Sorry, dass passiert, wenn man noch so kurz vor einem Umzug mitten in der Nacht noch postet.
Ich knüpfe also nochmal da an, wo ich abgebrochen habe, wenn auch nur kurz, um eure sehr amüsante Diskussion über Seidenringe nicht zu sehr zu stören.
@ Hank
ih fürchte, wir reden tatsächlich ein bisschen aneinander vorbei, und meinen eigentlich dasselbe. Allein schon, weil ich das Beispiel mit dem Widerspruch zwischen relativistischer und klassischer Mechanik auch immer als Beispiel benutze, um meinen Punkt zu illustrieren.
Es geht mir tatsächlich nicht darum, Naturgesetze zu Dogmen zu erheben, an die ich dann glaube wie an einen Gott. Im Gegenteil. Wissenschaft funktioniert so: Wir beobachten ein System. Anhand dieser Beobachtungen stellen wir Theorien auf, die das Verhalten dieses Systems beschreiben. Erlaubt uns eine Theorie, das Verhalten des Systems in für uns relevanten Bereichen genügend genau vorherzusagen (sprich: "Wie ändern sich z.B. Geschwindigkeit und Energie", nicht "Hat das System eine unsterbliche Seele"), akzeptieren wir diese Theorie mal als Arbeitsgrundlage.
Dann testet man Grenzfälle, um diese Theorie so weit zu verallgemeinern wie irgend möglich. Schließlich versucht man, diese Theorie mit anderen Theorien in Einklang zu bringen.
Bei all diesen Schritten hilft es ungemein, wenn man nicht nur in Korrelationen denkt, sondern auch nach dem "Warum" sucht. Wirklich nötig ist es allerdings nicht. Hat man sich auf in bestimmtes "Warum" versteift, kann es sogar sehr schädlich sein. Ein gutes Beispiel dafür ist das geozentrische Weltbild. Mathematisch hochbegabte Mönche haben im Mittelalter den Verlauf der Gestirne anhand komplexer Formeln beschrieben, von der Annahme ausgehend, dass sich alles irgendwie um die Erde dreht. Es hat funktioniert, man konnte damit z.B. Sonnenfinsternisse vorhersagen. Im heliozentrischen Weltbild wird das ganze aber unendlich vereinfacht.
So hat ein "Warum" im Gegensatz zu reinem Korrelationsdenken zwei große Vorteile. Experimentiert man mit verschiedenen Erklärungsversuchen, kann man im Zweifelsfall einen finden, der die Mathematik dahinter sehr vereinfacht (was oft viel einfacher ist, als das auf rein mathematischem Weg zu erreichen). Oder man kann Experimente erdenken, um bestimmte Erklärungen zu widerlegen. Dann lassen sich anhand der übrigbleibenden Ideen die Theorien leichter mit anderen in Einklang bringen, oder per Analogie Erkenntnisse aus verwandten Gebieten übernehmen. Dabei lässt man gerne mal mehrere Erklärungsversuche nebeneinander gelten, und arbeitet mit jeweils dem, der besser in die situation passt. (Z.B. Teilchen/Welle Dualismus. Licht hat die Eigenschaften einer Welle, kann also polarisiert werden, zeigt Interferenzmuster, aber auch die eines Teilchens, also diskrete Energiemengen und relativistische Masse.)
Schließlich ist es viel leichter, Formeln und Zusammenhänge zu lernen und intuitiv zu nutzen, wenn dahinter eine Erklärung steht. Sogar, wenn diese Erklärung sich als falsch erweist, oder es mehrere gibt, die sich Widersprechen.
Was das 'philosophische' Ding angeht, ja, das hat mich tatsächlich weng genervt. Weil man natürlich immer alles anzweifeln kann. Aber dann muss man sich bitte auch der Konsequenzen und Implikationen bewusst sein. Und wenn man die Logik anzweifelt, dann zweifelt man das grundlegende Werkzeug des menschlichen Denkens an. Tut man dies, bleibt einem aber nichts mehr, um über Alternativen nachzudenken, weil unser Denken Logik ist. Selbst die Vertreter der Religionen bedienen sich in ihrer Argumentation immer der Logik, nur dass sie eben von Axiomen ausgehen, die strenggenommen keine sind, und von Definitionen, die sich nicht mit unseren decken, und sorgsam so ausgewählt sind, dass sie logisch zum gewünschten Schluss führen.
Da ist die Analogie zur Sprache nicht polemisch, sondern folgerichtig. Natürlich, zweifelt man eine bestimmte Sprache an, oder einen definierten Teil einer Sprache, kann man immer noch darüber reden. Zweifelt man die Sprache allgemein als Werkzeug an, aber nicht mehr.
Leider ist das Anzweifeln inzwischen große Mode, vor allem das Anzweifeln ohne sich mit Grundlagen oder Konsequenzen aufzuhalten. Da wird die Theorie der anthropomorphen Klimaerwärmung angezweifelt, nicht weil man Daten hätte, die Fehler nahelegten, sondern weil man weiter SUV fahren möchte. Da wird angezweifelt, dass Putin ein undemokratischer Autokrat ist, weil der böse Westen und so weiter, was der sich inzwischen zunutze macht, in dem er zu jedem seiner Verbrechen so lange Zweifel säht, bis es in der Beliebigkeit verschwunden ist. Und die Kreationisten ignorieren auch alle Daten, die gegen ihre Lehre, und für die Evolutionstheorie sprechen, und berufen sich (neben der Bibel) einzig darauf, dass sie nicht zweifelsfrei bewiesen ist.
Und das nervt. Deshalb bestehe ich auf einem pragmatischen, oder meinetwegen quantitativen Ansatz, der besagt, dass z.B. die Evolutinstheorie zwar nicht "bewiesen" ist, aber anhand aller vorliegenden Erkenntnisse etwa um den Faktor 10^26 wahrscheinlicher richtig, oder zumindest nennenswert weniger falsch ist als der Kreationismus.
Ebenso kann man auch jede andere (wissenschaftliche) Theorie anzweifeln. Das ist legitim, und bringt die Wissenschaft voran. Allerdings muss man sich auch hier der Daten, Konsequenzen und Implikationen bewusst sein. Und wenn fast alle Daten für eine Theorie sprechen, und nur wenige nicht eindeutig sind, dann ist das wissenschaftlich nicht sinnvoll, sondern eher politisch oder wirtschaftlich motiviert.
Daher bin ich mir wohl bewusst, dass viele wissenschaftliche Erklärungen primär der Veranschaulichung dienen, und eventuell falsch sind, aber deswegen muss ich mir noch lange nicht anhören, wie Impfgegner, Klimawandelleugner oder Glossenschreiber diese anzweifeln, ohne sie fundiert wiederlegen zu können.