Micha
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Schwärze. Orietierungslosigkeit. Peregrinus kann sich selbst beobachten, wie er im Nichts der Bedeutungslosigkeit driftet. Alles fühlt sich seltsam taub und fremd an. Er hat keine Angst - er hat überhaupt keine Gefühle. Denken... hat er bis eben überhaupt gedacht? Wie lange war er hier? Jetzt erkennt er etwas vor ihm in der Dunkelheit. Ein kleines rotes Flimmern. War das vorhin schon da gewesen? Vorsichtig bewegt er sich darauf zu. Ein leichtes Kribbeln breitet sich in seinen Gliedmaßen aus, nicht unangenehm, nur so gerade über der Schwelle zum Wahrnehmbaren. Vorsichtig berührt er das Flimmern vor ihm mit der Fingerspitze. Er zuckt zusammen, Schmerz durchflutet seinen Körper. Das Flimmern dehnt sich aus, rasend schnell. Umschlingt ihn, hüllt ihn ein. Schmerzen! Sein ganzer Körper windet sich, gepeinigt von der Wucht imaginärer Hammerschläge, die im Rhythmus seines Pulses auf ihn eintrommeln. Irgendwann dringt ein Geräusch durch den roten Schleier.
*Plitsch*
Was ist das?
*Plitsch*
Da, schon wieder! Peregrinus konzentriert sich jetzt ganz auf dieses Geräusch. Seine Ausbildung hilft ihm dabei, macht es ihm sogar erst möglich, die roten wabernden Schwaden in seinem Kopf zurückzudrängen. Endlich schlägt er die Augen auf, stöhnt dabei leise.
*Plitsch*
Eine feuchte Felswand direkt vor seiner Nase. Wasser rinnt daran herab zu einem kleinen Zacken. In Zeitlupe formt sich ein Tropfen. Wie gebannt starrt Peregrinus darauf - er blinzelt nicht, begreift wohl auch nicht, was er sieht. Der Tropfen fällt.
*Plitsch*
Das Geräusch scheint den jungen Paladin endgültig aus seiner Apathie zu lösen. Er schüttelt kurz den Kopf, ignoriert den brennenden Schmerz in seinem Körper. Er schaut sich um. Fahles Licht taucht die Umgebung in ein gespenstisches Halbdunkel. Es scheint aus einer Öffnung in der Decke zu kommen, doch ist diese nicht zu sehen. Der schwere Geruch von Erde und Moder liegt in der Luft. Peregrinus liegt in einer kleinen Zelle, notdürftig aus dem blanken Fels gehauen. Jenseits des eisernen Gitters, das die Frontseite verschließt, ist ein größerer Raum zu erkennen. Schemenhaft zeichnen sich die Silhouetten von mehreren Stühlen ab, im Kreis um einen Tisch gruppiert. Tiefe Schatten liegen über dem übrigen Raum, entziehen ihn den Blicken des Beobachters.
Ein stechender Schmerz in der linken Seite erinnert den Paladin an seinen geschundenen Körper. Er untersucht sich kurz und atmet erleichtert auf - es scheint nichts gebrochen zu sein. Am Hinterkopf spürt er eine harte Kruste - wohl Blut vom Schlag mit einem Totschläger. Seltsam, sonst benutzt er dieses Werkzeug immer nur bei Anderen. Andere... was war überhaupt passiert? Peregrinus versucht sich zu konzentrieren, kämpft gegen den pochenenden Schmerz in seinem Kopf an. Ihm wird übel und er erbricht sich in eine Ecke seiner Zelle. Jetzt geht es etwas besser. Also, erinnern... Er war abends im Hafenviertel unterwegs gewesen. Warum? Ja... Er hatte sich im "Ankertau" mit Rufus, einem Informanten getroffen. Ein zuverlässiger Kerl. Rufus hatte ihm einen Knopf besorgt, gestern. Aus irgendeinem Grund war der Knopf wichtig gewesen. Richtig, der Lord. Jeder Dienst bedeutet eine Gegenleistung - Gaunerehre nannte man so etwas in den Kreisen, in denen der Paladin so viel lieber verkehrte als mit seinen steifen Ordensbrüdern. Der Informant wollte diesmal kein Gold. Er sagte, er schulde selbst jemand einen Gefallen und dieser Jemand würde sich gern mit ihm, mit Peregrinus treffen. Hätte er nein sagen können? Sollen? Ihm war nichts Verdächtiges aufgefallen. Hatte der Wein sein Urteilsvermögen getrübt? War er zu sehr berauscht gewesen, von sich und seinem Erfolg am Tage? Nein, es muss der Wein gewesen sein. Anfängerfehler! In einer Gasse hatten sie auf ihn gelauert, mindestens zu dritt. Er sah die Szene genau vor seinem inneren Auge: Neben ihm stand Rufus, vor ihm zwei Männer in liederlicher Lumpenkleidung. Sie hielten Knüppel in ihren Händen und verlangten Wegzoll. Pure Ablenkung! Links von ihm stürzte Rufus wie vom Blitz getroffen zu Boden, nur einen Augenblick später krachte etwas auf Peregrinus Hinterkopf. Dann Dunkelheit.
