer waren gesellschaftspolitisch aufgeklärter und nach unserem heutigen Maßstab gerechter als das, was ein gutes Jahrtausend kirchlicher Machtausübung hernach über Europa brachte.
... to be continued...
Nachtrag @Azariel: Ich habe das Gefühl, als würdest Du von mir erwarten, die Rolle des Christentum-Verteidigers einzunehmen?! Wie kommst Du auf diese seltsame Idee?