Prolog
RUMO ging vorsichtig den vom Schein seiner Fackel nur spärlich beleuchteten Gang entlang. „Hätte ich mich nur nicht darauf eingelassen!“ fluchte er leise vor sich hin. Die Wände waren feucht und stellenweise von Moos und Flechten überzogen. Der Boden bestand aus gestampftem Lehm, der zwar - feucht und rutschig - den Füßen wenig halt bot, dafür aber ein fast geräuschloses Gehen ermöglichte. Wie lange war er nun schon hier unten? Es kam ihm wie Stunden vor, auch wenn er gerade mal einige Meter gegangen und die Fackel kaum herunter gebrannt war.
"Verdammt, was tue ich hier eigentlich? In stickigen muffigen Gängen rumzulatschen ist nun wirklich nicht meine Lieblingsbeschäftigung. Und das alles nur für zwei lumpige Spruchrollen und ein bisschen Magieunterricht!“ Jedoch die Vorstellung an einem dunklen Winterabend im „keuchenden Pony“ dem versammelten Publikum sein aufregendes Abenteuer haarklein zu schildern, lies ihn lächeln und spornte ihn an. Aber musste es ausgerechnet das Quartier eines Nekromanten sein!? Eines toten Nekromanten, verbesserte er sich in Gedanken, um sein heftig pochendes Herz ein wenig zu beruhigen.
Trotz der Angst fühlte er doch so etwas wie Stolz in sich. Stolz, dass er es tatsächlich bis hierher geschafft hat. Stolz, endlich einmal eine Unternehmung in die Tat umgesetzt zu haben. Wie viele Unternehmungen hatte er schon genauestens geplant (und großspurig im Dorf angekündigt) und dann doch verschoben, verschoben und schließlich aufgegeben. Wie oft wollte er sein Dorf schon verlassen, wie oft es allen beweisen und als gefeierter Held zurückkehren.
Ein träumerisches Lächeln stahl sich auf sein Gesicht. Immerhin, jetzt war er hier! Hier irgendwo musste das Versteck des Nekromanten sein. Auch wenn es geradezu lächerlich einfach gewesen war die Torwache Schauffensteins zu übertölpeln und hierher zu gelangen. Der geheime Zugang zum Burgkeller war unbewacht und nicht sonderlich gut versteckt. Sicherlich hatten andere die Labore schon geplündert, aber den einen oder anderen Gegenstand von Wert würde er schon finden. Vielleicht käme er reich zurück, vielleicht würde er es sich endlich leisten können, bei einem Magier in die Lehre zu gehen, würde sich Spruchrollen kaufen können und Joslum würde er lange Ohren anhexen, so dass alle Mädchen über ihn lachen. Alle werden überrascht sein, wenn er plötzlich wieder auftaucht, die Taschen voller Geld und die Arme voll seltsamen Nekromantenzeugs. Vielleicht findet er Gläser mit eingelegten ekligen Kreaturen, die er den Dorfmädchen unter die Nasen halten kann, worauf diese laut quieken und ihn fasziniert und bewundernd anstarren...
Rumo erwachte seufzend aus seinen Träumen. Jetzt gilt es erst mal das Labor zu finden, ermahnte er sich selbst und versuchte sich wieder auf diese Aufgabe zu konzentrieren. Er betrachtete den Zettel Meister Fertai's mit der Skizze und der Liste gewünschter Gegenstände. Er wählte den rechten Gang und versucht ihn möglichst geräuschlos entlang zu schleichen. Nach wenigen Schritten sah er im Fackelschein zwei Klingen aus den Wänden ragen. Zum Glück schien bereits jemand anders in diese Falle getappt zu sein. Einen Moment dachte er an Umkehr, schritt dann aber vorsichtig und leise weiter, obwohl er das Gefühl hatte, sein Herz müsse sogar noch auf dem Burghof zu hören sein.
Unendlich lang kam ihm dieser Gang vor, unendlich lang und finster. Der Schein seiner Fackel erleuchtete seinen Weg nur wenige Meter; dahinter starrte ihn eine undurchdringliche Finsternis an, in die er Zentimeterweise hinein schlich. Bis er den Lichtschein sah. "Licht", flüsterte er nervös und verwundert. Eindeutig, hinter der nächsten Biegung befand sich eine Lichtquelle. Kein Lichtschacht oder Fenster, das gelbliche Flackern wies auf den Schein von Fackeln oder Kerzen hin. Der unwiderstehliche Drang überkam ihn, einfach umzudrehen und wegzulaufen, diesen verfluchten Gang und die stickige Luft hinter sich zu lassen und schnurstracks zurück in sein Dorf zu laufen. Schließlich war das hier kein Diebstahl in Meister Brunig's Laden, der einem vielleicht ein paar blaue Flecke und ein oder zwei Tage im Turm einbrachte. Das hier war die Behausung eines Nekromanten! Da steht man eins, zwei, fix einem Skelett gegenüber oder einem Zombie oder gar schlimmeren! Eines toten Nekromanten.", machte er sich Mut. Rumo löschte seine Fackel und überlegte, was zu tun sei.
Als er die Geschichte des Nekromanten zum ersten Mal von Meister Fertai gehört hatte, war etwas bis dahin unbekanntes in ihm erwacht. Irgendetwas in seinem Inneren war mit einem lauten „Klonk“ eingerastet, eine Stimme in ihm flüsterte „Tu es, tu es!“ Und dann noch das Angebot ihm etwas Magie beizubringen, da konnte er nicht mehr Nein sagen.
Einige Minuten stand er sinnend im Dunkel. Verdammt Rumo, sagte er dann zu sich selbst, irgendwann musst du auch irgendetwas mal zu Ende bringen! Ich kann mir ja wenigstens mal anschauen, was dort vor sich geht. Wahrscheinlich bin ich nicht der Einzige, der auf die Idee kommt hier nach wertvollem Kram zu suchen. Wenn ich auch sonst zu nix nütze bin, wenigstens vom Anschleichen versteh ich was. Und vom große Klappe haben, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf.
Er vergewisserte sich, dass sein Unsichtbarkeitstrank und der Dolch griffbereit im Gürtel steckten und bewegte sich nahezu geräuschlos und unsichtbar um die Biegung. Der Lichtschein kam aus einer geöffneten Tür am Ende des Ganges und leise Geräusche waren zu hören. Wer sich dort wohl zu schaffen macht?, fragte sich Rumo als plötzlich vor ihm auf dem Boden ein seltsames Zeichen aufleuchtete, es wie ein Blitz durch seine Glieder fuhr und er gelähmt und unfähig sich zu bewegen dastand. Ein dunkler Schatten trat aus der Tür und erwies sich näher kommend als Mann in einer dunklen Robe. Der erstaunte Ausdruck auf seinem Gesicht verwandelte sich langsam in ein dünnes, hämisches Lächeln, dass Rumo überhaupt nicht gefiel. "Da mache ich ja richtig reiche Beute! Genau das hatte mir noch gefehlt: ein Versuchsobjekt.", sagte grinsend der Mann und begann murmelnd mit den Händen zu fuchteln.