Und nun? Ein schöner Schlamassel! Davor hatte ihn sein Mentor immer gewarnt, doch glaubte der Paladin nie daran, dass ihn seine Intuition einmal so im Stich lassen könnte. Kein Wein mehr, soviel steht fest! Helm? Nein. Purer Glaube an ein Wunder bringt ihn nicht weiter. Helm mag es, wenn man selbst handelt, soweit ist sich Peregrinus sicher. Er versucht, sich zu erheben. Leise stöhnend stemmt er sich vom Boden hoch. Er stößt sich den Kopf, denn die Zelle ist nur etwa anderthalb Schritt hoch. Fluchend kriecht er auf allen Vieren zu den Gitterstäben. Eine eiserne Tür ist in deren Mitte eingelassen. Eine genaue Untersuchung von Tür und Schloß eröffnet keine Möglichkeit zur Flucht: um das Schloß zu knacken, fehlt ihm Werkzeug, für einen gewaltsamen Ausbruch ist er zu geschwächt.
Nun, wenn sie ihn sofort hätten töten wollen, wäre er nicht hier. Peregrinus beschließt, zu warten. Er lehnt sich an die Seitenwand und bald darauf fallen ihm die Augen zu...
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Spring, spring! Schnell, kleiner Narr, die Wache ist dir auf den Fersen! Auf den Fersen, ja, doch nicht schnell genug, nicht schlau genug! Warum sie dich wohl wieder jagen? Blutig roter Abend war's für des Bäckers hübschen kleinen Sohn! Hätt' er mal nicht gespottet und getreten - Erziehung muss halt praktisch sein und Konsequenzen mit sich tragen! Lachen, jauchzen, jubilieren - die Wache ist wohl abgehängt und freies Atmen wird zur Möglichkeit! Flink umgeschaut, so lautet das Gebot der Stunde! Das Hafenviertel wird's wohl sein, da drüben schillert Mondes Scheine übers stille Wasser. Im Hafen war ich ja noch nie! Na gut, das gilt jetzt wohl als nachgeholt. Fressen, saufen, schlafen, das wär' so der Plan für heute Nacht. Fressen, fressen... Hunger hast du, armer Jared. Versprach der Bäcker Brot und rief doch nur die Wache. Armes kleines Bäuchlein, knurrst so hungrig böse vor dich hin. Ein Lied, ein kleines Lied wird dich zum Schweigen bringen!
Mhmmmm, mhmhmmm... süßer Mond, so lieblich pranget deine Sichel,
Oben da am Himmelszelt!
Kleines Bäckerjunges, liegst so sprachlos auf dem Boden,
Deine Eingeweide schauen in die Welt... Mhmmmm, mhmhmmm...
Huch und aufgemerkt! Da vor mir stapft Gelichter durch die Gassen! Hollaho und angetrabt, ihr jungen, wack'ren Burschen! Habt was zu fressen für 'nen Narren? Wie, was ich hier treibe? Ich geh hier nur so für mich hin, nichts zu suchen war mein Sinn! Falscher Ort und falsche Zeit? Mir scheint, Ihr redet wirr, mein junger Freund! Es ist doch nie die falsche Zeit für Narreteien - und der Ort dafür ist herzlich gleich! Nun, wollt Ihr mir nicht sagen - AU! Was schlägt da auf mein Köpflei...
