Die Westanbindung war auch ein Oligarchenprojekt und nichtmal von allen, weil etliche auf gute Wirtschaftsbeziehungen zu Russland angewiesen waren, um ihren Reichtum zu behalten und zu mehren. Das ist gerade einer der Gründe, weshalb die Ukraine, je nach dem, welchen Oligarchen die korrupte Regierung gerade mehr zu Diensten war, ständig zwischen Ost und West oszillierte.
Außerdem sahen die Protestierenden auf dem Maidan zumindest in ihren Anfangstagen in der EU-Eingliederung gerade ein Mittel, um die Oligarchenherrschaft loszuwerden. Man kann es auch so formulieren: der Maidan hat damals die EU mit Idealen des Liberalismus konfrontiert, die dieses Bündnis als die eigenen ausgibt, allen voran die demokratische Mitbestimmung. Die EU war nicht in der Lage oder nicht willens, diesem Verlangen zu genügen. Wie das Geschachere um Einfluss zur Genüge gezeigt hat ging es vorrangig darum, aus machtpolitischen Gründen die Kontrolle über das Land zu gewinnen, indem man, nachdem hausgemachte Versuche peinlich in die Hose gegangen sind (Udar), die Oligarchen und auf unterer Ebene die Nationalisten als Partner mit an den Tisch holte.
Ich halte deshalb auch die Annahme für grundlegend falsch, die jetzt mit satten Prozenten ins Parlament gewählten (Ultra-)Nationalisten für eigentlich pro-europäische Kräfte zu halten. Da geht man der Agenda dieser Leute auf den Leim. Diese Politiker bleiben Rechtsaußen, die auf dem Ticket eines pro-europäischen Liberalismus reisen (auf Listenplatz 2 der scheinbar liberalen, reformorientierten „Selbsthilfe“-Partei steht der Kommandeur des Bataillons Donbass, einer paramilitärischen Einheit), nur fällt das nicht so schnell auf, weil bei einer kompletten Rechtsverschiebung die politische Mitte in dieselbe Richtung wandert.
Das ist schon allein deshalb ein Problem, weil diese Unfähigkeit, qualitative Unterscheidungen vorzunehmen, mitursächlich ist für die ganze verworrene Situation. Nach dem Verrat der EU an den ursprünglichen Zielen der Maidan-Proteste ist der Aufstieg der nationalistischen Rechten nur folgerichtig, weil die Rechten diese Lücke mit ihren Vorstellungen füllen konnten UND weil sie besser zum Konfrontationskurs der EU passten. An die Stelle der Emanzipation eines bürgerlichen Souveräns in der und durch die EU ist die reaktionäre Emanzipation des ukrainischen Volkes gegen die Russen getreten. Weil man in jeglicher Form von Protest nur die legitime Äußerung des „ukrainischen Volkes“ erkennen und sich Kritik nicht anhören wollte, konnten die Nationalisten die Proteste mit derartigem Erfolg übernehmen.
An deren Agenda hat sich nicht grundlegendes geändert. Die Bewegungsrechten sehen sich ja weiterhin im Kampf sowohl gegen Russland als auch gegen die Oligarchen (das ist, vermute ich, ein Grund, weshalb der ‚Rechte Sektor’ bei den Wahlen so abschmierte: dessen Wählerschaft vermutet ihn längst im Bett mit den Eliten). Es war vor zig Monaten ein Riesenfehler, die Betreiber dieser zweiten Art von Emanzipation aus taktischen Gründen als legitime Verhandlungspartner zu akzeptieren und als nützliche Idioten zu benutzen. Ich sehe auch nicht, dass sich daran irgendetwas geändert hätte; es hat das Dilemma verlängert.
Unter umgekehrten Vorzeichen gilt dasselbe für die ‚abtrünnigen’ Provinzen, die derselben kulturalistischen bis offen rassistischen Blut-und-Boden-Ideologie frönen. Der einzige Unterschied ist, dass im autoritären Neo-Bonapartismus eines Putin mitsamt seiner konservativen Agenda die Möglichkeit einer, sagen wir mal, fortschrittlichen Variante von Emanzipation von vornherein ausgeschlossen war.
Trotzige Aussagen wie "Dann lieber Oligarchen..." halte ich indes für die Verkündung des Siegs im Rückzugsgefecht; Politik verstanden als die Kunst, Kröten zu schlucken um anschließend den Koch zu loben. Vor die Wahl gestellt, muss man darauf beharren, das beides abzulehnen ist, Putins reaktionäre 'Eurasische Union' ebenso wie die EU als technokratisches Elitenprojekt mit unbeholfenen Weltmachtambitionen.