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Der Paladin erwacht. Lange kann er nicht geschlafen haben - zwei, drei Stunden höchstens, sagt ihm sein Gefühl. Schritte! Schwere Schritte auf Stein hallen durch die Luft. Ein Lichtschein wird an der Stirnseite des Raumes sichtbar, die tanzenden Schatten verraten eine Fackel. Eine Treppe schält sich aus dem Dunkel. Kurz darauf betritt eine massige Person den Raum. In der Linken hält sie die Fackel, in der Rechten ein unförmiges, blau-rotes Bündel, von dem sich bei jedem Schritt des Mannes leise Klimpergeräusche lösen. Für Peregrinus hat er nur ein höhnisches Grinsen übrig, als er an der Zelle vorbeistampft. "Kriegst Gesellschaft, Kumpel. Mal sehen, wie lange du dich dran erfreuen kannst, denn bald ist es aus mit dir." Ein hässliches Lachen schließt sich an.
Der Paladin vernimmt das Geräusch eines Schlüssels, kurz darauf quietscht eine Tür. Er robbt nach vor an seinen Zellenrand, um eine bessere Sicht zu haben. Etwa zwei Schritt links von seiner Zelle befindet sich in der Querwand eine andere Höhlung, gleich seiner mit Gitterstäben und einer Tür verschlossen. Dort wirft der Grobschlächtige gerade das Bündel hinein - es muss ein kleiner Mensch sein. Ein Kind vielleicht? Peregrinus erblickt auf dem Boden vor der anderen Zelle einen kleinen Stab mit etwas wie einem Stofftier am Ende. Genau erkennen kann er ihn nicht, denn jetzt wirft der Schläger ihn dem Bündel nach in die Zelle. "Hier, damit dir nicht zu langweilig wird! Wirst ihn brauchen, wir erwarten gleich Unterhaltung von dir!" Wieder dieses hässliche Lachen. "Sieh bloß zu, dass du wieder auf die Beine kommst, bis der Alte kommt! Sonst machen wir dir welche!" Er bekommt keine Antwort, deshalb dreht er sich grunzend um, will wieder zur Treppe gehen. Peregrinus herrscht ihn an: "Im Namen Helms, sprich! Wo ist Rufus!"
"Ach, wie niedlich.", kommt die Antwort. "Dein Freund ist Fischfutter. Morgen wird's heißen 'Wasserleiche gefunden' und niemand wird groß Fragen stellen. Glotz nicht so ungläubig, du bist auch nur noch am Leben, weil der Alte ein ganz besonderes Schauspiel möchte. Er hat jetzt das Sagen in dieser Stadt und kein verkappter Paladin wird ihn dran hindern können!" Lachend dreht er sich um und stapft davon. An der Treppe entzündet er eine andere Fackel in ihrer Wandhalterung. "Damit ihr beiden euch auch sehen könnt. Keine Angst - wir lassen euch nicht lange allein. Wir sind gleich wieder da!" Mit diesen Worten verschwindet er aus dem Verließ.
"Hallo? Hallo, wer bist du? Geht es dir gut?" Peregrinus quetscht den Kopf an die Gitterstäbe, um möglichst viel der anderen Zelle sehen zu können. Da! Das Bündel bewegt sich. Wortfetzen dringen an das Ohr des Paladins, von weinerlicher Stimme hervorgebracht. Sie ergeben keinen Sinn. Singt der Kleine etwa? Jetzt steht er auf. Er ist wirklich klein, kann in dieser winzigen Zelle sogar stehen. Auf den Kopf zieht er sich gerade eine seltsame Mütze, schwer zu erkennen. Es klimpert wieder leise. Jetzt dreht sich die Figur um. Der Paladin erschrickt kurz, als der Schein der Fackel auf das Gesicht fällt: der Kerl ist ja gar kein Kind! Ein ziemlich hässlicher kleiner Gnom undefinierbaren Alters steht da vor ihm. Das Gesicht sieht verheerend aus: mehrere große Blutergüsse gesellen sich zu einer Platzwunde auf der rechten Wange. Er wiegt langsam auf den Füßen vor und zurück, die Augen geschlossen. Die Lippen bewegen sich lautlos - ein Gebet?
Jetzt schlägt er die Augen auf. Sieht Peregrinus. Der Gnom legt den Kopf schief, er zieht kurz Luft prüfend durch die Nase. Dann erscheint ein unnormal breites Grinsen auf dem Gesicht des Kleinen. Freundlich wirkt es nicht, im Gegenteil. Die Augen bleiben kalt und hart, wie der Beobachter in Peregrinus sofort registriert. Kein gutes Zeichen. Der Gnom geht langsam auf die Gitterstäbe seiner Zelle zu, tippt dabei die Fingerspitzen beider Hände vor dem Gesicht aneinander.
"Ihr habt 'Hallo' gerufen, werter Herr!", ertönt seine krächzende Stimme. "Das ist freundlich, heißt mich gar willkommen! Mich dünkt, dies ist nicht Eure Residenz? Seid auch Ehrengäste dieser noblen Herren, nehm' ich an? Ihr wisst nicht etwa, wann's Bankett eröffnet? Ich hab' nämlich trefflich Hunger in den Därmen hängen."
"Äh... nein, das tut mir leid. Ich glaube auch nicht, dass es hier etwas zu Essen geben wird. Ich bin Peregrinus, Gefangener wie Ihr. Und wer seid Ihr, guter Mann?"
"Jared ist der Name, hoher Herr. Ein 'R' steht in der Mitten, im Allgemeinen oft für große Unbill: Roheit, Richtblock und auch Räuberei. Doch im Speziellen, und ich kann versichern, dies ist so ein Fall, da stehts für Nichts und Nutz und Schabernack. Seht die Kappe, hört die Schellen: Klimpern, Glanz und Klingeling! Ein Narr bin ich, und gar kein schlechter! Ein Wort der Warnung - gebt gut Acht auf Eure Worte! Gefallen sie mir nicht, macht Ihr Bekanntschaft mit dem Alter Ego Jared's hier am Narrenstabe! Ihm sagt man ein scharfes Zünglein nach." Meckerndes Lachen beschließt den Wortschwall.
"Äh... ja." Peregrinus hat große Mühe, sich auf das Gespräch einzustellen. Banditen, Huren, Seeleute - alles kein Problem. Die Irren hat er allerdings immer gemieden - ihr Wort hätte vor Gericht eh keinen Bestand. "Wisst Ihr, wo wir hier sind? Und wie kommt es, dass Ihr gefangen wurdet?"
"Wo wir uns're Zelte aufgeschlagen? Im Palast der Ratten, selbstverständlich! Gar kein Schlechter, möcht ich sagen. War schon schlimmer einquartiert. Die Bewirtung allerdings lässt Wünsche offen, Fressen würd' ich wahrlich gern! Doch seid Ihr dürstig, hängt die Zunge an die Wände! Solch Luxus kannt ich bisher nicht! Oh, Ihr meintet wohl die größ're Lage. Der beste Ort im Hafenviertel, würd' ich meinen! Da fehlte nur das Schild 'Loch drei - hereinspaziert und wohlgefühlt' am Eingang unter'm Dache. Muss 'ne Neueröffnung sein.
Hm, klein Jared hier am Stabe meint, es gab der Fragen zwei. Verzeiht! Wieso ich hier gestrandet bin? Auf der Suche nach etwas zu Fressen war ich, sprach die nette Bande oben an. Dann wurd' es schwarz, dann wieder hell - nun bin ich just an diesem Orte. Zu Fressen gab's noch nichts, doch wird der Koch wohl schon beschäftigt sein. Ich harre jetzt des Festmahls, dass da kommen möge! Würd' Euch ja ein Liedchen singen zwischenzeitlich, doch ist das Zimmer hier gar niedrig. Tanzen ist dann wohl unmöglich - und ich will ehrlich mit Euch sein: ein Liedchen ohne zünftig' Tanzen ist doch Scharlatanerei!"
"Nun, aber Ihr wisst doch wohl, dass wir hier gefangen sind? Wollen wir nicht überlegen, wie wir fliehen können?"
"Gefangen? Garstig' Wort, dass Ihr verwendet! Gefangen bin ich niemals! Der Geist ist immer frei, zu schweifen. Könnt durch meine Augen sehen, leih' sie Euch, wenn's denn beliebt. Seht doch selbst! Mächtg'e Ströme, hohe Berge. Lebendig' Treiben in gefüllten Städten, ein Markt an lauem Frühlingstag! Das tollste Leben, Sterben, Schmausen, Leiden - alles, was das Herz begehrt! Und noch viel mehr, Ihr könnt's ruhig glauben. Das wird niemand als Gefangenschaft bezeichnen! Der Körper wird dem Geiste folgen - heute, morgen, einerlei. Planung braucht's hingegen dafür nicht, Gelegenheit macht eben nicht nur Diebe!"
Der Paladin winkt ab. Aus dem Knaben kriegt er wohl kein sinnvolles Wort heraus. Also doch auf sich allein gestellt. Jetzt fängt der Gnom auch noch an zu pfeifen! Peregrinus setzt sich wieder an die Seitenwand. Er beginnt, die Gebote Helms zu rezitieren. Alles besser, als das Pfeifen zu ertragen...
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Pfeifen, Trällern, Tirilieren - da schlägt das Narrenherze höher! Schade, dass der Bursche drüben sich zurückgezogen hat. Hätt' mit mir weiter plaudern können, Faxen machen, Stänkern, Jux und Tollerei. Ich werd mal rüber zu ihm huschen. Huch, ein Gitter strebt hier vor mir in die Höhe! Und 'ne Türe drin, wie praktisch. Klink' ich mal - hm, kein Erfolg. Und ringsum Wand und Wand und Wand. Die Wange brennt mir und mir knurrt der Magen. Doch will nicht meckern - Fressen, saufen, schlafen, war der Plan für diese Nacht. Das Ergebnis bisher lautet zwei von drei - der dritte Punkt wird sicher auch noch in Erfüllung gehen. Mach ich mal die Äuglein zu, mag Morpheus heute nochmal grüßen...
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Peregrinus schlägt die Augen auf. Der Narr ist seit einiger Zeit ruhig, doch nun hallt wieder das Geräusch von Stiefeltritten durch das Verließ. Mehrere diesmal. Nur wenige Augenblicke später betreten drei der Banditen nacheinander den Raum. Der dicke Große von vorhin ist unverkennbar - die anderen beiden sehen wie die Kerle aus, die Rufus und ihm den Weg versperrten. Alles ungehobelte Gesellen. In dreckige Kleidung gehüllt, unrasiert und wohl seit Tagen ungewaschen. Der Kleinere von beiden trägt eine Fackel, der Größere eine kleine Peitsche. Der Dicke geht zu Jareds Zelle, öffnet sie. Die beiden anderen bleiben beim Tisch stehen.
"Hey, Narr! Aufgewacht! Ja, du, glotz' nicht so doof! Raus hier! Du sagst, du bist ein Narr? Sehr gut, wir haben jetzt etwas Zeit und Langeweile. Dort, auf den Tisch mit dir, wir wollen unterhalten werden. Darf ich vorstellen? Ich bin Wulfgar, das sind Olaf und Torben. Siehst du, was die beiden in den Händen halten? Ja? Siehst du? Mach deine Sache gut, und wir empfehlen dich dem Alten. Mach sie schlecht... naja... wir werden unseren Spaß haben, so oder so. Fang an!"
Grinsend steht Jared auf dem Tisch, legt den Kopf schief. Kein Laut kommt über seine Lippen, kein Muskel rührt sich. Der Mann namens Olaf knurrt: "Los Torben, brat ihm eine über!" Torben holt aus und schlägt mit der Peitsche nach Jared. Trifft ihn im Gesicht. Jared zuckt zusammen, geht in die Knie - seine Peiniger lachen höhnisch. Jared steht wieder auf - das Gesicht dem Paladine zugewandt. Aus einer neuen Wunde auf der Wange tropft Blut auf den Tisch. Das Gesicht des Narren ist von blankem Hass zur Fratze verzerrt. Doch wie er sich den Dreien zuwendet, grinst er schon wieder breit:
"Wohlan denn, Ihr drei tapf'ren Recken. Was den Ochsen auf die Beine bringt, verfehlt die Wirkung nicht beim Narren! Unterhalten werden wollt ihr, Unterhaltung sollt ihr auch bekommen! Zuerst, da probe ich den Feuertanz. Der heißt so, weil er schnell und feurig vor sich geht. Seht her! Sprung und Schritt und Sprung und Tritt!" Eine Reihe von schnellen Sprüngen, Drehungen und Verrenkungen folgen diesen Worten. "Handstand! Einhand-Handstand! Und mit Knall zurück zum Boden! Sprung und auf dem Allerwertesten gelandet!" Gelächter quittiert die Darbietung. Jared steht schon wieder. "Aha! Lustig scheint ihr's just zu finden, dabei ist doch nichts passiert! Und zum Springen bin ich nun zu hungrig. Komm ich deshalb jetzt geschwind zum Spiel - der Königin der Disziplinen wohl! Ich habe da etwas im Sinn! Hilfe brauch' ich von euch Dreien jetzt, Komparse nennt man diese Rolle. Euch braucht davor nicht bang' zu sein, ein Lacher wirds auf alle Fälle!
So, dann fang' ich wohl mal an. Es war einmal - so beginnen diese Art Geschichten gern!
Es war einmal ein reicher Graf,
Der hatte eine Tochter wohl.
Sein Ein und Alles nannt' er sie,
Doch blökt sie abends wie ein Schaf!
Das Treiben ging jahraus, jahrein,
Die Tochter wurde immer älter.
Verehrer waren Mangelware,
Wollt doch keiner diese Zibbe frei'n!
Aus dem Graf war nun ein Greis geworden,
Alt, verhutzelt und voll Gram.
Die Tochter blökte munter weiter,
Nach Osten, Süden, Westen, Norden.
Da wurd's dem Grafen gar zu bunt,
Er schickte Boten rings umher.
Zu finden eine Medizin,
Oder einen Heiler in der Welten Rund.
Die Nachricht trug durch viele Lande,
Manch ein Doctor winkte ab.
Niemand traute sich zu helfen,
Doch dann erreicht der Bote Wilfrieds Bande.
Reichtum, Ländereien, Ehre
All das versprach der Graf dem Retter.
Der Wilfried denkt nun drüber nach,
Wie's Leben wohl als dieser Retter wäre."
Jared unterbricht sich an dieser Stelle. Tappt mehrfach mit dem Fuß auf den Tisch. Jetzt legt er den Kopf wieder schief. "Verzeiht mir diese Unterbrechung, holdes Publikum. Der Fehler ist mir ganz fatal! Die Worte sind mir weggekommen... hmm... du da, Peitschenmann! Du wirst deine Rute nochmal schwingen müssen! Beim letzten Male bracht's mich auch auf Trab! Los, zieh sie mir noch einmal durchs Gesicht, das hilft Erinnerungen auf die Sprünge!"
Torben zuckt mit den Schultern und schlägt zu. Die Peitsche pfeift durch die Luft, zielt nach Jareds Gesicht. Blitzschnell duckt sich dieser zur Seite und greift mit der rechten Hand nach der Rute, bekommt sie mitten im Schlag zu fassen. Mit einem Ruck zieht er sie nach hinten. Torben, ungläubig und überrascht, stolpert hinterher. Der Stab in der Linken des Narren zuckt nach vorn, nach Torbens Kehle. Trifft sie, zuckt schon wieder zurück. Ein Schwall Blut begleitet ihn dabei. Der Getroffene reißt die Augen weit auf, stolpert dabei rückwärts. Rasselnde Geräusche entrinnen seiner Kehle. Die Peitsche hat er losgelassen.
Jared macht einen schnellen Schritt auf dem Tisch nach links. Dort steht Olaf. Die Fackel in seiner Hand wird ihm zum Verhängnis. Ein gezielter Tritt des Narren und sie trifft Olaf im Gesicht. Er schreit qualvoll auf, doch sein Schrei wird fast sofort zum Röcheln, als der Stab sich auch in diese Kehle senkt. Während Olaf mit beiden Händen an seinen Hals fasst und langsam in die Knie bricht, springt Jared auf den Boden. Der Riese, der sich als Wulfgar vorgestellt hatte, erwacht aus seiner Erstarrung. "Du Hundsfott!", bellt es durch den Raum. "Dich mach ich fertig!" Schon stürmt er um den Tisch. Bewaffnet ist er nicht, doch ein Schlag seiner Fäuste reicht sicherlich aus, Jared das dürre Rückgrat zu brechen. Doch der Kleine ist schnell - zu schnell. Er wirbelt herum, weicht jeder Hand, jedem Schlag aus. Der Stab zuckt vor und wieder zurück, und jedesmal hinterlässt er eine blutende Wunde am Körper seines Gegenspielers. "Drei!" - "Vier! Ha!" - jeder Treffer wird von Jared laut gezählt. "Neun!"
Kaum kam der Schrei von seinen Lippen rollt er sich durch die zum Schritt geöffneten Beine des Gegners. Hinter ihm greifen dessen Arme ins Leere. Kaum ist die Rolle beendet, sticht Jared schnell zweimal hinter sich - einmal links und einmal rechts. Ein doppelter Schmerzensschrei quittiert seine Bemühungen. Er steht langsam auf, als der Hühne namens Wulfgar hinter im langsam und schreiend zusammenbricht. Die Stiche haben ihm die Sehnen in den Kniekehlen zerschnitten.
Der Narr klopft sich den Staub von der Kleidung. Während des gesamten Kampfes war das Grinsen nicht vom Gesicht des Narren gewichen, doch jetzt scheint es, als würde es noch etwas breiter. Kleine Sprünge ausführend, umkreist er den Gefallenen, sorgfältig auf die Reichweite von dessen Armen achtend. Nun steht er Angesicht zu Angesicht.
"Wulfgar war der Name, ist das richtig? Was stierst du so, ihr wart ein wunderbares Publikum! Applaus, Applaus, ihr Ratten! Applaus, der Herr in seiner Zelle! Hörst du das? Die Menge tobt, die Menge johlt. Sie verlangen Zugabe, ich höre 'Mehr, mehr, mehr!' Gemach, meine lieben Freunde. Vor dem Schlussakt kommet noch der Monolog. Ihr Drei hier wollt auch sicher wissen, wie es weitergeht mit Graf und Tochter und der wilden Bande. Nun, der Peitschenhieb hat in der Tat geholfen! Glaubt es wohl, mir ist das Ende wieder eingefallen! War auch gar nicht schwer, denn war das Ende eigentlich auch schon erreicht. Der Wilfried denkt, doch kommt ihm kein Gedanke. Der Graf stirbt einsam und vergrämt, und seine Tochter zieht's zu einer Schafesherde! Ende der Geschichte, Ende auch des Akt's an sich. Ich danke dir recht hübsch für deine Hilfe und entlass' dich nun zu Deinesgleichen. Auf Wiederseh'n - im nächsten Leben!" Jared springt nach vorn und rammt den Stab mit voller Wucht in den Hals seines Gegenübers. Im Todeskampf schlägt Wulfgar wild um sich, doch Jared ist schon wieder in Sicherheit gehüpft. Bald erbebt der Körper unter einem letzten Zucken, dann ist Stille.
Pfeifend setzt sich der Nar in Bewegung, durchsucht die Taschen der Getöteten. "Ach, meine kleinen Hübschen, viel Gold habt ihr aber nicht bei euch gehabt! Ich war wohl wirklich erst der zweite Gast. Nun, jetzt wird die Herberge wohl auch nichts mehr, das Blut verdirbt ganz deutlich das Geschäft. Mhmm, Mhm. Ah, was haben wir denn hier? Den Schlüsselbund werd ich mal an mich nehmen! Braucht ihn eh nicht mehr, ihr Süßen. Tadadi... hab ich alles hübsch beisammen? Glaub' ich wohl! Dann flugs nochmal zur Suite gehuscht und Abschiedsplausch gehalten!"
Tänzelnd kommt Jared auf Peregrinus Zelle zu. Der Hut wippt auf seinem Kopf, die Schellen klimpern fröhlich vor sich hin. Die Handfläche der rechten Hand ist aufgeplatzt, Blut rinnt ihm am Arm entlang. In der Linken hält er noch immer seinen Stab. Vom kleinen Stoffclown an der Spitze sind nur noch Fetzen übrig. Blutverschmiert und scharfkantig schaut eine Klinge darunter hervor. Peregrinus zieht sich ein wenig in seine Zelle zurück. Er hat natürlich keine Angst. Er hätte sich nicht so einfach übertölpeln lassen. Allerdings hat dieser Irre noch den Stab und die Zellengröße spielt dem Paladin auch nicht gerade in die Hände. Er beschließt, auf Zeit zu spielen. "Und nun, werter Herr Narr? Euer Spiel scheint nun vorrüber. Was gedenkt Ihr mit dem Publikum zu tun?" Sehr gut... Tonfall und Sprechweise hat er fast getroffen. Mal sehen, ob das den Clown aus der Reserve locken kann.
"Oh, das kleine Vöglein kann ja doch vernünftig sprechen, wie mir scheint! Vorzüglich, ausgezeichnet, bravourös!" Grinsend quetscht Jared seinen Kopf von außen an die Gitterstäbe. "Will es fliegen? Will es Freiheit? Will es flügge werden?"
"Äh... das Vöglein würde gern hier raus, das stimmt. Dieser - äh - Käfig ist ihm arg zu klein, hier ... äh ... gingen seine Flügel ein!"
"Tststs... zu bemüht, Herr Peregrinus, zu bemüht. Ihr seid im Kopfe nicht von meinem Schlage! Ihr seid von anderem Kaliber, und nicht, was Ihr zu seien scheint. Nicht jedem sieht man seine Profession so an, wie mir den Schelm, den Schalk, den Narren. Wie dem auch sei, mir steht's nicht zu, Geheimniskrämerei zu kritisieren. Bin wohl der erste, der Verschwiegenheit begrüßt. Sei's drum! Sobald der Vorhang gleich gefallen, tritt dann der Narr just eilends ab. Zu gerne würd' ich weiter mit Euch plaudern! Euch verstehen lassen und geleiten auf dem Pfad, den diese drei so übereilt genommen!
Doch sagt die Stimme mir, dass Euer Weg hier nicht zuende ist. Das Lichtlein, dass Ihr seid, wird noch gebraucht! Schlagt Euch tapfer, kleiner Recke fein - vielleicht sehen wir uns später einmal wieder!
Der Vorhang fällt, die Menge tobt! Das habt Ihr gar vorzüglich hier gemacht! Bravo, Bravo und Bravissimo! Nun treten wohl die Spieler ab, das Publikum wird später folgen. Ich verneige mich noch einmal, und dann nichts wie fort!"
Kaum hat Jared die Verneigung beendet, dreht er sich auf dem Absatz davon und hüpft in Richtung Treppe davon. Auf der untersten Stufe dreht er sich noch einmal um: "Oh, da fällt mir gerade noch 'was ein! Das hier" - er klimpert mit dem Schlüsselbund - "könnt Euch wohl von großem Nutzen sein! Gehabt Euch wohl!" Mit diesen Worten wirft er den Schlüsselbund zu Peregrinus Zelle und verschwindet.
Schnell fingert der Paladin nach dem Schlüsselbund, kann ihn gerade so erreichen. Hektisch probiert er drei Schlüssel in der Zellentür aus, bevor der vierte passt. Endlich frei! Er stemmt sich aus der Zelle und streckt sich erst einmal kräftig. Hat keinen Sinn, den Kleinen zu verfolgen. Peregrinus Glieder sind dafür viel zu steif geworden. Und überhaupt - wieso sollte er Helm bei der Auswahl seiner Werkzeuge kritisieren? So kann er ganz zufrieden sein. Rufus tut ihm leid, doch wo gehobelt wird... er hat sich nie Illusionen gemacht, mit wem er bei seinen Fällen zusammenarbeitet. Die nächsten Schritte jedenfalls liegen deutlich vor seinen Augen. "Der Alte" ist in die Stadt gekommen und hat den Krieg erklärt. Die erste Runde endet quasi unentschieden - nun gilt es, ein Spiel zu gewinnen. Wer weiß, vielleicht trifft er ja auch den Narren wieder? Dann wird er definitiv versuchen, ihn für Helms Sache zu begeistern.
Mit diesen Gedanken macht sich der Paladin auf den Heimweg. Vom Bäckersjungen erfährt er heute Nacht noch nichts...